Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Auswärtsspiel in Köln | Die vergangene Woche verbrachte ich in Köln. Am Dienstag reiste ich – Bahnstreik-bedingt einen Tag eher – an, am Freitag wieder ab. Der Anlass: drei Tage Seminar für Volontärinnen und Volontäre des Westdeutschen Rundfunks. Thema: agile Projekt- und Redaktionsarbeit.

Die orangene Maus in der Kölner Innenstadt, dahinter ein Bürogebäude

Die Teilnehmer:innen haben Scrum, Kanban, Design Thinking im Schnelldurchlauf kennengelernt, für ein erstes Grundverständnis und als Basis für eine Vertiefung im weiteren Berufslebes. Das Seminar war experimentell angelegt: Jede Methodik erlebten die Teilnehmer:innen zunächst in einer Simulation. Ich hatten einen ganzen Koffer voller Materalien mit, um Pizza zu backen und Backprozesse in einen guten Fluss zu bringen, Prototypen zu bauen und gemeinsame Lernerfahrungen hervorzubringen.


Lösung aller Probleme | Nach meinem Einsatz beim WDR entdeckte ich die Lösung für alle Bahnprobleme. Ich schob mich und meinen Koffer zum Kölner Hauptbahnhof, entdeckte einen ICE, der in den nächsten fünf Minuten nach Norden fahren würde und stieg ein. In Duisburg rascher Umstieg nach Haltern, der Anschluss kam pünktlich. In Rekordzeit war ich zuhause, so komfortabel und pünktlich wie lange nicht und besser als ohne Bahnstreik. Die Lösung ist also: Kaum Kunden und nur wenige Züge, und schon fluppt alles.


Gelesen | Jarka Kubsova: Bergland. Die Autorin erzählt die Geschichte eines Südtiroler Bergbauernhofs anhand dreier Generationen – kompakt auf 288 Seiten. Ein schöner Roman, den ich gern gelesen habe: gut lesbar, aber nicht zu schlicht, trotz Kürze mit Tiefe und nah an den Charakteren.

Gelesen | Psychologische Erklärungen fürs Nichtstun: Warum viele die Klimakrise scheinbar kaltlässt

Gelesen | Blick zurück ins Jahr 2021, zur EU-Agrarreform. Aus dem Text geht sehr gut die Position des Deutschen Bauernverbandes hervor. Spoiler: Dem Verband geht es nicht um Nachhaltigkeit und Biodiversität.


Ausflug in den Einzelhandel | Am Samstag habe ich mich in der Apotheke kurzfristig gegen Grippe impfen lassen. Die ist ja jetzt im Anmarsch, und vor Weihnachten gab es in dieser Angelegenheit Terminkollisionen. Auf dem Weg zur Apotheke bemerkte ich, dass beim Schuh im Sterben lag: Das Leder löste sich unrettbar vom Leisten. Da ich nicht allzu viele Schuhe besitze und eine Frau der Tat bin, lief ich nach der Impfung in den nächsten Schuhladen. Denn nächste Woche fahre ich nach Baden-Würtemberg, und dazu brauche ich braune Chelsea Boots. Chelsea Boots sind, wie ich finde, modische Allrounder in der nasskalten Jahreszeit – gerade wenn man mit schmalem Gepäck reist.

Ich betrat einen kleinen Laden in unserer kleinen Innenstadt, die Gesamtfläche kleiner als meine Ein-Zimmer-Studibude 1997. Senf-beige und ein freundliches Steingrau dominieren die Räumlichkeit. Die Schuhmode wendet sich an Mittsiebziger, die gerne bequem laufen. Mich überkommt ein Vliestapetengefühl.

Nach meinen Wünschen gefragt, sage ich, dass ich neue Schuhe brauche, die wie die alten sind. Der Ladenbesitzer greift in ein Regal und holt zwischen hunderten Senioren-Aktiv-Schuhen einen zeitlosen, braunen Chelsea-Boot hervor, dann noch einen und noch einen. Ich probiere die Paare an und gehen zwischen den Regalen spazieren. Wir plaudern über länger und breiter werdende Füße und herausnehmbare Sohlen („Als ich das Schuhhandwerk gelernt habe, waren die ja noch verklebt!“). Ich liege zwischen zwei Größen, bekomme Beratung und könnte am Ende alle drei Schuhe kaufen, sie passen alle. Ich kaufe ein Paar, bekomme ein Imprägnierspray kostenlos dazu und bin sehr glücklich.


Schweine | Für die Schweine war es frisch in der vergangenen Woche. Als tiefste Temperatur maßen wir minus zehn Grad. Ich war zart in Sorge und rechnete jeden Morgen damit, dass wir die Drei bretthart vorfinden. Doch die Viecher erweisen sich als außerordentlich zäh.

Zwei Meerschweine

Die Außenhaltung brachte Arbeitsaufwand mit sich: Alles gefror, sowohl das Wasser in der Trinkschale als auch das gereichte Gemüse als auch der Urin der Schweine. Damit sie nicht auf ihrem eigenen gefrorenen Urin liegen müssen, haben wir viel Stroh eingelegt und häufiger gesäubert. Die Trinkschale gefror binnen weniger Stunden vollständig durch; wir wechselten entsprechend. Das Gemüse gab’s öfter in kleinen Portionen. Im Stall haben wir außerdem eine Lage Styropor verbaut, gegen Fußkälte.

Schön, dass wir da sind | Es schneit. In großen, weichen Flocken. In kleinen, harten Grieseln. Es schneit von rechts nach links und von oben nach unten, in einzelnen Flocken und in Wolken. Der Wind treibt den Schnee ins Gesicht, in die Augen, von oben in die Jacke. Er lässt die Straßenschilder zittern und klappern, sie vibrieren im Sturm, wüten in ihren Fundamenten. Der Wind drückt den Schnee gegen Fenster und in Hauseingänge, er türmt ihn vor Türen auf. Eiszapfen wachsen; sie wachsen schräg von den Fensterbänken. Auch sie sind auf der Flucht vor dem Wind. Eine Dachlawine stürzt hinab. Mit einem dumpfen Poltern landet sie auf dem Pflaster. Eine Frau springt beiseite, schaut mich an, lacht und sagt etwas auf Dänisch.

Es ist der stärkste Schneesturm seit fast dreißig Jahren in Dänemark, und wir sind dabei. Der Schnee bleibt an der Hose und der Jacke kleben; von hinten sehen wir aus wie immer, von vorne bedeckt uns ein weißes Brett. Ich trage eine Mütze, über der Mütze die Kapuze meines Hoodies, darüber die Kapuze der Jacke. Bis zur Nasenspitze ist alles zugezogen.

Wir kämpfen uns aus Trøjborg hinab in die Stadt. Wir schauen mal, wie weit wir kommen, haben wir gesagt, uns wir kommen ganz gut voran. Es fährt kein Bus, es fährt keine Straßenbahn, aber es fahren auch keine Autos. Kaum jemand wagt sich hinaus, nur wir. Wir fühlen uns wie Ernest Shackleton bei unserer Eroberung des Kirkegårdsvej hinein in die Altstadt.

Die Cafés, Restaurants und kleinen Läden, sie alle bleiben heute geschlossen. „Lukket på grund af snestorm“, steht auf handgekritzelten Schildern an den Türen. Nur Supermärkte und staatliche Museen haben geöffnet. Also stapfen wir zum Kunstmuseum ARoS. Bevor wir das Museum betreten, schlagen wir das Schneebrett von uns ab; in kleinen Platten fällt es in die Drehtür. Wir schütteln uns. Eine Frau lacht und und sagt: „Velkommen til ARoS! Dejligt at du er her!“ Schön, dass Ihr da seid! – das finden wir auch.

Auf dem Rückweg frischt der Sturm weiter auf, treibt Eisstücke in unsere Gesichter, schiebt uns über Kreuzungen und die Steigung am Friedhof hinauf.

Die ganze Nacht über pfeift der Wind ums Haus, wirbelt Schnee in alle Ecken, türmt ihn vor den Fenstern auf, auf den Autos und Mülltonnen, deckt Bänke und Fahrräder zu. Erst, als wir am Morgen unsere Köpfe in die Winterluft stecken, haben Sturm und Schnee nachgelassen. Alles ist weiß und leise.


Lakritz und Knäckebrot | Am Tag zuvor sind wir angekommen, mit Umstiegen in Münster, Hamburg, Flensburg und Fredericia. Ohne Verspätung oder anderes Unbill, alles lief glatt. In der dänischen Bahn gab es Kaffee und Lakritz. Auf dem Rückweg werden wir auch Frühstück serviert bekommen, ein Brötchen mit Marmelade und zwei Scheiben Käse auf einem Teller, auf Wunsch auch Knäckebrot. Insgesamt wird es bei den acht Umstiegen keine Probleme geben. Lediglich auf auf dem Rückweg haben wir eine Stunde Verspätung – eine Stunde auf zwanzig Stunden Fahrt, das ist in Ordnung.


Der Junge | Das ARoS Kunstmuseum, in das der Sturm uns hineinweht, hat einen Regenbogen auf dem Dach. Bei schönem Wetter kann man über die ganze Stadt gucken und sie in allen Farben sehen. Heute drückt sich der Wind durch die Ritzen. Der Schnee klebt schwer am Glas. Aber dennoch lassen sich die Strukturen der Stadt erkennen: das alte Aarhus, die Quartiere, die Kirchen.

Panoramaaufnahme: Zentral der Regenbogengang, rechts und links Blick hinunter in die Stadt

In den Stockwerken darunter: der Boy von Ron Mueck, der mir unterschiedliche Gesichtsausdrücke zeigt, je nachdem, wo ich stehe; die Bilder dänischer Maler, Werke von Dalì, Installationen zu Natur und Umwelt. Und ein Café. Wir werden in den kommenden Tagen feststellen, dass kaffe og kage, Kaffee und Kuchen, hier in Dänemark mehr sind als ein Getränk und eine Speise: Sie sind eine Lebenskunst.


Tausche Stroh gegen Schaf | Unsere Wohnung hat kein WLAN – also: Eigentlich schon, aber nicht, während wir dort sind. Der Fernseher läuft auch über Internet, will heißen: Er läuft aktuell nicht. Wir sind auf uns selbst zurückgeworfen, während sich draußen der Schnee türmt. Im Regal steht ein Karton „Siedler von Catan“, dänische Version; wir können die Regeln auch ohne Sprache und spielen drei Partien.


Eisbaden | Zwei Tage später sitzen wir in einem Café am Havnebadet, dem Freibad im Hafenbecken, in dem das Wasser gerade zu Eis gefriert. Dünne, noch nicht weiße, noch transparent gepuderte Platten schwimmen auf der Oberfläche, durchzogen von Rissen. Wir kommen von draußen, vor uns steht kaffe og kage. Es hat inzwischen minus sechs Grad dort draußen, im Windchill auch weniger, minus zehn, minus elf. Unsere Wangen sind gerötet, wir sind grad am Meer entlang spaziert, die Promenade auf Ø entlang, dem Stadtteil im alten Hafengebiet, dessen Namen aus nur einem Buchstaben besteht. Wir haben Architektur geguckt: den Isbjerget, den Eisberg, und das 142 Meter hohe Lighthouse, für dessen Verankerung sie achtundzwanzig Betonpfähle siebzig Meter tief in die Erde gerammt haben.

