Sankt Laurentii | Der Tag begann gemächlich: ausschlafen und Frühstück mit Plausch. Bevor wir aufbrachen, bereitete ich ein Kundengespräch für den Nachmittag vor. Ich gehe gerne gedanklich gerüstet in Gespräche und habe mir nochmal den Sachverhalt und seine Rahmenbedingungen ins Gedächtnis gerufen.
Die Torfrau und ich liehen uns Fahrräder, und wir radelten ziellos in Richtung Westen. Nach einigen Meilen gegen den Wind fanden wir einen Friedhof: den Friedhof von Süderende an der Kirche Sankt Laurentii. Dort erzählten die Grabsteine Geschichten.
Zum Beispiel diese (Absätze von mir zur besseren Lesbarkeit):
Denkmal der christlichen Eheleute, des ehemaligen Kaufmannes und Landmannes
Christian Diedrich Roeloffs aus Süderende (geb. d. 30. Jan. 1801, gest. d. 5. April 1885) und der Antje, geb. Ketels, verw. Braren (geb. in Toftum d. 19. Juli 1804, gest. d. 10. Nov. 1890).
Ersterer ist auf seinem Lebenswege reichlich gesegnet worden, hat aber auch mit seinen Gütern und Gaben Andern gern gedient, er hat indes auch des Lebens Last und Hitze tragen müssen:
2 Lebensgefährtinnen, mit denen er nur etliche Jahre gepilgert mit der ersten, Ingke Ocken aus Oldsum, 9 mit der zweiten, Mattje Lorenzen aus Süderende, 8 Jahre, und von seinen 9 Kindern, 4 aus der 1. und 5 aus der 2. Ehe, sind 7 vor ihm ins Grab gesunken, doch war es ihm vergönnt, an der 3. Hausfrau eine langährige Gehülfin zu finden, von 1846 bis zu seinem Lebensende.
Diese hatte ihren ersten Gatten, Brar Braren aus Oldsum, nach 15-jährigem Ehestande verloren und von den 8 Kindern, die sie ihm gebar, hat sie 5 ins Grab sinken sehen.
Auf dem Friedhof finden die Toten der umliegenden sieben Dörfer ihre Ruhe. Der Ort ist voll von Föhrer Namen, von Brarens, Knudsens, Roeloffs und Matzens. Manchmal haben sich ihre Wege gekreuzt, dann gibt es „Geborene“ und „Verwitwete“. Beerdigt sind sie durcheinander, bisweilen in Ansammlungen, seltener in Sichtachsen.
Das Kirchlein, erstmals urkundlich erwähnt im Jahr 1240, ist schlicht und gleichzeitig hübsch.
In die Confitentenlade konnten die Gemeindemitglieder ihr Begehren einwerfen, am Heiligen Abendmahl teilzunehmen – verbunden mit dem Wunsch, vorher zu beichten. Ein Projektmanagement-Instrument des Pfarrers.
Mission „Waffeltestung“ | Mit Gegenwind erreichten wir Nieblum. Das dortige „Eis- und Waffelhaus“ versetzte mich sogleich in zarte Aufregung.
Das Dargebotene erhält allerdings nur 6/10 Punkte auf der Internationalen Waffelskala™: geschmacklich eher fad und zu wenig Fluff. Auch das Eis konnte es nicht rausreißen. Die gestrige Waffel war besser.
Zur Einordnung – die Internationale Waffelskala zieht drei Kriterien zur Beurteilung heran:
- Geschmack (natürliche Waffeligkeit ohne künstliche Aromen)
- Fluff (Dicke, Weichheit bzw. Knusper, Mundgefühl)
- Bräunung (zu dunkel gibt Abzüge)
Je natürlich-waffeliger der Geschmack, je idealer die Bräunung (hell mit einer Andeutung von Braun) und je fluffiger, desto höher die Punktzahl auf einer Skala von 1 bis 10. Alle Kriterien sind absolut subjektiv und gleichzeitig in höchstem Maße professionell und einzig wahr.
Nieblum an sich ist anheimelnd. Es gibt hübsche Friesenhäuser, Nippes-Läden und Cafés, alles sehr pittoresk.
Weniger pittoresk sind die Autos der Touristen, darunter viele SUVs, die sich über das Kopfsteinpflaster schieben, um möglichst nah dran zu parken.
Erdend | Am späten Nachmittag begann es zu regnen. Wir kehrten heim. Ich führte mein Kundengespräch und arbeitete ein wenig. Die Torfrau fuhr in einen Wollladen und sitzt nun, während ich blogge, im Ohrensessel und strickt Socken. Beide haben wir Frischluftvergiftung und müssen heute früh ins Bett.
Im Ohrensessel sitzende und strickende Menschen wirken beruhigend.
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Kommentare
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In Nieblum war das Schullandheim unserer Schule. Wir waren da in ungefähr 5 Klassenfahrten. Ich habe das Dörfchen auch als schnuckelig in Erinnerung, obwohl das eigentlich etwas ist, was einen als 12-jährigen nicht unbedingt interessiert.
Ich glaube, als Kind und Jugendlicher nimmt man das so unterschwellig wahr; die Atmosphäre. Fünf Klassenfahrten zum selben Ziel … wenn ich mich recht entsinne, war ich immer woanders. Sogar einmal in Duisburg! Wer macht bitte Klassenfahrten nach Duisburg?!
Soso, nach Duisburg! Etwa in der Wedau? Die Jugendherberge dort existiert heute nicht mehr, aber in den Achtzigern wurde sie von den Eltern einer Klassenkameradin geleitet – und die hat ihre Geburtstage in der Kellerdisco der Einrichtung gefeiert. Da kommen mir legendäre Erinnerungen … ^^
Ich glaube, in der Wedau, ja. Es war eine fürchterliche Klassenfahrt, wirklich deprimierend. Ich hatte dann noch eine Gehirnerschütterung und ein Schädeltrauma und musste heim.
Sind das nicht großartige Grabinschriften? Was für Leben da vor unseren Augen Revue passieren. Ach, und wieviel Kummer doch ein Mensch ertragen musste.
Uns ist bei früheren Reisen auf die Insel und Friedhofsbesuchen (die überall auf der Welt einen Einblick in Besonderheiten vermitteln) besonders die hohe Kindersterblichkeit bewusst geworden. Auf Nachfrage bei einer Führung wurde u.a. als ein Grund dafür erzählt, dass die Kinder in mit Heu ausgekleideten Alkoven schliefen, was zu asthmatischen Anfallen führte.
Und für uns war gerade die Asthmaerkrankung eines Sohnes Grund dafür, in den Herbstferien die gute Nordseeluft (erfolgreich) positiv darauf einwirken zu lassen.
Strickende Menschen wirken wirklich beruhigend … ausser es handelt sich um sechs Mitbewohnerinnen, teilweise mit Nadelspielen … und alle versuchen der Siebente (mir) das stricken theoretisch und praktisch beizubringen. Das war ganz und gar nicht beruhigend … die Damen waren bewaffnet!