Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Es gibt eine Straße, die man unweigerlich entlang fährt, wenn man aus Danzig hinaus oder nach Danzig hinein möchte. Es ist die Aleja Grunwaldzka; sie verbindet die Dreistadt Danzig, Sopot und Gdynia.

Die Aleja Grunwaldzka ist ein Monstrum von Straße, nicht nur wegen ihres Verkehrs, sondern auch wegen der Dichte ihrer Geschäfte, Büros und Businesspaläste. Autohaus reiht sich an Autohaus, Bürokomplex an Bürokomplex, dazwischen flughallengroße Einkaufszentren und die Uniwersytet Gdański, die Danziger Uni. Das ist beeindruckend, so verdichtet habe ich das in Deutschland noch nicht kennengelernt.

Die Straße durchquert zwei Stadtviertel, eines davon ist OliwaDer Reiseführer schlägt einen Spaziergang durch das Viertel vor. Fürs Umherlaufen und Indiegegendgucken bin ich immer zu haben, also los.

Straßenzug in Oliwa

Schon wenige Minuten fernab der großen Straße wird es beschaulich: Ein Wohnviertel eröffnet sich. Alte Häuser, neue Häuser – es ist ein schöner Stil, der sich hier durch die Straßen zieht, gemütlich mit Holzvorbauten und Vorgärten.

Auf der Rückseite des Stadtteils grenzt ein Wald an. Man kann hineingehen, einen Hügel hinaufsteigen und hinuntergucken. Das Laub knackt unter den Füßen.

Oliwa: im Wald

Oliwa hat einen Park. Der Park ist gar nicht mal so klein, mehr als 11 Hektar, und mir scheint, er ist das Zentrum des Stadtteils: Alleen, Wiesen und Wasserbecken, ein Bachlauf, ein Spielplatz, Enten, Spatzen und Möwen.

An diesem Neujahrsmittag endet gerade die Messe im Oliwaer Dom. Familien entern den Park, füttern die Vögel, flanieren, den Kopf tief in Schals gesteckt, unter den kahlen Bäumen umher.

Park Oliwski: zugefrorener See mit Enten und Möwen

Die Teiche sind fast zugefroren. Seit Tagen bleiben die Temperaturen unter Null, trotz Sonnenschein. Es ist schneidend kalt; die Enten wirken allesamt ein wenig entrüstet, wie sie aufgeplustert auf dem Eis hocken.

Tipp #8:
Pierogarnia Mandu, das Piroggenparadies in Oliwa, ulica Kaprów 19D. Die Frauen dort sind supernett, machen nur Piroggen, die aber in Perfektion: traditionell, exotisch, deftig oder süß. Zum Niederknien. Außerdem schönes Interieur.

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Der größte Backsteinbau Europas. Hört sich erstmal nicht nach einer super Urlaubsbeschäftigung an. Fällt eher in eine Kategorie mit „Nationales Museum der Häkelkunst“ und „Größte Sammlung zeitgenössischer Hufeisen“.

Wenn Sie wüssten.

Malbork - Marienburg von außen

Der größte Backsteinbau Europas ist die Marienburg in Malbork – und die ist ein Knaller: riesig, wuchtig, tricky. Und drei Burgen in einer: Vorschloss, Mittelschloss, Hochschloss. Plus Kirche. Und Garten.

Von außen sieht die Marienburg schon hammamäßig aus. Innendrin ist sie auch super:

Malbork: Remter der Marienburg

Wenn ich in solchen Räumen stehe, denke ich immer an Anke Gröner und frage mich, was sie mir beim Besichtigen alles erzählen könnte.

Gelernt: das Wort „Remter“, das ich nur als „Refektorium“ kannte.

Sehen Sie im Bild oben übrigens die kleinen, glänzenden Punkte vor der hintersten Säule? Das ist die Zentralheizung. Kein Witz. 1309 erbaut, und die Mönche, die alten Haudegen, hatten eine Fußbodenheizung. Sie haben Feldsteine erhitzt, und die warme Luft strömte durch ein Röhrensystem im Boden (genaue Erklärung, pdf).

Gut gegessen haben sie auch. In einer Traumküche mit 4 mal 5 Meter großer Dunstabzugshaube:

Malbork: Küche

Fahren Sie mal dorthin, wenn Sie in der Gegend sind. Es gibt noch mehr zu entdecken.

