Die Einen verkraften traumatische Ereignisse schnell und ohne Nachwirkungen, Andere nie. Eine Dortmunder Wissenschaftlerin möchte erklären, warum das so ist.
Durchgeschüttelt wurden sie – hin und her gerissen, vom Wind überrollt. Das war im Juni. Am vergangenen Montag geschah es wieder: Tomatenpflanzen kämpften während des Pfingstunwetters gegen Urgewalten, rangen mit dem Tod und mussten zusehen, wie zwei ihrer Kameraden starben.
„Nicht selten entwickeln Tomaten nach solchen Erlebnissen PTBS, eine prätomatige Belastungsstörung“, erklärt Frau Nessy, Dr. rer. pomodori und Forscherin auf dem eigenen Balkon. „Wenn Tomaten vor ihrer Fruchtphase, also ‚prä Tomate‘, etwas Schlimmes widerfährt, hat dies möglicherweise Einfluss auf Menge, Größe, Geschmack und Vitamingehalt der Tomaten.“ Welche Ausmaße eine PTBS annehmen kann und welche Gegenmaßnahmen greifen, untersucht Dr. Nessy in ihrem Gartenlabor in Dortmund.
„Ich habe zwei Tomatengruppen: eine auf dem Balkon, eine andere auf der Terrasse“, erläutert Dr. Nessy ihre Vorgehensweise. Die Terrassenpflanzen stünden geschützt; sie bildeten die Kontrollgruppe. Die Balkonpflanzen hingegen seien den Elementen ausgesetzt. Zweimal wurde ihr Gewächshaus bereits fortgeweht: Sie wurden obdachlos, Zweige knickten ab. Einige Pflanzen erlagen vor den Augen der anderen ihren multiplen Frakturen.
Dr. Nessy: „Meistens sind die Pflanzen ein, zwei Tage nach solch einem Erlebnis nachhaltig verstört.“ Das betreffe die physische Konstitution. Doch auch, nachdem Verletzungen behoben und Rankstäbe wieder gerichtet seien, ließen einige Tomaten noch die Blätter hängen. „Dann kommen wir in den Bereich einer prätomatigen Störung.“
Dr. Nessy experimentiert mit Antidota, möglichen Gegenmitteln. Ziel ihrer Untersuchung ist es herauszufinden, was die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit, der Pflanzen erhöht.
Vier Variablen werden untersucht. Die erste ist das so genannte Trostdüngen. „Stickstoff wirkt auf die prätomatige Pflanze ähnlich wie Schokolade auf die prämenstruelle Frau.“ Der Neurotransmitter Serotonin werde ausgeschüttet, die Pflanze gewinne wieder an Lebensmut.
Variablen zwei und drei sind frische Erde und geselliges Beieinanderstellen. Je ein Teil der Experimentalgruppe erhält die entsprechenden Zuwendungen. Zusätzlich gibt es eine vierte Gruppe. „Sie bekommt nichts und muss selbst Coping-Strategien entwickeln.“
Bislang lasse sich nicht eindeutig sagen, welches die beste PTBS-Prophylaxe sei, erklärt Dr. Nessy. Fest stehe aber: „Das Blattwerk entwickelt sich bislang trotz der intensiven Ereignisse gut, sogar besser als bei den Terrassenpflanzen.“ Das lege den Schluss nahe, dass schwierige Lebensphasen, sofern sie erfolgreich überwunden werden, eine Pflanze eher stärken als schwächen. „Entscheidend wird aber nun die Fruchtphase sein.“
Inwieweit ihre Forschung sich auf den Menschen übertragen lässt, soll sich in den nächsten Jahren zeigen. „Ich bin sicher, dass sich Erkenntnisse ergeben werden“, so Dr. Nessy. Falls nicht, sei immerhin reichlich Tomatensalat angefallen.
Kommentare
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Auf den Kopf ist Dir aber hoffentlich nichts gefallen. ;-)
Nichts Neues.
Falls Interesse an einem wissenschaftlichen Austausch besteht, so gibt es in Hannover eine der Sonnenseite zugewandte Balkon-Versuchsanordnung, die an einem windigen Tag (ca. Stufe II von 10 möglichen Windstufen) komplett umknickten und sich teilweise sogar starke Brüche zuzogen, sich allerdings in den vergangenen beiden Tagen in den Gewitterwinden (Stufe IX) behaupten konnten.
Vielleicht ist auch die Sorte (Coacktail-, Strauch-, Fleisch- oder Romatomate) von Belang, wenn nicht gar die Farbe??
Nun ja – Ihre Forschungsfrage ist eher einer somatologischen Disziplin zuzuordnen (Osteoporose?), während ich auf dem Gebiet der Psychotraumatologie unterwegs bin. Wir sollten aber in Kontakt bleiben. Möglicherweise bestehen psychosomatische Zusammenhänge. Mussten ihre Pflanzen eine schwierige Geburt durchleben und könnten kindliche Schlüsselerlebnisse die Ursache für ihre Zerbrechlichkeit sein?
Die armen Thorstens!
Wir müssen alle Opfer bringen.