Plötzlich, wir schauen von unserem Gebäck auf, stehen draußen Zwei in Badekleidung. Dampf steigt von ihren Körpern auf. Sie legen sich nieder in den Schnee, wälzen sich von dem Rücken auf den Bauch wie Seehunde, bewerfen sich mit Schneebällen. Der Reiseleiter beißt in seine Zimschnecke und brummt „Forrüffte!“ Vielleicht meint er „Verrückte“, aber er hat den Mund voller Kanelsnegle; man kann ihn nicht gut verstehen.

Später sehen wir: Das Freibad hat geöffnet, kostenlos. Wir könnten, wenn wir wollten.

Freibad im Hafenbecken mit gefrierendem Wasser

Filmtheater | Einmal gehen wir abends ins Kino oder besser gesagt: in ein Filmtheater. Es hat wieder geöffnet nach dem Schneesturm, und ein zweiter Siedler-Abend wäre zu fade, ganz ohne Erweiterungen.

Kino-Foyer mit Retro-Lampen und einer blau schimmernden Uhr, einem alten Filmplakat und Sofa und Stühlen

Das Foyer empfängt uns mit der Vergangenheit, der Kinosaal selbst hat nur vier Reihen. Es läuft Napoleon, den wir ohnehin noch sehen wollen, Englisch mit dänischen Untertiteln. Sprache erweist sich allerdings als nicht wichtig in diesem Film: Es wird hauptsächlich gemetzelt, und wenn nicht gemetzelt wird, wird geschnackselt. Wir können gut folgen.


Street Food | An drei von vier Abenden essen wir in der Street-Food-Halle an der Rutebilstation, dem Busbahnhof. Ein Industriehalle, darin Seecontainer, vor den Seecontainern Biertischgarnituren, garniert mit ein paar Eimern Farbe, Lichtern, Girlanden und etwas Street Art. Empfehlung: der große indische Teller mit Paneer Tikka Masala, Samosas, Mango Chutney und zweierlei Brot – und als Dessert ein Crêpes mit Vanillezucker.


Die Summe der kleinen Dinge | In der Street-Food-Halle gibt es eine Kinderecke. Im Bahnhof von Fredericia gibt es einen Wartesaal mit Sofas und Pflanzen – und mit einer Kinderecke. Die Bibliothek von Aarhus, Dokk1, hat Parkplätze für Kinderwagen; die ganze erste Etage ist Kindern gewidmet. Sie können Lego bauen, haben einen Toberaum, einen Kinderspielplatz, Rampen zum Rennen, Eisenbahnen zum Spielen, ihre Steckenpferde haben Ställe, es gibt Konsolen zum Zocken und einen Maker Space für Jugendliche.

Die Mülleimer haben eine extra Ablage für Pfandflaschen, serienmäßig, um es Pfandsammlern einfacher zu machen.

Pfandregal am Mülleimer

In der Stadt stehen viele Bänke, lange Bänke zum Verweilen und Draufliegen. Der öffentliche Raum gehört – ebenso wie die Bibliothek – den Menschen.

Die meisten Museen, Cafés und Restaurants haben Unisex-Toiletten.

Noch während des Schneesturms wurden die Radwege geräumt. Während der gesamten vier Tage, die wir dort waren, waren viele Radwege frei. Auch Gehwege – zum Beispiel auf dem Friedhof – wurden geräumt. Die Straßen fanden kaum Berücksichtigung. Sie wurden von den Autos freigefahren – oder auch nicht.

Geräumter Radweg

Wir benötigten kein Bargeld. Wir haben auch kein Geld abgehoben, besaßen also keine Dänischen Kronen in Scheinen oder Münzen. Bargeldzahlung war nirgendwo vorgesehen; bisweilen gab es nicht einmal Bargeldkassen. Wir konnten (und mussten) immer und überall mit Karte bezahlen.

Altstadt mit Lichter-Schneeflocken und erleuchteten Geschhäften

Aarhus hat Wikinger-Ampelmännchen.

Als am Freitagnachmittag die Busse wieder fahren, sind alle Menschen glücklich. Es ist ein Abenteuer, über die Schneehaufen zu steigen, die die Haltestellen von den Fahrbahnen trennen: ein Haufen vor dem Radweg, ein weiterer vor dem Bus, beide oberschenkelhoch – es ist nicht einfach hineinzugelangen. Doch man hilft sich. Überhaupt sind alle guter Laune.


Gender-Gaga | Wir besuchen auch das Gender Museum Denmark, ein Wunsch des Reiseleiters. Ehemals das Frauenmuseum, widmet es sich nun allen Geschlechtern. Man spürt noch den ehemaligen Schwerpunkt, denn es geht vor allem um Frauen, um Frauen im Verhältnis zu Männern und nur ganz am Rande um Transmenschen und andere Geschlechter.

Interessant ist, dass Dänemark im Gleichstellungsindex gar nicht mal so gut dasteht: Was die wirtschaftliche Gleichstellung und Bildungsgerechtigkeit angeht ja, nicht aber in Bezug auf die politische Teilhabe. Auch hier sind Frauen unterrepräsentiert. Die Daten für viele Länder kann man im Global Gender Gap Report nachlesen.

Kaffe og kage im Gendermuseum:

Antikes Café-Ambiente, auf dem Tisch eine Kerze, ein Milchkaffee und Kuchen, außerdem eine Limonade


Gelesen | Ich hatte etwas Zeit im Zug und las Texte rund um die Proteste der Bauern. Oder sind es eher Proteste von Rechtsradikalen, die sich der Bauerndemonstrationen bemächtigen? Der Bauernverband scheint an einer Klarstellung nicht interessiert. Tatsache ist: Rechtsextreme träumen von einem Tag-X-Szenarion, dem Tag des großen Generalstreiks. Dafür kapern sie jedes sich bietende Thema, von Migration über Pandemie, Energieversorgung bis hin zur Subventionierung der Landwirtschaft, verdichten alle Themen zu „Wir gegen die Eliten“, legitimieren damit ihre Aktionen und verschieben mit jeder Aktion Grenzen – wie bei der Bedrohung der Privatperson Robert Habeck in Schlüttsiel. Das Ziel: Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung und schlussendlich Machtübernahme.

Aber zurück zu den Landwirt:innen und dem, was ich las.

  • Die deutsche Landwirtschaft unterliegt seit Jahren einem starken Strukturwandel. Agrarunternehmen verdrängen kleine, familiengeführte Bauernhöfe. Mit der Übernahmen steigt die Produktivität – dank Monokulturen und Düngemittel. Laut Angaben des Umweltbundesamtes war die deutsche Landwirtschaft im Jahr 2018 unmittelbar für 7,4 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich – unter anderem wegen des hohen Methanausstoßes aus der Viehhaltung (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung). Die EU fördert also große Flächen und sponsert riesige Ställe und Maschinen. Das Ziel: billige Nahrung.
  • Der Vorsitzende des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, bewirtschaftet im Nebenerwerb 350 Hektar Ackerfläche und bekommt dafür Agrarsubventionen in Höhe von rund 100.000 Euro (Wikipedia via Spiegel Online). Rukwied hält überdies acht vergütete Mandate in Aufsichts- und Verwaltungsräten, darunter bei Südzucker und dem Agrarhandelskonzern BayWa (Bauernverband).
  • EU-Förderungen, die Landwirtschaft klimafreundlicher machen sollen, laufen seit Jahren ins Leere.
  • Zum Argument „Landwirte sichern unsere Ernährung“: Mehr als die Hälfte unserer Äcker, 58 Prozent, nutzen wir zur Produktion von Tierfutter, weitere 17 Prozent für Energie. In Deutschland gehen jährlich 4,5 Millionen Tonnen Soja in den Futtertrog von Nutztieren, hinzu kommen weitere Getreide. Es braucht drei Kilogramm Getreide, um ein Kilogramm Fleisch zu erzeugen. Deutschland produziert – auch durch die starke Nutzung von Ackerflächen – jährlich 7,3 Millionen Tonnen Fleisch. Davon gehen drei Millionen Tonnen in den Export.

Ich habe den Eindruck: Es soll das öffentliche Bild entstehen, dass es bei dem Protest rund um Dieselsubventionen und Kfz-Steuer um Hans und Helga und ihren kleinen Milchviehbetrieb in Niedersonthofen geht. Möglicherweise geht es aber auch viel darum, Pflöcke einzuschlagen für den Erhalt des Status Quo, weniger für Hans und Helga, sondern für große Flächen und riesige Ställe, für Massentierhaltung, für die Agrarunternehmen, für die Menschen in ihren Aufsichtsräten und alle, die profitieren – vor allem Konserative und Rechte. Dass es in der Bauernschaft auch andere Stimmen gibt, zeigt sich in diesem Aufruf und im Video der Jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft. Einen weiteren seriösen Einblick gibt der Kontoauszug eines angestellten Landwirts bei ZEIT Online. Mir scheint: Es ist wie immer kompliziert, Bauern sind nicht gleich Bauern, Landwirtschaft ist heterogen. Aber: Es gibt deutlichen Reformbedarf. Nur anders, als konservative Bewahrer und Großbetriebe es sich wünschen.

Ergänzung, 8. Januar: Dazu auch ein sehr lesenswerter Newsletter von Ann-Kathrin Büüsker – Warum die Bauernschaft wütend ist

Gelesen | Recherche „Jule Stinkesocke“: In 2023 kam heraus, dass eine Bloggerin und Behindertenaktivistin mit mehr als 70.000 Followern und etlichen initiieren Spendenaktionen, nicht die ist, die sie vorgibt zu sein. Stattdessen ist „Jule“, die seit 2014 im Internet aktiv ist, wohl ein männlicher Übungleiter, der mit behinderten Jugendlichen gearbeitet hat. Er baute über knapp zehn Jahre und mit großem Aufwand den Fake „Jule“ auf. Dass „Jule“ im Blog ausführlich behinderungsbezogene Fetischen darlegt, macht die falsche Identität noch verstörender. Die Redaktion von Imperialcrimes hat aufwändig Fakten gecheckt.

Gelesen | Zsusza Bánk: Schlafen werden wir später. Márta ist Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrem Mann, Dramaturg, und drei Kindern in der Großstadt. Ihre Freundin Johanna ist Lehrerin, lebt im Schwarzwald und arbeitet sich an einer Dissertation über Annette von Droste-Hülshoff ab. Die beiden schreiben sich Briefe – oder nein: Es sind eher Tagebucheinträge, die sie an die jeweils andere richten, Ergießungen in poetischer Sprache, immer wieder mit Einspengseln literarischer Zitate. Beide begehren, was die jeweils andere tut und hat, während sie sich selbst bemitleiden. Das ist schwer zu ertragen, vor allem vor dem Hintergrund der Sprache. Ich wollte die beiden fortwährend schütteln und sie anschreien: „Jetzt reiß dich zusammen und krieg den Hintern hoch!“ Gegen Ende der fast 700 Seiten bewegt sich dann doch was bei den Frauen, immerhin.

