Grundsätzlich sehe ich nur wenige seriöse Testverfahren auf dem Markt. Um es direkt vorwegzunehmen: Der beliebte Myers-Briggs-Typenindikator gehört nicht dazu, auch nicht das DISG-Modell, das gerne mal in Fortbildungen auftaucht. Wissenschaftlich validiert ist neben dem BIP das NEO-Persönlichkeitsinventar, das auf den Big Five beruht, dem Fünf-Faktore-Modell der menschlichen Persönlichkeitseigenschaften.
Doch selbst die seriösen Angebote verkünden nicht die absolute Wahrheit, dafür ist unsere Persönlichkeit zu facettenreich. Vielmehr sehe ich sie als einen Anlass, in die Reflexion zu gehen – mit sich selbst und mit anderen Menschen. In den Gesprächen, die ich führe, frage ich zunächst, welche Testergebnisse die Aufmerksamkeit der Proband’innen ziehen. Wir sprechen darüber, an welchen Stellen sich ein Proband wiederfindet (und warum, wie sich das im Alltag ausdrückt, welches beobachtbare Verhalten sich zeigt) und wo nicht.
Gute Tests geben Hinweise, wenn es inkonsistente Antworten in Bezug auf ein Item gibt. Die Ergebnisse sagen dann beispielsweise, dass die Probandin gleichzeitig gewissenhaft und nicht gewissenhaft ist, gleichzeitig umsetzungsstark ist und Vorhaben nur schwer in Angriff nimmt. Dann frage ich im Gespräch, wann es leicht fällt, Dinge voranzubringen, und wann ein bisschen weniger, von welchen Themen, Personen, Umfeldern und Rahmenbedingungen das abhängt. Das ist meist erkenntnisreich und eröffnet Entwicklungspotential („Eigentlich bin ich umsetzungsstark, aber <unter diesen Umständen> fühle ich mich blockiert“ / „Eigentlich ruhe ich in mir selbst, aber <bei diesen Persönlichkeiten> fahre ich regelmäßig aus der Haut – da ärgere ich mich über mich selbst“).
Wichtig finde ich: Es gibt kein Richtig oder Falsch, kein Gut oder Schlecht. Es geht vielmehr darum, sich selbst besser kennenzulernen, die eigene Reflexe und Denkmuster zu hinterfragen und durch dieses Wissen sein Handlungsrepertoire zu erweitern.
Gelesen | Heiko Bielinski teilt seine Erlebnisse als Kunde. Ich hatte zwei ausgesprochen gute Kundenerlebnisse diese Woche: einmal bei der Deutschen Bahn, die mich freundlich, pünktlich und mit netter Begleitung (eine Frau, die gemeinsam mit ihrem Hund und einem Jungen reiste) von Hannover nach Chemnitz brachte.
Das zweite Erlebnis war das Hotel in Chemnitz, das mich ausnahmslos begeisterte, was Herzlichkeit und Zugewandtheit angeht – bei gleichzeitig schönen Zimmern und einem guten Restaurant.
Gelesen |Tod eines Nachbarn [€]. Herr Schwenninger stirbt in seiner Wohnung und verwest in einer warmen Sommerwoche bis zur Unkenntlichkeit. Frau Raster wohnt neben ihm – und zieht irgendwann verzweifelt vor Gericht.
Sterben und tot dazuliegen, bis man gefunden werde, das gehöre zur „normalen Nutzung einer Wohnung“.
Und sonst | Chemnitzer Papageienkuchen an der Raststätte Eisenach.
Menschen und Meister | Womit beginnen? Vielleicht mit den Menschen aus Fieberglas und Silikon. Oder mit den furchtbar hässlichen Bauten am Strand. Oder mit der Kreuzung vor dem Haus im Statenkwartier, an der sich alles von selbst regelte.
Ach, lassen Sie mich mit den Alten Meistern beginnen. Die hingen im Mauritshuis, dem Adelspalais mit der Königlichen Gemäldegalerie.
Vor den Alten Meistern standen Jungs in der Zentralpubertät: Buzzcut, Sneaker, Goldkettchen, übergroße Sweatshirts. Vor ihnen hingen nicht nur Rembrandt und Vermeer, vor ihnen stand auch der Museumführer, ein Mann in den Dreißigern mit Vokuhila, Schnurrbart, knallbuntem Pulli, volltätowierten Armen und Tunneln in den Ohrläppchen – ein Mann mit Street Credibility bei der Jugend. Er gestikulierte und dirigierte die Gruppe: Die Jungs sollten sich umdrehen und an Teile des Bildes erinnern, sie mussten raten und wurden hineingezogen in die Geschichte einer Leichenschau. Es war nicht weniger als ein kleines Wunder: Die Jungs hörten zu und stellten Fragen. Und der Museumführer erzählte mit dem Tonfall eines Gangsta Rappers und der Leidenschaft eines Kunsthistorikers. The kids are alright, wenn wir uns ein bisschen bemühen.
Tags zuvor waren wir in einem anderen Museum, dem Museum Voorlinden in Wassenaar. Wir fuhren mit dem Fahrrad dorthin: Waassenaar liegt etwa zehn Kilometer von Den Haag entfernt. Der Reiseleiter fuhr mit dem eigenen Rad. Er war mit ihm bis nach Den Haag geradelt – in zwei Tagen, 250 Kilometer. Ob ich auch radlen wolle, hatte er mich Wochen zuvor gefragt. 120 Kilometer radfahren, schön und gut, sagte ich, aber doch nicht zwei Tage hintereinander und nicht im Oktober bei neun Grad. Nein, antwortete ich, das könne er gerne alleine tun. Ich fuhr mit dem Zug.
Weil ich kein eigenes Fahrrad vor Ort hatte, musste ich mir eins mieten. Das mache ich immer ungern, weil ich diesen Körper habe, der lang und unproportional ist, mit viel Bein und einem kurzen Oberkörper. Ich ging zu einem Fahrradverleih, der mir sein größtes, aber dennoch winzig kleines Fahrrad lieh. „Ich komme mir vor wie auf einem dieser Pucky-Kinderräder“, sagte ich, während ich mit Knien an den Ohren hinter dem Reiseleiter durch die Dünen eierte. „So siehst du auch aus“, meinte er aufmunternd und schaltete auf seinem neuen fancy Gravel-Bike einen Gang runter, damit ich hinterherkam.
Das Museum Voorlinden stellt aktuell Ron Mueck aus, dessen Plastiken ich aus Aarhus kannte. Deshalb wollte ich unbedingt nach Voorlinden; die Figuren sind ein einmaliges Erlebnis. Man denkt, sie wollten jederzeit aufstehen und zu leben beginnen; erst würden sie einem zuzwinkern, dann sanft die Finger bewegen, dann sich stöhnend strecken, verspannt vom langen Stillhalten. Alles ist fesselnd an diesen Figuren: die Hände, die Füße, Hautfalten, Muttermale, Alterswarzen und Narben, winzige Haare auf dem Körper, dazu der Blick, die Banalität der Körper, die profanen Erscheinungen jenseits von Schönheitsnormen. Dazu erzählt jede Plastik eine Geschichte. Das Paar unter dem Sonnenschirm zum Beispiel: Warum trägt sie einen Ehering, der sich schon in die Haut eingegraben hat – und er keinen? Geht sie fremd mit ihm? Oder trägt sie den Ring als Andenken an ihren verstorbenen Mann und hat ein schlechtes Gewissen gegenüber dem Toten – jetzt, wo sie sich sachte auf etwas Neues einlässt? Vielleicht sind es auch nur zwei Freunde, die unter dem Schirm sitzen, innig, aber platonisch. Oder gar Bruder und Schwester. Aber warum greift er dann so fest ihren Arm?
Beeindruckend auch Richard Serras Skulptur Open Ended: vier Meter hoch, 18 Meter lang, 216 Tonnen schwer. Man geht hinein und denkt, nach einer Kurve gehe es wieder hinaus. Aber die Skultur windet sich, man wendet sich, ein diffuses Gefühl von Angst kommt auf – und gleichzeitig eine kribbelige Faszination. Wunderbar.
Immer dort: der Swimmig Pool von Leandro Erlich, exklusiv desgint für Voorlinden. Der meist ge-instragrammte Ort des Museums.
Museum Voorlinden – meine uneingeschränkte Empfehlung (und die Appeltaart im Café ist auch gut).
