Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Auf dem Weihnachtsmarkt gibt es viele Männer: junge und alte, große, kleine, dicke, dünne, langhaarige und glatzköpfige, betrunkene und nüchterne, fröhliche und genervte, in Gruppen oder allein, Glühwein trinkend oder Reibekuchen essend.

Und es gibt diese bestimmten Männer. Mittelalte Männer, meist untersetzt, deren Frauen mikroskopisch kleine Nikolaushütchen im antoupierten Haar tragen. Ihre Arme werden von einem Strauß massiv ausgebeulter Plastiktüten in die Tiefe gerissen, Tüten voller Einkäufe, die sie zwar bezahlt haben, die ihnen aber nicht gehören, von denen sie nichts abbekommen werden, sie dürfen sie nur zum Auto tragen, später, nicht zwischendurch, eine Tüte geht noch, stell dich nicht so an, so schwer sind sie nun auch wieder nicht, wofür habe ich dich eigentlich.

Es sind Männer, die ebenso wie ihre Frauen roten Mützen tragen, allerdings große Mützen, Mützen mit einem Sternenkranz, der von ihrem linken zu ihrem rechten Ohr und wieder zurück blinkt. Sehr lustig ist das, Partnerlook, und das Blinken, hihi, was ein Spaß! Die Batterie hängt ihnen aus dem Hinterkopf, ein weißer Kasten, es scheint fast, als sei es eine Art Schrittmacher – oder der Empfänger einer Fernbedienung, je nachdem.

Da stehen sie also in Gruppen beisammen, meist zwei, selten drei oder vier, während ihre Frauen sich am Glühweinstand besaufen, das Hütchen der Damen sitzt bombenfest in einem Haarspraynest, es könnte ein Wirbelturm kommen, es bliebe dort auf ewig. Die Männer haben keine Hand frei, nicht einmal für ein Würstchen, sie dürfen die Tüten nicht absetzen, denn dann kippen sie um oder werden nass, jemand tritt dagegen und die Sammeltasse für Oma wird beschädigt, sie dürfen sie auch nicht an den Haken unter dem Stehtisch hängen, denn dann werden sie die Einkäufe am Ende noch vergessen, das kennt man ja, das ist ihnen doch letztens erst passiert, vor elf Jahren.

Ihre Schultern sind eingesunken, ihr Rücken ist gebeugt, es mag an den schweren Tüten oder am Leben liegen, vielleicht sitzt auch nur der Herrenmantel ungünstig, ein bisschen sackartig, man vermag es nicht zu sagen. Ihre Stirn blinkt, ihre Batterie wird nie leer, der Spaß ist sparsam. Sie unterhalten sich leise, tauschen sich aus über ihr Schicksal, während die Frauen krachend ihre Weihnachtsmarkttassen aus fester, dicker Keramik gegeneinander prosten und gackernd lachen. Die Tasse werden sie später nicht zurückgeben, sondern mit nach Hause nehmen, denn es ist eine Motivtasse, jedes Jahr anders, sie werden sie zu den Tassen der vergangenen Jahre ins Küchenregal stellen.

Die Männer, sie haben sich in ihr Schicksal gefügt, nur jetzt oder für immer, wer weiß das schon.

Dass Sie nichts von mir hören, liegt daran, dass ich gerade furchtbar viel zu tun habe.

Es beginnt damit, dass ich zu blöd war, meinen Jahresurlaub bis zum Dezember aufzusparen. Die Kollegen haben das allesamt geschafft, weshalb sie nun der Reihe nach ihren Resturlaub abbauen und ich währenddessen die Stellung halte. Vielleicht kennen Sie das. Es ist ein bisschen wie Arbeiten am Brückentag, niemand ist da, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied einer „Das muss noch vor Weihnachten fertigwerden“-Stimmung.

