Letztens las ich morgens folgenden Tweet:
https://twitter.com/Frl_NullZwo/status/603442906964336640
Mein erster Gedanke war: Ach!? Es ist immer noch Kita-Streik?!
Ich bin bekanntermaßen Nicht-Elter, habe nur Patenkinder, die weit aus dem Kita-Alter raus oder noch nicht drin sind. Mir war das nicht präsent.
Daraufhin begann ich mich zu wundern. Warum kriege ich das nicht mit? Warum hauen mir meine Nachrichtenquellen das Thema nicht um die Ohren?
Als die GDL streikte, wusste ich stets: Wer spricht grad mit wem (oder eben nicht), wie lange noch, wie sind die Befindlichkeiten in den verfeindeten Lagern, wie fühlt sich das am Bahnsteig stehende und sich auf Autobahnen stauende Volk – man hätte mich nachts wecken können: Ich konnte noch mit geschlossenen Augen sagen, wie die Situation am Gleis ist.
Der Kita-Streik geht hingegen an mir vorbei. Wo sind die Ökonomen, die öffentlich ausrechnen, was die Volkswirtschaft der Streik kostet? Wo ist die Druck machende, kennzahlenorientierte Arbeitgeberlobby, die Effizienzeinbußen hinnehmen muss, weil ihre MitarbeiterInnen ausfallen? Wo sind die Rufe der Berufsempörten nach einem Ende der Erpressung? Haben sich schon PolitikerInnen geäußert, laut?
Wo sind die großen Reportagen? Der Ü-Wagen vor der Kindertagesstätte, die Schalte ins Gewerkschaftslager, die aktuelle Lage auf Arbeitgeberseite? Wo ist die fortlaufende, penetrierende Berichterstattung – die sämtliche Aspekte beleuchtende, alle Emotionen bedienende Dauerbetrachtung, bis es uns aus den Ohren blutet?
Sind Kinder nicht so systemrelevant wie Züge? Als was sehen wir Kinderbetreuung – als ein Nice to Have für Frauen, die dank Streik endlich Gelegenheit haben, ihre mütterlichen Pflichten zu entdecken? Warum ist Kinderbetreuen Privatsache, während das Kinderhaben öffentlich gefordert wird?
Fragen über Fragen.
Als ich meine Verwunderung twitterte – und später meine Be-wunderung für die Eltern ergänzte -, schrieb mich Cathy Tarnow (34) an. Sie hat einen Sohn (2), wohnt in Hamburg und arbeitet als IT-Beraterin für Personalmanagementsoftware.
Sie sagte, sie habe kein Blog oder ähnliches, aber ich könne ihr gerne Fragen stellen. Das tat ich.
Wie stehst du zum Streik?
Cathy: Grundsätzlich stehe ich hinter den Forderungen im Sozialbereich. Die ErzieherInnen leisten äußerst wichtige Arbeit mit und an unseren Kindern. Die Arbeit ist körperlich und geistig anstrengend und fordert ständige Weiterbildung. Die Anforderungen an das soziale Personal steigen stetig und entsprechend sollte auch die Entlohnung steigen.
Aber:
Wenn es wahr ist, was man so hört, benehmen sich beide Streikparteien an Verhandlungstagen wie Kleinkinder. Keiner hört dem anderen zu, keiner will sich nur ein kleines Stück von seinem Standpunkt bewegen.
Außerdem finde ich, dass zuerst einmal alle ErzieherInnen bundesweit dasselbe Gehalt erhalten sollten. Warum gibt es immer noch Unterschiede zwischen den „alten“ und den „neuen“ Bundesländern?
Wie organisierst du die Betreuung während des Streiks?
Cathy: Ich bin Elternsprecherin der Krippengruppe meines Sohnes. Als der unbefristete Streik angedroht wurde, habe ich die Organisation einer Elternbetreuung in unserer Kita übernommen. Die Idee dazu hat die Kita-Leitung selbst eingebracht, nur umsetzen können bzw. dürfen sie es nicht – die streiken ja selbst.
