Auf einmal ist er da.
Sitzt vor einem kleinen Fernseher im Hausmeister-Kabuff der Sporthalle. Ab und an kommt er während des Trainings heraus, geht, die Arme hinterm Rücken verschränkt, an der Seitenlinie auf und ab oder setzt sich auf eine Kiste, die Beine breit, die Arme aufgestützt. Von seinem Hals baumelt eine Silberkette.
Als ich verletzt bin, rückt er ein Stück auf Seite und ich setze mich neben ihn.
„Watt hasse?“, fragt er.
„Bänderriss“, sage ich.
„Kannze nich mitmachen?“
„Nee.“
Er zeigt mit der Hand aufs Spielfeld, wo die Hühner grad Tempogegenstöße laufen. „Wat isn dat fürn kleiner Flitzer da? Die macht alle rein.“
„Das ist Rosi“, sage ich.
„Die kann wat, odda?“
„Ja, die kann was.“
„Dat seh ich gleich. Ich hab keine Ahnung, abba da habbichn Auge für. Ich bin übrigens der Wolfgang.“
Irgendwann bringt Wolfgang uns Erdbeeren mit. „Hab ich im Gatten gepflückt, für euch Mädels.“
Die Männer, die in der anderen Hallenhälfte trainieren, kriegen Frikadellen. „Tu ich euch wat Gutes, woll“, sagt er.
Als der Verlag sagt, sie möchten gerne, dass ich zusammen mit jemandem, der nach Ruhrgebiet aussieht, auf dem Buchcover bin, denke ich sofort an ihn. Beim nächsten Training setze ich mich wieder neben ihn auf die Kiste und frage ihn, ob er Lust hat.
„Wat mussichn da machen?“
„Nur gut aussehen“, sage ich.
„Muss ich mir da wat Schniekes anziehn?“
„Nee, ganz normal.“
„Und dann komm ich aufs Buch.“
„Genau.“
„Musse auch reinschreiben, dat ich Singel bin.“ Er sagt „Singel“, mit weichem S.
„Das schreibe ich später in mein Blog“, sage ich.
„Auch gut.“
Als wir vorm Kiosk stehen, ist schnell klar: Wolfgang ist perfekt. Er kann posen wie ein Star und legt jeden Gesichtsaufdruck auf, den der Fotograf haben möchte. Seine Spezialität: flirty gucken.
„Und jetzt guck mal die Nessy an! Verliebt! Genau!“, sagt Thorsten, der Fotograf. Er ruft es ein bisschen, so wie die Fotografen das im Fernsehen machen.
Wolfgang schmiegt sich an mich und schmachtet mich an.
„Und jetzt das Gleiche zu mir, in die Kamera!“, ruft der Fotograf.
„Die Frau Doktor, die riecht so gut“, sagt Wolfgang und legt mir den Arm um die Taille.
„Trotzdem! Hier, jetzt!“, sagt der Fotograf.
Wolfgang und ich gucken in die Kamera.
Heute, fast ein Jahr später, ruft er mich an. In der Herrenmannschaft ist er inzwischen Ehren-Betreuer, mit eigenem Trikot und festem Platz auf der Bank. Er sei ja jetzt länger nicht in Dortmund gewesen, sagt er. Aber als er heute zum Bäcker ging, habe jemand ihn angesprochen: „Du stehst in Aplerbeck im Buchladen!“, habe die Frau gesagt. Er erzählt es mehrmals, weil er sehr stolz ist. „Dat ich sogga auffe Straße erkannt werde!“, sagt er. „Getz werd ich noch berühmt!“
In Zukunft, meint er, will er nicht mehr mit dem Auto zum Bäcker fahren. Sondern nur noch zu Fuß gehen. Damit die Leute noch mehr Gelegenheit haben, ihn zu erkennen.