Fronleichnam | Heute ist Feiertag in Nordrhein-Westfalen. Deshalb habe ich den Vögeln eine Protein-Gourmet-Mahlzeit in die Futterstation getan. Darin entdeckte ich eine große Grille.
Ich habe sie für die Nachwelt festgehalten.
Saisoneröffnung | Ich war anschwimmen. Die Freibäder in Dortmund sind geschlossen, und es ist auch nicht klar, ob sie dieses Jahr noch öffnen. Ich fuhr deshalb nach Schwerte ins Elsebad. Das ist acht Kilometer den Berg runter, das ist geöffnet.
So ein schönes Schwimmbad! Warum entdecke ich es erst jetzt? Ein 50-Meter Edelstahlbecken in einer sehr schönen Anlage mit Liegewiesen, Planschbecken und bunten Holzkabinen.
Ich ging ambitionslos ins Becken. Zuletzt war ich am 7. September geschwommen, also vor neun Monaten. Ich dachte mir: eineinhalb Kilometer – das wäre schon gut. Am Ende schwomm ich 50 Bahnen, zweieinhalb Kilometer, die Hälfte im Kraul. Als hätte es keine Pause gegeben. Der erste Kilometer war anstrengend: Das letzte Drittel der Bahn fühlte sich an wie Ertrinken. Überall fehlte Rhythmus: zwischen Armen und Beinen, zwischen Körper und Atmung. Aber dann ging es fluffiger, und ich fand in die Technik.
Schon auf der Fahrt nach Hause hatte ich Muskelkater. Meine Beine sind vom Umherlaufen der letzten Monate ja gut trainiert. Aber mein Oberkörper leidet gerade von der Fingerspitze bis zum Bauchnabel. Uff.
Broterwerb | Diese Woche fuhr ich zum Kunden, so richtig außer Haus, ohne irgendwas mit „Home“. Das war aufregend. Ich fühlte mich wie eine Abenteurerin.
Beim Kunden traf ich Menschen, die ich seit dem 2. März nicht gesehen hatte. Das war schön. Ich habe mich innerlich wie Bolle gefreut, äußerlich natürlich nur professionell zurückhaltend – wie sieht das sonst aus.
Wir haben prompt gemeinsam etwas erhirnt, das wir remote nicht gemacht hätten. Es war eine Sache von „Häh?!?“, einfach mal rüberlaufen, gemeinsam draufgucken, gemeinsam überlegen, wieder zurücklaufen, etwas nachgucken, weiter gemeinsam überlegen, sich gegenseitig anstacheln, gemeinsam nachforschen, etwas entdecken. Remote hätte jeder für sich allein gerätselt, vielleicht telefoniert, aber ohne die gemeinsame Hartnäckigkeit, da bin ich mir sicher.
Ausgangspunkt des Ganzen war ein Fehler, den ich vor ein paar Wochen gemacht habe. Oder – naja, nicht ganz. Aber irgendwie doch: Mir sind Dinge nicht aufgefallen, die mir hätten auffallen können, wenn ich mich besser konzentriert hätte, wenn ich mehr hinterfragt hätte, wenn ich schlauer gewesen wäre. Das ist doof, so richtig, über sowas kann ich mich maßlos ärgern.
Gleichzeitig war es gut – jeder Fehler ist für etwas gut. Denn so haben wir etwas entdeckt, das wir uns jetzt nochmal genauer anschauen müssen. Außerdem habe ich gelernt, worauf ich in Zukunft besser gucken muss. Das war wirklich lehrreich.
Fürs Protokoll : Auf dem Hinweg etwas Stau, Fahrtdauer eine Stunde. Auf dem Rückweg kein Stau, Fahrtdauer 45 Minuten. Nach den Wochen Zuhause-Arbeit fühlten sich die Fahrten sehr lang an.
Hach! | Ich habe zweimal unverhofftes Feedback auf meinen Newsletter bekommen. Beide Rückmeldungen haben mich sehr gefreut.
Erste Male | Ich hatte drei reife Bananen übrig. Mit ihnen habe ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Bananenbrot gebacken.
Wenn es nicht nach Banane schmecken würde, wäre es lecker. 4 von 10 Sterne.
Broterwerb | Heute: Start in eine kurze Woche. Ein Konzept fertiggestellt. Telefoniert, telefoniert, nochmal telefoniert.
Außerdem gab es heute Teil #3 der Newsletter-Trilogie zum mobilen Arbeiten. Es geht um informelle Kommunikation bei Remote-Arbeit – und um Führung auf Distanz. Den Text stelle ich beizeiten auf meine Website.
Derweil ist Beitrag #2 online: Ich habe aufgeschrieben, wie ich Meetings einleite und die Erwartungen der Teilnehmenden lenke. Außerdem gebe ich Tipps zur Moderation von Telefon- und Videokonferenzen.
Toll |Es gab Regen am Wochenende, so richtig viel. Zwar immer noch nicht genug. Aber so viel, dass es unter den Bäumen nass war. Ich bin entzückt.
Derweil kamen die Nacktschnecken aus ihren Verstecken und fraßen meinen Pflücksalat weg. Grmpf.
AirPods | Ich habe die Kopfhörerwäsche zum Anlass genommen, mir AirPods zu kaufen. Wenn ich die mitwasche, wird es wenigstens richtig dolle teuer.
Nein, Scherz. Ich bin schon länger drumherum geschlichen. Es war mir allerdings zu blöd – unter modischen Aspekten und Aspekten der Zurechnungsfähigkeit -, mir Zahnbürstenköpfe in die Ohren zu hängen. Die Dinger erinnern mich an „Zurück in die Zukunft, Teil II“. Und Teil II war der blödeste Teil, da sind wir uns alle einig.
Nun denn. Es ist 2020, ich habe Zahnbürsten in den Ohren und finde es großartig. Also, was Klang und Handhabung angeht. Der Rest – nun ja. Egal.
Besenwagen | Was war noch? Am Sonntag begleitete ich einen Halbmarathon. Der Rhein-Ruhr-Marathon (RRM) war als Großveranstaltung abgesagt wurden. Wer wollte, konnte einen RRM Home Run absolvieren, also die gewählte Distanz (21 oder 42 Kilometer) irgendwo im Ruhrgebiet starten und bis nach Hause laufen.
Ich begleitete das Vorhaben auf dem Rad – gemeinsam mit weiteren Freunden. Denn der Läufer benötigte Wasser, Riegelchen und emotionalen Support.
