Wanderungen | Was ich an Bergen faszinierend finde, und das klingt zugegebenermaßen etwas skurril, ist, dass sie einfach so aus dem Boden wachsen. Vor einem liegen Felder, stehen Bäume, jemand hat ein Haus gebaut, und plötzlich erhebt sich dahinter die Welt, zweitausend Meter hoch, völlig ohne Grund. Ich meine, natürlich gibt es einen Grund, Plattentektonik und so, das wissen wir alle, die wir einigermaßen wach waren in der Schule, aber dennoch: Sie sind einfach so da. Manchmal stehen sie arg im Weg, die Berge, völlig unpraktisch, ein anderes Mal passen sie ganz gut, gerade wenn sich mehrere von ihnen aneinanderreihen und ein hübsches Gebirge bilden; dann hat man den Eindruck, es ergebe irgendwie Sinn.
In den vergangenen Tagen hat es wild geregnet, in den Bergen schneite es, und tags darauf, als die Sonne wieder schien, hatte man den Eindruck, als wollten die Berge sagen: Seht her, wir können es in Grün, in Grau und in Weiß! Die Touristen liefen durchs Tal und fotografierten die unterträglich idyllische Kulisse: Im Vordergrund Häuser, traditionelle Bauten mit Holzbalkonen und Schnitzereien, mit Geranien und religiösen Gemälden, das ganze Foto reine Folklore. Andere Menschen liefen die Berge hinauf und fotografieren von dort: Im Tal die kleine Stadt, im Hintergrund die Berge, heimelig bewaldet oder romantisch verschneit. Das waren wir.
Bei Antritt unserer Reise war die Wettervorhersage übel gewesen: Sieben Tage Regen, sechs Tage wilder Wind, nichts, was man dauerhaft aushält, vor allem nicht mit drei Teenagern in einer Ferienwohnung. Doch jeden Tag gab es Sonnenstunden, und jeden Tag konnten wir rausgehen und uns auslüften.
Wenn man in Garmisch-Partenkirchen ist, muss man durch die Partnachklamm laufen, egal wie oft man schon dort war. So will es das Gesetz. Also wanderten wir durch die Klamm, staunten und studierten alte Geschichten über die Holztrift, den Transport von Holzstämmen durch das Wasser der Schlucht. Hinter der Klamm stiegen wir in engen Schleifen hinauf auf den Eckbauer. Auf der Außenterrasse verköstigten wir Kaiserschmarrn und schauten auf die Berge, als justament Herr Stör ums Eck kam – er ist den meisten von Ihnen bekannt durch 16 Stunden Leid in Hamburg. Ein großes Hallo!
Kaiserschmarrn gab es noch ein weiteres Mal auf, nämlich auf der Tannenhütte, man braucht schließlich einen Vergleich. Der Tannenhütten-Kaiserschmarrn punktete durch die Absenz von Rosinen, auf dem Eckbauer war die Menge an Apfelmus auskömmlicher.
Einen dritten Wandertag verlebten wir kaiserschmarrnlos auf der Ruine Werdenfels. Wir begnügten uns mit Broten.
Friedhof | Wir besuchten auch einen Friedhof. Immer, wenn ich länger in fremden Städten bin, gehe ich auf einen Friedhof. Dort werden die Geschichten des Ortes erzählt – solche, die geschehen sind, solche, die vielleicht geschehen sind, und solche, die sicher nicht geschehen sind, die aber hätten geschehen können.
Geschichten, die geschehen sind, sind die vom Koserseppl, dem, so steht es auf dem Grabstein, Erstbesteiger des kleinen Waxensteins, und die von Anton Buchmeister, dem Schuhmachermeister, und Elisabetha, der, so ist es graviert, Schuhmachermeistersgattin. Direkt daneben befindet sich das Grab einer Bäckersgattin, deren Sohn in Griechenland verblich, kriegsbedingt. Wiederum daneben begegnen man einem Lohnkutschereibesitzer und seiner Lohnkutschereibesitzersgattin. „Es handelt sich um ein Lohnkutschereibesitzergattinnengrab“, konstatierte der Reiseleiter.
An anderer Stelle fragt man sich, und da wird es fantastievoller: Welch ein Mensch war wohl der Ostler Josef, genannt Duschn Seppl? Was hat sein Sohn, der Ostler Josef junior, der Duschn Sepp, ohne L, erlebt? Warum heißt er genauso wie der Koserseppl, der Erstbesteiger, der auch ein Ostler Josef war – ist das Zufall? Die Schuhmachersgattin Elisabetha war ebenfalls eine geborene Ostler – wie hängt das alles zusammen? Kannten die Ostlers wohl den Gretschn Hanne, der ein paar Meter weiter ruht – und wenn ja, mochten sie ihn oder eben grad nicht?
All diese Menschen, all diese Fragen liegen dem Besucher zu Füßen, im Wortsinne liegen sie da, die Leute und die Geschichten, und man möchte sie kennenlernen.