Sonst hat Malbork leider nicht viel zu bieten. Es riecht auch nicht sehr angenehm; irgendwas ist dort in der Stadt, das die Luft verpestet.

Tipp #6:
Marienburg in Malbork mit Schlossmuseum, Starościńska 1. Montags geschlossen.

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Haare länger oder kürzer?

Kürzer. Ich habe jetzt die gleiche Frisur, wie ich sie mit 14 hatte, womit ich nicht sagen möchte, dass ich nun wieder aussehe wie mit 14. Seinerzeit fand ich den Haarschnitt schrecklich peinlich, weil ich dachte, ich sehe damit aus wie mit Anfang 30. Heute bin ich Ende 30 und finde die Frisur hervorragend.

Kurzsichtiger oder weitsichtiger?

Weitsichtiger, aber nicht im hypermetropischen Sinne. Dabei warte ich minütlich auf Unleserlichkeit, Armaustreckbedarf und graue Haare, schließlich gehe ich stramm auf die 40 zu. Doch bislang keine Anzeichen, und seit ich von der Erfindung von Gleitsichtkontaktlinsen weiß, geht es mir bei dem Gedanken nahender Doppelsehschwäche deutlich besser.

Darüber hinaus verbuche ich jede sich einstellende, altersbedingte Unzulänglichkeit als eine Auszeichnung, dass ich es überhaupt so weit geschafft habe.

Mehr bewegt oder weniger?

Mehr und schneller, aber nicht im sportlichen Sinne. Die Sportlichkeit hat mit einsetzendem, neuen Job abgenommen, wohingegen meine Flexibilität und Entscheidungsfreude deutlich zugenommen haben – eine Gnade von Erfahrungen, die mich gelehrt haben, nicht lange an Dingen ebenso wie an Menschen festzuhalten, die mehr Schmerzen als Freude bereiten.

Der hirnrissigste Plan?

Da meine Pläne selbstredend allesamt durchdacht und großartig sind, gibt es keine hirnrissigen. Es gibt höchstens solche, die ich während des Tuns ändere, weil sich die Umstände ändern, weil sich die Intention wandelt, ich das Ziel deutlicher erkenne oder andere Ereignisse eintreten. Permanente Entwicklung, Sie wissen schon.

Die gefährlichste Unternehmung?

Wieder Handball zu spielen.

Das leckerste Essen?

Beinahe alle Essen, die ich zu mir nehme, sind ausnehmend wohlschmeckend, denn ich bin dazu übergegangen, die Dinge, die ich esse, weitestgehend selbst zuzubereiten. Das war keine bewusste Entscheidung, das ist einfach so passiert. Im Laufe des vergangenen Jahres habe ich drei Fertigpizzen gegessen, alle an einem Freitag, aus Gründen.

Richtig gute Essen sind Mahlzeiten, die ich im Jahr 2015 mit Freunden teilte. Sie schmecken nicht nur dem Magen gut, sondern auch der Seele – selbst wenn es lediglich eine Portion Nudeln mit Soße ist; mithin sind Nudeln mit Soße dann sogar die besten Essen.

Besonders hervorheben möchte ich die großartigen Stammtische, die ich pflege und von denen sich inzwischen drei, beinahe vier eingestellt haben; sie sind mir ein Quell der Freude. Danke an alle, die ich zu Gast haben und bei denen ich Gast sein durfte.

Das beeindruckendste Buch?

Auch in diesem Jahr habe ich wieder viel gelesen: An die 60 Bücher werden mit den kommenden, noch ausstehenden Rezensionen im Blog stehen, das ist mehr als eins pro Woche. In der Rückschau erstaunlich. Es ist für mich einfach die beste Art und Weise, mich zurückzuziehen und zu entspannen.

Von diesen Büchern möchte ich Ihnen fünf besonders ans Herz legen:

  1. Fabio Geda: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts
  2. Fabio Volo: Zeit für mich und Zeit für dich
  3. Guiseppe Catozella: Sag nicht, dass du Angst hast
  4. Pieter Webeling: Das Lachen und der Tod
  5. Victoria Schwartz. Wie meine Internet-Liebe zum Albtraum wurde (Rezension kommt noch)

Der ergreifendste Film?

