Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Derzeit wird allerorten gebacken. Auf Instagram vergeht kein Tag, an dem man nicht völlig zugebacken wird. Man gerät regelrecht unter Zugzwang. Außerdem: Dieses Kerzenlicht überall. Und die Kälte. Da verlangt’s nach Gebäck.

Ich bin nur ein mäßiger Keksesser. Vereinzelt lachen Menschen jetzt laut auf, doch tatsächlich: Ich mag nur ausgesuchte Kekse – alles, was annähernd staubtrocken ist, eher nicht. Auch nichts, was in Richtung Florentiner geht oder Kirsche hat oder zu süß oder zu hart ist. Kokos geht auch ganz schlecht, ebenso alles, was irgendwie blättert. Diejenigen Sorten, die ich mag, mag ich allerdings innig, so dass bisweilen ein verzerrtes, überschätztes Bild von meiner Gesamtkeksleidenschaft entsteht.

Eine Kekssorte, die zu dieser Verzerrung beiträgt, sind selbst gebackene Busserl.

Kekse mit Marmelade

Ich möchte zu diesen Keksen, die zur Weihnachtszeit gar nicht Kekse heißen, sondern Plätzchen, weshalb ich auch niemals Kekse, sondern Plätzchen backe – zu diesen Plätzchen möchte ich gar nicht viel sagen. Backen Sie sie einfach nach. Dann wissen Sie, was ich meine.

Die Zutaten:
125g Butter
1 Tasse Puderzucker
1 Päckchen Vanillezucker
1 Teelöffel Zitronensaft
3 Eigelb
2 Tassen Mehl
Kakao nach Geschmack
Gelee

Alles mit Knethaken vermengen, zum Schluss die Hände zu Hilfe nehmen. Den Kakao kann man hinzufügen oder weglassen. Ich mag die Busserl gerne mit.

Zwei Teigrollen formen und mindestens 30 Minuten lang in den Kühlschrank legen. Die Rollen können einen Tag lang dort verweilen, falls man in Etappen backen möchte. Zum Weiterverarbeiten Kugeln formen, ein Loch reindrücken, Gelee reinfüllen (ich nehme Himbeer oder Johannisbeer) und backen: 160 Grad, 15 Minuten.

Am besten schmecken sie, wenn sie noch leicht warm und ein bisschen klätschig sind.

Die Besucher der Außenterrasse kennen sie schon: die Handwerker-Soap.

Alle anderen möchte ich an dieser Stelle auf dieses feine Stück Twitteratur meiner Mitgärtnerin Pia hinweisen. Sie hatte in den vergangenen Wochen Handwerker zu Gast, die ihr Dach und Fassade gerichtet haben – und ihr in härtestem rheinhessischen Dialekt Vorlagen für eine Karriere als Dialekt-Twitterin lieferten.

Ich habe das Ganze in fünf handlichen Häppchen für Sie zusammengefasst:

Akt 1: „Tach! Mir wolle des Gerüst uffbaue!“
Schaffe, schaffe, Gewebe uffbringe – die Soap beginnt.

Akt 2: „Heit bringe mer noch Putz auf!“
Ob’s regnet oder nicht: Maler und Maurer kommen zur Schicht.

Akt 3: „Macht nix! Krieche mer hin!“
Erste Schwierigkeiten, ungeklärte Fragen zur Dampfsperrfolie und ein verstopftes Klo.

Akt 4: „Alla. Dann rede mer mol, was zu redde is.“
Der Tag, als plötzlich die Farbe vom Haus lief.

Akt 5: „Alla. Tschüss.“
Letzte Handgriffe. Quasi im Vorbeifahren. Und natürlich die Rechnung.

Alla. Viel Spaß beim Lesen!

Da stehen sie nun wieder an den Buden, klebrige Tassen in der Hand, Bommelmützen auf dem Kopf und saufen Glühwein.

Eigentlich mag niemand Glühwein. Oder hat man jemals zu Hause auf dem Sofa gesessen und gesagt: „Jetzt’n Glühwein?“ Nein, hat man nicht, will man auch nicht. Glühwein ist fies, so richtig fies, Glühwein rollt die Zehennägel auf, selbst türkische Sirupklumpen sind ein feines Stück Obst gegen die abartige Süße von Glühwein.