Die Strecke vom Essener Baldeneysee nach Mülheim war sehr schön: immer entlang der Ruhr. Wir fuhren (beziehungsweise: einer lief) durch Werden und Kettwig, unter der Autobahnbrücke der A52 hindurch bis nach Mülheim in die Innenstadt. Bei Ankunft gab es ein Empfangskomitee und Spaghetti Bollo. Das war eine super Sache.
FYI | Sie erinnern sich vielleicht an den Komposter, den ich jüngst aufgebaut habe – zum Amusement der Nachbarn. Das ist jetzt einen Monat her.
Ich habe inzwischen dreimal Rasen gemäht und den Kompost zusätzlich mit Gemüseresten und Pflanzenschnitt gefüttert. So sieht es aktuell aus:
Dem ersten Rasenschnitt hatte ich einen Eimer Erde aus dem alten Kompost beigemischt, inklusive dem dort wohnenden Getier. Es hat sich offenbar eingelebt. Das Ergebnis finde ich für die kurze Zeit ziemlich beeindruckend.
Geguckt |Hidden figures, die Geschichte der afroamerikanischen Mathematikerinnen Katherine Johnson, Dorothy Vaughan und Mary Jackson, die maßgeblich am Mercury– und am Apollo-Programm der NASA mitgearbeitet haben. Prima Film. Habe etwas gelernt und mich gut unterhalten gefühlt.
Juchhu | Es regnet. Hallejuah. Heute Nacht hat es begonnen, am Morgen fisselte es, über Tag hat es immer mal geregnet, in der Nacht und morgen soll es weitergehen. Der Garten brummt zufrieden.
So langsam wird es auch unter den Bäumen nass.
Trotz Regen fragte die Sportsfreundin am Abend, ob ich mit ihr eine schnelle Runde um den See walken wolle, sie mit Stöcken, ich ohne. Ich ließ mich nicht lange bitten. Durch die Gegend latschen geht ja immer.
Zwanglos | Die Nachbarn haben Corona genutzt und sich eine Hütte in den Garten gebaut. Tag um Tag haben sie gesägt und gehämmert, sie haben mir gewunken, wenn ich auf dem Balkon saß, ich habe zurückgewunken, den Fortschritt gelobt und das Tun beobachtet. Anschließend haben sie die Hütte angestrichen, Sand davor gekippt und eine Lichterkette dran gehängt.
Gestern öffnete ich Google Maps und – sehen Sie selbst. Ich feiere das.
Selbstständigenkram | Dinge, über die man sich als Selbstständige Gedanken machen muss: das Konjunkturpaket. Für sechs Monate wird die Mehrwertsteuer gesenkt. Ich habe schon Post von meinem Buchhaltungsprogramm bekommen.
Wir werden in den nächsten Tagen Papierkram dahingehend ändern, dass die im genannten Zeitintervall geltenden Steuersätze verfügbar sein werden und eine Lösung implementieren, die die Änderungen beim Buchhalten so einfach wie möglich machen wird.
Auf meinen Verdienst hat das keine Auswirkungen. Ich reiche die Steuer ja nur durch: Ich erhebe sie mit meinen Rechnungen und überweise sie mit der monatlichen Umsatzssteuervoranmeldung ans Finanzamt. Auch für meine Unternehmenskunden hat das keine Auswirkungen: Sie zahlen nicht weniger, denn sie reichen die Steuer ebenfalls nur durch.
Ich habe überlegt, wie ich nun Angebote schreibe: Denn die im September geltende und im Angebot ausgewiesene Mehrwertsteuer kann bei Leistungserbringung im Januar ja bereits wieder eine andere sein. Werde also bei den Angeboten, die ich zwischen Juli und Dezember schreibe, wahrscheinlich keine Mehrwersteuer ausweisen und stattdessen sowas schreiben wie: „zzgl. geltender Mehrwertsteuer zum Zeitpunkt der Leistungserbringung.“ Oder ich weise die Mehrwertsteuer aus und schreibe sowas dazu wie „Der Mehrwertsteuersatz kann zum Zeitpunkt der Leistungserbringung abweichen.“ Oder whatever. Alles ist im Fluss.
Gedanken zu dem, was ich tue | Ich las ein Interview mit Judith Muster, einer Unternehmensberaterin. Es geht um Agilität und ob es eine Managementmode sei. Außerdem sagt sie, dass „agiler werden“ oft nur ein Label, ein Mittel zum Zweck sei, um im Unternehmen etwas verändern zu können.
Das Ausrufen eines neuen, in diesem Fall agilen Zeitalters hat ja auch den Zweck, dass man das Alte nicht schlechtmachen muss. Man kann durch die Dramatisierung des Neuen die Botschaft verbreiten, dass sich etwas ändern muss. Das ist dem Unternehmen mithilfe des Labels Agilität gelungen.
Zu sagen „Wir müssen agil werden“, helfe, einen Wandel überhaupt erst anzustoßen. Anders sei es manchmal kaum möglich.
Der Ruf nach Agilität funktioniert im ersten Schritt wie ein Symptom, das ein Problem signalisiert. Im zweiten Schritt dient dieser Appell als Türöffner für Veränderungen. Was man dann konkret macht, muss mit den gängigen Agilitätskonzepten nicht viel zu tun haben. Viel wichtiger ist es, die eigentlichen Probleme zu verstehen. Dank der Agilitäts-Rhetorik kann die Organisation behaupten, sie hätte die eigenen Pathologien erst jetzt – dank der neuen Methode – erkennen können, nach dem Motto: Wir sind gar keine bürokratischen Besitzstandswahrer, wir konnten nicht wissen, dass es auch anders geht. Systemtheoretisch gesprochen: Man erzeugt im System Irritationen, ohne es im Kern infrage zu stellen.