Gelesen | Anke Gröner, Kunsthistorikerin, zur Geschichte des Automobils. Es gibt einen interessanten Aspekt.


Und sonst | In den sozialen Medien sah ich kürzlich das Video eines Bären, wie er, zottelig vom Winterschlaf, aus seiner Höhle tapst, benommen und sichtbar unorientiert. So wird es mir am Montag gehen, wenn ich an den Schbreitisch zurückkehre. Genaugenommen wird es schon heute Abend losgehen, wenn ich mich frage, auf welche Uhrzeit ich den Wecker stellen soll.

2024 | Frohes neues Jahr Ihnen allen! Möge es voller Gesundheit, Zufriedenheit und Heiterkeit sein.


Silvester | Ich verbrachte den Jahreswechsel in Gesellschaft von fünf Erwachsenen und zehn Kindern. Die Kinder: neun Jungs und ein Mädchen. Alter: zwischen 22 Monaten und 14 Jahren. Eine denkwürdige Mischung, ich war innerlich auf alles vorbereitet: Lärm, Übermüdung, Chaos, Ausrufen des Notstands, Trotz und Tränen. Doch der Abend verlief geruhsam. Die Gastgeber, Profi-Eltern von vier Buben, fütterten die Jugend mit Pommes und Bockwurst ab. Danach widmeten sich die Kinder Brettspielen und Klemmbausteinen, nur unterbrochen von Wackelpudding – ein Abend, als wären wir in den 80ern. Wir Erwachsenen spielten mit, wenn wir Lust hatten (ein paar Partien Drecksau gehen immer, finde ich) und unterhielten uns ansonsten. Neun von zehn Kinder hielten bis Mitternacht durch. Es gab großes Anstoßen mit Sekt und Limo, ein paar wenige Knaller, und auch danach war noch kein Aufbruch. Erst um 02:30 Uhr waren wir im Bett.

Gutes Spiel für Erwachsene (für Kinder nur mäßig geeignet): Codenames. Zwei Teams spielen nach einfachen Regeln gegeneinander. Ziel: dem eigenen Team möglichst viele der 25 ausgelegten Wörter mit nur einem Begriff umschreiben, ohne auf Wörter der Konkurrenz hinzuweisen.


Rauhnächte | Zwischen den Jahren habe ich sehr emsig nichts getan. Ich schlief, bis ich aufwachte, niemals wusste ich, welcher Tag war, wir spielten Spiele und futterten Kekse, ich las 600 Seiten, es gab keinerlei Verpflichtungen. Zwei- oder dreimal zogen wir uns richtige Kleidung an und verließen das Haus, um ums Karrée zu gehen. Perfekt.


Gelesen | Mario Giordano: Terra di Sicilia, gekauft im Urlaub in Südtirol. Erster Satz des Buches:

Mein Urgroßvater Barnaba Carbonaro, Sohn eines Priesters und einer Wunderheilerin, hat vierundzwanzig Kinder gezeugt, einen Menschen getötet und ein Mandarinenimperium gegründet.

Damit ist schon alles gesagt, nur darum geht es. Giordano erzählt – inspiriert von seinem eigenen Urgroßvater – die Lebensgeschichte des Barnaba Carbonaro, genannt Nino. Nino wächst im archaischen Sizilien des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf, eine Welt voller Rohheit und Aberglaube, aber auch voller Farben und Düften. Er lernt nie lesen, aber mit Zahlen kennt er sich aus. Das Leben führt ihn von Taromina nach Palermo und von dort nach München. Ein wunderbarer, voller, spielerisch erzählter Roman.


Dank | Danke an Zwei, die sich meines Wunschzettels bedient haben. Ich habe mich sehr gefreut über Zsuzsa Bánk und Abreißen, loslassen.


Und sonst | Das Wasser, es fließt nicht ab. Aus Niedersachsen nicht und vor der Haustür auch nicht. Die Lippe breitet sich weit über Felder aus und steht dort.

Vorsätze fürs neue Jahr habe ich keine, ausdrücklich nicht. Außer: Haltung bewahren, ganz unbedingt.

Keine Lust auf Jahresrückblicke, schon gar nicht mediale. Auch keine Lust auf Vorschauen. Einfach im Jetzt leben.


Schweine | Neujahrsschweine:


Gelesen | Bürgergeld: Nicht die Höhe ist der Skandal, sondern die Debatte. Von den 5,5 Millionen Menschen, die Bürgereld empfangen, arbeiten nur 1,6 Millionen tatsächlich nicht, obwohl sie könnten – und das sind noch nicht einmal dauerhaft dieselben. Mit anderen Worten: Widmen wir uns lieber dem anderen Ende des Debattenspektrums, den gut verdienenden Steuerhinterziehern.


Ausblick | Morgen geht es für ein paar Tage nach Aarhus. Der Rucksack ist gepackt, mitsamt Mütze und Handschuhen. Es soll Schnee und Wind geben.

Der Morgen vor Heiligabend | Ich erwache früh, nicht freiwillig. Aber heute ist kein Tag für die Schlummerfunktion, heute ist der 23. Dezember, ein Samstag, der Tag des letzten Frischwareneinkaufs vor drei Feiertagen.

Gestern habe ich großmütig verkündet: „Ich erledige das.“ Doch nun, im warmen Bett, fühle ich mich wie vor einem Bungee-Sprung. Eigentlich möchte ich nicht. Aber ich komme aus der Nummer nicht mehr raus. Vor meinem inneren Auge sehe ich vorwurfsvoll dreinblickende Senioren vor leeren Fonduetöpfen sitzen, im Hintergrund Lichterglanz. Nein, ein Rückzug kommt nicht infrage.

Es ist 7:45 Uhr, als ich das Haus verlasse. Um 8 Uhr öffnet der Supermarkt. An der Kreuzung ist die Ampel rot. Alle zehn Autos vor mir blinken rechts. Ich blinke auch rechts. Als militärische Kolonne biegen wir auf den Parkplatz des Supermarktes ein, der bereits zu sechzig Prozent gefüllt ist. Menschen streben auf den Eingang zu. Um den Brathähnchenwagen herum teilt sich der Kundenstrom, vor der Automatiktür fließt er wieder zusammen.

In einem synchronen Ballett parken wir, öffnen unsere die Fahrertüren, steigen aus und schlagen die Türen zu. Autos verschließen sich piepend. Mit zügigen Bewegungen ziehen wir Einkaufswagen aus den Unterständen. Wir sind viele, und wir sind entschlossen.

Als erstes das Gemüse. An Heiligabend gibt es Fondue, immer schon. Früher nur Fleisch, jetzt auch Gemüse. Ich greife nach dem Blumenkohl. Es ist ein auffallend kleiner Kopf, geradezu niedlich. Ich will ihn schon in den Wagen heben, da fällt mein Blick aufs Preisschild. Vier Neunundneunzig steht da, und darüber steht tatsächlich „Blumenkohl“, obwohl die Zahl und das Wort nicht zusammenpassen. Fünf Euro für einen Blumenkohl in der Größe eines Kinderhandballs. „Dank einem reduzierten Gewicht von unter 260 Gramm und einem Umfang von 46 bis 48 Zentimetern können Kinder sie besser fangen und werfen„, aber wir wollen ihn ja nicht werfen, sondern wir wollen davon satt werden. Ich lasse den Kohl fallen.

Ich strebe zu den Molkereiprodukten. Dort, wo sie im rechten Winkel mit den Wurstwaren zusammentreffen, sammelt sich eine Menschentraube. Als ich näherkomme, erkenne ich: Das ist das Ende der Frischfleischschlange, wobei die Fleischtheke nur als dünner Strich am Horizont zu erkennen ist. Ein Mann in rotem Pullunder, mit erhitzten Wangen und zerknittertem Einkaufszettel springt heran. „Sind Sie Fleisch oder Wurst?“, fragt er die Dame vor mir. „Ich bin Wurst“, sagt sie. Er wendet sich mir zu. „Und Sie?“ Ich muss kurz überlegen: „Ich, äh, bin Fleisch.“ – „Dann sind wir hier falsch. Kommen Sie mit!“, und raunt mir zu: „Ich kenne eine Abkürzung!“ Wir schlängeln uns um den Stand mit Hartwurst und Bifi herum, drehen einen Schlenker um die Grillsaucen und erreichen das Ende einer bis dato nicht sichtbaren zweiten Schlange. Eine Frau in einer wattierten Steppweste bildet ihren Abschluss; sie wiegt einen Camembert in der Hand, riecht an ihm und legt ihn zurück in eine Kühltheke. „Hier sind wir richtig“, sagt der Pullunder-Mann. Über uns prangt ein Schild mit einem Pfeil. Er zeigt auf uns. Über dem Pfeil steht „Fleisch“. „Habe ich gestern schon erkundet. Sieht man von hinten nicht“, sagt er, und in seiner Stimme schwingt Stolz mit.

Ich entscheide mich für Biofleisch. Als ich die Tüten entgegennehme und auf das Preisschild schaue, denke ich: Nun kann ich auch noch einen Blumenkohl kaufen. Aber auf dem Einkaufszettel stehen noch Datteln, und nach den Datteln sind meine Spendierhosen wieder enger. Jetzt nur noch Grillsaucen. Die habe ich vorhin schonmal gesehen.

Vor den Grillsaucen steht ein Mann mittleren Alters, die Haare wirr und schütter, im Gesicht ein Dreitagebart. Er ist eindeutig aus dem Bett gefallen – oder gescheucht worden. Seine Brille hatte er in die Stirnfalten geklemmt, sein Blick geht auf seine Hände, die er zu Fäusten geballt hat. Er streckt den Daumen vor, dann den Zeigefinger, den Mittelfinger, bis alle Finger ausgeklappt sind. Dann nimmt er die zweite Hand hinzu, schaut nachdenklich in die Luft, schüttelt den Kopf und beginnt noch einmal von vorne. Seine Brille fällt ihm auf den Nasenrücken, schief bleibt sie darauf liegen. Wie viele Bockwürste braucht er für wie viele Gäste? Wie viele Leute kommen überhaupt?

Die Kassen sind gut besetzt. Überhaupt: Alle Arbeitsplätze sind heute besetzt. Überall huschen dienstbare Angestellte herum, räumen Regale ein, verkaufen Wurst, Käse und Fleisch, kassieren und weisen den Weg zu Klößen, Rotkohl und Rinderfond. Junge Menschen mit Pickeln auf den Wangen schieben Wagen mit Waren, alte Menschen mit Haarkränzen verräumen – es ist, als haben sie Mann und Maus, Schüler und Rentner mobil gemacht, um diesen Tag zu überstehen.

