Grübelei | Heute Nacht erwachte ich mit Bauchschmerzen, und vielleicht war es psychosomatisch. Mein Hirn befand nämlich, es sei an der Zeit, über Gaspreise und meine Haushaltskasse nachzudenken, über die Gemengelage in unserer Eigentümergemeinschaft, über eine Rezession und ihr möglicher Einfluss auf meine Auftragslage. Dann konnte ich erstmal nicht schlafen.
Nachts ist immer alles schlimmer als tagsüber, viel schlimmer, das weiß man ja. Das liegt an Hormonen. Zwischen drei und vier Uhr ist es am schlimmsten, dann ist die Melatoninkonzentration am höchsten, und wir sind am besorgtesten. Als ich wachlag, war es 3:30 Uhr. Der Gedanke, dass mein Grübeln nur Hirnchemie ist und keine realen, unlös- oder aussitzbaren Probleme darstellt, ließ mich wieder einschlafen.
Die Podcastfolge über Geheimsache Doping – Dieter Baumann und die Zahnpasta tat ihr Übriges dazu.
Nicht alle dürfen mitmachen | Frau Herzbruch findet gute Worte, wie in diesem Zusammenhang die Situation ist:
Es ist vollkommen egal, ob man arm oder reich oder in der Mitte ist, wenn die Milch vorher 89 Cent gekostet hat und jetzt 2 Euro, dann ist das doof, und wenn es mit allen Produkten im Einkaufswagen so aussieht, dann ist das ganz besonders doof. Für alle. Nicht nur für arme Menschen. Und deshalb wäre es natürlich schön, wenn alle von dieser Scheiße entlastet werden könnten. Ich möchte spoilern: Draußen ist Krieg, ein Irrer stellt das Gas ab, wir können nicht alle entlasten von der Scheiße. Und nein, es ist nicht die Verantwortung der Bundesregierung, das Problem zu lösen, dass plötzlich 80 Mio Deutsche ganz teure Milch kaufen müssen. Das ist leider einfach Pech. Die Verantwortung der Bundesregierung ist es, das Problem zu lösen, dass Menschen, die vorher schon nur knapp über die Runden gekommen sind, nicht ins Nichts fallen. Das hat aber mit Entlastung nichts zu tun, das ist Rettung. Hieße das Paket Rettungspaket statt Entlastungspaket, dann müssten nicht ALLE Leute in Deutschland das Gefühl haben, dass sie da auch mitmachen wollen, viele Leute müssen nämlich einfach nicht gerettet werden. Rettungspaket ist aber als Wort leider auch irgendwie durch, wir hatten Lufthansa, wir hatten Griechenland, ein Rettungspaket kann man den Deutschen auch nicht mehr guten Gewissens verkaufen.
06.09.2022 – Wuchtig
Ja, so ist es wohl. Und: Ich bin ein optimistischer Mensch. Wir werden in diesem Winter, wahrscheinlich sogar deutlich länger, zurückstecken müssen. Aber wir werden gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Krise bringt mit sich, dass sie Entwicklung und Innovation vorantreibt. Ich bin guter Dinge, dass wir in Sachen Erneuerbarer Energien, in Sachen Überkonsum und auf gesellschaftlicher Ebene einen großen Schritt gehen werden, wenn wir das, was jetzt kommt, gemeinsam durchgestanden haben.
Urlaub | Dass mein nächtliches Herz übertreibt, zeigt auch die Tatsache, dass ich alsbald verreisen werde; das ist per se eine privilegierte Sache. Die Planung ist komplett, alles ist gebucht. Auf dem Hinweg nächtige ich mehrere Tage in einer Blockhütte am Comer See, nahe Bergamo. In Bergamo war es vor vier Jahren schon sehr schön. Auf dem Rückweg aus den Abruzzen werde ich in Bologna Halt machen. Das erlaubt kulturelle und kulinarische Ausflüge und einen Rückweg ins Ruhrgebiet in nur zwei Etappen, via Freiburg.
Marode | Der Reiseleiter fährt regelmäßig mit der Bahn zur Arbeit. Gestern hatte er auf dem Hinweg eineinhalb Stunden Verspätung – eine Verdoppelung der Fahrzeit auf drei Stunden. Auf dem Rückweg hatte er nochmal eine Stunde Verspätung, allerdings nur auf den ersten 40 Kilometern, denn von dort holte ich ihn mit dem Auto ab.
Er fährt zweimal in der Woche ins Büro, und jedesmal ist es so. Das glauben Leute oft nicht; sie denken, man übertreibe: „Aber doch nicht jedesmal!“ Doch, doch, jedesmal. Das System ist einfach völlig marode. Wenn nur eine von hundert Zugtüren nicht perfekt schließt, wenn nur eine von hunderten Weichen kurz nicht arbeitet, wenn nur einziger Zugführer spontan krank wird, fällt zwischen Köln und Münster alles zusammen wie ein Kartenhaus, und Menschen haben einen Arbeitsweg von fünf Stunden.
Gelesen | Herr Buddenbohm schreibt sie jetzt nur noch in einem Wort, die Hartarbeitendemitte.
Ein hassenswertes und empörendes Wort, finde ich, weil es impliziert, dass diejenigen unterhalb der Mitte weniger hart arbeiten, aber egal. Seit es trendet, klicke ich die Daten und Buchstaben in Word und Excel und Powerpoint jedenfalls beflissener und härter an, gewissermaßen mit Schmackes, das muss laut klicken, fast klackern, sonst zählt es nicht, sonst hat es keine Kraft gekostet und man ist abends nicht erschöpft. Härte muss sich aber bemerkbar machen, es ist sonst womöglich gar keine. Es muss alles Kraft kosten, was man macht, man muss schwitzen und stöhnen dabei, wir arbeiten hart, nicht smart. Auf einer mechanischen Schreibmaschine könnte ich das viel besser ausleben. Als ich etwa achtzehn Jahre alt war, da hatte ich eine uralte eiserne Schreibmaschine, die so monströs schwer war, da war man schon erschöpft, wenn man sie nur von einem Raum in einen anderen getragen hat. Solche Schreibgeräte braucht die Hartarbeitendemitte heute, nicht diese schnittigen Notebooks, die man mit einem Finger vom Tisch fegen kann.
Harte Arbeit an wuchtigen Maschinen
Und sonst | Den ganzen Morgen regnet es schon. Wunderbarer, ergiebiger Landregen.
Um 11 Uhr plötzlich lauter Sirenenalarm. Erste Handlung: Googeln, ob Probealarm ist – anstatt aus dem Fenster zu gucken, ob irgendwas brennt oder eine Notlage vorhanden ist. Vielleicht sollte ich dieses Verhalten überdenken. (Es ist Warntag.)