Oft frage ich mich: Wann machen die Leute das alles?
Zum Beispiel fernsehen. Dokus und Filme, Let’s dance und Shopping Queen. Vor der Arbeit muss ich mich kämmen und frühstücken, nach der Arbeit ist es plötzlich 23 Uhr, dabei kam doch dieser Film, ach, verpasst, schade. Im Ergebnis sehe ich an Werktagen nie fern, es ist unmöglich, ich schaffe es einfach nicht.
Vielleicht mache ich etwas falsch. Zehn Stunden am Tag Arbeit, mit Pause, Hin- und Rückweg, danach Sport (der Rücken!) oder einkaufen (kein Brot und kein Klopapier mehr da!), Wäsche waschen, aufhängen, abhängen oder Blumen gießen, Spülmaschine, bügeln, zu Abend essen möchte ich auch, auch mal einen Freund treffen oder eine Freundin, mich um die Tante kümmern und den Vater sehen, und die Zeit, tic tac tic tac – kaum bin ich zu Hause, kaum komme ich zur Ruhe, ist es auch schon soweit, ins Bett zu gehen, denn man nächsten Tag ruft die Arbeit wieder, und weil ich es satt habe, spätestens ab Mittwoch bleiernd müde zu sein, gehe ich um elf ins Bett, sonst bin ich völlig im Eimer, und am nächsten Tag, tic tac tic tac, geht alles von vorne los.
Es ist eine sehr grundsätzliche Müdigkeit, die ich fühle, wenn ich müde bin.
Zum Beispiel Kino. Ein Film läuft an und ich denke: „Den will ich sehen!“, doch finde ich einen Tag, an dem a) mich jemand begleitet (alleine, nein, da versuche ich’s lieber erstmal weiter mit fernsehen), b) nicht die unmittelbare Gefahr besteht, dass ich bei „Licht aus“ sofort einschlafe und ich c) nicht für das Wohlbefinden turne (turnen möchte!), ist er auch schon wieder raus aus dem Programm.
Samstag ist der beste Tag, wirklich, ganz ohne Ironie. Samstag ist mein Lieblingstag. Dann haben die Geschäfte geöffnet, dann kann ich in den Baumarkt fahren oder zu dm, meine Hose vom Schneider abholen, zur Post gehen und etwas in die Reinigung bringen – ohne zu hetzen, ohne gleich irgendwo sein zu müssen, etwas tun zu müssen, Verpflichtungen zu haben. Am Samstag darf ich Krach machen, Rasen mähen zum Beispiel – denn am nächsten Tag ist schon wieder Sonntag, da geht das nicht, da darf man nur leise durchwischen.
Zum Beispiel Ausflüge. Gerne würde ich mal wieder nach Hamburg und Stuttgart, an die See, nach München, wandern. Aber es bleiben nur zwei Tage in der Woche, und von den zwei Tagen ist mindestens einer schon auf die nächsten acht Wochen verplant – gerne verplant, mit Freunden und bei Verwandten, außerdem: Am Samstagmorgen nach München, am Sonntagabend wieder zurück, das ist Humbug, danach bin ich nur völlig durch – und Urlaub? Urlaub ist so knapp, zu knapp, ich brauche (möchte!) die Tage für längeren Abstand, für zwei Wochen am Stück, um komplett rauszukommen, weg, fort, in die Natur, um mich wirklich zu erholen.
Ganz zu schweigen vom Schreiben, von den Worten und den Geschichten, die in meinem Kopf sind, die raus wollen, es aber nicht schaffen, nicht zwischen Arbeit und Brot kaufen, Rückenturnen und Wäsche waschen, nicht an den kleinen, an den winzigen Sonntagen. All die Sätze, die Langeweile und Muße verlangen, sie liegen da, sie springen in mir herum, doch sie sind wie Wein, wie Käse, sie möchten reifen, sie sind wie Kinder, sie wollen ausprobieren, lernen, groß werden, brauchen Raum, brauchen Stunden, Tage für sich.
Wann machen die Leute das alles? Fernsehen, Kino und Ausflüge, Fotosafaris, im Café sitzen, basteln und handwerkern, Kinder großziehen, Fahrradtouren, für Marathons trainieren und Yoga, Rezepte nachkochen, all diese Serien gucken, dem Regen zusehen und in der Sonne liegen. Musizieren. Schreiben. Wer sind diese Menschen, die am Ende des Jahres noch zehn Tage Urlaub übrig haben?
Vielleicht gibt es zwei Systeme, irgendwas mit Zeitdilatation und Erdrotation, Längenkontraktion oder unterschiedlichem Sonnenlauf.