Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Broterwerb | Ein Vortrag für den Medizinischen Dienst: Veränderung als Chance nutzen. Ich sprach darüber, wie wir auf Veränderungen reagieren und wie man konstruktiv mit Widerstand umgeht. Eine Moderation in einem IT-Unternehmen: Ein Projekt steckte fest und musste gelockert werden; nun geht es wieder voran. Ein weiterer Vortrag: Souverän als Frau in der Arbeitswelt. Ich sprach übers Souverän-Sein und Sich-souverän-Fühlen, und wir erarbeiteten Möglichkeiten, mit Dominanzverhalten umzugehen. Außerdem: Ein Seminar zum guten Moderieren schwieriger Meetings und Coachings.


Bürgermeisterkandidatur | Ich habe mein Wahlprogramm geschrieben und mit den Parteien, die mich unterstützen, abgestimmt. Wir haben Wesselmänner beantragt, gelayoutet, in Druck gegeben. Wesselmänner sind die großen Plakatwände, die an Kreuzungen stehen. Give Aways sind in Arbeit – mehr dazu, wenn sie da sind. Es ist alles viel mehr Arbeit, als man von außen sieht: Die Dinge müssen getextet, gelayoutet und produziert werden. Es gibt Entwürfe und Abstimmungen. Dazu die Kostenplanung.

Parallel dazu viele Termine. Aufführung der Musical-AG des örtlichen Gymnasiums. Sommerfest der Vereine im Dorf. Aufführung des Jungen Ensembles im örtlichen Theater. Mühlentag. Schützenfest. Schlösser- und Burgentag. Sommerfest des Sportklubs von KindZwei und KindDrei. Gemeindefrühstück. Es sind wirklich schöne Begegnungen. Alles zu sehen auf meinem Instagram-Kanal.

Am vergangenen Wochenende hatte ich einen Stand auf dem Marktplatz. Es war sehr heiß. Ich hätte Eis dabeihaben sollen. Dennoch: Es war gut – schon allein, weil am gleichen Ort in den vergangenen Wochen mehrmals Rechtsextremisten ihren Pavillon aufgebaut hatten. Bevor sie wieder den Marktplatz einnehmen, sagte ich mir, tue ich das.


Feierlichkeit | Eine Geburtstagsfeier im Münsterland, Mottoparty. Die Aufgabe: Man sollte als Held der 60er bis 2000er Jahre kommen, Paare gerne als Paare. Der Reiseleiter und ich gingen als Albano und Romina Power, von einem Bilddokument in diesem Blog nehmen wir Abstand. Wir sahen aber sehr schau aus.

Mit unserer Wahl waren wir einzigartig – im Gegensatz zu drei Richard Geres und drei Pretty Womans, mehreren John Travoltas und Uma Thurmans. Es kamen außerdem: James Bond, Freddy Mercury, Mitch Buchannon aus Baywatch, Vater Abraham und die Schlümpfe, Justin Biber, Rainer Langhans und die Tennislegenden John McEnroe und André Agassi. Ausnahmslos alle Gäste hatten viel Mühe in die Kostümierung gesteckt.

Ich wartete auf einen Mordfall, denn die Gesamtsituation hätte einen glänzenden Tatort abgegeben. „Wir vernehmen Sie als Zeugin. Wann haben Sie wahrgenommen, dass etwas nicht stimmt?“ – „Als John Travolta blutend in die Arme von Rainer Langhans fiel.“ – „An was können Sie sich noch erinnern?“ – „André Agassi war erstaunlich korpulent.“ – „Mmmh.“ – „Und James Bond … mit dem stimmte etwas nicht.“ – „Wie meinen Sie das?“ – „Als die Village People kamen, war er plötzlich weg, und tauchte in der Adams Family wieder auf.“ – „Wann war das?“ – „Kurz bevor John diese emotionale Rede hielt.“ – „Travolta.“ – „Nein, McEnroe.“ – …


Gehört | Ich habe ein Hörbuch-Abo. Ich hatte es einst abgeschlossen, bevor ich nach Italien fuhr – nicht für die erste große Reise 2018, als ich mir den Monat März zum Geburtstag schenkte und fünf Wochen dort verbrachte. Sondern 2023, als ich zuerst Zeit in einer Hütte oberhalb von San Pellegrino Terme verbrachte und dann weiterfuhr in die Abbruzzen, wo ich alles für den Reiseleiter und die Kinder vorbereitete, die nachkamen.

Dieses Abo, das seit zwei Jahren währt, kündigte ich nun. Es hatten sich sieben Guthaben angesammelt, jeden Monat kam ein neues hinzu. Das war nicht mehr zu bewältigen. Damit die Guthaben vor Inkrafttreten der Kündigung nicht verfallen, habe ich mir nun sieben Hörbücher heruntergeladen. Ich werde bis weit ins kommende Jahr hinein Hörmaterial haben.

Diese Woche startete ich mit Katja Oskamps Die vorletzte Frau. Ich machte Gartenarbeit, zupfte Unkraut, geizte Tomatenpflanzen aus, säte Ringelblumen und setzte Männertreu in Töpfe, während Katja Oskamp mir von ihrer Beziehung zum Schriftsteller Thomas Hürlimann erzählt. Eine ungleiche Beziehung zwischen einer suchenden Frau und einem eigenwilligen Mann, gekleidet in poetische Worte. Ich bin noch nicht am Ende der Geschichte, kann sie aber jetzt schon empfehlen.


Garten | A propos Garten: Der gedeiht, auch wenn es zu wenig regnet. Es wird ein gutes Tomaten- und Zucchinijahr. Die erste Gurke war wie immer die köstlichste des Jahres. Beim Salat wächst schon die zweite Runde. Der erste Mangold durfte zu Pasta auf den Teller.


Ausflug | Es gab einen weiteren Geburtstag zu feiern. Wir fuhren nach Dortmund. Die Kinder wollten mal wieder an den Phoenixsee, also reisten wir etwas eher an, gingen um den See, stellten uns in die Schlange vor der Eisdiele und sahen den Tretbooten zu. Was sagt es über unser Verhältnis zum Auto aus, dass bei uns selbst die Boote Autos sind?

Am See wie immer ein buntes Miteinander, internationales Publikum, Fahrradfahrer, Boule-Spieler, professionelle Pickniktische, übermütige Kinder, Feierlichkeiten.


Gelesen | Die kann man so nicht stehen lassen. Aus der Mensa der Uni Lübeck verschwinden 60 Stühle. Zunächst geht man von einem Studentenstreich aus. Doch dann stellt sich heraus: Es sind Designerstücke.

Gelesen | Im aktuellen Newsletter der Hans-Böckler-Stiftung las ich einen interessanten Beitrag zu Veränderungen in der Reinigungsbranche: Man geht vermehrt dazu über, Büros nicht mehr nachts und am frühen Morgen zu reinigen, sondern tagsüber. Durch die geänderten Zeiten finden die Firmen leichter Fachkräfte. Das Ganze bringt Herausforderungen mit sich – für die Kunden und für die Reinigungskräfte, die zusätzliche Fähigkeiten mitbringen müssen.


Leibesübung | Wir machten die erste große Fahrradtour: 95 Kilometer von Haltern nach Dortmund und wieder zurück. Nicht der oben beschriebene Ausflug zum Phoenixsee, ein anderer. Wir besuchten das Street Food Festival, aßen einen Burger und fuhren wieder zurück.

Zwischen Kilometer 50 und 80 zog es sich etwas: Der Dortmunder Norden war nicht besonders heimelig, und die Strecke am Kanal entlang öder als sonst; wir hatten mentale Probleme. An jeder Brücke dachte ich: Die ist es, jetzt können wir runter vom Kanal. Konnten wir aber nicht, an der nächsten Brücke auch nicht, auch nicht an der übernächsten, sondern erst viel, viel später. Danach ging es besser.

Sieben Kilometer vorm Ziel rasteten wir dankbar vor einem Verkaufsautomaten. Eine kalte Cola ist manchmal verdammt gut.


Schweine | Sythener Weideschweine.

Wenn ein Schwein entspannt, zerfließt es wie Brie in der Sonne. Dann denke ich immer: Jetzt ist es soweit, jetzt geht es zuende. Aber dann bekommt es doch wieder Körperspannung.

Schwein liegt im Stall, platt wie eine Flunder

Bürgermeisterkandidatur | Viele lokale Termine: beim Naturschutzbund, bei der Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie, ein Bier auf dem Schützenfest, ein Kunstspaziergang, Waffeln beim Fußballverein, ein Jazz-Konzert in der Kunsthalle, ein Hintergrundgespräch zur Barrierefreiheit in der Stadt und ein Besuch im Ausschuss für Generationen und Soziales.

Mehr zu allem gibt’s in meinem Instagram-Account, zum Beispiel zu der seltenen, wilden Orchideenwiese, die wir in Haltern haben, oder zu den Installationen „Kunst trifft Klima“. Ich bin ja ein neugieriger Mensch und finde jede Begegnung irgendwie spannend.

Anke und ich haben außerdem die Entwürfe der Wesselmann-Plakate finalisiert – das sind die großen Dinger, die auf Kreuzungen stehen. Parallel dazu habe ich mein Wahlprogramm geschrieben, einen Budget-Forecast gemacht, und ich gucke gerade, welche Give Aways Sinn machen.


Broterwerb | Arbeiten tue ich zwischendurch auch, also gegen Geld. In der Teamentwicklung einer Organisation gab es einiges abzusprechen, ein Coaching mit einer Wissenschaftlerin, ein weiteres mit einer Medizinerin, und es kamen drei erfreuliche Anfragen rein: die Moderation einer Tagung, ein Training für junge Professorinnen und die Begleitung einer Gruppe IT-Führungskräfte. Dazu habe ich Briefing bekommen und Angebote geschrieben.


Beglückung | Meine Buchhaltungssoftware kann jetzt KI – und es ist hilfreich. Sie erkennt den Inhalt von Ausgabebelegen (Rechnungen, Kassenbons) und füllt selbstständig die Felder in der Buchhaltungssoftware aus. Ich erspare mir kleinteiliges Getippsel. Selbst bei geknüddelten Kassenbons ist die KI treffsicher. Ich bin beglückt.


A propos KI |  KindZwei fragte, ob ChatGPT für uns ein Er oder eine Sie sein. Für den Reiseleiter ist ChatGPT ein Er, für KindZwei (w) eine Sie, für mich ein Es. Interessant, auch vor dem Hintergrund der bekannten Gender Data Gap* (die ich demnächst mal mit den Kindern reflektieren werde).

*Funktioniert am besten auf Englisch, weil es für die meisten Berufe keine männliche oder weibliche Bezeichnung gibt. Prompten Sie mal: „Give me picture of a pilot/a doctor/ …“ – na, welches Geschlecht kommt raus?! Auch: „Show me a picture of a successfull person.“


Bemerknisse zu zwei Aspekten | Sven Scholz teilt seine Beobachtungen zur Job-Suche. Ich habe nicht zu allem eine Meinung. Ich möchte jedoch zwei Aspekte rausgreifen und meine Erfahrungen teilen: zu Remote-Arbeit/Home Office und zu Altersdiskriminierung.

Was für ein gutes Remote-Arbeiten unerlässlich ist, ist eine funktionierende Beziehungsebene. Teams, in denen die Beziehungen untereinander dysfunktional sind, laufen schon in Präsenz nicht gut – remote brechen sie vollends auseinander. Das Gleiche gilt für Führungskräfte, die nicht gut führen: Remote können sie es dann noch weniger.

In Arbeitsumfeldern, in denen es ein Grundvertrauen gibt, in denen man die Kompetenzen, Bedürfnisse und Eigenarten der Kolleg:innen kennt, in denen man sich gegenseitig schätzt und fordert, in denen man sich grundsätzlich mit Wohlwollen begegnet* und in denen es klare Verantwortungen gibt, funktionieren wunderbar remote. Dann ist es auch egal, wer wie oft reinkommt. Meine Erfahrung ist allerdings auch: Es ist wichtig, sich regelmäßig in Präsenz zu sehen und eine gute Zeit miteinander zu verbringen. Wie oft „regelmäßig“ ist, hängt vom Einzelfall ab: Es kann einmal wöchentlich sein; ich kenne aber auch Teams, die einmal im Quartal eine Präsenzwoche machen und sich dann drei Monate wieder nur digital begegnen. Beides kann genau richtig sein.

