Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Ich mache ja für Sie dieses Service-Ding: Rücken plus Husten.
Hier mein Fazit der ersten zwölf Tage.

Phase eins:
Ich benutze ungern Fäkalwörter im Kännchenkaffee , aber verdammte Scheiße. Sind! Das! Schmerzen! Ich bin ja einiges gewohnt. Bänderrisse. Kapselrisse. Ein Nasenbeinbruch. Fucking Hell –  Husten ist schon die Hölle, aber Niesen erst. Ohgottohgottohgott. Und im Fernsehen? Nur Eis. Die haben sich doch abgesprochen. Inuit, wohin man schaltet. Atom-Eisbrecher. M58, die Transkontinentale durch Russland, Vermummte teeren Straßen im Schneesturm. Ja, die haben’s drauf die Russen. Und was macht der Lanz da? Isst der etwa Robbenfett? Ekelhaft. Diese grünen Stückchen, die ich abhuste, sind auch widerlich. Die sind so hart, die kann man sogar noch kauen. So eine Scheiße, das alles. Spazierengehen könnte helfen.

Phase eins a:
Alta, das geht so nicht mehr. Wie heißt dieses Dreieck über den Krankenhausbetten? Ich brauche sowas. Und die Entenmutti, die könnte mir ihren Rollator leihen. Oder nein, ein Zivi wäre besser. Aber ach – die heißen jetzt Bufdi. Oder ich rufe einfach Mats an, dass er nach dem Training vorbeikommt. Verdammt, ich kann gar nicht auftreten. Und gnaaaaaaaaaaaah, immer wieder dieser scheiß Husten. Wie lange noch bis zur nächsten Schmerztablette? Aber Tetrazepam ist gut. Mein Gott, davon fällt ja ein Elefant um. Spazierengehen hilft.

Phase eins b:
Ach, Doktor Knack. Den heirate ich mal. Er spendiert mir ein MRT und eine 50er-Packung Ibu 600. Was kriegt man dafür eigentlich hinterm Bahnhof?  Über Amazonien gelernt, dass es dort Fluss-Sehkühe gibt, deren Kot das Nonplusultra ist. Für alles. Ohne Seekuhscheiße geht da nix. Außerdem: spazierengehen – gehen gehen gehen gehen. Dazu Hörbuch hören, „Anne Granger: Wer sich in Gefahr begibt„. Ich weiß gar nicht mehr, wo ich noch hinlatschen soll. Aber es gibt eine App fürs Latschen. Jetzt weiß ich wenigstens, wie weit ich gelaufen bin. Und wie lange. Und wie viele Schritte. Ich brauche auch eine Turnanleitung für Rücken.

Phase zwei:
The Beginning of Turnen.

Rückenturnen

Erster Lichtblick: Ich kann husten, ohne dass ich das Gefühl habe, dass meine Mitte mit einem brennenden Schwert durchteilt wird – es sind die kleinen Dinge, die erfreuen. Die neue App sagt: 5,78 Kilometer, 7.366 Schritte, 1 Stunde 14 Minuten. Unsaomma war niemals langsamer.

Phase zwei a:
Mein Pro-Tipp: Ganzkörperwärmebehandlung unter der Sonnenbank. Klingt komisch, aber aus der Badewanne käme ich ja nur mit einem Kranwagen raus. Ich bin nun zwar knusprig wie eine gebackene Ente, aber was soll’s – die Muskelschmerzen werden weniger. Schlecht: Ich kann nicht schlafen. Oh yeah, was zieht das ins Bein. Als ob dir einer einen Besenstil ins Kreuz steckt, ihn durch die Hüfte bis ins Knie schiebt und dadrin rumquirlt. Tetrazepam hält genau sechs Stunden. Also bis nachts um vier. Ich lege mich auf meine Isomatte und turne dazu. Draußen ist es still und stockfinster. Auf 3sat: Kailash, der heiligste aller Berge, Tibet. Mönche drehen Gebetsmühlen. Rücken rund, Arsch raus, Rücken rund. Sie singen monoton. Das ist alles sehr verstörend. Entenmutti kann auch nicht schlafen, knipst ihr Küchenlicht an und glotzt zu mir rüber. Das muss jetzt auch nicht sein. Ich lasse die Rolläden herunter.  Tagsüber: 9,4 Kilometer, 12.101 Schritte, 1 Stunde 47 Minuten.