Trotzdem trinken ihn alle, es gibt keine Ausrede, außer man muss noch Auto fahren, aber „Komm! Einer geht!“, einer muss gehen, „für den Geschmack“. Doch gerade für den Geschmack möchte man ja eben nicht. Weil aber alle eigentlich nicht wollen und Glühwein nur trinken, weil sie auf dem Weihnachtsmarkt stehen, weil das dort so muss, weil auch „Last Christmas“ und „Jingle Bells“ müssen, obwohl es allen aus den Ohren blutet – weil also alle leiden, darf sich niemand verweigern. Außer für einen Lumumba. Es ist ein sozialistisches Gewürzwein-Kollektiv, wir sind gleichgeschaltete Glühwein-Genossen, niemand darf es besser haben als der andere.

Ist die Tasse leer, geht einer vor, steht fünfzehn Minuten an, holt neue Tassen mit neuem Glühwein. Ohne die Pfandmarken einzulösen, von deren Wert man Kleinwagen kaufen kann. Glühwein dreifuffzich, drei Euro Pfand auf die Tasse, macht siebenfuffzich pro Becher. Wer am Ende die Tassen zurückbringt, ist niemals der, der auch die Pfandmarken hat, wer hatte die überhaupt jemals? Ach, der Thomas, der ist aber schon weg. Tanja und Tina stecken ihre Motivtassen sowieso in die Handtasche, wo sie als klebriger Keramik-Magnet vier verlorene Haargummis wiederfinden.

So ist der Glühwein also doch für etwas gut. Man hat am Ende eine Tasse, hässlich wie Nacht, die man nutzen kann, um Öl abzulassen und Schrauben zu verwahren. Und man hat vier neue Haargummis.

Noch zwei Jahre, hatten sie gesagt. Perfide präzise kommt der Tod nun. Schickt ein paar Metastasen vorbei, die ihr sagen: Die letzte Reise beginnt – bitte einsteigen, die nächste Fahrt geht vorwärts.

Es ist Juni. Seit drei Wochen ist sie im Hospiz. Oder seit vier? Ich sehe in den Kalender: Es sind erst zwei Wochen. Die Zeit verfliegt, und doch dehnt sie sich. Jede Stunde mit ihr ist Freude, Staunen, Wagnis und Traurigkeit in einem einzigen Moment. Und Furcht.

Sie isst jetzt am liebsten M&Ms. An manchen Tagen sind sie das einzige, was sie isst. Mit spitzen Fingern greift sie nach einer Nuss, legt sie sich in den Mund, zerbeißt sie. Dann nimmt sie ihre Schnabeltasse. Trinkt. Sie ist 57 Jahre alt. Jede Woche altert sie um ein Jahrzehnt.

Es wird Juli. Es ist heiß draußen.

Ich höre ihr zu, obwohl ich sie oft nicht verstehe. Der Krebs, er verwäscht ihre Sprache. Dabei möchte ich jedes ihrer Worte hören, es festhalten, in der Hand halten, keines verpassen, es verwahren, es streicheln und niemals loslassen. Doch ihre Sätze gleiten dahin, zaghaft, leise, ein Hauch – und sind fort.

Wovor fürchte ich mich? Ist es überhaupt Furcht, die ich empfinde? Oder ist es eher Fassungslosigkeit darüber, mit welcher Wucht der Tod kommt? Wie unbeirrt er sie aussaugt. Wie er Tag für Tag etwas von ihr mitnimmt – ihre Mimik, ihre Gestik, die Art und Weise, wie sie spricht, wie sie atmet.

Tage verstreichen. Und doch bleibt die Zeit vage. Ein Pfleger spritzt ihr Morphium in den Oberschenkel. Sie drückt meine Hand zu Mus.

Jeder Morgen, jeder Abend ein neues Befinden. Bei ihr. Bei uns. Natürlich wusste ich: Wenn die Metastasen da sind, auch wenn ich vorbereitet bin, wird es schlimm werden, werde ich hilflos sein. Aber ich bin nicht vorbereitet auf die Tiefe meiner Hilflosigkeit, auf die Schnelligkeit, mit der ein Mensch schwinden kann, auf die Leere und Stille in meinem Innern, die gleichzeitig so prall, so allumfassend, so voll und laut ist.