Meine Erfahrung, wenn ein neuer Mitarbeiter, eine neue Mitarbeiterin kommt: Man braucht erstmal persönliche Begegnung.** Man muss sich kennenlernen – in seinen Kompetenzen, Bedürfnissen und Persönlichkeiten. Besonders die letzten beiden Aspekte erlebt man in der Tiefe nur in einem gemeinsamen Arbeitsalltag, in physischer Interaktion und – nicht zu unterschätzen – durch Beobachtung. In der Remote-Arbeit hat man abgesehen von Meetings oft 1:1-Situationen, erlebt den Anderen aber nie in der Stillarbeit oder kann seine Interaktion mit Kolleg’innen und Kunden beobachten. In Präsenz kriegt man mit: Wie agiert mein neuer Kollege in Gesprächen? Agiert er mit jedem gleich oder verhält er sich gegenüber verschiedenen Personen anders? Wie kommuniziert er? Was stresst ihn? Wie reagiert er dann? Wie oft kommen Anrufe rein, weil die Kita ausfällt? Wie organisiert er sich? Wann agiert er zurückhaltend, wann forsch? Unter welchen Rahmenbedingungen wird er lebendig und kreativ, wann verhält er er zurückhalternd? Das ermöglicht ein ganz anderes Kennenlernen – für beide Seiten, umgekehrt nimmt der/die Neue das Gleiche an Kolleg’innen wahr.

* Wohlwollen bedeutet nicht Harmonie. Vielmehr ist Wohlwollen die Annahme, dass der Andere in bester Absicht handelt und unter den gegebenen Umständen sein Bestes gibt. Selbstständiges Handeln – und das wollen wir ja – führt immer zu Konflikten. Unser Wohlwollen beeinflusst aber ungemein, mit welcher Haltung wir die Konflikte austragen.

**Hier werden Betriebswohnung spannend. Ich beobachte aktuell, dass dieses Angebot für Unternehmen wieder aktuell wird: um Fachkräfte zu bekommen und zu halten. Wenn das Unternehmen Arbeit hat, die man potentiell von überall erledigen kann, wenn die Menschen aber auch mal vor Ort kommen sollen, sind derlei Wohnmöglichkeiten ebenfalls interessant.

Der zweite Aspekt, den Sven nennt, ist das Alter. Ich berate meist in Konstellationen, in denen es um Veränderung geht. Oft kriege ich zu hören: „Das ist dann bestimmt schwierig mit den Älteren!“ Ist es nicht. Auch nicht mit Jüngeren. Jede’r ist individuell. Ich erlebe viele lebensältere Menschen, die geistig extrem flexibel sind, weil sie es schon immer sein mussten – Sven erzählt ja auch davon. Gleichzeitig erlebe ich Jüngere, die wenig flexibel sind, weil sie es noch nie sein mussten. Es ist unterschiedlich. Am Ende habe ich immer Individuen vor mir.

Lebensältere bringen natürlich viel Erfahrung mit – und diese Erfahrung im besten Fall auch ein. Dann passiert es, dass mir jemand sagt: „Das ist Quatsch, was Sie tun. Das hatten wir alles schon.“ Das ist gut! Denn vielleicht übersehe ich etwas; ich gehe dann ins Gespräch. Das Ergebnis solcher Dialoge ging in der Vergangenheit zur Hälfte mal so und mal so aus: Es gibt Fälle, in denen die Argumente absolut valide sind – dann schwenken wir um. Zeit und Geld gespart! Und es gibt Fälle, in denen mein Gegenüber seine Erfahrung nicht auf die neuen Umstände überträgt. Denn wenn Dinge einmal nicht funkioniert haben, heißt es nicht, dass sie immer nicht funktionieren. Dann betrachten wir gemeinsam die Parameter, die seinerzeit zum Scheitern geführt haben, überlegen, was es zum Gelingen braucht, und justieren. Oft bleibt dann Skepsis. Das ist okay. Sie hilft, bessere Ergebnisse zu erreichen.


Kostenlos | Nochmal ein Hinweis auf meinen kleinen Abend-Workshop in der Stadtbibliothek Haltern am See: Souverän und gelassen als Frau im Beruf. Zwei knackige Stunden zu Augenhöhe und Machtgleichheit mit Impulsen für Souveränität, Durchsetzungsstärke und Schlagfertigkeit. Inhalt: Souverän sein und sich souverän fühlen, Kommunikationsmuster, Umgang mit Dominanzverhalten, authentisch und klar agieren. Der Eintritt ist frei – bitte dennoch Karten bestellen, damit wir wissen, wie viele Leute kommen.


Gelesen | Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit. I’m late to the party, ich weiß: Das Buch ist schon 2016 erschienen. Ich wollte es immer lesen, es kam nie dazu, und nun stand es im Bücherschrank im Dorf. Die Geschichte dreier Geschwister, die früh ihre Eltern verlieren, sich auseinanderleben und wieder zusammenfinden – und die Geschichte von Jules, der lange nicht richtig ins Leben findet. Schön erzählt, nah an den Figuren, aber nicht schwülstig und trotz des Themas leicht erzählt. Hat mir gut gefallen.

Gesehen | Die erste Staffel von Die Brücke – Transit in den Tod. Auch hier: Late to the party. Große Liebe für das schwedisch-dänische Ermittlerduo Saga und Martin. Ich brauchte etwas, um reinzukommen: Ständig tauchten neue Menschen und Handlungsstränge auf. Das war anstrengend. Aber dann war ich drin und fühlte mich gut unterhalten.


Schweine | Mähschweine im Kleefeld.

Drei Meerschweine in einer Wiese. Auf ihr stehen Meerschwinhäuschen, im Hintergrund sind Beete, ein Stall und eine Wäschespinne.

Der angekündigte Beitrag des Reiseleiters:

Vorwort | Seit einiger Zeit habe ich das Thema „Bildungsurlaub“ für mich entdeckt. Als Arbeitnehmer stehen mir fünf Tage bezahlter Bildungsurlaubs pro Jahr zu. Das weiß ich sehr zu schätzen, und ich mache gerne davon Gebrauch. Ein Bildungsurlaub ermöglicht eine Erweiterung des eigenen Horizonts, sowohl des privaten als auch des beruflichen und man lernt nebenbei nette Menschen kennen – zumindest war es bisher immer so. Ich kann Ihnen das wirklich ans Herz legen!

In diesem Jahr ging es mit Forum Unna nach Kopenhagen und Malmö. Schwerpunkt war nachhaltige Stadt- und Verkehrsplanung in der Wachstumsregion am Öresund. Als Geograph und in der Kommunalpolitik engagierter Dänemark-Fan also genau mein Bildungsurlaub. Fünf Tage lang ging es zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit der Metro, mit dem Zug und mit dem Linienschiff kreuz und quer durch alte und neue Stadtviertel, durch Parkanlagen und über Brücken, an Hafenbädern und Industriegebieten vorbei und natürlich auch (in privater Mission) in Buchläden und Bibliotheken.

Die Skandinavier sind bekannt für innovative Konzepte und überraschende Ideen – man würde wohl sagen, dass sie Out-of-the-box denken. Ich möchte ich Ihnen hier ein paar spannende Projekte und Orte vorstellen – mal ohne die Kleine Meerjungfrau. Die habe ich gar nicht gesehen.


Background-Infos |  Am 1. Juli 2000 wurde die Øresundsbroen (Öresundbrücke) erföffnet. Sie verbindet die dänische Hauptstadtregion mit dem schwedischen Schonen und der Provinzhautpstadt Malmö. Die Brücke erzeugte einen enormen Wachstumsschub für die gesamte Region.

(In diesem Zusammenhang empfehle ich die schon etwas ältere, aber immer noch sehr gute Serie Die Brücke – besonders interessant im Original: Es wird wild durcheinander Dänisch und Schwedisch gesprochen, und alle verstehen einander!)

Die Einwohnerzahl der Stadt Kopenhagen hat sich seit dem Jahr 2000 um fast 40 Prozent erhöht – die Wachstumsraten für Malmö sind ähnlich und die gesamte Region boomt weiter. Das bedeutet vor allem: An allen Ecken und Enden wird gebaut. Ganze Stadtviertel werden aus dem Boden (oder aus dem Meer) gestampft – alte Industrie- und Hafenflächen verwandeln sich in neue Wohnquartiere und neue Verkehrsverbindungen entstehen. Ein Mekka für Architekten und Stadtplanerinnen.


Fitness auf dem Parkhaus | Der Stadtteil Nordhavn (Nordhafen) ist ein „Waterfront-Development“ auf einem ehemaligen Hafenareal. Zwischen den alten Hafenbecken wurden ein paar erhaltenswerte Industriegebäude und Silos zu Büro-oder Wohngebäuden umfunktioniert. Der Rest wurde mehr oder weniger dicht neu bebaut, mit Wohnungen und mit allem, was man sonst so braucht: Schulen, Kindergärten, Geschäfte, Gastronomie. Platz für Autos ist in den engen Straßen kaum. Hier geht man zu Fuß oder fährt Lastenrad. Wer trotzdem lieber auf vier Rädern kommt, der muss sein Vehikel in einem Parkhaus abstellen. Hinter einen hübschen, dreieckigen Kinderspielplatz ragt das Parkhaus 24 Meter in die Höhe, umhüllt von einer löchrigen Metallwand, die langsam von Grünpflanzen überwuchert wird.

Man kann in dem Parkhaus auch sein Fahrrad oder sein Kanu (!) abstellen. Richtig interessant wird es aber auf dem Dach: Das erreicht man über eine lange Treppe, an der man mit Hilfe eines Buzzers sogar die Zeit messen kann, die man bis ganz nach oben benötigt. Menschen hasteten auf der Treppe nach oben und sammelten Höhenmeter. Oben erwartete uns ein riesiges Fitness-Gelände mit Trampolinen, Klettergerüsten, einem Laufparcours und verschiedenen Ballspielfeldern.

Panorama vom Dach des Parkhauses: Roter, weicher Tartanboden, Kletteegerüste, Fitnessgeräte, Schaukeln, Menschen.

Es fanden sich Schulklassen ein zum Sportunterricht, Fitnesstrainer malträtierten ihre Opfer und Rentnerinnen beobachteten das lebhafte Treiben von den aufgestellten Bänken aus. Das Dach des Konditaget Lüders, benannt nach einem weiland im Hafen tätigen Kapitän, ist ein Ort für alle. Und fast alle treiben hier Sport! Die Dänen integrieren ihre sportlichen Betätigungen in ihren Alltag, wann und wo immer es geht. Das scheint sich zu lohnen: Der Anteil der Menschen mit einem BMI über 30 (ja, ich weiß, dass der BMI nicht immer und für alle der richtige Maßstab ist) liegt in Dänemark bei circa 13 Prozent. In Deutschland sind es 20 Prozent. Falls es Sie beruhigt: In God’s own Country sind es stattliche 42 Prozent.


Sponge Bob – Schwammstadt | Im Jahr 2011 wurde Kopenhagen von einem bis dahin beispiellosen Starkregenereignis heimgesucht: 135 Liter Regen pro Quadratmeter in 90 Minuten konnten nicht abfließen und überfluteten weite Teile der Stadt. Kopenhagen ist sehr dicht bebaut und in einigen, älteren Stadtvierteln gibt bzw. gab es nur wenige Grünflächen. Also entschloss man sich, Kopenhagen zu einer „Schwammstadt“ zu machen. Ganze Straßen und Plätze wurden entsiegeln und in Regenrückhaltebecken oder Grünflächen umgebaut. Im Østerbro, einem ehemaligen Arbeiterstadtteil am Hafen, wurden am Skt. Kjelds Plads 9.000 Quadratmeter Asphalt (das sind 1 1/4 Fußballfelder) entfernt und durch Grünflächen ersetzt. Der dort früher vorhandene Kreisverkehr wurde zurück gebaut und ist nur noch ein schmales Sträßchen, das sich durch einen richtigen kleinen Wald mit gemütlichen Spazierwegen und Bienenwiesen schlängelt.

Ein Platz inmitten von Mehrfamilienhäusern. Es gibt viele Büsche, Wiese, Bäume und Metallkugeln zum Hinsetzen.

Eine Idylle mitten in der Großstadt! Im ganzen Stadtviertel wurden Parkplätze entfernt und begrünt, damit das Niederschlagswasser versickern kann und auch um neue Treffpunkte und Aufenthaltsräume für die Bewohner zu schaffen (das Bild zeigt den benachbarten Tåsinge Plads). Man stelle sich den Aufschrei in einer deutschen Großstadt vor, wenn auch nur ein Parkplatz so einer linksgrün-versifften Grünfläche zum Opfer fallen müsste!

