Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Wieder daheim | Die Tage schreiten voran. Inzwischen bin ich wieder in Deutschland, ich habe ge-osterfrühstückt, ge-osterkaffeetrunken und es gab einen Arbeitsmontag, der in Wahrheit ein Dienstag war.

Noch ein paar Bemerknisse zum Aufenthalt im Baskenland:


Ea | Ea ist eine Stadt mit wenigen Buchstaben und auch wenig Einwohnern: 800, wenn man alle Siedlungen und Höfe mitzählt. Als es aufhörte zu regnen, stiegen wir von unserer Ermita ins Dorf hinunter. Im Baskenland regnet es viel und oft, 1150 Millimeter an 186 Tagen im Jahr. Zum Vergleich: In Hamburg regnet es an 716 Millimeter an 133 Tagen. Es regnet also wirklich oft und viel.

Wir gingen hinunter ins Dorf, das, obwohl es klein ist, mal zwei Dörfer war und deshalb zwei Kirchen hat. Ea hat einen kleinen Fluss, keinen Lebensmittelladen und keinen Arzt, dafür sechs Tavernen. Welch ein Statement!

Verschachtelte Häuser links und rechts eines Baches, über den eine kleine steinerne Brücke führt

Das ganze Dorf läuft entlang des Flusses auf eine Bucht zu. In der Bicht sind links und rechts grüne Hänge, in der Mitte der Strand. Die Szene hat etwas Tropisches.

Am einem Strand stehen die Metallbuchstaben EA. Die kleine Bucht liegt zwischen grünen Bergen.

Am Strand, das Dorf im Rücken, gibt es einen Unterstand. Im Unterstand lagen vier oder fünf Jungs in fortgeschrittener Adoleszenz. Schlafsäcke, Isomatten, Colaflaschen. Der süße Duft von Gras. Die Stimmung war heiter.

Ea ist Baskenland, das Baskische findet sich in allen Ecken. Ein Hauch von Renitenz liegt über dem Dorf, in den Gassen, zwischen den Häusern. Über Türen und aus Fenstern hängen Transparente. Etxera steht dort in schwarzer Schrift: zwei Pfeile, die aufeinander zulaufen. Etxera, das baskische Wort für „nach Hause“.

Es steht für die Forderung, die 350 Mitglieder der ETA, die noch in spanischen Gefängnissen sitzen – in Einrichtungen weit außerhalb des Baskenlandes -, in die Heimat zu verlegen. Ihre Angehörigen, so ist zu lesen, führen viele hundert Kilometer, um sie zu besuchen. Einige seien bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen.

Außerdem überall zu sehen: die Transparente gegen das zweite Guggenheim-Museum. Urdaibai ez dago salgai steht dort, Urdaibai steht nicht zum Verkauf. Die baskische Regierung und der Aufsichtsrat des Guggenheim-Museums in Bilbao planen nämlich, den Guggenheim-Effekt zu verdoppeln: Im Biosphären-Reservat Urdaibai soll ein zweiter Museumskomplex entstehen, dazu eine lange Spazierbrücke für die vielen zu erwartenden Besucher. In den Dörfern der Gegend findet sich niemand, der dafür ist.

Hintergrund dazu gibt es im Podast Natürliche Ausrede, die Folge mit Klaus Armbruster, ein aus Bremen stammender Sozialwissenschaftler, der seinen Lebensmittelpunkt ins Baskenland verlegt hat. Auch über die Guggenheim-Thematik hinaus sind das sehr erkenntnisreiche zwei Stunden, die ich gerne gehört habe und hiermit weiterempfehle.

Wir suchten eine der sechs Tavernen auf, holten uns an der Theke Pintxos und setzten uns vor die Kneipe an die Straße. Nach einer Weile fielen uns die Poster hinter uns an der Wand auf: Scherenschnitte weiblicher Personen mit baskischem Text. Ich bemühte die Übersetzungs-App.

Es sind die Feminizide des Baskenlandes. Genannt sind der Name des Opfers, sein Alter und wer der Täter war: der Partner, der Ex-Partner, ein Bekannter.


Fest und flyschig | Zwischen Deba und Zumaia, an der Küste des Baskenlandes, gibt es Gesteinsformationen, so gestapelt und geschichtet wie meine Papierablage 2006, bevor ich die Steuererklärung der vergangenen drei Jahre anging.

66 Millionen Jahre Erdgeschichte, geschichtet, geschoben und gedrückt.

Die Landschaft an der Küste ist eine Mischung aus Sauerland und Grafschaft Kork: wellig, sattgrün und voller Kühe, die mit Wanderern spielen wollen. „Folgen Sie dem Auf und Ab“, steht mehrmals im Wanderführer. „Wir wandern einen Weidezaun entlang.“ Und: „Neuerlich erreichen wir ein Weidetor.“

Rother Wanderführer Baskenland, Tour 14: Entlang der Flyschküste von Deba nach Zumaia

  • Entfernung: 15,5 Kilometer
  • Höhenmeter: 700
  • reine Gehzeit: 5 Stunden 30 Minuten, mit Pausen und Staunen 8 Stunden
  • Rückfahrt mit dem Zug

Die Rückfahrt mit dem Zug kostete 1,90 Euro: Fünfzehn Minuten von Zumaia zurück nach Deba. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist im Baskenland ausnehmend preiswert. Egal, ob wir die U-Bahn in Bilbao oder den Euskotren zwischen den kleinen Städten nutzten – wir zahlten nur einen Bruchteil des deutschen Preises. Am letzten Tag fuhren wir für 2,90 Euro von San Sebastian zum französischen Bahnhof in Hendaye – eine Entfernung, vergleichbar mit Preisstufe B im Ruhrgebiet. Die kostet 7,90 Euro.


Sibirische Kälte | Bevor wir nach San Sebastian wechselten, machten wir einen Abstecher nach Vitoria-Gasteiz, der Hauptstadt des Baskenlandes. Die Basken nennen die Stadt auch Siberia-Gasteiz, Sibirisch Gasteiz, wegen der Lage auf der Hochebene, 540 Meter, Jahresdurchschnittstemperatur elf Grad. Immerhin eineinhalb Grad wärmer als in Hamburg, aber das half im konkreten Fall nichts: Als wir dort ankamen, brach ein Wolkenbruch los, der fürderhin nicht mehr aufhörte. Strömender Regen bei sechs Grad Celsius, wir froren bis ins Mark, die Stadt charmant wie Hagen an einem Februarmorgen.

Wir taten das, was man im Baskenland tut: Wir kehrten erstmal in eine Taverne ein und aßen Pintxos. Der Reiseleiter fand heraus, dass es in der Stadt ein Terrorrmuseum gibt. Wir sahen uns Autobomben an. Dann fuhren wir wieder heim.

Platz mit einem Schriftzug aus Gras "Vitor Gasteiz!". Über den Platz laufen in Jacken eingewickelte Menschen.

Nein, das ist etwas verknappt und wird dem Museum nicht gerecht: Das Terrormuseum von Vitora-Gasteiz ist wirklich sehenswert (und kostenlos). Es zeigt die Geschichte der ETA und die jüngste Historie islamistischer Terrorangriffe auf die spanische Gesellschaft. Ich habe viel gelernt, insbesondere über die Historie der ETA – sie entstand in der Franco-Diktatur und war zu Beginn insofern teillegitim, als dass sie sich gegen ein diktatorisches Regime richtete – und die Rolle Frankreichs im Kampf gegen die Organisation. Das baskische Frankreich verhielt sich zunächst neutral und ließ Spanien mit der ETA allein; es handele sich um ein spanisches Problem, hieß es von jenseits der Grenze – mit der Konsequenz, dass die Terroristen in Frankreich unterschlüpften. Erst mit dem Fortschreiten der Jahre beteiligte sich Frankreich am Kampf gegen die ETA, was letztlich in ihrer Zerschlagung und Auflösung mündete.


Donostia – San Sebastian | Im Gegensatz zu Vitoria-Gasteiz kann man sich für San Sebastian einfach erwärmen. Es ist eine Stadt, die sofort das Herz erobert: sonnig, fröhlich, mit Strand und Meer, Musikanten auf der Promenade und Wellenreitern auf dem Wasser.

Es ist wenig so beruhigend wie das Schauen auf Wellen – Wellen, die gegen Steine schlagen. „Das wird eine große Welle“, denkt das Gehirn, fiebert mit und – ach, nein, doch nicht. Aber jetzt, ja, die da vorne, die kommt gut – Wahnsinn, wie die schäumt! Sanftes Schwappen. Da kommt wieder eine, Bämm! Und die nächste. Verfängt sich zwischen den Steinen. Das Wasser wirbelt. Fantastisch!

Desgleichen die Wellenreiter am Abend. Von Wellenreitern hatte ich bislang einen dynamischen Eindruck: Männer und Frauen, die gehockt auf Brettern stehen und in hoher Geschwindigkeit über Wellenkämme gleiten, Athletik mit meernassem Haar. Tatsächlich, so konnte ich beobachten, besteht Wellenreiten im Wesentlichen daraus, auf seinem Brett zu liegen wie eine Robbe und auf eine passende Welle zu warten, die lange nicht kommt. Wenn sie dann kommt, kommt man nicht schnell genug hoch in die Senkrechte, weshalb man weiter warten muss.