Ich weine nicht viel in dieser Zeit und wenn, dann nur kurz. Ein lautloses Seufzen, zwei Tränen vor dem Einschlafen, die es kaum die Wange hinab schaffen. Mein Inneres ist grau und stumpf.

Abends. Ich habe den tiefen Wunsch, dass die Zeit stillstehen möge. Möchte jede Minute mit ihr genießen – und habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich zu müde, zu fahrig bin; wenn ich fortlaufen möchte, wenn ich schreien möchte und nicht kann.

Liege ich im Bett, sehe ich Bilder von ihr. Als Blitzlichter tauchen sie vor meinem Auge auf. Wie sie auf dem Sofa sitzt. Wie sie in ihrer Küche steht. Wie sie spazieren geht. Ihre Bewegungen, der wiegende Gang. Wie sie ihre Hände hält. Wie sie ihre Enkel herzt. Ich höre sie sprechen – keine bestimmten Worte, nur den Tonfall. Ihr Lachen.

Ich sage mir: Du beginnst schon zu trauern, eh dass sie tot ist.

Der letzte Tag. Ich denke: Nein. Nein, nein, nein. Das kann nicht sein. Nicht so schnell. Wie kann man so schnell sterben, in nur 20 Minuten? Gestern war doch noch alles gut. Selbst heute Morgen war noch alles gut. So gut es eben sein kann. Aber doch, ja: gut.

Ich trete zu ihr und streichle ihren Arm. Ihre Haut ist weich, warm, wie immer. Aber ihr Gesicht ist verlassen. Sie ist fort.

Wir haben den ganzen Nachmittag mit ihr. Können sie streicheln. Können sie betrachten. Können verstehen. Zwischendurch sitzen wir im Garten. Die Menschen vom Hospiz, sie kommen dazu, herzen uns, plaudern – und scherzen. Sie arbeiten für die Lebenden.

Ich bin dankbar, jetzt, hier. Dass ich sie begleiten durfte.
Ich bin glücklich. Dass wir sie hatten.

Am Abend rufen wir den Bestatter.
„Möchtest du zusehen, wie er sie einpackt?“
„Ja“, sage ich.

Der nächste Tag. Abends kommen die Handballmädels. Ich habe überlegt, sie auszuladen, alle fortzuschicken, um alleine zu sein, um zu trauern. Aber das Leben fährt nur vorwärts, und es tut mir gut, die Mädels nah bei mir zu haben. Auch wenn ich weit weg von ihnen bin.

Anfang August. Als wir sie zu Grabe tragen, lassen wir Luftballons steigen, rote, in Herzform. Wer möchte, darf einen Zettel dranhängen und ihr eine Botschaft darauf schreiben. Mein Luftballon hat keinen Zettel. Es ist alles gesagt.

Die Sonne scheint. In den Bäumen rauscht der Wind. Ich lasse den Ballon los.

 **

Dies ist ein gekürzter Text. Den ungekürzten Text lesen Sie – gemeinsam mit Beiträgen vieler anderer AutorInnen – im E-Book „1000 Tode schreiben„. Das Buch ist in einer ersten Version heute im Frohmann Verlag erschienen. Es wird in den kommenden Tagen in allen eBook-Stores erhältlich sein. 

Mein Autorenhonorar geht wie alle Honorare und der Herausgeberanteil als Spende an das Kindersterbehospiz „Sonnenhof“ in Berlin-Pankow.

Sehr dankbar für eine Spende ist auch „ihr“ Hospiz – das Hospiz „Mutter Teresa“ in Iserlohn-Letmathe (Konto-Nr. 180 56 994, Sparkasse Iserlohn, BLZ: 445 500 45).

Twitter-Lieblinge 11/2014:

https://twitter.com/Larenzow/status/528313429120258048

https://twitter.com/larsreineke/status/529204531843043328

https://twitter.com/ramses101/status/531112527510654978

https://twitter.com/Kipp_Dotter/status/532449791352262656

https://twitter.com/Weltregierung/status/533272352248049665

https://twitter.com/Wirreszeug/status/533285380251193344

https://twitter.com/giardino/status/536192386603708417

https://twitter.com/_magicbird_/status/536563911974486016

https://twitter.com/jangronenthal/status/536938046630137856

https://twitter.com/die_jule84/status/537606150372753408

https://twitter.com/peterbreuer/status/538016119408566273

Das ist Max Mustermann:

… ))//((
.‹(◕ ¿ ◕)›
…◟ – ◞
…╚°╝

Max arbeitet in einer großen Firma. Die Firma hat zehn Abteilungen und sechs Dependancen in ganz Deutschland. Jede dieser zehn Abteilungen hat eine Abteilungsleiterin. Die Dependancen haben ebenfalls je eine Leiterin.