Auch der Enghavepark in Vesterbro – kleiner Exkurs: Die äußeren Stadtteile von Kopenhagen sind nach den Brücken benannt, über die man sie früher erreichte: Vesterbro, Nørrebro und Østerbro) – ist ein riesiges Regenrückhaltebecken, ober- und unterirdisch. Das Niederschlagswasser aus der Umgebung wird in den Park geleitet, der von einer unscheinbaren Mauer umgeben ist. Die hat nur ein paar Lücken, in die bei Bedarf Flutbarrieren gesteckt werden können. Falls das riesige, unterirdische Rückhaltebecken einmal volllaufen sollte, wird also einfach der Park geflutet und das Wasser kann keinen Schaden in den umliegenden Viertel anrichten. Seit Umbau des Parks im Jahr 2013 ist es zwar noch nie so weit gekommen, aber die Kopenhagener sind vorbereitet.


Abfahrtslauf und Bergwandern | Nein, ich war nicht auch noch in den Alpen – Skifahren kann man auch in Kopenhagen! Copen Hill oder auch Amagerbakke (Amager-Hügel) ist ein künstlicher Berg auf einer Müllbrennungsanlage. Man kann ihn über einen Bergpfad besteigen, über eine Kletterwand erklimmen oder den Skilift nehmen. Die Abfahrt erfolgt dann auf einer speziellen Kunststoff-Oberfläche, also auch ohne Schnee. Zur Mountaintop-Bar kommt man aber auch bequem mit dem Aufzug und kann auf diesem Weg auch direkt ins Innere der Müllverbrennungsanlage schauen. Von oben kann man bis rüber nach Schweden gucken.

Manchmal riecht es etwas streng, wenn der Wind die Abgaswolken der Müllverbrennung in die falsche Richtung treibt. Eine ziemlich verrückte Idee, aber die Dänen ziehen sowas einfach durch! Hier wird die Notwendigkeit, seinen Müll irgendwie loswerden zu müssen, mit einer weiteren Möglichkeit verbunden, sich sportlich zu betätigen (siehe oben). Also Ski heil!


Miljøstationer | In Amagerbakke wird alles verbrannt, was nicht mehr zu gebrauchen ist. Was noch recyclet werden kann, bringen die Kopenhagener zu sogenannten Miljøstationer, also Umweltstationen. In jedem Quartier gibt es eine solche Station, bei der man alles abgeben kann, was noch eine Chance auf Wiederverwertung hat. Oftmals findet man dort auch einen Reparaturservice für Elektrogeräte oder Bücher- und Pflanzentausch-Schränke. So wird selbst der Recyclinghof zum sozialen Treffpunkt.


Taler du Dansk? | Ich lerne seit knapp zwei Jahren Dänisch. Eigentlich auch eine ziemliche Schnapsidee, weil alle – wirklich alle – Dänen hervorragend Englisch sprechen und sich dem Gefühl nach auch strikt weigern, mit einem Ausländer in ihrer eigenen Muttersprache zu kommunizieren. Aber ich finde die Sprache toll und habe Spaß daran. Auch ein Altersruhesitz in meinem nordischen Lieblingsland liegt klar innerhalb des Möglichkeitsraums – ich bin gewappnet.

Ein paar Gelegenheiten, das erlernte anzuwenden, gab es dann aber tatsächlich: Die Stadtführerin war bass erstaunt (Taler du dansk!?), dass jemand aus der Gruppe den Text auf dem alten Gerichtsgebäude korrekt übersetzen konnte: MED LOV SKAL MAN LAND BYGGE.

Antikes Gebäude mit Säulen. Darüber die INschrift: Med Lov Skal Man Land Bygge"

Tipp: Mit Liebe hat es nichts zu tun.

Und im Magasin du Nord (kein Dänisch, sondern Französich), dem größten Kaufhaus am Platz, habe ich den per Lautsprecherdurchsage offerierten Rabatt für Ausländer (zehn Prozent auf alles, Tiernahrung gibt es hier nicht) an der Kasse in Landessprache eingefordert. Sie machen sich kein Bild, wie beseelt ich war! Das Glück relativierte sich dann beim späteren Blick auf die Kreditkartenabrechnung, trotz des Rabatts. Ich empfehle, die Umrechnung von Kronen in Euro besser nicht direkt vor Ort durchzuführen, sondern bis nach Beendigung der Reise zu warten.


Malmö | Wo wir beim Thema Preise sind: Sollten Sie länger in der Gegend sein, dann fahren Sie einmal mit dem Zug über die Øresundsbroen (sehr beeindruckend) nach Malmö. Dort ist alles nur halb so teuer: Shoppen, Essen gehen und auch Übernachten. Die Stadt versprüht zwar eher den Charme von, sagen wir: Kiel oder Wilhelmshaven, aber es gibt nette Geschäfte und – wiederum aus Stadtplanungssicht interessant – Sommerstraßen und Sommerplätze. Straßen und Plätze also, die nur für die Sommermonate in grüne Oasen mit Spielplätzen, Aufenthaltsbereichen und Entspannungsecken ausgestattet werden.

Alles, inklusive Bäume, Pflanzkübel und allem Mobiliar wird im Herbst eingelagert. Dann dürfen die Malmöer wieder ihre Autos in den Straßen und auf den Plätzen abstellen. Im Frühjahr wird wieder aufgebaut. Bestimmt wahnsinnig teuer und aufwändig – aber es schafft mehr Akzeptanz in der Bevölkerung als ein sofortiger, endgültiger Umbau: „Wir versuchen es mal und sehen dann, wie es klappt“. Einige Sommerstraßen und -plätze sollen wohl demnächst dauerhaft umgenutzt werden. So geht Beteiligung der Bevölkerung!


Gelesen | Urban Planning in the Nordic World von Elen Braae: Ein kurzer Überblick über die Besonderheiten der Stadtplanung in den nordischen Ländern. Nicht zu überladen und sehr zu empfehlen, wenn man sich für Städtebau interessiert, auch ohne Fachmann oder -frau zu sein.

Gekauft | En Linje I Verden von Dorthe Nors: Ein Buch über die Nordseeküste, welches ich im sehr gut sortierten Buchladen von Arnold Busck erworben habe. Ähnlich wie Vanessa kann ich an keinem Buchladen vorbeigehen, ohne hineinzugehen und vollbepackt wieder herauszukommen – es ist fürchterlich. Das Buch gibt es zwar auch in deutscher Übersetzung, aber das wäre ja zu einfach. Wünschen Sie mir Glück bei meiner ersten richtigen dänischen Lektüre!


Nachwort | Ich könnte noch viel mehr berichten, möchte Sie aber nun entlassen. Die Pächterin wird langsam ungeduldig und erwartet Resultate bezüglich des zugesagten Gastbeitrags. Vielleicht schreibe ich demnächst mehr hier, wenn Sie mögen.

Fertig | Das Projekt „Gartenumbau“ ist offiziell abgeschlossen. Im Rosenbeet sind Rosen, im Gemüsegarten wachsen nun auch Kohlrabi, der letzte Kübel ist mit Stauden gefüllt und im ertrödelten Zinkeimer leben nun spanische Gänseblümchen. Ich war leicht euphorisch, als ich sie in der Gärtnerei sah – schließlich haben sich mich im Baskenland so sehr erfreut.


Mitmachen | Wie offen sind Bürgerinnen und Bürger für Beteiligung an Verkehrsprojekten? Welche Erwartungen, Hemmnisse oder Motivationen bestehen dabei – gerade im Hinblick auf digitale Formate? Das untersucht Adelina Berkemeier, Wissenschaftlerin bei meinem Kunden in Chemnitz, der Professur für Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement.

Die Teilnahme an der Online-Umfrage dauert keine zehn Minuten. Also los, mitmachen! Die Ergebnisse sollen helfen, zukünftige Beteiligungsverfahren verständlicher, transparenter und bürgernäher zu gestalten. Auf dieser Basis soll ein digitales, praxisorientiertes Vorgehensmodell für Stadtplanende entstehen, das insbesondere bei komplexen Prozessen eine strukturierte Bürger:innenbeteiligung unterstützt.

(Die Frage nach der prozentualen Nutzung der Verkehrsmittel ließ mich etwas ratlos zurück. Prozentual im Sinne von: Anteilig an Kilometern? An Zeit, die ich für Mobilität aufwende? An Gelegenheiten, in denen ich das Haus verlasse und mobil bin? Da ich Fernstrecken fast ausschließlich mit dem Zug zurücklege – zuletzt bis nach Spanien -, aber in Deutschland eher ländlich wohne, viel Rad fahre, aber natürlich auch das Auto nutzen muss, würden die Antworten sehr unterschiedlich ausfallen. Ich habe mich für ein Mittelding entschieden.)


Reifenfrisch | Da habe ich mir doch tatsächlich einen Platten gefahren. Der erste seit mehr als vier Jahren. Der Grund: ein spitzer Stein. Der weitere Grund: Die Mäntel sind porös. Nach fünf Jahren wundert mich das nicht. Sie haben schließlich auch eine Strecke zurückgelegt (und deshalb überdies kaum noch Profil). Der Reiseleiter hat Schläuche und Reifen runderneuert und gleich die Kette geputzt und geölt. Das hat mich sehr glücklich gemacht.


Krankenbesuch | Während der Mechaniker schraubte, war ich im Sauerland, genauer gesagt im Klinikum Hochsauerland, Verwandtschaft besuchen. Genauso wie bei meinem eigenen Krankenhausaufenthalt Anfang März war ich auch jetzt wieder aufs Angenehmste überrascht: sehr komfortable Zimmer, sogar mit eigener Nasszelle, Hotelstandard. Und das für Kassenpatienren. Es hat sich doch einiges getan.


Bürgermeisterkandidatur | Ich habe Termine eingetragen. Sie sind vor allem für Halterner Leser:innen von Belang. Für alle anderen nur, um zu sehen, was ich so tue, um möglichst viele Menschen kennenzulernen und zu erfahren, was sie bewegt (und natürlich auch, um bekannt zu werden). Außerdem gibt es auf meiner Kandidatur-Website nun einen Link zu meinem neuen WhatsApp-Kanal.


>:( !!! | Ich habe die Ladekabel, die ich an meinem Schreibtisch brauche, mit Kabelbinder an die Steckdose gekettet. Menschen, die mit Teenagern* zusammenleben, werden mich verstehen.

*Wobei die Maßnahme nicht nur den Teenagern gilt


Gelesen | Klaus Modick: Klack. Ein Coming-of-Age-Roman, erzählt anhand von Fotos, die Protagonist Markus mit seiner Agfa Klack gemacht hat, einem Kirmes-Gewinn. Fotos, die man als Leserin aber niemals sieht, sondern sich vorstellen muss. Markus wächst in den 1960ern zwischen Wirtschaftswunder und Kuba-Krise auf, zwischen der italienischen Gastarbeiterfamilie und den Kriegserzählungen des Vaters. Stimmungsvoll erzählt mit Freude am Detail, die Anekdoten fügen sich einem Ganzen. Gerne gelesen.

Gelesen | Rückfahrt nach Bonn, die aktuelle Ausgabe des Newsletters „Der siebte Tag“ von Nils Minkmar.

Die neue Koalition navigiert per Rückblick. Da ist beispielsweise der Arbeitsbegriff: Länger arbeiten ist wieder angesagt, die Vier-Tage-Woche und die Work-Life-Balance werden lächerlich gemacht. Klassiker der bundesdeutschen Rhetorik also. Arbeit ist bekanntlich die deutsche säkulare Religion, darauf können sich immer alle einigen. In die Hände spucken und Gürtel enger schnallen sind Ansagen, gegen die sich nie irgendjemand hierzulande wehren wird. Genau so ist das mit der Rückkehr zur Kernkraft, dem Ausbau der Autobahnen und der Drangsalierung von Migranten – irgendein Publikum findet diese ollen Kamellen immer gut. Nichts gegen politische Traditionspflege, wie sie auch die SPD mit wieder anderen Dauerbrennern (Politik für die arbeitende Mitte machen!) betreibt, aber all dies illustriert das eigentliche Problem, statt es zu lösen: den Mangel an Ideen.

