Die letzten Tage in Skagen, Rückreise mit royalen Eierbechern, nun Akklimatisierung
Die Zeit, ein sanfter Fluss | Ich bin zu Hause und habe noch Urlaub. Das ist ein wunderbarer Zustand. Ich lebe in den Tag hinein, schwimme, fahre Rad, pruschele im Garten herum oder liege auf der Terasse und lese.
Dazu Olympia! Ich liebe die Kombination Sommer plus Olympische Spiele plus frei haben. Das perfekte Entspannungsprogramm.
Ich schaue mir Randsportarten an. Judo und Skateboard zum Beispiel, sehr interessant. Oder Wasserspringen; bei den Synchronwettbewerben kann man auch als Laie gut erkennen, wie gelungen das Dargebotene ist, dazu die Drehungen und Überschläge – famos! Am besten einnicken kann ich beim Reiten; das Hufgetrappel, Wahnsinn, ein Blutdrucksenker. Auch Tennis und Tischtennis – *plok plok plok plok plok … *plick plick plick plick plick …
Nach einer Woche reinen Müßiggangs beginne ich außerdem langsam mit meiner Wiedereingliederung: Gestern habe ich eine Stunde E-Mails beantwortet, morgen werde ich zwei Stunden arbeiten, Freitag drei Stunden. Nächste Woche nähere ich mich irgendwann der Vollzeit, werde das aber vom Wetter abhängig machen. Nichts überstürzen.
Es ist nun außerdem Zeit, entspannt die Dinge zu tun, die ich sonst irgendwie dazwischenquetschen müsste: Gesundheits-Check-up, Hautkrebs-Screening, Impfstatus optimieren, Friseur, Steuererklärung, Winterwolldecken durchwaschen.
Kaltakquise | Seit ich wieder zu Hause bin, fuhr ich zweimal mit dem Rad in die Stadt. Beide Male nahm mir an derselben Stelle ein Leichenwagen die Vorfahrt. Man könnte ein Geschäftsmodell vermuten.
Die letzten Reisetage | Lassen Sie mich noch von den letzten Tagen in Dänemark berichten. Nachdem wir in Skagen angekommen waren, verbrachten wir noch drei Tage dort und einen Tag in Süddänemark, in Kolding.
Der erste Weg in Skagen führte an die Nordspitze nach Grenen – dorthin, wo Nord- und Ostsee aufeinandertreffen. Wie schon beim ersten Besuch finde ich es faszinierend, wie deutlich man das sieht.
Während wir im Oktober 2021, als wir erstmalig mit dem Rad nach Skagen fuhren, fast allein an dieser Stelle standen, waren wir diesmal Teil einer großen Bewegung. Menschen in Schuhen und Schlappen, barfuß, mit Kindern und ohne Kinder, mit Hunden, manche in T-Shirts, andere in Schals und Steppjacken – alle marschierten sie zur Nordspitze Dänemarks, um dort mit den Füßen im Wasser zu stehen und Fotos zu machen.
Gleichzeitig fuhr ein Trecker mit einem Planwagen diejenigen, die nicht laufen konnten oder laufen wollten, durch den Sand. Er spuckte sie aus, es war Zeit für ein Foto, dann stiegen die Leute wieder ein.
Wir waren an diesem Tag also Mitglieder einer Völkerwanderung, Teil des touristischen Overkills. Denn natürlich standen auch wir mit den Füßen in beiden Meeren und machten Fotos.
Der Grund, warum in Skagen so viel los war, war nicht nur, weil es dort schön ist, sondern weil wir die Kalenderwoche 29 hatten.
If you’re someone who enjoys a calm and peaceful atmosphere, it’s best to steer clear of visiting Skagen during week 29.
The Soul of Denmark
In Kalenderwoche 29 fallen reiche Leute aus Kopenhagen in Skagen ein, vor allem junge Menschen. Sie fahren in teuren Autos durch die Stadt, trinken Alkohol und haben, nun ja, Spaß. Sie nennen es „Hellerup“. Wir wussten von alldem nichts, bis wir dort ankamen.