Phase zwei b:
MRT. Brumm Brumm. Gewehrsalven. Danach der Strahlenarzt, der mir Fragen stellt und sie direkt selbst beantwortet. Er hält einen Monolog mit der Redegeschwindigkeit Verona Poths und schiebt dabei meine Wirbelsäule hektisch mit einem Stift über eine Art Riesen-iPad, dass sicher sehr, sehr teuer war. Wo haben Sie Schmerzen? Nein, warten Sie, ich sage es Ihnen. Schiebschieb. Diskusprolaps, Nucleus pulposus ist ausgetreten. LW vier fünf, lateral, aber das merken Sie sicherlich. Machen Sie eigentlich Sport? Wie alt sind Sie? Schiebschieb. Ah, hier stehts’s – na gut, sechs Jahre noch, dann können Sie zum Bestatter gehen. Es gibt genau vier Gründe für Prolaps und Protrusion: Adipositas, schwache Muskulatur, schweres Heben, Degeneration. Übergewicht. Haben Sie gehört? Schiebschieb. Muskulatur … mmmh. Oh. Die ist gut. Naja. Verstehen Sie mich? Hier sehen Sie das Ganze – schiebschieb – transversal, dort wäre der Spinalkanal. Stehen Sie mal auf, Achtung, ich fasse Ihnen an den Arsch. Locker lassen, anspannen. Okay. Ich wünsche Ihnen viel Glück, tschüß. 5,4 Kilometer, 6.886 Schritte, 1 Stunde 4 Minuten. Es regnet in Strömen.

Phase drei:
Doktor Knack ist schon verheiratet. Und sehr mitfühlend. Sechs mal Krankengymnastik und Akupunktur. Ich sehne mich nicht mehr nach der nächsten Schmerztablette. Ich höre „Timur Vermes: Er ist wieder da„. 10,41 Kilometer, 13.260 Schritte, 2 Stunden 11 Minuten. Es geht viel bergauf.

Phase drei a:
Ich kann eine halbe Stunde am Stück sitzen und turne mich zum Elfenpingiun. Ich lerne Faszinierendes über den Yarsagumba, den chinesischen Raupenpilz. Es zelten doch tatsächlich ganze Dörfer im himmalayischen Hochland und suchen diesen Pilz, von dem zehn Kilo mehr als 300.000 Euro wert sind, weil er praktisch für alles gut ist, vor allem für die Potenz von Chinesen. Der Husten ist immer noch dolle, ich werde plötzlich heiserer als Rod Stewart nach ’ner Packung Marlboro. 14,09 Kilometer, 17.061 Schritte, 2 Stunden 43 Minuten. Eine Freundin trägt mir Wasser ins Haus.

Phase drei b:
Husten – die ganze Nacht. Hust. Hust. Hust. Hust. Hust. Hust. Hust. Hust. Hust. Hust. Aber schmerzfrei. Es ist doch toll, wenn man weiß: Es war schon alles viel, viel schlimmer. Tagsüber: 8,6 Kilometer, 10.963 Schritte, 1 Stunde 42 Minuten.

Phase vier:
Fünf Stunden geschlafen, ohne Tetrazepam. Nur noch drei statt vier Schmerztabletten am Tag. Erste Physiotherapie. Auf Anweisung hänge ich über meiner Küchentheke ab und strecke meine Wirbel. Husten: okay. Allgemeine Stimmung: zuversichtlich. 10,3 Kilometer, 12.776 Schritte, 2 Stunden 11 Minuten in dickem Schnee.

Alles wird gut.

Vergessen Sie Hochseilgärten, Survival-Trainings und Ultraläufe. Es gibt größere Herausforderungen: Legen Sie sich einen Bandscheibenvorfall zu und schaffen Sie sich gleichzeitig einen grundständigen bronchialen Infekt mit ordentlich Husten an. Weil das hier ein Serviceblog ist, habe ich das für Sie mal ausprobiert.

Das Erste, was Sie beachten sollten, ist, dass der Rückenschmerz so richtig schön ins Bein zieht. Auch Taubheitsgefühle sind nützlich, sie verstärken das Erlebnis. Am besten ist, wenn Sie gar nicht auftreten können, dann wird es so richtig schön.