Von bemerkenswerter Hässlichkeit ist Scheveningen, direkt westlich von Wassenaar. Fragt man ChatGPT, warum das so ist, bekommt man die Antwort:
Es gibt auch viele, die die Strandpromenade und die Aktivitäten dort schätzen. Schönheit liegt oft im Auge des Betrachters!
Eine KI mit tadelndem Blick, soso. Verhungern tut man dort jedenfalls nicht: Imbisse reihen sich an Restaurants, an Büdchen und an Bars. Wenn man ein Appartment in einem dieser Hochhäuser hat, im zehnten oder zwölften Stock, ist das bestimmt schön: Man hat eine tolle Aussicht aufs Meer – und sieht außerdem man den Betonklotz nicht.
Wir wohnten im Statenkwartier, in komfortabler Radelentfernung zwischen Zentrum und Scheveningen in einem Appartment, in dem ich mich fühlte wie bei Downton Abbey. Genau genommen war es auch kein Appartment, sondern es waren zwei Zimmer in einem Stadthaus. Wir fragten uns, wie hier wohl einst gewohnt wurde: Oben das Personal, darunter die Kinder, im Erdgeschoss die Küche? Wo waren Salon und Bibliothek? Ich muss das gar nicht unbedingt wissen; es war ausreichend, gedanklich die Möglichkeiten durchzuspielen und wie in einem Puppenhaus Möbel und Figuren zu schieben.
Vor dem Haus befand sich eine Kreuzung: eine Spur Richtung Norden, eine Spur Richtung Süden, dazwischen ein breiter Gründstreifen mit Bäumen, die Straße gepflastert. Von West nach Ost verläuft die Frederik Hendrikslaan, eine Einkaufsstraße mit viel Fahrrad- und etwas Autoverkehr. Auf der Kreuzung war ein munteres Miteinander verschiedener Verkehrsmittel: Autos, Busse und Fahrräder, Lastenräder und Transporter, Fußgänger und Rollerfahrer. Die Grundregel war Rechts vor Links – auf dieser Basis einigte man sich, nickte sich zu, winkte sich durch und achtete einander. In Deutschland hätte man sofort und reflexhaft eine Ampel installiert, eine ordnende Lichtsignalanlage, die das Durcheinander organisiert, zur Sicherheit aller, vorsichtshalber, in jedem Fall regelkonform.
Was auf der Kreuzung vor dem Haus funktionierte, war das Gefühl überall auf den Straßen: Alle sind gleichberechtigt, man achtet sich, ist nachsichtig.
Zum Abschluss noch etwas Herbst.
Kaufrausch | In den Niederlanden bin ich zuverlässig Opfer von Buchläden und ihrem hervorragend kuratierten englischsprachigen Sortiment.
Außerdem mitgebracht: Vanilleskyr. Nicht der von Arla, sondern der isländische.
Gelesen | Adriana Altaras: Besser allein als in schlechter Gesellschaft. Die Geschichte von Tante Jele, die das Konzentrationslager überlebte und später ihren Mann, die ihre norditalienische Schwiegermutter überdauerte, die kein Gehör mehr hat, aber immer einen guten Ratschlag, die in Zagreb aufwuchs und in Mantua lebte. Eine historisches Leben, allerdings etwas verworren erzählt, mit einigen Redundanzen.
Gelesen |Gina Mayer: Die Schwimmerin. Es ist 1962, Betty zieht mit ihrem Mann Martin in eine eigene, kleine Wohnung. Sie gibt die Arbeit auf, Familiengründung steht an. Parallel wird die Bettys Jugend erzählt: der Zweite Weltkrieg, die Flucht aufs Land, das Dasein als Außenseiterin, die erste Liebe. Gerne gelesen.
Gelesen |Jane Campbell: Bei aller Liebe, aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Eine kleine Geschichte über Agnes, ihren Onkel Malcolm und ihren Therapeuten Joseph. Malcolm nimmt sich vor, ein Geheimnis zu lüften. Agnes erholt sich gerade von einer Affäre. Und Joseph freut sich, seine Klientin Agnes wiederzusehen, die ihm einst viel bedeutet hat. Sehr gern gelesen.
Gesehen |Lee, im Kino in Den Haag. Der Film erzählt das Leben der Fotografin Lee Miller (Kate Winslet), die bei der Befreiung Frankreichs von den Nazis dabei war und die Befreiung der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald dokumentierte. Ich kannte Lee Miller vorher nicht. Erhellend und beeindruckend.
Ich kenne keine Studien dazu, deshalb kann ich die Frage nicht grundsätzlich, sondern nur für mich persönlich beantworten. Ich habe gerne Nachbar’innen. Ich hatte schon viele sehr sympathische Menschen neben, unter und über mir wohnen, alte und junge Menschen, Menschen vieler Nationen, darunter auch freundliche Deutsche – Leute, mit denen ich Fußball geschaut habe, die mir geholfen haben, denen ich helfen konnte.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Man muss nicht dick Freunde werden, aber es ist doch wunderbar, wenn man mal eben anklingeln kann, weil Sonntag ist und man ein Päckchen Backpulver braucht oder weil man jemanden sucht, der im Urlaub den Briefkasten leert; jemand, der eventuell weiß, warum auf dem Feld nebenan letztens Vermessungsgeräte standen; jemand, zu dem man rüberlaufen kann, wenn ein Notfall eintritt – und der’die vielleicht sogar so sympathisch ist, dass man zweimal im Jahr eine Limo miteinander trinken mag.
Nachbar’innen zu haben, gibt mir das Gefühl von Zugehörigkeit und Sicherheit.
Schweine | Während der Reiseleiter und ich in den Niederlanden weilten, waren die Schweine in der Obhut meines Vaters und meiner 82-jährigen Tante. Sie – also der Vater und die Tante – hüteten Haus und Stall und nutzten die Zeit, um dem lokalen Handel und der örtlichen Gastronomie Gutes zu tun.
Die Schweine, sie hängen nicht an Personen. Ihre Liebe gilt einzig der Nahrung, nicht der Quelle.
Rasante Woche | Am Dienstag hat einer meiner Kunden eine Hausmesse veranstaltet. Interne Kolleg:innen und ich haben die Veranstaltung über Wochen vorbereitet – Koordination, Unterstützung der Aussteller, Briefing der Stakeholder, Einladungsmanagement und Zusammenarbeit mit einer Agentur, die die Erstellung aller Materialien übernommen hat. Am Tag zuvor wurde aufgebaut. Es brauchte kurzfristig helfende Hände – ein interner Kollege war ausgefallen. Ich fuhr hin und packte an. Übernachtung im Hotel.
Am Dienstag Weiterfahrt zu einem Kunden nach Köln: ein Workshop in einem Veränderungsprozess. Viele Emotionen, eine anspruchsvolle Moderation. Wir schauten auf das Erreichte und beschlossen die nächsten Schritte. Abends Fernuni, Übernachtung in einem anderen Hotel. Das Hotel lag neben einer Güterbahnstrecke – ein empfehlenswerter Ort für Freunde des Eisenbahnwesens. Für andere Menschen nicht. Aber meine Schuhe passten gut ins Treppenhaus.
Am Mittwoch Agilitätstraining bei einem dritten Kunden: die Grundlagen von Scrum und wie sie bei der Arbeit helfen können. Viel Interesse, viel Begeisterung – und noch Fragezeichen. Wir stellten fest, dass ein Tag zu kurz war. Die Auftraggeberin aus der Personalabteilung saß mit im Seminar, und wir sprachen direkt über ein mögliches Follow up.
Abends Fahrt nach Dortmund zum Ehrenamt beim Agora Club Tangent. Im November ist nationales Half Year Meeting des Clubs. Wir organisieren die Veranstaltung für alle Interessierten aus ganz Deutschland. Ich habe die Aufgabe „Rahmenprogramm organisieren“ und habe zwei Stadtführungen bei Annette von den Borsigplatz-Verführungen gebucht: „Glaubensvielfalt am Borsigplatz“ und „Die Weiße Wiese“. Das wird gut – gerade die erste Führung interessiert mich sehr. Hier musste in den vergangenen Tagen eine digitale Anmeldemöglichkeit geschaffen werden – das tat ich.