Dann die Sache mit den Weihnachtsgeschenken. Ich habe inzwischen immerhin ein Konzept geschrieben. Habe also einen Zettel genommen und draufgepinnt, was ich wem schenken könnte. Es fühlt sich fast so an, als hätte ich schon eingekauft. Jetzt nur nicht nachlassen.

Diese Jahr habe ich auf einen Adzventzkrantz verzichtet. Ist auch Quatsch. Am dritten Advent ist die erste Kerze schon abgebrannt, stellt man eine neue auf, ist die erste größer als die dritte, das zerstört das Originaladzventzkrantzgefühl. Also nix. Nur die Pyramide. Und die Krippe, aber ohne Jesus. Jesus liegt bis zum 24. Dezember in der Küchenschublade.

Außerdem esse ich immer noch an meinem Gazpacho. Aktueller Pegelstand: Liter sieben von zehn. Die Kollegen (also die verbliebenen) haben sich an den Knoblauchgeruch gewöhnt, begrüßen den Wombat täglich mit einem Kopfnicken und atmen stoisch schweigend durch den Mund.

Weihnachtsmarkt ist übrigens für die Füße. Wenn ich die Wahl habe zwischen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt und Bier im Stadion, nehme ich auf jeden Fall Bier im Stadion. Ich glaube, ich sagte das schonmal.

Neues Waschmittel ausprobiert und direkt mal die Trikots damit gewaschen. Am nächsten Spieltag werden wir alle dezent nach Elfenpups riechen. Das wird den Gegner fertigmachen.

Hier die besten Tweets aus 11/2012:

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Seit ich in Hochkantistan war, stecke ich in einer heftigen Gazpacho-Phase.

Geeiste Gemüsesuppe, seit fünf Wochen bin ich voll druff. Auf der Insel habe ich sie zu jeder denkbaren Gelegenheit gegessen, mittags und abends, morgens wurde sie leider nicht angeboten, aber auch da wäre ich dabei gewesen. Während der ersten Gazpacho-Tage bin ich jeden Morgen mit einem verwesenden Wombat im Mund aufgewacht – halleluja, ich konnte mich selbst nicht riechen, so sehr habe ich nach Knoblauch gestunken. Mit der Zeit aber hat sich mein Körper daran gewöhnt, und das Wombat ist zurück nach Australien geschwommen. Oder ich bin abgestumpft.

Seit meiner Rückkehr bin ich nun auf einer geradezu manischen Suche nach Gazpacho – und es gestaltet sich nicht leicht. Lediglich einen Laden habe ich bislang gefunden, der Gazpacho während der Wintermonate im Programm hat. Für den dreiviertel Liter muss ich fast einen Kredit aufnehmen. Was also tun?

Selbermachen! Bitteschön:

Gazpacho

Soeben habe ich zehn Portionen hergestellt und zur Lagerung portioniert. Ich hoffe nun, meine Gazpacho-Phase lässt nicht über Nacht nach, denn dann stehe ich da – mit eimerweise Gemüsesuppe. Das Rezept (Circa-Angaben, ich bin da nicht so genau):

20 Tomaten
2 Packungen passierte Tomaten
10 Paprika
2-3 Gurken
10 Knoblauchzehen
10 Zwiebeln
25 EL Olivenöl
10 EL weißer Balsamico
10 EL Zitronensaft
10 EL Zucker
Pfeffer
Sambal Olek

Den ersten Liter habe ich schon in meinem Körper abgestellt.

//*atmet sich in die hohle Hand
Und gerade klingelt das Wombat.

Ruhrgebiet. (nessy) Die männlichste Tomatenpflanze Deutschlands wächst im Ruhrgebiet. Das haben amerikanische Wissenschaftler herausgefunden. Experten sprechen sogar vom „Chuck Norris“ der Nachtschattengewächse.