Leser’innenfrage | Eine Frage aus der Themen-Vorschlagsliste: „wie stehst du zu alles anderen außer heterosexualität? wie ist es in deinem freundeskreis? ich habe bei mir festgestellt, dass 100% anteil an hetero paare im freundeskreis nicht zu der statistik passen. ich werde meine bisexualität jetzt etwas mehr publik machen. vielleicht gibt das anderen die kraft die sie brauchen. lg aus berlin.“
Ich habe Menschen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, die bisexuell sind, die schwul sind, die lesbisch und die hetero sind. Mir ist wichtig, dass all diese Menschen glücklich sind – ob mit einem Mann, einer Frau, mit Männern und Frauen, mit nonbinären Menschen, ob sie selbst nonbinär sind, Transmann, Transfrau oder cis, all das lasse ich bei ihnen. Ich freue mich, dass ich Teil ihres Lebens sein darf; ich freue mich, wenn wir über unsere Gefühle sprechen und wenn wir unsere Gedanken austauschen – manchmal zur sexuellen Idenität, meistens nicht. Denn, seien wir ehrlich, so spannend ist die Frage nicht, welches Geschlecht man präferiert. Viel spannender ist, was in einer Beziehung wichtig ist, warum manch einer lieber keine hat, andere dafür umso lieber, was gerade so los ist im Leben der Freundinnen und Freunde, wie es ihnen geht, welche Gedanken und Gefühle sie umtreiben und ob sie Waffeln lieber mit oder ohne Kirschen mögen.
Ich war so frei und habe die Frage an einen engen Freund weitergeleitet. Seine Antwort:
„Mach dem Jungen mal einen Teller Suppe warm, ich glaube der hat Hunger.“ Das waren die Worte meines Vaters an seine jetzige Frau, nachdem ich ihm erzählt habe, dass ich mich in einen Mann verliebt habe. Niemand, wirklich niemand hat mir etwas Böses gesagt, nachdem ich mich bei ihr oder ihm geoutet habe. Ich hatte mir völlig umsonst mein Outing in den schlimmsten Szenarien vorgestellt.
Nach der Suppe war die drängelte Frage meines Vaters, wie ich das über 48 Jahre ausgehalten habe, mein eigenes Ich zu unterdrücken. Er wollte wissen, warum ich mich dermaßen gequält habe. Das war seine einzige Sorge. Das ist jetzt ca. ein Jahr her. Eine Antwort habe ich bis heute nur bedingt. Ich bin nach der Scheidung meiner Eltern bei meiner Mutter aufgewachsen, und in der Familie gehörte es zum guten Ton, Witze über Schwule zu machen. Es war dort einfach nicht präsent, dass es abseits des traditionellen Familienbildes auch andere Lebens- oder Partnerschaftsmodelle gab. Auch in meinem Beruf als Soldat wollte ich nicht aus der Reihe tanzen und ließ diesen Teil von mir, der Männer und Frauen gleichermaßen sexuell anziehend fand, lieber im Dunkeln. Es gibt zwar immer mehr queere Soldatinnen und Soldaten, die dazu stehen. Aber ich würde auch heute noch sagen, dass es unter Umständen besser ist, wenn im Kreis der Kamerad*innen nicht alles Private bekannt ist.
Nur irgendwann kommt der Punkt, da kannst du nicht mehr dauend unterdrücken. Es schreit in deiner Seele und will raus. Und dann kam in meinem Fall einfach nur der richtige Mann zum Verlieben. Einfach so, ohne Vorwarnung. Und dann musste ich mich entscheiden. Er sagte zu mir den einen Satz, der für mich alles verändert hat: „Niemand wird an Dein Sterbebett kommen und sagen: Herzlichen Glückwunsch dafür, dass Sie so ein vorbildliches hetero-normatives Leben gelebt haben. Hier ist Ihre Medaille.“
Ich habe durch das Unterdrücken meiner Sexualität Menschen verletzt. Ich war zu den Frauen in meinen bisherigen Beziehungen nicht ehrlich. Das war einfach nicht fair. Das Unterdrücken meiner Bisexualität hat anderen, aber insbesondere auch mir Schaden zugefügt. Und daher kann ich aus heutiger Sicht nur sagen: Outen. Nicht unterdrücken. Zu sich selbst stehen. Sonst wird es in unserer Gesellschaft nie zur Normalität gehören.
Geguckt | Gemeinsam mit den Kindern: Gratwanderung – Zum Tode von Laura Dahlmeier. Während des Urlaubs kamen immer wieder Fragen zu Laura Dahlmeier, zu ihrer Wander- und Kletterleistung, zu ihren Todesumständen und warum sie nicht geborgen werden konnte. Ich habe sie geduldig beantwortet, denn ich finde es einerseits wichtig, den Tod als Teil des Lebens zu verstehen, andererseits konnten wir gut besprechen, dass Berge gefährlich sind, selbst für absolute Profis, und dass man besonnen und gut vorbereitet sein muss, wenn man in eine Bergtour startet.