Ich schaue nicht viele Filme, ich lese eher – siehe oben. Einen Film, den ich sehr gut fand, habe ich beim Kinofest in Lünen geschaut: „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Außerdem habe ich mit Freude Robert Redfords Solo „All is lost“ gesehen.

Vorherrschendes Gefühl 2015?

Selbstsicherheit.

2015 zum ersten Mal getan?

Yoga gemacht.  Mit der Bahn durchs Rheintal gefahren. Frau Mutti getroffen. Herrn Skizzenblogger getroffen. Ge-instagrammt. Bei #12von12 mitgemacht. Szarlotka getrunken. Rouladen und Sauerbraten gekocht. Das Dortmunder Studentenorchester spielen gehört. Frau Zimt getroffen. Die Frische Brise getroffen. Das Kinofest Lünen besucht. Einen Baum gepflanzt. Einen Gartenbauer engagiert. Nach Polen gereist.

2015 nach langer Zeit wieder getan?

Den Job gekündigt. Den sozialpsychiatrischen Dienst verständigt. Ein Patenkind getauft. Ein Bett zusammengebaut. Wände verspachtelt.

Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?

Mich einzustellen.

Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?

„Das ist ja eine tolle Überraschung.“

Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?

Das müssen andere sagen.

Die Vorsätze, die ich hatte?

Sind gut gelungen. Ausreichend Schlaf, weniger Termine, schön gegärtnert. Eine tolle Reise gemacht. Das große Patenkind tanzen gesehen. Das kleine Patenkind begrüßt, getauft und über das Jahr ausführlich beknuddelt. Nur ein erneutes deutsch-russische Treffen mussten die Freundin und ich ins kommende Jahr verschieben.

2015 war mit einem Wort …?

Passabel.

Twitterlieblinge 12/2015:

https://twitter.com/burenheidl/status/672368118539403264

https://twitter.com/Salvador_Malibu/status/675390428934459392

https://twitter.com/SwagsukeN/status/679325242276364288

https://twitter.com/KatiKuersch/status/679660689091379200

https://twitter.com/verbalstrahl/status/679963365259755520

https://twitter.com/GebbiGibson/status/680085981479960577

https://twitter.com/NurEinePhrase/status/680117294408806401

https://twitter.com/MickyBeisenherz/status/680390925437276160

https://twitter.com/stormwitch_ccaa/status/681050358802677760

Frische Nehrung: Blick aufs Wasser, aus dem Wald kommend

Es wird kälter hier in Polen. Ein Grad, minus zwei, minus vier – die Temperaturen sinken.

Wind frischt auf, frostet Beine und Gesicht bis zur Gefühllosigkeit. Auf dem Kopf eine Wollmütze, auf der Wollmütze eine Kapuze. Der Körper steckt im Parka. Die Hände in Handschuhen, in flauschigen Jackentaschen. So geht’s – anders nicht, nicht am Meer. Die gefühlte Temperatur liegt laut Wetterbericht bei minus 15.

Ich bin an der Ostsee, an der Frischen NehrungMierzeja Wiślana. Der Wind treibt den Sand in feinen Körnern über dem Boden, weht Steine und Muscheln frei und macht, dass das Gesicht prickelt.

Blick den Strand entlang, Dämmerung

Wenn ich gehe, wird es warm. Es kostet Überwindung, den Körper aus der Starre zu lösen, aber dann macht es große Freude. Der Sand hier ist fest und hart. Es lässt sich gut spazieren.

Nur eine Straße führt hierher, die B501, über Sztutowo, Kąty Rybackie, Krynica Morska bis nach Piaski. Die Städte hatten früher mal deutsche Namen, hießen Stutthof, Bodenwinkel, Kahlberg und Neukrug, doch das ist lange her.

Die Mierzeja Wiślana  ist eine Halbinsel und manchmal nur wenige hundert Meter breit. Durch den Wald ist der Strand zu sehen, links wie rechts. Ein Schwebebalken im Meer, der das Frische Haff von der Ostsee trennt. 70 Kilometer ist sie lang und gehört nur im westlichen Teil zu Polen. In Piaski ist das Ende. Nicht der Halbinsel, sondern der EU. Die Straße mündet in einem Ferienclub, der jetzt im Dezember verlassen ist und über den nur der Wind fegt. Dahinter kommen Schilf und Wald und Sumpf und Russland.

