Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Auf meiner Haut sind Muttermale.

Ich hatte sie noch nie untersuchen lassen, aber letztens wurde es mal Zeit. Sie kamen mir so dunkel und so uneben vor, hier und da sind sie vielleicht auch ausgefranst. Als Laie ist das schwierig zu beurteilen, deshalb machte ich einen Termin bei einer Hautärztin und ging hin.

Die Arzthelferin wies mich an, mich schonmal vollständig zu entkleiden („Unterhose könnense anlassen!“) und auf die Liege im Untersuchungsraum zu setzen, Frau Doktor komme dann gleich. Es war nicht sehr warm, aber abgesehen davon kam es mir auch ein wenig befremdlich vor, einem Menschen, dem ich noch nie begegnet war, direkt nackert gegenüberzutreten. Ich ließ also zumindest mal mein Leibchen an, um Frau Doktor nicht direkt meine blanken Brüste entgegenzustrecken.

Nach etwa zehn Minuten kam Frau Doktor in den Raum, sah mich von oben nach unten und wieder zurück an. Dann sagte sie: „Und warum sind Sie heute hier? Weil Sie so groß sind?“

Ich hatte ein „Guten Morgen“ oder andere Begrüßung erwartet; vielleicht auch, dass sie sich mir vorstellt. Ich war ein wenig perplex, dachte noch: „Hä?“ und beantwortete, weil mir keine pasende Erwiderung einfiel, einfach die Frage: „Äh, nee … ich möchte meine Muttermale untersuchen lassen.“

„Nun ja, das ist wohl ihr gutes Recht“, sagte Frau Doktor. „Die Kasse zahlt ja.“ Sie stellte sich vor mich und sagte weiter: „Dazu müssen Sie sich aber schon ausziehen. Hat Ihnen das meine Helferin nicht gesagt?“

Spätestens jetzt hätte ich gehen sollen. Aber ich war immer noch zu überrumpelt. Ich streifte also mein Leibchen ab, und Frau Doktor untersuchte, husch, husch. Nach weniger als einer Minuten war die Sache gelaufen.

„Und das Muttermal an der Wade?“, fragte ich.  Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie genau hingesehen hatte. „Das ist so dunkel und erhaben.“

Frau Doktor seufzte und sagte: „Auch das ist in Ordnung.“ Dann erklärte sie mir noch, dass sie schon genau wüsste, was sie tue und dass sich Muttermale auch mal verändern, dass das aber nicht direkt bösartig sei und außerdem: Solange sie auf einer Extremität alle gleich aussehen, sei das sowieo kein Problem und ich hätte auch schon ein paar Altersflecken, ob ich die nicht wegmachen lassen wolle, sie habe da eine gute Methode, ob sie mir mal ein Info-Heftchen mitgeben solle.

„Nee“, sagte ich.

Sie machte einen Vermerk in meine Kartekarte und streckte mir die Hand hin. Ich schüttelte sie.

„Anziehen können Sie sich alleine, oder?“ Dann entschwand sie aus dem Raum.

Vom Kassenband winkt mir eine goldene Katze entgegen.

Recht davon gibt’s Reis, viele Sorten, säckeweise Reis. Und Nudeln, dünn, lang, ebenfalls aus Reis, aber auch aus Weizen, durchsichtig, gelb, schwarz oder rot. Weiter im Innern: Gewürze, Soßen, Pulver, Pasten, Getrocknetes, Gepresstes,  Geriebenes. Kokosmilch im Liter-Pack und Sesamöl, kaum kleiner. Weiter links: frisches Gemüse, Pak Choi, Süßkartoffeln, Kochbananen und Dinge, an denen kein Schild steht und von denen man auch nicht weiß, was es ist. In der Luft: der Asialaden-Geruch – eine Mischung aus Ingwer, Fischsoße und Pappkarton mit einem Schuss Lycheesaft.

Ein Frau um die 60 läuft mit leerem Einkaufskorb durch den Laden. Hin und her, her und hin, von den Bananenblättern zum Reis und wieder zurück. Schnaufend blickt sie die Regale hoch, nimmt Tütchen und Flaschen aus dem Regal, stellt sie wieder zurück. Bei den Nüssen nimmt sie eine weitere Tüte, hält sie dicht vor die Augen, dann weiter weg und wiegt sie in ihren Händen.