Auf den ersten Blick sieht er unscheinbar, sogar mitgenommen aus, sein Blattwerk ist zerrupft, das unpaarig gefiederte Laub braun und schlaff. Doch der Eindruck täuscht: Thorsten Zwo, Tomatenpflanze aus dem östlichen Ruhrgebiet, wurde von amerikanischen Wissenschaftlern zum männlichsten Tomatenbaum des Jahres gekürt. Er brillierte in den Kategorien Fruchtreife, Blütenstand, Ausdauer und Wollust mit der vollen Punktzahl 10,0. Gleichzeitig erhielt er eine Sonderehrung für sein Lebenswerk – nicht zuletzt, weil er sich nach einem schweren Unfall im August zurück ans Spalier gekämpft hat.

In einem internen Bericht, der dem Kännchencafé zugespielt wurde, heißt es: „Die Anlage von T2 ist krautig und wirkt zunächst unterdurchschnittlich ausgeprägt, doch bei näherer Rekogniszierung zeigt sich eine beträchtliche Virilität, die Ausdruck findet in einem fein drüsig behaarten Fruchtknoten, einem ausdauernden Blütenstand und aromatischen, zweikammerigen Früchten.“ Ein handschriftlicher Vermerk neben dieser Passage lautet: „Chuck Norris!“

Das Schrifstück ist brisant, denn unter Gemüse herrscht traditionell hoher Konkurrenzdruck. Schon Stecklinge beäugen sich argwöhnisch. Entsprechend hoch ist die Suizidrate, speziell bei Nachtschattenartigen.

Ein Besuch vor Ort zeigt: Die Bewertung der amerikanischen Forscher kommt nicht von ungefähr; Thorsten Zwo wirft auch jetzt, im November, noch Früchte ab. Seine Besitzerin konnte zuletzt am vergangenen Montag eine Handvoll Tomaten ernten. „Sie schmecken sogar noch“, sagt sie. Erstaunlich sei, dass Thorsten Zwo sowohl weiterhin Früchte reifen lasse als auch Blüten produziere – und das, obwohl fast Winter ist.

Thorsten Zwei, November 2012

Thorsten Zwo: „Krautig, aber von beträchtlicher Virilität“.

Der Tomatenbusch soll nun zur Zucht verwendet werden. Thorsten Zwo, so hört man aus Saatgutkreisen, habe ein Angebot aus Spanien vorliegen, um in Andalusien zur Veredelung eingesetzt zu werden. Der Landstrich gilt als die Primera División der Pflanzenauslese.

Von Thorsten selbst war keine Stellungnahme zu bekommen. Der Ausgezeichnete schweigt beharrlich.

Nach Essen-West ein weiterer Stadtteil:
Dortmund-Hörde.

Es hat zwar schon jemand über Dortmund-Hörde geschrieben, aber das kann ich so nicht stehen lassen. Denn so ist Hörde nicht. Hörde ist herzlich. Hörde ist freundlich. Doch von vorn.

Der ganze Humor der Ruhrgebiets zeigt sich im Wahrzeichen der kleinen Hörder Innenstadt: der Schlanken Mathilde, einer dreiarmigen Laterne mit Uhr, der Mittelpunkt des Marktplatzes. Namensgeberin ist der Überlieferung nach eine Bürgermeistersfrau, die ziemlich drall war.

In Hörde ist manches nicht so, wie es scheint: Der Stadtteil hatte lange Zeit einen schlechten Ruf, denn Hörde, das sind einfache Arbeiter, das sind Türken und Italiener, das sind die Russen vom Clarenberg, das ist Hoesch, das Stahlwerk, die alte Hermannshütte, die Chinesen ab- und in China wieder aufgebaut haben. Vier Jahre später hat Dortmund an gleicher Stelle ein Loch gegraben, es war ein großes Loch, 2,5 Millionen Kubikmeter Bodenaushub, hat Wasser reingelassen, und heute ist dort ein See. Der See ist recht hübsch, er kräuselt sich gerne im seichten Dortmunder Wind, rundherum wird viel und teuer gebaut, und an sonnigen Sonntagen schiebt die neue Dortmunder Schickeria mit ihren Bugaboo-Kinderwagen in gleichgültiger Eintracht mit den alten, leicht hinkenden Gastarbeitern und ihren in wallende Gewänder gehüllten Frauen das Ufer entlang. Nebeneinander besteigen sie den zu einem künstlichen Hügel aufgetürmten Aushub und blicken versonnen über die reflektierenden Dächer der Autos, die hinter der Lärmschutzwand über die B236 nach Schwerte und Lünen brummen. Doch das ist, wie alles hier, nur eine Seite der Medaille: Drehen sie sich herum, sehen sie die herausgeputzte Hörder Burg, den gesamten Dortmunder Süden bis zum Westfalenstadion und zum Florianturm.