Eine Straße zweigt vorher ab und führt zum Strand. Dort kann man kilometerweit die Brandung entlang schauen, bis hinein in die Enklave Kaliningrad.

Nessy am Strand (Rückenansicht)

Bernstein soll es hier geben, sagen sie. Alle hier sind verrückt nach Bernstein. In jeder Stadt: ein Bernsteinladen. Nicht so viele wie Fischbuden, aber dennoch: Bernstein, Bernstein, Bernstein.

Besonders an stürmischen Tagen soll er angespült werden. Ich komme nicht umhin, auf den Boden zu schauen und Steine mitzunehmen, obwohl sie natürlich allesamt kein Bernstein sind. Trotzdem: Die Steine sind schön. Ich werde sie in den Garten legen.

Ein gelber Stein und Gekröse im Sand

Wie jeden Tag bricht um 15 Uhr die Dämmerung herein. Ein feiner Streifen am Himmel färbt sich erst rosa. Dann setzen sich die blinkenden Lichter eines nahen Turms gegen den Horizont ab. Dann senkt sich Dunkelheit herab.

Nur das Meer bleibt, wie es ist, brandet gegen den Strand, spült Muscheln und Steine und vielleicht Bernstein an, den irgendwann jemand finden wird. Im Sommer, wenn die Feriengäste kommen, oder im Frühjahr, wenn der Wind nicht mehr so kalt ist.

Doch in diesem Moment kann ich mir nicht vorstellen, zu einer anderen Jahreszeit hier zu sein. In diesem Moment ist es schön so, wie es ist. Schön kalt. Schön leer. Schönes Meer.

Tipp #6:
Von Danzig aus eine Stunde Autofahrt auf die Halbinsel Mierzeja Wiślana. Auf dem Weg dorthin Halt am ehemaligen Konzentrationslager Stutthof, errichtet nach dem deutschen Angriff auf Polen an der Westerplatte im September 1939. Danach Weiterfahrt in Richtung Piaski. Alle Orte auf der Halbinsel sind Ferienorte. An der B501 sind zahlreiche Parkplätze zum Strand ausgeschildert.

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Tor der Leninwerft-Danzig: Solidarnosc

Ein Thema, das in meiner Kindheit und Jugend weitgehend an mir vorbeigegangen ist, ist Solidarność. Natürlich sagt mir der Begriff etwas, ebenso wie der Name Lech Wałęsa, aber beide weniger, als sie müssten.

Die Ereignisse zwischen den Jahren 1980 bis 1990 – die Gründung der Solidarność, die Streiks, die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen, zum Schluss die ersten freien Wahlen -, das alles fand zu spät statt, um noch Eingang in meinen Geschichtsunterricht zu finden, und zu früh, als dass ich es begreifen konnte oder es mich interessiert hätte. Außerdem, so meine Erinnerung, kamen im westdeutschen Schulunterricht der 1980er und 90er Jahre Polen und Russland so gut wie nicht vor, es sei denn, die Wehrmacht marschierte ein.

Im Rückblick ist es erstaunlich, wie vergleichsweise friedlich der Eiserne Vorhang gefallen ist. Das hätte alles viel übler ausgehen können, hätten ein paar mehr Leute auf ihren diktatorischen Prinzipien beharrt.

Die Solidarność-Sache erklärt übrigens auch, warum Johannes Paul II. hier so einen Riesenstein im Brett hat. Na sowas. // #bildungsblog

Tipp #5:
Europejskie Centrum Solidarności, pl. Solidarności 1 – zu Fuß von der Altstadt aus zu erreichen. Von innen nicht nur lehrreich, sondern auch hübsch:

Europäisches Zentrum der Solidarität: Innenraum mit Begrünung

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Ostrzyce, am Seeufer: Geschnitzte Fischerfigur mit Boot im Hintergrund

Hübsch soll es sein, in der Kaschubei, sagen sie. Einen Berg gibt’s dort auch, steht geschrieben. Mit einem Turm drauf, auf den man steigen kann. Also fahre ich hin. Weg und Ziel sind ein bisschen unklar. Ostrzyce könnte gehen, lese ich. Von dort kann man irgendwie zum Wiezyca laufen, dem Turmberg.

Es ist windig, als ich aus dem Auto aussteige. Das Wasser auf dem See schlägt Wellen. Mützenwetter, ganz eindeutig. Winterjacken- und Handschuhwind.