Was die Mär vom Arbeiten angeht, das wir Deutschen angeblich immer weniger tun: Dabei handelt es sich um statistisches Phänomen. Das Arbeitsvolumen, das alle Deutschen gemeinschaftlich leisten, ist mit 54,7 Milliarden Stunden auf einem Höchststand. Was gesunken ist, sind die Arbeitsstunden pro abhängig Beschäftigtem. Der Hintergrund: Es sind immer mehr Frauen erwerbstätig; sie arbeiten mehrheitlich in Teilzeit, das senkt den Mittelwert pro Arbeitnehmer:in. De facto arbeiten wir also nicht weniger, sondern mehr, vor allem vor dem Hintergrund, dass zusätzlich zu den 54 Milliarden Stunden ja weiterhin umfänglich Care-Arbeit geleistet wird.

Ich war wahrlich keine Leuchte in Statistik. Aber liebe Herren von der CDU: Das ist Stoff aus der ersten Vorlesungsstunde „Empirische Sozialforschung“, das kann man intellektuell schaffen. Wenn man es will.


Schweine | Unser Best Ager, hoffnungsvoll am Futternapf.

Meerschwein, schon leicht ergraut, steht im Futternapf und reckt den Kopf vor.

Garten | Wir haben den Garten umgeschaufelt, ich berichtete schon kurz darüber. Das Projekt ist abgeschlossen. Der Erdhaufen, der noch übrig war, hat Abnehmer in der Nachbarschaft gefunden. Der Rest wird ein Rosenhügel – für den noch ein paar mehr Rosen fehlen. Die Stunde der Gärtnerei-Gutscheine, die ich mir immer zu Weihnachten und zum Geburtstag wünsche, ist gekommen.

Panorama eines Gartens, der von einem Bretterzaun umgehen ist, mit einem Meerschweinstall auf einer Rasenfläche nd Palettenbeeten am Rand.

Mitmachbloggen | Ich habe lange nicht mehr in meine Themenvorschlagsliste geschaut. Ihr auch nicht, stelle ich fest. Wenn Ihr also etwas habt, haut es raus.


Kandidatur | Wir haben ein zweites Fotoshooting für meine Bürgermeisterkandidatur gemacht.

Vanessa wird fotografiert - im Vordergrund der Hinterkopf von Anke.

Wir, das sind Anke Sundermeier und ich – plus Statisten (Danke!).

Das Ganze kam sehr kurzfristig zustande. Aus nicht mehr rekonstruierbaren Umständen hatten mein Team und ich Termine nicht auf dem Schirm, Druckschlüsse für Plakate. Wir gerieten in zarte Panik. Ich rief Anke an und sagte: „Anke, wir haben ein klitzekleines Problemchen.“ Ich erklärte, dass wir innerhalb von drei Wochen Fotos, ein Plakatlayout und druckfertige Plakate brauchen. Anke antwortete: „Übermorgen früh, halb Acht bei dir.“ Ich wiederholte: „Mittwoch Null Sieben Dreißig, jawoll“, stellte mir einen Wecker, kämmte mich, wusch mich kalt, und wir standen im Morgendunst auf dem Marktplatz.

Manchmal ist es besser, nicht zu viel Zeit für die Vorbereitung zu haben. Die Bilder sind gut geworden.


Kommt alle! | Am 18. Juni halte ich in der Stadtbibliothek in Haltern am See einen Mini-Workshop: Souverän als Frau im Beruf. Zwei knackige Stunden zum Souverän-Sein und sich Souverän-Fühlen, zu Augenhöhe und Machtgleichheit in Gesprächen und zu schlagfertigen Antworten auf dumme Entgegnungen. Der Eintritt ist frei – bitte dennoch Karten bestellen, damit wir wissen, wie viele Leute kommen.


Bürokratie | Zwei bürokratische Erlebnisse.

Im Zuge der Beitragssteigerung habe ich zu Beginn des Jahres die gesetzliche Krankenkasse gewechselt. Der erste Krankenkassenwechsel in meinem Leben: Dass ich aus meiner Lethargie hochgeschreckt bin, zeigt, wie abartig teuer es geworden ist. Die ganze Angelegenheit ließ sich geschmeidig an: Ich füllte online etwas aus und schwupps, war ich gewechselt. Ich bekam auch sogleich einen Zugang für ein Kundenportal, in dem ich alle Vorgänge erledigen könne. Super! Es zeigte sich allerdings, dass die neue Krankenkasse Nachholbedarf hat, was ihre internen Prozesse angeht. Erst musste ich das Bild für die elektronische Gesundheitskarte mehrmals hochladen – was ich tat, ohne eine Fehlermeldung zu produzieren. Bei der Krankenkasse kam es allerdings nicht an, es brauchte mehrere Schriftwechsel und erneute Upload-Versuche. Als das Foto dann angekommen war, verzögerte sich die Ausstellung der Karte „aus prozesstechnischen Gründen“. Ich druckte mir eine papierene Versicherungsbescheinigung aus, knetete sie auf Geldbörsengröße und überreichte sie in den nachfolgenden Wochen mehreren MFAs, die beim Anblick des Papiers ausnahmslos schlechte Laune bekamen und Betrug witterten. Als die Karte endlich da war, erhielt ich quasi zeitgleich eine Mahnung: Ich würde keine Beiträge zahlen. Ich sah nach: Tatsächlich – es war nichts abgebucht worden. Dabei hatte ich schon im Februar ein SEPA-Mandat erteilt. Auf Nachfrage bekam ich die Auskunft, dass ich das SEPA-Mandat zwar TAN-geschützt online erteilt hatte, dass man aber dennoch eine Unterschrift brauche. Ich prüfte das eingereichte Formular: Darauf gibt es kein Feld „Unterschrift“. Ich rief bei der Hotline an, um diese Unschärfe zu klären, bekam allerdings nur die Bandansage, dass ich mich auf Platz 34 in der Warteschlange befände und man überlastet sei. Ich legte wieder auf, lud das Formular herunter, unterschrieb es im Feld „Firmenstempel“, lud es wieder hoch und schickte es an den Kundenservice. Dort ist es nun. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen, ob abgebucht wird.

Der zweite Vorgang, der mich unglücklich macht, ist der Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio, formally known as GEZ. Die GEZ schrieb mich an. Sie war der Meinung, dass ich eine Betriebsstätte mit Mitarbeitenden habe und diese bitte anmelden möge, zusammen mit meinem Fuhrpark. Ich ignorierte das, denn ich habe keine Betriebsstätte, keine Mitarbeitenden und auch keinen Fuhrpark. Daraufhin rief die GEZ mich an. Wir stellten gemeinsam fest, dass ich wirklich keine Betriebsstätte und keinen Fuhrpark habe. Ich solle dennoch ein Formular ausfüllen, in dem ich ankreuze, dass das so ist; es würden keine neuen oder höheren Beiträge anfallen, alles bliebe, wie es ist, es müsse jedoch einmal amtlich sein. Ich füllte das Formular mit angemessen viel Liebe aus. Die GEZ bearbeitete das Formular und schrieb mir, dass mein neuer Beitrag 55,08 Euro im Quartal sei. Ich sah nach: genauso viel wie vorher. Statt allerdings weiter abzubuchen, stellte sie den Gebühreneinzug ein, denn durch das Feststellen bin ich jetzt ein neuer Vorgang, ein Vorgang mit ohne Betriebsstätte und ohne gültiges SEPA-Mandat. Ich überwies sofort und pflichtbewusst 55,08 Euro und füllte nochmal das Mandat aus, online.

Nach dem Erlebnis mit der Krankenkasse frage ich mich nun, ob das Mandat jetzt so gilt oder ob ich das Formular hätte herunterladen, unterschreiben und per Kurier nach Köln hätte schicken müssen. Wir werden es erst im nächsten Quartal erfahren, wenn möglicherweise ein neuer Liebesbrief kommt.


Und sonst | Bienen bei einem Rock’n’Roll-Imker gestreichelt. Mehrere gute Coaching-Sessions mit ganz unterschiedlichen Menschen und unterschiedlichen Fragestellungen gehabt. Eine agile Retrospektive mit Medizinerinnen gemacht. Mit Menschen in der Stadt gesprochen: beim Fairtrade-Frühstück, auf dem Schützenfest, beim Offenen Atelier auf dem Künstlerhof, beim Trödeltag, beim Tag der Biene, beim Besuch der Bildungsstätte und bei einem Vortrag über KI in der Stadtbibliothek. Außerdem: ein Hirschkäfer im Wohnzimmer.

Ein Hirschkäfer in einem Glas auf einem Meerschweinchen-Bierdeckel

Status Reisebericht | Der Reiseleiter hat seinen Reisebericht geschrieben. Er ist allerdings noch nicht ganz zufrieden mit seinem Text.


Gelesen | Liza Marklund: Der Polarkreis, aus dem Schwedischen von Dagmar Mißfeldt. Nach langer Zeit habe ich mal wieder einen Krimi gelesen, sogar einen, mit dem ich mich gut unterhalten gefühlt habe. Die Geschichte hat zwei Zeitebenen und wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Die Charaktere haben durchaus Tiefe, und am Ende gibt es einen guten Twist. Eine prima Sache.


Schweine | Mein Rasenmäher ist kaputt. Macht aber nichts. Die Schweine mähen.

Drei Meerschweine, ein Rosettenschwein und zwei kleinere Glatthar in einer Wiese.

Melancholie | Der Reiseleiter ist auf Bildungsurlaub in Kopenhagen und Malmö. Er besichtigt dort Stadtentwicklung, Radwege, Flächenentsiegelung, dänische Bibliotheken und alles, was das Leben schöner macht. Ich sitze brummend und neidend zuhause. Es wird nicht besser dadurch, dass der Reiseleiter mit fortwährend tolle Bilder und Geschichten aus Kopenhagen schickt. Das stimmt mich melancholisch. Ich habe ihn verpflichtet, nach seiner Rückkehr einen Gastbeitrag hier im Kännchencafé zu schreiben, eine Bildungsreise braucht schließlich eine Lernstandskontrolle. Ich erwähne das auch, um Druck aufzubauen. Fragen Sie also beizeiten nach.


Herausforderungen | Während der Reiseleiter reist, hüte ich Haus und Hof und Teenager und nutze die Gelegenheit, um neu durchzustrukturieren. Denn plötzlich habe ich Zeit! Schließlich fehlen die Anforderungen der Paarbeziehung – Konversation, Kerzenschein, dies, das. Also räume ich den Hauswirtschaftsraum um.

Wir haben dort einen alten Küchenoberschrank. Von dem ist die Tür abgefallen, irreparabel; es handelt sich um mindere Qualität. Der Schrank ist nun ein Objekt ohne Tür, sozusagen ein Regal. Die Folge: Das Chaos liegt blank. Das möchte ich nicht, das belastet meine Seele. Also strukturiere ich um, von links nach rechts, von einer Seite des Raumes zur anderen.

Parallel dazu haben der Teenager und ich die Aufgabe, die Kühltruhe leerzuessen – eine Herausforderung, die wir mit Bravour meistern. Die Schwiegermutter, die gleichzeitig zum Reiseleiter im Urlaub weilt (aber woanders), hat es sich nicht nehmen lassen, ein bisschen für uns vorzukochen. Es ist großartig! Gestern gab es Chili. Heute machen wir Pizza. Am Freitag gibt es Nudelsuppe. Ich fühle mich wie ein westdeutscher Mann in den 80ern, für den gesorgt wird.


Bahngeschichten | In der vergangenen Woche war ich in Chemnitz, ich sprach über die Bahnfahrt dorthin. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass auch die Rückfahrt problemblos verlief, obwohl es eine Hochrisikofahrt mit vier Umstiegen war, davon vier Minuten in Hannover. Es flutschte alles: von Chemnitz nach Leipzig, von Leipzig nach Hannover, von Hannover nach Hamm, von Hamm nach Münster und von Münster nach Haltern am See.

Nun gut, zum Schluss gab es einen kleinen Wehrmutstropfen: Die sofortige Verbindung von Münster nach Haltern (zwei Minuten Umstieg, ich hätte den Zug erreicht) fiel aus, ich musste 40 Minuten warten. Denn im Norden des Ruhrgebiets, in Herne, wurde jüngst eine Bahnbrücke stillgelegt: Einsturzgefahr, sie ist marode. Das hat zur Folge, dass die Strecke Essen – Münster quasi lahm liegt und Haltern am See, meine Stadt, de facto abgeschnitten ist. Die Bahn würde diese Aussage natürlich bestreiten, denn es existieren noch Verbindungen und außerdem gibt es Schienenersatzverkehr. Das Ganze ist jedoch unpraktikabel: Etliche Verbindungen fallen aus, und das, was fährt, bedient nur Teilstrecken oder ist verspätet. Unter anderem führt das dazu, dass der Teenager, der am Donnerstag auf eine Schulreise startet, nicht in Haltern starten kann, sondern am frühen Morgen mit dem Auto bis nach Essen zum Fernverkehr gefahren werden muss. Das ist eine Autostunde Weg plus zeitlicher Puffer, also eineinhalb Stunden – mit Rückweg zweieinhalb Stunden. Alle Eltern raufen sich die Haare, es werden hektisch Fahrgemeinschaften gebildet.