Das Zweite, was von Bedeutung ist, ist die Intensität des Hustens. Er sollte gut fest sitzen – erst, wenn sie bereits etwa zehn Minuten husten, sollte der erste grünlich-harte Auswurf kommen. Achten Sie darauf, dass es Sie zwischendurch so richtig packt und Sie einen soliden, reflexhaften Hustenanfall bekommen, den Sie nicht mehr kontrollieren können. Dann ist das Erleben besonders nachdrücklich.

In Zusammenhang mit dem eingeklemmten Nerv ergeben sich dann außerkörperliche Erfahrungen, die Sie so schnell nicht vergessen werden. Es kann sogar sein, dass Sie einmal am eigenen Leib erleben, was es heißt, Sternchen zu sehen. Seien Sie aber nicht zu streng: Es leuchtet dann nicht die strahlende Venus über Ihnen, vielmehr handelt es sich um diffuse Lichtpunkte. Sollte es dazu kommen, halten Sie sich vorsichthalber an einer Anrichte oder Kommode fest, optimalerweise so, als stützten Sie sich auf einen Triathlonlenker, denn es kann sein, dass Ihnen auch das zweite Bein wegsackt. Im ersten haben Sie ja eh schon kaum Gefühl.

Nun der Haken: Wie Sie sich für dieses besondere Event anmelden, kann ich Ihnen leider nicht sagen. Aber vielleicht erwischt es Sie ja so wie mich, aus heiterem Himmel.

Die Bücher des November und Dezember:

Bücher im November und Dezember

Jeffrey Kinney. Diary of a Wimpy Kid
Mehr ein Comic als ein Buch. Genauso nett wie „Calvin und Hobbes“, nur ohne Tiger. Greg Heffley hat es jedenfalls faustdick hinter den Ohren. Kurzweilig, nicht nur für Kinder.

Monika Maron. Animal triste
Sie ist Paläontologin, ihr Leben ist das Skelett eines Brachiosaurus im Berliner Naturkundemuseum. Dort trifft sie den Hautflügelforscher Franz. Die beiden beginnen eine Affäre, die zu ihrem Leben wird, auch nachdem sie beendet ist. Ein Buch übers Lieben, über Verlust, über Obsession und ein bisschen über die deutsche Wiedervereinigung, zwischendrin mit klugen Worten. Großartig bisweilen, auf jeden Fall aber hat es mich gedanklich beschäftigt.

Margaret Mazzantini. Mare al Mattino (Das Meer am Morgen)
Libyen, Sommer 2011: Jamila und Farid fliehen erst zum Meer, dann auf ein Boot in Richtung Italien. Dort steht Vito am Strand. Auch er, obwohl Italiener, floh mit seiner Mutter einst aus Libyen. Zwei Schicksale, zwei Flüchtlingsgeschichten, gut zu lesen. Ich mag Margaret Mazzantini generell und kann die Autorin nur empfehlen.

Danke an T., der nach meinem Wunschzettel gefragt und mir das Buch geschenkt hat.

Eugen Ruge. In Zeiten des abnehmenden Lichts
Der Roman wurde viel gepriesen, ich habe mit ihm – wie immer mit hochgelobten und mit dem Deutschen Buchpreis bedachten Werken – meine Probleme. Es geht um die Geschichte der Familie Umnitzer, um die Großeltern Wilhelm und Charlotte, um ihre Söhne Werner und Kurt sowie Kurts Frau Irina, um Enkel Alexander und Großenkel Markus. Die Familie wächst zwischen Sowjetunion und DDR auf. Die Geschichte wird nicht chronologisch, sondern in Episoden erzählt, die später ein Ganzes ergeben. Auf mich wirkt sie angestrengt – beim Lesen habe ich mich oft an Schullektüre erinnert gefühlt.

Judith Schalansky. Der Hals der Giraffe
Grandios! Inge Lohmark, Biologielehrerin, lebt den Darwinismus. Sie unterrichtet in Vorpommern, ihre Schule soll in vier Jahren geschlossen werden, ihre Schüler hält sie auf Distanz – bis sie sich verliebt. Das Buch und die Sprache Lohmarks stützen sich komplett auf die Biologie. Die drei Teile heißen „Naturhaushalte“, „Vererbungsvorgänge“ und „Entwicklungslehre“. Jede Doppelseite hat zudem eine eigene Überschrift, es gibt Illustrationen. Unbedingt lesen.