Am Donnerstag und Freitag bereitete ich die vergangenen eineinhalb Wochen nach: die Arbeit in Teltow, Wuppertal, Duisburg und Köln. Daneben telefonierten Katja und ich und bereiteten einen Teamworkshop in Chemnitz vor, der in zwei Wochen ansteht – und es trudeln auch schon Aufträge für 2025 ein, die ich mit Freude bestätigte. Und ich coachte eine Dame aus der Geschäftsführung eines Unternehmens, die kurzfristig eine Sparringspartnerin brauchte.
Abenteuer Infrastruktur | Diese Woche machte ich meine Fahrten nicht mit der Bahn, sondern mit dem Auto. Es war nicht besser:
1 Stunde 45 von Haltern nach Wuppertal (76 Kilometer)
1 Stunde 30 von Wuppertal nach Köln (56 Kilometer)
2 Stunden Fahrt von Köln nach Ratingen (60 Kilometer)
1 Stunde 45 von Duisburg nach Dortmund (65 Kilometer).
Das Auto-Erlebnis unterbietet nochmal deutlich die Abenteuer mit der Deutschen Bahn – und wir wissen alle, wie erbaulich die sind. Aber toll, dass wir eine Schuldenbremse haben, supidupi.
Gut. Ich habe sympathische Mieter gefunden, die gemeinsam mit einem kleinen Hund meine Wohnung bewohnen. Natürlich gibt es immer mal etwas zu tun: Zuletzt ist eine große Gartenmauer zum Nachbarn weggsackt – eine Folge der regenreichen Monate. Das ist normal, denke ich, zumal das Gebäude älter ist. Selbst in dem noch jungen Haus, in dem ich jetzt wohne, gibt es regelmäßig etwas zu tun (für meine Vermieterin).
Was mich ärgert, ist die Hausverwaltung im alten Zuhause. Das tut sie seit Jahren, auch als es noch eine andere war. Hausverwaltungen, so scheint mir, tauchen gerne ab: kein Bild, kein Ton, keine Durchführung vereinbarter Leistungen, keine Antwort auf E-Mails. Will ich telefonisch auf die Füße treten, erreiche ich niemanden. Wenn doch irgendwann jemand abhebt – man muss es sich zu einem Hobby machen -, gibt man sich dienstbeflissen. Es passiert jedoch nichts. Frage ich im Bekanntenkreis nach, nicken alle: Ja, das kenne man! …. [Wilde Geschichten einfügen] …. Auch ein Wechsel der Verwaltung führe zu keiner Veränderung – wenn man denn überhaupt eine neue Verwaltung findet, die einen nimmt als kleine Hausgemeinschaft. Es ist zum Mäusemelken, zumal es Dinge zu richten gibt, die das Leben meiner Mieter besser machen würden (die Dachrinne tropft, das Garagentor klemmt), die aber nur die Hausverwaltung beauftragen und beaufsichtigen kann.
Und sonst | Als ich gestern Morgen wie Dittsche am Frühstückstisch saß, flog eine lebensmüde Stubenfliege auf mein Nusspli-Brot, blieb kleben, fiel auf den Rücken, drehte sich im Kreis und verendete.
Der Reiseleiter macht gerade einen Dänisch-Kurs. Diese Woche muss er ein Lied einüben. Es ist für uns alle nicht leicht.
Meine Großmutter im Sauerland wohnte neben einem Krämerladen, deren Betreiberpaar sogar Kramer hieß. Beide waren schon alt und trugen Kittel. Wenn meine Oma einkaufen wollte, sagte sie nicht: „Wir gehen einkaufen“ oder “ Wir gehen in den Supermarkt“, sondern sie sagte: „Wir gehen zu Kramers.“ Der Laden war kaum vierzig Quadratmeter groß – niedrige Regale voller Nudeln, Waschmittel und Soßenbinder. Gemüse, Obst und Wurstwaren lagen hinter einer Bedientheke. Die Kartoffeln wurden in eine Papiertüte gelegt und mit Gewichten abgewogen. Für mich gab es jedesmal ein Stück Fleischwurst. Frau Kramer hatte immer rote Wangen und in den Taschen ihres Kittels Kirschlollys. Ich habe sie gemocht.
Dazu ein Onkel, der auch einen Krämerladen führte, gleiche Art, nur ein anderer Stadtteil. Bis zur Rente tat er das, machte bei der betagten Kundschaft auch Hausbesuche und bestellte auf Wunsch einzelne Geschmacksrichtungen Milchreis oder Joghurt. Die Besteller kaufen dann einen Becher und meldeten zurück, dass die Sorte nicht schmecke. Der Onkel aß daraufhin jedesmal den Rest der Palette, bis es ihm zu den Ohren rauskam. Überhaupt ernährte er seine Familie vor allem mit Abgelaufenem; es schadete ihnen nicht. Eine Kundin klaute bei jedem Besuch ein Packung Butter. Der Onkel kassierte es jedesmal stillschweigend mit, um sie nicht zu brüskieren – und sie bezahlte stillschweigend, um nicht zuzugeben, geklaut zu haben.
Gehört | Soziologe Steffen Mau im Hotel Matze. Steffen Mau ist Professor für Makrosoziologie und spricht über seinen Blick auf den Osten Deutschlands, sein Aufwachsen dort und seine soziologische Auseinandersetzung mit Ostalgie und Ost-Erklärungsmüdigkeit.
Launige Erlebnisse | Eine launige Restwoche. Rückkehr aus Brandenburg mit einer perfekten Bahnfahrt: Ich kam 45 Minuten vor der Planung an. Dank absoluter Pünktlichkeit erreichte ich in Münster einen früheren Anschluss mit nur fünf Minuten Umstieg. Zuhause wartete dann noch ein pickepacke voller Tag Arbeit.
Am nächsten Morgen Feiertag. In der Stadt startete der Münsterlandgiro. Ich half als Volunteer und stellte zur richtigen Zeit ein Gitter an die Straße, damit niemand dem Peloton in die Quere kam. Auf meinem Einsatzzettel stand: 13:04 Uhr bis 13:05 Uhr, eine halbe Stunde vorher vor Ort sein. Der zeitliche Aufwand war also überrschaubar, und es dauerte tatsächlich nicht einmal eine Minute, bis der Tross der Profiradfahrer an mir vorbei war. Dennoch beeindruckend: die Profiradfahrer, die Begleitfahrzeuge, die Busse, der Hubschrauber, über dem Peloton, der ganze Aufwand. Anschließend Belohnungseis.
Am Brückentag ein neues Bahnabenteuer: Es ging nach Hannover zur ACI Conference 2024. Das ist die jährliche Konferenz des Agora Club Tangent International, in dem ich Mitglied bin. Dieses Jahr fand sie in Deutschland statt. Eine gute Gelegenheit teilzunehmen; im nächstes Jahr ist der Weg wieder weiter – bis nach Südafrika.
Man trifft sich und plaudert, tanzt und tagt. Das Fest beginnt traditionell mit einer Parade aller Nationen durch die Stadt. Es waren Gäste aus Europa da; die am weitesten Gereisten kamen aus Madagaskar, Südafrika, Zambia und den USA. Ein buntes Fest! Das war großartig – und das Jahresmotto „Celebrate Diversity“ passt gut in die Zeit und ins Land.
Ich ärgerte mich, dass ich nur die Welcome-Party gebucht hatte. Es war eine große Freude, mit den unterschiedlichen Kulturen in Kontakt zu kommen (mein Gott, waren die Britinnen witzig!). Ich bekam richtig Lust, öfter an internationalen Veranstaltungen teilzunehmen.
Am nächsten Tag blieben wir noch ein wenig in Hannover. Ich hatte einen Tisch zum Frühstücken reserviert; das Café kannte ich aus früheren Zeiten. Anschließend Bummel durch Hannover-Linden.
Egal, wo ich bin, kann ich an keiner Buchhandlung vorbeigehen, schon gar nicht an einer inhabergeführten. Ich kaufte zwei schöne Bücher, eines zum Verschenken und eines zum Selberlesen, und entdeckte mein Buch im Regal. „Wie schön“, sagte ich beim Bezahlen, „ihr habt mein Buch.“ Der Buchhändler erzählte zu meiner Überraschung, dass es ein Sommerhit gewesen sei: Er habe es an die 25-mal verkauft.
Danach mussten wir den Heimweg antreten, denn ein besseres Erlebnis konnte in Hannover nicht mehr kommen.
