Heute Morgen schneite es. Deshalb beschloss ich, das Auto stehen zu lassen und einfach rauszugehen.
Ich machte mich auf den Weg zum Castello di Bianello, das ist die Burg oberhalb des Ortes. Um dorthin zu gelangen, muss man erst einen Kilometer in die entgegengesetzte Richtung gehen. Ansonsten müsste man durch Weinreben laufen, und das geht nicht, grundsätzlich nicht und schon gar nicht bei Tiefschnee.
Ich war gerade losgestapft, es windete und schneite mir in die Augen, als mir S im Auto entgegenkam. Ich wohne bei S auf dem Hof. Er hielt an, kurbelte das Fenster herunter und fragte, wo um alles in der Welt ich bloß hinwolle, zu Fuß und bei Schneetreiben.
„Zum Castello“, sagte ich.
S schaute mich mit einer Mischung aus Belustigung und Entsetzen an. Wenn ich in Not geriete, meinte er ernst, solle ich bitte auf jeden Fall anrufen.
Ich stapfte weiter, die Allee hinauf zur Landstraße, die Landstraße entlang und von dort in Richtung Dorf. Ich war die einzige, die Fuß unterwegs. Es schien bislang auch niemand das Haus verlassen zu haben, denn alle Einfahrten, Eingänge und Treppenstufen waren jungfräulich verschneit.
Erst später traf ich auf Fußstapfen, die Richtung Dorf führten. Wahrscheinlich auch ein deutscher Tourist.
Der Aufgang zur Burg:
Das Castello ist eine von ehemals vier Burgen, die Quattro Castella umgaben. Deshalb auch Quattro, vier. Es stammt aus dem 8. Jahrhundert. Die Immobilie gehörte einst Mathilde von Tuszien, also der Dame, die auch Canossa besaß.
Mathilde muss ein Händchen für Besitzungen gehabt haben, denn ihr gehörten die Toskana, Mantua, Parma, Reggio, Piacenza, Ferrara, Modena, ein Teil von Umbrien, das Herzogtum Spoleto, der Kirchenstaat von Viterbo bis Orvieto und ein Teil der Mark Ancona. Hoffentlich konnte sie sich das alles merken.
Das Castello di Bianello war angesichts all dieser Liegenschaften wahrscheinlich eine Hütte, auf der man mal Rast machen und eine Limo trinken konnte. Bis heim nach Canossa sind’s schließlich noch elf Kilometer.
Um in die Burg zu gelangen, muss man den Berg hinauf („Lage! Lage! Lage!“, sage ich nur). Von unten sieht das nach nur einem kurzen Weg aus. Zwischendrin ändert sich die Perspektive.
Auf der Homepage der Castello stand, dass es sonntags immer um 12:15 Uhr eine Führung gebe. Was dort nicht stand: erst wieder ab Ende März. Das stand auf einem handgeschriebenen Schild an der Tür.
Nun denn, was soll’s! Es war trotzdem schön. Wenn man dort oben ist, kann man nämlich runtergucken, man hört die Kirchenglocken im Dorf, das Kreischen der rodelnden Kinder, und Spatzen fliegen um einen herum.
Unterhalb der Burg gibt es einige Spazierwege. Sie sind auf einem Schild eingezeichnet. Auf dem Schild steht: Qui potete: camminare sui prati, abbracciare gli alberi, annusare i fiori, parlare agli animali.
Auf Deutsch: „Bitte auf den Wiesen spazieren, die Bäume umarmen, an den Blumen rieche, mit den Tieren sprechen.“ Darüber habe ich mich sehr gefreut.
Ich bin dann ein Stück den Weg reingegangen. So sah das dort aus – stellen Sie sich dazu das Rauschen eines Bächleins und Vogelgezwitscher vor:
Ich bin dem Weg allerdings nicht sehr weit gefolgt. Denn ich stand nicht nur bis zum Stiefelschaft im Schnee – ich sank auch noch tiefer ein, so dass alles in die Schuhe schwappte.
Auf dem Bild ging’s noch; weiter hinten wurde der Boden doppelt so tief und sumpfiger, da war’s dann völlig vorbei.
Bei Wanderschuhen ist es ja so: Was rein schwappt, kommt nie wieder heraus – denn die Schuhe sind dicht. Gamaschen wären gut gewesen.
Auf dem Weg heim ging ich durch Quattro Castella. Der Ort hat ein recht übersichtliches Angebot. Allerdings gibt es einen sehr gut sortierten Laden mit Reizwäsche. Der Name:
Der Weg heim: windig und kalt. Der anschließende Platz auf dem Sofa: kuschelig und warm.
Kommentare
7 Antworten: Bestellung aufgeben ⇓
Hoffentlich haben die in dem Wäscheladen auch was, was die Nieren warm hält. Nicht dass die Damen im Ort alle Schnupfen bekommen.
Auf der Homepage steht, er sei spezialisiert auf Büstenhalter. Ich müsste eine Vor-Ort-Recherche machen, um Genaueres zu ergründen.
Als konsequenter Zu-Fuss-Geher outet man sich ja noch recht schnell zumindest als Europäer, wenn nicht als Deutscher. Die Menge an mitgebrachtem Material gibt dann noch weitere Hinweise. Aber eine sehr schöne Naturanleitung, die Sie da gefunden haben. Mein bisheriger Liebling befindet sich auf Centre Island vor Toronto und lautete schlicht: „Please step on the grass“.
//PS. Der Wäscheladen: ist das jetzt Sommermode (wegen der nötigen Temperaturen), oder Frühlingsmode (wegen der notwendigen Hormone)?
Den Eindruck habe ich auch. Zu-Fuß-Gehen wird von anderen Nationen als absonderlich betrachtet – es sei denn, man wandert tatsächlich – so als Sportprogramm.
P.S.: Das ist Ganzjahresmode, für die Dame. Die Rahmenbedingungen bestimmen, wie viel man vorher ausziehen muss, um die Mode zu Gesicht zu bekommen.
Marktluecke: Winterreizwaesche.
Einkaufen vor vier, Schneewanderungen… damit dürfte der (natürlich liebevollen) Einordnung als „ragazza pazza“ bei den Einheimischen nichts im Wege stehen.
Klingt nach einer wundervollen Entdeckungsreise! Viel Spaß dabei!
Dankeschön! Ja, ich denke auch: Das ist ausreichend Seltsamkeit, um aufzufallen.