Schlappenstunk – The End | Zunächst zu der Angelegenheit, die hier auf reges Interesse stieß: Die Badeschlappen und ich gehen getrennte Wege. Das hat nichts mit Ihren hervorragenden Tipps gegen Schlappenstunk zu tun – vielen Dank dafür! Ich hätte sie allesamt gerne ausprobiert. Die Sache ist nur: Als ich für einen letzten Saunabesuch in die Schlappen stieg, löste sich die Innensohle und ich schlitterte durch den Wellnessbereich wie ein hüftkranker Pinguin. Bei näherer Begutachtung zeigte sich, dass außerdem beidseitig die Riemen eingerissen waren. Das waren zwei Gründe zu viel, um gemeinsam weiterzureisen. Ich beerdigte die Schlappen im Mülleimer des Hotelzimmers. Ich kann Ihnen also leider keine Auskunft über die Wirksamkeit der Ratschläge geben.
Eckkopf | Mein letzter Tag in der Pfalz bescherte hervorragendes Wanderwetter. Ich brach auf, um den höchsten Berg der Gegend zu begehen, den 500 Meter hohen Eckkopf. Anschließend lief ich in weiter Runde den Berg hinunter und kehrte für einen Zwiebelkuchen und eine Traubenschorle ein. Dann lief ich durch die Weinberge nach Hause. Ein toller Abschluss.
Fahrt nach Garmisch | Am nächsten Tag fuhr ich erst nach Neustadt, von dort nach Mannheim und von Mannheim nach München. Schräg vor mir saß eine alte Dame: „Das ist das erste Mal, dass ich allein Zug fahre.“ Sonst habe sie immer jemanden an ihrer Seite gehabt, aber nun, mit 86, sei es an der Zeit für mehr Wagemut. Ihr Sohn habe sie vor der Fahrt mit den relevanten Apps versorgt. Jedoch fehle ihr noch die Übung. Ihre Nebensitzerin gab ihr eine Bahn-App-Schulung. Sie: „Na, wenn es so einfach ist, dann ist es ja einfach!“
Der Verkaufsautomat am Bahnhof in Deidesheim war übrigens deutlich anders bestückt als die Automaten im Ruhrgebiet: Statt Snickers und Energie-Drinks gibt es Wein, Sekt und Konserven mit Blutwurst. Und Gläser! Es werden tatsächlich Gläser verkauft.
In München-Pasing traf ich auf den Reiseleiter und die Kinder. Sie saßen bereits im Zug, angereist aus Haltern. Gemeinsam fuhren wir nach Garmisch und bezogen unsere Ferienwohnung. Schnelles Wäschewaschen, und der Domizilwechsel war vollzogen.
Gelesen | Marschlande von Jarka Kubsova. Britta ist gemeinsam mit ihrer Familie in die Marschlande vor die Tore Hamburgs gezogen und fremdelt. Abelke lebte dort vor fünfhundert Jahre zuvor. Eine parallele Erzählung zweier Frauenleben. Gute Urlaubsunterhaltung.
Urlaub | Bis zum Abend benötige ich durchschnittlich sieben Worte: „Eine Latte Macchiato, bitte“ und „Eine Traubensaftschorle. Danke.“ Ersteres spreche ich beim Frühstück, zweiteres wenn ich auf meiner Wanderung zur Rast anhalte. Nur fürs Abendessen benötige ich mehr.
Fünf Tage bin ich hier. Motto: Wellness, Wandern, Wein, wenig Worte. Es ist wunderbar.
Man stellt mir täglich ein Menü zusammen, drei Gänge, so habe ich es gebucht. Jeden Abend sind Abstimmungen vonnöten, denn jeden Abend mag ich keine Pilze. Um die Anzahl der Worte zu begrenzen, fragte ich zu Beginn meines Aufenthaltes, ob man ein Briefing zu meinen Vorlieben und Abneigungen wolle – etwa, um inmitten der Pilzsaison die Pilzsache abzuhandeln, und auch, damit ich nicht nörgelig wirke. Man wollte nicht, „wir schauen einfach jeden Tag“. Das führt täglich zu fünfzig zusätzlichen Worten. Alles in allem sind es jedoch immer noch ausreichend wenig, um mich von meiner Übermenschung zu erholen, und das Essen ist, von Pilzen befreit, vorzüglich.
Underdressed | Die Menschen in meinem Hotel sind allesamt absurd chic angezogen, schon beim Frühstück. Heute Morgen raschelten vier Damen in schwarzen Paillettenkleidern durchs Buffet, als gingen sie vom Croissant direkt in die Oper.
Das restliche Publikum ist morgens wie abends ein Showroom der Appelrath & Cüpper Cashmere & Loungewear Highlights: geschmeidige Pullover, Seidenblusen, Popelinhosen, Culottes und schwingende Röcke, die Herren in Chinos mit Lederschuhen oder van-Bommel-Sneakern, der Pullover über die Schultern gelegt, altersbedingt auch zweireihige Sakkos.
Ich fühle mich hart underdressed und versuche, meinen mangelnden Stil mit guten Manieren wettzumachen, immer an William Hanson denkend.
Wein | Wein ist das beherrschende Thema des Ortes. Wo man geht und steht: Weinberge, Weingüter, Weinranken, Weinstüberl, Vinotheken, ein Weinbach. Und Weinbauern.
An einem der Abende wagte ich es, keinen Wein, sondern ein alkoholfreies Weizen zu bestellen, ich hatte Durst. Man sah mich an – nur der Wunsch nach Fanta wäre abschätziger bedacht worden.