Max‘ Firma verändert sich ständig. Abteilungen fusionieren oder werden neu geschaffen. Personal kommt und geht. Alle zwei Monate steht eine neue Personalie im Intranet, darunter die Bitte der Geschäftsführerin, „die neue Kollegin bei ihren Aufgaben zu unterstützen“.

Max kommt es komisch vor, dass das alles Frauen sind; die Abteilungsleiterinnen, die Leiterinnen der Dependancen, alle Leute, die nachkommen und etwas zu sagen haben. Bei Abteilungen wie dem Marketing oder dem Kundenmanagement kann er das noch verstehen. Dort arbeiten in der Mehrheit Frauen. Aber in der Logistik sind die Männer sogar leicht in der Überzahl. In der Produktion und Materialentwicklung arbeiten fast nur männliche Kollegen. Sie werden trotzdem von einer Frau geführt.

Max hält sich selbst für recht fähig. Er ist mittlerweile in einem Alter, in dem viele der Frauen aus seinem Umfeld schon eine Stufe aufgestiegen sind. Er hat studiert, hat Fachwissen aus inzwischen drei beruflichen Stationen. Aber Karrierechancen? Er fragt sich, ob er nochmal die Firma wechseln soll. Doch er sieht bei seinen Kumpels: Auch sie sind auf der Suche nach neuen Stellen, möchten sich beruflich weiterentwickeln – aber es ist schwierig. Und das, obwohl auch sie studiert haben, obwohl sie seit Jahren erfolgreich im Berufsleben stehen und es genug offene Stellen gibt. Doch seit sie 30 sind, werden sie nur noch selten eingeladen und bekommen dann später mit, dass eine Frau den Job gekriegt hat.

Er fragt sich, ob er das Thema „Karriere“ mal intern ansprechen soll. Er macht sich lange Gedanken über die Wortwahl und tut es dann in seinem nächsten Personalentwicklungsgespräch. Seine Personalleiterin lehnt sich zurück und ist belustigt: „Sind Sie jetzt unter die Männerrechtler gegangen, Herr Mustermann?“ Dann, ernster: „Eins müssen Sie wissen: Bei uns gibt es keine Quotierung. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Wir gehen einzig und allein danach, wer am besten auf die Stelle passt.“ Sie beugt sich vor. „Oder wollen Sie damit andeuten, dass Sie meinen Job besser können?“

Max ist sauer. Darum geht es ihm schließlich nicht. Er wird in Feedbackgesprächen stets gelobt, fachlich und als Teamleiter, seinen Kunden sind zufrieden, seinen Kennzahlen sind sehr gut – aber das ist es dann auch gewesen.

Dass gute Leistungen allein nicht ausreichen, ist ihm mittlerweile klar. Die Damen und ihre Stellvertreterinnen treffen sich regelmäßig im Hof oder zum Mittagessen. Networking! Er bemüht sich schon länger, Anschluss zu finden, hat aber das Gefühl, dass er nicht so richtig reinkommt, in diese Klübchen. Ganz amüsant findet Max in diesem Zusammenhang Ratgeber-Artikel wie: „Männer in der Karrierefalle: Es liegt nicht nur an den Frauen.“ Darin steht, wie er sich weiblicher verhalten kann, angefangen bei der Wahl seiner Kleidung, dass er  das Haar offen tragen soll und insgesamt kommunikativer und weicher, weniger männlich-aggressiv wirken muss. „Passen Sie sich optisch und kommunikativ an und nutzen Sie die Gelegenheit, sich im Smalltalk darzustellen!“ Er hat sich die Haare ein Stück wachsen lassen und rosa Hemden angezogen. Aber das ist nicht er. Er fühlt sich verkleidet und bekommt zudem langsam Geheimratsecken. Außerdem: Wenn er bei seinen Chefinnen und Kolleginnen steht und versucht, an ihre Gespräche anzuknüpfen – nee, das klappt irgendwie nicht. Er merkt selbst, dass die Gespräche dann stocken. Einmal hört er im Weggehen, wie seine Vorgesetzte ihn als „überambitioniert“ charakterisiert.