Von Hörde aus ist alles nah: die Vergangenheit und die Zukunft, der Schwerter Wald, der Botanische Garten, die Ruhr und das Stadion, der Westfalenpark mit seinen Lichterfesten, Industriekultur und Schrebergärten, drei Autobahnen und noch mehr Bundesstraßen, Pferdeweiden und die Hohensyburg.

Während sich alles renoviert, bleiben die Menschen, wie sie sind. Sie sind so normal, man möchte Politiker einladen, hier zu wohnen, in den Ghettolemmi zu gehen, den Wochenmarkt zu besuchen, an einem Sommersamstagmorgen zum Frühschoppen im Hörder Treff zu sitzen, sich von Ludmilla die Hose kürzen zu lassen und die Entenfamilie zu besuchen. Hörde ist alles, Hörde ist gestern und heute, war Stahl und Schmutz, ist jetzt mit der Hand fassbarer Wandel und wird die Zukunft sein, eine der möglichen Zukünfte, die es im Ruhrgebiet derzeit gibt.

Das Alte, das Neue, das Normale, die erstarrte Industrie, das erwachende Grün, die Zuversicht und die prollige Herzlichkeit der Menschen – das alles ist das Schöne an Hörde.

Frau Barbamolle kommentiert, dass sie ihre erste Bühnenerfahrung als Baum sammelte, ein Einsatz, der leider in keine großen Karriere gemündet habe. Ein guter Anlass, um von meiner ersten Bühnenrolle zu sprechen. Es war im Kindergarten, und ich erinnere mich außerordentlich gut: Ich war die Mutterkuh.

Das Stück handelte vom kleinen Kälbchen Fridolin. Was dem Kälbchen widerfuhr, habe ich vergessen, aber nicht, wer die Hauptrolle bekam: Es war meine Kindergartenkameradin Sonja. Wir spielten recht gerne miteinander, ich besuchte sie oft zu Hause, sie hatte ein fantastisches, von ihrem Vater selbstgezimmertes Holzhaus im Garten, und ihre Familie besaß einen Dackel, für den die Bezeichnung „phlegmatisch“ noch deutlich zu lebhaft ist, der mir aber in tranfunzeliger Ergebenheit zugetan war.

Sonja spielte also die Hauptrolle in unserer Aufführung, und ich sollte ihre Mutter sein. Ich war ein groß gewachsenes Kind, was auch in den Folgejahren dazu führte, dass ich immer die Mutterrollen zugeschustert bekam, oder noch schlimmer: in Ermangelung schauspielinteressierter Jungen männliche Rollen spielen musste, was ich ziemlich daneben fand und mich letztendlich davon abhielt, mich intensiver dem Theater zu widmen.

Neben den Rollen des Fridolins und der Mutterkuh gab es eine Menge Bäume und Sträucher, die nach ausgiebigem Casting ebenfalls besetzt wurden. Letztendlich durfte ich mich glücklich schätzen, dass ich eine Sprechrolle hatte, auch wenn diese sich schlimmer anfühlte, als ein Baum zu sein, denn welchem Erwachsenen auch immer ich stolz von meinem bevorstehenden Auftritt berichtete, er reagierte stets mit einem gewissen Amusement – einer Belustigung, von der ich nicht viel, aber dennoch genug verstand, um sie als Spott zu empfinden. So kam es, dass ich mich während meines Auftritts als Fridolins Mama in Grund und Boden schämte.