Zum Dessert mochte ich dann doch einen Wein. Man bot mir an, blind drei Rieslinge der örtlichen Weingüter zu verkosten. Ich nahm einen Schluck vom ersten und sagte: „Von Buhl.“ Das war leicht herauszuschmecken, ich finde ihn muffig. Der Sommelier legte den Kopf schief, hob die Augenbrauen und nickte, deutete auf die anderen beiden. Ich probierte, tippte ans zweite Glas und sagte: „Der schmeckt am besten.“ Es war der teuerste, Ruppertsberger ReiterpfadRiesling trocken, ein – Zitat aus dem Verkaufsprospekt – „Solist auf hohem Niveau“ mit „eleganter Mundfülle“. Ich trank ein Viertele, aß lauwarme Portweinfeigen mit Pistazieneis und Sabayone dazu, war beschwipst und ging danach ins Bett.
Der Ort ist eine pittoreske Ansammlung von Sträßchen und Gässchen, Fachwerk und alten Bauernhäusern. Es gibt Brunnen und Schänken, Palmen und Südfrüchte. In Gärten und an Mauern wachsen abstrus große Feigenbäume.
An den Ort schließen Weinberge an, auf die Weinberge folgt Wald. Geht man in den Wald hinein, kann man mit angenehmer Steigung wandern. In Kreiseln und Zirkeln winden sich weiche Wege hinauf auf den Kirchberg, den Kehrberg, den Sommerberg und den Eckkopf, man trifft auf Kapellen, Bänke und Denkmäler – und Kastanien. Allerorten fallen sie aus der Höhe herab, ein Rascheln kündigt es an, dann schlagen sie dumpf auf dem Waldboden auf. Man sollte Helm tragen.
Ich lerne, dass Kastanien hier Keschde heißen und dass es weiter südlich einen Keschdeweg gibt. Man bereitet Keschdlichkeiten zu, Kastanienhonig oder Kastaniensaumagen.
Saumagen und Leberknödel, Schwartemagen und Griebenwurst – das sind die Gerichte hier. Wer kein Fleisch mag, hat es schwer, besonders in der Gaststätte, die am Pfälzer Weinsteig liegt. Rentner fahren mit großen Autos vor. Vor vollen Tellern sitzen sie auf dunklen Eichenstühlen, langen breitarmig zu, schauen, den Wald im Rücken, in die sich weit aufspannende Ebene, trinken zwei Viertele Rivaner und steigen danach zurück in ihre Autos.
Ich mache Rast, lege meinen Rucksack ab und bestelle eine Traubenschorle.
Szene | An einem Morgen sitze ich neben einem Paar, beide in den Siebzigern. Ich habe mir grad mein Frühstück gerichtet. Am Nebentisch sind die Kaffeetassen bereits ausgetrunken, der Service räumt bekrümelte Teller ab. „Ich möchte, dass du dich zusammenreißt“, sagt sie in weich fallender, sandfarbener Cashmere-Seide. Ich beginne mit Bircher-Müsli, es ist außerordentlich gut, sehr fruchtig. Käse und Feigenmarmelade werden folgen. „Um halb Eins gibt es Mittag. Nicht, dass du wieder übersättigt bist.“ Er, hellblauer Wollpullover, brummt Unverständliches, schiebt seinen Stuhl zurück, geht zum Buffet und kommt mit einem Teller zurück. Sie schnauft. „Nochmal Käse. Dass du dir davon so viel aufschaufeln musst. Der ist viel zu trocken hier.“ Er legt ein Stück aufs Brot und beißt hinein. Hinter seinem Rücken geht ein Mann vorbei. „Der große Mann da“, sagt sie, als er noch nicht außer Hörweite ist. „Hast du den gesehen? Der läuft komisch. Es gibt so viele große Männer, die komisch laufen. Du läufst auch komisch.“ Er kaut. Ich gehe ebenfalls zum Käse über, ein milder Manchego, und streiche Feigenmarmelade darauf. „Was die Renate im Status hat“, sagt sie und hält ihm das Handy hin. „Schau. Im feinen Abendkleid steht sie da. Eben noch hat sie auf dem Totenbett gelegen, schon will sie wieder die Schönste sein. Was denkt sie sich dabei?“ Er kaut und macht „Mmmh.“ Sie wischt auf dem Display und hält ihm das Handy erneut hin. „Martin. Wie der aussieht. Nur weil Stefanie nicht bügelt.“ Er wischt sich den Mund mit einer Serviette ab und sagt: „Ich bin fertig.“ – Sie: „In drei Stunden gibt es Maronenbraten.“ Er erhebt sich, sagt: „Das ist mir grad recht“, und geht, ohne auf sie zu warten.
Schlappenstunk | Gestern lag ich auf meinem Hotelbett. In unregelmäßigen Abständen wehte mir ein unangenehmer Geruch in die Nase, eine Mischung aus Schweiß und altem Parmesan mit einer Kopfnote „Seniorenheim“.
Ich schnupperte an mir: alles in Ordnung. Ich roch am Kopfkissen, an der Bettdecke, am Bett, am Bademantel. Bis ich feststellte: Es sind meine Badeschlappen. Unerfreulich! Zumal es relativ neue Schlappen sind; ich habe sie dieses Jahr, weil ich meine Bestandsschlappen vergessen hatte, für unangenehm viel Geld in einem unangenehm teuren Saunaparadies erworben. Es sind die bestpassendsten Schlappen, die ich je für meine Füße hatte.