Meiner Erfahrung nach kennen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die eigenen Pathologien, also das, was im Unternehmen krankt, sehr gut. Ich mache weiter die Erfahrung, dass sie auch kein Problem damit haben, Bestehendes infrage zu stellen – wenn man Zeit in Gespräche investiert, sie respektvoll nach ihrer Meinung fragt, gut zuhört, die Meinungen verschiedener Gesprächspartner abgleicht und zusammenbringt. Wenn ich in Unternehmen gehe, ärgern sich die Leute meist schon seit Jahren über bestimmte Dinge und sind durchaus bereit, sie zu verändern – und auch sich selbst. Es fehlt ihnen nur der Hebel, es zu tun; sie wissen nicht, wie, und haben Angst, dass es schlecht für sie ausgeht. Oft gab es bereits Initiativen aus einzelnen Abteilung heraus. Die Abteilungen haben dabei allerdings die Bedürfnisse wiederum anderer Abteilungen nicht berücksichtigt. Die anderen Abteilungen haben sich echauffiert, die Mitarbeiter bekamen einen auf den Deckel, die Initiative starb und mit ihr der Mut, etwas anzusprechen und aus dem Tagesgeschäft heraus zu verändern.
Ich halte es für schwierig, „im System Irritationen zu erzeugen“, ohne das, was eigentlich im Argen liegt, infrage zu stellen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstehen zu Beginn eines Wandels sehr schnell, dass kein Stein auf dem Anderen bleiben wird. Das Einzige, was hilft, ist Ehrlichkeit. Mit offenem Visier ins Getümmel laufen. Klar sein, fair sein. Den Leuten helfen, die Unsicherheit auszuhalten und auch, in der neuen Organisation einen Platz zu finden.
Wenn man diesen Gedanken Raum lässt, finden die meisten Leute sehr gut einen neuen Platz für sich, unabhängig vom Lebensalter. Ich halte die Variable „Lebensalter“ ohnehin für maßlos überbewertet; die älteren Mitarbeiter*innen haben dahingehend einen viel zu schlechten Ruf. Meiner Erfahrung nach ist die Veränderungsbiographie eines Menschen entscheidend dafür, wie er mit Neuem umgeht, nicht das Lebensalter: Ein 64-Jähriger, der sich schon oft verändern musste, ist flexibler und lernt schneller als ein 34-Jähriger, der seit der Ausbildung das Gleiche tut. Bei 64-Jährigen, die seit 40 Jahren dasselbe tun, ist nicht das Lebensalter das, was blockiert, sondern die nicht vorhandene Veränderungsbiographie.
Aber zurück zum Thema. Ich rate davon ab, die Notwendigkeit für einen Wandel mithilfe einer Krücke herbeizureden. Es braucht keine modischen Worte.
Ich gehe zu den Unternehmen, höre erstmal zu und bringe Methoden mit, die helfen, den Wandel mithilfe der Menschen dort voranzubringen. Klar sind das viele agile Methoden. Aber nicht nur. Ich mache auch nie eine Methodendiskussion auf oder sage, dass etwas „agil“ wird. Weil: Vielleicht wird es das gar nicht, nicht nach Lehrbuch. Ich öffne lieber Perspektiven („Wollen wir mal etwas ausprobieren und gucken, ob es euch hilft?“) – meist haben die Mitarbeiter*innen dann aber noch bessere Ideen. Einfach, weil sie ihre Abläufe, Produkte und Dienstleistungen besser kennen. Es ist ein Zusammenspiel, wie Tanzen.
Tiefes Seufzen |Die Freibäder in Dortmund bleiben weiterhin geschlossen: zu teuer. Ich werde mich in der Nachbarschaft umschauen. Das Elsebad in Schwerte hat 50-Meter-Bahnen, einen Schwimmerbereich und ist bei jedem Wetter von 9:30 bis 19:30 Uhr geöffnet. Hört sich gut an. Alternativ steige ich einfach in die Ruhr. Später, wenn es wärmer ist.
Unverhofft | Heute kam Post. Am 14. Februar hatte ich ein Kleid bestellt. Kaum hatte ich es bestellt, verschob sich die Lieferzeit um ein paar Wochen. Dann nochmal um ein paar Wochen. Ich überlegte, es wieder abzubestellen, vergaß es aber. Die Lieferung verschob sich nochmal um etliche Wochen. Ich vergaß das Kleid daraufhin vollkommen. Vor zwei Tagen bekam ich eine E-Mail: „Ihr Paket ist unterwegs.“
„Huch“, dachte ich. Na sowas.
Heute kam das Kleid. Es passt wie angegossen, und ich habe mich gefreut wie ein Schnitzel.
Corona-Service |Umgang mit Corona: verschiedene Menschentypen. Das Interview verlinke ich wegen drei Wörter: „Dehnungsfugen im Alltag“. Darüber hinaus finde ich die skizzierten Typen ganz passend – wenngleich sie wahrscheinlcih eher ein Kontinuum als in sich geschlossene Kategorien sind. | Kommentar zur Rave-Demo auf dem Berliner Landwehr-Kanal. Verlinke ich ebenfalls nur, weil dort Wörter vorkommen. Zum Beispiel „Vollhonks“, „sagenhafte Beknacktheit“ und „flotte Bumsmusik“. | Zwei Spieler haben sich die Nächte um die Ohren geschlagen, Vorschriften gewälzt, Pläne skizziert – nun darf Beachvolleyball gespielt werden.
Elektronik waschen | Das hier ist ja ein Serviceblog, deshalb habe ich für Sie ausprobiert, ob man Kopfhörer waschen kann.
Ich hatte die iPhone-Kabel-Dinger in der Hosentasche. Ich steckte die Hose in die Waschmaschine. Die Kopfhörer nahmen für eine Stunde und fünfzehn Minuten am Programm „Dunkles/Jeans, 40 Grad“ teil.
Ich war tief zerknirscht und startete wenig hoffnungsvoll einen Trocknungsvorgang (Wäscheleine, Garten, Sonne). Ergebnis nach drei Stunden: Klangqualität unerfreulich. Ich setzte tags darauf die Trocknung fort (Wäscheleine, Garten, Sonne) – und was soll ich sagen? Tippitoppi! Die Klangqualität ist stabil mit nur leichten Mängeln im Bass, Mikro funktioniert einwandfrei.
Fazit: Falls Sie Ihre Kopfhörer mal mitwaschen – zwei Tage in der Sonne, und es löppt wieder. 4 von 5 Punkte für diese Erfahrung.
Heimatkunde | Heute Abend ging ich aus Versehen länger spazieren. Das kam so:
Eigentlich wollte ich nur ein bisschen um den Block gehen. In einer Phase zarter Verwirrung hatte ich ja vor einigen Wochen angenommen, ich hätte Freude daran, Steine zu bemalen. Seither liegen zwei bemalte Steine auf meiner Fensterbank. Die Kita nebenan hat letztens eine Steinschlange begonnen – mit dem Schild, man möge Steine dazulegen. „Gut“, dachte ich, „das ist eine Gelegenheit, die Dinger loszuwerden.“ Ich ging los und legte meine zwei Steine zu den anderen.