„Arbeiten Sie hier?“, fragt sie mich und die kleine Asiatin in meinem Rücken kichert.

„Nein, tut mir leid“, sage ich.

„Ich arbeite hier“, sagt die Asiatin. „Kann ich helfen?“

„Erdnüsse“, sagt die Frau und sieht mich an.

„Jaaaa“, sage ich zögerlich, denn in der Tüte, die sie in der Hand hält, sind Erdnüsse, und mir ist nicht ganz klar, was sie mir einzig mit dem Wort „Erdnüsse“ bedeuten möchten.

Sie wedelt ungeduldig mit den Nüssen unter meine Nase auf und ab. „Sind das ganz normale Erdnüsse?“

Sie sehen zumindest sehr normal aus.

Die Verkäuferin unternimmt noch einen Anlauf, mit der Kundin in Kontakt zu kommen.  „Normale Erdnüsse. Hier“, sagt sie und deutet auf das Regal in unserem Rücken, „normale Erdnüsse, aber auch gesalzene Erdnüsse. Und Cashewnüsse – haben wir auch.“

Die alte Dame sieht weiterhin nur mich an. „Also ganz normale Erdnüsse!“

Ich sehe die Asiatin an, die Asiatin sieht mich an. „Ja“, sagen wir aus einem Mund.

„Na dann“, sagt die Frau, „weiß man ja hier nicht so“, und geht zur goldenen Katze.

Links:

Richard Ortmann sammelt die Geräusche des Ruhrgebiets – in erster Linie die, die nach und nach aus der Welt verschwinden. Die Dortmunder Ruhr Nachrichten haben das Ganze in eine Audio-Foto-Sache gegossen.

Über den Tellerrand kochen, ein Kochbuch mit Rezepten von Asylbewerbern aus Berlin – hier auch die Facebook-Seite. Vor Weihnachten habe ich mir übrigens „Unsere Lieblingsrezepte für die Welt“ gekauft, eine Empfehlung von „Penne im Topf„. Dort sind nicht nur super Rezepte drin, es werden auch, hochwertig bebildert, die Geschichten von Frauen in Krisengebieten erzählt. Beim Kauf gehen 3 Euro an „Women for Women International„.

Christian aus dem Jawl stellt Strategien vor, den Abend mit einem Vegetarier zu überleben. Ich empfinde es als  befremdlich, wie er immer wieder in Diskussionen verwickelt wird: Wenn jemand irgendwas nicht isst oder mag oder Pickel davon kriegt, egal ob es Fleisch, Nüsse, Alkohol oder Kartoffeln mit Pelle sind, nehme ich persönlich das ja einfach so hin. Wenn es sich um seltene Allergien handelt, frage ich auch schonmal interessiert nach, wie sich die Unverträglichkeit denn äußert – letztens bei Histamin, das war mir nicht bekannt. Dass die Menschen allerdings schlecht mit Menschen leben können, die anders essen und trinken als sie selbst (besonders, wenn es sich um in unseren Breiten etablierte Nahrungsmittel handelt), kenne ich; ich trinke zum Beispiel keinen Filterkaffee. Wenn ich Kaffee trinke, dann nur einen Hauch von Kaffee in Geschäume mit sehr viel Milch. Bis ich 30 war, bekam ich zu hören, dass ich jetzt aber mal alt genug fürs Kaffeetrinken sei,  respektive: „Als ich in deinem Alter war, habe ich schon lange Kaffee getrunken“, als sei Kaffeetrinken so eine Art Entjungferung. Seit meinem 30. Lebensjahr höre ich ab und an schonmal ein: „Du trinkst immer noch keinen Kaffee? Dann musst du ihn wirklich nicht mögen!“, was auf eine gewisse Einsicht schließen ließe, käme nicht direkt: „Aber zum Frmühstück trinkst du schon Kaffee, oder?“ (Nein.) Gerne geäußert ist auch der Satz: „Das ändert sich noch! Bei mir hat sich der Geschmack noch mit 50 geändert!“ Obligatorisch natürlich: „Komm! Nur’n Schluck!“

Etwas ganz anderes: Katzen vor dem Niesen.

