Fünf Bemerknisse zu einem Ausflug an die Nordsee
Eins | Findige Menschen haben das Luftsofa erfunden. Es ist handtaschenklein. Wenn man es allerdings auseinanderfaltet und die Öffnung in den Wind hält, wird es groß und lang wie ein mittelprächtig genährtes Flusspferd. Eine Wolke aus Luft. Man kann sich in diese Wolke hineinlegen, sie hat eine Ritze mit einem Steg in der Mitte. Man sinkt ein bisschen ein, aber nicht zu viel – gerade so, dass man sich behütet fühlt, aber keine Rückenschmerzen kriegt. Dann kann man daliegen, die Füße leicht in der Höhe, man kann in den Himmel schauen, dem Geräuschteppich aus Meer, Möwen und umgebenden Familien zuhören, und leicht einnicken.
Wenn man sich später nordseenass in das Luftsofa niederlässt, noch ein wenig ruht und dann aufsteht, muss man das Sofa vor dem Zusammenfalten trocknen. Dann steht man da, hält sein Luftsofa vor dem Bauch, Tropfen verdunsten in der Sonne, Wind bläst, und man kann sagen: „Guten Tag, mein Name ist Giese, und ich trage ein Luftsofa.“
Zwei | Man sagt, Sonnenuntergänge seien der Inbegriff der Romantik, und nach eigener Feldforschung kann ich sagen, dass Sonnenuntergang plus Luftsofa plus eine Flasche Rotwein plus zwei Hotel-Zahnputzgläser wahnsinnig romantisch ist.
Noch romantischer ist, was Anne-Kathrin Gerstlauer schreibt:
Romantik ist, wenn ich mir sicher bin. Wenn ich nicht morgens aufwache und Angst habe, es könnte vorbei sein. Weil er mich nicht versetzt. Weil er zuverlässig ist. Oder wie L. immer sagt: Wenn einer am Start ist.
Ich finde es romantisch, wenn er mich nach einem wichtigen Meeting anruft. Ich finde es romantisch,
Der Gender-Dating-Gap und die Liebe
wenn er sagt: Du machst dir immer noch Gedanken darüber, oder? obwohl ich nichts gesagt habe. Ich finde es romantisch, wenn er nochmal schreibt, obwohl ich noch nicht geantwortet habe. Ich finde es romantisch, wenn ich mich nicht entschuldigen muss für das, was ich fühle.
Drei | Irgendwann zwischen 1970 und 1990 fanden die Menschen funktionale Klötze so großartig, dass sie sie viele Stockwerke hoch und so breit werden ließen wie Fußballfelder und sie hinter Deiche bauten. Ins Erdgeschoss zogen Eisdielen, Fischbuden und Geschäfte ein, die Holzleuchttürme verkaufen. Davor stellten sie Klappschilder und Kaugummiautomaten auf.
Familien zerren heute Bollerwagen voller Spielzeug und Strandmuscheln daran vorbei nach Hause. Kinder werfen sich trotzig aufs Pflaster, weil sie kein Eis bekommen oder auch, weil sie doch ein Eis bekommen, das Eis aber nicht das richtige Eis ist, obwohl es das eben noch war. Ein Hund säuft träge aus einem Napf. Dazwischen „Dein Name auf einem Reiskorn“; eine Frau in Leinenkleid beugt sich tief über einen unsichtbaren Gegendstand, in ihrem Auge eine Lupe. Hoch über der Szene, auf funktionalen Balkonen und durch einen Sichtschutz voneinander abgeschirmt, damit man sich auch nackt sonnen kann, was man aber niemals tun würde, sitzen Hochbetagte und schauen versonnen auf den Strand.
Vier | Ich habe ein neues Nahrungsmittel kennengelernt: Es heißt Queller und schmeckt sehr köstlich, würzig und leicht salzig. Man kann im Watt einen Stängel pflücken und probieren. Er wächst dort, wo er gerade noch vom Wasser überspült wird.
Bei Chefkoch.de kennt man 31 Rezepte mit Queller, darunter „Tatar vom Thunfisch auf Queller“, „Grünes Curry mit Lachs, Lauch uns Queller“ und den „Movie Burger zum Film Forrest Gump“ 120 Gramm Queller.
Fünf | An der Elbmündung, auf den Holzstegen der Alten Liebe, den Rücken gebeugt und die Ellbogen aufs Geländer gesützt, kann man stundenlang stehen und aufs Wasser schauen. Vor einem eröffnet sich die Weite der See, es kommen kleine und große Schiffe, Containerschiffe, Segelschiffe, Autoschiffe, Möwen, Katamarane und Gummiboote des Weges.
Das alles in aushaltbarer Geschwindigkeit. Man kann die Fahrt der Boote, Bötchen und Schiffe gut verfolgen, und doch denkt man zwischendurch, nachdem man den Blick hat schweifen lassen auf Umstehende und Umsitzende und er wieder an den Ort der letzten Sichtung zurückkehrt: „Ach guck. Weg isses.“ Manchmal habe ich auf dem Schiffsradar nachgesehen, wo die Reise hingeht. Dann habe ich „Murmansk“ gemurmelt, und darüber nachgedacht, was wohl nach Murmansk verschifft wird, ob es Schrauben oder Spielzeuge sind, Bleche oder Bauxit, Möbel, Dünger oder Berge von Müll. Aber dann kommt auch schon eine Segeljolle mit einem Herrn wie aus dem Skipperkatalog, rosa Hemd und Wollpullover, Leinenhose und Lederslipper, und das Gehirn greift nach anderen Gedanken, sie treiben dahin wie die Boote und sind irgendwann fort.