Ich googelte das Problem, und während die Suchmaschine suchte, dachte ich: Das ist es, was von mir bleiben wird, wenn ich jetzt umgebracht werde und die Kripo ermittelt – der Browserverlauf „badeschlappen stinken was tun“.
Gelesen | Sarah Stricker: Fünf Kopeken. Die Erzählerin erzählt die Geschichte ihrer Mutter. Als Kind wird sie von ihren Eltern, die in einer westdeutschen Kleinstadt ein Modegeschäft führen, mit Strenge gehätschelt. Als junge Frau – der Vater expandiert sein Geschäft „in die neuen Länder“ – geht sie mit ihnen nach Berlin. Bis hierhin ist die Geschichte zwar langatmig, aber sprachlich pointiert – außerdem mochte ich die piefige Atmosphäre der westdeutschen 80er Jahre und die Erzählung von der technokratischen Erziehung der Tochter. In Berlin beginnt die Protagonistin eine Affäre mit ihrem Nachbarn. Die Geschichte bekommt einen logischen Bruch. Es bleibt rätselhaft, was sie an dem ungehobelten Mann findet, welches Bedürfnis die Liebschaft befriedigt. Die Nachwende-Geschichte wird leider nicht weiter verfolgt: Der Aufbau des Geschäfts im chaotischen Berlin der 1990er, das anmaßende Auftreten des Vaters, die Konflikte zwischen West- und Ost-Mentalität – alles fällt erzählerisch der Affäre zum Opfer. Ich legte das Buch weg.
Gelesen | Mora Herngren: Scheidung, aus dem Schwedischen von Katharina Martl. Nachdem ich zuletzt Schwiegermutter mit Begeisterung las, folgte nun das erste Buch der Autorin. Erneut eine große Freude. Die Handlung: Bea und Niklas sind seit dreißig Jahren ein Paar. Nach einem belanglosen Streit verlässt Niklas die gemeinsame Wohnung und kommt nicht zurück. Die vielen Mikroverletzungen der vergangenen Jahre münden in einer Trennung. Moa Herngren erzählt präzise vom langsamen Erodieren einer Beziehung, von unausgesprochenen Wünschen und Versäumnissen auf beiden Seiten.
Heute | Heute beschloss ich kurzerhand, nichts zu tun. Keine Wanderung, kein Wellness. Ich stellte lediglich die Fünf Kopeken in den hiesigen Bücherschrank. Wo Tender Bar das Regalbrett dekoriert, stand vorher Great again! von einem orangenen Präsidenten – das konnte ich nicht so lassen.
Danach ging ich zur Drogerie, Desinfektion kaufen. Möglicherweise löst sich dadurch mein Schlappenproblem. Nach ausgiebigem Einseifen, Einweichen und mehrfachem Einsprühen habe ich jedoch wenig Hoffnung. Sie müffeln immer noch.
Archivschweine | Durch das Bild könnte der Eindruck entstehen, das Schwein im Hintergrund – es handelt sich um das Tier „Müsli“ – sei suizidal und wolle sich in die Tiefe stürzen. Dem ist nicht so. Vielmehr zeigen sich im Stall Parallelen zum Menschenhaus. In beiden Gebäuden verdrücken sich die Teenager ins Obergeschoss und kommen nur herunter, wenn Nahrung gereicht wird.
Urlaub | Ich gleite sachte in den Urlaub hinein. Eigentlich bin ich seit zwei Tagen out of office. Aber die Goldene Regel der Selbstständigkeit will es, dass immer kurz vor dem Urlaub zahlreiche Anfragen reinkommen. Das ist erfreulich, und ich will mich auch nicht beschweren – ich freue mich ab morgen allerdings auch sehr aufs Nichtstun. Dann wirklich!
Vergangene Woche war ich noch einmal bei Kunden unterwegs. Zuerst ein Workshop zu guter Kommunikation in spannungsreichen Situationen. Danach der Abschluss einer Teamentwicklung. Begonnen haben wir die Teamentwicklung – ohne Vorwurf an die Beteiligten, aus der Organisationskultur heraus – bei Silodenken, unklarer Verantwortung, doppelter Arbeit, Einzelkämpfertum und fehlenden Urlaubsvertretungen. Nach einem Jahr habe ich das Team dahin gebracht, dass es altersbedingte Personalwechsel gemeistert hat, dass es die Aufgaben neu sortiert hat und nun flexibler und effizienter zusammenarbeitet. Außerdem ist es nun in der Lage, für die eigenen Belange Verantwortung zu übernehmen und sich zukünftig auch ohne mich weiterzuentwickeln. Besseres unternehmerisches Handeln und gleichzeitig mehr Zufriedenheit bei den Mitarbeiter’innen – es war mir eine große Freude, diese Entwicklung zu orchestrieren. Wir hatten insgesamt sechs Workshops, dazu begleitete ich die Mitarbeiter’innen ein wenig on the job.