Für einen Spaziergang war das allerdings etwas kurz. Also ging ich noch ein Stück weiter, zur Grundschule. Auf dem Pausenhof sah es aus, als sei Herbst: Der Boden ist über und über mit trockenen Blättern bedeckt. Hier freuen sich alle Pflanzen auf Regen.
Hinter der Grundschule verläuft die alte Schürener Bahntrasse. Ich dachte: „Dort kann ich auch mal hingehen.“ Und ging hin.
An der Bahntrasse entdeckte ich einen Weg, den ich nicht kannte, und ging weiter. Ich gelangte zum See. Weil der Spaziergang immer noch nicht lang war, ging ich weiter, oberhalb des Sees, durch Seitenstraßen. Die kannte ich noch nicht. Ich entdeckte eine riesige Kleingartenanlage, einen Tennisverein und Straßennamen Dortmunder Persönlichkeiten.
Weil ich nun fast am Supermarkt war, dachte ich: „Falls Besuch kommt, sollte ich Grillkäse zuhause haben.“ Also ging ich zum Supermarkt und kaufte Grillkäse.
Gegenüber des Supermarkts befindet sich eine weitere Kleingartenanlage:
Jetzt fragen Sie sich bestimmt, wer Walter Engelberg war. Ich habe recherchiert (#serviceblog): Walter Engelberg war Dortmunds leitender Gartenbaudirektor, in den 1980er Jahren außerdem Vorsitzender der Bewertungskommission im Bundeswettbewerb „Gärten im Städtebau“. Ein Foto von ihm führt in die Irre: Die in der Bildzeile genannte AFD ist die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. – und keine Partei.
Als ich aus dem Supermarkt kam, fiel mir ein, dass in der Nähe S wohnt. S hat sich letztens Hühner gekauft. Ich rief S an und fragte sie, ob sie und die Hühner daheim seien und ob ich mir die Hühner anschauen könne. Sie freute sich (glaube ich). Ich ging zu S und sah mir die Hühner an.
Es handelt sich um Lachshühner und um Vorwerkhühner (wie der Staubsauger).
Als wir uns unterhielten, holte S‘ Tochter gerade frische, schwedische Bullar aus dem Ofen. Welch glückliche Fügung! Sie schmeckten großartig, 10/10 Punkte in Geschmack und Fluffigkeit.
Auf dem Rückweg ging ich durch die Dortmunder Gartenstadt. Die Gartenstadt ist eine Villenkolonie, die in den 1910er und 1920er Jahren entstanden ist. Dort stehen sehr schöne Häuser.
Beim Schwimmen hört man nur sich selbst atmen und das Wasser, das gegen den Körper klatscht. „Eigentlich ist Schwimmen ein großes Schweigen“, schreibt von Düffel.
Man spürt den Widerstand zwischen den Fingern. Streckt sich in voller Länge. Wer beim Joggen stehen bleibt, bleibt stehen. Doch wer im Wasser nicht schwimmt, der geht unter. Schwimmen fühlt sich existenziell an, weil es existenziell ist. Man muss sich ein Stück weit hingeben.
Ich mag das Schwimmen, weil es eine in sich geschlossene Sportart ist: Ich höre nichts, ich sehe wenig, es gibt das Wasser, die Leine, die Wand und mich. Jeder Schwimmzug fordert den ganzen Körper, gleichzeitig fließt das Wasser um mich herum und an mir vorbei. Es ist eine Harmonie von Druck und Gegendruck, von Getragenwerden und Sich-Oben-Halten im Rhythmus mit dem Atem.
Pfingsten im Allgemeinen | Es gibt wenig Aufregendes zu berichten. Die Tage mäandern dahin, die Sonne scheint, die Welt staubt, die Natur wartet auf Regen, und ich wandere durch die Gegend.
Pünktlich zum Fest erblühte die Pfingstrose im Garten.
Die Bienen und Hummeln befinden sich seither in wilder Ekstase.
Die Anzahl der Menschen, die ich treffe, wird langsam wieder größer.
In den ersten zwei Corona-Monaten, von Mitte März bis Mitte Mai sah ich aus der Nähe nur zwei Menschen. Aus der Ferne traf ich manchmal drei weitere Menschen: die Stadtteilfreundin und die Nachbarn. Das war’s.
Daran gemessen umgab ich mich in den vergangenen drei Tagen mit exorbitant vielen Leuten: Am Samstagmorgen stand ich früh auf und ging mit der Stadtteilfreundin um den See, am Sonntag schaute ich mit Menschen Fußball, heute traf ich eine befreundete Familie.
DerSamstag im Speziellen | Nach dem Seegang am Samstagmorgen verbrachte ich den Tag im Garten, frühstückte spät, las, schlief im Liegestuhl ein, grub ein bisschen herum, harkte und mähte den Rasen.
Am Abend gönnte ich mir Spargel mit einem Stück Fleisch, gegrillt auf dem Grill der an diesem Wochenende ausziehenden Nachbarn.
Ich hatte dem Herrn Nachbarn nahegelegt, dass der kleine Balkongrill, den er bis anhin im dritten Stock nutzte, dem neuen Einfamilienhaus kaum angemessen sei. Es sei vielmehr geboten, ein Gerät anzuschaffen, dass besser zur Immobilie passe; einen Grill, der – ebenso wie das neue Gebäude – mehr Möglichkeiten biete. Der kleine Balkongrill, sagte ich, werde sich im neuen Garten bestimmt verlieren. Ein größerer Grill sei folgerichtig, quasi unabdingbar.
Das sah er ein. Ich erbot mich uneigennützig, den nun verwaisten Grill gegen ein Entgeld zu übernehmen. So wohnt er nun bei mir im Erdgeschoss, und ich kann wieder grillen.
DerSonntag im Speziellen | Gestern wanderte ich umher. Ich schnürte die Sandalen, packte mir eine Flasche Wasser ein und ging los: über Berghofen in den Schwerter Wald, von dort in die Aplerbeckermark bis nach Lichtendorf und über Aplerbeck und das Schürener Feld zurück nach Hause – insgesamt 14 Kilometer.