„Danke, dass Sie heute arbeiten“, sage ich der Kassiererin, als ich einpacke. Sie antwortet: „Das ist doch mein Job.“ – „Aber manchmal ist er schwieriger als an anderen Tagen.“ – „Das stimmt“, sagt sie. Wir wünschen uns frohe Weihnachten. Ich gehe hinaus auf den Parkplatz. Es hat wieder zu regnen begonnen. „Mission completed„, schreibe ich dem Reiseleiter. Er antwortet: „Dann mache ich jetzt Frühstück.“ Weihnachten kann beginnen.


Der weitere Tag vor Heiligabend | Nach dem Einkaufen gliedert sich der Tag in diverse Aufgaben, die noch zu erledigen sind. Aus Gründen der Übersicht sowie aus pädagogisch-motivatorischen Erwägungen schreibe ich sie auf eine Checkliste und hänge sie in die Küche.

Handschriftliche Checkliste am Küchenbuffet.

Die Maßnahme verfehlt ihre Wirkung nicht. In Checker-Tobi-Manier rufen die Kinder: „Gecheckt!“, wenn eine Sache erledigt ist und machen einen Haken ins Kästchen. Am Nachmittag steht der Baum, die letzten Geschenke sind besorgt, die Schweine haben einen frisch gefegten Stall, und die Schokocrossies trocknen. Wir sitzen neben dem aufgerüschten Baum und sind bereit für „Kevin allein zu Haus.“

Weihnachtsbaum, geschmückt mit goldenen und roten Kuten Kugeln und allerlei Engeltand.

Der Heiligabend | Den Abend verbringen wir mit Fondue, mit Fleisch und Datteldip, Brokkoli, Pilzen, Pak Choi und Kohlrabi, aber ohne Blumenkohl. Wir sitzen in der Küche, auf dem Tisch dampfen zwei Töpfe mit Brühe, das Licht ist gedimmt, Kerzen brennen, Weihnachtsmusik spielt. Das Wesen des Fondue ist es – ähnlich wie beim Raclette -, dass man Ewigkeiten zusammensitzt, während man der Sättigung immer ein kleines Stückchen näher kommt, bis sie plötzlich einsetzt und direkt in eine leichte Übelkeit umschlägt.

Bis dahin tunken wir unsere Spieße in die Brühe, und die Veranstaltung wäre nur halb so unterhaltsam, wenn alles am Spieß bliebe, was aufgespießt wurde.

„Ich habe meinen Brokkoli verloren!“
„Aber das ist doch gar nicht dein Spieß.“
„Ist er nicht?“
„Deiner ist gelb.“
„Nein, Gelb bin ich!“
„Wem gehört denn dann der Brokkoli?“
„Mein Fleisch ist weg.“
„Ich hole mal einen Löffel.“
„Was ist das denn hier?“
„Ach, das gehört mir!“
„Ich habe einen Pilz gefunden.“
„Wir haben Pilze?“
„Wieso hast du vier Spieße bei dir liegen? Wir haben doch jeder nur zwei.“
„Oh.“
„Noch jemand Brot?“
„Also, ich hätte jetzt schon gerne Blumenkohl!“

Später am Abend kommt die große Stunde des Reiseleiters. Seit dem Sommer nimmt er Gitarrenunterricht. Seither ziehen wir ihn damit auf, dass wir unterm Tannenbaum eine künstlerische Darbietung erwarten, das sei das Mindeste, was er nach Monaten des Übens bieten müsse. Nach Fondue und Champagner packt er also die Klampfe aus, und nicht nur das: Er verteilt auch Liedzettel und verkündet, er spiele nur, wenn wir auch sängen. Er gibt die ersten Akkorde von „Feliz Navidad“ zum Besten. Ich blicke auf den Zettel: Der Text ist überschaubar, den können wir auch nach zwei gut gefüllten Sektflöten intonieren.

Es ist unterhaltsamer als erwartet. Wir singen neben dem Takt, der Reiseleiter verhaspelt sich etwas, wir improvisieren die im Text geforderte „Dance Break“, finden wieder zueinander und sind am Ende erschöpft, aber doch zufrieden mit uns. Darauf noch ein Gläschen! Und Geschenke.


Die weiteren Weihnachtstage | Die weiteren Weihnachtstage verlaufen ebenfalls heiter. Wir verbringen sie im Sauerland und in Recklinghausen, essen Suppe und Klöße, Kuchen und Rotkohl, Herrencreme und Rouladen, vegan und unvegan. Am Zweiten Weihnachtstag rudere ich durchs Obergeschoss, um mir etwas Bewegung zu verschaffen. Draußen regnet es ununterbrochen. Gut, dass wir das Ergometer haben, sonst wäre das alles nicht zu verkraften.


Dänisch | Der Reiseleiter lernt nicht nur Gitarre, er lernt auch Dänisch. Denn im Sommer planen wir eine erneute Fahrradreise durch Dänemark, diesmal mit den Kindern. Der Reiseleiter hat die Route bereits geplant und alle Unterkünfte gebucht. Damit er seiner Funktion noch besser nachkommen kann, eignet er sich mittels einer App die Landessprache an.

Als wir am Ersten Weihnachtstag ins Sauerland fahren, treffen wir in Olfen-Vinnum ungewöhnlich früh auf die Lippe. Sie hat ihr Bett verlassen und breitet sich über die angrenzenden Felder aus. Neben dem Lippe-See hat sich ein Fischreiher postiert und wittert auf Mäuse und Molche, Frösche und Fische.

Hochwasser an der Lippe

„Guck mal“, sage ich zum Reiseleiter. „Ein Reiher.“ – „De fleste hejrer lever tæt på vandet“, antwortet er sehr ernst, den Blick auf die Straße gerichtet, denn er fährt das Auto. „Die meisten Reiher leben in der Nähe von Gewässern.“

Ich denke, wir werden gut zurechtkommen in Dänemark. Vor allem, was Reiherdinge angeht.


Geguckt | Die Hunderjährigen – Was macht ein langes Leben aus? Eine Vorbereitung auf später: Ich plane ja, 106 zu werden. Die Zahl habe ich mir ausgesucht. Familiär bedingt ist hohes Alter sowohl von mütterlicher als auch auf väterlicher Seite aus möglich, alle Alten wurden richtig alt. Ein früheres Versterben als mit Ü100 weise ich deshalb strikt von mir.


Schweine | Die Schweine bekamen auch Brokkoli. Sie stehen auf Brokkoli.

Meerschwein vor Brokkolirösschen

Glühwein und Kekse | Das Leben ist nun unverkennbar weihnachtlich. Auf der Terrasse steht ein Baum, der eingestielt und verwohnzimmert werden möchte. Geschmückt wird traditionell am 23. Dezember.

Am vergangenen Wochenende habe ich Plätzchen gebacken, fünf Sorten. Das war entspannend.

Untertasse mit fünf Sorten Keksen drauf: Nusskordeln mit Schoko-Enden, Vanillekipferl, Kokosmakronen, Schoko-Crossies, Engelsaugen mit Marmelade.

Ich habe vor mich hin geknetet, Teigwürste gedreht, Kügelchen gerollt, Cornflakes zu Schokobergen zusammengeschoben und dabei Hörbuch gehört. Der Reiseleiter hatte eigene Pläne. Niemand wollte mit mir reden. Es war wunderbar.

Am Samstagabend, der Reiseleiter weilte außerhäusig, die Kinder waren bei ihrer Mutter, veranstaltete ich meine betriebliche Weihnachtsfeier. Ich stellte einen Topf mit Glühwein auf den Herd, hörte weiter Hörbuch, trank den Topf leer und fühlte mich beseelt.

Die Geschenkesache habe ich auch im Griff. Ich muss nur noch einpacken. Einpacken ist allerdings wie Basteln, und Basteln ist ein schwieriges Thema in meinem Leben.


Backstage | Die letzten Arbeitstage waren noch einmal knackig. Drei intensive Workshoptage beim Kunden, Weichen stellen für 2024. Das Unternehmen befindet sich in stetem Wandel. Ich arbeite dort sehr partnerschaftlich mit internen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Es macht große Freude, gemeinsam zu gestalten.

An einem der Tage war ich noch für einen anderen Kunden unterwegs, ein Führungskräftetraining. Es kommt nicht oft vor, dass ich aus dem Hotelzimmer arbeite. Aber manchmal ergibt es sich so. So sieht dann das Setting aus:

Schreibtisch im Hotel unter einem Fernseher, darauf ein Laptop auf einem Ständer und ein Licht für Videokonferenzen.

Ich habe einen Bildschirmhintergrund in meinem Corporate Design. Das Bett hat also niemand gesehen. Für den Kunden war alles wie immer. Am Abend zuvor absolvierte ich auch meine Weiterbildung an der Fernuni Hagen so.

Ein Gruß geht raus ans Hotel: Drei Stunden auf dem Höckerchen sind übel. Ein Stuhl wäre toll gewesen.


Schlauer werden | A propos Weiterbildung: Die ist super. Ich bin glücklich, mich dafür entschieden zu haben, und bin sehr zufrieden mit der Qualität der Lehre. Systemisches Coaching auf Universitätsniveau, mit promovierten Psycholog:innen, sehr praxisnah, mit wissenschaftlicher Tiefe. Ich habe schon viel gelernt, das ich bereits anwende. Die Ausbildung ist ihr Geld, rund 7.600 Euro, auf jeden Fall wert. Meine Kund:innen werden gut profitieren.

Es ist allerdings auch genauso zeitintensiv, wie es super ist. Unzählige Dienstagabende, dazu Freitage und Samstage digital von daheim, vier Wochenende in Präsenz, 25 Coachingstunden mit Reflexionsbögen, ein fünfseitiger Supervisionsbericht, 25 Stunden kollegiale Intervision, Entwicklungsgespräche und eine Gesamtreflexion – das ist neben dem Job eine Menge Holz. Aber es macht jedesmal Spaß, weil es mich auch jedesmal weiterbringt. Gestern hatten wir die ersten beiden Intervisionsstunden, also kollegialer Austausch in einer kleinen Gruppe Lernender. Meine Intervisionsgruppe besteht aus vier Menschen aus verschiedenen Branchen, erfahrene Leute, die klug und aufgeräumt sind. Wir sind bereits sehr vertraut miteinander. Ich bin mit viel Energie aus dem Abend gegangen.

Das Schöne ist: Ich stehe erst am Anfang. In 2024 kommt noch so viel! Das wird toll.


Juchee! | Es gab ein Geburtstagsereignis. Es ist inzwischen schon etwas her, aber es soll nicht unerwähnt bleiben.

Kuchen mit einer 14 und Legosteinen aus Fondant, außerdem mit 14 brennenden Kerzen.

Der Kuchen ist nicht von mir, der ist von der Oma. Lob und Ehre gehen also dorthin. Die Legosteine haben sie den letzten Nerv gekostet. Ich bitte um besondere Würdigung.