Fünfzehn Jahre später spielte ich noch einmal eine Mutter: Frau Bergmann in Frank Wedekinds „Frühlingserwachen“. Ich selbst hatte meinen Kindergarteneinsatz zu dem Zeitpunkt lange vergessen, wurde aber ziemlich bald nach Besetzung der Rolle mit verwandtschaftlichen Kommentaren daran erinnert: Auf Mutterkuh sei ich wohl gebucht. Danach habe ich das Theaterspiel aufgegeben.

An einem Wochenende Ballett, am anderen das Gegenteil:
Dortmund, Südtribüne.

Westfalenstadion, Südtribüne

Wohlmeinende Menschen hatten mir im Vorfeld Ratschläge gegeben, wie ich den Besuch auf der Süd unbeschadet überstehe. Ich solle mir vorab Bier über den Kopf kippen, denn ich müsse nach der Herde riechen, da seien Fans penibel wie Rehkitzmütter. Zwischendurch „den Mittelfinger nutzen! Das unstreicht jede Aussage! Auch ohne Anlass!“ Wenn mich während des Spiels etwas gelbes Nasses im Nacken träfe, „bete, dass es kalt ist!“

Dann der Tag der Tage, Samstagnachmittag, 14.30 Uhr. Der U-Bahn entstiegen weiß ich nicht recht, wohin. Ich laufe einfach den prolligsten Kuttenträgern hinterher, schon bin ich richtig. Eingang Südost: Die Stimmung ist freudig, die Flaschensammler sind gut im Geschäft, fünf Kerle pinkeln einen Fluss Stift’s Pils gegen einen Zaun.

Von vorne ruft jemand: „Hat hier grad einer ’ne Dauerkarte gefunden?“
„Wie heißt du denn?“
„Block 11?“
„Wie du heißt!“
„Block 11!!“
„Du Vollpfosten!“
Erstes Gerangel.

Drinnen habe ich Block 84 gebucht, oben unterm Dach, die Ultras sind links unter mir und singen sich warm. „Die Südtribüne bebt dazu // der Gegner weggeputzt im Nu!“ Dann die Mannschaftsaufstellung.

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Nach drei Minuten fällt das erste Tor, olé, olé, nach vier Minuten das zweite, der Ausgleich. Ich verpasse es, weil ich in der Gegend rumgucke, wer rechnet schließlich mit sowas. Hinter mir steht ein halsloser Gnom in schwarz-gelbem Nachthemd, eine Plauze wie ein Medizinball, das Bier fest an die Brust gepresst. Bei jeder Ballberührung bellt er heiser und hitlerhaft „Schön!“, mit kurzem Ö – das ist sein höchstes Lob, wozu mehr Worte. Kuba im Sechzehner. „Schön!“ Lewandowski zum 2:1. „Schön!“ Vorarbeit Blaszczykowski, „Schön!“,  Götze zum 3:1. „Schön!“

Sein Nachbarn lässt hingegen kein gutes Haar an allem. „Da läuft meine Schwiegermutter ja schneller“, krakeelt er. Die Dame muss mindestens 110 sein, denn er ist weit über 60. „Keiner geht mit! Da muss ma‘ einer mitgehen!“ Er wedelt mit seiner Krücke. „Verdorri noch eins!“ Die Reihe vor ihm duckt sich. Aber sonst: „Schön!“

Vor mir wippt die einzige Frau weit und breit – von mir abgesehen – auf ihren Fußspitzen, und ich muss mich ein bisschen für sie schämen, denn sie sieht heute ein anderes Spiel als der Rest der Tribüne. Mit schriller Kopfstimme ruft sie zufallsgetrieben: „Huch!“, „Ach!“ und „Oh nein!“, man weiß nicht, was sie dazu bewegt, das Geschehen auf dem Platz kann es nicht sein. „Schön!“