Auf dem Berghofener Tunnel stehend konnte ich fast das Meer sehen:
Im Wald war es wunderbar schattig. Gleichzeitig gefiel es mir, in der Sonne durch die Felder zu laufen. Ein schöner Spaziergang.
Am Abend fuhr ich noch 20 Kilometer Fahrrad, zum Haus der nun ehemaligen Nachbarn und wieder zurück: Fußball schauen, Besichtigung der neuen Räumlichkeiten und Testessen vom neuen Grill.
Während der Besichtigung sagte die Nachbarin, dass ihre frisch umgezogene Badematte farblich nicht ins neue Badezimmer passe und sie sich eine neue anschaffen wolle. Ich erbot mich, das Stück zu übernehmen und es zu seinem Freund, dem Grill, zurückzubringen. Denn meine Badematte verliert seit Wochen mit jedem Ausklopfen Streifen; sie ist inzwischen nur noch die Hälfte. So fuhr die nachbarschaftliche Matte mit mir zurück.
Grill, Matte – es läuft gut. Mal sehen, was beim nächsten Mal erbe.
Der Montag im Speziellen | Heute war ich aus Gründen ein bisschen hüftsteif. Man ist ja doch keine Zwanzig mehr.
Ich arbeitete etwas, verbrachte den Tag im eigenen sowie im Garten einer befreundeten Familie. Dort wechselten wir zwischen Hollywoodschaukel und Luftmatratze, dazu gab es herzhafte Waffeln. Das war der Regeneration zuträglich.
Heureka | Ich habe heute gelernt, wie Dicke Bohnen aussehen, bevor sie im Supermarkt im Glas stehen. Nämlich so:
Sensationell. Noch nie vorher drüber nachgedacht. Herausgefunden mit der Pflanzenbestimmungs-App „Flora Incognita“.
Krasse Idylle | Beim Spaziergang war außerdem die Wiese schön.
Gefreut wie’n Schnitzel | Heute habe ich mich sehr gefreut. Beim Kunden habe ich ein interdisziplinäres Team abmoderiert. Seit etwas mehr als einem Jahr haben Mitarbeitende Probleme in einem Handlungsfeld der Organisation analysiert, Ursachen erforscht, dem Management Lösungen empfohlen und sie anschließend umgesetzt.
Die Arbeit des Netzwerks ist jetzt vorbei – die weitere Umsetzung der Maßnahmen ist sehr operativ und erfolgt aus dem laufenden Tagesgeschäft heraus. Die Feedbackrunde sowohl von Seiten der Auftraggeber als auch von den Mitarbeitenden war prima. Es ist ein gutes Gefühl, die richtige Methodik eingesetzt und etwas bewegt zu haben. Zwei Mitarbeiter haben mich nachher nochmal persönlich angerufen und sich bedankt. Das war toll.
Staubtrocken | Die Wetteraussichten sagen für die kommenden zwei Wochen Sonne, bis zu 26 Grad und weiterhin keinen Regen voraus. Dann hat es in Dortmund seit 18 Wochen nicht nennenswert geregnet. Aber hey, lasst uns eine Autokaufprämie einführen. Bestimmt eine super Idee.
Riechkauf ohne riechen | Gestern war ich zum ersten Mal seit drei Monaten wieder in der Innenstadt. Abgesehen davon, dass ich auch sonst nicht oft in die Innenstadt fahre, sondern fast alles im Stadtteil erledige, hatte ich in den vergangenen Wochen noch weniger Grund,dorthin zu fahren. Gestern war ich aber dort, und wo ich schonmal dort war, konnte ich auch gleich mein Deo in diesem Rituale-Duftladen kaufen.
Allerdings war es so, dass der Ritualeladen mein dunkelgrünes Deo nicht mehr führt. Es gibt jetzt eine mittelgrüne und ein glitzergrüne Linie, aber keine dunkelgrüne mehr, wobei nur die mittelgrüne Linie ein Deo im Portfolio hat. Das ist ja eine Sache, die sich mir nicht erschließt: Warum gibt es von der einen Farbe alle Produkte, von der anderen Farbe nur fast alle Produkte? Wie auch immer: Die glitzergrüne Linie, also die Linie ohne Deo, enthält Lavendel, was ich sehr mag. Da tut sich allerdings eine andere Frage auf: Wieso macht man etwas, das nach Lavendel riecht, Flittergrün?
Egal. Zurück zum Deo. Das mittelgrüne Deo soll genauso sein wie das ehemals dunkelgrüne und ebenso riechen. Es gibt darüber allerdings verschiedene Meinungen. „Riechen Sie einfach selbst!“, sagte die Verkäuferin. „Aber lassen Sie die Maske dabei auf!“ Sie hätte Sie mir auch sagen können: „Gucken Sie mal hier, diese Farben! Aber lassen Sie die Augen zu.“ Ich sprühte also Deo in die Gegend, hielt mein Gesicht rein, roch meinen Atem und sagte: „Wunderbar, kaufe ich.“
Was will man sich mit diesen Petitessen auch lange aufhalten.
Außengastronomie | Thema Garten. Bis vor Kurzem hockte das puschelige Dompfaffenbaby im Baum, tschiepte gotterbärmlich und wurde daraufhin gefüttert. Nun frisst es selbst. Wenn es nicht tagträumt. Es sitzt dann mit seinem Vater am Futterspender (dem neuen), frisst und guckt in die Gegend. Der Vater stupst es an, und es frisst weiter. Dann guckt es wieder in die Gegend, der Vater stupst es an, …
Angeguckt | Erinnern Sie sich an die Babyfotos von Anne Geddes, der Fotografin, die aus Säuglingen Marienkäfer machte, ihnen Kohlköpfe aufsetzte und sie in Tulpen steckte? So sehen die Babys heute aus. Spoiler: Sie tragen keine Kohlköpfe mehr.
Trendscouting | Ich habe Steine bemalt. Machen jetzt viele, und ich bin ja gerne unterwegs, um Menschen zu verstehen. Steine zu bemalen, soll beruhigen. Man hat auch das Gefühl, eine Spur auf dieser Erde zu hinterlassen. Außerdem habe ich viele Steine im Garten; die Erde meines Gartens ist durchwirkt von Steinen. Denen stünde ein schönes Motiv gut zu Gesicht.
Ich kaufte mir also Acrylfarben und bemalte Steine, und was soll ich sagen? Es hat mich aggressiv gemacht.