Gelesen | Ein Blick aus der Schweiz: Deutschland kippt nach rechts.

Auch wenn der Verfassungs­schutz mit seiner jüngsten Entscheidung zu Sachsen nun schon den dritten Landes­verband der AfD als gesichert rechts­extremistisch eingestuft hat: Angst vor dem Inland­geheimdienst hat die AfD nicht mehr. Ihre Kooperationen mit Neonazis, staats­feindlichen Reichs­bürgerinnen und Über­schneidungen zum rechts­terroristischen Untergrund sind gut dokumentiert, empören aber immer weniger. 

Gelesen | Alles für die Kohle: Wie ein Konzern unser Wasser abgräbt. Eine Recherche über den Kohlekonzern Leag, der in Brandenburg, einer der trockensten Regionen Deutschlands, jahrelang viermal so viel Wasser schöpfte wie genehmigt. Konsequenzen: keine. Stattdessen Schweigeklauseln mit Städten, überforderte Behörden, Männerbünde, fragwürdige Gutachter und Seen, die austrocknen.


Bemerknis | Es ist nur anekdotische Evidenz aus meinem Umfeld, aber inzwischen empören sich auch Menschen über mangelnden Fortschritt in Klimabelangen, die bislang ganz und gar nicht in Verdacht standen, linksideologischem Gedankengut anzuhängen. Es sind Menschen an Kaffeetafeln und Mittagstischen – metaphorisch umschrieben als alte weiße Männer -, die finden, man möge doch bitte „endlich Nägel mit Köpfen machen“, klimaschädliche Subventionen streichen und Inlandsflüge verteuern, außerdem ein Tempolimit einführen, denn „natürlich fahre ich gerne mal schnell, aber die Zeiten von 220 auf der Autobahn sind irgendwie vorbei“. Man findet, in die Sache müsse jetzt mal Klarheit und Verbindlichkeit rein, das „Geeiere“ geht „auf die Nerven“.


Stillstand 2024 | Derweil driftet Nordrhein-Westfalen in Richtung Stillstand. Das Jahr 2024 wird interessant. Wer sich in NRW und insbesondere im Ruhrgebiet auskennt, kann den folgenden Absatz überspringen. Für alle anderen folgen sechs Sätze Kontext, bevor es ins konkrete Thema geht.

In der Metropole Ruhr leben mehr als 5,1 Millionen Menschen und wollen sich bewegen (zum Vergleich Berlin: 3,9 Millionen). In Nord-Süd-Richtung durchkreuzen vier große Autobahnen das Ruhrgebiet: die A3, die A43 und die A1. Außerdem führt die A45 direktemang vom östlichen Ruhrgebiet, also von Dortmund, nach Frankfurt. Von Osten nach Westen sind die A2, die A 42, die A 40 und die A46 die wichtigsten Verkehrsadern. Es gibt eine Menge mehr Autobahnen, aber das sind die Verkehrsadern, die für mich am relevantesten sind. In etwa parallel fahren auch die Züge. Besonders durch den Korridor Dortmund – Essen – Duisburg führen stark frequentierte ICE-Verbindungen, unter anderem die Verbindung von Berlin-Ostbahnhof in die Schweiz, die stündlich bedient wird; dazu Regionalzüge im 20-Minuten-Takt, Intercitys und S-Bahnen. Hinzu kommt der Durchgangsverkehr – nicht nur der deutsche, sondern auch der Personen- und Güterverkehr aus den Niederlanden und Belgien.

Nehmen wir die A45, die Dortmund mit Frankfurt verbindet. Die BrüLüLü – die Brücken-Lücke Lüdenscheid, das Loch in der Autobahn – macht diese Strecke für den Fernverkehr für mehrere Jahre unbenutzbar. Die regionale Umleitung ist seit Anbeginn der Sperrung völlig am Limit, der Verkehr fährt 100 Kilometer lange Umwege über die A4 und die A3 oder fährt über Dörfer. Auf anderen Nord-Süd-Achsen sieht es nicht wirklich besser aus: Auch Brücken in Leverkusen (A1) und in Recklinghausen (A43) sind marode. Seit Langem sind hier Waagen eingerichtet, Lkws werden abgeleitet und müssen die Brücken umfahren, der Pkw-Verkehr stockt.

Seit ein paar Tagen ist nun auch die A42, eine relevante Ost-West-Achse, komplett gesperrt: Zwischen Bottrop und Essen ist eine weitere Brücke so marode, dass niemand sie mehr überqueren darf, nicht einmal mit einem Fiat Panda. Bis Frühjahr 2024 bleibt die A42 geschlossen, für Lkws auch länger, für immer. Die Wege, die Lkw-Fahrer im Ruhrgebiet nehmen können, werden immer weniger. Sie suchen sich Strecken durch Städte, fahren sich fest, und weichen auf die verbleibende A2 oder auf die A40 aus, die auch ohne den zusätzlichen Verkehr bereits verstopft sind.

Hinzu kommt der Umbau des Kreuz Kaiserbergs in Duisburg, ein Knotenpunkt mit täglich 145.000 Fahrzeugen. Der Umbau betrifft sowohl Autobahnen als auch den Schienenverkehr und legt die ganze Umgebung lahm. Will ich nach Duisburg zum Kunden, eine Strecke von 78 Kilometern, dauert das mit dem Auto eindreiviertel Stunde. Mit dem Zug dauert es noch länger.

Denn auf der Schiene ist die Lage nicht besser: Nicht nur die Schienen rund um die Baustelle in Duisburg werden regelmäßig gesperrt. Die Strecke zwischen Essen und Dortmund, also die Ost-West-Hauptachse in der 5,1-Millionen-Ruhrmetropole, ist (erstmal) für sieben Wochen gesperrt. Teile des Regionalverkehrs fallen komplett aus. (Die aufmerksame Leserin erinnert sich: Die Ost-West-Autotrasse A42 ist wegen kaputter Brücke auch tot.) Was fährt, wird nördlich über Gelsenkirchen und Herne umgeleitet – auch der gesamte Fernverkehr, der das Ruhrgebiet quert. Die Umleitungsstrecke ist allerdings auch ohne Mehrbelastung schon störanfällig; es wird spannend. Der Regionalexpres 11, der zwischen Kassel und Düsseldorf verkehrt und dabei das Ruhrgebiet quert, wird eingestellt. Allerdings nicht wegen der Baustelle, sondern wegen Personalmangels, auf unbestimmte Zeit. In Nord-Süd-Richtung ist es auch hakelig. Dort baut die Bahn zwischen Ruhrgebiet und dem Münsterland. Der Regionalbahnhof vor meiner Haustür wird deshalb bis April 2024 nicht angefahren.

Wenn ich Fahrten unternehme, die gemäß Fahrplan oder Navi länger als drei Stunden dauern, plane ich mittlerweile nur noch ganze Reisetage ein. Städte im eigenen Bundesland, in die ich eigentlich pendeln könnte, fahre ich einen Tag früher an und übernachte in Hotels. Denn egal ob mit Zug oder Pkw: Die Unwägbarkeiten sind so groß, dass alles andere unkalkulierbar ist.


Schweine | Alles wie immer, nur etwas schläfriger. Die Schweine hadern damit, dass sie Schweine und keine Murmeltiere sind. Wären sie Murmeltiere, könnten sie sich einrollen, den Regen, Wind und Sturm verschlafen und erst wieder aufwachen, wenn das Gras wächst und der Löwenzahn sprießt. Melancholische Sehnsucht:

Meerschweine beim Essen. Meerschwein Eins schaut puschelig in die Kamera.

Ich wünsche Ihnen allen schöne Weihnachtstage und eine gute Zeit zwischen den Jahren!

Die Lage | So (handlungseinleitend). Wirklich viel los grad im Real Life, vor allem beruflich. Mitte Oktober bis Mitte Dezember ist traditionell eine Hochphase der Arbeit. Dinge sollen noch bis Jahresende geschehen, kleine Wunder, mittlere Wunder, für große Wunder ist die verbleibende Zeit leider zu knapp. Das Eine will abgeschlossen werden, das Andere schonmal begonnen werden, damit man im neuen Jahr in die Vollen gehen kann.


Das Bahnabenteuer | So fuhr ich in der vergangenen Woche an einem Tag nach Stuttgart und am nächsten wieder zurück. Die Rückfahrt war nichts für Laienbahnfahrer: Die reguläre Verbindung war storniert. Ich suchte mir eine Alternativverbindung: 17:37 Uhr auf Gleis drei. Doch: Auf Gleis drei kam kein Zug. Eine Minute vor Abfahrt die Information: Dem ICE geht es schlecht, der Zug ist müde, er ist gar kaputt.

Anzeige auf dem Bahnsteig: 17:37 Uhr, IICE 1549 nach Dortmund, Zug fällt aus. Die Bahnhofsuhr daneben zeigt 17:36 Uhr

Die Alternative zur Alternativverbindung fuhr zwanzig Minuten später auf Gleis zehn – wie sich herausstellte, aber nur eine Teilstrecke, weil wegen … ach, wer weiß das schon so genau. Der Zug kam erst nicht, alle hatten schon Sorgen, dass er auch müde ist. Aber dann kam er doch. Ich stieg ein; das Motto war: Hauptsache nach Norden. Hinter Frankfurt die Durchsage: „Reisende, die vom Ruhrgebiet aus weiter nach Hamburg müssen, werden gebeten, sich an der Information zu melden. Für Sie wird ein Hotelzimmer organisiert.“ Stöhnen im Waggon. Die Bahn-App offerierte mir einen Umstieg in Köln (vier Minuten Umsteigezeit) und einen weiteren in Duisburg (sechs Minuten) – Kenner wissen, was das bedeutet. Es war inzwischen 22 Uhr.

Um 22:01 Uhr meldete die App auch prompt: „Anschluss wird voraussichtlich nicht erreicht.“ In Köln sprintete ich durch die Halle – Rucksack, Koffer, Moderationstasche, Winterjacke – und keuchte zu Gleis eins hinauf. „Der Regionalexpress fünf fährt heute abweichend auf Gleis vier ein.“ Also wieder runter, zusammen mit Rucksack, Koffer und Tasche, gemeinsam mit einem Pulk weiterer Menschen. Wie ein Schwarm von Staren teilten wir uns um Säulen, umflossen Putzwagen und Verkaufsbüdchen und erreichten die piependen Türen des Regionalexpresses in einem fulminanten Zielsprint. In Duisburg das Gleiche: „Anschluss wird voraussichtlich nicht erreicht“. Wieder den Koffer hochgerissen, den Rucksack festgezurrt, die Tasche unter den Arm geklemmt, die Jacke gerafft und los ging der wilde Lauf. Um 23:30 Uhr kam ich an meinen Zielbahnhof in Haltern am See an, um Mitternacht war ich im Bett. Für meine Leistung als Kundin hätte ich an diesem Tag die Goldene Ehrennadel des Schienenwesens verdient.


