Raus. Weg.
Fort fliegen, in die Ferne, dorthin, wo es warm ist. Wo die Sonne unter die Haut kriecht, wo ich fern bin von allem. Das musste nochmal sein zum Ende dieses Jahres. Das ging nicht anders.
Als ich das erste Mal Weihnachten in Warmen verbrachte, war es eine Offenbarung. Das schlichte Erleben, dass es geht; dass es im Dezember nicht kalt sein muss. Dass man am Strand sitzen kann, und dass Weihnachten trotzdem passiert.
Es klingt banal. Denn natürlich, es ist ja logisch, man kennt aus dem Fernsehen, dass es das gibt, dass es Orte gibt – in Australien zum Beispiel -, an denen es an Weihnachten warm ist und sowieso: In der Theorie weiß man das. Aber es selbst praktizieren – das hatte etwas Erhellendes. Etwas von „Es geht auch anders“ und „Das Leben muss gar nicht so“.
Ist es nicht oft so? Die erfreulichsten Veränderungen sind kleine Schritte. Einfach mal etwas in die Tat umsetzen, was augenfällig ist.
Dieses Jahr habe ich zum zweiten Mal Weihnachten im Warmen verbracht. Wegen weg sein. Wegen Abstand. Weil das Leben nicht so muss.
Weihnachten – das Fest der Einkehr und Besinnlichkeit. Ironischerweise bin ich am besinnlichsten, je weiter ich von Weihnachten weg bin, vom klassischen Weihnachten, vom Tannenbaum und vom Schweinebraten. Am besinnlichsten und am nächsten bei mir bin ich, wenn ich unterwegs bin, in den Bergen, irgendwo zwischen Höhenmeter null und tausend, auf einem Weg über Felsen, einen Abgrund entlang, einen Gipfel hinauf. Mal zügig und leichtfüßig, mal schwitzend und keuchend, mal abwärts tastend, kraxelnd.
Es ist jedesmal dasselbe: Die erste Wanderung ist mühevoll. Es fehlt an allem: an Kraft, an Atem, an geistiger Stärke. Dabei ist die erste Tour immer eine leichte; nur ein paar Kilometer, 200 oder 300 Höhenmeter, drei Stunden vielleicht. Doch sie quält. Sie quält alles Beschwerliche aus mir heraus, ich schleppe alle Lasten auf den Berg, die ich in mir trage, bin träge.
Indes, je öfter ich die Schuhe schnüre, je weiter ich laufe, je höher ich steige, desto leichter wird mein Schritt, desto geringer verspüre ich Anstrengung – obwohl jede Tour schwieriger ist als die vorangegangene. Es scheint: Je größer die körperliche Anstrengung wird, desto geringer wiegt die seelische.
Wenn ich auf dem Weg bin, denke ich sehr wenig. Niemals bin ich ruhender, als wenn ich laufe. Niemals ist mein Kopf mehr im Hier und Jetzt, als wenn ich in kleinen Schritten die Serpentinen ersteige, wenn ich um eine Ecke biege und sich das Panorama öffnet, wenn ich auf dem Gipfel stehe und ins Tal hinabschaue und zum Schluss zum Ausgangspunkt zurückkehre und weiß, dass ich es geschafft habe.
Aber nicht nur die Anstrengung fällt mit der Zeit leichter, auch das Erholen. Es ist, als komme der Geist nach einigen Tagen bei sich selbst an, als könne er, der sonst nie ruht, sich plötzlich selbst genug sein; erst dann geht es: dasitzen, ins Tal hinabblicken und zufrieden sein. Dann denke ich: So sollte es immer sein – sinnlich und sinnhaft.
Und dann bleiben auch immer das Staunen und die Ehrfurcht. Wie groß die Natur ist. Wie hoch die Berge. Wie tief die Täler. Wie unfassbar schön. Was man meint, schon hundertmal gesehen zu haben, eröffnet sich den Augen und dem Herzen mit jeder Unternehmung von Neuem, ist erhabener und unfassbarer als in jeder Vorstellung, erscheint wunderbarer als am Tag zuvor, obwohl es doch wieder nur Felsen sind – Berge, Täler.
Nur: Bald schon geht der Flug wieder heim, fort aus der Freiheit, zurück in den Alltag, hinein in die Arbeit.
Es bleiben die Bilder und etwas Sonnenbräune – und mit ein wenig Bemühen für einige Tage ein Gefühl der Besinnlichkeit, gestippt in frische Erinnerungen.