Nach dem Spiel gibt es eine „Bratwurst Rote Erde“, dazu ein Bier. Ich treffe Bunke aus der Herrenmannschaft. Er organisiert eine Kanne Kronen und noch eine. Ich bin bald ziemlich betrunken, aber was soll’s. Bunkes Tante ist heute zum ersten Mal im Stadion. Sie kommt aus Unna und muss wieder weg, muss beim Abendessen daheim sein, das hat sie ihrem Gatten versprochen.
„… und ich fahre dann zur Landgrafenstraße?“
„Markgrafenstraße, Tante Monika, nicht verwechseln.“
„Alles klar, also in die U-Bahn und dann Landgrafenstraße.“
„Markgrafenstraße!“
„Sag ich doch.“
Wir haben nichts mehr von ihr gehört.

Wir hängen noch ein bisschen rum, bis uns zu kalt wird, dann mache ich mich auf den Heimweg. „Schön!“

Es begann alles in Hamburg.

Herr Buddenbohm schrieb über Hamburg, natürlich über Sankt Georg, worüber auch sonst, dort wohnt er schließlich. Danach hat er andere Leute dazu gebracht, über einen Hamburger Stadtteil zu schreiben. Frau  Anne findet, das sollte nicht auf Hamburg beschränkt sein; das schaffen wir für das Rubrgebiet auch. Ich schließe mich ihr an und schreibe über die Essener Weststadt. Wer mitmachen will, ob als Gastblogger oder auf seinem eigenen Blog, der melde sich bitte bei Frau Anne – sie sammelt das ein.

Die Weststadt, ein Niemandsland

Gebäude. Geäst. Essen-West.

Die Weststadt ist ein Niemandsland.

Eingekeilt zwischen einer der freudlosesten Universitäten des Landes und Deutschlands einzigem Innenstadt-Ikea auf der einen Seite, einer Bahntrasse, der Autobahnauffahrt nach Mülheim und dem Gebäude-Koloss des größten deutschen Regionalzeitungsverlags auf der anderen Seite ist sie selbst: nichts. Nicht Frohnhausen und nicht Holsterhausen, nicht Innenstadt und schon gar nicht Rüttenscheid, kein Stadtteil im eigentlichen Sinne, alles grenzt nur an. Die Essener Weststadt ist eine Ansammlung von Brachflächen, Elektronikmärkten und Möbelhäusern, kleinen Gewerbetreibenden und, ach ja, da war doch noch was, dem Collosseum, der ehemaligen Kruppschen Werkstadthalle, die bis 2010 monumentale Musicalstätte war und die man jetzt mieten kann. Zwischen all dem gibt es ein paar Wohnhäuser und zwischen all dem habe ich fünf Jahre meines Lebens gelebt.

Als ich hinzog, sagte die Torfrau, dass viele ihrer Kunden von dort wech kämen. Sie arbeitet in einem Kinderheim, einer Inobhutnahmestelle, dort, wo die Kinder zuerst stranden, wenn es in der Familie nicht mehr geht. Tatsächlich zog mir gegenüber bald die Ketchup-Familie ein, Stammgäste des Kännchen-Cafés kennen sie noch, eine Mutter mit ihren vier Kindern, der Vatta im Knast, so wusste es der Oberinspektor zu berichten. Drei Straßen weiter befindet sich auch heute noch die Essener Suchthhilfe, ausgerechnet in der Hoffnungsstraße.