Bemerknis | In Stuttgart trank ich Löwenzahn-Limonade, was es nicht alles gibt. Sie schmeckt ein bisschen merkwürdig, aber auch ein bisschen gut. Nicht sehr süß. Eigentlich ganz angenehm.

Eine Flasche Stuggi-Schorle mit Löwenzahn-Etikett, dahinter (unscharf)  rote und weiße Sofas und eine Empore mit einem Kicker

Und weiter | Nach der Rückfahrt aus Stuttgart moderierte ich am nächsten Tag in Wuppertal, tags darauf gab ich ein Seminar in Duisburg, am Freitag schlossen sich frühe Onlinetermine an. So eine stramme Woche brauche ich auch nicht immer.


Fred | Das neue Gefährt hat einen Namen: Fred. Fred und ich haben uns angefreundet. Sein großes Display, die Scheibenwischautomatik, die Abblendautomatik, die Kameras, Knöpfe und Funktionen werden mir vertraut. Fred fährt sich gut, gleitet über die Landstraßen und Autobahnen, beschleunigt hübsch – man munkelt in 3,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h – und kann laut Musik spielen. Er hat nicht nur hinten, sondern auch unter der Motorhaube einen kleinen Kofferraum: Es passen zwei Packungen Meerschweinchenstreu und eine geknautsche Tüte Heu hinein. Mit meinem Handy kann ich ihn hupen lassen, und er hat einen Biowaffen-Verteidigungsmodus, den ich aber noch nicht benutzt haben.


Nikolaus | Als ich am Dienstag gegen Abend losstapfte, um noch eine Packung Saft im Dorfsupermarkt zu holen, geriet ich in eine Demo. Horden von Menschen kamen mir entgegen, die irgendwas mit Sonne, Mond und Sterne skandierten. Eingerahmt von der Polizei, schritt ihnen ein alter Mann mit langem Bart und rotem Umhang voran. Eine Kapelle spielte volles Pfund irgendwas mit Rabimmel Rabammel, obwohl dieses Ereignis bereits deutlich hinter uns liegt; alle zusammen blockierten sie Klimakleber-artig die Landstraße. Kein Auto kam mehr durch.

Der Anführer der Demo wurde auch am nächsten Tag noch einmal gesehen, wie er im Elektroschiff über den örtlichen See fuhr. Offenbar ist nun auch der Nikolaus völlig woke und grünversifft, solidarisiert sich mit der linken Lichterfest-Ideologie und blockiert mit seinen Gutmenschensympathisanten ganze Straßenzüge.


Krippen-Interpretationen | Die Weihnachtsstimmung wird immer massiver. Anfang der Woche fand ich einen Zettel im Briefkasten: Am Freitag und Samstag Tannenbaumverkauf am Nahcbarschaftsschloss mit Glühwein, Waffeln und Lahmacun (sic!). Wer komme, sei außerdem herzlich eingeladen den diesjährigen Krippenweg zu gehen – eine Ausstellung, die nur alle zwei Jahre stattfindet und Krippen zeigt, die Menschen aus der Umgebung handgefertig haben.

Wir erreichten die Veranstaltung am späten Samstagvormittag.

Ein altes, herrschaftliches Gebäude, dafür Weihnachtsbäume zum Verkauf. Ein Pavillon, Menschen.

„Die besten Bäume sind jetzt natürlich schon weg!“, wurden wir begrüßt. „Aber wir machen noch Abverkauf.“ Wir fanden den perfekten Baum, es war direkt der erste, den wir uns anschauten. Ich finde ja ohnehin: Eine Tannenbaumentscheidung muss schnell und konsequent getroffen werden, Betrachtung von maximal drei Bäumen und dann ein entschlossener Kauf. Mehr Auswahl macht das Ergebnis nicht besser.

Bevor wir den Tannenbaum nach Hause trugen, schauten wir uns noch die Krippen an. Die drei eindrücklichsten Werke habe ich im Bild festgehalten. Eine Legokrippe:

Krippe aus Lego, sehr detailgetreu mit Schafen, Karren, Kamelen und Figuren.

Die OGS Katharina von Bora liefert eine Interpretation mit Heiligen Zebras und Heiligen Badeenten. Außerdem, leider nicht gut sichtbar, trägt Jesus einen Heiligenschein aus Kronkorken.

Die dritte Krippe ist von der örtlichen Schützenbruderschaft. Sie zeigt den Heiligen Stall, wie er direkt an die Dorfkneipe angrenzt. Im Vordergrund das Königspaar, Rücken an Rücken mit den Heiligen Drei Königen.

Darstellung aus Playmobil, links eine Krippensituation, rechts eine Kneipensituation, nut getrennt von einem Holzbalken

Nun ist es raus | Vielleicht erinnern Sie sich noch: Vor einiger Zeit schrieb ich von einer Anruferin, der mich zum Gießkannen-Code befragte. Sie rief im Auftrag einer Autors an und wollte wissen, ob es das wirklich gebe, dass Witwen die Gießkanne auf bestimmte Weise trügen, um zu signalisieren, dass sie wieder für eine neue Beziehung bereit wären. Ich telefonierte mich durchs Sauerland, befragte Seniorinnen aus der Verwandtschaft und gab die Erkenntnisse weiter. Nun gibt es das Buch zu kaufen: Saša Stanišić – Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne


Auf der Lauer | A propos Sauerland: Dort geschehen seltsame Dinge. Eine der besagten Witwen, die ich in der Gießkannensache kontaktierte, beobachtet Seltsames am Grab ihres Gatten. Immer wieder findet sich dort eine tiefrote Rose. Niemand weiß, wer sie dort ablegt. Von ihr ist sie nicht, von den Kindern auch nicht, nicht von den Enkelkindern, und die Schwiegertochter weiß auch von nichts. Vertut sich hier jemand im Grab? Es handelt sich um einen Friedwald, da kann man schonmal den falschen Baum erwischen. Oder ist es eine posthume Liebesbekundung?

Wir haben gemeinsam überlegt, wie wir das herausfinden können. Möglichkeit Eins: Wir graben uns eine Stellung, legen uns in Flecktarn auf die Lauer, bedecken uns mit Laub und warten. Möglichkeit Zwei: eine Wildtierkamera. Ich habe mich informiert: Ein mittelgutes Gerät hat einen Nachtsichtmodus, bis zu 23 Meter Reichweite und man bekommt es bereits ab 69 Euro – das sollte die Sache wert sein!

Fraglich ist nur, wie wir sie angebracht bekommen. Die Friefhofs-Facilty-Management ist sehr aufmerksam. Es darf nichts festgebunden oder abgelegt werden, was nicht verrottet. Entweder schleichen wir uns also nachts auf den Friedhof, eine Leiter über der Schulter, klettern zum Baum hinauf und bringen die Kamera an. Oder aber – auffällig ist am unauffälligsten – wir kleiden uns in Latzhose und Fleecepulli, legen uns eine Heckenschere und eine Harken in eine Schubkarre (und natürlich die Wildtierkamera) und machen es am hellichten Tag.


Schweine | Die Schweine sind wohlauf. Den ersten Schnee haben sie gut überstanden; sie zogen es vor, im warmen Stroh zu kuscheln. Ein seltener Moment der Dynamik:

Zwei Meerschweine, eins springt gerade in den Stall

Für die ganz kalten Nächte haben sie eine extra dicke Strohschicht im Stall, außerm eine leichte Wärmelampe. Sie macht nicht viel Wärme, aber hält die Tenmperaturen über Null. Gefühlt fressen sie auch das doppelte an Heu, wenn es so kalt ist.


Und sonst | Eine Impression vom Bahnhof Duisburg, die ich Ihnen nicht voranthalten möchte: Die Farben, die Tristesse und wie es eimerweise vom Dach auf die Gleise regnet – dieser Bahnhof ist einfach eine Komposition.

Gleis am Duisburger Hauptbahnhof. Es ist sehr trostlos.

Berlin, Teil II | Wo habe ich aufgehört zu erzählen? Ach ja, im Restaurant in Berlin. Am Tag danach fuhr ich Teltow und arbeitete dort für einen Kunden, sah Menschen, die ich meist nur auf Kacheln sehe und selten persönlich. Das war gut.

Von Teltow aus schlug ich mich am Abend nach Charlottenburg durch, fuhr erst mit dem Bus in die falsche Richtung, dann in die richtige. Je näher wir dem Bahnhof Zoo kamen, desto voller wurde der Bus und desto illustrer wurde das Publikum. In Charlottenburg schlug ich mich zur Tür durch und marschierte zu einem österreichischen Restaurant.

Restaurant, das aussieht wie eine gute Stube: Hängegardinen, traditionelle Lampen, Stühle mit Polster und Bänke zum Sitzen. An den Wänden eine Kuhglocke und Bilder

Dort traf ich mein traditionelles Berlin-Date, einen (inzwischen emeritierten) Professor, den ich während meiner Mediations-Ausbildung kennengelernt habe. Ich freue mich jedesmal, ihn zu sehen; es ist immer ein angenehmer, geistreicher Abend – und als Ur-Berliner weiß er auch stets etwas über die Stadt zu erzählen.

Auf dem Rückweg zum Hotel sah ich erst einen, dann zwei Füchse am Spree-Ufer.


Desillusion | Am Samstag Konzert von Bukahara in Münster. Wer die Band nicht kennt: Stilrichtung Folk und Swing, mit nordafrikanischen Einflüssen und ein bisschen Singer-Songwritertum. Die Mitglieder haben eine tunesische, eine jüdisch-schweizerische, eine palästinensische und eine deutsche Familiengeschichte.

Bühne von Bukhara in Münster während des Konzerts

Wir haben das Konzert vorzeitig verlassen. Erst skandierte der Bassist „Free Palestine“, was ich schon unglücklich fand. Aber nun gut: Musik, Publikum, Emotionen. Als der Frontmann dann aber zu einer politischen Rede ansetzte und über den „Krieg in Gaza“ sprach, vom „Antisemitismus gegen Palästinenser“, als er begann, von „einseitigen Medien“ zu faseln, vom „Genozid gegen Palästinenser“ und es dann immer wirrer wurde, während er die Gewalt der Hamas gegen Israel mit keinem Wort erwähnte, konnte wir dem Konzert nicht mehr beiwohnen und verließen es. So ein derber Shit.


Gelesen | Comeback der Kinderarbeit in den USA

Gelesen | Kitanotstand: Wie das System versagt


Amerikanische Kutsche | Ich bin jetzt Elektromobilistin und fahre Tesla. Am Wochenende haben wir den Wagen in der Nähe von Bielefeld abgeholt, einen Model Y, ein Leasingfahrzeug. Auf dem Rückweg war ich gut damit beschäftigt, mich an den Wagen, an das Display und die etwas unterschiedliche Bedienung zu gewöhnen. Auf etliche Automatismen, die ich mir in Verbrennerautos angeeignet habe, konnte ich im Tesla nicht zurückgreifen; ich muss mein Gehirn neu anlernen. Insgesamt aber gutes Fahrgefühl, bin erfreut. Ich werde demnächst genauer berichten.