Auf einer der letzten Partys hat Max sich mit einer Bekannten unterhalten. Sie arbeitet als Personalleiterin. Nach dem dritten Glas Wein meinte sie: „Ganz ehrlich, Max? Wir stellen in der mittleren und höheren Führungsebene nur ganz selten Männer ein. Wenn sie zwischen 30 und 45 sind, planen viele Männer Familie, wollen ein Haus bauen, handwerken ständig, das ganze Zeug. Damit sind die erfahrungsgemäß ausgelastet und nicht mehr belastbar. Seit es die Elternzeitregelung gibt, sind die meisten oftmals für mehrere Monate komplett raus. Ich hatte mal einen Typen, der innerhalb von drei Jahren zwei Kinder gezeugt hat. Parallel hat er dieses alte Zechenhaus renoviert. Okay, seine Frau hat ihm zwar viel unter die Arme gegriffen, aber seither stelle ich eigentlich grundsätzlich keine Männer mehr ein.“ Sie macht eine Pause. Dann ergänzt sie: „Meistens passt es auch einfach nicht. Vom Persönlichen her. So ein Team muss ja auch stimmig sein.“

Als in den Nachrichten kommt, dass es 2016 eine gesetzliche Männerquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte geben werde, ist Max einerseits erfreut. Er findet eine Männerquote zwar befremdlich, aber er hat in den vergangenen Jahren immer mehr den Eindruck gewonnen: Von alleine wird sich nichts bewegen. Erst gestern wurde er in größerer Runde wieder vorgestellt als „Herr Mustermann, unser Junge für alles“, dabei hat er einen festgelegten Aufgabenbereich. Andererseits: Was wird ihm persönlich diese Männerquote nützen? Sein Unternehmen ist keine AG, und Aufsichtsratmitglied wird er auch nicht werden.

Die Führungsfrauen reagieren mit  Zoten und Zorn auf die Nachricht. „Sehen wir’s positiv: Es gibt Frischfleisch!“, hört er die Leiterin Kundenmanagement im Hof sagen. Die Geschäftsführerin sagt der Lokalpresse auf Anfrage: Jetzt könnten wir nicht mehr nach Qualifikation einstellen; jetzt müssten wir auch diejenigen berücksichtigen, die sich nicht 100 Prozent fürs Unternehmen einsetzen werden.

Für Max klingt es kurios, wenn er hört, Männer wollten sich nicht einsetzen, sondern Familie und Handwerken – gerade wenn er an seine Kumpels denkt: Max2 ist ein kreativer Kopf, er ist ohnehin Single, er möchte in seiner Firma etwas bewegen; Max3 konzentriert sich ebenfalls auf seinen Job, er hätte zwar gerne Nachwuchs, ist aber zeugungsunfähig;  die Frau von Max4 ist gerade im Key Account aufgestiegen und will sich erstmal, O-Ton, „kein Kind ans Bein binden“. Max5 ist seit sechs Jahren verheiratet, aber schwul und hätte zwar gerne ein Kind, aber es ist kompliziert;  Max6 hat zwei Kinder und war jeweils nur vier Monate in Elternzeit – er und seine Frau teilen sich die Familienarbeit, doch auch er kommt seit der Geburt der Jüngsten nicht voran.

Alle seine Kumpels sind genervt. Denn in den Nachrichten wird – parallel zur Männerquote – die Berichterstattung über die demographische Entwicklung rauf und runter gespielt: „Männer im Zeugungsstreik! Deutsche Männer zeugen im Durchschnitt nur noch 1,3 Kinder.“ Es heißt, Männer wollten alles auf einmal (wie die Frauen vielleicht?), Männer wollten nur Karriere (haha!), ihre Kinder schieben sie ab (haben die keine Mutter?).