Gedanklicher Einschub – ich habe den Eindruck, besonders bei Eltern kummulieren die volkswirtschaftlichen Probleme zu einem großen Haufen Mist: die marode Verkehrsinfrastruktur, Unterrichtsausfälle in der Schule, Betreuungsausfälle in der Kita, Personalmangel in der Pflege der Eltern und Großeltern, Personalmangel im eigenen Arbeitsumfeld, hohe Mieten und fehlender Wohnungsbau – habe ich etwas vergessen? Bestimmt.

<ironie on> Grenzen dicht machen wird sicher helfen. <ironie off>

Zurück zur Brücke: Seit der Feststellung des Schadens vor zwei Wochen ist sie keine Schlagzeile mehr wert, obwohl Tausende Bahnpendler feststecken. Wie lange der Zustand für Zugfahrende anhalten wird, ist also ungewiss. Ich gehe davon aus, dass wir über Monate improvisieren müssen. Dieser systematische Verfall macht mich unsagbar wütend; er kostet so viel Kraft im Alltag.

Wo wir gerade beim Bahnverkehr sind: Ich habe noch ein Anekdötchen aus Chemnitz. Der RE6, der die Strecke Leipzig – Chemnitz bedient, besteht nicht mehr aus alten Reichsbahnwaggons. Bis vor Kurzem war das ein tippptopp Vintage-Erlebnis; ich fühlte mich in in meine Jugend katapultiert und wollte direkt meine Musikkassette nach vorne reichen. Aber das ist nun Geschichte. Jetzt fahren dort die gewöhnlichen roten Doppelstockzüge. Allerdings gibt es einen Haken: Die Doppelstockzüge sind auf Elektrobetrieb ausgelegt – die Strecke ist jedoch nicht elektrifiziert. Deshalb muss der erste Waggon Richtung Chemnitz gesperrt werden: Die Abgase der Diesellok werden von der Klimaanlage angesaugt, die bei den Doppelstockzügen auf dem Dach angebracht ist; die Leute würden schlichtweg vergiftet. So geht Fortschritt!


Nachlese Chemnitz | Unabhängig davon hatte ich eine sehr schöne und produktive Zeit in Chemnitz. Leider konnte ich nicht viel von der Stadt sehen. An den ersten beiden Tagen war ich nicht gut zurecht; ich musste mich abends früh hinlegen. Am dritten Tag war ich zu einem Geschäftsessen verabredet – und ebenfalls groggy vom Tag, so dass wir im Hotel blieben. Im August bin ich noch einmal dort. Dann habe ich eine neue Chance, ein bisschen Kulturhauptstadt mitzunehmen.


Na sowas | Christian hatte meine Stimme im Kopf.


Garten | Weil wir grad ohnehin schon genug zu tun haben, haben wir zusätzlich den Garten umgegraben: Das Hochbeet, das den Garten umrahmt, war so marode wie die Bahnbrücke in Herne und musste stillgelegt werden. Ich machte einen Plan zur Neugestaltung, wir kauften Palettenrahmen und schaufelten: Erde raus, Hochbeet abgebaut, Palettenrahmen aufgebaut, Erde wieder rein, Rest-Erde im Garten verteilen. Abends bejammerten wir unsere körperliche Verfasstheit.

Das Ergebnis stellt mich zufrieden: Die neue Ordnung steht, die Stauden sind umgesetzt und haben in der Mehrzahl überlebt, und im Küchengarten wächst das Gemüse. Experiment 2025: Artischocke.

Panoramabild aus dem Garten mit Palettenbeeten, unterbrochen durch Sträucher. Im Vordergrund eine Liege und ein Meerschweinchenstall

Nur in der Ecke muss die Erde noch weg. Dafür suche ich Abnehmer. Wenn Sie zufällig im Münsterland oder nördlichen Ruhrgebiet wohnen und zehn Schubkarren Erde gebrauchen können (oder jemanden kennen, der jemanden kennt, der …), melden Sie sich. Ich habe die Erde in Facebook- und WhatsApp-Gruppen angepriesen, aber ich bleibe auf ihr sitzen wie auf warmem Bier.

Haufen Erde in einer Ecke. Darin stecken eine Schaufel und ein Spaten

Bürgermeisterkandidatur |  Am Wochenende war White Night hier in Haltern am See: In zwanzig Locations spielten zwanzig Bands, man tingelte von Ort zu Ort, traf Menschen, feierte und genoss die Musik. Das war super. Die Überraschung des Abends waren für mich Liedermacher David Lübke und seine Begleitung Filip Sommer. Eine tolle Darbietung, schauen Sie gerne mal bei den beiden vorbei oder hören Sie auf den üblichen Streaming-Plattformen.

Den Beginn des Abends nutzte ich gemeinsamen mit den örtlichen Grünen, um Popcorn unters Volk zu bringen und ins Gespräch zu kommen. Das war eine gelungene Aktion. Es gab viele Begegnungen und auch konkreten Austausch.


Und sonst | Statement am Fußballplatz von KindZwei und KindDrei. Sehr schön.

Exkfahne auf einem Fußballplatz mit Regenbogenflagge

Schweine | Faule, warme Tage.

EIn Meerschwein streckt seine Schnauze zwischen Stalltür und Heuraufe hervor

Broterwerb | Ich machte gemeinsam mit einem Team einen nächsten Schritt in der Teamentwicklung. Ein emotionaler Workshop. Wir erlebten und analysierten unter anderem ein Karussel der Empörung. Empörung ist eine machtvolle Zutat in dysfunktionalen Teams: Person A empfindet moralische Unmut über die Handlung eines Kollegen B. Sie empfindet sein Handeln als unzulässig und reagiert mit einer abwertenden Geste oder Worten der Entrüstung – reflexgesteuert ist. Statt B fühlt sich C angesprochen und steigt darauf ein, A entrüstet sich über C, D springt zur Seite – und schon geht’s rund im Team. Die Situation ist voll von Misstrauen, Unterstellungen, moralischen Ansprüchen und personenbezogenen Zuschreibungen, dafür frei von Wohlwollen.

(Wer mehr dazu lesen möchte, dem empfehle ich die Lektüre „Das Karussell der Empörung – Konflikteskalationen verstehen und begrenzen“ von Arist von Schlippe.)

Einen Tag später war ich für ein Handwerksunternehmen im Einsatz. Im Namen des Personalentwicklers Beyer & Wilmer hielt ich einen Impulsworkshop für Bauleiter (gendern nicht notwendig). Angefragt war „Zeit- und Selbstmanagement“. Ich hatte im Vorfeld ein Störgefühl und bat um ein Vorgespräch mit dem Kunden. In dem Gespräch stellte sich heraus, dass es eigentlich um den Umgang mit Überraschungen gehen soll. Überraschungen sind ein Zeichen von Komplexität – ein anderes Thema als das angefragte: Während ich bei „Zeit- und Selbstmanagement“ auf der individuellen Ebene bin – bei Selbstorganisation, dem persönlichen Umgang mit Stress und den Antreiberdynamiken, die uns in immer gleiche Fallen führen -, liegt ein kluger Umgang mit Komplexität nicht (nur) in der Verantwortung des Einzelnen. Vielmehr müssen alle Beteiligten – besonders die Projektleiter – die Vielschichtigkeit und die Dynamiken verstehen, die in komplexen Vorhaben greifen, eine hohe Beziehungsdichte aufbauen und kontinuierlich Erwartungsmanegement betreiben.

Die Gruppe der dreizehn Männer war heiter gestimmt und robust im Miteinander, auch mit mir. Wir hatten viel Freude. Ich konnte verbal gut kontern.


Rahmenhandlung zum Broterwerb | Bekanntlich bin ich kein Fan unseres neuen Kanzlers. Ich spüre erhebliche Spannungen und Widerstand in mir, wenn Herr Merz in einem meiner Geräte auftaucht. Gleichzeitig braucht dieses Land eine handelnde Regierung. Alle warten auf Richtungsentscheidungen und Rahmenbedingungen. Das Vakuum blockiert Investitionen, Entwicklungen, Zutrauen in die Zukunft – und Aufträge.


Freizeitbeschäftigung | Am letzten Aprilwochenende fuhr ich nach Heidelberg. Die Turnschwester zog um und benötigte praktische und seelische Unterstützung.

Wir sind inzwischen in dem Alter und in der finanziellen Ausstattung, dass ein Umzugsunternehmen die Möbel und Kartons trägt. Eine tolle Dienstleistung. Was haben wir früher geschleppt und gewuchtet, geschraubt und geflucht! Die Profis machen das in doppelter Geschwindigkeit und Qualität, insbesondere das Zusammebauen von Kleiderschränken und sonstigen Großmöbeln, die ausgerichtet werden möchten und bei denen sich Dinge gut fügen sollen.

Nichtsdestotrotz gab es zu tun: rücken und räumen, Vorhandenes einsortieren und Neues zusammenschrauben. Außerdem sollte die emotionale Stabilität nicht zu kurz kommen. Für letzteres bestellten wird Pizza und aßen sie auf der neu eingerichteten Dachterrasse.

Einen Tag später sahen wir den BVB in Hoffenheim siegen, noch dazu in einer Lounge mit Vollverpflegung. Es gab sowohl vor dem Spiel als auch in der Pause als auch nach dem Spiel Essen. Man konnte auch während des Spiels essen, alles vom Feinsten. Ein dekadentes Erlebnis im Kreise freundlicher Menschen.

im Stadion von Hoffenheim: Publikum, Spielstand 2:3 und auf dem Raden blaue und gelbe Spieler.

Ein Wochenende später gruben der Reiseleiter und ich den Garten um. Das Hochbeet, das unseren Garten einrahmt und bereits bei unserem Einzug vorhanden war, ist morsch. Wir drückten uns reichlich lange, das Vorhaben anzupacken. Denn es muss viel Erde von links nach rechts und wieder nach links geschaufelt werden. Unerfreulich! Doch jetzt haben wir die Sache angepackt: Erde raus, Palettenrahmen aufbauen, Mäusegitter drunter, Noppenfolie eintackern, Erde wieder rein. Zwischen den Rahmen ließen wir Freiraum für Büsche. Die Erde, die einst dort war, schaufelten wir in den Gemüsegarten.

Ein vortreffliches Workout. Wir hatten ausgiebig Körper. Am kommenden Wochenene folgt Teil Zwei. Und das Gemüse kommt ins Beet. Juchhu!


Vernissage | Wenn Sie in Münster und umzu wohnen, empfehle ich Ihnen einen Besuch in noennekens Abendbrot.Bar. Dort stellt mein Patenkind in den kommenden zwei Monaten ihre Illustrationen aus.

Franc Art - die Illustratorin spiegelt sich in ihrem Bild

Wer nicht nach Münster fahren kann, kann ihr auch eine E-Mail schreiben, um Drucke zu erwerben. Das Portfolio kann man am besten auf dem Desktop anschauen oder bei Instagram sehen.


Gehört | Cordula Stratman im Hotel Matze – nicht als Komikerin, sondern als Familientherapeutin. Ein angenehme Folge mit zahlreichen Weisheiten. Wer hätte das gedacht!

Gehört | Anne Brorhilker bei der Lage der Nation. Anne Brorhilker war Oberstaatsanwältin in Köln und die erfolgreichste CumEx-Ermittlerin Deutschlands. Nun kämpft sie mit der Finanzwende e.V. für eine bessere Verfolgung von Finanzkriminalität. Ausgesprochen gerne gehört und viel gelernt. Allerdings möchte ich eine Warnung ausprechen: Nach dem Hören ist man deutlich konsterniert in Hinblick auf die Strukturen, die Finanzkriminialität ermöglichen und eine angemessen Strafverfolgung verhindern.

Angeschaut | Adolescence. Die Serie, in der es – wenn man sich Rezensionen durchliest -, in erster Linie um Social Media und toxische Männlichkeit geht. Ich sehe das anders: Ich habe Adolescence als eine Serie geschaut, die zeigt, wie komplex und anspruchsvoll das Heranwachsen ist. Die Teenagerzeit ist eine Zeit, in der wir uns fortwährend ungenügend, missverstanden und beurteilt fühlen. Hass, Mobbing, Frauenverachtung – all das gab es immer schon; Social Media gibt dem Verhalten nur eine neue Ausdrucksform. Was ganz anderes: Jede Folge wurde als One Shot gedreht, es gibt keinen einzigen Schnitt – beeindruckend.