During Week 29, otherwise called Hellerup week, wealthy youngsters all flock to Skagen in their million kroner cars and expensive boats for a week of fun, loud music, and heavy drinking – there is not much tranquility during this time. On the other hand, if you like looking at super fancy cars, this is a perfect time to visit. Why is it called Hellerup Week? Hellerup is an upscale area in Copenhagen, home to embassies and luxurious houses. Young people living there picked a week to go to summer houses together to have fun. Not coincidentally, the zip code to this area is 2900. Hence, week 29 became Hellerup week.
The Soul of Denmark
Unsere Gastgeberin in Mitteljütland hatte das Phänomen schon mit den Worten „Porsche, Polo-Shirt, Pullover über den Schultern“ anmoderiert. Das traf es ganz gut. Ich beobachtete außerdem, dass mindestens ein Kleidungsstück weiß sein musste, entweder die Hose (bei den Herren) oder die Bluse (bei den Damen), wenn man nicht gleich ganz in Weiß ging, die Damen in äußerst knappen Kleidern.
Wir wohnten im Danhostel Skagen. Mit uns auch Hellerup-Reisende. Das Danhostel war so vorausschauend, Familien und Party-Jugend getrennt voneinander unterzubringen, die Familien im Erdgeschoss, die Partyjugend im Obergeschoss und in einem Nebengebäude. Dennoch waren die Hellerupper:innen allgegenwärtig. Allabendlich durchzogen Parfum- und Deodorant-Wolken das Haus. In den Bädern, auf den Fluren und in der Küche wurden Zähne geputzt, Haare gerichtet und Nägel lackiert. Vorglühen im Hof, in der Gemeinschaftsküche, in den Gängen. Dann ging es hinaus in die Nacht. Ich beobachtete das Treiben mit einer gewissen Reminiszenz und war gleichzeitig froh, nicht mehr Teil dieser Unternehmung sein zu müssen. Ach, was war das damals alles anstrengend.
Wir erlebten Skagen vor allem tagsüber, badeten am Strand, besuchten die versandete Kirche, das Bunkermuseum und das Skagen Museum. Letzteres stellt Werke der Skagen-Maler und -Malerinnen aus.
Faszinierend an den Gemälden: Die Skagen-Maler malten oft Menschen, die es wirklich gab. Deren Namen standen dann neben dem Bild. Nahbare Kunst.
Besonders beeindruckend: Die Männer von der Kopenhagener Börse.
Im Jahr 1892 kam der dänische Ingenieur und Geschäftsmann Gustav Adolph Hagemann auf die Idee, die einflussreichsten dänischen Geschäftsmänner auf einem Gemälde zu vereinen. Es sollte öffentlichkeitswirksam in der Kopenhagener Börse hängen. Hagemann brachte direkt eine Finanzierungsidee mit: Wer auf dem Bild repräsentiert sein wollte, bekam für 500 Kronen einen Platz in der vorderste Reihe und für 300 Kronen einen Platz in der Mitte. Für 100 Kronen landete man im Bildhintergrund.
Hagemann wandte sich an den Maler Peder Severin Krøyer. Krøyer hatte es bei der Anfertigung des Bildes nicht leicht: 50 Herren griffen in ihre Schatullen, darunter – um nur ein Beispiel zu nennen – der rotbärtige Herr vorne rechts; das ist Philip Heyman, der Gründer der Tuborg-Brauerei (die übrigens im Hafen von Hellerup, siehe oben, gegründet wurde). Der Maler musste also 50 Männer platzieren, abhängig von dem Preis, den sie gezahlt hatten, und unter Berücksichtigung ihrer Befindlichkeiten. Gleichzeitig sollte das Bild die Beziehungen, Allianzen und Konflikte der Geschäftsmänner zeigen. Dünnes Eis! Krøyer vollendete das Werk nach nur drei Jahren, 1895. Es hing lange in der Kopenhagener Börse, bis es ins Skagen Museum kam.
