Mittwoch, 28. Februar
Ausnahmezustand in der Emilia Romagna! Der Bürgermeister hat Recht behalten.
Als ich heute Morgen aufstand, kamen nur drei Tropfen Wasser aus dem Hahn; dann war Ende. Leitungen zugefroren! Ich frühstückte und schluffte aus meinem Scheunenappartment zu S ins Haupthaus hinüber.
„Porca miseria!“, fluchte er. „Wie kann das sein? Hier im Haus haben wir Wasser. Und du nicht?“
Er dachte kurz nach. Dann sagte er: „Ich weiß, woran es liegt. Das Wasser kommt aus dem Brunnen und geht zuerst bei uns ins Haus und dann zu dir. Das Rohr, in dem das Wasser in dein Haus geht, liegt nah an der Oberfläche. Wir müssen es aufwärmen.“ Er ging zum Küchenschrank und begann, in der Schublade zu kramen. Unter Verwünschungen schob er Dinge nach links und rechts. Dann reckte er mit einer triumphalen Geste den Arm in die Luft. In der Hand: ein Crème-brûllée-Brenner.
„Das wird helfen!“, meinte er und drückte auf den Anzünder. Doch: nichts.
„Ich mache nicht oft Crème brûllée. Möchtest du eigentlich einen caffè? Ich mache uns erstmal einen caffè. Und guck nicht so skeptisch.“
Nach dem Kaffee, mit aufgefülltem Brenner und einer Rohrzange stapften wir nach draußen. S beugte sich über die steinerne Abdeckung an der Seite des Hauses und zog daran. Wieder: nichts.
„Porca miseria! Der Deckel ist zugefroren!“ Wir kamen nicht einmal an die Leitung.
Er hockte sich neben das Viereck und bearbeitete die Kanten mit dem Crème-Brûllée-Brenner. Doch es half nichts: Der Deckel blieb fest. „Wir müssen ein Feuer machen“, sagte er.
Wir sammelten Laub und Äste und stapelten sie auf den Deckel. S ging in die Scheune und holte alte Obstkisten. Mit dem Brenner zündete er alles an. „Das ist schön warm“, sagte er. „Das wird helfen.“
Nach drei verbrannten Obstkisten: Heureka! Der Deckel ging auf. S schippte das schwelende Laub ins Loch, direkt unter das Rohr. Wir warteten etwas. Dann ging ich ins Haus und öffnete den Hahn. Yay!
„Es läuft wieder!“, rief ich durchs Fenster nach draußen.
„Ich war mal Pfadfinder!“ rief S zurück.
*
Am Mittag fuhr ich in die Berge zum Castello di Rossena. Die Sonne schien; ich wollte in die Natur. Dieses Mal nahm ich nicht den direkten Weg in die Berge, sondern fuhr durchs Enzatal. Die Enza ist ein Nebenfluss des Po.
Dass das Castello di Rossena geschlossen sein würde, wusste ich. Nichtsdestotrotz wollte ich hin, um hinauf zu steigen und hinunter zu schauen. Ich parkte das Auto am Fuß der Burg und machte mich auf den Weg hinauf.
Der Schnee war tief – tiefer als unten in Quattro Castella. Er ging mir bis zur Wade und war mal bretthart gefroren, mal nicht, mal blieb ich darauf stehen, mal sank ich ein, mal nur bis zum Knöchel, mal bis zur Mitte des Unterschenkels. Doch es war immer noch besser als die schmale Rinne, die jemand freigestreut hatte: Sie war vereist.
Nachdem ich das Panorama bewundert hatte, stapfte ich wieder hinunter. Der Tiefschnee machte es wunderbar einfach.
Unten ging ich ein Stück die Straße entlang und folgte einem Weg, der auf die Felder und in den Wald führte.
Überall waren Spuren von Wild:
Auch in Quattro Castella haben wir Rehe. Die Spuren sind auf dem ganzen Hof und gehen unter meinem Schlafzimmerfenster entlang. Tagsüber sehe ich die Tiere in der Ferne auf dem Feld.
Nachdem ich den Hügel umrundet hatte, machte ich Rast und setzte mich auf eine Schranke. Ich saß eine ganze Weile dort; so lange, wie man braucht, um ein Zitronenbonbon langsam zu lutschen.
Ich schaute in die Berge und ins Tal, und es war still. Der Wind wehte Schnee von den Bäumen. Vögel durchkreuzten den Himmel. Ich atmete und schaute und irgendwann schloss ich die Augen. Erst habe ich an vieles gedacht. Dann habe ich an nichts mehr gedacht. Es war sehr schön.
Als ich die Augen wieder öffnete, war die Welt erst blau; dann war es, als wäre die voller Seifenblasen; dann wurde sie wieder klar.
Es war kalt geworden. Der Himmel hatte sich zugezogen. Ich ging zurück zum Auto.
Auf dem Rückweg nach Quattro Castella hatte ich noch einmal einen Blick auf Canossa, über die Schneeberge an der Straße hinweg:
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#DerKleineWissenschaftler. Ich bin einem Phänomen auf der Spur: der Milchhaut. Wenn ich daheim in Deutschland Milch für meinen Kaffee koche, gibt es keine Haut. Koche ich hier Milch, gibt es sofort welche. Ich mache das in beiden Fällen mit einem Topf auf dem Herd. Folgende Variablen habe ich für die Untersuchung dieses Phänomens als relevant identifiziert: Fettgehalt der Milch, Vorbehandlung der Milch, maximale Erhitzungstemperatur, Erhitzungsgeschwindigkeit.
Die Variable „Fettgehalt der Milch“ konnte ich schnell als nicht maßgeblich ausschließen, indem ich einmal Vollmilch und einmal Magermilch gekauft und erhitzt habe. Kein Unterschied. Die Variable „Maximale Erhitzungstemperatur“ macht auch keinen Unterschied. Die Haut bildet sich zuverlässig, egal wie warm die Milch wird.
Nach einer Lektüre tippe ich entweder auf eine geringere Vorbehandlung der italienischen im Vergleich zur deutschen Milch oder auf eine schnellere Erhitzung auf dem Gasherd. Daheim habe ich Induktion, das geht schnell. Möglicherweise entwickelt aber der Gasherd in noch kürzerer Zeit eine noch größere Hitze, so dass sich eher Haut bildet. Chemiker, die zu dieser Fragestellung etwas beitragen können, sind herzlich willkommen.
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Angesehen: Automated Vehicles can’t save cities – darüber, wie Städte gestaltet sein sollten, damit möglichst viele Menschen sich möglichst effizient in ihnen bewegen können. Spoiler: Das Auto trägt nicht viel dazu bei.
Gelesen: Volk und Vertreter – darüber, wie bestimmte Bevölkerungsgruppen im Bundestag vertreten sind.
Gelesen: Ordnung muss sein über die Geschichte der Normen.