Gelesen | Medialer Umgang mit der AfD: „Herr Hitler ist leider verhindert.“ Ich stimme zu.


Und sonst | Ich habe in neues It-Piece für den Wahlkampf und war in der Stadt unterwegs. Es gab ein Geburtstagsereignis. Ich befinde mich in Chemnitz.

Für die Fahrt nach Chemnitz entschied ich mich für die Bahn. Letztendlich ist die Strecke sowohl auf der Straße als auch auf der Schiene unerfreulich lang. Die Bahnfahrt sollte vier Umstiege und sogar einen Spaziergang enthalten. Wunderbar! Das würde nie klappen. Aber immerhin darf ich für nur 40 Euro in der 1. Klasse quer durch die Republik fahren – über Münster, Hamm, Berlin und Leipzig.

Screenshot aus dem DB Navigator: 06:50 - 14:25 Uhr, RE42, RE7, ICE 543, Fußweg, ICE 1217, RE6

Ich buchte nach der bewährten Strategie „Supersparpreis bezahlen – Flexleistung bekommen“ und wählte enge Umstiegszeiten.

Als am Montag um 05:30 Uhr mein Wecker klingelte, schickte mir der DB Navigator direkt eine Liebesnachricht: Zugbindung aufgehoben, Ausfall einer Teilstrecke. Sehr gut! Ich suchte mir eine Alternativverbindung über Essen und Frankfurt. Alles fuhr pünktlich, ich war um 14:30 Uhr in Chemnitz.


Schweine | Im Freizeitpark:

Vier Meerschweine vor dem Stall auf der Wiese, zwei essen, eins rennt über den Rasen, ein viertes sitzt im Blumentopf.

Wieder daheim | Die Tage schreiten voran. Inzwischen bin ich wieder in Deutschland, ich habe ge-osterfrühstückt, ge-osterkaffeetrunken und es gab einen Arbeitsmontag, der in Wahrheit ein Dienstag war.

Noch ein paar Bemerknisse zum Aufenthalt im Baskenland:


Ea | Ea ist eine Stadt mit wenigen Buchstaben und auch wenig Einwohnern: 800, wenn man alle Siedlungen und Höfe mitzählt. Als es aufhörte zu regnen, stiegen wir von unserer Ermita ins Dorf hinunter. Im Baskenland regnet es viel und oft, 1150 Millimeter an 186 Tagen im Jahr. Zum Vergleich: In Hamburg regnet es an 716 Millimeter an 133 Tagen. Es regnet also wirklich oft und viel.

Wir gingen hinunter ins Dorf, das, obwohl es klein ist, mal zwei Dörfer war und deshalb zwei Kirchen hat. Ea hat einen kleinen Fluss, keinen Lebensmittelladen und keinen Arzt, dafür sechs Tavernen. Welch ein Statement!

Verschachtelte Häuser links und rechts eines Baches, über den eine kleine steinerne Brücke führt

Das ganze Dorf läuft entlang des Flusses auf eine Bucht zu. In der Bicht sind links und rechts grüne Hänge, in der Mitte der Strand. Die Szene hat etwas Tropisches.

Am einem Strand stehen die Metallbuchstaben EA. Die kleine Bucht liegt zwischen grünen Bergen.

Am Strand, das Dorf im Rücken, gibt es einen Unterstand. Im Unterstand lagen vier oder fünf Jungs in fortgeschrittener Adoleszenz. Schlafsäcke, Isomatten, Colaflaschen. Der süße Duft von Gras. Die Stimmung war heiter.

Ea ist Baskenland, das Baskische findet sich in allen Ecken. Ein Hauch von Renitenz liegt über dem Dorf, in den Gassen, zwischen den Häusern. Über Türen und aus Fenstern hängen Transparente. Etxera steht dort in schwarzer Schrift: zwei Pfeile, die aufeinander zulaufen. Etxera, das baskische Wort für „nach Hause“.

Es steht für die Forderung, die 350 Mitglieder der ETA, die noch in spanischen Gefängnissen sitzen – in Einrichtungen weit außerhalb des Baskenlandes -, in die Heimat zu verlegen. Ihre Angehörigen, so ist zu lesen, führen viele hundert Kilometer, um sie zu besuchen. Einige seien bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen.

Außerdem überall zu sehen: die Transparente gegen das zweite Guggenheim-Museum. Urdaibai ez dago salgai steht dort, Urdaibai steht nicht zum Verkauf. Die baskische Regierung und der Aufsichtsrat des Guggenheim-Museums in Bilbao planen nämlich, den Guggenheim-Effekt zu verdoppeln: Im Biosphären-Reservat Urdaibai soll ein zweiter Museumskomplex entstehen, dazu eine lange Spazierbrücke für die vielen zu erwartenden Besucher. In den Dörfern der Gegend findet sich niemand, der dafür ist.

Hintergrund dazu gibt es im Podast Natürliche Ausrede, die Folge mit Klaus Armbruster, ein aus Bremen stammender Sozialwissenschaftler, der seinen Lebensmittelpunkt ins Baskenland verlegt hat. Auch über die Guggenheim-Thematik hinaus sind das sehr erkenntnisreiche zwei Stunden, die ich gerne gehört habe und hiermit weiterempfehle.

Wir suchten eine der sechs Tavernen auf, holten uns an der Theke Pintxos und setzten uns vor die Kneipe an die Straße. Nach einer Weile fielen uns die Poster hinter uns an der Wand auf: Scherenschnitte weiblicher Personen mit baskischem Text. Ich bemühte die Übersetzungs-App.

Es sind die Feminizide des Baskenlandes. Genannt sind der Name des Opfers, sein Alter und wer der Täter war: der Partner, der Ex-Partner, ein Bekannter.


Fest und flyschig | Zwischen Deba und Zumaia, an der Küste des Baskenlandes, gibt es Gesteinsformationen, so gestapelt und geschichtet wie meine Papierablage 2006, bevor ich die Steuererklärung der vergangenen drei Jahre anging.

66 Millionen Jahre Erdgeschichte, geschichtet, geschoben und gedrückt.

Die Landschaft an der Küste ist eine Mischung aus Sauerland und Grafschaft Kork: wellig, sattgrün und voller Kühe, die mit Wanderern spielen wollen. „Folgen Sie dem Auf und Ab“, steht mehrmals im Wanderführer. „Wir wandern einen Weidezaun entlang.“ Und: „Neuerlich erreichen wir ein Weidetor.“

Rother Wanderführer Baskenland, Tour 14: Entlang der Flyschküste von Deba nach Zumaia

  • Entfernung: 15,5 Kilometer
  • Höhenmeter: 700
  • reine Gehzeit: 5 Stunden 30 Minuten, mit Pausen und Staunen 8 Stunden
  • Rückfahrt mit dem Zug

Die Rückfahrt mit dem Zug kostete 1,90 Euro: Fünfzehn Minuten von Zumaia zurück nach Deba. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist im Baskenland ausnehmend preiswert. Egal, ob wir die U-Bahn in Bilbao oder den Euskotren zwischen den kleinen Städten nutzten – wir zahlten nur einen Bruchteil des deutschen Preises. Am letzten Tag fuhren wir für 2,90 Euro von San Sebastian zum französischen Bahnhof in Hendaye – eine Entfernung, vergleichbar mit Preisstufe B im Ruhrgebiet. Die kostet 7,90 Euro.


Sibirische Kälte | Bevor wir nach San Sebastian wechselten, machten wir einen Abstecher nach Vitoria-Gasteiz, der Hauptstadt des Baskenlandes. Die Basken nennen die Stadt auch Siberia-Gasteiz, Sibirisch Gasteiz, wegen der Lage auf der Hochebene, 540 Meter, Jahresdurchschnittstemperatur elf Grad. Immerhin eineinhalb Grad wärmer als in Hamburg, aber das half im konkreten Fall nichts: Als wir dort ankamen, brach ein Wolkenbruch los, der fürderhin nicht mehr aufhörte. Strömender Regen bei sechs Grad Celsius, wir froren bis ins Mark, die Stadt charmant wie Hagen an einem Februarmorgen.

Wir taten das, was man im Baskenland tut: Wir kehrten erstmal in eine Taverne ein und aßen Pintxos. Der Reiseleiter fand heraus, dass es in der Stadt ein Terrorrmuseum gibt. Wir sahen uns Autobomben an. Dann fuhren wir wieder heim.

Platz mit einem Schriftzug aus Gras "Vitor Gasteiz!". Über den Platz laufen in Jacken eingewickelte Menschen.

Nein, das ist etwas verknappt und wird dem Museum nicht gerecht: Das Terrormuseum von Vitora-Gasteiz ist wirklich sehenswert (und kostenlos). Es zeigt die Geschichte der ETA und die jüngste Historie islamistischer Terrorangriffe auf die spanische Gesellschaft. Ich habe viel gelernt, insbesondere über die Historie der ETA – sie entstand in der Franco-Diktatur und war zu Beginn insofern teillegitim, als dass sie sich gegen ein diktatorisches Regime richtete – und die Rolle Frankreichs im Kampf gegen die Organisation. Das baskische Frankreich verhielt sich zunächst neutral und ließ Spanien mit der ETA allein; es handele sich um ein spanisches Problem, hieß es von jenseits der Grenze – mit der Konsequenz, dass die Terroristen in Frankreich unterschlüpften. Erst mit dem Fortschreiten der Jahre beteiligte sich Frankreich am Kampf gegen die ETA, was letztlich in ihrer Zerschlagung und Auflösung mündete.


Donostia – San Sebastian | Im Gegensatz zu Vitoria-Gasteiz kann man sich für San Sebastian einfach erwärmen. Es ist eine Stadt, die sofort das Herz erobert: sonnig, fröhlich, mit Strand und Meer, Musikanten auf der Promenade und Wellenreitern auf dem Wasser.

Es ist wenig so beruhigend wie das Schauen auf Wellen – Wellen, die gegen Steine schlagen. „Das wird eine große Welle“, denkt das Gehirn, fiebert mit und – ach, nein, doch nicht. Aber jetzt, ja, die da vorne, die kommt gut – Wahnsinn, wie die schäumt! Sanftes Schwappen. Da kommt wieder eine, Bämm! Und die nächste. Verfängt sich zwischen den Steinen. Das Wasser wirbelt. Fantastisch!

Desgleichen die Wellenreiter am Abend. Von Wellenreitern hatte ich bislang einen dynamischen Eindruck: Männer und Frauen, die gehockt auf Brettern stehen und in hoher Geschwindigkeit über Wellenkämme gleiten, Athletik mit meernassem Haar. Tatsächlich, so konnte ich beobachten, besteht Wellenreiten im Wesentlichen daraus, auf seinem Brett zu liegen wie eine Robbe und auf eine passende Welle zu warten, die lange nicht kommt. Wenn sie dann kommt, kommt man nicht schnell genug hoch in die Senkrechte, weshalb man weiter warten muss.

Ab und zu stand aber doch ein Wellenreiter auf und ritt ein Stück. Das Ganze ist so dermaßen entschleunigend, ich fühlte mich komplett abgeholt von diesem Sport.

In San Sebastian wurde ich krank. Ich bekam eine monumentale Bronchitis und einen Schnupfen, der den ganzen Kopf verstopfte. Ich litt angemessen fürchterlich.


Hendaye | Den letzten Tag der Reise verbrachten wir in Hendaye, Frankreich. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie auf wenigen Kilometern, mit dem Schritt über eine Grenze, die Sprache wechselt. Auch gibt es mit einem Mal keine Tavernen und keine Pintxos mehr. Auch keine Hochhäuser. Stattdessen deutlich höhere Preise.

Wir verbrachten einen Tag am Strand, nickten ein, lasen und beobachteten Unterrichtsstunden im Wellenreiten. Familien bauten Sandburgen. Kinder quengelten nach Eis. Junge Männer beim Strandfußball. Alte Männer mit Lederhaut beim Sonnenbad.


Rückreise | Die Rückreise war einerseits beeindruckend reibungslos – 1.400 Kilometer durch Europa in zwölf Stunden, alles war pünktlich und flutschte – und andererseits überraschend unkomfortabel.