Ab und zu stand aber doch ein Wellenreiter auf und ritt ein Stück. Das Ganze ist so dermaßen entschleunigend, ich fühlte mich komplett abgeholt von diesem Sport.

In San Sebastian wurde ich krank. Ich bekam eine monumentale Bronchitis und einen Schnupfen, der den ganzen Kopf verstopfte. Ich litt angemessen fürchterlich.


Hendaye | Den letzten Tag der Reise verbrachten wir in Hendaye, Frankreich. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie auf wenigen Kilometern, mit dem Schritt über eine Grenze, die Sprache wechselt. Auch gibt es mit einem Mal keine Tavernen und keine Pintxos mehr. Auch keine Hochhäuser. Stattdessen deutlich höhere Preise.

Wir verbrachten einen Tag am Strand, nickten ein, lasen und beobachteten Unterrichtsstunden im Wellenreiten. Familien bauten Sandburgen. Kinder quengelten nach Eis. Junge Männer beim Strandfußball. Alte Männer mit Lederhaut beim Sonnenbad.


Rückreise | Die Rückreise war einerseits beeindruckend reibungslos – 1.400 Kilometer durch Europa in zwölf Stunden, alles war pünktlich und flutschte – und andererseits überraschend unkomfortabel.

TGV am frühmorgendlichen Bahnhof von Hendaye

Sowohl TGV als auch Eurostar sind nicht für große Menschen mit langen Beinen gebaut. Als dann noch durchgehend die Klimaanlagen versagten, war es nicht nur eng und orthopädisch fragwürdig, sondern brachte mich in einen Zustand, in dem ich mich nur noch monoton vor- und zurückwiegen wollte – wenn denn Platz gewesen wäre. Der Schnupfenschädel tat sein Übriges.

Fazit zum Verkehrsmittel allerdings: Kann man gut machen. Die Bahnfahrt verlief sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg völlig problemfrei, der Wechsel der Landschaften war wohltuend entschleunigend.


Schweine | Die Neigungsgruppe Löwenzahn genießt die beste Zeit des Jahres:

Vier Meerschweine vor einem Berg Löwenzahn, fressend

Aus der Ermita | Die vergangenen acht Nächte habe ich in sechs verschiedenen Betten verbracht. Allerdings immer mit demselben Mann, mitunter auch gänzlich ohne Begleitung. Deshalb habe ich eine Menge zu erzählen. Schnallen Sie sich an, es geht los.

Aktuell sitze ich am Fenster der Ermita de San Bartolomé und schaue in den Regen.

Im Vordergrund das Dach eine kleinen Hauses und ein Baum mit blauen Blüten, im Hintergrund regen- und nebenverhangene, bewaldete Berge

Hinter den Bergen und hinter dem Nebel ist das Meer, eine Bucht im Dorf Ea an der spanischen Biskaya. Das Dorf hat einen Friedhof, zwei Kirchen und sechs Tavernen, aber keinen Arzt und keinen Bäcker. Für Lebensmittel muss man dreißig Minuten über kurvige Landstraßen fahren.

Aber beginnen wir von vorn. Das macht es einfacher.


Ein Bett in Hannover | Die erste der vergangenen sechs Nächte, die ich in einem der unterschiedlichen Betten schlief, verbrachte ich fernab von Spanien in Hannover – Arbeitswochenende meines Agora Club Tangent. Einmal im Jahr geht zu für zwei Tage irgendwohin, um die Freundschaft untereinander zu pflegen, Kultur zu genießen und gegebenenfalls andere Clubs zu treffen. Ziel des Agora Club Tangent ist die Vertiefung von Kontakten unter Frauen, national und international.

Dieses Jahr war ich die Organisatorin des Ausflugs. Ich buchte uns in die Gästeresidenz im Hannoveraner Pelikanviertel ein und organisierte eine Führung zur Firmengeschichte von Pelikan. Das Thema stand mir nahe, denn ich hatte damals mit einem roten Pelikano schreiben gelernt – zu einer Zeit, in der es noch keines Füllerführerschein bedurfte. Die Damen des Clubs, mich eingeschlossen, sind alle in einem Alter, in dem wir gerne in Reminiszenzen an unsere Kindheit schwelgen. Eine Reise ins eigene Federmäppchen sollte also grad das Richtige sein.

In der Tat war es ein interessanter Rundgang – speziell in Hinblick auf die Wirtschaftsgeschichte der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte. Pelikan, so lernte ich, wurde einst mit der Industrialisierung groß. Als zunehmend Stahl, Maschinen und Chemieprodukte hergestellt wurden, brauchte es gleichermaßen Tinte, Schreibbänder und Kohlepapier, um die Korrespondenz abzuwickeln. Die Firma wuchs und wuchs – und mit ihr der Platzbedarf: Der Bau des Firmensitzes in der Hannoveraner List war damals die größte Stahlbetonbaustelle Europas.

Backsteinfassade des Pelikangebäude ins Hannover

Man erfand die dokumentenechte Tinte (4001), kleckssichere Tintenleiter und die Kolbenfüllmechanik mit Differentialgetriebe. Die Produkte von Pelikan entwickelten sich allerdings nicht nur mit der Industrialisierung, sondern auch mit dem Zeitgeist. Der Tuschkasten, den ich auch in der Schule benutzte, gab es seit den 1930er Jahren. Es war der erste Wasserfarbkasten speziell für Kinder. Sämtliche Modelle davor richteten sich ausschließlich an professionelle Maler. Mit meinem Farbkasten setzte Pelikan auf eine pädagogische Idee, die damals neu war: Dass Kindheit eine Lebensphase ist, die frei von Arbeit sein soll und ausschließlich dem Lernen und der Entfaltung dient. Mit dem Malkasten für Kinder kamen auch die Wachsmalstifte im Metallkasten.

1. Farbenkasten mit Deckfarben 1930

Halten wir fest: Ich bin nun also in einem Alter, in dem Alltagsgegenstände aus meiner Kindheit in Museen ausgestellt werden.

Heute gibt es in Hannover nur noch einen kleinen Werksverkauf im Pelikan-Tintenturm und die Führungen durch den geschichtsträchtigen Saal, in dem erst die Lateinische und dann die Vereinfachte Ausgangsschrift entwickelt wurden. Die Firma Pelikan gehört nach turbulenten Zeiten zur französischen Groupe Hamelin, die auch den gesamten Vertrieb übernommen hat.

Im Anschluss führte uns der Weg zu Feinkunst e.V. und dort zur Austellung der Malerin Lillien Grupe. Die Bilder gefielen mir außerordentlich gut. Nicht nur, weil ich realistische Malerei mag, sondern weil ihre Bilder Themen unserer Zeit aufgreifen und viel Interpretationsspielraum lassen.


Ein Bett in Haltern und eins in Köln | Nachdem ich in Hannover war, verbrachte ich zwei Nächte daheim. Dann brachen der Reiseleiter und ich nach Köln auf, für eine Nacht im Hotel Ibis im Bahnhof. Am nächsten Morgen wollten wir sehr früh am Bahngleis sein.

Die Nachtruhe war begleitet von den Lebensäußerungen vielfältiger Trunkenbolde. Als mir morgens um Fünf das Hotelduschgel „Rock you Body!“ entgegenschrie, lag mir nichts ferner. Im Zug aß ich ein Birchermüsli mit der Aufschrift „Funk’n’Fit“ und schlief danach sofort ein. Kein Rock, kein Funk, nur ein nach vorne kippender Kopf in den engen Sitzreihen des Eurostar nach Paris.

In Paris wechselten wir den Bahnhof und fuhren weiter Richtung französisch-spanische Grenze. Erst 600 Kilometer bis Bordeaux – eine Fahrt von lediglich zweieinviertel Stunden, sehr beeindruckend -, dann weiter bis nach Biarritz, wo wir außerplanmäßig aus dem Zug entlassen wurden: Durch einen Oberleitungsschaden hatte er zu viel Verspätung eingefahren. Als geübte Bahnfahrer fühlten wir uns ganz wie zuhause. Die Pofalla-Wende – man praktiziert sie also auch in Frankreich.

Blick unter Bedachung eines Gleises hervor auf Häuser und eine Straße, im Vordergrund das Bahnhofsspild von Biarritz

Mit dem Regionalzug ging es weiter.


Ein Bett in Irún | Auf der Fahrt durch Frankreich war ich mehrmals eingenickt, so dass ich funk’n’fit am Ziel in Hendaye ankam. Wir gingen zu Fuß hinüber nach Spanien – man muss lediglich eine Brücke über den Grenzfluss Bidasoa überqueren -, schauten in einer Taverne die Niederlage des BVB beim FC Barcelona und übernachteten in einem historischen Hotel in Irún.