Heimweg vom Bahnhof in der Abenddämmerung auf dem Weg zurück nach Hause:
Zeitgeschehen | Jetzt, wo ich mein Sojaschnitzel nicht mehr Schnitzel nennen darf, gibt es bestimmt bald mehr Wohnungen, die Krankenkassenbeiträge sinken, die Kitas haben einen ausreichenden Personalschlüssel, die Verwaltung ist digitalisiert, wir haben ein Tempolimit, die Bahn fährt wieder pünktlich und wir sind klimaneutral. Das wird super.
Stammtisch | Der Freundeskreis „Drei Gänge“ traf sich wieder zum Stammtisch.
Wir stellten fest, dass im kommenden Jahr drei Mitglieder runden: zweimal 50, einmal 60. Man kündigte Feierfreude an, jedoch noch ohne konkret terminierte Einladung.
Die Situation war altersgerecht getrübt von allerlei Wehwehchen: Die Eine grämt der Fernsporn, der Andere stieß sich beim nächtlichen Durchs-Schlafzimmer-Tappern den Zeh, dazu die übliche Leseschwäche und allgemeine Unpässlichkeit. Wir aßen weniger als sonst. Auch das lässt nach – neben der Sehkraft.
Der Eisenmann suchte Mitstreiter für seine Triathlon-Staffel 2026. Der Reiseleiter ließ sich überreden. Es wird also einen erneuten Ausflug nach Hamburg geben, allerdings über eine deutlich geringere Distanz als im vergangenen Jahr: Statt 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42 Kilometer laufen werden es einskommsfünf, vierzig und zehn, aufgteilt auf drei Personen. Was nicht heißt, dass es einzelnen Teilnehmenden leichter fällt. Die gute Nachricht: Ich war Ersatzfrau für den Schwimmer; der Schwimmer steigt allerdings, Stand jetzt, wie geplant ins Wasser. Nochmal joot jejange!
Serviceblog | In meinem letzten Beitrag, es ging um Landmaschinen, aber auch um Birnenkuchen, erwähnte ich zwei Kuchenteige. Kommentatorin Nadine fragt nach Rezepten. Hier sind sie:
Der Universalteig besteht aus 200 Gramm Butter, 350 Gramm Zucker, zwei Päckchen Vanillezucker, vier Eiern, 500 Gramm Mehl, einer Packung Backpulver und einem Becher Buttermilch. Man kann alles hineintun, was beliebt: Schokoraspeln oder Kakao oder Heidelbeeren – oder was auch immer. Nur nicht mehr Flüssigkeit. Ich nehme immer Schokoraspeln. Man kann daraus Kuchen oder Muffins machen. Oder ihn einfach vom Löffel lecken. 180 – 200 Grad, 20 – 45 Minuten, Muffins kurz, Kuchen länger.
Der Birnenkuchen geht so: 150 Gramm Butter, 150 Gramm Zucker, drei Eier, 300 Gramm Mehl, eine Packung Backpulver, fünf Esslöffel Haferflocken und drei großzügige Schwappe Milch mischen. Raspelschokolade und Kakao zugeben, bis man einen hübschen Schokoteig hat, außerdem etwas Zimt und, wer mag, Rum-Aroma. Die Hälfte des Teigs in eine Springform geben, Birnen aus der Konserve drauflegen, mit dem Rest Teig bedecken. 180 – 200 Grad, 45 – 60 Minuten.
Gegenwartskunst | Symbolbild „Teenager im Haus“.
Gelesen | Martin Seelaib-Kaiser ist Professor für vergleichende Politikwissenschaft und kennt sich gut mit Sozialsystemen aus. Im Interview bei der Süddeutschen Zeitung sagt er, unser Rentensystem sei besser als sein Ruf. Dennoch hat er klare Verbesserungsvorschläge: stärkere und verpflichtende Betriebsrenten, Integration von Beamt’innen in die gesetzliche Rente, Vermögenssteuer, Abschaffung des Ehegattensplittings, eine höhere Erbschaftssteuer und die Möglichkeit, als älterer Mensch freiwillig länger zu arbeiten. Außerdem plädiert er für eine starke Vereinfachung des Sozialhilfesystems:
In Deutschland ist man sehr auf Einzelfallgerechtigkeit aus. Dadurch wird das System zum Teil überkomplex. Eine Vereinfachungsidee wäre, Sozialleistungen wie Wohngeld oder Kinderzuschläge über das Finanzamt abzurechnen. Denn dem Finanzamt ist ja bekannt, welchen Familienstand ich habe und wie viele Kinder. Es weiß auch, wie viel ich verdiene und ab welcher Lohngrenze mir eine Leistung vielleicht nicht mehr zusteht. Der Staat hätte so die Möglichkeit, Leistungen zu gewähren, ohne dass Menschen Anträge stellen müssten. Ich weiß, das ist fast eine utopische Vorstellung, vieles steht dem entgegen: das Steuergeheimnis, der Datenschutz, die Digitalisierung, bei der Deutschland hinterherhinkt.