TGV am frühmorgendlichen Bahnhof von Hendaye

Sowohl TGV als auch Eurostar sind nicht für große Menschen mit langen Beinen gebaut. Als dann noch durchgehend die Klimaanlagen versagten, war es nicht nur eng und orthopädisch fragwürdig, sondern brachte mich in einen Zustand, in dem ich mich nur noch monoton vor- und zurückwiegen wollte – wenn denn Platz gewesen wäre. Der Schnupfenschädel tat sein Übriges.

Fazit zum Verkehrsmittel allerdings: Kann man gut machen. Die Bahnfahrt verlief sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg völlig problemfrei, der Wechsel der Landschaften war wohltuend entschleunigend.


Schweine | Die Neigungsgruppe Löwenzahn genießt die beste Zeit des Jahres:

Vier Meerschweine vor einem Berg Löwenzahn, fressend

Aus der Ermita | Die vergangenen acht Nächte habe ich in sechs verschiedenen Betten verbracht. Allerdings immer mit demselben Mann, mitunter auch gänzlich ohne Begleitung. Deshalb habe ich eine Menge zu erzählen. Schnallen Sie sich an, es geht los.

Aktuell sitze ich am Fenster der Ermita de San Bartolomé und schaue in den Regen.

Im Vordergrund das Dach eine kleinen Hauses und ein Baum mit blauen Blüten, im Hintergrund regen- und nebenverhangene, bewaldete Berge

Hinter den Bergen und hinter dem Nebel ist das Meer, eine Bucht im Dorf Ea an der spanischen Biskaya. Das Dorf hat einen Friedhof, zwei Kirchen und sechs Tavernen, aber keinen Arzt und keinen Bäcker. Für Lebensmittel muss man dreißig Minuten über kurvige Landstraßen fahren.

Aber beginnen wir von vorn. Das macht es einfacher.


Ein Bett in Hannover | Die erste der vergangenen sechs Nächte, die ich in einem der unterschiedlichen Betten schlief, verbrachte ich fernab von Spanien in Hannover – Arbeitswochenende meines Agora Club Tangent. Einmal im Jahr geht zu für zwei Tage irgendwohin, um die Freundschaft untereinander zu pflegen, Kultur zu genießen und gegebenenfalls andere Clubs zu treffen. Ziel des Agora Club Tangent ist die Vertiefung von Kontakten unter Frauen, national und international.

Dieses Jahr war ich die Organisatorin des Ausflugs. Ich buchte uns in die Gästeresidenz im Hannoveraner Pelikanviertel ein und organisierte eine Führung zur Firmengeschichte von Pelikan. Das Thema stand mir nahe, denn ich hatte damals mit einem roten Pelikano schreiben gelernt – zu einer Zeit, in der es noch keines Füllerführerschein bedurfte. Die Damen des Clubs, mich eingeschlossen, sind alle in einem Alter, in dem wir gerne in Reminiszenzen an unsere Kindheit schwelgen. Eine Reise ins eigene Federmäppchen sollte also grad das Richtige sein.

In der Tat war es ein interessanter Rundgang – speziell in Hinblick auf die Wirtschaftsgeschichte der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte. Pelikan, so lernte ich, wurde einst mit der Industrialisierung groß. Als zunehmend Stahl, Maschinen und Chemieprodukte hergestellt wurden, brauchte es gleichermaßen Tinte, Schreibbänder und Kohlepapier, um die Korrespondenz abzuwickeln. Die Firma wuchs und wuchs – und mit ihr der Platzbedarf: Der Bau des Firmensitzes in der Hannoveraner List war damals die größte Stahlbetonbaustelle Europas.

Backsteinfassade des Pelikangebäude ins Hannover

Man erfand die dokumentenechte Tinte (4001), kleckssichere Tintenleiter und die Kolbenfüllmechanik mit Differentialgetriebe. Die Produkte von Pelikan entwickelten sich allerdings nicht nur mit der Industrialisierung, sondern auch mit dem Zeitgeist. Der Tuschkasten, den ich auch in der Schule benutzte, gab es seit den 1930er Jahren. Es war der erste Wasserfarbkasten speziell für Kinder. Sämtliche Modelle davor richteten sich ausschließlich an professionelle Maler. Mit meinem Farbkasten setzte Pelikan auf eine pädagogische Idee, die damals neu war: Dass Kindheit eine Lebensphase ist, die frei von Arbeit sein soll und ausschließlich dem Lernen und der Entfaltung dient. Mit dem Malkasten für Kinder kamen auch die Wachsmalstifte im Metallkasten.

1. Farbenkasten mit Deckfarben 1930

Halten wir fest: Ich bin nun also in einem Alter, in dem Alltagsgegenstände aus meiner Kindheit in Museen ausgestellt werden.

Heute gibt es in Hannover nur noch einen kleinen Werksverkauf im Pelikan-Tintenturm und die Führungen durch den geschichtsträchtigen Saal, in dem erst die Lateinische und dann die Vereinfachte Ausgangsschrift entwickelt wurden. Die Firma Pelikan gehört nach turbulenten Zeiten zur französischen Groupe Hamelin, die auch den gesamten Vertrieb übernommen hat.

Im Anschluss führte uns der Weg zu Feinkunst e.V. und dort zur Austellung der Malerin Lillien Grupe. Die Bilder gefielen mir außerordentlich gut. Nicht nur, weil ich realistische Malerei mag, sondern weil ihre Bilder Themen unserer Zeit aufgreifen und viel Interpretationsspielraum lassen.


Ein Bett in Haltern und eins in Köln | Nachdem ich in Hannover war, verbrachte ich zwei Nächte daheim. Dann brachen der Reiseleiter und ich nach Köln auf, für eine Nacht im Hotel Ibis im Bahnhof. Am nächsten Morgen wollten wir sehr früh am Bahngleis sein.

Die Nachtruhe war begleitet von den Lebensäußerungen vielfältiger Trunkenbolde. Als mir morgens um Fünf das Hotelduschgel „Rock you Body!“ entgegenschrie, lag mir nichts ferner. Im Zug aß ich ein Birchermüsli mit der Aufschrift „Funk’n’Fit“ und schlief danach sofort ein. Kein Rock, kein Funk, nur ein nach vorne kippender Kopf in den engen Sitzreihen des Eurostar nach Paris.

In Paris wechselten wir den Bahnhof und fuhren weiter Richtung französisch-spanische Grenze. Erst 600 Kilometer bis Bordeaux – eine Fahrt von lediglich zweieinviertel Stunden, sehr beeindruckend -, dann weiter bis nach Biarritz, wo wir außerplanmäßig aus dem Zug entlassen wurden: Durch einen Oberleitungsschaden hatte er zu viel Verspätung eingefahren. Als geübte Bahnfahrer fühlten wir uns ganz wie zuhause. Die Pofalla-Wende – man praktiziert sie also auch in Frankreich.

Blick unter Bedachung eines Gleises hervor auf Häuser und eine Straße, im Vordergrund das Bahnhofsspild von Biarritz

Mit dem Regionalzug ging es weiter.


Ein Bett in Irún | Auf der Fahrt durch Frankreich war ich mehrmals eingenickt, so dass ich funk’n’fit am Ziel in Hendaye ankam. Wir gingen zu Fuß hinüber nach Spanien – man muss lediglich eine Brücke über den Grenzfluss Bidasoa überqueren -, schauten in einer Taverne die Niederlage des BVB beim FC Barcelona und übernachteten in einem historischen Hotel in Irún.


Ein Bett in Bilbao | Am nächsten Tag ging es weiter nach Bilbao. Falls ich in Zukunft je wieder auf die Idee kommen sollte, mit einem Fernbus fahren zu wollen, erinnern Sie mich bitte an die Busfahrt dorthin. Sie dauerte zwei Stunden, und ich verbrachte sie größtenteils liegend, denn mein Sitz war defekt. Immer, wenn ich die Rückenlehne hochstellte, senkte sie sich schleichend wieder nach hinten, bis ich dalag wie ein gestrandeter See-Elefant. Meine Fußspitzen waren in der Enge der Sitzreihe verkeilt, in meine Kniescheibe bohrte sich ein Haltegriff.

Es war ein Doppelstockbus. Wir hatten den Platz oben, direkt vorne hinter der großen Frontscheibe. Dennoch sahen wir nichts: Die Scheibe war flächig bedeckt mit Insektenleichen vergangener Jahrzehnte. So lag ich also im schwankenden Bus, festgeklemmt und die Augen geschlossen, denn zu sehen gab es ja nichts. Man fuhr mich durch baskische Industriegebiete, und ich wartete, zart reisekrank, dass die Fahrt vorüberging.

Die nächsten zwei Tage verbrachten wir in Bilbao. Die Stadt erinnerte mich erheblich an Wuppertal: ein Tal, ein Fluss und tiefe, sich am Wasser entlang ziehende Häuserschluchten.

Blick von einem Hügel auf Bilbao

In Bilbao sieht man allerdings, was in Wuppertal möglich wäre, wenn es nicht Wuppertal wäre, sondern in Spanien läge, wenn es ein paar mehr Palmen gäbe und wenn Norman Foster und die Guggenheim-Stiftung vorbeikämen. Erstaunlicherweise nimmt der Wikipedia-Artikel über Bilbao sogar Bezug zu Wuppertal:

Allerdings gelang es der Stadt nach dem Höhepunkt der Krise im Jahr 1985, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten zu diversifizieren und seit Anfang der 1990er Jahre vom Image einer hässlichen, grauen, schmutzigen Industriestadt loszukommen, das ihr jahrzehntelang anhing.

Der inzwischen Bilbao-Effekt (auch: „Guggenheim-Effekt“) genannte Boom versetzte die durch eine hohe Arbeitslosigkeit belastete Industriestadt Bilbao in prosperierenden Taumel und wirkte sich auch auf das ganze Land aus. Voraussetzung war die Integration der sich über 15 Kilometer entlang der Trichtermündung des Nervión hinziehenden heterogenen Stadtteile, die zusammenhanglos wie in Wuppertal vor dem Bau der Schwebebahn kaum urbane Identität stifteten. 

Was es in Wuppertal auch nicht gibt – im Gegensatz zu Bilbao -, sind Aufzüge und Rolltreppen, um die irrwitzigen Höhenunterschiede zu überwinden. Das ist ein überaus guter Service. Besonders von der Rolltreppe im dritten Bild machten wir rege Gebrauch, denn sie führte zu unserer Wohnung.

Die Wohnung war eine Wohlfühloase – für Maulwürfe: kalt, klamm und ohne Tageslicht, mit einer Aussicht auf ein Baugerüst und eine dunkle Gasse. Zwar gab es mehrere Raumluftentfeuchter, und in allen Zimmern waren Duftspender verteiler. Doch all das half nichts, um die feuchte Tristesse zu lindern. Wir hielten uns vor allem draußen auf.

Draußen – das sind die vielen Straßen und Gassen, die Parks, der Grünstreifen entlang des Nervións, das sind die Restaurants und die Tavernen allerorten in der Stadt. Die Gassen münden auf Plätze, auf denen Kinder bis in den Abend hinein Fußball spielen. Mit wilder Ernsthaftigkeit dribbeln und schießen sie und fegen den Erwachsenen in den umliegenden Bars vino und cerveza von den Tischen. Niemand nimmt es ihnen übel. Es ist laut, es ist voll, und es ist voller Leben. Man möchte stundenlang sitzen und die Leute anschauen. Haben wir auch getan.

Zu guter Letzt: das Guggenheim-Museum. Wenn Sie mich fragen, genügt ein Blick von außen und ein Betreten des Foyers. Denn auf den Etagen: sehr viel Raum für mäßig viel Kunst, die mir wenig gegeben hat. Wahrscheinlich liegt es an mir. Ich bin nicht für moderne Kunst geschaffen; ich erkenne gerne etwas – so wie bei Lillien Grupe.

Protagonist ist jedenfalls das Gebäude. Ein wahrlich beeindruckendes Werk.


Ein Bett in Ea |  Nach zwei Tagen in Bilbao haben wir nach Ea verlegt. Wir wohnen auf einer kleinen Gehöft in den Bergen südöstlich des Dorfes. Die Unterkunft ist warm und hat Tageslicht, wir sind total begeistert.

Wohn-Schlafraum mit Bett, einem Regal, einem Sofa und einem Ofen. Es ist hell und freundlich, viel Holz, Teppich und Fliesen.

Auf dem Weg nach Ea hielten wir in Gernika. In Gernika hat die deutsche Luftwaffe für den Zweiten Weltkrieg geübt: Am 26. April 1937, während des Spanischen Bürgerkriegs, kam sie den Franco-Faschisten zur Hilfe und warf alles ab, was verprobt werden musste, vor allem Spreng-, Splitter- und Brandbomben. Die Toten waren nahezu alle Zivilisten: Männer, Frauen und Kinder in Gernika. Der Angriff hat das Dorf tief geprägt: Auf dem zentralen Platz des Ortes erinnern historische Bilder an die Zerstörung.