Trotz aller Gegenargumente habe ich gerne dort gewohnt, denn die Weststadt ist zwar nichts, sie ist aber nah bei, nah an der Innenstadt, nah am Hauptbahnhof und nah an Rüttenscheid, diesem Prenzlauer Berg Essens – nun ja, so ungefähr. Nachts hörte ich von der einen Seite das Feuewerk, das die Musicalbesucher verabschiedete. In all den Jahren habe ich es nie gesehen, immer nur das Knallen und Knistern der Feuerwerkskörper gehört, ein Autohaus versperrte den Blick. Auf der anderen Seite erklang die Bahntrasse zum Hauptbahnhof, das Rattern und Klappern von Waggons in der Nacht, das Hupen von Lokomotiven, schwere Güterzüge. Dazu das unterschwellige Rauschen der A40, dieser Schlagader, die im Ruhrgebiet alles am Leben erhält und sich, chronisch verstopft, seit Jahrzehnten vorm Infarkt befindet. Es waren fast poetische Geräusche, leise hallend und vom Mond beschienen, die Geräusche einer Großstadt, der ehemaligen Schwerindustriestadt, Stadt der Konzernzentralen.

Essen-West, verschneit

Eine Enklave.

Ich lebte also im Niemandsland, aber wir haben auf uns achtgegeben, der Unterinspektor, der Mann mit dem kleinen, weißen Hund, der papierdünne Opa und ich – und alle gemeinsam haben wir nach dem Oberinspektor gesehen, der nach dem Tod seiner Frau zu vergehen drohte wie eine welke Tulpe; und nach der Ketchup-Familie, damit den Jungen nichts Böses widerfuhr, etwas, das ich der Torfrau hätte erzählen müssen, so dass die Ketchupkinder in ihre Obhut kommen. In der Weststadt lebte auch Angela, eine Frau mit Tetraspastik, deren Rollstuhl einen kleinen Elektromotor hatte, dessen Batterie immer nur für den Hinweg ausreichte. Ich traf sie stets, aus der Innenstadt kommend, auf der Alfred-Herrhausen-Brücke, ihre Hände drückten gegen die Räder, zitterten vor Anstrengung. „Die Batterie ist alle, nie reicht die Batterie“, sagte sie jedesmal, und ich schob sie nach Hause. Nicht ein Mal erkannte sie mich bei diesen zahlreichen  Begegnungen wieder, und so stellten wir uns stets von Neuem vor, während ich sie in ihre winzige Wohnung fuhr.

Irgendwann wurde neben den City-Ikea, in den ich für Teelichter immer zu Fuß ging, ein Shoppingtempel gebaut – mit 70.000 Quadratmetern eines der größten innerstädtischen Einkaufzentren Europas, etwas, das sonst nur auf der grünen Wiese entsteht. Aber Essen hat keine freien Wiesen, Essen ist voll, deshalb wurde erst etwas abgerissen und dann dieses riesige Rund, ein Ufo mit bunten Lichtkugeln, mitten in die Stadt gesetzt – mit Kraft, Lärm und Gewalt, so geht’s im Ruhrgebiet, auch wenn Stahl und Kohle nicht mehr hier zu Hause sind.

Mit dem Einkaufszentrum gab es plötzlich einen Bäcker in meiner Nähe – nicht nur einen, sondern gleich mehrere, wie das in einem Einkaufsparadies so ist, und ich konnte Samstagsmorgens dort hingehen und Brötchen holen. Wenn ich dann mit wirrem Haar und in Schlumperhose zwischen all den angestrengten Shoppingwütigen stand, war ich ganz Weststadt: irgendwie unsichtbar, irgendwie nicht schön, aber trotzdem da.

Neben das Ufo und die ehemalige Krupphalle Collosseum, auf das Areal eines Güterbahnhofs, wird seit meinem Fortzug eine neue Stadt gebaut. Die Planer nennen sie die „grüne Mitte Essens„, ein kleines Venedig mit Kanälen und teuren Eigentumswohnungen, ein Universitätsviertel, in dem keine Studenten wohnen werden. Das Niemandsland wird Hippsterland.

Als ich vor einigen Monaten wieder einmal in Essen war, ging ich auch durch die Weststadt – und habe natürlich den Oberinspektor getroffen. Es geht ihm gut.  Er war zuletzt sogar in Italien im Urlaub, ohne seine Frau, mit einer Busgesellschaft, das sei sehr traurig gewesen, aber auch schön. Er habe seine Lebensliebe im Herzen mitgenommen, sagte er, so sei es fast gewesen wie zu Zweit.

