Pfingsten und die zwei Ks
Pfingsten ist in meiner Heimatstadt traditionell mit zwei Ks verknüpft: Kirmes und Klassentreffen. Beide stehen zueinander in kausaler Beziehung: Weil es Kirmes gibt, gibt es Klassentreffen, denn zur Pfingstkirmes kommen alle heim.
Pfingstkirmes in Menden, das sind Karussells vor Fachwerkkulisse, das sind Los- und Schießbuden, das ist der Geruch von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln. Das sind Softeis und Wahrsagerinnen, Stände mit Lederwaren und batterbetriebenen Hundefiguren, und das ist Kokosnuss, die ihr Volumen im Mund zu einem trockenen Brei verdreifacht.
Kirmes ist überdies ein dicker, weicher Haufen Nostalgie: Kirmes war der Höhepunkt meiner Kinderjahre. Sie war nicht nur Erleben, sie war das Leben, das reine Leben, der Sinn des Lebens, Zucker und Glück, verpackt in Dosenwerfen, Schaumwaffeln und Musikexpress.
Kirmes – das ist auch die emotionale Wucht meiner Teenagerjahre: Es war Schaulaufen von der Ober- in die Unterstadt, untergehakt bei den Freundinnen, es war Herumstehen am Autoscooter, Kreischen im Breakdance und die Sehnsucht nach Knutschen.
Die diesjährige Kirmes ist die zwanzigste Kirmes seit meinem Abitur – weshalb sich am Samstagabend 56 Ex-Abiturient*innen in einem Fachwerkhaus trafen, um miteinander zu trinken.
Sie tranken lange, bis nachts um vier, und erzählten sich Geschichten: von einst, von heute und von dem Dazwischen; das eindimensionale Damals wurde ein Damals der vielen Perspektive – und die Wege zum Heute enthielten ein paar gute plot twists.
Wenn sich Menschen wiedersehen, die einst gemeinsam losliefen und sich dann konsequent aus den Augen verloren haben; wenn diese Menschen allesamt angekommen sind im Leben; wenn darunter Menschen sind, die überraschenderweise genau das wurden, wovon sie niemals dachten, dass sie es werden wollten; wenn außerdem Menschen darunter sind, die über sich und ihre Durchschnittlichkeit, ihre Besonderheit, ihr besondere Durchschnittlichkeit und ihre durchschnittliche Besonderheit lachen können; wenn sie aus Spanien, Belgien und der Schweiz anreisen, um einander zu erzählen – dann ist das eine zauberhafte Veranstaltung. Ein großer Dank an die Organisatoren; Tobi und Hendrik, wenn Ihr das lest: Das war super.
Die Nacht verbrachte ich dann bei Tante und Onkel – auch so ein Ort. Auf den ersten Blick ein normales Wohnhaus. Doch wenn Sie genau hinschauen, wenn Sie die Details suchen, entdecken Sie Ihre Kindheit, die Kindheit Ihrer Eltern und die Kindheit aller in den 60er und 70er Geborenen.
Als ich gegen Mittag erwachte und in die Küche kam, lag auf dem Resopaltisch eine Platzset, darauf lagen ein Holzbrettchen, auf dem Brettchen lag ein Messer und daneben stand ein hartgekochtes Ei. Meine Tante stand am Herd, rühte in Töpfen und sagte: „In 25 Minuten sind die Klöße fertig.“
Auf Reisen habe ich gelernt: Brot und Ei sind, was Frühstück angeht, im internationalen Vergleich in der Minderheit. Warum also darauf pochen? Ein Rinderrouladenfrühstück passt ohnehin besser zur vorangegangenen Nacht. Wieso also nicht?
Natürlich – Sie wissen es sowieso – ist das nur der Teller fürs Foto. Nach der Aufnahme bekam er vier weitere Löffel Soße, im Nachschlag einen Zusatzkloß; außerdem einen Schlag Gurkensalat, dessen Sahne sich mit der Rouladensoße zu einer fulminanten Mélange vereinte. Die nachfolgende Götterspeise ist nicht dokumentiert.
Danach ging ich in die Stadt und fuhr Riesenrad.