Ein Bett in Bilbao | Am nächsten Tag ging es weiter nach Bilbao. Falls ich in Zukunft je wieder auf die Idee kommen sollte, mit einem Fernbus fahren zu wollen, erinnern Sie mich bitte an die Busfahrt dorthin. Sie dauerte zwei Stunden, und ich verbrachte sie größtenteils liegend, denn mein Sitz war defekt. Immer, wenn ich die Rückenlehne hochstellte, senkte sie sich schleichend wieder nach hinten, bis ich dalag wie ein gestrandeter See-Elefant. Meine Fußspitzen waren in der Enge der Sitzreihe verkeilt, in meine Kniescheibe bohrte sich ein Haltegriff.

Es war ein Doppelstockbus. Wir hatten den Platz oben, direkt vorne hinter der großen Frontscheibe. Dennoch sahen wir nichts: Die Scheibe war flächig bedeckt mit Insektenleichen vergangener Jahrzehnte. So lag ich also im schwankenden Bus, festgeklemmt und die Augen geschlossen, denn zu sehen gab es ja nichts. Man fuhr mich durch baskische Industriegebiete, und ich wartete, zart reisekrank, dass die Fahrt vorüberging.

Die nächsten zwei Tage verbrachten wir in Bilbao. Die Stadt erinnerte mich erheblich an Wuppertal: ein Tal, ein Fluss und tiefe, sich am Wasser entlang ziehende Häuserschluchten.

Blick von einem Hügel auf Bilbao

In Bilbao sieht man allerdings, was in Wuppertal möglich wäre, wenn es nicht Wuppertal wäre, sondern in Spanien läge, wenn es ein paar mehr Palmen gäbe und wenn Norman Foster und die Guggenheim-Stiftung vorbeikämen. Erstaunlicherweise nimmt der Wikipedia-Artikel über Bilbao sogar Bezug zu Wuppertal:

Allerdings gelang es der Stadt nach dem Höhepunkt der Krise im Jahr 1985, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten zu diversifizieren und seit Anfang der 1990er Jahre vom Image einer hässlichen, grauen, schmutzigen Industriestadt loszukommen, das ihr jahrzehntelang anhing.

Der inzwischen Bilbao-Effekt (auch: „Guggenheim-Effekt“) genannte Boom versetzte die durch eine hohe Arbeitslosigkeit belastete Industriestadt Bilbao in prosperierenden Taumel und wirkte sich auch auf das ganze Land aus. Voraussetzung war die Integration der sich über 15 Kilometer entlang der Trichtermündung des Nervión hinziehenden heterogenen Stadtteile, die zusammenhanglos wie in Wuppertal vor dem Bau der Schwebebahn kaum urbane Identität stifteten. 

Was es in Wuppertal auch nicht gibt – im Gegensatz zu Bilbao -, sind Aufzüge und Rolltreppen, um die irrwitzigen Höhenunterschiede zu überwinden. Das ist ein überaus guter Service. Besonders von der Rolltreppe im dritten Bild machten wir rege Gebrauch, denn sie führte zu unserer Wohnung.

Die Wohnung war eine Wohlfühloase – für Maulwürfe: kalt, klamm und ohne Tageslicht, mit einer Aussicht auf ein Baugerüst und eine dunkle Gasse. Zwar gab es mehrere Raumluftentfeuchter, und in allen Zimmern waren Duftspender verteiler. Doch all das half nichts, um die feuchte Tristesse zu lindern. Wir hielten uns vor allem draußen auf.

Draußen – das sind die vielen Straßen und Gassen, die Parks, der Grünstreifen entlang des Nervións, das sind die Restaurants und die Tavernen allerorten in der Stadt. Die Gassen münden auf Plätze, auf denen Kinder bis in den Abend hinein Fußball spielen. Mit wilder Ernsthaftigkeit dribbeln und schießen sie und fegen den Erwachsenen in den umliegenden Bars vino und cerveza von den Tischen. Niemand nimmt es ihnen übel. Es ist laut, es ist voll, und es ist voller Leben. Man möchte stundenlang sitzen und die Leute anschauen. Haben wir auch getan.

Zu guter Letzt: das Guggenheim-Museum. Wenn Sie mich fragen, genügt ein Blick von außen und ein Betreten des Foyers. Denn auf den Etagen: sehr viel Raum für mäßig viel Kunst, die mir wenig gegeben hat. Wahrscheinlich liegt es an mir. Ich bin nicht für moderne Kunst geschaffen; ich erkenne gerne etwas – so wie bei Lillien Grupe.

Protagonist ist jedenfalls das Gebäude. Ein wahrlich beeindruckendes Werk.


Ein Bett in Ea |  Nach zwei Tagen in Bilbao haben wir nach Ea verlegt. Wir wohnen auf einer kleinen Gehöft in den Bergen südöstlich des Dorfes. Die Unterkunft ist warm und hat Tageslicht, wir sind total begeistert.

Wohn-Schlafraum mit Bett, einem Regal, einem Sofa und einem Ofen. Es ist hell und freundlich, viel Holz, Teppich und Fliesen.

Auf dem Weg nach Ea hielten wir in Gernika. In Gernika hat die deutsche Luftwaffe für den Zweiten Weltkrieg geübt: Am 26. April 1937, während des Spanischen Bürgerkriegs, kam sie den Franco-Faschisten zur Hilfe und warf alles ab, was verprobt werden musste, vor allem Spreng-, Splitter- und Brandbomben. Die Toten waren nahezu alle Zivilisten: Männer, Frauen und Kinder in Gernika. Der Angriff hat das Dorf tief geprägt: Auf dem zentralen Platz des Ortes erinnern historische Bilder an die Zerstörung.

Noch im Jahr des Angriffs schuf Pablo Picasso das Gemälde Guernica oder die Schrecken des Krieges – eine Nachbildung aus Keramik ist in der Stadt zu sehen.

Heute hat Gernika ein Friedensmuseum, und als wir ankamen, feierte die Schule gerade ihre Abschlussklasse: Junge Menschen in Motto-T-Shirts aßen, tranken und hörten laut Musik. Wir aßen Pintxos im Stadtzentrum – eine kulinarische Tradition, die Deutschland unbedingt importieren sollte: kleine Häppchen, ausgestellt auf der Theke einer Taverne. Man bekommt einen Teller und bezahlt, was man sich nimmt. Sehr gut, sehr sättigend.

Im Museum des Baskenlandes lernte ich anschließend: Die Basken sind mit Bertsolaritza quasi die Erfinder des Poetry Slams. Na sowas!


Bettenstop für die nächsten vier Tage | Das waren nun wahrlich viele Betten in kurzer Zeit. In den nächsten Tagen bleiben wir hier vor Ort, wandern und essen Pintxos. Ich werde zu gegebener Zeit Weiteres berichten.


Gelesen | Nach vielen Wochen hat Frau Herzbruch aufgeschrieben, was ihr widerfahren ist.


Schweine | Keine Meerschweinfotos aus Spanien, dafür eine Katze. Sie wohnt hier im Haus und ist die ganze Zeit in unserer Nähe, möchte aber auf keinen Fall den Eindruck erwecken, uns irgendwie nett zu finden.

Schwarze Katze auf einer Fensterbank

Heute Nacht stand sie plötzlich in unserem Zimmer, hereingesprungen durchs gekippte Fenster, und setzte gerade an, zu uns ins warme Bett zu kommen, als wir erwachten und sie bemerkten. Mit einem dramatisch-versnobten „Ich will gar nicht hier sein, ich bin nur versehentlich durchs Fenster gefallen“-Gestus wandte sich ab in Richtung Tür und wartete missbilligend, dass wir sie hinausließen.

Blitzlichter der jüngsten Bahnreisen | Ein Quartett aus Seniorinnen; sie tragen ihr Handy an gemusterten Schnüren, posieren für Selfies, ausgelassene Stimmung. Eine Frau eilt zur Bäckerei. „Kollegin! Tüte, Kaffee“, ruft sie; die Frau hinter der Theke reicht ihr eine gefüllte Papiertüte und einen Kaffeebecher; sie sagt: „Vergessen. Wegen Kind. Kind macht alles vergessen.“ Ein Hund kackt ins Foyer des Kölner Hauptbahnhof und trottet davon. Im Zug ein Mann; er spricht in wildem Russisch mit einem anderen und beißt dabei so kraftvoll in ein Brötchen, dass die Krümel sprühen. Ein mannsgroßer Stoffpingiun sitzt neben einer Frau im Zweiersitz; er nickt beim Bremsen und Anfahren und sieht zufrieden aus.


Broterwerb und Bürgermeisterkaniddatur | Zwei Termine in zwei Städten und zwei ganz unterschiedliche Tage: einmal ging es um Teamentwicklung, der zweite Tag ging es um Künstliche Intelligenz. Christian wird im Kontext KI zum Nörgelrentner. Ich erlebe das anders; ich sehe enormes Potential, bei dem die KI nicht auf geklaute Inhalte, sondern auf eigene Unternehmensinhalte aufbaut deutliche Arbeitserleichterung bietet und Abläufe effizienter macht.