Schweine | Bildnis mit Snacks:

Zwei Meerschweien vor eine Futterschale, darin ein paar Möhren, zwei rote Knabberkugeln und ein paar Erbsenflocken.

Und sonst | Heute ein neues Bahnabenteuer, das allerdings recht ereignislos daherkam: Mit nur 30 Minuten Verspätung fuhr ich von Haltern am See nach Stuttgart, den Rhein entlang. Der war ziemlich voll – nach den vergangenen Sommern ein ungewöhnliches, beeindruckendes Bild. In Mainz Schnee, sonst überall ergiebiger Regen. Morgen Workshop, am Abend geht es schon wieder zurück. Drücken Sie mir die Daumen, dass die Bahn mich vor Mitternacht nach Hause bringt.

Abendessen | Während ich die nachfolgenden Worte tippe, sitze ich in einem kambodschanischen Restaurant. Die Deko ist stimmungsvoll, um nicht zu sagen überbordend. Schräg hinter mir schimpft die Kellnerin in einer asiatischen Sprache; sie verfällt dabei immer wieder ins Deutsche, kehrt zurück ins Kambodschanische (das wird es wohl sein) und flucht wie ein Kesselflicker, um dann lächelnd an meinen Tisch zu treten.

Blick in ein überladen dekoriertes Restaurant. Zwischen zwei Fenstern steht ein künstlicher Baum, es gibt Vorhänge, Palmen und rot blühende Blumen, auf dem Tisch eine Kerze und eine Rose, grün-gold-verzierte Ballustraden.

Der Baum ist aus Vollplaste, die Ballustraden sind aus Pappmaché – oder leichtem Holz? Jedenfalls darf man sich nicht dagegen lehnen. Ich liebe alles an diesem Ambiente. Das Essen ist hervorragend.


Broterwerb | Gestern war ich einen Tag lang im Hauptbahnhof hier in Berlin, achte Etage. Dort gibt es Konferenzräume. Man schaut auf den Humboldthafen und den Fernsehturm, zu Füßen Geschichte: das ehemalige Zellengefängnis Moabit, die Invalidenstraße und der Hamburger Bahnhof, auf der anderen Seite die Charité. Sonnenaufgang vor der Veranstaltung:


Ein neues Bahnabenteuer | Die Bahnfahrt nach Berlin war störungsfrei – das muss man erwähnen, es ist zurzeit eher Ausnahme als Regel. Auch das Unterhaltungsprogramm war exzellent. Eine Damengruppe im Vierersitz, auf dem Tisch eine Illustrierte und eine erkleckliche Anzahl Corny-Riegel. Das Gesprächsthema: die Firma und die Kolleg:innen. Es ist leicht herauszuhören, bei welchem Unternehmen die Gruppe angestellt ist; es ist dort übel, sehr übel, wenn man den Damen Glauben schenkt. Die Arbeit, die Kunden, die Führung, die Kolleginnen und Kollegen – es bleibt kein gutes Haar an nichts und niemandem.

„Wenn ich mal so über meinen Job spreche“, raunt eine Sitznachbarin in ihr Telefon, „sagt mir hoffentlich jemand, dass ich kündigen soll.“ Bei genanntem Unternehmen möchte hier im Waggon jedenfalls niemand arbeiten – ob wegen der Erzählungen der Damen oder wegen der Damen selbst, bewertet jeder für sich anders.

Später, wir sind schon fast in Spandau, nach drei Stunden Durchkauen der betrieblichen Gegebenheiten, plötzlich ein harter Themenwechsel hin zu Schönheitsoperationen, zu Brüsten und Schlupflidern. Wer hat was machen lassen? Auch man selbst war schon tätig, allerdings nur mit Botox. Mitreisende beugen sich leicht in den Gang, um das Ergebnis zu begutachten. „Die Lippen haben nur 800 Euro gekostet“, sagt sie und meint die Lippen einer Kollegin, nicht die eigenen, „aber der Hals, das sieht man ja, der Hals wird teuer.“


Klüger werden | Am vergangenen Wochenende begann ich meine einjährige Weiterbildung zum Systemischen Coach. Ich begleite bereits Kundinnen und Kunden, viel beratend, aber oft auch mit Coachingfragen. Ich möchte das Ganze auf solide Beine stellen und insbesondere kniffligen Gemengelagen, Turbulenzen und einzelnen Persönlichkeiten besser begegnen, sie besser unterstützen.

Campus der Fernuni Hagen im Sonnenaufgang: Links ein Fahrstuhl im Freien, daneben Treppen, ganz rechts das Seminargebäude. Die Atmosphäre ist freundlich-kühl, der Himmel blau mit Schäfchenwolken.

Ich hatte etwas Sorge, was mich erwartet – nicht in Bezug auf die Ausbildung und die Dozent:innen; von der Qualität habe ich mich vorab überzeugt. Ich darf mir das Zitat meiner Sitznachbarin borgen, die am Ende des Wochenendes sagte: „Ich bin sehr beruhigt, dass wir hier keine Kumbaya-singenden Müsli-Esser sind.“ Ich hätte es anders formuliert, aber ja, genau das waren meine Bedenken: Singen, Klatschen und Tüchertanz statt grundständige Kompetenzen.

Aber ich bin begeistert von der Gruppe, die bunt und heterogen ist, aber dazu auch bodenständig, mit ganz viel Erfahrung und Warmherzigkeit. Sehr bereichend. Die Dozentin und der Dozent sind spitzenmäßig: Bei jeder Erläuterung und noch mehr bei jeder Nachfrage wird deutlich, dass sie viel praktische Erfahrung und außerdem tiefes akademisches Know-how haben; die Weiterbildung ist am Institut für Psychologie angesiedelt, das merkt man. Nach einem ausführlichen Kennenlernen stiegen wir direkt in medias res ein: Coachingphasen und Coaching-Haltung, wir erkundeten die Anliegen der Teilnehmenden und sprachen über Konstruktion von Wirklichkeit. Das Meiste war nicht neu, kenne ich aus meinem Studium oder aus der beruflichen Praxis, aber dennoch fand ich in allem gute Gedankenanstöße. Sehr wertvoll ist außerdem die Möglichkeit, jederzeit Rückmeldung zu bekommen zu dem, was ich tue; ich habe viel mitgenommen, werde nun ein paar Dinge klarer und strukturierter angehen.

Das Innere des Seminargebäudes an der Fernuni: Bunte Metallatühle, große, gelbe Stehlampen vor einer Fensterfront. Im Vordergrund eine auslande Grünpflanuze. Die Atmosphäre ist hell, freundlich und motivierend.

Wir werden uns bis November 2024 zwölf Tage in Präsenz sehen, zusätzlich werde ich mich mehr als 100 Stunden online fortbilden, dazu 25 Stunden Intervision, also Beratung unter Berufskolleg:innen. Ich freue mich darauf.


Gelesen | Frau Novemberregen über Macht.

Ausprobiert | Dutch Cycling Lifestyle. Straße auswählen und schauen, wie sie in einer anderen, nicht autozentrierten Welt aussehen könnte. Leise weinen.


Schweine | Das heutige Schweinebild:

Drei Meerschweine am Fressnapf, der vordere nah an der Kamera, unscharf. Das Dicke in der Mitte mit Salat im Maul, er guckt ertappt. Abendessen, das Schreckschwein, versteckt sich hinter einem Salatblatt.

Abteilung „Interior Design“ | Die bestellten Teppiche sind da. Nachdem ich im Einzelhandel nicht fündig geworden bin, habe ich online bestellt, ich erzählte davon. Das Ergebnis ist erfreulich: Die Qualität und die Farbe der Teppiche entsprechen sowohl den Abbildungen als auch meinen Erwartungen. Die Küche:

Natürlich habe ich mich gefragt, ob ein Teppich unter der Essgruppe sinnvoll ist, Stichwort: krümeln und kleckern. Bei uns geht es vor allem uns Krümeln, um explodierende Croissants und um berstende Brötchen. Vorteil des Teppichs: Dielen haben Ritzen, der Teppich nicht.

Das Obergeschoss. Hier fehlte Farbe und Gemütlichkeit.


Party | Ereignis am Wochenende: Geburtstagsfeier der Zwillinge, Kid’s Edition. Eine angenehme Veranstaltung. Im Spaßbad war unsere Aufgabe im Wesentlichen, Essen zu reichen und ansonsten unsichtbar zu sein. Der Reiseleiter und ich chillten in unseren Liegestühlen und beobachteten das Geschehen, das Springen vom Dreier, die Salti vom Rand, das Rutschen und Tauchen. Ab und an fingen wir Handtücher und Taucherbrillen auf, die gerade nicht gebraucht wurden, schwammen abwechselnd selbst und reichten Sandwiches, Muffins, Obst und Getränke. Es schloss sich eine Übernachtungsparty an. Auch hier war unser Engagement darauf reduziert, Pommes und Hot Dogs zu reichen; darüber hinaus waren wir ausdrücklich nicht erwünscht. Am nächsten Morgen war die Jugend redlich müde. Der Reiseleiter und ich hingegen waren gut ausgeschlafen.


Stark durch den Alltag | Vor einiger Zeit habe ich hier gefragt: Welche Frau und Mutter hat Interesse an einem stärkenden Tag mit Gedankenanstößen für den Alltag? Ziel: Den Alltag zwischen Beruf und Familie reflektieren, Veränderungen intiieren und mit neuer Kraft nach Hause zurückkehren. Es haben sich Interessentinnen gemeldet, so dass ich losgezogen bin, um ein Tagungshaus zu organisieren und einen Preis zu kalkulieren. Die Planung ist abgeschlossen: Alle Infos zu Inhalten, Termin, Ort und Preis – und Anmeldung. Erzählt es weiter!

//*konspiratives Flüstern: Eignet sich auch als Weihnachtswunsch und Weihnachtsgeschenk.


Schlauer werden | Diese Woche ist Weiterbildungswoche. Ich habe drei Tage „Organisationsentwicklung“ hinter mir, ein kompaktes Überblicksseminar, das ich mir ausgesucht habe, um zu schauen, wo ich stehe und in welche Themen ich noch tiefer eintauchen möchte. Außerdem standen ein paar Stichworte auf der Agenda, die mir nichts sagten – was ich als Zeichen verstand, dass ich mich damit beschäftigen sollte. Wesentliche Erkenntnis: Es wird überall nur mit Wasser gekocht. Aber auch: Es gibt immer Schräubchen, Dinge besser zu machen. Gute Impulse:

  • Die anderen Teilnehmerinnen (tatsächlich nur Frauen) waren super. Allesamt aus spannenden Unternehmen, teils Konzernumfeld, diverse Hintergründe (Ingenieurwesen, IT, Betriebswirtschaft, Universität, therapeutischer Background), viel Know-how. Der Erfahrungsaustausch war bereichernd.
  • Wir haben mithilfe verschiedener Werkzeuge und Schemata Transformationsprozesse betrachtet, an denen die Teilnehmerinnen derzeit arbeiten. Ich konnte dadurch nochmal mein Vorgehen schärfen.
  • Spannend war eine Diskussion über das UnFIX-Modell von Jurgen Appelo, mit dem ich mich noch einmal in der Tiefe beschäftigen werde. Es ist nicht revolutionär, bringt aber einige Dinge gut auf den Punkt und schafft die Möglichkeit, klassische Organisationensstrukturen mit ihren Silos aufzubrechen und neu zu denken, aber nicht mit dem Holzhammer und nicht, indem man ins andere Extrem, in die totale (und unreflektierte) Agilisierung fällt.
  • Tetralemma als Entscheidungswerkzeug

Gelesen | Immer wieder gerne: What happened last week? Ein Newsletter der Journalistin Sham Jaff, der sich mit Geschehnissen im globalen Süden beschäftigt – also mit Nachrichten, die es nicht in unsere westliche Aufmerksamkeit schaffen. Der Newsletter gliedert sich in „Bad“, „We’ll see“ und „Good“. Informationshäppchen, die den Blick weiten.

Gelesen | Ein Text für alle, die nichts gegen den Klimawandel unternehmen wollen mit der Begründung: „Aber China!“ Chinas Emissionen könnten im kommenden Jahr einen Peak erreichen – und danach dank massiver Investitionen in erneuerbare Energien deutlich fallen.

Gelesen | Die Manipulation mittels KI geht los: Falsche tagesschau-Audiodateien im Umlauf


Leibesübungen | Am Montag gerudert. Am Dienstag zwei Kilometer geschwommen, sehr zügig auf einer freien Bahn. Das tat gut.


Schweine | Der obligatorische Moment aus dem Leben der Schweine:

Drei Meerschweine: Es in der Weidenrolle und reckt den Kopf vor. Ein zweites liegt träge davor. Ein drittes im Hintergrund, bereit zu fliehen.

Charakterstudie. Der Dicke: „Hö? Ach … egal.“ Das Pionierschwein in der Weidenrolle: „Was ist los? Foto? Hier! Hallo!“ Das überspannte Dramaschwein – hinten – sieht zu, dass es schnell wieder verschwinden kann.


Und sonst | Schon 50 Prozent der Weihnachtsgeschenke besorgt. Dieses Jahr bin ich ganz weit vorne.

Emsige Tage | Nach meiner Bahnfahrt nach Aalen moderierte ich dort am Dienstag einen Workshop. Der Kunde hatte mich als Preis in der Landesauszeichnung Mobilitätswende gewonnen.

Am Tag darauf, am Mittwoch, fuhr ich von Aalen nach Schwäbisch Gmünd und verbrachte den Tag am Standort eines Kunden. Es war prima, dort zu sein: Die Leute aus dem Süden sehe ich sonst nur als Kacheln auf dem Bildschirm. Besonders die Gespräche zwischen den eigentlichen Terminen waren gut.

Von Schwäbisch Gmünd fuhr ich nach Herrenberg und kämpfte mich mit dem Bus zum Hotel durch. Am Donnerstag beriet ich dort – ebenfalls in meiner Funktion als Preis – einen weiteren Kunden. Am Donnerstagabend fuhr ich wieder heim und kam gegen Mitternach in Haltern an.


Bemerknisse und Ereignisse auf der Reise | Gesehenes und Erlebtes, beginnend mit eine hübschen Morgen.

#1 – In Herrenberg hatte ich einen sehr schönen Sonnenaufgang – nach einer mäßigen Nacht.

Sonnenaufgang: Im Vordergrund ein Baum mit herbstlichem Blattwerk, dahinter roter Himmel

Vom schlimmen Männerschnupfen ist immer noch ein leidlicher Husten übrig, der mich besonders Nachts quält. Immerhin waren die Ghettoblaster vom Flur verschwunden: Als ich in Herrenberg ankam und mein Zimmer bezog, nutzte eine Jugendgruppe den Flur als Wohnzimmer, begleitet von lauter Musik und viel Tohubawohu. Die Jugendlichen gingen im Laufe des Abend jedoch tatsächlich zu Bett. Ich war dankbar.

#2 – Last Stockrose standing in Aalen:

Stockrose auf einem Kirchplatz. Dahinter der Eingang einer Kirche und Stühle einer Außengastronomie.

#3 – Die halbe Welt scheint aus Aalen zu kommen. Jedenfalls erreichten mich über Instagram, über das Kännchenblog, Twitter und Bluesky diverse Nachrichten, wie schön es doch sei, dass ich in Aalen weile, man sei dort geboren.

Ein besonderer Dank geht an Kommentatorin Ina, die mich nicht nur zur Konditorei des Ortes schickte, damit ich mir dort Aalener Spionle kaufte, sondern mir auch noch das Geld für einen Spionle (die Geschichte dazu) in die Kaffeekasse warf. Ich kaufte allerdings nicht nur einen Spion, sondern eine ganze Packung, damit die Daheimgebliebenen auch kosten können. Zusätzlich zu den Spionle erwarb ich auf der Reise diverse Leckereien, und ich lernte Wibele kennen. Die Schätze:

Fünf Packungen Süßigkeiten aus Schwaben:

#5 – In der Tüte in der Mitte ist Quittenspeck. Er ist ein Geschenk von E., die ebenfalls las, dass ich in Aalen bin und mich zu einem schwäbischen Abendessen zu sich nach Hause einlud. Es war ein wunderbarer Abend mit guten Gesprächen, gutem Essen und viel Herzenswärme. Herzlichen Dank nochmal!

#6 – Gelernt: In Schwäbisch Gmünd, in einem roten Haus, werden die Tonies geboren.

Produziert werden sie nebenan bei Schleich. Die sitzen auch in Schwäbisch Gmünd. #bildungsblog

#8 – Herrenberg Downtown: Dort war ich in der Mission „Stadtnavi“ unterwegs. Das Stadtnavi vernetzt unterschiedliche Daten der Kommunen, um einen Mehrwert für den ürger zu schaffen, zum Beisiel um zu wissen, wo die nächste „Nette Toilette“ ist. Vor allem aber dient es dazu, Mobilität zu planen. Hinter dem Stadtnavi liegen Busfahrpläne, aber auch Parkplatzauslastungen und Standorte von Sharing-Angeboten. Hier gibt es mehr Erklärung dazu.

Panorama-Aufnahme des Herrenberger Marktplatzes: Fachwerkhäuser, das historische Rathaus und ein Brunnen

Das Stadtnavi hat den Nebeneffekt, dass Kommunen sich darum bemühen, gezielter Daten zu erheben und mit ihnen zu arbeiten. Die Informationen stehen, einmal erfasst, dann nicht nur einer Anwendung wie Stadtnavi zur Verfügung, sondern der gesamten Öffentlichkeit.

#9 – Die Rückfahrt war gewagt geplant: Abfahrt in Herrenberg am frühen Abend, Ankunft im Münsterland nach 23 Uhr. Ich dachte mir ganz optimisch: Durchgehende Verbindung von Stuttgart ins Ruhrgebiet – das wird schon passen. Als ich jedoch am Stuttgarter Hahptbahnhof ankam, blinkte die Anzeigetafel wie ein Weihnachtsbaum: 70 Minuten Verspätung, 60 Minuten, 40 Minuten, Zugausfälle, Personen im Gleis, Verspätung eines vorausfahrenden Zuges, dies und das.

Keiner der Fernzüge kam pünktlich – außer meiner. Gechillt und nach Fahrplan fuhr ich also ins Ruhrgebiet, stieg in Essen in den Regionalverkehr um und kam gegen halb Zwölf, ziemlich erschöpft, aber guter Dinge in Haltern an, wo der Reiseleiter mich vom Bahnhof abholte.


Bildungswoche | Ich freue mich auf die kommende Woche. Von Montag bis Mittwoch mache ich eine Weiterbildung in Organisationsentwicklung, am Freitag beginnt meine Ausbildung in Systemischem Coaching an der Fernuni Hagen. In beidem habe ich bereits Wissen und Erfahrungen, aber gerade von der Fernuni erhoffe ich mir Fundierung und Hintergrund. Die Ausbildung ist dem Institut für Psychologie angegliedert und wird von Psychologen durchgeführt; ein Blick in die Inhalte zeigt mir eine gute Mischung aus Praxis und akademischer Theorie; ich bin guter Dinge.

Seit ich selbstständig bin, bilde ich mich jedes Jahr weiter. Dieses Jahr habe ich aber einen besonders großen Hunger aufs Lernen. Mein Kundenstamm hat sich in den vergangenen zwei Jahren, nach dem Höhepunkt der Pandemie, deutlich vergrößert. Die Kunden sind ziemlich unterschiedlich. Ihre Anliegen sind zwar im Kern gleich – es geht um die Begleitung in Veränderung -, aber die Ausprägung ist divers: Die Kontexte, in denen der Wandel stattfindet, ist anders; die Branchen unterscheiden sich; die Regeln, nachdem die Branche und die Organisation funktionieren – und natürlich sind die Menschen einzigartig. So kommt es, dass ich, je mehr ich mit meinen Kunden arbeite und je mehr ich dabei erlebe, was ich gut kann, auch erkenne, was ich (noch) nicht weiß und nicht kann.

In diesem Jahre habe ich mehr als 12.000 Euro in mein Wissen und meine Kompetenzen investiert. Ich finde, eine Investition in die eigenen Kompetenzen ist die beste Investition, die ich tätigen kann (viel besser als einen neuen Geschäftswagen oder ein neues Smartphone). Weil ich inzwischen ziemlich breit aufgestellt bin (ich habe das letztens mal aufgelistet), finde ich in jeder Weiterbildung zahlreiche Anknüpfungspunkte. Das macht einen Riesenspaß und ich habe große Freude, Wissen und Methoden zu kombinieren.


Schweine | Jeden Morgen sind die Schweine kurz davor, eine Tierrechtsorganisation anzurufen – so verhungert sind sie. Sehen Sie den vorwurfsvollen Blick?


Gelesen | Björn Höcke: Ein Fall für Artikel 18. Heribert Prantl plädiert dafür, Björn Höcke das Recht auf seine Grundrechte zu nehmen – und damit das Recht auf politische Beteiligung. Das geht: Artikel 18 des Grundgesetzes wurde nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst als Instrument gebaut, damit Rechte die Demokratie nicht mehr mit ihren eigenen Mitteln aushebeln können. Es wird Zeit, den Artikel zu entstauben und anzuwenden.

Gelesen | Frankreich verankert das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung

Gehört | Soziologe und Bildungsforscher Aladin E-Mafaalani im Gespräch mit Matze Hielscher. Keine neuen Erkenntnisse, aber wie immer pointiert. Wir müssen Aladin El-Mafaalani so lange und so oft sprechen lassen, bis unsere Gesellschaft endlich in Schulen und Bildung investiert.



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