Ich habe unter dem Motto „Eltern helfen Eltern“ einen Aushang in der Kita gemacht und eine Rundmail an die Elternvertretungen versandt. In diesen rief ich dazu auf, dass wir als Eltern eine Notgruppe gründen sollten. Da auch betreuungsintensivere Krippenkinder betroffen sind, plante ich mit dem Schlüssel „ein Erwachsener – drei Kinder“.
Die Freiwilligen hielten sich anfangs zurück. Dazu muss man aber sagen, dass Hamburg eine Woche Ferien hatte und viele im Urlaub waren. Als aber deutlich wurde, dass der Streik über die Ferien hinaus geht, stiegen das Interesse und das Engagement. Es gab in der Zwischenzeit Tage, an denen wir bis zu sieben Erwachsene vor Ort waren.
Für diese Art der Notbetreuung sprechen diverse Vorteile:
- Man muss nicht jeden Tag der Woche frei nehmen (ob nun unbezahlt, Urlaub oder wie auch immer), da man sich abwechseln kann.
- Die Freiwilligen sind als ehrenamtliche Helfer in der Kita versichert.
- Man hockt nicht allein mit dem Kind daheim oder auf dem Spielplatz – die sozialen Kontakte für Kinder und Erwachsene sind gerade in diesen ungewohnten Zeiten enorm wichtig.
- Die Kinder sind trotzdem täglich in den Kita-Räumen, müssen sich also nach dem Streik nicht wieder völlig neu eingewöhnen.
- Unsere Kita-Leitung hat organisiert, dass wir verpflegt werden. Man muss also nicht täglich daheim kochen etc.
Unsere Kita bietet zwar glücklicherweise auch eine Notbetreuung durch vier ErzieherInnen an, die nicht der Gewerkschaft angehören. Dort werden aber ca. 45 Kinder im Alter von ein bis sechs Jahren betreut.
Meinen gerade zwei Jahre alt gewordenen Sohn Boas kann ich da nicht hingeben. Das würde er nicht verarbeiten können.
Wie wirkt sich der Streik auf deinen Job aus?
Cathy: Ich habe das große Glück bisher (nur) in Teilzeit zu arbeiten und einen äußerst verständnisvollen Chef zu haben. Er hat mir angeboten, erst einmal Minusstunden auf meinem Konto zu sammeln; durch Dienstreisen etc. werde ich die recht schnell wieder ausgleichen. Also konnte ich die erste Zeit täglich vor Ort sein.
Wenn im Job etwas Dringendes anlag, habe ich abends ein/zwei Stunden im Home Office gearbeitet.
Was belastet deine Familie am meisten?
Cathy: Seit dem Streikbeginn schläft Boas sehr schlecht. Er findet abends schwer in den Schlaf und hat Alpträume. Dann wacht er auf, zieht zu uns ins Elternbett um, schläft da aber auch nur unruhig weiter. Eigentlich haben wir ein sehr ausgeglichenes Kind, aber die Schlafsituation wirkt sich natürlich auch auf die Tage aus, an denen er nun sehr launisch ist und wegen jeder Kleinigkeit explodiert. Das zieht sich dann entsprechend auch über die Wochenenden, die damit kaum noch Erholung bieten.
Außerdem habe ich natürlich trotzdem ein schlechtes Gewissen meinem Arbeitgeber gegenüber, was ich mit in meine Nächte nehme. Man sorgt sich, wie lange diese Situation noch anhalten wird und wie man in Zukunft weiter damit verfahren wird.
Wir sind alle sehr müde und gehen nervlich auf dem Zahnfleisch.
Unternimmst du etwas zur Unterstützung der ErzieherInnen?
Cathy: Ja, definitiv!