Am Wochenende habe ich ein Seminar besucht: „Mit einem kommunalen Mobilitätsmanagement die Mobilitätswende voranbringen“. Ich habe mehrere Dinge gelernt, die sich in meinem Wahlprgramm wiederfinden werden. Deshalb keine weiteren Worte hier; ich muss über einige Erkenntnisse auch noch nachdenken. Ich sehe Parallelen zu meiner aktuellen Tätigkeit, bei der es letztlich immer darum geht, Strukturen zu schaffen, um Veränderung zu ermöglichen und Dinge in die Umsetzung zu bringen.


Gelesen | Coast Road von Alan Murrin, aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll.

Roman "Coast Rad" neben einem Kaffee im Pappbecher, dahinter ein roter Regionalzug

Eine Geschichte über eine Frau, die aus der Reihe fällt – und eine Erzählung über Frauen in Irland in den 1990er Jahren, als Scheidung noch illegal war. Ein dörfliches Kammerspiel, gut zu lesen. Die Charaktere hätten noch mehr Tiefe haben können. Insgesamt aber ein sehr gefälliges Buch, gerne gelesen.

Angeguckt | Für die Seele: Balkon-Eichhörnchen.


Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste

Ich lese immer wieder fasziniert darüber, wie effektiv Du Deine beruflichen wie privaten Aktivitäten regelst. War das schon immer eine Stärke von Dir? Falls ja, hast Du Tipps für Menschen, die sich schwer tun sowohl mit dem Anfangen als auch mit dem Aufhören? (Und: ja, ich habe schon mal an Fortbildungen zum Zeitmanagement teilgenommen ;)

Ich gebe Zeitmanagement-Seminare, und das Erste, was ich den Teilnehmenden sage, ist, dass Zeitmanagement Quatsch ist. Zeit kann man nicht managen, sie vergeht einfach. Wir können nur uns selbst managen, damit wir das tun, was wichtig für uns ist, während die Zeit vergeht.

War das schon immer eine Stärke von Dir?

Ich glaube, dass ich grundsätzlich ein strukturierter Mensch bin. Jedenfalls kann ich mich an keinen Moment in meinem Leben erinnern, an dem ich meinen Kram nicht rechtzeitig beisammen oder wenigstens einen Workaround hatte. Das habe ich zuhause aus mitbekommen. Ich musste mich früh selbstständig organisieren; das haben meine Eltern so gefordert und gefördert. Zudem konnte mir schon früh niemand mehr in der Schule helfen, da ich die erste in der Familie war, die Abitur gemacht hat. Als ich 15/16 war, war ich tagsüber alleine und musste zusehen, dass ich mein Zeugs hintereinander bekam.

Falls ja, hast Du Tipps für Menschen, die sich schwer tun sowohl mit dem Anfangen als auch mit dem Aufhören?

Was meinen Umgang mit Zeit angeht, folge ich dem Kanban-Prinzip: Stop starting, start finishing. Ich bringe Vorgänge erst komplett zu Ende, bevor ich neue beginne. Heißt: Wenn ich Buchhaltung mache, dann umfasst das den gesamten Vorgang vom Scannen der Belege über die Erfassung der Einnahmen und Ausgaben bis zum Upload der XML-Datei zur Umsatzsteuervoranmeldung bei Elster.

Anderes Beispiel: Ich schreibe Rechnungen nur zum Monatswechsel, schreibe dann alle Rechnungen en bloc und versende sie gleich. Ich hänge also gleiche oder ähnliche Handlungen aneinander.

Drittes Beispiel: Wenn ich einen Workshop moderiere, erstelle ich direkt am nächsten Tag die Dokumentation und versende sie, damit der gesamte Vorgang abgeschlossen ist und ich gedanklich nicht mehr zu dem Kunden oder in die Thematik muss. Habe ich mehrere Moderationen in Reihe, dann dokumentiere und versende ich danach in Reihe. Das freut die Kunden immer, denn sie bekommen die Unterlagen zeitnah. Tatsächlich ist es für mich noch hilfreicher als für sie, denn meine Kunden und Projekte sind extrem unterschiedlich. Es erfordert viel Kraft, zwischen den Kunden und Themen zu springen.

Alle Aufgaben beginne ich maximal spät und ziehe sie dann möglichst unterbrechungsfrei durch. Dadurch muss ich mich nicht immer neu in die gleiche Sache eindenken und minimiere meine Rüstzeiten. Es ist natürlich immer ein bisschen Thrill dabei; inzwischen kann ich allerdings gut einschätzen, wie lang ich für welche Tätigkeit brauche.

Große Aufgaben schneide ich klein. Ich habe aktuell die Aufgabe „Wahlprogramm erstellen“. Dort fallen dann Aufgaben raus wie: „Grafikerin für Layout briefen“, „Text zur Mobilität schreiben“, „Text zum Thema Wohnen schreiben“, „Best Practices suchen“. Oder auch nur: „Brainstorming Mobilität / Spiegelstriche aufschreiben“. Klein und niedrigschwellig. Das hilft anzufangen.

Um aufzuhören hilft es mir zu reflektieren, ob der gewünschte Effekt erzielt wird. Ich kann natürlich hundert und drei Tage an einem Wahlprogramm oder einem Foliensatz oder einer Bachelorarbeit feilen. Ich kann aber auch einfach überlegen, ob der grundsätzliche Zweck der Sache erfüllt ist – in den Augen der „Kundschaft“, nicht in den eigenen Augen. Ich sehe natürlich immer noch zig Sachen, bei denen ich Hand anlegen könnte. Die Frage ist aber, ob sie noch wesentlich zur Verbesserung des Effekts beitragen.

Ich arbeite mit einem Kanbanboard, also einem Aufgabenboard. Jede Aufgabe ist ein einzelnes Kärtchen und wandert von links nach rechts durch die Spalten „Externes Gedächtnis“, „Arbeitsoptionen“, „Diese Woche erledigen“ und „Fertig“. Relevant ist vor allem die Spalte „Diese Woche erledigen“. Darin befinden sich maximal fünf Aufgaben, die jeweils maximal zwei Stunden umfassen. Denn ich habe für mich herausgefunden: Fünf ist die Anzahl von Aufgaben, die ich durchschnittlich in einer Woche schaffe (neben den Terminen in meinem Kalender, der Care-Arbeit und E-Mails und Anrufen, die reinkommen).

Hinzu kommt: Ich versuche, mich mit geplanter Arbeit (berufliche Terminen, Care-Arbeit und Reisezeiten) nur zur 70 Prozent auszulasten. So bleibt ausreichend Platz für Unvorhergesehenes. Diesen Platz schaffe ich mir, indem ich mir schon Wochen im Voraus Termine mit mir selbst in den Kalender lege. Das klappt nicht in allen Wochen, aber unterm Strich doch ganz gut.

All das ist aber weniger eine Frage von Werkzeugen als eine Frage der inneren Haltung. Meine Haltung ist:

  • Verbindlichkeit ist wichtiger als Schnelligkeit. Ich muss Dinge nicht sofort machen, auch nicht als Dienstleisterin; wichtiger ist es, eine verlässliche Perspektive zu geben, bis wann ich liefere.
  • Kein eindeutiges Ja ist ein Nein.
  • Ein klares Nein ist besser als ein schwammiges Ja.
  • Niemals rechtfertigen.
  • Niemals hadern.

Zudem erlebe ich immer wieder, wie wichtig es ist, Erwartungen aktiv zu steuern: Bis wann wird was genau gebraucht? Kann ich das erfüllen? Braucht es zu diesem Zeitpunkt ganze Ergebnis oder genügen Teile? Was ist die gemeinsame Erwartung ans Ergebnis? „Ich brauche keinen Foliensatz, schreiben Sie mir ein paar Gedanken in einer E-Mail zusammen“ – manchmal erwartet mein Kunde weniger, als ich tun würde, und ich kann mir Arbeit sparen.

Am Ende ist es vieles eine Sache klarer Abgrenzung und eine Kenntnis der eigenen Schwächen. Ich neige nicht zum Perfektionismus, bin aber jemand, der neugierig ist, Herausforderungen mag und gerne Gelegenheiten ergreift. Das verschafft mir regelmäßig Unmengen an Arbeit. Also versuche ich, nicht meinen Reflexen zu folgen.

Lange Antwort. Ich hoffe, es ist ein bisschen was dabei, was hilft.


Und sonst | Abendessen mit Stefanie, dazu Sushi und Suppe, ein Absacker und Übernachtung in Dortmund. Ein Spaziergang um den See. Japanisches Essen in Wuppertal. Marketing-Opfer von Fanta Frozen: Fürchterlich künstlich und süß, Kinder finden es bestimmt super.


Schweine | Die kleinen Schweine setzten sich mittlerweile hart an der Futterschale durch.

Zwei große Schweine und ein kleines an der Futterschale im Stall, dahinter eine Heuraufe.