Die besten Tweets aus 12/2012:

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Es gibt ja mehrere Abstufungen von Schnupfen:

  1. Schnuppen
  2. Schnupfen, richtig
  3. Männerschnupfen
  4. schwerer Männerschnupfen
  5. sauschwerer Männerschnupfen

Die letzten beiden müsste man eigentlich zusammenschreiben, denn es handelt sich streng genommen um eigene Krankheiten mit besonderem Gefährdungsgrad: Schwerermännerschnupfen, Sauschwerermännerschnupfen.

Das Christkind hat mir dieses Jahr Sauschwerenmännerschnupfen gebracht – und ich beschreibe Ihnen das jetzt nur so genau, damit Sie gewarnt sind, falls sie ähnliche Symptome fühlen. Es fing an mit leichtem Hüsterchen. Trügerisch! Ich dachte erst nur, die Luft wäre trocken. Aber Hustekuchen!

An Heiligabend ging’s dann richtig los: Heißer Kopf! Donnerhusten! Alles zu! Am ersten Weihnachtstag: Stabilisierung der Situation. Ich dachte: Wunderbar, nur ein normaler Männerschnupfen – leidig, aber unbedenklich. Aber dann, zweiter Weihnachtstag: Kopf noch heißer! Delirium! Rotz ohne Ende!

Wiegen Sie sich beim Sauschwerenmännerschnupfen also nie in Sicherheit.

Liebe Gäste des Kännchencafés,

ich wünsche Ihnen fröhliche und geruhsame Weihnachten, entspannte Stunden mit der Familie, gutes Essen, viele Kekse, wenig Bauchweh und, falls Sie eine weite An- und Abreise haben, eine gute Fahrt ohne Pannen.

In der Innenstadt, vier Tage vor Heiligabend.

Waerme schenken

Was ein Symbolbild, denkt man sofort: das Nachtlager des Obdachlosen, ausgerechnet unter diesem Werbeplakat.

Ich gehe jeden Tag an diesem Geschäft vorbei. Das Lager gehört einem jungen Mann, der nachts dort schläft; nach Ladenöffnung rückt er fünf Meter weiter und setzt sich auf seine Decken. Dieser Tage, an denen es kalt ist und regnet, legt er sich tagsüber zwei Decken über den Körper, die Beine sind meist zur Brust gezogen, ein Pappbecher für Münzen klemmt zwischen seinen Knien. Der Regen legt sich auf die Decken und bleibt in kleinen Perlen zwischen der Wolle liegen. Desgleichen der Schnee, der im März und in der vergangenen Woche fiel.

Abends rückt er zurück in den Geschäftseingang und bereitet sich für die Nacht vor. Würde er nicht dort sitzen, man hielte ihn für einen Studenten oder einen Handwerksgesellen. Er ist vielleicht 25 Jahre alt, höchstens 30. Manchmal trägt sein Gesicht Schorf, ab und an hat er neue Schuhe. Er liest viel, während er dort sitzt. Eine Hand hält immer ein Buch.

Seit zehn Monaten gehe ich jeden Werktag an ihm vorbei; seit zehn Monaten sitzt er dort. Er bewegt sich nicht viel von diesem Ort fort, denn egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit ich dort entlang gehe – und ich gehe mehrmals am Tag dort entlang -: Er ist fast immer dort. Nur wenn ich morgens zehn Minuten früher dran bin, so wie heute, ist er nicht da. Es scheint, als sei er in den vergangenen 300 Tagen nirgendwo anders gewesen.

Danke für Deinen Post.

[Dies ist die Reaktion des Bundesfamilienministeriums auf meinen Blogbeitrag. Herzlichen Dank dafür! Ich habe den Kommentar in einen eigenen Artikel gehoben. Die einzelnen Punkte habe ich der Übersichtlichkeit halber gefettet, sonst habe ich alles so belassen.]