Thomas Wanhoff, Podcaster, Berater und freier Journalist, lebt schon seit vielen Jahren in Asien. Vor ein paar Tagen hat er seine Go-Pro-Helmkamera aufgesetzt und seinen morgendlichen Trip zur Bahnstation gefilmt –  „Auf dem Moped durch Bangkok“:

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=oLvQJypnS3I&w=480&h=270]

Ein Rant über der Verlangen von Arbeitgebern nach prosaischen Bewerbungsanschreiben. Ich finde zwar nicht, dass man auf das Anschreiben komplett verzichten kann, aber mehr als ein paar sachliche Sätze braucht’s wirklich nicht.

Zum Schluss noch ein Tipp für Damen: Signora e la moda stellt hübsche Kleidung vor, meistens Angebote. Praktisch: Nathalie Hosp schreibt immer Preise und verfügbare Größen dabei. Ich habe nach dem Angucken schon zweimal etwas gekauft – jedesmal ein Kleid. das ich im Laden gar nicht entdeckt hätte.

Lieblingstweets 01/2014:

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Der Grund, warum hier nichts passiert, ist:
Es passiert einfach nichts.

Was wiederum sehr schön ist. Mit großer Wonne widme ich mich den Banalitäten des Alltags, gehe früh zu Bett, lese triviale Literatur, schaue den Tatort und die Lindenstraße, ab und an sogar eine DVD, wasche, bügle, koche, turne mit großer Freude durchs Fitti und lerne Russisch.

Die Sache mit dem Russisch geht gut voran, auch wenn ich noch schlimm herumstottere, sobald ich einfachste Sätze bilden möchte. Beim Russischlernen hilft mir am meisten – man mag es kaum glauben – Facebook. Ich habe den russischen BBC-Dienst  abonniert, folge außerdem den Posts meiner russischen Freundin und schlage die Wörter nach, die dort stehen und die die Leute kommentieren. Das ist mühselig, weil ich immer noch mehr als jedes zweite Wort nachschlage und manchmal nicht die Bohne verstehe, aber insgesamt erscheint mir dieses Vorgehen sinnhafter als die Dialoge im Lehrbuch auswendig zu lernen; ich habe den Eindruck, dass kein Mensch so redet, wie es dort steht, noch dazu über solch nutzlose Dinge.

Abgesehen vom Russischlernen lese ich wie eine Wilde. Mich persönlich beunruhigt es ja, wenn ich mich dem Finale einer Geschichte nähere und auf meinem Nachtschrank weniger als fünf Bücher liegen, die ich im Anschluss lesen könnte. Welch ein Glück, dass es auf meinem Nachhauseweg nun seit geraumer Zeit ein Bücher-Outlet gibt, das gut sortiert ist und unter anderem die kleine Fischer-Taschen-Bibliothek verkauft, die so gut in die Handtasche passt.

Ansonsten erwarte ich dringlich den Frühling, um neue Thorstens zu säen, um mir ein Kräuterbeet anzulegen und Blumen zu pflanzen. Aber ach, es dauert noch so lang, bis ich das in Angriff nehmen kann.

Bis dahin vagabundiere ich auf dem Sofa und erfreue mich daran, dass nichts passiert.

Wien – an was denkt man, wenn man „Wien“ hört?

An Sachertorte, ganz sicher. An Kaffeehäuser. Ans Walzertanzen. Vielleicht an Sissi. An die Türken, die vor den Toren standen. An den Wiener Schmäh. All das hatte ich im Kopf, als ich hinflog – aber nur wenig mehr, denn ich war bis anhin noch nie in Wien.

Der kleine Reiseführer, ein backenbärtiger, älterer Herr, der sich von Kaiser Franz Joseph nur dadurch unterschied, dass er eine Brille trug, über die er verschmitzt hinwegschaute, stand irgendwann weinend auf dem Heldenplatz. Wir hatten uns dort versammelt, damit er uns die Geschichte der Stadt erzählt. Von den Habsurgern erzählte er – und vom Dritten Reich: „Dort oben hat er gestanden, der Führer, und hat den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich erklärt.“ Er sagte tatsächlich „Führer“, nannte niemals seinen Namen. Schwarz vor Menschen sei er gewesen, der Heldenplatz. Dabei seien die Wiener keine Nazis gewesen. „Die waren bloß neugierig“, sagt er. „So ist der Wiener halt: neugierig.“ Ich frage mich, ob das die jüdische Bevölkerung seinerzeit auch so empfand.