Max wird zunehmend zynischer. Er kapiert’s auch nicht mehr. Soll er nun Kinder zeugen oder nicht? Zeugt er welche, ist er im Job der letzte Honk. Zeugt er keine, muss er sich als Egoist und Rentenschmarotzer anpöbeln lassen – und beruflich geht’s trotzdem nicht weiter. Außerdem: Wenn, dann wollen ja wohl die Frauen nicht! Siehe Max4, der Mann der Key-Accounterin. Oder die Männer dürfen nicht – wie der schwule Max5. Oder sie wollen, können aber nicht (Max3, die arme Sau, bei ihm bewegt sich kein einziges Spermium). Oder … Max selbst hätte gerne Kinder, seine Frau auch. Doch bei der nächsten Umstrukturierung wird wohl seine Abteilung drankommen. Er weiß: Zeugt er jetzt ein Kind, darf er danach nur noch die Briefmarken in der Poststelle anlecken.

Aber vielleicht macht er es einfach, jetzt oder nie. Seine Frau ist Geschäftsführerin dreier Altenheime. Finanziell wäre es drin. Nach der Elternzeit geht er auf Teilzeit. Oder arbeitet freiberuflich – seine Karriere wird es kaum schmälern. Seine Frau kann eh nur zwei Monate zu Hause bleiben. Bei den meisten seiner Kollegen läuft es irgendwann so. Die Klischeefalle eben.

Klischee oder nicht, ihm ist es inzwischen egal, er schmiedet eigene Pläne. Gleich geht er mit seinen Kumpels einen trinken. Dann bequatschen sie ihre Idee: „Magazin M“, ein Web-Portal für Männerthemen. Sollen die Weiber doch machen, was sie wollen.

Leseempfehlungen:

Benjamin von Stuckrad-Barre darüber, keinen Alkohol (mehr) zu trinken:

Der Reiz der sich permanent wiederholenden, nur in Nuancen das bereits Gesagte variierenden Ausführungen erschließt sich dem Nüchternen nicht, sein Widerspruchsimpuls ist von naiver Ungeduld: Aber das wurde doch längst festgestellt, so weit waren wir doch schon! Ein typisches Betrunkenengespräch ist schließlich gebaut wie ein Meisterwerk der klassischen Musik, mit mal sich entfernenden, dann wieder annähernden Umkreisungen eines Grundthemas – der Nüchterne aber denkt, die Platte habe einen Sprung.

Man muss nicht Alkoholiker sein, um nichts zu trinken. Ich trinke öfter mal nichts; mir macht es nichts aus, an einem Abend die Fahrerin zu sein. Wenn ich Alkohol trinke, trinke ich mit Genuss. Egal ob Bier oder Wein, ich trinke dann, weil ich es mag, weil es mir schmeckt, nicht weil ich betrunken werden möchte. Ich verstehe diese Attitüde nicht, sich besaufen zu wollen.

Vielleicht liegt es daran, dass ich nur schwierig wirklich betrunken werde. Ich vertrage gut und bin ein kontrollierter Mensch. Diese Kombination führt praktisch nie zu alkoholischen Ausschweifungen. Selbst das Kicherkicher-Alles-ist-so-lustig-Stadium erreiche ich erst nach fünf Cocktails, danach schmeckt mir der Alkohol nicht mehr, und es ist automatisch Schluss. Deshalb habe ich auch nie einen Kater. Das ist ausgesprochen praktisch.

#

In die weite Welt hinaus: Schüler einer Berliner Schule haben geprobt, drei Wochen alleine zurecht zu kommen. Ganz alleine.

Wer wie sie in den Siebzigerjahren aufwuchs, kann rückblickend kaum fassen, wie er das überlebt hat. Fahrrad fuhr man ohne Helm, Autos hatten weder Gurte noch Airbags, Handy und GPS-Armbänder waren noch nicht erfunden und der Tagesablauf war nicht durch Yoga, Geige oder Hockey getaktet. Es war normal, dass Eltern nicht wussten, wo sich ihre Kinder herumtreiben.