Kurze Vormerkung: Die Studie des BIBB ist gar nicht in unserem Auftrag erstellt worden. Deshalb haben uns die Ergebnisse genau so wenig überrascht wie Dich. Und: Wir investieren weit über 4 Milliarden Euro in den Ausbau der Kinderstagesbetreuung (obwohl der Bund dafür gesetzlich gar nicht zuständig ist, aber das lassen wir an dieser Stelle mal). Im Übrigen gehören auch wir (das “Twitter-Team”) zu den Mitt- und Enddreißigern ;) Damit Du weißt, wer hier schreibt.

1. Wir wollen, aber können nicht.

> Richtig. Deshalb haben wir ein Programm zur ungewollten Kinderlosigkeit aufgesetzt, einschließlich einer besseren Förderung von Kinderwunschbehandlung.

Die betreffende Förderrichtlinie ist zum 1. April 2012 in Kraft getreten. Damit stellt der Bund 7 Millionen Euro für das laufende Jahr und 10 Mio. für 2013 Euro zur Unterstützung ungewollt kinderloser Paare zur Verfügung. Zurzeit arbeiten wir daran, dass sich möglichst viele Bundesländer daran beteiligen. Gemeinsam mit den Ländern soll der Eigenanteil der Paare – also der Teil, den die Krankenkassen nicht übernehmen – deutlich gesenkt werden. Konkret: Der Eigenanteil verringert sich in aller Regel um bis 25 Prozent für den ersten bis dritten Versuch (bislang: 50 Prozent). Im vierten Versuch reduziert sich der Selbstbehalt der Familien auf bis zu 50 Prozent (bislang: 100 Prozent), da die Krankenkassen diesen vierten Versuch in der Regel nicht fördern.

Es wird dazu noch in diesem Jahr eine eigene ausführliche Webpage geben, die wir dann natürlich u.a. twittern.

2. Wir haben keinen Partner.

> Tatsächlich ist dies nach Umfragen sogar der Hauptgrund für Kinderlosigkeit. Daran können wir als Ministerium unmittelbar wenig ändern.

3. Einer will, der andere nicht.

> Auch richtig. Wichtig ist hier unseres Erachtens, dass auch Männer sich von überkommenen Rollenbildern verabschieden. Viele Männer wollen das ja, sie wollen eine Familie und sie wollen sich mehr um diese kümmern. Das zeigt sich u.A. auch daran, wie die Partnermonate beim Elterngeld genutzt werden. Inzwischen gehen wir auf die 30 Prozent bei der Väterbeteiligung zu.

Nur: Häufig ist es das soziale – und vor allem das betriebliche – Umfeld, das noch nichts damit anfangen kann, wenn ein Mann um 17:00 geht, weil er die Kinder von der Kita abholen muss. Hier brauchen wir einen kulturellen Wandel.

Wir haben deshalb eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik initiiert, die sich mit Rollenbildern von Jungen und Männern befasst. Und wir haben in der Familienpolitik das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Mittelpunkt gestellt. Dazu gehört zum Beispiel die Charta für familienfreundliche Arbeitszeiten. Und auch frauenpolitische Programme spielen hier eine wichtige Rolle, etwa die Förderung von fairen Chancen für Frauen auf Führungspositionen.

Aber richtig ist auch: Ein kultureller Wandel lässt sich nicht verordnen, das ist ein Prozess. Und wir stecken mittendrinn.

4. Wir sind schwul oder lesbisch.

> Viele von uns auch. Nach aktueller Rechtslage können Homosexuelle das leibliche Kind ihres Lebenspartners adoptieren, aber nicht ein von diesem adoptiertes Kind. Diese Frage wird im Übrigen just heute vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt!

5. Wir leben nicht an einem gemeinsamen Ort.

> Ja, erhöhte Mobilität und Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt beeinflussen natürlich auch die Entscheidung zur Familiengründung.

In Deutschland wird dies auch sichtbar am durchschnittlichen Alter bei Geburt: Seit dem Jahr 2003 bekommen in Deutschland Frauen unter 30 Jahren weniger Kinder als Frauen über 30 Jahren. In vier Jahrzehnten ist das durchschnittliche Alter bei der Geburt des ersten Kindes um vier Jahre angestiegen: von 24,9 Jahren 1965 (BRD) auf 28,8 Jahre 2010. Diesen neuen Müttertyp gibt es in allen europäischen Ländern. Allerdings ist in Deutschland der Trend zur späteren Geburt noch nicht zum Stillstand gekommen, in anderen Ländern trotz erhöhter Mobilität schon.