Der Weg geht um den See herum, und dann irgendwie querfeldein, über Straßen und Wiesen und durch Wald, manchmal mit Wegen im Laub und manchmal nicht. Es ist hier ein bisschen wie im Sauerland, hügelig und ländlich, und ab und an stehen ein paar Pferde herum, die neugierig gucken.

Pferde neben einem Bahnübergang

Ich gehe durch einen Ferienpark mit Holzhäusern, deren Dächer bis zum Boden reichen.

Gegenüber stehen ein Gemeinschaftsgebäude mit Restaurant und einem Tanzsaal, dahinter ein Sportbereich für nicht näher beschriebenen Sport.

Ferienpark Ostrzyce-See

Das ist hier wie bei Dirty Dancing, denke ich: Häuschen an Häuschen für Familien aus der Stadt. Hier geht es im Sommer hoch her, das sehe ich auf einen Blick: Mütter und Väter zwischen Erholung und Erschöpfung, umherlaufende Kinder, ein bisschen Animation und erhitzte Teenager; das Wasser fürs Hebefigurenüben ist nur einhundert Meter den Berg runter.

Doch jetzt treibt der Wind das Laub über die Wiese. Kahle Äste wiegen sich knirschend in den Böen.

Am Fuße des Turmberg eine Gruppe Nordic Walker; die Pudelmützen entschlossen in die Stirn geschoben, marschieren sie stracks bergan. Mit ihren Stöcken pieksen sie Blatt um Blatt auf. „Dzień dobry“, grüßen sie kurzatmig, als sie an mir vorbeischnaufen. Das polnische „guten Tag“ lässt sich gut ausstoßen, „Dschin dobri“, das geht auch noch mit zusammengebissenen Zähnen, wenn man schon aus dem letzten Loch pfeift: „dschn dbry“.

Auf dem Gipfel steht ein Turm aus Holz und Stahl. 150 Stufen kann man hinaufklettern und hat freien Blick über die Baumwipfel der Kaschubei. Es ist windig dort oben; der Turm wankt. Ich murmle leise „Hui“.

Turmberg mit Holzturm auf dem Gipfel

Ich bin nun doch leicht verschwitzt. Die Winterjacke, sie eignet sich nicht sehr zum Wandern. Überhaupt eignet sich diese Jahreszeit nicht zum Wandern: Kalt ist es, aber bergauf wird’s heiß. Doch kaum bleibt man stehen oder geht’s bergab, wird’s wieder kalt. Das ist unerquicklich, das läuft im Sommer besser.

Der Rückweg zieht sich etwas – wie alle Rückwege: Ist das Ziel erstmal erreicht, lässt der Elan nach.

Ich gehe bis zum See und entpacke mein Stützbütterken: Vollkornschnitte mit Nutella. Das hilft über die letzten zwei Kilometer. Denn die Waffelbude am Seeufer hat zu. Die Fischbude auch. Und der Toilettenwagen. Alles hat zu; es ist Dezember. Hier ist mausetote Hose.

Ostrzyce-See mit Steg und Sprungturm ins Wasser

Zurück im Dorf Ostrzyce locken Ferienappartments und Fahrradverleih; man kann Kanu fahren und Pferde reiten, Piroggen und Eis essen. Aber nicht jetzt.

Aus Schornsteinen steigt Rauch auf. Ein alter Mann schlurft gebeugt und in Pantoffeln über die Straße. Weihnachtsbeleuchtung blinkt rhythmisch in die hereinbrechende Dämmerung.

Es ist 15 Uhr. Zeit, wieder heim zu fahren.

Tipp #4:
45 Minuten Autofahrt von Danzig in die Kaschubei. Von Ostrzyce auf den Turmberg (Wieżyca): 10 Kilometer Hin- und Rückweg. Im Sommer bestimmt auch toll zum Baden oder für einen längeren Aufenthalt im Ferienhaus.

