Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Die Freistilstaffel ist ein zauberhaftes neues Schwimmblog.

Ich selbst schwimme zwar sehr gerne und – so viel Eigenlob darf sein – auch durchaus gut, zumindest ausdauernd und in jeglichen Gewässern angstfrei, ich schwimme jedoch äußerst selten. Das bringt mich direkt zu einer Frage, die bei der Freistilstaffel aufgeworfen wird:

„Wo sind denn all die sportiven Frauen, die durchs Wasser pflügen?“

Für mich kann ich sie klar beantworten: im Fitti. Und früher: in der Handballhalle. Selten allerdings im Schwimmbad, höchstens im Sommer im Freibad. Dann zwar durchaus für einen bis drei Kilometer mit Schwimmbrille und Sportanzug im 50-Meter-Becken, niemals aber im Winter im Hallenbad.

Das hat zwei Gründe.

1. Mein eigenes Mittelmaß

Ich habe nie richtig schwimmen gelernt – im Sinne von Technik, Schwimmverein, Leistungssport. Ich kann mich gut über Wasser halten, erreiche auch passable Kilometerzeiten (das Beste war 22 Minuten/km), kann aber nur mäßig kraulen. Die Eleganz, die einem gelernten Schwimmer zueigen ist, geht mir also völlig ab. Mein Schwimmstil ist am treffendsten mit „Der Zweck heiligt die Mittel“ zu beschreiben.

Das hat zur Konsequenz, dass gleichzeitig trainierende, vor Ehrgeiz strotzende und lautlos durchs Wasser gleitende Triathleten mich in der Sportlerbahn absichtlich umpflügen und anrempeln, um mir zu signalisieren: Hau ab, Mädel, lern erstmal schwimmen. In den anderen Bahnen ist allerdings aufgrund diverser Hindernisse – zuvorderst der quer zum Beckenrand treibende Olympiakader von Helsinki 1952 – an schwimmen nicht zu denken, und weil ich nirgends hingehöre, fühle ich mich fürchterlich unwillkommen.

2. Die Umstände

Schwimmbad ist warm, stickig, schwül. Bin ich fertig mit Schwimmen, gehe ich duschen, und ich habe mich noch nicht ganz abgetrocknet, da kann ich schon wieder duschen. Eine Jeans ist kaum übers Bein zu kriegen, das Haar baumelt nass aufs Shirt, die Haartrockner fönen mir eine Tonsur, das Oberteil klebt mir an der Brust.  An ein „Vor-dem-Büro-schwimmen-gehen“ ist nicht zu denken, denn ich sehe auch zwei Stunden, nachdem ich das Wasser verlassen haben, noch aus wie frisch aus dem Becken gezogen. Schonmal versucht, in der Hallenbad-Umkleide ein leichtes Tages-Make-Up aufzutragen? Genauso gut können Sie einen Karpfen schminken.

Abends schwimmen gehen? Keine Chance, bei Hallenbadöffnungszeiten bis 19 Uhr, ein einziges städtisches Bad immerhin bis 21.30 Uhr, aber das liegt weder nahe an meiner Arbeit noch nahe an meinem Wohnort. Also gehe ich ins Fitnessstudio. Dort fühle ich mich dann auch nicht fehl am Platze, denn dort ist der Durchschnitt die Norm.

Es gibt noch eine weitere Frage, die die Freistilstaffel aufwirft – oder vielmehr: Sie stellt eine Theorie auf.

„Was richtig Kraft und Anstrengung erfordert, ist nicht clean, sondern immer etwas animalisch, schwitzig und kompetitiv und sei es nur mit mir selbst. Ich habe den Eindruck, dass das nicht so viele Frauen mögen – richtig reinhauen, die eigene Kraft spüren und eher wild und ekstatisch als anmutig und gemäßigt sind.“

Dieser Hypothese, liebe Genderfreundinnen und -freunde, widme ich mich dann in meinem nächsten Beitrag.

 

 

Es gibt etwas an Supermärkten, das mich wahnsinnig macht.