Gesundheit |  Gutes Allgemeinbefinden, ich kann nicht klagen. Ich erkläre meine Rekonvaleszenz für abgeschlossen. Allerdings fehlt es zum Ende des Winters an Fitness. Zwar fahre ich das ganze Jahr über Fahrrad, aber natürlich keine langen Strecken. Dafür ist es zu kalt. Schwimmen war ich auch nicht allzu oft: Das Hallenbad ist oft voll, und ich bin einfach keine Indoorschwimmerin. Ich freue mich aufs Frühjahr, auf längere Abende und wärmeres Wetter.


Bürgermeisterkandidatur | Aktuell ist Sitzungsperiode in Haltern am See. In den Abendstunden besuche ich kommunale Ausschusssitzungen und setze mich dort auf die Besuchertribüne. Ich möchte einen Überblick über die Themen bekommen und die Gepflogenheiten kennenlernen. Bei allen meinen Besuchen war nicht nur interessant, was behandelt wurde, sondern auch: wie. Das war aufschlussreich.

Blick vom Balkon des Ratssaals auf die Stadt:

Im Vordergrund ein Park in der Abendbeleuchtung. Im Hintergrund die Silhouette einer Altstadt

Ich habe die Ausschusssitzungen ver-reelt – sagt man das so? Jedenfalls habe ich Dinge auf Video ins Internet gesprochen. Sie können das auf Instagram und auf TikTok anschauen, wenn es Sie interessiert. Ich bin der Meinung: Kommunalpolitik muss mehr Transparenz zeigen, mehr erklären, nahbar sein. Bauvorhaben, Stadtentwicklung, finanzpolitische Entscheidungen – all das betrifft die Menschen in der Stadt unmittelbar, ist aber oftmals komplizierter, als der gesunde Menschenverstand vermuten lässt. Es gibt viele Abhängigkeiten rechtlicher, organisatorischer und technischer Art; Abläufe, Entscheidungen und die Dauer von Vorgängen sind unverständlich. Die Menschen fühlen sich abgekoppelt von dem, was im Rathaus passiert. Das wird den Mitarbeitenden in der Verwaltung nicht gerecht und ist schlecht für unsere Demokratie. Das möchte ich ändern. Dafür braucht es einen neuen Stil an der Stadtspitze, denn sowas muss von oben angestoßen werden.

Nach-Ausschuss-Eis:

Ein Becher Eis vor einem historischen Rathaus. Die Fenster sind bunt beleuchtet. Es ist Abend.

Broterwerb | Das Geschäft läuft schleppender als sonst. Möglicherweise liegt es an meiner Kandidatur – dass die Leute denken, ich habe jetzt keine Zeit mehr. Möglicherweise ist es auch nur eine normale Wellenbewegung: Nachdem ich im vergangenen Jahr gar nicht so viel arbeiten konnte, wie ich angefragt wurde, erlebe ich nun viele Kunden zögerlich und im Umbruch. Manche haben erst jetzt ihre Budgets fürs Jahr finalisiert und gehen in die Planung von Vorhaben, Mitarbeiterentwicklung, Workshops und Beratungsleistungen. Andere beschäftigen sich gerade stark mit sich selbst und treffen Richtungsentscheidungen; derweil sind die Investitionen gedrosselt.

Ich begleite zurzeit eine Organisation in einer Teamentwicklung – dort sind wir in einer spannenden Phase. Für einen Workshop war ich in einer tollen Location in Münster – zu sehen auf Linked.In. Es ging um New Work und die Gestaltung von Veränderungsprozessen. Außerdem war ich in Duisburg für ein Moderationstraining – Thema: schwierige Themen, schwierige Teilnehmer und quälende Entscheidungen.

Falls Sie Bedarf haben: Im Mai, Juni und Juli habe ich noch ein paar Kapazitäten. Schauen Sie gerne mal durchs Portfolio.


Verschlüsselung | Ich habe das Problem der Verschlüsselung meiner Privat- und Geschäftsdaten gelöst.

Die Herausforderung: Mein Verschlüsselungsanbieter Boxcryptor schließt seit seinem Verkauf an Dropbox nach und nach die Tore und entlässt seine Kunden. Ich kann den Service nicht länger nutzen; im April ist kurzfristig Schluss. Die Lösung: Dank eines Tipps von Christian bin ich zu PCloud gewechselt. Die Migration lief geschmeidig; ich bin angetan und hoffe, dass der Eindruck bei weiterer Nutzung bestehen bleibt.


Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste: „Es gab mal einen Blogpost, in dem es um die Entscheidung für ein neues E-Auto ging. Ich habe das mit Interesse gelesen, auch wenn ich die Wahl so nicht getroffen hätte. Wie sehen Sie die Entscheidung aus heutiger Sicht? (Vielleicht hab ich auch was verpennt und die Sache ist gar nicht mehr aktuell).“

Die Entscheidung fiel damals auf einen Tesla. Seinerzeit war Elon noch nicht in der US-Politik tätig und zeigte nur moderate Milliardärsauffälligkeiten. Würde ich mich heute für ein E-Auto entscheiden, wäre Tesla – aus Gründen – nicht mehr in der Auswahl. Aber nun ist das Auto halt da.

Ich habe geprüft, was es mich kosten würde, den Wagen zu wechseln (er ist geleast). Ergebnis: zu viel. Zurzeit kommt das nicht infrage; das Leben ist grad kostspielig genug. Es müsste außerdem eine gute E-Alternative zu gleichen Leasing- beziehungsweise Mietkonditionen geben; die meisten Angebote sind teurer bei schlechterem Gesamtpaket. Ein nicht unwesentlicher, limitierender Faktor ist meine Beinlänge: In etliche Autos – zum Beispiel Peugeot oder Renault, aber auch manche Volkswagen – passe ich schlichtweg nicht rein beziehungsweise erleide einen orthopädischen Notfall. Außerdem ist die Verkehrssicherheit gefährdet, da ich das Lenkrad zwischen meinen Knien nicht bewegen kann – äußerst unpraktisch. Die Autos, die mir vorne Beinfreiheit lassen, hinten noch Platz für drei Kinder bieten und mich nicht in die Arme von Peter Zwegat treiben – Gott hab ihn seelig -, sind begrenzt.


Und sonst | Ich hatte Geburtstag, das soll hier nicht hintenrunter fallen. Juchee! Das Tolle am Altern ist: Es bewahrt einen vor dem Ableben.

Kleiner Kuchen in einer Einhorn-Form mit angezündeten Kerzen, die eine 47 zeigen. Auf dem Tisch konfetti.

Wir hatten außerdem Kochstammtisch. Freunde servierten Südtiroler Knödel-Tris. Anschließend gab es einen Schokopudding nach Landfrauenart, gekocht vom Gastgeberkind. So weit sind wir jetzt: Die Kinder sind so alt, dass sie uns bekochen. Eine gute Entwicklung.

Dreierlei Knödel an Vogerlsalat

Frühjahrsputz im Freibad: Das Bad wird von einem Verein betrieben. Jedes Jahr sind die Mitglieder aufgerufen, das Bad vor Saisonstart auf Vordermann zu bringen. Ich habe viele Schubkarren voll Laub geharkt.

Schubkarre neben einem riesigen Komposthaufen. Im Hintergrund Freibadgelände

Schweine | Die kleinen Schweine werden größer und dicker, die großen haben sich neu erfunden: Sie sind jetzt nörgelnde Best Ager.

Neues Feature im Schweinepark: KindZwei und KindDrei haben den Tieren ein Tipi aus Obstzweigen gebaut.

Meerschwin in einem Tipi aus Obstzweigen. Die Sonne scheint.

IT-Gedöns | Ich musste mich im IT-Dinge kümmern. Mein Outlook synchronisierte nicht mehr: Ich empfing keine E-Mails und konnte auch keine versenden. Mobil funzte alles, deshalb war ich einigermaßen handlungsfähig, aber eben am MacBook nicht. Da ich in der vergangenen Woche malade war, habe ich es erst nicht bemerkt. Als ich es bemerkte, war ich zu derangiert, um mich zu kümmern. Mein IT-Dienstleister hat das heute freundlicherweise schnell repariert.

Unabhängig davon verkündete mein Verschlüsselungsdienstleister, dass er meine Daten zukünftig nicht mehr verschlüsseln möchte. Er wurde aufgekauft und wird aktuell, so wie es aussieht, abgewickelt. Schade, ich war sehr zufrieden. Maßnahmen sind eingeleitet.

//Seufzen. Ich habe es ja gar nicht gerne, wenn Dinge, die einfach nur funktionieren sollen, Anforderungen stellen, die dann auch noch umfassende Handlungen erfordern.


Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste: „Guten Morgen! Wie bist du auf den Namen des Blogs gekommen? Natürlich gab es diesen Spruch in den 60ern und 70ern „in echt“, aber in meiner Familie steht er für alles, worauf man keine Lust hat oder gar nicht machen will. Und ich hab ihn auch schon ewig nicht mehr in der Gastronomie gehört.“

Die Frage des Blognamens ist eng damit verknüpft, wie ich zum Bloggen gekommen bin. Das war Anfang 2006. Ich arbeitete in der Digitalabteilung eines Medienhauses. Es war die Zeit, in der Zigarettenqualm dick in den Büros hing. Meine Kollegin rauchte zwischen zwei Kippen noch eine dritte, dazu trank sie bottichweise Kaffee. Mit einem Becher Kaffee in der einen und einer Kippe in der anderen Hand meinte sie irgendwann: „Wenn ich mal eine Website baue, nenne ich sie ‚Draußen nur Kännchen‘.“

Just in dem Moment wurde ich beauftragt, mich mit Blogs zu befassen. Das war seinerzeit der neue heiße Shice. Ich befand: Der beste Weg, um herauszufinden, was Blogs sind und was sie spannend macht, ist, selbst zu bloggen. Also legte ich mir ein Blog bei der erstbesten Plattform an. Das war seinerzeit Twoday (WordPress war noch nicht en vogue). Das Blog brauchte einen Namen, und weil die Idee von „Draußen nur Kännchen“ gerade im Büro präsent war, nannte ich es so. Es sollte ja sowieso nur ein Testblog mit geringer Halbwertzeit sein.

Das Kännchenblog gibt es nun seit 19 Jahren unter diesem Namen.


Rekonvaleszenz | Ausgiebiges Spazierengehen zwecks Genesung. Eine langweilige Sache, aber auch schön; eine gute Art Langeweile, besonders bei Sonnenwetter. Im Zuge eines solchen Spaziergangs habe ich das Jahr ange-eist. Die Dorf-Eisdiele hält Spaghettieis als kompakte Kugelvariante vor. Ich aß also eine Kugel Spaghettieis, wunderbar.

(Chronisten-Einschub: Der Preis für eine Kugel liegt hier aktuell bei 1,70 Euro. Einen Eisdielenbesuch mit zwei Erwachsenen und drei Kindern, bei denen jeder drei Kugeln bekommt, sehe ich dieses Jahr eher nicht.)

Das Befinden bessert sich täglich. Die Fäden sind gezogen. Ich kann jetzt auch wieder arbeiten. Gleichzeitig lerne ich Geduld: Dinge dauern so lange, wie sie dauern.


Gehört | Jakob Hein im RadioEins-Podcast mit Bettina Rust. Keine besonderen Erkenntnisse. Einfach ein sympathisches Gespräch.

Angeschaut | Im Stile von Erich Ohsers Bildergeschichten von Vater und Sohn veröffentlicht die Cartoonistin Katharina Greve auf einer eigens dafür eingerichteten Website ab sofort jede Woche eine Geschichte von Mutter und Tochter. Dazu ein Interview im Tagesspiegel.

Gelesen | Deutschland verbraucht 17 Prozent weniger Wasser nach AKW-Abschaltung. Laut VDI-Nachrichten ist der Zusammenhang tatsächlich kausal.


Und sonst | Das Wochenende in Bildern


Schweine | Der Freundeskreis Rohkost beim Club-Treffen:

Vier Meerschweine, zwei große und zwei kleine, fressen Paprika, Möhren und Kohlrabi aus einer Schale.

Upgrade | Mein Körper hat ein Upgrade bekommen. Das lag schon länger im Möglichkeitsraum und nun ja, irgendwann muss man mal ran an die Baustellen und dem Verfall entgegenarbeiten. Ich bin ein Fan davon zu handeln, bevor ein Schaden eintritt, den man hätte verhindern können.

Eine OP also und eine Nacht in Krankenhaus. Ich war positiv überrascht von dieser Erfahrung. Ich bin ja nur Standard-Kassenpatientin – freiwillig gesetzlich versichert, weil Fan des Solidaritätsprinzips -, und hatte niedrige Erwartungen.

Alle Menschen waren herzlich und zugetan, dabei sehr professionell. Die Kommunikation war gut und wertschätzend. Die Abläufe waren produktionsartig durchgetaktet; ich hatte mich für ein Klinikum entschieden, das diese OP mehr als 2.000-mal im Jahr macht. Die Kombination aus klaren Prozessen und Herzlichkeit empfand ich als hilfreich und beruhigend. Es gab einen geilen Propofol-Trip für umme (fünf Sterne für die Narkose-Einleitung!) und anschließend, weil ich so fror, eine heimelige Heißluftfriteuse fürs Warmwerden, dazu ein Wassereis für den kratzigen Hals. Sogar das Krankenhausessen war gut.

Tablett mit Krankenhausfrühstück: ein aufgeschnittenes Brötchen, Buttermilch, Tee. Dahinter Blick aus dem Fenster auf eine Kapelle.

Insgesamt ein empfehlenswertes Erlebnis. Nur das Aufschneiden – naja. Irgendwas ist ja immer.

Erstaunlicherweise ist, während ich im Krankenhaus lag, mein behandelnder Facharzt abhanden gekommen. Als ich mich zur Nachsorge in seiner Praxis vorstellte, befand sich plötzlich völlig anderes Personal in den Räumen, sowohl ärztlicherseits als auch, was die MFAs betraf. Das war überraschend. Immerhin gleiche Fachrichtung. Ich nahm davon Abstand, meinen Arzt suchen zu gehen: Halb aufgeschnitten und moderat zugenäht, wie ich war, hatte ich keine Lust dazu. Stattdessen begab ich mich bei den vorhandenen Menschen in Behandlung. Seltsam, seltsam. Aber nun denn. Auch hier alle freundlich und zugetan.

Ich rekonvalesziere nun vor mich hin. Eine Woche habe ich mir freigenommen, in der kommenden Woche bin ich reduziert im Einsatz. Schwerpunkt: therapeutisches Spazierengehen und therapeutisches Seriengucken. Beides ist mir bislang gut gelungen: täglich 10.000 Schritte durch Feld und Wald, dazu Älska migEinfach Liebe, eine feine schwedische Serie in der arte-Mediathek.

Es fühlt sich alles schon viel besser an als 24 Stunden post OP.


Schweine | Das Müslischwein hat sich ein Herz gefasst, hat seine Vorsicht über Bord geworfen und ist ebenfalls in den Garten ausgerückt. Es war Morgen, ich öffnete die Stalltür, und alle Schweine rannten raus. Als das Müslischwein erkannte, dass es im Garten stand, rannte es schnell wieder rein. Als es dann merkte, dass es im Garten nicht gestorben war, rannte es wieder raus. Seither kennt es kein Halten mehr.

Vier Schweine, zwei große und zwei kleine, am Fuße eines Hochbeets auf der Wiese.

Die Lage | Eine ereignislose Woche – zumindest was Ereignisse angeht, die sich hier zur Niederschrift eignen.


Raumstation | KindDrei braucht leere Klorollen für die Schule. Gebaut werden soll: die ISS. Das ist unser Momentum. Wenn dieser Haushalt nämlich eins hat, dann sind es leere Klorollen. Als Stillleben zeugen sie auf den Fensterbänken unserer Sanitärräume vom Zyklus des Lebens, von Aufbruch und Abrollen, von Verdauung und Zerfall, vom Ende der Nützlichkeit, von Trägheit und Beharren. Bisweilen begeben sich die Rollen, aufgewirbelt vom Wind, auf eine Reise durchs Bad; die Brise trägt sie unter Waschbecken und in Wannen. Niemals aber in den Hausmüll.

Bedauerlicherweise wird mein Bemühen, dieser Gepflogenheit Herr zu werden, nun konterkariert: „Wenn wir die Klorollen immer sofort wegschmeißen würden, hätten wir jetzt keine. Gut, dass wir das nicht tun!“ Mir fehlen die Argumente.


Fragen | Was auch fehlt, sind gute Erklärungen. Die Kinder, interessiert am Weltgeschehen, fragen, was man sich so fragt in diesen Zeiten: Was ist rechts? Wann ist man zu sehr rechts? Ist links besser als rechts? Ist Trump so wie Putin? Wollen die Länder in Europa zusammenhalten? Wer sind unsere Freunde?

Es ist nicht einfach, Antworten zu geben, wenn sich die Kinder mit mehr Anstand um die Fragen dieser Welt bemühen als Staatsmänner.


A propos | Staatsmänner. Man braucht das nicht gendern.


Gelesen | Matthias Wittekindt: Die rote Jawa – Ein alter Fall von Kriminaldirektor a.D. Manz. Das Leitmotiv der Manz-Romane ist unaufgeregtes Erinnern: Der pensionierte Kommissar Manz reist anlässlich gegenwärtiger Ereignisse gedanklich in die Vergangenheit, diesmal in die DDR kurz vor Grenzschließung. Der junge Manz verbringt als 16-Jähriger einige Wochen im Mecklenburgischen, um ein Praktikum als Feuerwehrmann zu machen. Dort sterben zwei Menschen. Manz geht Ungereimtheiten nach. Mir gefiel die zeitliche Verortung der Geschichten: Ein Krimi in der DDR der 1960er Jahre, das hat man nicht oft. Mochte ich. Und den lakonischen Erzählstil Wittekindts mag ich auch.