[Ergänzung von Elizabeth]

Das Patenkind tanzt alsbald Ballett.

Genau genommen tanzt die Patentochter das ganze Jahr über Ballett, aber dieser Tage findet eine große Aufführung statt: Ihr Ballettstudio gibt den „Nussknacker“, und sie wird auf der Bühne stehen.

Es ist nicht das erste Mal für sie. Seit Jahren schon führt das Ballettstudio in der Weihnachtszeit den Nussknacker auf – das Stück bietet ausreichend Rollen für ganze Horden von Kindern, die Kleinen tanzen die Mäuse und die Zinnsoldaten, die Großen sind Mascha, der Mäusekönig und Drosselbart. Wer als Maus anfängt, macht später den arabischen Tanz und ist am Ende eine Schneeflocke. Oder tanzt die Hauptrolle.

Für die Zuschauer ist das Prozedere über die Jahre freilich etwas ermüdend, denn wie gesagt: Es wird jeden November das gleiche Stück aufgeführt. Das Herzenskind hat zwar stets eine andere Rolle, jedesmal eine wichtigere Rolle; angefangen hat es als Maus, es trug eine Mausemaske und war von den anderen Bühnen-Mäusen nur vage zu unterscheiden (die kundige Patentanten hatte gleichwohl kein Problem); zuletzt hat es gar Spitze getanzt, aber es lässt sich nicht leugnen, dass auch bei der fünften und sechsten Darbietung der Nussknacker der Nussknacker bleibt – ein Stück, das in seiner gesamten Länge durchaus zweieinhalb Stunden einnimmt, der Saal ist dunkel, zwei schmackhafte Stücke Kuchen von Opa Konni machen es sich verdaulich gemütlich im eigenen Innenraum, eine behagliche Schwere senkt sich auf den Körper – Sie können die Problematik vielleicht erahnen.

Als Handballerin ist mir das sportliche Ziel des Balletts überdies zu diffus. Wer am Ende die Partie gewinnt, ist reine Interpretationssache, überhaupt bin ich mehr für aggressiven Vollkontaktsport, das macht auch als Zuschauer mehr Spaß, man kann dasitzen und pöbeln, aufstampfen, gestikulieren, Foulspiel reklamieren und vor sich hin granteln: Es geht zur Sache, nicht nur auf dem Feld. Während der letzten Male Nussknacker war ich versucht aufzuspringen und Dinge zu rufen wie:

„Schritte! Das war ganz klar ein Schrittfehler!“
„Zeitspiel! Die Soldaten wollen doch gar nicht!“
„Das ist Passiv! Passiiiiv!“
„Ey!! Foul! Er hat sie durch die Luft geschleudert!“
„Das ist Rot! ROOOT!!“
„Die dreht sich doch nicht von alleine! Der hat geschubst!“
„Wo ist eigentlich der Schiri? Schiriiii!“

Bis anhin hatte ich mich im Griff, doch ich weiß nicht, wie lange ich die Contenance noch werde wahren können oder ob es dieses Jahr plötzlich aus mir herausbrechen wird, ob ich nicht spontan aufspringe, auf den Fingern pfeife und raumgreifend pöble, allein schon, um ein bisschen Schwung ins akurat gekämmte, wenngleich apathische Auditorium zu bringen. Überhaupt, wo sind eigentlich die Mettbrötchen, gibt’s keinen Fressstand im Foyer? Wieso riecht’s nicht nach Bier und Frikadelle? Warum trage ich als einzige ’nen Jogger?

Aber das Patenkind, das wird natürlich der Matchwinner sein. Falls nicht, dann wurde ihm übel mitgespielt, das steht jetzt schon fest. Schiri, ich weiß, wo dein Auto steht.



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