Noch im Jahr des Angriffs schuf Pablo Picasso das Gemälde Guernica oder die Schrecken des Krieges – eine Nachbildung aus Keramik ist in der Stadt zu sehen.

Heute hat Gernika ein Friedensmuseum, und als wir ankamen, feierte die Schule gerade ihre Abschlussklasse: Junge Menschen in Motto-T-Shirts aßen, tranken und hörten laut Musik. Wir aßen Pintxos im Stadtzentrum – eine kulinarische Tradition, die Deutschland unbedingt importieren sollte: kleine Häppchen, ausgestellt auf der Theke einer Taverne. Man bekommt einen Teller und bezahlt, was man sich nimmt. Sehr gut, sehr sättigend.

Im Museum des Baskenlandes lernte ich anschließend: Die Basken sind mit Bertsolaritza quasi die Erfinder des Poetry Slams. Na sowas!


Bettenstop für die nächsten vier Tage | Das waren nun wahrlich viele Betten in kurzer Zeit. In den nächsten Tagen bleiben wir hier vor Ort, wandern und essen Pintxos. Ich werde zu gegebener Zeit Weiteres berichten.


Gelesen | Nach vielen Wochen hat Frau Herzbruch aufgeschrieben, was ihr widerfahren ist.


Schweine | Keine Meerschweinfotos aus Spanien, dafür eine Katze. Sie wohnt hier im Haus und ist die ganze Zeit in unserer Nähe, möchte aber auf keinen Fall den Eindruck erwecken, uns irgendwie nett zu finden.

Schwarze Katze auf einer Fensterbank

Heute Nacht stand sie plötzlich in unserem Zimmer, hereingesprungen durchs gekippte Fenster, und setzte gerade an, zu uns ins warme Bett zu kommen, als wir erwachten und sie bemerkten. Mit einem dramatisch-versnobten „Ich will gar nicht hier sein, ich bin nur versehentlich durchs Fenster gefallen“-Gestus wandte sich ab in Richtung Tür und wartete missbilligend, dass wir sie hinausließen.

Blitzlichter der jüngsten Bahnreisen | Ein Quartett aus Seniorinnen; sie tragen ihr Handy an gemusterten Schnüren, posieren für Selfies, ausgelassene Stimmung. Eine Frau eilt zur Bäckerei. „Kollegin! Tüte, Kaffee“, ruft sie; die Frau hinter der Theke reicht ihr eine gefüllte Papiertüte und einen Kaffeebecher; sie sagt: „Vergessen. Wegen Kind. Kind macht alles vergessen.“ Ein Hund kackt ins Foyer des Kölner Hauptbahnhof und trottet davon. Im Zug ein Mann; er spricht in wildem Russisch mit einem anderen und beißt dabei so kraftvoll in ein Brötchen, dass die Krümel sprühen. Ein mannsgroßer Stoffpingiun sitzt neben einer Frau im Zweiersitz; er nickt beim Bremsen und Anfahren und sieht zufrieden aus.


Broterwerb und Bürgermeisterkaniddatur | Zwei Termine in zwei Städten und zwei ganz unterschiedliche Tage: einmal ging es um Teamentwicklung, der zweite Tag ging es um Künstliche Intelligenz. Christian wird im Kontext KI zum Nörgelrentner. Ich erlebe das anders; ich sehe enormes Potential, bei dem die KI nicht auf geklaute Inhalte, sondern auf eigene Unternehmensinhalte aufbaut deutliche Arbeitserleichterung bietet und Abläufe effizienter macht.

Am Wochenende habe ich ein Seminar besucht: „Mit einem kommunalen Mobilitätsmanagement die Mobilitätswende voranbringen“. Ich habe mehrere Dinge gelernt, die sich in meinem Wahlprgramm wiederfinden werden. Deshalb keine weiteren Worte hier; ich muss über einige Erkenntnisse auch noch nachdenken. Ich sehe Parallelen zu meiner aktuellen Tätigkeit, bei der es letztlich immer darum geht, Strukturen zu schaffen, um Veränderung zu ermöglichen und Dinge in die Umsetzung zu bringen.


Gelesen | Coast Road von Alan Murrin, aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll.

Roman "Coast Rad" neben einem Kaffee im Pappbecher, dahinter ein roter Regionalzug

Eine Geschichte über eine Frau, die aus der Reihe fällt – und eine Erzählung über Frauen in Irland in den 1990er Jahren, als Scheidung noch illegal war. Ein dörfliches Kammerspiel, gut zu lesen. Die Charaktere hätten noch mehr Tiefe haben können. Insgesamt aber ein sehr gefälliges Buch, gerne gelesen.

Angeguckt | Für die Seele: Balkon-Eichhörnchen.


Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste

Ich lese immer wieder fasziniert darüber, wie effektiv Du Deine beruflichen wie privaten Aktivitäten regelst. War das schon immer eine Stärke von Dir? Falls ja, hast Du Tipps für Menschen, die sich schwer tun sowohl mit dem Anfangen als auch mit dem Aufhören? (Und: ja, ich habe schon mal an Fortbildungen zum Zeitmanagement teilgenommen ;)

Ich gebe Zeitmanagement-Seminare, und das Erste, was ich den Teilnehmenden sage, ist, dass Zeitmanagement Quatsch ist. Zeit kann man nicht managen, sie vergeht einfach. Wir können nur uns selbst managen, damit wir das tun, was wichtig für uns ist, während die Zeit vergeht.

War das schon immer eine Stärke von Dir?

Ich glaube, dass ich grundsätzlich ein strukturierter Mensch bin. Jedenfalls kann ich mich an keinen Moment in meinem Leben erinnern, an dem ich meinen Kram nicht rechtzeitig beisammen oder wenigstens einen Workaround hatte. Das habe ich zuhause aus mitbekommen. Ich musste mich früh selbstständig organisieren; das haben meine Eltern so gefordert und gefördert. Zudem konnte mir schon früh niemand mehr in der Schule helfen, da ich die erste in der Familie war, die Abitur gemacht hat. Als ich 15/16 war, war ich tagsüber alleine und musste zusehen, dass ich mein Zeugs hintereinander bekam.

Falls ja, hast Du Tipps für Menschen, die sich schwer tun sowohl mit dem Anfangen als auch mit dem Aufhören?

Was meinen Umgang mit Zeit angeht, folge ich dem Kanban-Prinzip: Stop starting, start finishing. Ich bringe Vorgänge erst komplett zu Ende, bevor ich neue beginne. Heißt: Wenn ich Buchhaltung mache, dann umfasst das den gesamten Vorgang vom Scannen der Belege über die Erfassung der Einnahmen und Ausgaben bis zum Upload der XML-Datei zur Umsatzsteuervoranmeldung bei Elster.

Anderes Beispiel: Ich schreibe Rechnungen nur zum Monatswechsel, schreibe dann alle Rechnungen en bloc und versende sie gleich. Ich hänge also gleiche oder ähnliche Handlungen aneinander.

Drittes Beispiel: Wenn ich einen Workshop moderiere, erstelle ich direkt am nächsten Tag die Dokumentation und versende sie, damit der gesamte Vorgang abgeschlossen ist und ich gedanklich nicht mehr zu dem Kunden oder in die Thematik muss. Habe ich mehrere Moderationen in Reihe, dann dokumentiere und versende ich danach in Reihe. Das freut die Kunden immer, denn sie bekommen die Unterlagen zeitnah. Tatsächlich ist es für mich noch hilfreicher als für sie, denn meine Kunden und Projekte sind extrem unterschiedlich. Es erfordert viel Kraft, zwischen den Kunden und Themen zu springen.

Alle Aufgaben beginne ich maximal spät und ziehe sie dann möglichst unterbrechungsfrei durch. Dadurch muss ich mich nicht immer neu in die gleiche Sache eindenken und minimiere meine Rüstzeiten. Es ist natürlich immer ein bisschen Thrill dabei; inzwischen kann ich allerdings gut einschätzen, wie lang ich für welche Tätigkeit brauche.

Große Aufgaben schneide ich klein. Ich habe aktuell die Aufgabe „Wahlprogramm erstellen“. Dort fallen dann Aufgaben raus wie: „Grafikerin für Layout briefen“, „Text zur Mobilität schreiben“, „Text zum Thema Wohnen schreiben“, „Best Practices suchen“. Oder auch nur: „Brainstorming Mobilität / Spiegelstriche aufschreiben“. Klein und niedrigschwellig. Das hilft anzufangen.

Um aufzuhören hilft es mir zu reflektieren, ob der gewünschte Effekt erzielt wird. Ich kann natürlich hundert und drei Tage an einem Wahlprogramm oder einem Foliensatz oder einer Bachelorarbeit feilen. Ich kann aber auch einfach überlegen, ob der grundsätzliche Zweck der Sache erfüllt ist – in den Augen der „Kundschaft“, nicht in den eigenen Augen. Ich sehe natürlich immer noch zig Sachen, bei denen ich Hand anlegen könnte. Die Frage ist aber, ob sie noch wesentlich zur Verbesserung des Effekts beitragen.

Ich arbeite mit einem Kanbanboard, also einem Aufgabenboard. Jede Aufgabe ist ein einzelnes Kärtchen und wandert von links nach rechts durch die Spalten „Externes Gedächtnis“, „Arbeitsoptionen“, „Diese Woche erledigen“ und „Fertig“. Relevant ist vor allem die Spalte „Diese Woche erledigen“. Darin befinden sich maximal fünf Aufgaben, die jeweils maximal zwei Stunden umfassen. Denn ich habe für mich herausgefunden: Fünf ist die Anzahl von Aufgaben, die ich durchschnittlich in einer Woche schaffe (neben den Terminen in meinem Kalender, der Care-Arbeit und E-Mails und Anrufen, die reinkommen).

Hinzu kommt: Ich versuche, mich mit geplanter Arbeit (berufliche Terminen, Care-Arbeit und Reisezeiten) nur zur 70 Prozent auszulasten. So bleibt ausreichend Platz für Unvorhergesehenes. Diesen Platz schaffe ich mir, indem ich mir schon Wochen im Voraus Termine mit mir selbst in den Kalender lege. Das klappt nicht in allen Wochen, aber unterm Strich doch ganz gut.

All das ist aber weniger eine Frage von Werkzeugen als eine Frage der inneren Haltung. Meine Haltung ist:

  • Verbindlichkeit ist wichtiger als Schnelligkeit. Ich muss Dinge nicht sofort machen, auch nicht als Dienstleisterin; wichtiger ist es, eine verlässliche Perspektive zu geben, bis wann ich liefere.
  • Kein eindeutiges Ja ist ein Nein.
  • Ein klares Nein ist besser als ein schwammiges Ja.
  • Niemals rechtfertigen.
  • Niemals hadern.

Zudem erlebe ich immer wieder, wie wichtig es ist, Erwartungen aktiv zu steuern: Bis wann wird was genau gebraucht? Kann ich das erfüllen? Braucht es zu diesem Zeitpunkt ganze Ergebnis oder genügen Teile? Was ist die gemeinsame Erwartung ans Ergebnis? „Ich brauche keinen Foliensatz, schreiben Sie mir ein paar Gedanken in einer E-Mail zusammen“ – manchmal erwartet mein Kunde weniger, als ich tun würde, und ich kann mir Arbeit sparen.

Am Ende ist es vieles eine Sache klarer Abgrenzung und eine Kenntnis der eigenen Schwächen. Ich neige nicht zum Perfektionismus, bin aber jemand, der neugierig ist, Herausforderungen mag und gerne Gelegenheiten ergreift. Das verschafft mir regelmäßig Unmengen an Arbeit. Also versuche ich, nicht meinen Reflexen zu folgen.

Lange Antwort. Ich hoffe, es ist ein bisschen was dabei, was hilft.


Und sonst | Abendessen mit Stefanie, dazu Sushi und Suppe, ein Absacker und Übernachtung in Dortmund. Ein Spaziergang um den See. Japanisches Essen in Wuppertal. Marketing-Opfer von Fanta Frozen: Fürchterlich künstlich und süß, Kinder finden es bestimmt super.


Schweine | Die kleinen Schweine setzten sich mittlerweile hart an der Futterschale durch.

Zwei große Schweine und ein kleines an der Futterschale im Stall, dahinter eine Heuraufe.


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