Denkwürdig | Die Fahrt nach Hannover absolvierten der Reiseleiter und ich mit dem Deutschlandticket im Nahverkehr. Ein denkwürdiges Erlebnis, besonders die Rückfahrt. Eine Lautstärke wie auf dem Oktoberfest; es war auch genauso viel Volk unterwegs. In Ostwestfalen! Eine Gruppe beschallte den Waggon mit Techno, eine Frau sang Volksweisen, ein Kind greinte, ein Jungesellenabschied stieg zu. Der Zugbegleiter diskutierte unentwegt mit Menschen ohne Fahrkarte, neben uns trommelten zwei Männer Rhythmen auf ihren Klapptischen. Irgendwo telefonierten immer Drei über Lautsprecher, zwei weitere spielten sich plärrende Videos vor. Kurz vor Münster vermöbelten sich zwei Typen im Einstiegsbereich. Alles in einem Waggon! Wir harrten aus bis Hamm, kauften uns dann mit einem Zusatzticket frei und flohen in die erste Klasse.
freundlich sein, eine Willkommenskultur gestalten und Begegnungen schaffen: auf Menschen zugehen, lächeln, das Gespräch suchen – unabhängig von Aussehen und Hautfarbe
auf Demonstrationen für eine bunte Gesellschaft gehen
sich bei Initiativen vor Ort engagieren: in Nachbarschaftsprojekten und Bildungsinitiativen, in der Jugendarbeit
in eine demokratische Partei eintreten
Petitionen unterschreiben
an Demokratieprojekte, Jugend- und Bildungsprojekte und für Geflüchtete spenden
freien Journalismus unterstützen: eine Tageszeitung oder eine Digitalausgabe abonnieren, an Projekte wie Correctiv spenden
Aladin El-Mafaalani lesen und auf Social Media folgen
rechtsextreme Inhalte auf Social Media konsequent melden
In konkreten Situationen geht es aus meiner Sicht vor allem darum, eine klare Position einzunehmen – nicht unbedingt, um den Gegenüber von seinen rassistischen Einstellungen abzubringen, sondern um für alle Umstehenden, die unsicher sind, Haltung zu zeigen.
Gelesen |Windstärke 17 von Caroline Wahl, das Nachfolgebuch von 22 Bahnen. Ein Buch, das insgesamt ganz prima ist, auch wenn es mich nicht so vom Hocker reißt wie die Kritiker und Kritikerinnen. Es gefiel mir immerhin besser als 22 Bahnen. Allerdings schlägt die Klischee-Fee zu: Erst verliebt sich Protagonistin Ida, nachdem ihre alkoholkranke Mutter gestorben ist, in einen erfolreichen DJ und Surfer, später bekommt ihre Ziehmutter-auf-Zeit noch eine Krebsdiagnose. Ein Buch, wie gemacht als Schullektüre zukünftiger Generationen.
Herbst im Herzen | Es herbstelt, und ich liebe alles an dieser Herbstelei. In den vergangenen Jahren war ich immer eher wehmütig, wenn der Sommer zu Ende ging: noch ein paarmal Freibad bitte, noch etwas Sonne, noch mehr Fahrradfahrten in kurzer Hose. Dieses Jahr aber, nachdem ich bei 34 Grad meinen Koffer durch Baden-Württemberg zerrte und in stickigen Hotelzimmern schlief, nachdem sich in Meetingräumen eine feine, klebrige Schweißschicht auf meinen ganzen Körper legte und ich mich in unklimatisierten Zügen in ein Omelette verwandelte, begrüße ich jeden Windstoß. Herbst, ich will dich!
Herbst bei der Bahn | Gerade aus Karlsruhe zurück, befinde ich mich nun in Teltow, Brandenburg, südlich von Berlin. Die Deutsche Bahn war zum Jahreszeitenwechsel gewohnt besorgt um ihre Fahrgäste und heizte den Zug auf die Temperatur „Kreta im August“. Ich war vorbereitet und trug T-Shirt.
Die Fahrt nach Brandenburg war prima und kommod, auch wenn die Bahn einen anderen Zug einsetzte und alle Reservierungen obsolet waren. Ich saß, und wir fuhren – was will man mehr. Anderen Reisenden ging es schlechter: Vor dem Bahnhof Hannover war eine Regionalbahn liegen geblieben und verstopfte Gleise und Abläufe. Auf den Bahnsteigen sammelten sich die Menschen zu Hunderten. Mit viel Mitgefühl fuhr ich an ihnen vorbei.
Herbst auf dem Platz | Nachdem ich aus Karlsruhe wiederkam und bevor ich nach Teltow fuhr, war ich in Billerbeck. Dank des Hobbies von KindZwei und KindDrei, Fußball, lerne ich viel vom Münsterland kennen – mit einem besonderen Fokus auf zugige Sportplätze. Ich fror stocksteif, weil ich zu dünn angezogen war, war aber dennoch guter Dinge, denn ich freue mich ja über den Herbst.
Anders als das Bild vermuten lässt, blieben wir trocken. Die Mannschaft verlor nach 1:0-Führung mit einem Tor. Am Vereinsbüdchen gab es Pommes.
In Billerbeck gab es übrigens auch Hinweise auf den Herbst. Der Brunnen auf dem Kirchplatz:
Herbst, Du sollst mich Haushalt lehren zu entbehren, zu begehren
Herbst inKleinmachnow | Den heutigen Tag verbringe ich im Wesentlichen im Hotelzimmer und absolviere zahlreiche Digitaltermine. Morgen moderiere ich zwei Workshops hier vor Ort – und habe danach noch drei Stunden Fernuni. Deshalb bleibe ich eine weitere Nacht in Brandenburg und reise erst am Mittwoch ab.
Als ich gestern Abend ankam, bedankte ich mich bei mir selbst, dass ich mir ein Comfort-Zimmer mit etwas mehr Platz gegönnt hatte. Das war eine gute Idee von meinem Vergangenheits-Ich.
Vorweg muss ich sagen: Ich weiß nicht, ob ich gut kraule. Ich komme voran. Es gibt Menschen, die langsamer sind. Es gibt viele Menschen, die schneller sind.
Ich habe angefangen zu kraulen, indem ich es getan habe. Nach 25 Metern dachte ich, ich ertrinke. Das war nicht zielführend.
Daraufhin habe ich mir Videos auf Youtube angesehen und erkannt, dass ich zu sehr mit den Beinen strampele; es war alles zu unkoordiniert. Ich lernte, dass man sich erstmal auf die Arme konzentrieren soll. Ich kaufte mir Paddles für die Hände und einen Pullbuoy, den ich mir zwischen die Beine klemmte. Mit den Paddles lernte ich, wie ich die Hand am besten eintauche und Druck gegen das Wasser erzeuge. Der Pullbuoy hat währenddessen meine Beine hochgehalten.
Bei Journelle erfuhr ich von Total Immersion, sah mir Videos an und probierte aus, was ich sah: Kopf tief, wenig Beinarbeit, der Moment fürs Atmen. Gleichzeitig stieg Herr Stoer ins Triathlontraining ein und ließ mich an seinem Wissen teilhaben („Gleiten und sich lang machen“).
Als ich die Sache mit den Armen im Griff hatte, kaufte ich mir Kurzflossen und ein Schwimmbrett und widmete mich dem Beinschlag. Mit den Kurzflossen habe ich Speed, das macht viel Freude. Und ich merke – genauso wie bei den Paddles – wie ich den Wasserwiderstand besser nutze.
Jetzt schwimme ich, wie ich lustig bin. Es gibt bessere und schlechtere Tage, aber immer mehr bessere. Manchmal habe ich erst nach 500 oder 1.000 Metern einen guten Atemrhythmus, manchmal sofort. Vielleicht nehme ich irgendwann nochmal richtigen Kraulunterricht. Im Moment bin ich zufrieden damit, einfach zu schwimmen, so wie ich kann.
Schweine | Auf Instagram wurde ich gefragt, wie wir die Schweine vor Raubvögeln schützen. Die Antwort ist: gar nicht. Darauf müssen die Viecher schon selbst achten. Es sind ja Fluchttiere, und in den Anden spannt auch niemand ein Netz über sie.
Stellen Sie mir Fragen. Schreiben Sie Themenwünsche rein. Ich picke mir heraus, was ich mir herauspicken möchte.
Neu zum Zweiten | Christian und ich haben meine berufliche Webseite überarbeitet. Sie ist nun schlanker, Christian hat Design und Bedienbarkeit beigespachtelt, und gemeinsam haben wir einige Veränderungen vorgenommen:
Auf der Seite „Referenzen“ gibt es nun mehr Zitate von Kundinnen und Kunden. Es werden in den kommenden Wochen noch weitere hinzukommen. Ich sammele gerade ein.