Das Experiment, Kinder drei Wochen auf sich allein gestellt zu lassen, ist natürlich extrem. Ich habe mich aber letztens noch darüber unterhalten, wie wenig ich in meiner Kindheit unter der Beobachtung Erwachsener stand. Hatte es nicht geregnet, hat meine Mutter mich nach Mittagessen und Hausaufgaben auf die Straße geschickt. Waren grad keine anderen Kinder da, musste ich welche rausklingeln. Wir hatten spätestens ab der Grundschule einen Aktionsradius von sicher einem Kilometer in die eine und einem Kilometer in die andere Richtung, von „Kemper’s Hof“ bis zur Knochenbrecherbahn. Möglich, dass meine Mutter sich manchmal hinterm Baum versteckte und uns beobachtete – um sicher zu gehen. Aber wenn, dann habe ich das nie wahrgenommen. Mir wurde früh beigebracht, die Uhr zu lesen, und wenn die Zeiger gerade standen und der Kirchturm sechsmal schlug, war ich zu Hause.

#

 Eine ernsthafte Abhandlung darüber, wie Astronautinnen im All menstruieren:

However, given the low-gravity environment of space, some scientists wondered about the possibility of „retrograde menstruation,“ the backward flow of menstrual blood up into the fallopian tubes.

Zugegeben, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich bin halt auch keine Astronautin, insofern ist es kein drängendes Problem. Die Quintessenz des Artikels ist, das kann ich an dieser Stelle vorwegnehmen: so wie auf der Erde auch. Interessant fand ich die Fakten über Östrogene und den weiblichen Zyklus und ihrer beider Einfluss auf Dekompressions-Übelkeit.

Gelesen im Oktober und November:

Bücher im Oktober und November 2014

Marion Brasch. Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie.
Marion Brasch wurde 1961 in Berlin geboren. Ihr Eltern lernten sich im Exil in London kennen, ziehen dann nach Ostberlin. Der Vater möchte seine kommunistischen Ideale verwirklichen. Er bekleidet fortan hohe Ämter in der DDR. Marion wächst gemeinsam mit ihren vier Brüdern auf. In dem Buch erzählt sie die Geschichte der Familie – nüchtern, aber nicht unemotional. Ein guter Einblick in ein Stück DDR. Gern gelesen.

Rolf Dobelli. Massimo Marini.
Seine Eltern schmuggeln ihn in einem Koffer in die Schweiz. Heimlich wächst Massimo auf, während sie sich als Gastarbeiter verdingen. Erst später kann sein Vater ein Bauunternehmen gründen. Als Massimo erwachsen ist, übernimmt er es und  wird zum Erbauer des Gotthard-Basistunnels. Das Buch ist eine kleine Perle: zufällig entdeckt und sehr genossen. Die Geschichte wird aus Sicht von Massimos Anwalt erzählt. Denn sie ist auch ein Kriminalstück. Sehr lesenswert.

David Guterson. Ed King.
(Deutsch von Georg Deggerich)
Walter lebt als Versicherungsmathematiker davon, Risiken zu berechnen. Als die minderjährige Diane als Au-pair in seinem Haushalt auftaucht, geht er das größte Risiko seines Lebens ein und beginnt eine Affäre mit ihr. Sie wird schwanger, erpresst Walter und setzt das Kind aus. Der Junge wächst bei wohlhabenden Menschen aus, die ihn Ed nennen. Ed wird Internet-Tycoon, „King of Search“. Die Story hat ihren Reiz, dennoch hat sie mich nicht richtig gepackt. Dafür bleiben die Figuren zu hölzern, auch Ed komme ich nicht richtig nah. Fazit: Kann man lesen, muss man nicht.

Asa Larsson. Denn die Gier wird euch verderben.
(Deutsch von Gabriele Haefs)
Eine alte Frau namens Sol-Britt wird in der Nähe Kirunas ermordet. Staatsanwältin Rebecka Martinsson und ihr Nachbar finden sie. Als sie und die Polizistin Anna-Maria Mella zu ermitteln beginnen, stoßen sie auf seltsame Vorkommnisse: In der Familie des Opfers sind überraschend viele Menschen verunglückt. Der Krimi ist gut konstruiert: Die Handlung in der Gegenwart wechselt sich mit einer Erzählung aus der Vergangenheit ab – dort, wo alles seinen Anfang nahm. Spannend und sympathisch erzählt, innerhalb von vier Tagen durchgelesen.