Am letzten Abend: Sonnenuntergang an der Westküste.
Nicht auf dem Bild: die Mückenschwärme, die uns auf unserem Weg zurück durch die Dünen begleitete. Nur, wenn wir uns im Stechschritt (haha, Wortspiel!) bewegten, hatten wir eine Chance.
Am Tag darauf machten wir uns auf dem Heimweg. Wir fuhren nicht in einem Rutsch nach Hause, sondern zunächst mit dem Zug nach Kolding, in Süddänemark. Dort übernachteten wir noch einmal. Mit fünf Fahrrädern, drei Kindern und zehn Gepäcktaschen wollten wir beim großen Bahn-Bingo das Risiko gering halten.
In Kolding besuchten wir noch das Koldinghus, ein dänisches Königsschloss. Mir war sofort sehr royal zumute.
Im Museumsshop kaufte ich königliche Spültücher. Ich werde mich bei der Hausarbeit nun sehr hoheitsvoll fühlen (und der Reiseleiter auch, es durchdringt ihn nur noch nicht so wie mich).
Noch eine Anmerkung für die Abteilung #bildungsblog: Ein Herr Oeder, seine Zeichens Arzt und Botaniker, begann Ende des 18. Jahrhunderts damit, die dänische Pflanzenwelt zu dokumentieren und malte Pflanzen auf Karten. Er nannte die Dokumentation Flora Danica. Dem dänischen Kronprinz und späteren König Friedrich VI. gefiel die Sammlung. Er bestellte ein Speiseservice mit den Motiven der Flora Danica: Teller, Tassen und Servischüsseln, auf denen Pilze, Stauden, Blumen, Gräser und Gestrüpp zu sehen sind.
Zum Service gehören auch Eierbecher, und hier möchte ich auf ein Kuriosum hinweisen, das Ihnen, sollten Sie mal bei „Wer wird Millionär?“ auf dem Stuhl sitzen, möglicherweise zu Reichtum verhilft: Die Deutschen – oder das, was damals deutsch war – aßen ihr Ei gerne liegend (das Ei lag, nicht der Esser), während Franzosen (und sicherlich auch Französinnen) ihr Ei lieber verzehrten, wenn es stand (Begründungen gab es dazu keine). Die königlich-dänischen Eierbecher waren deshalb so gestaltet, dass sowohl dem deutschen als auch dem französischen Gast genüge getan war.
Mit diesem Wissen setzten wir uns in Kolding in den Zug und fuhren nach Hause.
Gelesen | Mario Giordano: Die Frauen der Familie Carbonaro. Die weibliche Sicht auf Terra Sicilia, das mir gut gefallen hat. Die ersten 200 der über 500 Seiten begeisterten mich zunächst nicht. Die Handlung doppelte sich sehr mit dem ersten Buch, die Sicht der Frauen brachte keine neuen Erkenntnisse und schien mir eher halbherzig umgesetzt. In der zweiten Hälfte des Buches kam dann Schwung rein: Die Charaktere gewannen an Tiefe, die erzählte Zeit geht über Terra Sicilia hinaus. Insgesamt also ein durchwachsenes Fazit; dem Autor scheint die männliche Perspektive besser zu liegen.
Gelesen | Carmen Korn: Zeiten des Aufbruchs. Der zweite Teil der Trilogie; er beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg und umspannt die Jahre 1949 bis 1969. Wie auch im ersten Teil wechseln die Perspektiven flott; die Handlung fließt zügig. Mitunter wirkt das Unterbringen historischer Ereignisse oder zeitgenössischer Kultur etwas gewollt: Das Fernsehen hält Einzug, Bücher und Musik erleben eine neue Blüte, Titel und Sendungen werden heruntergebetet. Insgesamt aber eine gefällige Urlaubslektüre.
Schweine | Die Schweine sind wohlauf.