Später, im Jahr 1955, sei er Zeitzeuge gewesen; als die alliierten Besatzungsmächte abzogen, habe er dort vorne – er deutet auf eine Laterne – gestanden und habe Scherze gemacht, denn er habe nicht verstanden, was vor sich gehe. „‚Weißt du eigentlich'“, erzählte er von einem Mann, der hinter ihm gestanden und ihn angesprochen hatte, „weißt du, was gerade hier passiert? Wir werden heute frei.‘ Und wissen Sie was?“, fährt er fort. „Ich konnte nichts mit dem Begriff ‚Freiheit‘ anfangen.“ Er sei doch frei gewesen, habe sich frei bewegen können, sei freundlich zu den Soldaten gewesen und habe im Gegenzug von ihnen Kaugummis bekommen. Auf dem Dach der Hofburg, erzählt er weiter,  hätten seinerzeit die Flaggen der Besatzungsmächte geweht; die österreichische habe neben ihnen gehangen – als eine von vielen. Aber als die alliierten Soldaten an jenem Tag im Jahr 1955 nach rechts den Heldenplatz verließen und von links das österreichische Bundesheer gekommen sei, als man die alliierten Flaggen eingeholt habe und danach nur eine einzige, die österreichische, aufgezogen habe, die dann stolz auf dem Gebäude wehte – seine Augen wurden rot und füllen sich mit Tränen -, da, ja, da habe er begriffen, was Freiheit sei.

Ich habe mir noch andere Orte in Wien als die Hofburg mit dem Heldenplatz angeschaut. Sämtliche touristisch wertvollen Gebäude habe ich abgeklappert, meine Zu-Fuß-Geh-App hat rund 35 Kilometer aufgezeichnet. Ich möchte Sie aber nicht mit den üblichen Attraktionen belästigen. Stellvertretend hier ein Bild vom Schloss Belvedere. Da taten mir schon die Füße weh und ich brauchte dringend eine Melange.

Blick auf das untere Belvedere

Blick auf das untere Belvedere

Neben den vielen Sehenswürdigkeiten, die sich manchmal ankündigen, manchmal unverhofft hinter der nächsten Ecke überraschen, immer aber sehr beeindruckend sind – ein Glück, dass Wien kaum bombardiert wurde -, sind es viele kleine Dinge, die mich erfreuten. Stellvertretend:

Wäscheflott neben dem Theaterkartenbüro

„Wäscheflott“ in der Nähe der Nationalbibliothek

Praktisch erschienen die Weihnachtsbaumsammelstellen („Kein Lametta wäre netter.“), die auch vor hohem Kulturgut keine Scheu zeigen. Hier in Dortmund muss man den Baum an einem bestimmten Datum rausstellen – nicht früher, nicht später – und wer den Baum noch behalten oder ihn früher abgeben möchte, hat Pech gehabt.

Weihnachtsbaumablagestelle vor der Spanischen Hofreitschule

Tannensammelstelle

Kommen wir zu kulinarischen Aspekten der Reise. Ich möchte die Wiener Sehenswürdigkeiten nicht schmälern, aber wenn Sie, sagen wir, nur drei Stunden Zeit haben, um Wien zu entdecken: Schenken Sie sich die Hofreitschule – essen Sie! Die Kalorien, die ich beim Sightseeing verlaufen habe, habe ich nicht in Wien zurückgelassen – ich habe sie allesamt wieder mitgebracht (und wahrscheinlich noch mehr).

Café Drechsler am Naschmarkt

Café Drechsler am Naschmarkt

Sollte es bei mir beruflich einmal nicht mehr gut laufen, habe ich am vergangenen Wochenende eine neue Perspektive für mich entdeckt: als Apfelstrudel-Testerin. Test-Kriterien: „Vanillesoße“, „Teig“, „Apfelwürze“ und „begleitender Kaffee“. Ich habe in vier Tagen vier Apfelstrudel gegessen – und wäre auch zu mehr bereit gewesen, wenn ich nicht auch noch Wiener Schnitzel hätte essen wollen (und müssen, denn hey! Wien!). Vorläufiger Strudelfavorit ist:

Café Landtmann

Café Landtmann

Im Café Landtmann habe ich den besten Apfelstrudel meines Lebens gegessen, ein orgiastisches Fest, ein fast erotisches Erlebnis, eine musische Komposition – Sie werden alle Apfelstrudel vergessen, die Sie vorher jemals verzehrt haben, es wird eine Strudelamnesie einsetzen, sie werden nur noch an diesen einen Strudel denken können, und selbst, wenn Sie wieder zu Hause sind und wenn sie nur über diesen Strudel schreiben, wird es Sie wieder packen und Ihre Gedanken werden besessen sein.