Zum einen ist das die Umräumerei. Wenn die Marmelade plötzlich nicht mehr beim Brot steht, sondern neben den Cornflakes, wohingegen die Cornflakes nun nicht mehr neben den Backwaren, sondern direkt hinter dem Obst sind, bei den Eiern, neben der Milch (wo sie vielleicht frühstücksthematisch hingehören, aber dann müsste auch das Brot …!). Das ist der Todesstoß für jedes positive Einkaufserlebnis, das ist ein solcher Blutdrucktreiber, dass ich, sollte ich noch dazu die Kokosmilch nicht finden, weil die Kokosmilch seit heute nicht mehr bei den Konserven steht, sondern neben Lafers exotischem Sondersortiment, zwischen den Grillsaucen und der polnischen Erlebnisecke -, das macht mich also so irre, dass ich kurz davor bin, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, meinen Einkaufswagen zu nehmen und alle vorhandenen 20 Gläser Senf an die Kühltheke zu fahren und neben die Bratwurst zu räumen und noch dazu die Magen- und Darm-Tees zum Klopapier zu sortieren. Sollen sie doch mal fühlen, wie das ist!

Zum anderen macht mich wahnsinnig, wenn sechs Wochen lang kontinuierlich dieser unfassbar großartige Walnusskäse da ist, danach aber zwei Wochen nicht, dann zwei Wochen wieder doch, dann wieder drei Wochen nicht.

Oder Leberpastete. Ich esse gerne Leberpastete, aber sie hat offensichtlich nur um Weihnachten herum Saison, wobei für den durchschnittlichen Kunden mit durchschnittlichem Temperatur- und Festtagsempfinden niemals eindeutig ist, wann Weihnachten beginnt und endet und wann es im November und im Februar Pause hat, zu Ostern aber wieder einsetzt, mithin auch zu Pfingsten, zum Erntedank aber wiederum nicht. Es ist völlig undurchschaubar, wann die Supermärkte in meiner Umgebung Leberpastete führen.

Oder Wassermelonen. Derzeit befinde ich mich in einer knallharten Wassermelonenphase, und ich bin eigen: Sie müssen kernarm sein, sonst macht das alles keinen Spaß. Das ist doch dann eine Riesensauerei, es dauert ewig, die schwarzen Kerne rauszupulen, und im Büro – nein, das muss nicht sein. Also: kernarm. Es gibt aber nicht immer kernarme Wassermelonen, manchmal gibt es überhaupt keine Wassermelonen, dann wieder paletten- und kistenweise. Heute war ich in drei Supermärkten, die grundsätzlich kernarme Wassermelonen führen: Einer hatte gar keine, der andere hatte nur welche mit Kerne, der dritte hatte sie da. Aber warum muss ich deswegen rumfahren? Kann man in Zeiten von Warenwirtschaftssystemen dem Kunden nicht zugänglich machen, ob Wassermelonen, Leberpastete und Walnusskäse da sind? Warum muss ich immer wieder enttäuscht werden? Ikea kann das doch auch.

Als ich im dritten Laden dann endlich die Wassermelone kaufte, habe ich natürlich noch Fetakäse gekauft und Klopapier, Butter und dieses Tiroler Schüttelbrot, das so unfassbar teuer, aber auch so super ist. Wäre für mich also ersichtlich, dass es diese eine Produkt zuverlässig an diesem einen Ort gibt, würde ich dort natürlich gezielt hinfahren und auch alles andere einkaufen.

Oder ich bestelle meine Wassermelone halt irgendwann online.

Als ich am Freitag noch einen Tag in Berlin, dachte ich, ich könne doch mal nach Tempelhof fahren und mir das Flugfeld anschauen. Das Wetter sollte gut sein, und ein bisschen herumlaufen und Leuten beim Drachensteigen zusehen – das ist eine schöne Sache. So fuhr ich nach Tempelhof.

Flughafen Tempelhof aus der Vogelperspektive

Flughafen Tempelhof aus der Vogelperspektive. Die Hangars links wurde einst von der US Air Force genutzt, rechts für die zivile Luftfahrt.

 

Das Gelände ist von enger Bebauung und stark befahrenen, mehrspurigen Straßen umgeben. Der Verkehr rauscht, es ist laut. Doch mit jedem Schritt, den ich ich mich auf der Landebahn von der Umgebung entferne, wird die Stadt leiser, der Wind frischt auf, Autos und Menschen, Enge und Hitze verschwinden hinter mir. Ich kann verstehen, warum die Berliner das erhalten wollen, so wie es ist.

Tempelhof: Flugfeld

Das Flugfeld. Mit Flugzeug.