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Danziger Altstadt mit Neptunbrunnen an Heiligabend

  • Diese Stadt ist ein riesengroßes Freilichtmuseum. Ich erwarte jeden Moment, dass in Pluderhosen gekleidete Kaufleute, Schiffsarbeiter, Vertreter der Hanse und fahrende Gaukler um die Ecke kommen, die Kulisse füllen und ich 500 Jahre zurück ins Königliche Preußen reise.
  • Warka macht ein erstaunlich gutes Radler, sehr frisch. Das lässt sich gut trinken.
  • Bernstein ist ein großes Thema hier, und selbst als Nicht-Bernstein-Freund muss ich sagen, dass es tatsächlich ganz hübschen Bernsteinschmuck gibt – kleine, filigrane Dinge abseits der großen Klunker.
  • Am 24. und 25. Dezember haben Cafés und Restaurants geschlossen, alles ist geschlossen, wirklich alles. Essengehen ist erst am 26. wieder angesagt. Bis dahin muss man sich irgendwie versorgen. Die polnische Lebensmittelindustrie stellt dafür 1-Kilo-Packungen Fertigpiroggen zur Verfügung.
  • An Heiligabend beginnen die Menschen hier um 17 Uhr, 12 Gänge zu essen. Das schaffen sie so grad bis Mitternacht, dann ist Christmette. Ich habe überlegt hinzugehen, in die größte Backsteinkirche Europas – das kann man mal machen, dachte ich, aus architektonischen wie auch aus folkloristischen Gesichtspunkten. 25.000 Menschen sollen dort Platz finden – oder in Dortmunder Mengenangaben: eine Süd. Ich bin allerdings vorher eingeschlafen.
  • Frohe Weihnachten!

Tipp #2:
Hauptpost, ulica Długa: Fast zu hübsch zum Briefmarkenkaufen.

Tipp #3:
Stadtgraben Opływ Motławy mit seinen Bastionen: Beschaulich zum Spazierengehen in Stadtnähe – oder zum Joggen, Hundausführen, Kindlüften.

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Westerplatte: Bunker mit Gedenkkerzen. Licht fällt durch eine Schießscharte.

Wenn man auf der Westerplatte steht, jener Halbinsel, wo die Deutschen am 1. September 1939 Polen angriffen und damit den Zweiten Weltkrieg begannen, empfindet man sehr deutlich, wie unmenschlich und idiotisch es ist, einen Krieg zu beginnen.

Ich bin sehr dankbar, in einem friedlichen, offenen Europa zu leben.

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Danzig: Weihnachtsmarkt

  • Wenn Sie gedanklich mal loslassen möchten, setzen Sie sich ins Auto, hauen Sie den Tempomat rein und fahren Sie ein, zwei Tage durch Polen. Einfach geradeaus, links Kiefernwald, rechts Kiefernwald, Felder, wieder Kiefernwald. Auch als Fahrer haben Sie dabei ausreichend Gelegenheit, die Landschaft zu betrachten, es geht hier eher ruhig zu, und wenn Sie nicht nur Autobahn, sondern auch Landstraße fahren, lernen Sie ein paar Dörfer kennen, bevor Sie wieder durch Felder und Wald fahren.
  • Polen ist ein Land für Menschen, die Teigwaren mögen. Ich bin erst am Anfang meiner umfassenden Teigwarenfeldforschung, aber ich bin mir bereits sicher: Teigwaren können Sie hier von jeder Speisekarte bedenkenlos essen, sie schmecken immer großartig. Details arbeite ich derzeit in harten Testreihen aus; sobald ich Ergebnisse habe, erfahren Sie sie. #serviceblog
  • Papst Johannes Paul II. ist keinesfalls tot. Er ist höchst lebendig, zumindest in den Herzen der Polen; Fotos, Bilder, Spannplakate und Kühlschrankmagnete – es mangelt nicht an Präsenz. Der aktuelle Papst hingegen ist nirgendwo zu sehen.
  • Es gibt einen leichten Hang zu blinkendem Kitsch, vielleicht aber nur im Zusammenhang mit Weihnachten, was weiß ich schon.
  • Hefe befindet sich im Tesco Gdansk bei der Butter.
  • Bei Sauerkraut werden hier keine Gefangenen gemacht. Es wird mit großen Schaufeln aus großen Eimern verkauft. Bigos ist dennoch nicht einfach Sauerkraut mit Fleisch; dort scheinen noch andere Dinge drin zu sein, Dinge, die wir in Deutschland nicht hineintun. Ich werde das weiter beobachten.

Tipp #1:
Apfelkuchen und Kaffee im Café Ferber, Długa 77/78, Gdansk

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