Reisen | Eine Sache, die ich nicht verstehe, ist die Reisefixiertheit in Zeiten der Pandemie. Warum möchten Menschen in diesem Jahr dringend verreisen? Warum nicht mal ein Jahr zuhause bleiben? Es interessiert mich ernsthaft.
Zumal mir scheint: Diejenigen, die einen Urlaub andernorts wirklich nötig hätten – Familien in beengten Verhältnissen, ohne Garten, mit Existenzsorgen, zerrieben im Funktionierenmüssen zwischen Kindern und Arbeit -, sind gerade nicht diejenigen, die nun Ferienhäuser buchen und die Strände und Promenaden der Nord- und Ostsee bevölkern werden.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich reise selbst gerne. Ich mag neue Eindrücke, Ausblicke, Begegnungen, Entdeckungen. Die aktuelle Zeit schlaucht, der Takt ist hoch, eine Auszeit am Strand oder in den Bergen wäre super. Ich wünsche jedem Hotelier, jedem, der vom Tourismus abhängig ist, sein Auskommen. Dennoch: Wir brauchen kein zweites Ischgl an der Ostsee. Warum können wir uns nicht ein bis zwei Jahre lang einschränken? Wie sollen wir mit dieser Haltung den Klimawandel hinkriegen?
Schafe | Die Schafe sind umgezogen, dreihundert Meter das Feld hoch.
Als der Schäfer kam, war großes Hallo. Alle Schafe guckten zu, wie er die Hütehunde fütterte.
Ich mag Schafe. Sie sind gleichzeitig neugierig und ängstlich. Diese widerstreitenden Gefühle zerren an ihnen wie ein unsichtbares Seil. Sie kommen und gucken, aber nicht zu nah. Gleichzeitig wollen sie genau wissen, wer da am Zaun steht. Andererseits: Besser nicht. Obwohl – vielleicht, also, etwas näher ginge wohl noch. Oh! Die Person bewegt sich. Lieber so tun, als wäre sie uninteressant. Nur noch einmal kurz gucken …
Nebendran war das Feld schön.
Nachtrag | Noch ein paar Gedanken zu Familien und Corona – ein Zitat von Hannah Arendt:
Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht liegt jedoch in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um Meinungen.
Die Belastung durch Homeschooling, Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit ist eine Tatsache, keine Meinung. Dass Schulen und Kitas zwar wieder öffnen, diese Öffnung aber mehr Probleme verursacht, als sie löst, scheint mir auch keine Meinung, sondern eine Tatsache.
Gleichwohl, selbst wenn wir diese Tatsachen anerkennen würden, werden die Schlüsse, die wir ziehen, und die Handlungen, die unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven ableiten, divergieren. Kontingenzen und Mehrdeutigkeiten, wir sprachen darüber.
Das macht aber nichts. Allein, dass wir Tatsachen als Tatsachen anerkennen, führt dazu, dass wir über Lösungen diskutieren und nicht darüber, mit welchen Argumenten wir das Problem negieren möchten.
Inzwischen werden erste Schulen und Kitas (Berlin/Brandenburg, Bremen) wieder geschlossen, weil Corona-Infektionen auftraten.
Es ist mir ein Rätsel, warum niemand Eltern, Kindern (!) und Lehrer*innen zuhört. Sie wissen doch am besten, was ihnen (abgesehen von einem regulären Betrieb) hilft und was sie brauchen – zumal nach den vorangegangenen Wochen. Eine – gemessen an der Zahl der Gesamtbetroffenen – überschaubare Menge Leitfadeninterviews, und ich bin sicher: Wir werden relativ rasch eine Schnittmenge an Hinweisen erkennen, was Familien wirklich brauchen in dieser Situation. Nur: Wer fragt, muss mit den Antworten leben. Vielleicht fragt deshalb niemand.
Gelesen |Frauen, seid dankbar – ein Beitrag über Wirtschaftsbereiche, in denen menschliche Arbeit wesentlich für die Produktion oder Dienstleistung ist und die sich dadurch kaum bis gar nicht optimieren, automatisieren und standardisieren lassen. Der Anteil von Frauen ist in diesen Bereichen überdurchschnittlich hoch – bei schlechter Entlohnung. Die Tätigkeiten sind jedoch Voraussetzung, dass Arbeit in anderen Wirtschaftsbereichen überhaupt stattfinden kann.
Schritte | Lassen Sie uns mit Positivem beginnen: Der Schrittzähler sagt, der Monat Mai sei ein guter Monat. Nicht so gut wie der Januar, als ich auf dem Inselchen weilte und fortdauernd wanderte, aber dennoch gut, deutlich besser als der Durchschnitt.
Dazu trug auch das Wochenende bei, als ich meine Schuhe schnürte, mir eine Trinkflasche in den Rucksack packte und diesmal nicht nach Süden, sondern nach Norden ging, zum Hauptfriedhof.
Der Dortmunder Hauptfriedhof umfasst 118 Hektar und ist für seinen alten Baumbestand bekannt. 8.200 Bäume stehen dort, auch exotische. Der Hauptfriedhof ist damit einer der größten und auch einer der schönsten Parks Dortmunds – neben dem Botanischen Garten Rombergpark und dem Westfalenpark.
Aufgeschnappter Dialog an einem Grab:
„Mann, mann, wat hat die noch geredet kurz vorm Tod. Ich versteh‘ dat nich‘. Ich mein, ich hab‘ die sowieso nie verstanden. Aber eine Sache hab‘ ich noch viel weniger verstanden: Als Kind war’se so ruhich. Und später hattse dich in Grund und Boden gelabert.“ „Getz‘ isse still.“
Auf dem Rückweg formte sich vor meinem inneren Auge immer präziser das Bild eines Spaghetti-Eises. Ich hielt es für sinnvoll, meine Erinnerung an Spaghetti-Eis einem Update zu unterziehen. Saisoneröffnung:
Corona, Eltern, Kinder und wir alle | Die Eltern werden lauter. Gut so.
Ich versuche schon seit Tagen, meine Gedanken zum Thema „Corona, Eltern, Kinder, Schule und Kita“ zu sammeln und irgendwie einen Knopf an die Sache zu kriegen, komme aber nicht so richtig zu Potte. Deshalb teile ich mal meine losen Gedanken. Die drehen sich weniger um den konkreten Alltag, sondern sind eher ein Blick aus der Vogelperspektive.