Schweine | Marianne ist erstmals ausgerückt. Mit dem Pionierschwein als Leitschwein wagte sie sich in den Garten, erst zaghaft, dann in wildem Galopp. Seither kriegt sie nicht genug davon.

Müsli hingegen bleibt im Bau. Wie eine Sechsjährige auf dem Dreimeterbrett steht das Schwein in der Stalltür, sieht der Kameradin nach, sucht in seinem kleinen Körper nach Wagemut, betritt die Rampe, zaudert und wendet sich wieder zurück.

Die Szenerie in einem Bild: vorne wildes Abenteuer, hinten in der Stalltür das zaudernde Schwein, als wolle es hinaus. Will es auch, will es aber dann doch nicht.

Garten mit Rasen, darauf einige Häuser für Meerschweine. Vorne im Bild ein kleines und ein großes rennendes Meerschwein, in der Mitte der Dicke, wartend, im Hintergrund der Stall mit einem kleinen Meerschwein auf der Rampe.

Die Lage | Die nationale Lage ist gezeichnet von Leuten, die sich verabschieden, und von Leuten, die wieder auftauchen. Bei manchen freut man sich, dass sie gehen, bei anderen wünscht man sich, sie wären nie wiedergekommen.

Während ich das Bad putzte, hörte ich Herrn Professor Münkler bei seiner Analyse der Bundestagswahlen zu. Ich leihe mir an dieser Stelle die Worte Herrn Buddenbohms: „Herr Münkler ist ein gebildeter Mensch, der sehr viel von dem versteht, was er da beurteilt. Und er würdigt auf die denkbar angenehmste und niveauvollste Art einige Gestalten der aktuellen Politik wunderbar herab.“ Davon kann man nur lernen.

Parallel macht eine kleine Anfrage aus dem Bundestag die Runde: Die CDU/CSU diskreditiert darin zivilgesellschaftliche Institutionen, unter anderem das Recherchenetzwerk Correctiv, den journalistischen Verbund Netzwerk Recherche und den Verein Omas gegen Rechts und stellt in A*D-Manier 551 Fragen. Bin erstmal bei den Omas in den Verein eingetreten.

Die tagesschau vermeldet unterdessen: Experten erwarten ein zeckenreiches Jahr. Das könnte passieren angesichts der politischen Situation.


Broterwerb | Die Woche zeigt sich entspannt. Die Termine haben sich dezimiert, die Hälfte meiner Kundschaft liegt krank danieder, entschuldigt sich, verschiebt, leidet.


Natur | Der Nachbarchstorch macht, kaum dass er zurückgekehrt ist, ausdauernd Liebe mit seiner Saisondame. Wir sind schon ganz verschämt.


Angeschaut | Für den Freundeskreis Statistik: Defense Against Dishonest Charts. Eine interessante Einführung in manipulative Grafiken und wie man sie erkennt.

Gelesen | Für den Freundeskreis Russlandpolitik: Die EU-Energieimporte aus Russland übersteigen die Ukraine-Hilfen.

Gelesen | Für den Freundeskreis Kammerspiel: Country Place von Ann Petry, übersetzt von Pieke Biermann. Klatschsucht, Gier, Untreue, Judenhass, versuchter Mord und ein zurückkehrender Kriegsheimkehrer – die Afroamerikanerin Ann Petry skizziert in ihrem 1947 erschienenen Buch eine Kleinstadt in der Nachkriegszeit. Gerne gelesen.

Gelesen | Für den Freundeskreis der kritischen Nachfrage: Frau Novemberregen wird zur lästigen Bürgerin.


Schweine | Wir warten darauf, dass die kleinen Schweine wachsen. Möglicherweise wird das irgendwann über Nacht passieren. Wir unterstützen mit Gemüse.

Großes Schwein und kleines Schwein in der Stalltür

Wahl | Am Sonntagabend Hochrechnungen, am Montagmorgen amtliche Endergebnisse, eine erwartbare, aber wenig erfreuliche Angelegenheit. In unserem gesellschaftlichen Gleichgewicht hat sich etwas verschoben: In kleinen und großen Schritten sind Menschen nach rechts gegangen, bis sich die Bodenplatte unseres Zusammenhalts am Sonntag geneigt hat. Für viele von uns kommen nun Dinge ins Rutschen: für Menschen, die sich Fortschritt wünschen und um den gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen; für Menschen, die kein normkonservatives Lebensmodell pflegen und besonders für solche, die eine internationale Familiengeschichte haben.

Ich fühle mich ohnmächtig und wütend angesichts zwanzig Prozent Zustimmung für eine rechtsextreme Partei – und angesichts des Gedankens, nun vier Jahre lang von einem erzkonservativen und impulsgesteuerten Mann Ü70 regiert zu werden, der Mehrheiten mit Rechtsextremen forciert und der der Meinung ist, Menschen, die für Demokratie und Vielfalt demonstrieren, seien „Spinner“, die „nicht mehr alle Tassen im Schrank“ haben. Das wirkt auf mich wenig staatsmännisch beziehungsweiese: Das ist nicht der Staatsmann, von dem ich mich vertreten fühle.

Ich werde versuchen, die Dinge im Kleinen zu gestalten, hier in der Stadt. Nur so geht es.


Broterwerb | In der vergangenen Woche war ich in Berlin, um mit dem Leitungsteam einer Organisation zu arbeiten. Ich verbrachte drei Tage zwischen Karlshorst und Prenzlauer Berg, mit einem Abstecher nach Rummelsburg. Ich freue mich immer, in Berlin zu sein. Die Stadt ist nervenzehrend, gibt aber auch viel Energie.


Keine Lasagne |  An einem der Abende suchte ich in Berlin etwas zu essen und fand eine Straße, in der es zwei Lokalitäten gab: ein kneipenähnliches Etablissement und eine Lokalität mit „Sushi“ im Namen. Ich entschied mich für Sushi und hatte auch schon die Karte in der Hand, als ich bemerkte, dass es seltsam roch. Als ich genauer hinsah, waren die Tische auch arg schmuddelig, alles im Raum war fahrig. Fahrigkeit und roher Fisch schienen mir keine gute Kombination. Ich ging wieder. Das war mir einerseits unangenehm, da ich ja schon gesessen und die Karte in der Hand hatte, andererseits war es weniger schlimm als eine Lebensmittelvergiftung.

Ich ging ins Kneipenrestaurant. Allerdings war mein Gehirn noch auf Sushi. Als gerade die Kellnerin an meinen Tisch trat, trug eine andere einen Teller mit einer großen Berg Salat und plattem Zeugs vorbei. Das sah gut aus.

“Das sieht gut aus. Was ist das?“, fragte ich.

„Dit is Lasagne. Die gibts zu Mittach. Jetz gibts die nich mehr.“ Ich fand die Lasasagne sehr real, in meinem Leben gab es sie eindeutig. Die Kellnerin kniff ihre Augen zu schmalen Schlitzen, ihr Kiefer zuckte leicht. Ein Gesicht, in dem sich kein Möglichkeitsraum für eine Lasagne befand.

Ich nahm allen Mut zusammen und fragte nach: „Sie meinen: Für mich gibts es keine Lasagne.“
„Dit is wohl so.“
„Dann nehme ich einen Flammkuchen.“
„Jeht doch.“


Bemerknisse | Weitere Beobachtungen:

In meinem Hotelzimmer befand sich ein antikes Fundstück, eine Pressomatic Valet, ein Hosenbügler auf Rollen. Ich zog ihn aus dem Schrank, steckte den Stecker in die Steckdosen, spannte meine Hose ein und wartete hoffnungsvoll. Ich bin immer bereit, neue Geräte auszuprobieren, besonders solche, die mir das Leben erleichtern. Leider wurde die Pressomatic nur lauwarm. Nichts wurde glatt. Ich schob sie enttäuscht zurück in den Schrank.

Preessomatic Hosenbügler im Schrank im Hotelzimmer

Auf der Fensterbank des Tagungsraumes lagen den ganzen Tag lang Ballettschläppchen. Niemand holte sie ab – im Gegensatz zum Becher, der irgendwann verschwand. Ich fragte mich, wer die Schlappen vermisst, ob es ein Kind ist oder ob es eher seine Eltern sind.

Möglicherweise ist das Kind nicht traurig, sie verloren zu haben. Möglicherweise hat es sie absichtlich vergessen. Möglicherweise vermisst es sie ganz doll und kann nun nicht mehr Ballett tanzen. Möglicherweise sind es lediglich Schulschlappen, gekauft für den Turnunterricht, Rolle vorwärts, Rolle rückwärts, Strecksprung, Bocksprung und Radschlag – der ganze Horror des Schulsports; wer möchte da nicht seine Turnschlappen verlieren. Möglicherweise ist das Kind ein guter Turner, eine gute Turnerin: endlich kein Ballsport mehr, endlich Handstand, Schwebebalken, Sprungrolle.

Ballettschläppchen auf einer Fensterbank

Möglicherweise sind es auch gar nicht die Turnschlappen eines Kindes, sondern gehören einer kleinen Frau, einer talentierten Frau, die sich nach ihrem Training einen Kaffee trank, jemanden traf, ein Schwätzchen hielt und daraufhin ihre Schlappen vergaß.