Lange war es ja so: Wer „beim Bosch“ arbeitete, hatte es geschafft. „Halt dei Gosch, i schaff beim Bosch“ lautet ein schwäbisches Sprichwort. Der Spruch stammt aus einer Zeit, in der der Arbeitsplatz bei Bosch als sicher und privilegiert galt. Eine Anstellung dort kam nicht nur einer Verbeamtung gleich, sie verlieh dem Mitarbeiter auch Autorität. Wer beim größten Autozulieferer der Welt arbeitete, war in der Regel stolz darauf. Für Vermieter in Stuttgart gab es eine Traumkonstellation: die Frau Lehrerin, der Mann Ingenieur bei Bosch, mehr Sicherheit ging eigentlich nicht.
Ich bin zwiegespalten. Einerseits kann ich die individuelle Ebene gut nachvollziehen: Man hat sich etwas aufgebaut, möglicherweise ein Eigenheim errichtet, man ist sozial eingebunden, die Existenz ist gesichert – und plötzlich steht alles infrage. Gleichzeitig denke ich, dass wir lernen müssen, Umbrüchen resilienter zu begegnen: Wir müssen lernen, dass wir auch anderswo Arbeit finden, dass wir auch anderswo ankommen können, dass es uns gelingen wird, die Krise zu überstehen und gestärkt aus ihr hervorzugehen. Als jemand, dessen Leben zahlreiche (mehrheitlich selbst gewählte, aber auch ungeplante) Brüche hat, und als jemand, der sich in der Selbstständigkeit ganz auf die eigenen Fähigkeiten verlässt, fühle ich mich befremdet von dem Anspruch, alles möge auf ewig so kommod bleiben, wie es ist. Das Wesen des Lebens ist es, dass es uns Herausforderungen bringt und uns Entscheidungen abverlangt.
Wir werden in den nächsten Jahrzehnten zahlreiche Krisen bewältigen, bedingt durch technologische, geopolitische oder klimatische Entwicklungen. Neben der individuellen Anpassungsleistung müssen wir auch als Gesellschaft Umbrüche besser organisieren. Wir benötigen Strukturen und den Willen, die Folgen von Veränderungen abzufedern, ohne dass wir ihre Notwendigkeit negieren. Bei allem, was kommt: Wir können das Meiste nicht mehr ändern, sondern brauchen einen positiven Blick auf die Zukunft und kluge Maßnahmen für das Gemeinwohl. Was ich hingegen beobachte, ist vor allem Protektionismus: Bewahrung auf Teufel komm‘ raus – zum Wohle derer, die gut gestellt sind, und auf Kosten von Unternehmen und Privatpersonen, die bereits große Anpassungsleistungen erbringen, ohne Unterstützung – oder die dies aufgrund von Rahmenbedingungen nicht können.
Schauen wir zum Abschluss genauer ins Saarland, denn von dort lässt sich lernen. Dort haben sich in den vergangenen Monaten 51 zufällig ausgeloste Bürger:innen mit der Frage auseinander gesetzt, wir ihr Bundesland den Herausforderungen der Erderwärmung begegnen soll.
Die Bürgerinnen und Bürger haben – wissenschaftlich begleitet – über Lösungsansätze gesprochen. Spannend sei gewesen, dass die Beteiligten auch die Folgen ihrer Vorschläge weiterdenken sollten.
Gemeinsam mussten die Teilnehmenden also Maßnahmen bis in Details durchdenken und konnten sich dabei die Folgen bis vor ihre Haustür bewusst machen. In öffentlichen Debatten kommen wir so weit selten.
Herausgekommen ist ein gemeinsames Gutachten – das hoffentlich nicht in der Schublade verschwindet.
Und sonst | Ich war in Rheda-Wiedenbrück.
Das Auto musste in eine Vertragswerkstatt. Als ich vor einigen Wochen auf der Autobahn fuhr, löste sich von einem Lkw, den ich gerade überholte, ein Metallteil und knallte in meine Frontscheibe. Sie riss sofort auf halber Länge. Ich erschrak mächtig.
Während das Auto im OP war, lief ich entlang der Ems zur Flora Westfalica, trank Kaffee im Städtchen, arbeitete und vertrödelte auf beste Weise die Zeit.
Broterwerb | Drei Tage Workshop, Monatswechsel, Feiertag und langes Wochenende – und heute der erste Tag, an dem ich wieder am Schreibtisch saß. Das war wild. Am Ende des Tages, also jetzt, habe ich zwölf To Dos in meiner Erledigt-Spalte: Dokumentation der Workshops, Rechnungslauf September, dringende Vertragsklärungen, Angebote schreiben, Buchhaltung, Umsatzsteuervoranmeldung, E-Mails beantworten, Seminarvorbereitung und jede Menge Kleinzeug.
Zwei der drei Workshoptage verbrachte ich in der vergangenen Woche in Niedersachsen. Hinweis auf den Ort und den Kunden:
Zwei intensive Tage mit einem der zentralen Bereiche des Unternehmens. Wir haben Organisatorisches glattgezogen, erhellt, geklärt und Veränderungen angestoßen.
Ich fuhr mit dem Auto nach Damme, denn Damme hat weder einen Bahnhof noch ist der Ort in einem angemessenen Takt an eine Busverbindung angebunden. Dafür gibt es viel Gegend. Am Abend des ersten Workshoptages spazierte ich zur Entspannung einen weiten Bogen durch Felder, erkundete frische und weniger frische Einfamilienhaussiedlungen und kam unterm Sternenhimmel zurück zum Hotel.