Anne Michaels. Fluchtstücke.
(Deutsch von Beatrice Howeg)
1942: Der siebenjährige Jacob Beer wird Zeuge, wie Nazis seine Familie ermorden. Er kann fliehen. Der griechische Archäologe Athos findet ihn und nimmt ihn mit nach Griechenland. Dort wächst er auf. Später wandert Jakob nach Amerika aus und wird Dichter. Anne Michaels „Fluchtstücke“ ist ein eindringliches Buch, das Einblick in die Gefühle und das Leben der Holocaust-Nachfahren gewährt. Es beschreibt, aber macht keine Vorwürfe, es erzählt, ohne sich aufzudrängen. Sehr gut.

Curtis Sittenfeld. Die Frau des Präsidenten.
(Deutsch von Gesine Schröder und Carina Tessari)
Vorlage für dieses Buch ist das Leben Laura Bushs. Insofern ist die Geschichte sowohl wahr als auch fiktiv. In jedem Fall aber ist sie gut. Curtis Sittenfeld erzählt von Alice, wie sie in Riley/ Wisconsin gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Großmutter aufwächst, wie sie den aus reicher Familie stammenden Charles Blackwell kennenlernt, wie sie ihn heiratet, schließlich Gouverneursgattin und First Lady wird. Kurzweilig, unterhaltsam und wenig politisch, sondern eher auf persönlicher Ebene spielend. Ebenfalls gern gelesen.

S.J. Watson. Ich. darf. nicht.schlafen.
(Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann)
Christine leidet unter Amnesie: Sobald sie einschläft, vergisst sie alles – wer sie ist, wo sie wohnt, wer ihre Angehörigen sind. Mit Hilfe eines Therapeuten beginnt sie, Tagebuch zu führen. Sie erinnert sich dunkel, dass sie angegriffen wurde. Aber von wem? Und warum? Je mehr Erinnerung sie sich erarbeitet, desto mehr gerät sie in Gefahr. Ein netter Thriller, den ich schnell durch hatte. Spannend, aber nicht überragend. Ein Buch für die Reise oder ein paar Mußestunden.

#

Elektronisch gelesen:

Willy Russell. The Wrong Boy.
(Deutsch: Der Fliegenfänger)
Raymond ist ein ganz normaler Junge. Bis er seinen Schulkameraden das Fliegenfangen beibringt – mit dem Gemächt. Der Schuldirektor findet das harmlose Spielchen nicht lustig. Raymond wird als Perversling abgestempelt, muss die Schule verlassen, wird Außenseiter, bekommt eine Essstörung. In den kommenden Jahren läuft so manches schief. Ein Missverständnis nährt das nächste. Verletzlich, schnoddrig und bittersüß lässt Willy Russell den jugendlichen Raymond seine Geschichte erzählen. Eine gute Mischung mit vielen klugen Wortspielen.

Das kommende Wochenende wird ein gutes Wochenende, ich habe es im Gefühl.

Es ist nämlich das erste Wochenende seit – mmh, seit wann eigentlich? Auf jeden Fall seit langem – das erste Wochenende, an dem ich nichts vorhabe. Keine Treffen, keine Termine, keine Geburtstage, keine Einladungen. Keine Handballspiele, kein Haushalt, kein Handwerken. Ein Wochenende, das brach vor mir liegt. Das gefüllt werden möchte. Das beschlafen werden möchte. Das besofat werden möchte.

Das vielleicht bebackt wird. Vielleicht pflanze ich Tulpen. Vielleicht gehe ich spazieren. Vielleicht schaue ich Serien. Oder Filme. Vielleicht lese ich 200 Seiten. Vielleicht turne ich eine Extrarunde  im Fitti. Oder gucke ich mir die BVB-Handballdamen an, die gerade Tabellenführer der Zweiten Bundesliga sind.

Ein Wochenende voller Nichts, ein Eldorado der Möglichkeiten, ein Wonnewochenende für Schlaf und Müßiggang.

Ich habe zur Vorbereitung auf diese neue, umfassende Häuslichkeit vorsichtshalber die Heizung hoch gestellt. Damit ich beim Daliegen nicht friere. Man weiß schließlich  nie, wie wenig man wirklich tun wird.



In diesem Kaffeehaus werden anonym Daten verarbeitet. Indem Sie auf „Ja, ich bin einverstanden“ klicken, bestätigen Sie, dass Sie mit dem Datenschutz dieser Website glücklich sind. Dieser Hinweis kommt dann nicht mehr wieder. Datenschutzerklärung

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen