Lesetipps fürs besinnliche dritte Adventswochenende:
Juliane Schiemenz darüber, wie sie ihren demenzkranken Vater ins Pflegeheim fährt:
«Na, das war ja grad ein Panzer! Donnerwetter! Fahr schön langsam, Trinchen!» Trine, mein Spitzname. Schon immer. Trinchen, wenn ich lieb war, Trine Sauerbier, wenn ich schmollte. «Trinchen, darf ich noch Trinchen sagen?», fragst du.
Du zerrst an deinem Gurt und schnallst dich ab, zum Glück ist die Kindersicherung aktiviert. Ich beuge mich über dich und hantiere am Gurt herum, du herrschst mich an: «Guck auf die Strasse! Fahr langsamer!» Du wirst unruhig, boxt gegen den Vordersitz, ziehst und drückst den Knopf in der Tür, Knopf rauf, Knopf runter. «An der Tür sind die Luftkrallen angeschraubt, dann rasieren sie das trocken», brabbelst du.
Der Schlussatz (des Textes, nicht des Zitats) ist mir etwas zu pathetisch, ansonsten finde ich ihn sehr eindrücklich. Besonders die Zerrissenheit kommt gut rüber. Traurig, aber auch Mut machend.
Er erinnert mich an die berührende Dokumentation „Der Tag, der in der Handtasche verschwand„, in der die Regisseurin Marion Kainz in einem Duisburger Altenheim Eva Mauerhoff begleitet. Der Film ist zurecht mehrfach preisgekrönt.
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Veronica Frenzel über eine schwangere Frau, die in der Schwangerschaft erfährt, dass ihr Kind wahrscheinlich behindert sein wird:
Drei Tage später bestätigt die Genetikerin die Diagnose Turner-Syndrom. Das Kind werde mit größter Wahrscheinlichkeit bald sterben. Sie rät zur Abtreibung. Julia Allers wird wütend. „Wenn mein Kind sowieso stirbt, wieso sollte ich es abtreiben?“ Es sei eine große Belastung, ein Kind auszutragen in dem Wissen, dass es sterben wird, erwidert die Genetikerin.
Das Kind ist ein Mädchen und inzwischen ein Jahr alt. Es muss noch ein paarmal operiert werden. Danach wird es voraussichtlich ein Leben ohne großartige gesundheitliche Beeinträchtigungen führen.
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Stefan Krauth schreibt über den Tod seines Sohnes:
Auf einem Heizkörper sitzend, führte ein junger Arzt eine weitere Anamnese durch. „Wurde Emil bis zum Tod seiner Mutter gestillt?“ Ja, und danach auch, er wurde von vier verschiedenen Frauen gestillt. Und in der Nacht des Todes seiner Mutter hatte ich gelernt, Emil das Fläschchen zuzubereiten.
Emil starb ebenso wie seine Mutter an einem Hirntumor.
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Raul Krauthausen hat die Glasknochenkrankheit und erzählt ganz unaufgeregt vom Behindertsein und -werden:
Ich darf keinen Bausparvertrag abschließen, keine Lebensversicherung, keine Altersvorsorge betreiben außer Riester, die sich nicht lohnt, weil ich nicht weiß, ob ich bis 67 arbeiten kann. Erben darf ich auch nicht, das kassiert das Sozialamt. Wenn ich heiraten würde, würde das Geld meiner Frau eingezogen werden. Ich bin eine tickende Bombe für jede Frau. […] Aber: Ich bringe der Volkswirtschaft mehr, als ich koste. Ich habe das mal spaßeshalber mit meinem Steuerberater ausgerechnet. Nur dadurch, dass ich morgens aufgestanden werde, kann ich zur Arbeit bei Sozialhelden kommen. Dort habe ich acht Arbeitsplätze geschaffen, die nichts mit meiner Behinderung zu tun haben.
Ich halte die aktuellen Regelungen, so wie Raul sie an seinem Beispiel beschreibt, für ziemlich skandalös. Es geht in dem Interview aber nicht nur um Geld und Probleme. Er erzählt von seinem Aufwachsen, seiner Ausbildungszeit und seinem Rollstuhl, der rennen kann. Sehr entspannend finde ich den Ton des Interviews, der vor allem einfach mal nur freundlich ist. Sowas mag ich.
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Schauen Sie sich zum Schluss gerne dieses kurze, anderthalbminütige Video an. Da fährt ein Typ auf Skiern durch ein enges Dings. Der Mann heißt Cody Townsend, das Dings ist in den Tordrillo Mountains in Alaska und nur 1,80 Meter breit. Ich habe mit Skifahren nix am Hut, aber das ist schon ganz beeindruckend:
Kommentare
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Danke für die tollen Link-Sammlungen immer!
Auf den Text über Emil hatte ich auf Zeit Online schon gewartet, aber gedacht, dass er nicht mehr online gestellt wird.
Vielen Dank für die Linksammlung. Ich habe tatsächlich alle Artikel gelesen und sie waren auf ihre eigene Art und Weise sehr interessant. Der Artikel über Emil blieb allerdings am meisten hängen. Er rührte mich sehr zu Tränen und jeder einzelne Satz schlug emotional wie eine Bombe ein.
Ja, der Text von Emil ist heftig. Vor allem, wenn man daran denkt, dass der Autor schon seine Frau verloren hat.
Uff.Ach.
Schwere Kost.Aber auch jeder Text sehr besonders,der im Schlechten noch etwas Gutes sucht.