 

Tempelhof: Flugfeld

2050 Meter geradeaus.

 

Ich hatte vorher kurz ins Internet geschaut und gelesen, dass es Führungen durch das Flughafengebäude gebe: „Mythos Tempelhof“, freitags um 13 Uhr . Das passte. Ich kann an dieser Stelle schon vorwegnehmen: Machen Sie das ruhig mal, wenn Sie in Berlin sind. Buchen Sie so so eine Tour, es ist eine spannende Sache.

Die Führung startet im GAT, dem „General Aviation Terminal“ rechts neben der Abfertigungshalle. Im gesamten Gebäude ist, man kann es nicht anders als mit dieser Phrase sagen, die Zeit stehen geblieben. Hätte sich plötzlich die Türen geöffnet, hätten backenbärtige, Schlaghose tragende Reisende die Szene betreten, wären Stewardessen vom Flugfeld hoch gekommen und hätte uniformiertes Bodenpersonal hinter den Check-In-Schaltern Platz genommen, es hätte mich nicht gewundert – nein, es wäre selbstverständlich gewesen.

Der Flughafencharakter ist noch an jeder Stelle erhalten, muss es auch bleiben; es gibt da Vorschriften. Entsprechend ist alles picobello, die Böden sind sauber, die Anzeigetafeln noch vorhanden, nur das Gepäckband steht still. Aber es braucht nicht viel Fantasie, um es in Bewegung zu versetzen. Das Ganze ist recht surreal.

Tempelhof: GAT

GAT: Das General Aviation Terminal

 

Tempelhof: Abfertigungshalle

Die Abfertigungshalle

 

Tempelhof, Abfertigungshalle: Aufgang ins Restaurant

Abfertigungshalle: Aufgang ins Restaurant

 

Tempelhof: Telefon

Keine Telefonkabinen mehr.

 

Der Flughafen wurde vom Architekten Ernst Sagebiel entworfen. Erst später trat Albert Speer auf den Plan. Sagebiel hat, das wusste ich vorher nicht, mit Tempelhof den ersten modernen Großflughafen geplant – eine Art „Mutter aller Flughäfen“ mit Hotels, Geschäftsräumen, Verwaltungsgebäuden und einer kleinen Tribüne für Besucher, die nur gucken wollen. Zehn Pfennige sollte das damals kosten. So etwas hatte es vorher noch nie gegeben. Bisher waren Flugplätze ausschließlich dem Fliegen vorbehalten: Man kam, ging aufs Flugfeld, stellte sein Gepäck dort hin, bestieg das Flugzeug und war weg.

Sehr beeindruckend ist das Dach der Abflughalle. Es ragt vierzig Meter nach vorne und war auch als Tribüne gedacht: 100.000 Leute sollten auf ihm Platz haben, um der Luftwaffe bei Flugschauen zuzujubeln. Damit all diese Menschen möglich schnell herauf und herunter kommen konnten,  wurden gegenläufige Treppenhäuser in das Gebäude gebaut: Binnen 30 Minuten sollte das Dach zur Propagandazwecken gefüllt werden können.

Tempelhof: Das Dach

Hier stiegen die Leute in die Flugzeuge.

 

Tempelhof: Dach

Man könnte meinen, es braucht, um den Ausleger zu halten, ein Kontergewicht, ähnlich wie bei einem Kran. Tatsächlich wird das Dach nicht hoch gezogen, sondern herunter gedrückt – von der Tribüne, die auf ihm gebaut ist.

 

Tempelhof: Vor der Abfertigungshalle

Ankunft und Abflug. Rechts der Führerfahrstuhl – einer von zwei Fahrstühlen, die Adolf Hitler hat bauen lassen, damit er nicht mit dem Volk die Treppen hochlaufen musste.

 

Tempelhof: Treppenhaus

Eines der gegenläufigen Treppenhäuser, die noch immer im Rohbau sind und niemals fertig gestellt wurden.

 

Im Gebäude befinden allerlei Räumlichkeiten, die mit dem Flugbetrieb erstmal nichts zu tun haben – darunter eine Basketballhalle der US Air Force. Die amerikanischen Streitkräften sind ja seit jeher bemüht, es ihren Soldaten im Ausland möglichst heimelig zu machen. So spielten hier also die Berlin Braves; der Boden ist sehr weich, viel weicher als deutscher Turnhallenboden.

Tempelhof: Sporthalle

Sporthalle der US Air Force. Hier trainierten und spielten die „Berlin Braves“. Es gab außerdem eine Damen- und Herrensauna.

 

Tempelhof: Luftschutzkeller

Im Luftschutzkeller mit Wilhelm Busch. An den Wänden finden sich Striche und Zahlen, mit denen Menschen nicht die dort verbrachten Tage gezählt haben, sondern die Spielstände darstellen: Die Air-Force-Soldaten nutzten die Räume für Billard und andere Spiele.

 

Tempelhof: über der Abfertigungshalle

Die monumentalen Räume über der Abfertigungshalle werden heute gerne für Filmaufnahmen benutzt.

 

Tempelhof: Treppenhaus

Treppenhaus, gesehen aus dem dritten Untergeschoss.

 

Natürlich geht es bei der Führung auch um die NS-Zeit, um Zwangsarbeiter, die in zugigen, feuchten Hangars Flugzeuge zusammen bauten, die nur in entsprechenden Baracken zur Toilette gehen durften, einen Kilometer entfernt von ihrem Arbeitsplatz.

Es geht auch um die Luftbrücke, während der bis zu 58 Flugzeuge in der Stunden in Tempelhof landeten, entladen wurden und wieder starteten. Eine Sache, die mir besonders im Gedächtnis geblieben ist: Zu Anfang gab es noch keine betonierte Start- und Landebahn, nur eiserne Lochplatten, die bei jeder Landung auseinander sprangen. Zwei Leute mit einem Schweißgerät saßen im Gras, rannten hin, schweißten sie wieder zusammen und rannten weg, ehe der nächste Flieger landete. Ich denke mal, dass sie recht schnell auf den Beinen waren.

Zentralflughafen Tempelhof: Abfertigungshalle

Zentralflughafen Tempelhof

 

Schön war’s am Donnerstag in Berlin.

Gemeinsam mit Matthias SachauFrédéric ValinErasmus von Meppen und Nutellagangbang habe ich beim Jour Fitz im 4010 Telekom-Shop gelesen. 

Frédéric Valin liest

Herr Frédéric erzählt eine Geschichte vom Dorf.

 

Erasmus von Meppen verliest die Nachrichten

Herr von Meppen verliest die Nachrichten.

Die Vorträge der Herren waren sehr heiter. Schauen Sie sich die Werke gerne näher an. Meine besondere Empfehlung ist Frédéric Valin, der amüsante Geschichten übers Teenagersein auf dem Dorf kennt.

Mit von der Partie war auch Roman Shamov. Für die Dortmunder: Das ist der Beifahrer von Jürgen Klopp.

Herr Roman hat eine Geschichte mit Clown vorgelesen – nein: vorgespielt, so ein Schauspieler macht das nochmal ganz anders als wir zaghaften Autoren; und er hat ein Liedchen gesungen, das er mit Lucie van Org als Duo Meystersinger gemacht hat. Sehr hübsch ist das:

Nach der Arbeit dann das Vergnügen: So ein Berliner Nachtleben hält schließlich auch an einem Donnerstag Kurzweil bereit. Ist ja nicht Dortmund.

Zwei Gläser Astra

 

Nehmen wir meine Studienzeit.

Ich habe unter anderem Italienisch studiert und die italienische Sprache erst zu Beginn des Studiums erlernt. Es gab einen Intensivkurs, in den jeder ging, der es nötig hatte, und in dem die Grundfertigkeiten  durchgeackert wurden. Wir wurden mit Unmengen von Vokabeln und Grammatik beschüttet. Parallel habe ich in den anderen Kursen die „Einführung in die Literaturwissenschaft“ und die „Einführung in die Sprachwissenschaft“ absolviert, dazu natürlich die Seminare der verbleibenden Fächer – und nebenbei in zwei Jobs gearbeitet. Ich war also nicht unbedingt unterbeschäftigt. Trotzdem ging das Sprachenlernen locker von der Hand: Nach einem Semester bin ich nach Italien in den Urlaub gefahren, kam dort gut zurecht, habe um Zimmerpreise gefeilscht, habe mir „Die Säulen der Erde“ gekauft, gelesen, und bis auf bautechnische Spezifika von Kathedralen auch verstanden.

Seit September lerne ich nun Russisch und es gestaltet sich deutlich mühseliger. Das liegt zum einen daran, dass ich keine Vorkenntnisse in slawischen Sprachen habe. Zum anderen aber auch daran, dass neben einem normalen Job, der Fahrt zur Arbeit, Tomatengießen, Sport und den Freunden, die ich auch treffen möchte, nicht viel Zeit übrig bleibt, um mich dem Russischen zu widmen. Bisweilen würde die Zeit, ihr reines Vorhandensein, sogar ausreichen – eine regelmäßige halbe Stunde genügt ja -, doch nach zehn Stunden im Büro, nach Telefonaten, Mails, Sitzungen, Plänen, Konzeptionen und Diskussionen bin ich oft viel zu müde zum Sprachenlernen, dann funktioniert nur noch Gartenarbeit; es geht einfach nichts rein in den Schädel.