In der ganzen Thematik erkenne ich Muster, die ich auch andernorts erkenne, in der Gesellschaft, in Organisationen – und die weder gesund noch zielführend sind:
MusterI: Wer ein Problem adressiert, ist automatisch für die Lösung zuständig. Stattdessen sollte es okay sein zu sagen: „Ich habe etwas erkannt, lass uns darüber reden.“ Eltern müssen sagen können: „Die Situation für Familien ist kaum mehr erträglich, das geht so nicht mehr“, ohne direkt selbst eine Lösung zu liefern Weil es keine einfachen Lösungen gibt.
MusterII: Die Lage der Beteiligten nicht anerkennen und ihnen nicht in ihrem Urteil vertrauen. Das führt dazu, dass die Beteiligten verstummen, in den Protest gehen, innerlich kündigen. Der Zusammenhalt und die Solidarität bröckeln. Wir sollten zuhören statt mit dem Finger aufeinander zu zeigen, Grundvertrauen statt Grundzweifel haben.
Muster III: Herumdoktorn an Symptomen. Das, was wir sehen und was im Alltag Schmerzen bereitet, sind meist nur Symptome. Die Ursachen aber sind andere. Wenn wir an Symptomen herumdoktern, lindern wir sie für eine kleine Gruppe, eine andere Gruppe hat danach noch mehr Schmerzen. Also fängt man an, die Symptome für die zweite Gruppe zu lindern, woraufhin die erste und eine dritte Gruppe wiederum Nachteile hat. Die Probleme, mit denen Familien derzeit konfrontiert sind – Doppelbelastung, Unvereinbarkeit, Schulsituation, Sorgearbeit mehrheitlich bei Frauen, alles verschärft bei Alleinerziehenden – sind nur die äußerlichen Zeichen eines tieferliegenden Problems.
Außerdem beobachte ich das Fehlen zweier Kompetenzen:
Ambiguitätstoleranz – die Unfähigkeit, mit Mehrdeutigkeit, Widersprüchen und Ungewissheit umzugehen. In der Familiendebatte gibt es verschiedene Positionen, die alle richtig und stichhaltig sind, obwohl sie das Gegenteil behaupten. Ambiguitätstoleranz bedeutet auch: Ich gehöre Personengruppe A an und würde durch eine Position B Nachteile erfahren, heiße Position B aber trotzdem gut und unterstütze sie.
Das Vermögen, in Kontingenzen zu denken: Etwas, das kommen wird, kann auf die eine, aber auch auf eine andere Weise möglich sein und eintreten – und vielleicht auch gar nicht. Zwei Menschen können dieselbe Sache auf unterschiedliche Weise wahrnehmen – und ein unterschiedliches Handeln ableiten. Wenn ich denke, ich bin richtig unterwegs, sollte ich gleichzeitig annehmen, ich sei falsch.
Die Muster und das fehlendes Vermögen, mit Mehrdeutigkeit und Kontingenzen umzugehen, erschweren die Debatte – zumal, wenn sie gemeinsam auftreten.
Eines der zugrunde liegenden Probleme ist doch: Wir leben die Welt der Erwerbsarbeit und die Welt der Sorgearbeit als unabhängige Sphären – als hätten sie nichts miteinander zu tun. Hatten sie auch lange Zeit nicht und haben sie in einem Viertel der Familien immer noch nicht: Vatta geht schaffen, Mutta kümmert sich um den Rest.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2020, wir sind überein gekommen, dass die Erde keine Scheibe ist. Männer finden es ganz geil, ihre Kinder auch mal länger als 20 Minuten am Tag zu sehen. Frauen hätten gerne mehr vom Leben als „Tempo, kleine Schnecke“ bei gleichzeitig drohender Altersarmut. Vier-Zimmer-Küche-Bad verlangen ohnehin zwei Gehälter, zumindest wenn man in diesen Räumen auch Heizung und elektrisches Licht betreiben möchte. Darüber hinaus möchten alle Beteiligten ihr Leben gerne erfüllend gestalten: Blut, Schweiß, Tränen und Aufopferung gut und schön, muss phasenweise sein – doch der Mensch hat unterm Strich schon gerne Sinn, Entwicklung und Perspektive in seinem Leben.
Anmerkung am Rande: Sätze wie „Es ist doch toll, ganz für seine Kinder da zu sein!“ hört man auch immer nur aus dem Munde derer, die außerhalb ihrer Familien viel zu wichtig sind, um das zu tun, was sie als so wundervoll propagieren.
Aber ich schweife ab. Worum geht es also? Das Kernproblem der ganzen Vereinbarkeitdebatte liegt doch darin, dass wir trennen, was sich gegenseitig bedingt. Arbeit und Sorgearbeit sind zwei Säulen des gemeinschaftlichen Lebens. Beide halten das Gebäude unserer Gesellschaft stabil. Beide brauchen wir, um uns als Individuum erfüllt zu fühlen. Beide Säulen helfen uns, unsere emotionale und finanzielle Existenz zu sichern. Beides wollen wir. Wer in der Familie und mit Freunden Gutes erfährt, hat Kraft und Motivation für die Arbeit. Wer Freude in der Arbeit erlebt, nimmt sie mit in die Sorgearbeit. Beides gibt, beides nimmt. Deshalb haben wir uns als Gesellschaft entschieden, jedem Bürger und jeder Bürgerin zu ermöglichen, für Kinder zu sorgen und gleichzeitig einem Beruf nachzugehen – in der Theorie. In der Praxis funktioniert das oft nicht oder bringt die Beteiligten an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Es hört ihnen nur niemand zu, weil: Muster I, Muster II, Muster III – und weil wir getrennt denken, was voneinander abhängt.
Was wir brauchen, ist eine neue Kalibrierung: Wir sollten die Erwerbsarbeit gemeinsam mit der Sorgearbeit denken. Damit meine ich nicht, dass jeder von uns beides gleichzeitig tun sollte. Denn wer Sorgearbeit leistet, kann nicht gleichzeitig erwerbsarbeiten; wer erwerbsarbeitet, kann nicht in der gleichen Minute Kinder betreuen oder Angehörige pflegen. Aber wir müssen beides zusammen denken.