Es gibt eine neue Seite „Use Cases“. Dort zeichne ich Anwendungsfälle nach, so dass man sich ein besseres Bild von meiner Arbeit machen kann.
Außerdem haben wir die Menüführung verbessert und die Datenschutzerklärung aktualisiert. Auf der Seminarseite ist nun besser kenntlich, welche Seminare ein konkretes Datum haben und welche ich darüber hinaus im Portfolio habe. Das hat Christian sehr gut gelöst. Überhaupt löst er die Dinge immer ideenreich und pragmatisch; ich schildere lediglich das Problem und kann ihm getrost den Rest überlassen.
Hier und da ruckelt es noch, stationär und mobil. Das ziehen wir nach und nach glatt.
Was Sie nicht sehen können: Die Seite ist nicht nur vorne schick, sondern auch hinten. Ich kann alles super bedienen. Auch dafür ein Herz-Emoji.
Auswärtsspiel | Kundentermin in Karlsruhe – das heißt: ein neues Bahnabenteuer. Oder auch nicht, denn die Fahrt war bequem und launig, überdies pünktlich, ruhig und passend temperiert. Die Fahrt nach Karlsruhe ist seit der Riedbahn-Baustelle kommod, dank einer schnellen Verbindung über Düsseldorf und Wiesbaden.
In Karlsruhe wurde ich kurz kribbelig angesichts der Möglichkeiten.
Die Rückfahrt flutschte auch: Pünktliche Abfahrt in Karlsruhe, zwei Minuten vor der Zeit in Siegburg/Bonn, dort Umstieg nach Essen, in Essen ging es direkt weiter nach Haltern. Eine Fahrt wie aus dem Werbekatalog.
Beifang | „Dat die alle diesen Kaffee saufen. Schmeckt wie Gülle, schmeckt der“, murmelte der Mann, während er am Starbucks am Düsseldorfer Hauptbahnhof vorbeischlurfte.
Auf der Rolltreppe fährt ein Mann mit zwei großen durchsichtigen Tüten. Darin Yum-Yum-Suppe – fünfzig, sechszig Packungen.
Karlsruhe | Eine Tätigkeit in handfestem Umfeld, dort wo Leute nicht (nur) an Schreibtischen arbeiten, sondern auf Schiffen, in Motorräumen, an Bahnschienen, auf Lokomotiven und auf Werksgeländen.
Im Kontext meines Besuchs habe ich die jüngste Geschichte des Binnenhafens in Königswusterhausen erfahren. Noch vor wenigen Jahren galt der Hafen als wirtschaftlicher Scherbenhaufen: 95 Prozent seines Umsatzes machte er mit dem Umschlag von Rohbraunkohle aus der Lausitz. Mit dem Kohleausstieg stand er vor dem Aus. Der Hafen änderte sein Geschäftsmodell zu intermodalem Containerumschlag: Jetzt werden hier industrielle Vorprodukte wie Autoteile für Tesla und Konsumgüter für Berlin vom Wasser auf den Lkw oder die Schiene verladen und umgekehrt. Außerdem vergrößerte er sich und verpachtet die Flächen erfolgreich (Bericht vom rbb). Wieder etwas gelernt.
Der Stahl ist schließlich nur einer der Stoffe, die Deutschland zu einem reichen Land gemacht haben und deren Produktion hierzulande nun infrage stehen. Zu diesen Stoffen gehört auch die Kohle, dazu gehören chemische Produkte, für deren Produktion es viel Energie braucht.
Es gerät dabei nicht nur die stoffliche Welt unter Druck, sondern auch eine Methode: Deutschlands Industrieunternehmen standen lange Zeit in einer engen Verbindung miteinander. Die Stahlindustrie beliefert die Autobauer, die wiederum Kunden der Chemieindustrie sind, die bei Anlagenbauern einkaufen, die sich bei Maschinenbauern eindecken, die spezialisierte Handwerker aus der Region beschäftigen und so weiter.
Ökonomen nennen solche Netzwerke Cluster. […] „Was wir im Moment erleben, ist ein Strukturwandel, von dem nicht klar ist, in welche Richtung er geht. Sicher ist aber, dass er die bisherigen Stärken und die bisherigen Clusterbildungen in der deutschen Industrie, die auf das 19. Jahrhundert zurückgehen, durchweg infrage stellt.“
Schweine | Archivschweine aufgrund von Reisetätigkeit.
Exkursion | Wer mir auf Instagram folgt, hat in den vergangenen Tagen schon Bilder gesehen: Ich war in Berlin. Ich war auf Klassenfahrt.
Ich bin Mitglied im Alumniverein des Dortmunder Journalistik-Studiengangs – zum Verbundenbleiben und auch, um Journalismus und den journalistischen den Nachwuchs zu fördern. Einmal im Jahr organisiert der Verein eine Exkursion für seine Mitglieder. Das Konzept: Leute, die mal in Dortmund Journalistik studiert habemn, besuchen andere Leute, die das auch mal getan haben.
Das ARD-Hauptstadtstudio liegt in Sichtweite zum Reichstag. Es gibt für jede Partei im Bundestag ein Ressort mit Journalistinnen und Journalisten, die sich nur mit dieser auseinandersetzen – und zusätzlich für jedes Ministerium. Markus Preiß erzählte uns, wie er sich auf Interview mit Spitzenpolitiker:innen vorbereitet. Wir diskutierten über Interviewstrategien – alle Anwesenden sind ja ausgebildete Journalist:innen oder Journalistikwissenschaftler -, über Veränderungen in der Berichterstattung und inwieweit die ARD-Journalisten mit ihrer Themensetzung politische Strömungen verstärken, zum Beispiel im Kontext Migration.
Mit dabei war auch Nora Schultz vom Deutschen Ethirkrat. Sie stellte uns ihre Arbeit und die des Ethikrates vor. Der Ethikrat wird von der Politik zu Stellungnahmen angefragt, setzt sich aber auch selbst Themen. Das jüngste Thema „Klimagerechtigkeit“ hat der Rat sich selbst gegriffen. Der Anstoß kamauf einer Veranstaltung mit Schülern und Schülerinnen, bei der es eigentlich um die Erfahrungen der Jugendlichen in der Corona-Zeit ging. Am Nachmittag fand das Format „Schüler beraten den Ethikrat“ statt; dort kam das Thema mehrmals zur Sprache, so dass der Ethikrat es aufgriff. Sehr verkürzt sagt die Stellungnahme übrigens: Die Politik möge weniger moralisierende Kommunikation an Einzelne richten, sondern – statt die Verantwortung aufs Individuum zu schieben – selbst stärker ins Handeln kommen und den regulatorischen Rahmen setzen.
Den Abend verbrachten wir mit geistigen Getränken und intellektuellen Diskursen, vielleicht aber auch nur mit Gossip aus der Journalismusblase. Suchen Sie sich etwas aus.
Am nächsten Tag marschierten wir zunächst zum Bundespresseamt. Dort sprachen wir vor allem über Social Media. Die Profile der Bundesregierung und des Bundeskanzlers auf Facebook, Instagram, Tiktok, X und Mastodon haben pro Tag mehrere tausend Interaktionen. Die allermeisten sind jedoch Pöbeleien, Trolle und möglicherweise auch Bots; die Profile sind quasi eine 24/7-Montagsdemo. Jeden Monat gehen dutzende Anzeigen ans Sicherheitsreferat. Die Menschen, die die Profile betreuen, tun dies nur stundenweise, damit es nicht zu destruktiv wird. Wir diskutierten, ob es demokratietheoretisch nicht angebrachter sei, gar keine Kommentare zuzulassen. Das Social-Media-Team hält währenddessen die Moral aufrecht, indem es sich immer wieder sagt, dass die meisten Menschen nur passiv mitlesen – und für sie moderieren sie tapfer.
Unsere nächste Station war bei der Deutschen Umwelthilfe. Das sind die, die an der Aufdeckung des Dieselskandals beteiligt waren und in dieser Sache immer noch Klagen führen. Die DUH hat außerdem Becherpfand in Fußballstadien eingeführt und das Recht von Mieterinnen und Mietern erwirkt, Balkonkraftwerke anbringen zu dürfen. Matthias Walter berichtete über die Arbeit – und gab Einblicke, wie Landesregierungen und Konzerne versuchen, Gesetzgebung zu umgehen. Interessant war die Info, dass die A/fD auf kommunaler Ebene stark versucht, Naturschutzprojekte und Zweckverbände unter dem Motto der Traditionspflege zu unterwandern.
Das Gebäude der Umwelthilfe am Hackeschen Markt hat übrigens ein wunderschönes Treppenhaus.
Vom Hackeschen Markt gingen wir zu Deutschen Welle, ein schöner, etwas mehr als halbstündiger Marsch vorbei an der Gedenkstätte Berliner Mauer zum Brunnenviertel.
Die Arbeit der Deutschen Welle und ihrer Akademie war mir bislang gar nicht so präsent, muss ich ehrlicherweise zugeben. Ich höre ab und an das Radioprogramm oder stoße auf einen Podcast. In Hotelzimmern im Ausland habe ich das Fernsehprogramm geschaut. Aber sonst hatte ich wenig Berührungspunkte. Umso interessanter war das, was ich erfuhr. Die DW-Akademie betreut Projekte in mehr als 70 Ländern, die das Recht auf freie Meinungsäußerung fördern und helfen, sich aus Basis von Fakten unabhängig zu informieren. Sehr erfolgreich ist das Projekt Mapped out, das politische Konflikte anhand von Karten erklärt. Ich habe die deutsche Seite verlinkt; die Videos gibt es auch auf Englisch, Spanisch und Arabisch. Auf Spanisch erreichen sie in Südamerika mehr als eine Million Abrufe pro Episode. Das liege auch daran, dass sich Russia Today, ein vom russischen Staat gegründetes Auslandsfernsehen, sehr bemühe, sich als Informationssender in Südamerika und auf dem afrikanischen Kontingent zu etablieren. Die Deutsche Welle setzt hier einen Kontrapunkt.
Stark nachgefragt seien außerdem Themen für Minderheiten, die die Leute nicht auf ihrem lokalen News-Markt bekämen – zum Beispiel Reportagen und Berichte zu LGBTQ oder Frauenrechten. Gerade in Afrika würden die queeren Themen der Deutschen Welle stark abgerufen.
Ein anderes Format der Deutschen Welle ist Shabab Talk, ein Gesprächsformat mit dem deutschen Journalisten Jaafar Abdul Karim. Es thematisiert gesellschaftspolitische Themen auf Arabisch und richtet sich an junge Menschen aus dem arabischen Kulturkreis. Hier mal eine Zusammenfassung auf Deutsch.
Ein weiteres Projekt DW-Akademie nennt sich „Sikika“, was auf Kisuaheli so viel heißt wie „gehört werden“. Es ist ein Audioprojekt im Kakuma Refugee Camp, einem Flüchtlingslager im Norden Kenias. In Kakuma und der benachbarten Siedlung Kalobeyei leben mehr als 280.000 Geflüchtete, viele aus dem Sudan. Die Deutsche Welle hat Männer und Frauen, die im Lager leben, ausgebildet, journalistisch zu arbeiten, verlässlich über Vorgänge im Camp zu berichten, Reportagen zu verfassen und Geschichten zu erzählen. Es geht oft um grundlegende menschliche Bedürfnisse wie Gesundheit, Nahrung, Wasser und Bildung, aber um Sport, Kultur und der Verständigung zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen. Alle zwei Wochen entsteht ein einstündiges Programm für die Geflüchteten im Camp. Ziel ist es, Kommunikationshierarchien aufzubrechen und die Geflüchteten zu befähigen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Außerdem werden Frauenrechte gestärkt, denn es gibt auch viele Reporterinnen.
Das war mein Ausflug nach Berlin. Ich kam geistig satt zurück.
Stadtklima | Ich berichtete von den sechs gesunden Kastanien, die hier in der Stadt gefällt werden sollten. Eine Online-Petition hat innerhalb weniger Tage mehr als 4.000 Unterschriften erreicht, Bürgerinnen und Bürger demonstrierten an den Bäumen, es wurden Kastanien mit eingeritzten Herzen verteilt, der WDR berichtete (ab Minute 14), die lokalen Fraktionen positionierten sich, der Bau- und Digitalisierungausschuss tagte in einem Saal voller Publikum und beauftragte schließlich die Verwaltung, eine neue Planung zu erarbeiten. Eine tolle Sache, großes Engagement hier in der Stadt, gelebte Demokratie.
Oldie but Goldie | Das Video, ein knackiger Viereinhalbminüter, ist mir dieser Tage wieder untergekommen. Wer seine Organisation wiedererkennt, hebe die Hand in den Kommentaren.
Stillstand | A propos Stillstand: Zwei Begebenheiten noch aus der Erlebniswelt Infrastruktur. Nachdem ich den Zwei-Striche-Coronaclub am Dienstag verlassen hatte, fuhr ich zum Kunden nach Duisburg. Es ist eine Strecke von 69 Kilometern, hauptsächlich Autobahn. Man könnte also in weniger als einer Stunde dort sein. Auf dem Hinweg benötigte ich eineinhalb Stunden, auf dem Rückweg zwei – dank Brückenbaustellen, Nicht-Brücken-Baustellen und temporärer Sperrungen.
Einen Tag später sitze ich im Zug nach Berlin – oder auch nicht. Stellwerksstörung in Wattenscheid, Reparatur an einem Signal, dies und das – mein Zug kommt jedenfalls nicht. Die ICEs kommen allesamt gar nicht, sie werden umgeleitet, der Regionalverkehr verspätet.
Mit hunderten anderen Menschen, die nach Berlin und Hamburg wollen, stehe ich in Bochum am Gleis. Wir schlagen uns mit einem RE nach Dortmund durch. Es ist Donnerstagmorgen, Berufsverkehr und eine gesellige Angelegenheit. In Dortmund warten wir auf den Fernverkehr, irgendeinen. Er kommt auch, aber kurzfristig nicht auf Gleis Acht, sondern auf Gleis Zwanzig. Man rennt, man hastet. Die Rolltreppe zu Gleis Zwanzig fährt nur bergab, nicht hinauf. Alte Menschen mit großen Koffern stehen ratlos davor. Man hilft sich, man arrangiert sich. Der ICE fährt zwischen Ankündigung und Ankunft nochmal zehn Minuten Verspätung ein. Das ist erstaunlich, aber auch gut, so schaffen es alle hinauf zum Gleis und können mit. Ankunft in Berlin mit 55 Minuten Verspätung, fünf Minuten unter der Entschädigungsschwelle. Das ist immer tragisch.
Der Rückweg verlief ohne Zwischenfälle. Das muss auch erwähnt werden und wird natürlich in weniger Worten gekleidet als das, was nicht klappt. Stellen Sie sich einen ruhigen Sitz in einem halbvollen Waggon vor, ich lese, arbeite ein bisschen, höre Musik und nicke kurz ein. Der Umstieg in Bochum pünktlich, die Ankunft in Haltern mit den letzten Sonnenstrahlen.
Gehört | Während ich mich in Verkehrsmitteln befand, hörte ich das Interview von Tilo Jung mit dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk. Sie sprechen über Ilkos Jugend und Leben in der DDR, die Wendezeit, das Verständnis von Demokratie und Freiheit, Ursachen für Frust und Unmut im heutigen Ostdeutschland und seine Sicht auf die AfD und das BSW. Interessant.
Gelesen |Eine Rezension des Films „Die Akte Joel“. Der jüdische Großvater des Sängers Billy Joel besaß eine Firma, die 1938 arisiert wurde. Der Käufer: Josef Neckermann.
Schweine | Sonntagmorgen nach einer wilden Nacht. Das Pionierschwein mit klarer Körpersprache an der Futterschale, der Dicke ein Fell gewordener Vorwurf: Schon halb Zehn und noch kein Frühstück. Inakzeptabel.
Beklagung | Ich möchte bemängeln, dass der diesjährige Sommer-Herbst-Übergang recht abrupt ist. Mir fehlt die Temperatur für kurze Hose + Hoodie. Stattdessen wechselte das Leben unversehens von kurze Hose + T-Shirt zu lange Hose + Hoodie.
Außerdem: Die offenen Hauslatschen gegen geschlossene Hauslatschen getauscht – wegen Kalte-Füße-Alarm. Wärmflasche in Betrieb genommen.
Befinden | Das Befinden bessert sich weiter. Es geht aufwärts. Nur meine Stimme ist noch sonor. Ich werde schnell heiser. Zurzeit bin ich vor allem eine gute Zuhörerin.
Blumenfällung | Die Sonnenblume, die sich zu Beginn des Sommers selbst ins Hochbeet gesät hat, ist Kompost. Die Blume ist verblüht, Meisen haben sich schon Kerne aus den Blütenscheiben gesucht. Heute fällte ich die Blume mit einer Säge: ein Stamm, wie ein Baum. Die Meerschweine und die Vögel sollen sich noch nehmen, was sie mögen.
Ereignislosigkeit | Drüber hinaus geschah wenig. Wir sitzen hier hauptsächlich im Haus herum und rekonvaleszieren.
Ich gab ein Webinar zum Konfliktmanagement, drei Stunden bei einem Unternehmen für Ingenieurs- und IT-Dienstleistungen. Wir begannen mit der eigenen Konfliktsozialisation, also der Streitkultur in der Herkunftsfamilie, und arbeiteten uns zum Konflikt hinter jedem Konflikt vor. Da gibt es acht mögliche Varianten, acht Wesenszüge, auf denen ein Konflikt gründen kann: Mal clashen Werte, mal ist es ein Beziehungskonflikt, in dem man in der Sache zwar durchaus übereinstimmt, aber die Art und Weise, wie der andere …! Und so weiter – wir endeten mit Lösungsstrategien: Handreichungen, um Dissonanzen gar nicht erst groß werden zu lassen oder bestehende Konflikte zu durchbrechen.
Am vierten Tag seiner Erkrankung erhob sich der Reiseleiter und verspürte den unbändigen Drang, Hausarbeiten zu erledigen. Ich ließ ihn gewähren. Es ist nun wirklich schön sauber hier. Am sechsten Tag meiner Erkrankung fuhr ich in den Rewe und kaufte einen Kühlschrank voll ein, noch mit Maske. Niemand schaute mich seltsam an, es lief auch niemand vor mir weg.
Kuchensituation | Im Rewe stolperte ich über einen Korb Pflaumen und bekam augenblicklich Appetit auf Pflaumenkuchen.
Die Pflaumenkuchenherstellung kam in diesem Spätsommer bislang arg kurz. Ich beschloss spontan, daran etwas zu ändern. Die Haushaltsmitglieder freuten sich.
Gelesen | Remembering the Hero Dogs of September 11th. Ein Artikel über die Mantrailer-Hunde, die nach dem Anschlag auf das World Trade Center Dienst taten. Weil sie nur Leichen fanden, wurden sie depressiv, weshalb sich zwischendurch Menschen in den Trümmern versteckten, um ihnen Erfolgserlebnisse zu verschaffen und die Stimmgun zu heben. Ganz herzig: Golden-Retriever-Weibchen Bretagne wurde nach ihrer Pensionierung Zuhörhund in der örtlichen Grundschule.
After retiring from search and rescue, she went on to work at a local elementary school as a reading dog, giving shy students someone to read to.
Aus der Stadt | Aufruhr hier in der Stadt: In einer der Straßen in der Innenstadt sollen sechs große Kastanien gefällt werden, allesamt gesunde Bäume. Die konservative Stadtführung möchte die Straße zu einer Promenade umbauen; die Planungen seien dergestalt, dass die Bäume dies nicht überleben würden, also müsse man sie vorsorglich fällen.
Malade | Danke für zahlreichen Genesungswünsche auf den Plattformen.
Heute Morgen hob der Reiseleiter seinen Kopf aus dem Kissen, blickte mich an und murmelte mit mattem Stimmchen: „Wir wissen ja alle: Bei Männern ist es nochmal schlimmer.“ Dann sank er wieder nieder.
Seit gestern hat er auch zwei Striche. Sie ahnen, was ich mitmache.
Wir überlegen, unser Haus umzubenennen in „Sanatorium Zu den Drei Goldenen Schweinen“. Genesung und Rehabilitation in freundlicher Begleitung. Nachfolgend Symbolbild.
Stillarbeit | Leichte Schreibtischarbeit. Die meisten Termine habe ich krankheitsbedingt abgesagt. Ich habe wenig Stimme. Das ist in meinem Beruf misslich.
Ansonsten ist das Befinden stabil. Nachdem das Virus einen Kickstart hingelegt hat, ist die Sache in einen mittelschweren Infekt übergegangen. Ich fühle mich leicht matt, allerdings mit einem dynamischen Unterton. Ausschließliches Herumliegen ist mir zu langweilig; mein Denken ist nicht porös. Das ist gut. Bloß kein Long Covid kriegen, ist hier das Motto. Ich gehe leichten Tätigkeiten nach und nutze die Zeit, um stimmlos und in Stillarbeit Dinge zu tun, die mir Freude bereiten und keine Anstrengung erfordern. Unter anderem überarbeite ich meine berufliche Website. Aus der bin ich ein bisschen herausgewachsen; Christian und ich arbeiten derzeit an einem sanften Relaunch.
Blick aus dem Fenster | Das Wetter macht derweil einen auf April. Während ich meine Quarantäne zwischen Ober- und Untergschoss verbrachte, wurden draußen Regen, Sonne, Hagel, Sturm und wieder Sonne gereicht – in iterativen Schleifen. Ich bekam Frühlingsgefühle, kontaktierte meine Bloembollen-Dealerin und bestellte Wildtulpenzwiebeln.
Besuch | Außerdem bekam ich unverhofft Besuch. Ein großer, flauschiger Falter hatte sich meinen Garten ausgesucht, um auf einem Fahrradreifen zu ruhen.
Ich identifzierte den Besuch als Windenschwärmer und freute mich.
Gelesen |Stephan Anpalagan: Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft. Ein Buch über das Einwanderungsland Deutschland, über Ausgrenzung, Rassismus und Integration, über die feinen Nuancen der Zugehörigkeit, über Leitkultur und Vorurteile. Das Buch hat einen deskriptiven Ansatz, fasst Debatten zusammen, deckt Widersprüche und Häufungen auf. Anpalagan zitiert viel. Für meinen Geschmack analysiert er ein bisschen wenig. Das Buch hat daher nicht die Erkenntnistiefe wie El-Mafaalanis Intergrationsparadox. Dennoch eine erhellende Zusammenfassung neurotischer Deutschtümelei.
Gesehen |The Father mit Anthony Hopkins und Olivia Coleman, noch bis 5. Oktober in der ARD-Mediathek. Fünf von fünf Sternen.
Vorweg | Herzlichen Dank für die Windstärke 17, die mich in den vergangenen Tagen erreichte. Noch dazu so hübsch verpackt und mit begleitender Karte. Eine tolle Überraschung!
Auswärtsspiel | In der vergangenen Woche war ich in zwei Städten in Nordrhein-Westfalen unterwegs und habe mit klugen Menschen gearbeitet. In zwei ganz unterschiedlichen Branchen ging es um gute Prozesse – einmal mit Blick darauf, Einfluss auf notwendige Zuarbeiten zu nehmen, ein anderes Mal mit Blick auf die Vernetzung von Abläufen und auf Potential durch Automatisierung und Künstliche Intelligenz.
Ich gehe mal kurz auf das Eine und das Andere ein. Wen das nicht interessiert, der möge einfach ein Thema weiterwandern.
Wenn es um Zuarbeiten geht, die andere nicht erledigen, die aber wichtiger Teil eines Prozesses sind und die ein Team braucht, verfällt dieses Team in aller Regel in einen Klagemodus: „Die anderen machen nicht!“ Man ist betrübt und frustriert, nicht selten auch stinkwütend. Das ist total verständlich. Was also tun? Die Lösung wird meist in Apellen gesucht: „Macht doch mal!“ – geäußert in Meetings, in kleinen und großen E-Mail-Verteilern, in Eskalationen. Das führt in genau null Prozent der Fälle zu einer Veränderung des Verhaltens.
(Einzige Ausnahme: Es wird Druck aus der Hierarchie drauf gegeben, dann klappt es für einen Moment. Lässt der Druck wieder nach, lässt auch die Zuarbeit sofort nach.)
Zu klagen und auf die anderen zu zeigen, ist ein nachvollziehbarer Reflex – schließlich hat man klar gesagt, was man braucht, und die anderen liefern einfach nicht. Gleichzeitig ist es wunderbar leicht, auf Andere zu zeigen. Denn es klammert den eigenen Anteil an der Nicht-Zuarbeit aus.