Um wieder runterzukommen, folgt ein Bild von einem zusammengerollten Farnblatt:

Farnzeugs im Palmenhaus, Schloss Schönbrunn

Farnzeugs im Palmenhaus, Schloss Schönbrunn

So. Und morgen gibt’s erstmal ’ne Waffel. Übersprungshandlung.

Im Schlosspark Schönbrunn

Im Schlosspark Schönbrunn. Mit Wiener Mütze. Weil’s so kalt war.

Es gibt Gelegenheiten im Leben, die man gerne verstreichen lässt. Und solche, die man ohne nachzudenken ergreift. So begibt es sich, dass ich am Wochenende in Wien Walzer tanzen durfte.

Wiener Hofburg bei Nacht

Die Wiener Hofburg, hübsch beleuchtet.

Es ist neun Uhr am Abend, als ich an der Hofburg ankomme.

Die Gäste im Foyer sind schon zahlreich und zudem prächtig anzuschauen: schmale Kleider, breite Kleider, raffinierte Kleider, tumpe Kleider, Kleider mit Reifrock und vereinzelte Trachten, Smokings, Uniformen und erst die Frisuren! Das alles unter Kronleuchtern und zwischen Marmorsäulen, neben Blumenbouquets und Damasttapeten. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hingucken soll.

Der Einlass

Das Publikum (illuster) defiliert in den Festsaal.

Ich tue es den anderen nach, hebe mein Kleid an und gehe die große Feststiege hinauf, dorthin, wo sich die Tanzsäle befinden. Es gibt an diesem Abend viele davon, 40 Stück.

Ich suche mir ein Plätzchen am Rand den großen Zeremoniensaals.

Die Eröffnung im Festsaal

Die Jungdamen und Jungherren betreten das Parkett. Das Orchester spielt. Links neben mir fällt eine Dame in Ohnmacht.

Das Fest beginnt. Erst marschieren die Jungdamen- und Jungherrenkomitees herein – die Männer in Uniform, die Damen in Weiß. Sie nehmen Aufstellung; es ist ihr großer Tag, man sieht ihnen an, wie zittrig sie sind, wie nervös sie lächeln. Es folgen Amts- und Würdenträger, das Musikkorps spielt. Es geht Schlag auf Schlag, neben mir fällt eine kleine Dame in Ohnmacht, Opernmenschen singen und Profitänzer tanzen. Auch auf dem Parkett sinkt eine der Weißen hernieder. Ein Minister spricht zur Menge, Fotografen machen Bilder, die Jungdamen und -herren eröffnen – in leichter Unterzahl – schließlich den Tanz. Als ich wieder auf die Uhr sehe, sind eineinhalb Stunden vergangen.

Ich bestelle ein Wasser. Es muss ein ganz besonderes Wasser sein, denn die Flasche kostet zwölf Euro. Ich trinke sie sehr langsam. Erst jetzt fallen mir die Jutetaschen auf, die hier und da an der Wand lehnen, Kleidung zuoberst. Wenn der Kellner nicht schaut, langen die Besitzer flink hinein: Eine behende Bewegung, und ihr Glas ist wieder voll. Hier zahlen nur die Laien – und die, die es sich leisten können oder wollen.

Schon kurz darauf wird der Walzer unterbrochen: Es ist zwölf, Andy Lee Lang startet seine Rock’n’Roll Piano Show, eine Big Band spielt auf, der Festsaal swingt. Ich flaniere durch die übrigen Räumlichkeiten. „Marmorsaal“,  „Redoutensaal“, „Radetzky-“ und „Maria-Theresia-Appartments“, „Antekammer“, „Trabantenstube“ – so heißen die Säle, in denen gespeist, getrunken und getanzt wird. Einer folgt dem nächsten, zwischendrin Stiegen und Galerien, irgendwo tanzt eine Profi-Formation; der Spaziergang dauert eine ganze Weile. Es ist alles sehr beeindruckend.