Öffnungszeiten von Kitas, Lebensarbeitszeitkonten, Grundeinkommen – keine Ahnung, was helfen würde. Ich weiß nur: Es ist eine Frage des Willens. Gleichzeitig bin ich überzeugt: So richtig viel müssten wir gar nicht ändern. Es würde schon helfen, wenn wir die Mittel, die wir haben, auch leben. Jede Büro-Organisation kann morgen damit beginnen, Meetings nur zwischen 9 und 15 Uhr stattfinden zu lassen. Niemand hält heute, im Mai 2020, eine Geschäftsführerin davon ab, mehr Remote-Arbeit zu ermöglichen und die Arbeit unabhängiger von Ort und Zeit zu gestalten. Ich bin sicher, dass es auch für viele Vor-Ort-Tätigkeiten, für Handel, Industrie und Handwerk, Ideen gibt.
Dass nicht die eine Lösung für die Thematik „Corona und Familien“ existiert, ist klar. Mit gutem Zuhören und gemeinsamem Abwägen würden wir das ganze Schlamassell allerdings besser hinkriegen – und sei es nur, weil wir uns gegenseitig Wertschätzung entgegenbringen und zum Denken ermuntern. Denn allein dadurch, dass wir gemeinsam Alternativen denken, entstehen neue Möglichkeiten. Denn wenn man etwas denken kann, kann man es auch bewegen.
Ach, und noch was | Wenn ich in Zusammenhang mit Vereinbarkeit von „Karriere“ lese, kriege ich jedesmal Pickel.
Karriere ist etwas, das passiert, während man sich entwickelt, wenn man seiner Tätigkeit mit Freude und Engagement nachgeht. Im Gegensatz dazu wird in der Vereinbarkeitsdebatte – gerade in Hinblick auf Frauen – „Karriere“ als ein Ich-zentrierter, egoistisch motivierter ökonomischer Aufstieg unterstellt. Darum geht es aber doch gar nicht. Vielmehr geht es um Existenzssicherung, um Sinnstiftung, ums Fortschreiben einer persönlichen Entwicklung und um das Gewährleisten einer ökonomischen Unabhängigkeit.
Und noch was | Noch eine Parallele zur Arbeitswelt: Ich habe selbst keine Kinder, aber ich kapiere diese Familien-, Kinder- und Coronaproblematik trotzdem. Verrückt, ne? Vielleicht muss man also gar nicht Wirtschaftsinformatik studiert, einen Dr.-Ing. in Maschinenbau und einen Penis haben, um im Vorstand eines DAX-Konzerns zu sitzen?
Aber ach, was weiß ich schon. Jetzt wird es auch langsam unsachlich.
Schafe | Wenden wir uns den Dingen zu, von denen ich etwas verstehe: den Nichtigkeiten des Vorstadt-Alltags.
Auf dem Weg zum Hauptfriedhof begegnete ich wieder den Schafen. Sie standen diesmal an anderer Stelle und waren geschoren. Immerhin haben meine Gänge nun Ziel und Zweck: Schafe suchen, Schafe finden, Schafen Hallo sagen.
Während des Spaziergangs hörte ich Herrn Drosten zu. Die Folge zum Alltagsverstand war amüsant. Er sagte 45 Minuten lang sinngemäß: „F*ck you, Nobelpreisträger. F*ck you, Professoren. F*ck you, Presse“, drückte sich dabei allerdings sehr seriös und professoral aus.
Corona-Ziel: So dissen können wie Christian Drosten.
Zeitrechnung | Ähnlich der christlichen Zeitenwende gibt es in meinem Leben die Corona-Zeitenwende.
„Das muss vor Corona gewesen sein. Denn ich kam einen Tag vorher aus Heidelberg, und wir haben im Café gesessen.“
„Das war nach Corona-Beginn, als es schon kein Klopapier mehr gab.“
Inzwischen dauert die Corona-Zeit so lange an, dass es innerhalb der neuen Zeitrechnung bereits eigene Zeitrechnungen gibt.
„Das war nach Corona-Beginn, aber bevor die Schafe kamen.“
Gartenstatus | Die Thorstens gedeihen.
Der Garten hat jetzt Mohn.
Gelesen |Tommi Kinnunen: Wege, die sich kreuzen. Finnland zwischen Ende des 19. und Ende des 20. Jahrhunderts. Der Autor nimmt uns mit in das Leben von vier Figuren, drei Frauen, ein Mann – eine Familie. Er erzählt vom Leben in der Wildmark, vom Leben miteinander, von Entbehrungen und Sehnsüchten. Die Auflösung kommt erst auf der vorletzten Seite, das war stark. Hat mir gut gefallen. Lese-Empfehlung.
Über den Weg gelaufen | Der britische Broadcaster BBC hat ein neues Feature: BBC together. Man kann nun, obwohl örtlich getrennt, gemeinsam das Programm schauen, es anhalten, zurückspulen, gleichzeitig chatten und videotelefonieren.
Mmmpf | Je länger ich in Isolation lebe, desto griesgnaddeliger werde ich. Alles, wirklich alles, einschließlich ich mir selbst, geht mir in diesen Tagen auf die Nerven.
Corona mit Familie ist nicht einfach. Corona alleine ist es auch nicht.
Milchreis | Seit Wochen wohnt eine Packung Milchreis in meiner Küchenschublade. Es wurde Zeit, dass wir uns kennenlernen.
You never corona alone | Die Heimat schenkte mir heute einen thematischen Mund-Nasen-Schutz.
//*summt „Heja BVB, Heja BVB …“
Gelesen |Igor Levit Is Like No Other Pianist. Das Magazin New Yorker portraitiert den in Berlin wohnenden und politisch aktiven Pianisten Igor Levit, der in den vergangenen Wochen täglich ein Konzert auf Twitter gestreamt hat.
Gelesen | Finnland hat das Grundeinkommen getestet und wird es nicht flächendeckend einführen – denkt aber weiter daran herum. Denn es gehe darum herauszufinden, …
… was Menschen brauchen, um sich als wertvoller Teil der Gesellschaft und motiviert zu fühlen. Wir haben gelernt, dass es nicht reicht, ihnen einfach nur Geld zu schenken und zu hoffen, dass sich damit alle Probleme von allein lösen.
Lohnarbeit sei dabei nicht der einzige Maßstab für Erfolg. So sei zum Beispiel doppelt so viel Freiwilligenarbeit geleistet wurden. Andere unbezahlte Arbeit – etwa die Betreuung von Angehörigen – sei um ein gutes Drittel angestiegen. Die Menschen seien weniger gestresst und fühlten sich psychisch gesunder.
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