Das ist frustrierend, vor allem weil ich ein höheres Tempo gewohnt bin. Eine Hilfe ist immerhin, dass mir meine russische Freundin mittlerweile in ihrer Muttersprache schreibt. Denn das, was in Lehrbüchern steht, geht irgendwie an meinem Vokabelbedarf vorbei: Dass ich mich und meine Firma demnächst bei einem Geschäftsessen vorstellen muss, wird nicht passieren. Ich antworte ihr in einem Russisch-Englisch-Kauderwelsch – mehr Englisch als Russisch, aber immerhin, mühsam ernährt sich бе́лка, Bjilka, das Eichhörnchen: Wir unterhalten uns immerhin über Dinge, über die man sich halt so unterhält. So taste ich mich Wort und Wort, Wendung für Wendung, voran.

Wenn ich es mir also bei Licht betrachte, ist diese Russischsache vor allem für eines gut: um meinen Langmut und mein Durchhaltevermögen zu trainieren.

 

 

Mein Büro liegt in der Fußgängerzone neben der Dortmunder Thier Galerie, einer Shopping Mall. Viele Leute laufen dort entlang – Leute mit Tüten, entspannte Leute, Leute, die gerne Geld ausgeben – weshalb heitere Straßenmusikanten an dieser Stelle überdurchschnittlich gut verdienen.

Gegen Mittag beginnt immer die erste Schicht, meist macht die rumänische Folkloregruppe den Anfang: drei arhythmische Kinder, die ein Tamburin schlagen und sekündlich „Hey!“ rufen, während sie vom klagenden Gesang üppig gewandeter Erwachsener begleitet werden; ihr Vortrag erinnert unverkennbar an einen stimmbrüchigen Knabenchor, der in Reißzwecken getreten ist.

Die Folkloregruppe geht in aller Regel nahtlos in eine anatolische Oboen-Kombo über; manchmal bemerke ich den Wechsel kaum, so ähnlich sind die Gruppen sich – obwohl: Die Oboen sind deutlich vorwurfsvoller, sie erzählen in weinerlichem Singsang vom entbehrungsreichen Leben vereinsamter Ziegenhirten, von Mühsal und Mittellosigkeit und dem Unbill der Natur. Schon nach zehn Minuten bereiten sie den gleichen, den Schädel umklammernden Kopfschmerz wie der schneidige, kappadokische Wind, der durch das Tuffgestein von Göreme pfeift. Kann aber auch sein, dass ich nach dem Knabenchor schon etwas empfindlich bin. Mein Kollege reagiert auf die Oboen ausgesprochen sensibel, wirft krachend das Fenster zu und verharrt wahlweise embryonal auf seinem Drehstuhl oder verabschiedet sich, Verwünschungen schnaubend, in die vorgezogene Mittagspause.

Nach den Gruppen tritt oft ein altersloser Farbiger mit Klampfe an – vielleicht kennen Sie ihn: Er pendelt durch das ganze Ruhrgebiet, spielt mal in Essen, mal in Dortmund; er scheint einen beamtenhaften Stundenplan zu verfolgen, der sich an Schulferien, Markttagen und Schlussverkäufen orientiert. Er hat genau vier Lieder im Repertoire, darunter „La Bamba“, die er in Endlosschleife  und durch seinen Pidgin-haften Akzent derart verfremdet vorträgt, dass man schon nach dem ersten Refrain nicht mehr weiß, wie das Lied denn nochmal richtig geht. Dabei klingt er auf verblüffende Weise wie Kermit der Frosch, wenn er „It’s not easy being green“ singt.

Der vierte im Bunde ist der Schlangenbeschwörer – ein einzelner Mann mit seiner Sopranblockflöte, der mit dem Tatendrang eines im Morgengrauen geweckten Pubertanden Volksweisen vorträgt. Teilnahmslos bepustet er sein Instrument, rutscht zwischendrin aus, klammert sich an den nächsten Ton, pustet weiter und landet bei einem der folgenden Fehltritte unweigerlich in einem Medley aus „Ein Männlein steht im Walde“ und diffusem, selbst kompiniertem Liedgut, dessen Schöpfungshöhe kaum die Genialität vernehmlichen Ausatmens übersteigt.

An guten Tagen tritt danach – oder auch zwischendrin – als unangefochtener Höhepunkt die singende Säge auf, ein älterer Herr, der, auf einem Schemel sitzend, mit einem Violinbogen einen Fuchsschwanz beackert. Die Wirkung des Instruments entspricht ungefähr der des kappadokischen Windes – die Säge verfügt jedoch über einen deutlich höheren, auch visuellen Wirkungsgrad: Bereits während der ersten Streiche über das Sägeblatt erscheinen vor den Augen der Zuhörer mehrfarbige, Windows-98-artige Bildschirmschonereffekte.

Die Vorträge dauern jeweils dreißig Minuten; sie dürfen gar nicht länger dauern, andernfalls schreitet das Ordnungsamt ein. Es sind allerdings dreißig unterschiedlich lange Minuten; die halbe Stunde, in der die singende Säge spielt, dauert insgesamt rund so lang wie ein WM-Halbfinale – mit Verlängerung und Elfmeterschießen.

Passanten, die die Musikanten zum ersten Mal und jeweils nur für den Augenblick des Vorbeigehens hören, reagieren zu meinem Verdruss ausgesprochen freudig auf die Darbietungen. Die Münzen sitzen locker, das Geschäft ist auskömmlich. Diese Freigiebigkeit setzt bei den Musikanten einen Kreislauf in Gang: Sie spielen, durch die Zuwendungen in ihrem Tun bestätigt, nicht nur mit gesteigerter Inbrunst, sondern kehren über den Tag hinweg gerne noch einmal zur sprudelnden Geldquelle zurück.

Vierhundert Meter die Straße runter treten übrigens ausschließlich Pantomimen auf.

Ich habe eine neue Kamera: eine Panasonic Lumix LX-7. Deshalb nun: das Wochenende in Bildern. Mit dabei: Gartencontent. Den gab’s schließlich seit mindestens einer Woche nicht mehr.

Thorstomaten unter Markise

Thorstomaten unter Markise

 

Rotweinkuchen - gutwetterverziert

Dazu: Rotweinkuchen (nur echt mit Sommerdeko)

 

Sonnenblume

Neu im Garten: Sonnenblume im Wildblumenfeld

 

Kürbisbaby

Daneben: das erste überlebende Kürbisbaby 

 

Zucchini, erlegt

Zucchini, erlegt

 

Lavendel mit Biene

Lavendel mit Biene

 

Der Tisch nach dem Grillen

Neben dem Lavendel: die Grilltafel. Mit Zeugs aus dem Garten.

 

Malve im Regen

Nach dem Essen: Regen

 

Twitter-Lieblinge 07/2014:

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Es gibt mal wieder ein paar Link- und Lesetipps:

Im Bestatterblog geht’s um Benehmen im Hotel.

Herr Hibbe macht zu: Henning Sußebach schreibt darüber, wie ein Neustadt am Rübenberge ein Kaufhaus schließt und warum ein Onlinehändler aus Zürich Erfolg hat.

Astronaut Alexander Gert (@astro_alex) hat dem Mutzelchen geschrieben.

Frau Gminggmangg hat Kinder, Mann und Hund in den Gefährten gepackt und ist wieder auf der Reise. Drei Monate lang wird sie unterwegs sein. Bislang ging es von der Schweiz über Italien und Kroatien nach Bosnien-Herzegowina. Der beeindruckendste Bericht für mich bislang, wie Gaga vom Balkankrieg erzählt.

Wie viel Prozent einer Filmcrew ist weiblich?

Den Bananen dieser Welt geht es gar nicht mal so gut.

Gesa hatte mehrere Wochen lang Mustafa zu Gast, einen afghanischen Jungen, der in Deutschland im Herzen operiert wurde. Was sie mit Mustafa erlebt hat, können Sie bei ihr nachlesen. Bei „Was machen die da?“ gibt es eine Zusammenfassung.

Zwei Seiten eines Selfies im Konzentrationslager Auschwitz.

Wer steckt hinter Flightradar24?

Paulus Müller wird in der Händematte erschreckt.

Seit 17 Jahren wird Lego an die Küste Cornwalls gespült. Warum das so ist. Es gibt auch eine Facebook-Seite dazu.



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