6. Wir müssen arbeiten. 7. Wir wollen arbeiten. 9. Es gibt keine ausreichende Kinderbetreuung.

> Genau deshalb ja der Ausbau der Kinderbetreuung und der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem 1. August 2013: http://www.fruehe-chancen.de !!! Und: Wir haben ein neues Programm „Betriebliche Kinderbetreuung“ gestartet (http://www.erfolgsfaktor-familie.de/default.asp?id=348). Kein Arbeitgeber kann sich da rausreden.

8. Teilzeitarbeit und Anwesenheitskultur

> Richtig. Diese Anwesenheitskultur ist ein großes Problem (siehe auch Antwort 3). Sie ist auch einer der Gründe für unsere Initiative „Familienbewußte Arbeitszeiten“ (http://www.erfolgsfaktor-familie.de/default.asp?id=516).

10. Die Atmosphäre ist kinderfeindlich.

> Deshalb hat der Bund da, wo er das verfassungsrechtlich kann, die Gesetze geändert. So muss zB Kinderlärm von Spielplätzen oder Kindertagesstätten künftig von Anwohnern toleriert werden und ist keine „schädliche Umwelteinwirkung“ mehr (wie es vorher hieß).

11. Eltern können es niemandem recht machen.

> Stimmt leider. Gerade Mütter gelten wahlweise als „Rabenmutter“ (wenn sie arbeiten gehen und ihr Kind schon früh in eine Kita geht) oder als „Heimchen am Herd“ (wenn sie sich länger als 1 Jahr selbst um das Kind kümmern wollen). Auch hier geht es um Rollenstereotype. Und wir halten BEIDE Zuschreibungen für eine Frechheit.

12. Wir haben die Wahl.

> Und wir wollen, dass neben die Optionen „Kinder“ oder „Karriere“ die dritte Option „Kind und Karriere“ treten kann. Das ist Aufgabe der Politik und der Unternehmen – aber wählen muss jeder selbst.

Beste Grüße!

du fragst dich, warum meine Generation so wenige Kinder bekommt und hast deshalb eine Studie in Auftrag gegeben.

Das ist insofern bedauerlich, als dass diese Studie bestimmt sehr teuer war und du auch durch Nachdenken zu einem Ergebnis hättest kommen können. Aber Schwamm drüber. Schauen wir lieber in die Zukunft. Damit du demnächst das Geld sparen und es für gute Kinderbetreuung einsetzen kannst, hier mal ein paar Eckpunkte, die uns Mitt- und Enddreißiger im Zusammenhang mit dieser Kindersache bewegen.

1. Wir wollen, aber können nicht.
Unglaublich, aber wahr: Viele von uns möchten sehr gerne Kinder haben – können jedoch keine bekommen. Weiß der Geier, was im Einzelnen der Grund dafür ist, aber ich kenne einige Paare, die schon lange nicht mehr verhüten. Trotzdem stellt sich keine Schwangerschaft ein.

2. Wir haben keinen Partner.
Desgleichen kenne ich viele Menschen, denen der Partner oder die Partnerin fehlt. Mal liegt es an den Männern, die mit Mitte 30 noch den Lebenswurf von 16-Jährigen haben, mal an den Frauen, die kein Auge für Normalos haben und sich einen Prinzen auf dem Pony wünschen. Mal liegt es auch an den Umständen, an häufigen Jobwechseln, an Schichtarbeit, Umzügen, am sich ständig wiederholenden Sich-neu-einleben – oder daran, dass wir müde werden auszugehen, weil wir einfach erschöpft sind von all den Ansprüchen, denen wir genügen sollen.

3. Einer will, der andere nicht.
Oft ist es der Mann, der nicht will – so zumindest mein Eindruck quer durch den Bekanntenkreis. Kinder? Lieber nicht, zu anstrengend, zu unbequem. Bei einer Trennung hat er oft keinen Anspruch mehr aufs Kind, muss aber Unterhaltszahlungen leisten. Oder: Er würde sich gerne fortpflanzen, aber nur, wenn er keine Abstriche machen muss. Das macht sie aber nicht mit. Also bleibt das Paar kinderlos, oder wir sind wieder bei Punkt zwei.