Gerade am Dienstagmorgen war ich mit einer weiteren Elternsprecherin in der Kita, um den ErzieherInnen der Notgruppe unseren Beistand zu zeigen. Wir hatten das Gefühl, dass sie mehr Kinder zu sich nahmen, als machbar war. Deshalb wollten ihnen verdeutlichen, dass sie auf sich selbst auch aufpassen sollen. Wir können es nicht gebrauchen, dass sie aufgrund von hieraus verschuldeter Krankheit ausfallen – während der Streikzeit nicht und auch nicht danach.
Ansonsten beteiligte ich mich in der Zwischenzeit an ein paar Aktionen, beide Vertragsparteien an den Verhandlungstisch zurück zu bekommen:
Am vergangenen Freitag haben wir beispielsweise ein Eltern-Kind-Picknick im Hamburger Rathaus ausgerichtet und Dienstagnachmittag sind wir gemeinsam mit dem LEA (Landeselternausschuss Hamburg) und einigen ErzieherInnen in der Hamburger Innenstadt demonstrieren gegangen.
Das Problem ist ja, dass die Arbeitgeber keinen wirtschaftlichen Schaden von dem Streik tragen. Vielmehr machen sie ein Plus, weil die meisten die Elternbeiträge für die Streikzeit nicht zurück erstatten, haben aber weniger Ausgaben. Die Gesetzeslage ist nicht ganz eindeutig, aber ich kann allen Eltern nur empfehlen, Anträge zur Rückerstattung bei ihrer jeweiligen Kita-Leitung zu stellen. Einige Träger bieten hierfür Formulare an, bei alle anderen reicht ggf. auch ein einfaches Schreiben.
Was wünschst du dir für die Zukunft der Kinderbetreuung?
Cathy: Einen besseren Betreuungsschlüssel beispielsweise. Vor allem so, dass dieser auch in einem Großteil der Zeit eingehalten werden kann und nicht nur auf dem Papier Bestand hat.
Bei unserem Träger fiel gerade auf, dass Gelder gestrichen wurden, die Personalausfall wegen z. B. Weiterbildungen auffangen sollten. Eine der ErzieherInnen von Boas macht aktuell eine einjährige Weiterbildung und steht deswegen mindestens einen Tag pro Woche nicht für die Betreuung zur Verfügung. An diesem Tag ist meist ein Springer in der Gruppe. Fällt aber an anderer Stelle in der Kita weiteres Personal aus (Urlaub/Krankheit), muss der Springer dorthin und der gesetzlich vorgesehene Betreuungsschlüssel kann nicht eingehalten werden. Das ist für ein/zwei Tage vielleicht akzeptabel, aber für die Dauer eines Jahres finde ich das für die Kinder, gerade im Krippenbereich, schwer zumutbar. Es geht schließlich auch um pädagogische Arbeit und nicht nur Verwahrung der Kinder!
Gibt es sonst etwas, was du sagen möchtest?
Cathy: Ich finde es unverschämt, dass die Streikparteien so lange nichts tun; nur, weil der Schaden nicht auf ihren Schultern liegt.
Es kam mir sogar zu Ohren, dass ver.di Aktionen der Eltern fest für sich eingeplant hat – die Eltern für sich auf die Straße gehen lassen will. Am meisten leiden eben doch die Kinder, die das Durcheinander überhaupt nicht verstehen können. Die Kinder und die Eltern werden die Auswirkungen auch nach Aussetzen des Streiks noch lange spüren. Das wird sehr wahrscheinlich auch in Zukunft die Zusammenarbeit mit den Kitas negativ beeinflussen.
Auch wünsche ich mir etwas mehr Verständnis für den Unmut der Eltern, da gibt es teilweise wirklich kränkende Wortmeldungen im Internet und auf anderen Plattformen. Ich habe meinen Sohn nicht nur in die Kita gegeben, um arbeiten zu können, sondern auch, weil ich die pädagogische Arbeit gar nicht allein in diesem Umfang leisten kann. Es wäre schön, wenn er diese ganz bald wieder genießen kann!
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Wer sich die Fragen nehmen möchte, nur zu! Ich verlinke gerne an dieser Stelle auf weitere Kitastreik-Beiträge.