In der Nähe der Turnschlappen: eine Popkornditorei. Ein Laden, in dem es nur Popkorn gibt – Tahiti-Vanille, Trüffel Fleur de Sel, Piemonteser Haselnuss – und eine Stadt, in dem so viele Menschen Popkorn kaufen, dass ein Laden davon existieren kann: Sowas gibt es nur in Berlin.

Auf dem Rückweg ereilte mich der BVG-Streik: Am Donnerstagmorgen standen die Busse, Trams und U-Bahnen still. Ich packte mein Popkorn in den Koffer und zerrte ihn zweieinhalb Kilometer zur nächsten S-Bahn-Haltestelle, eine vierspurige Straße entlang, vorbei an freudig angemalten Hochhäusern, über Eisplatten und Splitt-Streu. Das war wenig erbaulich, aber immerhin hatte ich einen Spaziergang, bevor ich vier Stunden im Zug saß. Der Kaffee am Bahnhof schmeckte danach auch sehr gut.

Daheim angekommen, war es plötzlich sehr warm. In Berlin war ich bei minus sechs Grad losgelaufen, in Haltern war es am Nachmittag locker fünfzehn Grad wärmer.


Frühlingsboten | Am Wochenende geschahen drei Dinge: Der Nachbarstorch kehrte aus dem Süden zurück. Ich sah viele Krokusse und eine erste Biene. Ich putzte mein Fahrrad inklusive Kranz und Kette; jetzt knirscht nichts mehr.


Schweine | Es stellt sich Eintracht ein.

Zwei große Meerschweine an der Futterschale, dazwischen zwei kleine Meerschweine.

Wenn ich es mir recht überlege, haben die kleinen Schweine genau die richtige Größe für eine moderate Storchenmahlzeit.

Leibesübung | Erste Schwimmeinheit in 2025, fluffige 1.500 Meter durchgekrault. Sehr gute Erfahrung. Am nächsten Tag hatte ich allerdings Muskelkater. Das ruft nach Wiederholung.


Broterwerb | Zeitmanagement-Workshop bei einem mittelständischen Kunden. Das Thema „Zeitmanagement“ geht einerseits in den Bereich der Arbeitsorganisation, andererseits spielen persönliche Aspekte eine große Rolle: sich gesund abgrenzen, Erwartungen steuern und den Mut und das Handwerkszeug haben, in einen Konflikt zu gehen. In diesem Fall kam beides zum Tragen – plus Austausch unter den Teilnehmer’nnen, die aus verschiedenen Regionen kamen und sich auch selbst viele Tipps geben konnten. Der Kunde war ums Eck. Ich musste nicht im Hotel übernachten. Es war ein ungewohntes Gefühl, zwischen zwei Tagen nach Hause zu kommen.

Zudem habe ich eine neue Beratungskundin, die ich dabei unterstütze, Veränderung in ihrer Organisation zu orchestrieren. Macht viel Freude.

Nächste Woche bin ich in Berlin, um die Entwicklung eines Führungsteams zu begleiten.


Demo für Demokratie | Unsere Stadt ist aufgestanden für Demokratie und Vielfalt: Am Freitagabend trafen sich Menschen auf dem Marktplatz, um ein Zeichen gegen Extremismus zu setzen. Ich war natürlich auch dabei. Unter den Redner’innen waren zwei Schülersprecherinnen von der örtlichen Realschule und dem Gymnasium. Beeindruckende, tolle Ansprachen, starke Worte! Solch junge Menschen machen mir viel Mut.

Plakat: Kinder gegen Rechts - Braun sind bei uns nur die vollen Windeln

Besuch bei der Tafel | Im Zuge meiner Bürgermeisterkandidatur besuche ich Institutionen in der Stadt. In der vergangenen Woche war ich bei der Halterner Tafel. Ich habe zwei Stunden mitgeholfen, Lebensmittel auszugeben. Das war auch gut, denn etwas selbst zu machen ist immer besser als es erzählt zu bekommen.

Dienstags und Donnerstags kommen je hundert Personen zur Tafel. Für vier Euro können sie Lebensmittel entsprechend der Haushaltsgröße mitnehmen. Hinter den zweihundert Menschen stehen sechshundert weitere, die die Tafel versorgt. Ich war für Salat, Frühlingszwiebeln und Möhren zuständig, und es waren an diesem Tag ausreichend Spenden vorhanden. Es braucht Übung, so auszugeben, dass am Ende alles Gemüse weg ist – es sind ja Frischwaren, die sich nicht von Donnerstag bis Dienstag halten – und gleichzeitig der/die Letzte auch noch etwas bekommt. Fremdsprachenkenntnisse sind hilfreich. Schon ein „Hallo“ oder ein „bitte sehr“ schaffen direkt Verbindung – wie überall.


Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste: „Hi! Mich würde interessieren, wie Sie als mehrgewichtige Frau Ihre Ärzt_innen auswählen und wie Sie damit umgehen, falls Sie aufgrund des Gewichtes im medizinischen Kontext Ablehnung erfahren? Vielen Dank und liebe Grüße!“

Die Frage nach der Auswahl stellt sich nicht, denn als ich nach Haltern am See zog, gab es nur eine Hausarztpraxis, die noch Patienten aufnahm. Wir müssen also irgendwie miteinander klarkommen. Funktioniert das nicht, werde ich versuchen, in meine alte Hausarztpraxis nach Dortmund zurückzuwechseln, trotz der Fahrzeit. Die Praxis vermisse ich, denn die Ärzte dort waren super. Ich habe den Eindruck, dass Hausärzt’innen, die auch palliativmedizinisch tätig sind, deutlich zugetaner sind und differenzierter agieren.

Die Frage nach der Auswahl von Fachärztinnen und -ärzten stellt sich ebenfalls nicht. Wie ich jüngst berichtete, wähle ich auf Doctolib diejenigen Praxis aus, die überhaupt Neupatient’innen (GKV) aufnehmen und dann noch innerhalb der nächsten vier Monate Termine frei hat.

Im vergangenen Jahr war ich zwecks Hautkrebsscreening bei einem Hautarzt, zu dem ich nicht wieder hingehen werde. Es war eher ein Hautarztroboter, der während der Beschau nicht nur meine Muttermale kommentierte, sondern alles, was er an meinem Körper sah – im Ton einer Vorlese-App. Sowas möchte ich nicht. Zum nächsten Screening werde ich woanders hingehen, habe allerdings nicht die Erwartung, auf mehr Empathie zu treffen. In meinem Leben habe ich an verschiedenen Wohnorten bislang vier Dermatolog’innen besucht und alle vier waren – ich formuliere es neutral – in einem anderen kommunikativen und zwischenmenschlichen Modus als ich.

Grundsätzlich erlebe ich Gewichtsdiskriminierung so: Es gibt die angenehmen Ärzt‘innen, die sich auf meine Symptome konzentrieren und das Übergewicht einbeziehen, wenn es für die Diagnosestellung oder den Heilungsverlauf relevant ist. Das empfinde ich als professionell, das sollte auch so sein. Auf der anderen Seite sind die Ärzt’innen, bei denen das Gewicht die Wurzel allen Übels war, egal welche Sympome ich hatte. Stellvertretend sei die Dame genannt, die mir sagte: „Wenn Sie schlanker wären, wären Sie jetzt nicht erkältet.“ Oder: „Normalerweise würde ich Physiotherapie aufschreiben, aber Leute mit Ihrer Statur arbeiten sowieso nie mit.“ Der häufigste ungefragte Ratschlag ist – natürlich ohne vorherige Anamnese: „Kochen Sie auch mal selbst, am besten vollwertig“, gefolgt von „Bewegen Sie sich mehr.“ (ach was!) Mein Favorit ist: „Gehen Sie mal schwimmen oder fahren Sie Rad. Eine halbe Stunde bringt schon was.“ //*rofl

Mittlerweile setze ich nicht mehr zur Gegenrede an, sondern bedanke mich freundlich für den Gedankenanstoß. Alles andere bringt meiner Erfahrung nach nichts, sondern erzeugt nur mehr Überzeugungswillen beim Arzt.


Schweine | Wir haben das Dramaschwein begraben. Es war so freundlich und hat auf der kalten Terrasse vier Tage lang Haltung bewahrt, bis alle Kinder wieder bei uns waren, bis sie Schule und Fußballtraining beendet hatten und wir in Ruhe die Beisetzung vollziehen konnten.

Nun ruht das Tier neben dem Stall seiner Freunde, mit Grabstein und Kerze.

Es sind zwei neue Schweine eingezogen, zwei Schwestern, sieben Wochen alt. Wir haben sie Müsli und Marianne getauft. Das Pionierschwein und der Dicke waren irritiert bis genervt von den neuen Mitbewohnerinnen, die Heu und Paprika wegfressen. Inzwischen hat sich aber etwas Entspannung eingestellt. Foto erstmal nur von oben:

Die Tiere wachsen noch.



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