4. Wir sind schwul oder lesbisch.
Dann gibt es noch die (gar nicht so kleine) Gruppe derer, die gerne Kinder hätte, aber keine bekommen kann – und auch keine großziehen soll, zumindest nach Willen der Politik. Ich kenne sowohl schwule als auch lesbische Paare, die gerne Kinder erziehen würden.

5. Wir leben nicht an einem gemeinsamen Ort.
Ihr im Familienministerium, ihr pendelt doch bestimmt viel. Guckt euch mal an, wer freitags und sonntags am Bahnsteig steht, zwischen den Kegelclubs. Oder wer über die Autobahn brettert. Das sind alles junge, gebährfähige Menschen. Menschen, die pendeln, um Beruf und Partnerschaft unter einen Hut zu kriegen. Genau die, die so begehrt sind, weil sie mobil sind; die, die in ihrer Heimat keine Anstellung finden; oder die, bei denen es Teil des Jobs ist: Studenten, Handwerker, Manager, Projektleiter, Arbeiter auf Montage, Soldaten, Fernfahrer. Bekommen sie Kinder, ist einer der Partner unweigerlich allein erziehend. Oder die Frau muss ihren Job aufgeben, weil sie zum Partner zieht – denn umgekehrt wäre es ja Schwachsinn: Ihr Gehalt fällt nach der Geburt schließlich erstmal aus.

6. Wir müssen arbeiten.
Es ist eine gern genommene Phrase: Ein Kinderlachen entschädigt für alles. Das mag stimmen, wenn wir von durchwachten Nächten reden. Aber nicht, wenn es um die Existenz geht. Ich kenne kaum einen in meinem Alter (und wenn, dann sind es in der Mehrheit Männer oder LehrerInnen), die einen unbefristeten Job haben. Was passiert, wenn frau schwanger wird und der Arbeitsvertrag regulär endet, ist leicht auszumalen. Die Tatsache, dass Frauen Mitte 30 bisweilen, sagen wir, kuriose Bewerbungsgespräche führen müssen, verstärkt diesen Eindruck. Okay – man könnte argumentieren: Ist ja kein Problem – der Partner hat einen Job, die Frau bleibt eh erstmal zu Hause und stillt. Das stimmt – aber was kommt nach Ende des Elterngeldes? Viele Paare, auch Akademiker, haben das Problem, dass ein Gehalt nicht ausreicht, schon gar nicht in Großstädten, wo aber die Arbeit ist.

7. Wir wollen arbeiten.
Wir sind keine Arbeiter- oder Agrargesellschaft mehr. Wir sind eine Dienstleistungsgesellschaft, viele von uns leben vom Denken, vom kreativen Schaffen, vom Erfinden oder Verbessern von Produkten, von der Forschung, vom Verkauf. Arbeit ist nicht nur Maloche, Arbeit ist auch ein Stück Persönlichkeit. Wir arbeiten gerne, weil wir gerne gestalten. Oder weil wir gerne mit Menschen zusammen sind, gerne Menschen helfen. Das hört mit der Geburt eines Kindes nicht auf.

8. Teilzeitarbeit und Anwesenheitskultur
Selbst Freunden, die in großen Konzernen arbeiten, wurde Teilzeitarbeit abgelehnt – „das geht bei uns in der Abteilung nicht“. Wenn Teilzeit möglich ist, gehören eine berufliche Weiterentwicklung und Verantwortung oft der Vergangenheit an. Besonders Frauen sind in Teilzeit nicht mehr „die Fachkollegin, die Projekt Y betreut“, sondern nur noch „unsere Teilzeitkraft Frau B.“, als ob jegliche Qualifikation mit der Geburt des Kindes abhanden käme. Hinzu kommt die Anwesenheitskultur: Als fleißig gilt, wer lange da ist.

9. Es gibt keine ausreichende Kinderbetreuung.
Nehmen wir nur mal eines der größten innerstädtischen Einkaufszentren Deutschlands, den Limbecker Platz in Essen, eröffnet im Jahr 2009. Wie kann es sein, dass fast 80.000 Quadratmeter Verkaufsfläche entstehen, 200 Geschäfte, ein Center, in dem rund 2000 Menschen arbeiten – und die Betreiber erhalten nicht die Auflage, Betreuungsplätze für die Kinder dieser 2000 Menschen einzurichten? Wo sollen die Verkäufer und Verkäuferinnen bis zum Verkaufsende um 22 Uhr ihre Kinder betreuen lassen? Die Kinderbetreuung in Deutschland ist ein Witz, ist zu teuer und basiert immer noch auf dem Gedanken, dass um 16 Uhr Feierabend ist oder die Oma es zur Not richten wird. Aber viele meiner Freunde, ich eingeschlossen, müssen auch mal länger arbeiten, müssen flexibel sein, wohnen nicht mehr in der Nähe ihrer Eltern. Oder die Eltern arbeiten selbst noch. Oder sind krank. Oder bereits tot.