Das Damen-Schrammelorchester bittet zum Tanz.

Das Damen-Schrammelorchester bittet in einem Nebensaal zum Tanz.

Es ist gegen halb zwei, als ich mich an die große Feststiege stelle und schaue, wer hinauf kommt und hinunter geht: alte Männer mit alten Damen, junge Männer mit jungen Damen und alte Männer ebenfalls mit jungen Damen.

Kretschi gesellt sich zu mir und fragt mich, warum hier wohl so viele Väter mit ihren Töchtern sind.
„Kretschi“, sage ich, „das sind nicht deren Töchter.“
„Meinste?“
„Was glaubst du denn, warum die ihren Töchtern sonst so auf die Brüste starren?“
„Vielleicht haben sie sie lange nicht gesehen und wundern sich, wie groß sie geworden sind.“

Am nächsten Tag werden wir bei einem Wiener Schnitzel feststellen, dass uns allen dieselben Leute aufgefallen sind: die dünne Dunkelhäutige zum Beispiel mit Armen wie Streichhölzern, aber Dingern wie Melonen; die blasse Braunhaarige in dem weißen, berüschten Reifrock und der Sissi-Frisur; der Brite mit der slawischen Schönheit, auf deren Kleid von Nippel zu Nippel eine goldene Kette gespannt ist; das russische Pärchen, das hackedicht im Polkaschritt durch die walzernde Menge galoppiert.

Die Big Band ist fertig, im Zeremoniensaal bittet der Tanzmeister nun zum Contredanse: höfischer Tanz, paarweise. Es wird die Schrittfolge geübt, geknickst und huldvoll genickt. Die Russen tanzen weiter Polka.

Contredanse im Festsaal

Contredanse im Zeremoniensaal.

Gegen drei Uhr ist die Luft ein wenig raus. Noch eine Stunde, bis der Trompeter zum Zapfenstreich bläst. Ich schaue an der Tombola, ob ich etwas gewonnen habe: Es werden ein Schreibtischstuhl verlost, außerdem Rucksäcke und ein Flachbildfernseher. Die  Gäste beginnen, die Blumen zu zerlegen; das hat hier Tradition und ist keine schlechte Erziehung, auch wenn es vor den Orchideen vereinzelt zu Gerangel kommt.

Die Dame rechts zerrupft das Bouquet.

Halb vier in der Nacht. Eine Dame rechts zerrupft das Bouquet.

Um vier Uhr ist Schluss. Die Festgesellschaft zerstreut sich. Die Blumen verlassen in den Händen müder Damen das Haus. Männer rufen Taxen. Wem die Füße besonders weh tun, der verlässt das Haus auf Socken.

Im Bett angekommen, schlafe ich, glücklich und berauscht von der Ballnacht, im Dreivierteltakt ein.

Liebe Kaffeehausgäste, ich bin leicht raschelig.

Am Wochenende werde ich die Wiener Hofburg besuchen und dort Walzer tanzen. Wie Kaiserin Sissi mit dem Grafen Andrássy. Selbstredend mit derselben Verve und Eleganz, daran besteht kein Zweifel.

Nun trage ich zwar am liebsten Jogginghose – aber selbst mein bester Sonntagsjogger taugt nicht zu diesem Anlass. Deshalb habe ich mir, um maximale Grandezza sicherzustellen, ein neues Kleid (natürlich blau), neue Schuhe (Let’s remember Aschenputtel!) und neue Leibwäsche gekauft.

Außerdem übe ich einmal täglich, inbrünstig Johann Strauß summend, auf meinem neuen, glatt geölten Wohnzimmerparkett den Wiener Walzer.

Tanzübungen

Generalprobe.

Das Kleid sitzt und schwingt, und auch technisch klappt alles gut, obwohl meine Tanzerfahrung aus seinerzeit guten Gründen (ich nannte ihn „Basti Transpiranti„) überschaubar ist. Aber so ein Walzer, der geht grad noch, den habe ich schon auf diversen Hochzeiten erfolgreich angewendet.

Drücken Sie mir die Daumen, dass ich in Wien ebenso fedrig schwebe wie in Dortmund.



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