Es wäre, so dünkt mir, jetzt wohl eine Gesangstherapie angebracht.
Harmonische Beschallung soll ja bei den Tomatos Wunder wirken, bin auf die daraus resultierende Erkenntnisse gespannt…
;-)
Ich bin, sagen zu dürfen, dass dies nicht die Nachbarn erledigen. Andrea-Berg-Beschallung aus Nachbarlauben findet in meiner Umgebung zum Glück nicht statt; ich habe viele traumatisierte Freunde, die das nicht behaupten können. Vielleicht sollte ich jeden Abend etwas singen. Oder beim Gießen leise summen.
Sehr geehrte Frau Dr. Nessy,
ich kann ihre Versuchsanordnung ergänzen – im örtlichen Labor stehen verschiedene Tomaten- und Pepperonisorten auf einem regengeschützten Westbalkon. Bisherige Ereignisse (allerdings bei weitem nicht so traumatisch wie bei Ihnen) konnten fast alle Probanden unbeschadet überstehen. Bisher waren die Probanden ein- bis zweimal stärkerem Wind ausgesetzt sowie stark erhöhten Temperaturen (bis 34°).
Einzig eine Pflanze aus der Gattung der Tomatillos zeigt sich nicht ganz fit und hat sich Blattläuse zugezogen – ob das jetzt ein Symptom einer prätomatige Belastungsstörung ist muss noch erforscht werden. Eventuell handelt es sich auch um eine durch Trockenheit verursachte akute Überlastung des Immunsystems.
Als Gegenmittel kam ein hochkonzentrierter Brennesselextrakt zur Anwendung, die Wirkung scheint nach bisheriger Beobachtung durchaus gut zu sein.
Viele Grüße aus dem Tomatenlabor Süd,
der Ponder
Es ist ja durchaus erwiesen, dass Stress Einfluss auf das Immunsystem hat. Wir sollten an dem Thema dranbleiben.
Meine Probanden zeigen keinen Befall. Die Rotkohle leiden aber seit einiger Zeit unter Blattfraß. Es könnte aber auch Hagelschaden sein.
Vielen Dank für diese aussagekräftige Studie. Ich bin gespannt auf die Langzeitergebnisse, da erst dann abzusehen ist, wie signifikant die Auswirkungen sind.
Bis dahin verfolge ich die Studie und esse für die Forschung viel Tomatensalat. Einen Tod muss man sterben… ;)
Ein Forscherleben ist halt hart und entbehrungsreich. Aber was tut man nicht alles für den Erkenntnisfortschritt. Wenn ich allein an meine Studien zum Philadelphia-Schokoaufstrich denke … oh mei.
Falls da reproduzierbare Ergebnisse bei den Studien herauskoemmen waere ich Frau Dr. Nessy sehr dankbar diese mir zu uebermitteln, hier hat es naemlich alle Jiaogulan_Geschwisterchen erwischt, ein Bild des Grauens.
//*geht „Jioagulan“ googeln
//*Jigualan
//*Jiogulan
//*Jioagulan
//*kommt wieder
„Pflanze der Unsterblichkeit“ – ausgerechnet.
PTBS – eine prätomatige Belastungsstörung
Danke für dieses neue wissenschaftliche Wort, wird umgehend in den (Garten)Wortschatz übernommen.
Internet bildet doch ungemein!
Ist schließlich ein Bildungsblog hier.
Eine unglaublich saubere wissenschaftliche Arbeit, Frau Dr. Nessy.
Schon der Ansatz, Tomaten Gefühle zuzuordnen, ist revolutionär.
Dise Arbeit wird den Paradigmenwechsel im Reich der Vegetarier und Veganer einläuten.
Man macht sich halt nicht immer nur Freunde.
Der hiesige (kanadische) Tomatenexperte meint, ein Glas Milch alle zwei Wochen könne bei Pflanzen nach Traumata Wunder wirken. Vollmilch wohlgemeint, kein fettarmes Zeug. Das fällt ganz bestimmt in die Kategorie des Trostdüngens.
Interessant. Den Rest der Vollmilch trinke ich dann natürlich. Hält sich ja sonst nicht so lange.
Also, als Laiin kann ich beitragen: das windbedingte Gezerre fördert unweigerlich die Wurzelbildung. Heißt: „Ein ruhiges Meer hat noch keinen guten Seemann hervorgebracht!“ ;)
Haha! Schöne Weisheit! Habe sie heute meinen Tomaten erzählt. Sie guckten allerdings etwas zerknautscht.
Sg. Frau Doktor, offensichtlich gelingt es den durch schwere Belastungen in Kindheit und Jugend gebeutelten Tomaten, Resilienz zu entwickeln und aus der schwierigen Ausgangslage ein produktives und ausgeglichenes Pflanzenleben zu erkämpfen. Den Terassentomaten hingegen fehlt die Möglichkeit, ihre Resilienz zu trainieren, und so reagieren sie selbst auf geringe Schwierigkeiten mit Verstörung und Verweigerung.
Letztlich ist es aber egal, denn auf dem Kompost enden sie alle. Sic transit gloria tomati.