10. Die Atmosphäre ist kinderfeindlich.
Anwohner klagen gegen Kitas, gegen Spielplätze, gegen spielende Nachbarskinder. Eine fünfköpfige Familie findet in der Stadt kaum bezahlbaren Wohnraum. Die Bürgersteige sind zugeparkt mit Autos, kein Kind kann mehr auf der Straße spielen, nicht mal mit dem Kinderwagen kann man zwischen Beifahrertür und Hauswand entlangschieben, weil alles dicht ist. In den U-Bahnen funktionieren die Aufzüge nicht, beim Tragen hilft niemand. Lacht ein Kind dort oder schreit es: genervte Blicke. Mehrwertsteuer auf Hundefutter: sieben Prozent, auf Babynahrung: 19 Prozent. Eine Kita-Gebühr, die schon im ersten Monat alles übertrifft, was man jemals für sein Studium bezahlt hat. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen, aber ihr wisst, was ich meine.

11. Eltern können es niemandem recht machen.
Arbeiten Frauen, sind sie Rabenmütter. Bleiben sie zu Hause, sind sie Glucken. Nehmen Männer Elternzeit, können sie ihre Karriere begraben. Nehmen sie sie nicht, sind sie egoistische Machos. Eine Mutter soll stillen, aber nicht länger als sechs Monate, sonst klammert sie. Stillt sie nicht, wird das Kind ein fettleibiger Allergiker mit Bindungsstörung. Spielen die Kinder im Hof zu laut, sind es schlecht erzogene Gören. Spielen sie drinnen, sind es computerabhängige Psychopathen. Man kann sich jetzt hinstellen, den Eltern ermunternd auf die Schulter klopfen und ihnen raten: Schert euch nicht darum, was andere sagen. Doch permanente Beurteilung, gerade wenn sie nicht wohlwollend ist, zermürbt – auch bei dickem Fell.

12. Wir haben die Wahl.
Die Pille wurde in den 60ern erfunden. Unsere Eltern sind die erste Generation, die sie angewendet hat, alle Generationen davor konnten das Kinderkriegen nicht sicher verhindern. Wir sind dementsprechend die erste Generation, die von Eltern erzogen wurde, die uns das Bewusstsein dieser Wahlmöglichkeit mit auf unseren Weg gegeben haben. Außerdem sind wir die erste Generation, in der Mann und Frau nicht nur auf dem Papier gleichberechtigt sind, sondern die diese Gleichberechtigung auch bewusst leben möchte; in der Frauen wie Männer in gleichem Maße Abitur machen, ein Studium aufnehmen und mit gleichen Amibitionen ins Berufsleben starten, in der Frauen finanziell unabhängig sind und in der sie bewusst entscheiden. Wir haben die Wahl – und wir machen davon Gebrauch.

Zwei Jäuster in der U-Bahn.

„Nächste Woche wird Schule voll lutsche. In Englisch gucken wir den Film weiter, in Deutsch gucken wir auch ’nen Film, in Sport … pffff … vergiss es, ey. Alta, aber Mathe. Der zieht das echt voll durch.“

„Finde ich aber gut, Alta, dann hängst du nicht so rum. Dieses Filmgeglotze, davon wirst du doch krank, ey. Da kann ich auch zu Hause bleiben. Der Name Mathelehrer ist echt noch so’n Lehrer alter Schule. Da komm‘ ich viel besser drauf klar als auf diese ganzen Versager, ey, die nur einen auf Harmonie machen.“

„Schule is‘ nich‘ Harmonie, Schule muss auch mal krass abgehen. Sonst gehst du hinterher arbeiten und bist voll überrascht, wie das da abgeht.“

Es besteht also noch Hoffnung für unsere Renten.



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