Die schlechte Nachricht ist in diesem Fall: Wer etwas will, muss etwas verändern. An sich und seinem Handeln – auch wenn er sich sicher ist, dass die Verfehlung auf der anderen Seite liegt. Die gute Nachricht ist: Wer sich ernsthaft mit der Perspektive des Gegenübers beschäftigt, schafft allein damit schon eine Veränderung. Niemand macht aus reiner Boshaftigkeit schlechte Arbeit.
Sehr hilfreich, um über Ansatzpunkte nachzudenken, andere zur Zuarbeit zu bewegen, ist das 3K-Modell von Hugo Kehr. Das Modell fußt auf empirisch gestützter Motivationstheorie und schaut auf Kopf, Hand und Bauch, die zusammenspielen, damit man Lust auf eine Aufgabe hat. Der Kopf steht für das Verständnis von Sinn und Ziel, die Hand steht für die Kompetenzen, die man für eine Aufgabe braucht, und der Bauch für die emotionale Passung, für die Freude an der Aufgabe. Ist alles vorhanden, dann ist man motiviert für die Aufgabe (und möglicherweise entsteht sogar Flow, das beglückende Gefühl völliger Vertiefung in eine Aufgabe). Fehlen Aspekte – Kopf, Hand oder Bauch -, ist die Motivation niedriger bis nicht vorhanden.
Bei fehlenden Zuarbeiten sind meiner Erfahrung nach alle drei Aspekte des Modells betroffen: Es fehlt oft an Kontextwissen zur Aufgabe, am Sinn dessen, was von einem erwartet wird. Das Ziel der Zuarbeiten ist nicht klar definiert: Wozu trägt meine Arbeit genau bei? In welcher Form, welchem Fromat soll sie erfolgen? Zusätzlich mangelt es an Handlungswissen, um die Zuarbeit zu bewerkstelligen: Wie geht das genau, was muss ich tun, um den Anforderungen zu genügen? Manchmal mangelt es schlichtweg auch an praktischen Dingen wie Berechtigungen, Werkzeugen oder Software, um die Aufgabe zu erledigen. Zusammengefasst kann man sagen: Derjenige, der fordert, setzt zu viel voraus – zu viel Know-how und zu viel Kontextwissen. Hinzu kommt, dass die Aufgabe nicht als spaßvoll empfunden wird; positive Rückmeldungen gibt es auch kaum – schließlich ist die Zuarbeit selbstverständlich. Im Workshop haben wir die Ebenen erkundet und Lösungen erarbeitet, was wir der anderen Seite anbieten können, um ihnen die Zuarbeit zu erleichtern oder erst zu ermöglichen.
Beim zweiten Termin, als es um die Vernetzung von Prozessen, Automatisierung und künstliche Intellligenz ging, ist mir nochmal aufgefallen, welche großartigen Potentiale für unsere Arbeitswelt darin stecken. Es ging um ITSM-Prozesse, also die Abläufe in IT-Unternehmen, mit denen es gelingt, dass die Kunden die Hard- und Software, die sie fürs Arbeiten brauchen, einfach bestellen können; dass die Anwendungen, Server, Datenbanken und die Netzwerkinfrastruktur immer up-to-date sind und dass schnell und nachhaltig repariert wird, was kaputt ist. Ich habe mittlerweile einen guten Einblick in diese Thematik, auch durch eigene ITIL-Weiterbildung, und es ist mir eine Freude, mit Unternehmen auf mögliche Innovationen zu schauen. Hier schlummert ein großes Potential – gerade wenn man Prozesse nicht einzeln, sondern verneztzt betrachtet. Wir können Abläufe, die heute noch ein Mensch macht, der Technik übergeben, damit die Menschen wertvollere Dinge tun. Gleichzeitig ist die Technik besser und fehlerfreier darin, Routineaufgaben zu erledigen.
Gedanklicher Einschub: In Deutschland schauen wir gerne mit sorgenvollem Blick auf neue Technologien. Das Sorgenvolle löst sich dann schnell von seinen guten Gründen und bekommt ein Eigenleben. Es wird immer größer und mächtiger, bis die neue Idee nur noch aus Bedenken, Stolperfallen, drohendem Unheil und größtmöglichen Schaden besteht. Natürlich ist es wichtig, Risiken zu betrachten – allerdings mit einem neugierigen und erkundenden Blick, nicht mit einem Exorzismusreflex, der den eigenen Status Quo vom bösen Geist des Fortschritts befreien möge.
Als ich wieder zu Hause war, wurde ich gefragt: „Wozu braucht man dich denn bei sowas? Die Experten sitzen doch alle schon am Tisch!“ Mein Auftrag war in dem Fall:
Die Workshoptage so zu strukturieren, dass einerseits ausreichend Raum für Gedankenaustausch war, andererseits die Diskussionen nicht aus dem Ruder laufen, sondern zum Ziel des Workshops beitragen.
Methoden anzubieten, um von A nach B zu kommen, vom Inselwissen einzelner Experten zu einem gemeinsamen Verständnis aller Prozesse – und weiter zu Ideen für inselübergreifende Verbesserungen.
Für ein gutes Miteinander zu sorgen und nicht nur an der Sache zu arbeiten, sondern auch die Beziehung untereinander zu stärken.
Für Ergebnisse zu sorgen, die konkret genug sind, um nach dem Workshop ohne viel Aufhebens mit der Umsetzung zu beginnen.
Ich denke, dass es gut gelungen ist. Jedenfalls gibt es konkrete Ergebnisse, darüber hinaus viele Ideen, wir waren pünktlich fertig, und die Leute hatten Freude bei der Arbeit.
Ein Hauch von Herbst | Frühnebel, Kastaniengeruch, Blätterrascheln. Es ist noch Sommer, aber mit einem Mal ist eine greifbare Ahnung von Herbst da. Eine feuchte Schwere legt sich auf den Tag, eine kühle Leichtigkeit unterwandert die Hitze.
Münzbedarf | Ich fuhr Bahn, übernachtete in einem Hotel, nutzte ein Schließfach am Bahnhof. Zweimal wurde ich mit altenativlosem Münzbedarf konfrontiert: Das Schließfach am Bahnhof wollte vier Euro von mir, in Münzen, durch einen Schlitz. Der Getränkeautomat im Hotel wollte zwei Euro fünfzig, auch durch einen Schlitz. Ich musste mir jeweils passendes Münzgeld herbeitauschen. Wie einst zu Kaisers Zeiten, als gäbe es kein Mobile Payment, als lebten wir in diesem Land unter einem Stein.
Wortgeschenke | Jemand sagte diese Woche zu mir: „Die Idee muss ich erstmal marinieren.“ Welch schöner Ausdruck! Den werde ich in meinen Wortschatz übernehmen. Ich habe öfter Ideen, die ich erstmal noch einlegen möchte, um zu sehen, ob sie Geschmack annehmen oder ob sie fad bleiben.
Jemand anderes schenkte mir das Wort „Methodenkarneval“ – ein Ausdruck für das kopflose Einführen von Tools und Methoden, ohne dass es eine Idee dahinter gibt (eine marinierte Idee!) und ohne dass sich etwas an Kultur und Haltung in der Organisation und bei ihren Mitgliedern ändert.
Premiere | Das Freibad ist geschlossen. Ich bin untröstlich. Am vergangenen Freitag wollte ich noch einmal hin, eine Runde schwimmen. Ich war zu spät – noch nicht zu spät für alles, aber zu spät für diesen Tag. Ich hatte vergessen, dass das Bad jetzt, am Ende des Sommers bereits um 20 Uhr schließt, nicht wie im Juni und Juli erst um 21 Uhr. Mit dem Rad fuhr ich eine Runde durch die Felder und beschloss, zwei Tage später, am letzten Öffnungstag, noch einmal ausgiebig schwimmen zu gehen.
Dazu kam es nicht. Denn am Sonntag wachte ich morgens auf und fühlte mich erstaunlich elend – gemessen daran, dass ich am Vorabend noch keinerlei Krankheitsgefühl hatte. Das Elend wurde bis zum Nachmittag noch elendiger. Ich war komplett matschig, mir war heiß, ich hustete, und mein Kopf wurde ein Ball aus Beton. Ich kroch in den Hauswirtschaftsraum, fummelte Corona-Tests aus einem lange nicht mehr gebrauchten Korb und siehe da: zwei Striche. Meine Corona-Premiere. Nach viereinhalb Jahren Pandemie bin ich nun auch dabei.
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