Ich war direkt von Duisburg nach Damme gefahren. Dort war ich für das Thema „Führen ohne Macht“. Es ging darum, die eigenen Projekte und Vorhaben in der Organisation voranzubringen. Wir hatten ein außerordentlich munteres Seminar, in dem wir über Gestaltungsmacht sprachen und darüber, was es braucht, damit Menschen einem folgen. Wir sprachen über Mechanismen in der Organisation, über Strukturen, denen man sich bedienen kann, über Gesprächsstrategien und die Grundlagen der Motivation.
Heute erreichte mich das Feedback einer Teilnehmerin. Screenshot aus der E-Mail der Personalentwicklerin, die es mir weiterleitete:
Hachz! <3
Zustand | Ich genieße, dass das Leben nach der Bürgermeisterkandidatur nun wieder ruhiger ist. Nur noch Beruf- und Privatleben, kein drittes Projekt – wie erholsam! Die frei gewordene Zeit fülle ich mit Büchern, Gartenarbeit und mit Puzzeln. Gestern habe ich den Herbstsport eingeleitet: Nachdem das Freibad nun geschlossen hat, rudere ich wieder durchs Obergeschoss. Dazu ein paar SitUps und Übungen mit dem Terraband, und fertig ist der Muskelkater. Parallel dazu haben der Reiseleiter und ich eine neue Serie angefangen: Department Q. Bislang vielversprechend.
Ab nächste Woche dann zwei Wochen Urlaub: Erst alleine im Wellnesshotel. Ziel: fünf Tage lang möglichst wenig reden, viel schlafen, viel lesen, wenig denken. Danach eine Woche mit dem Reiseleiter und den Kindern in Garmisch.
Gelesen |Mechthild Bormann: Grenzgänger. Das Buch hatte ich immer mal auf meiner Liste, habe es dann aber doch nicht gekauft oder aus der Bücherei geliehen – nun lag es im Bücherschrank. Mechthild Bormann erzählt die Geschichte von Henni – Henriette -, die im Nachkriegsdeutschland nahe der deutsch-belgischen Grenze aufwächst. Die Mutter stirbt früh, der Vater ist abwesend. Sie kümmert sich um die Geschwister und schmuggelt Kaffee, um die Familie über Wasser zu halten. Doch das Schicksal reißt die Kinder auseinander. Eine einfache Lektüre, perfekt für verregnete Herbstnachmittage.
Gehört |Wohnverwandtschaften von Isabell Bodgan. Die Geschichte über eine Erwachsenen-WG. Wie es bei Menschen Ü40 so ist, haben alle schon einen Rucksack an Biographie. Das kommt zusammen und muss sich zurechtruckeln – und dann verliert einer nach und nach das Gedächtnis. Eine flauschige Erzählung, gerne gehört. Jede Person hat eine eigene Stimme. Es lesen Heikko Deutschmann, Katharina Wackernagel, Lavinia Wilson, Serkan Kaya, Julian Horeyseck, Gabriele Blum, Oliver Kube, Marian Funk und der Autorin. Ich war zunächst skeptisch, denn ich mag keine Hörsppiele – die wechselnden Stimmen machen mir irre. Hier aber lesen die Sprecher:innen, sie spielen nicht. Das gefiel mir gut.
Und sonst | Zum Geburtstag der Zwillinge hatte ich einen Birnenkuchen gebacken. Birnenkuchen ist Teil meines schmalen Backportfolios, das zusätzlich aus Rotweinkuchen, Nusskuchen, Pflaumenkuchen und einem fluffigen Universalteig besteht, den man für alles nehmen kann – Muffins, Kastenkuchen, andere Formen, mit und ohne Schokostreusel. Da ich selbst nur Rührteige mag, Torten nicht, stelle ich auch nur Rührteige her und verweigere alle weitergehenden Backaktivitäten. Kompliziertes Backen, besonders die Anwendung von Cremes und Fondant, mehrstufige Herstellungsverfahren und klebrige Frickeleien sind für mein Empfinden deutlich zu nah am Basteln. Basteln fand ich schon im Kindergarten nervig und habe ich über meine Schulzeit hinweg lediglich demütig ertragen; ich erinnere mich an Collagen, die wir aus Zeitschriftenschnipseln erstellten, und an aunambitioniert geformte Pappmaché-Tiere.
Zurück zum Kuchen. Der Birnenkuchen war so außerordentlich gut gelungen, dass ich dieses Wochenende kurzerhand noch einen buk. Niemand beschwerte sich.
Broterwerb | Coaching-Session mit einer Kundin am See.
Ab und zu möchten Kund’innen, die in der Nähe wohnen, mich gerne in Präsenz treffen. Dann biete ich an, eine Runde am See zu drehen. Es ist schön dort: Bäume, Wege, Wasser, Bänke. Unter der Woche ist ausreichend wenig los, um vertraulich zu sprechen. Wir gehen so schnell, wie die Gedanken sich bewegen – und so langsam, dass sich auch die Gefühle dazugesellen können.
Dreizahn | Es gab eine Geburtstagssituation: KindZwei und KindDrei sind 13 geworden. Oma und Opa waren da, es gab einen Haufen Geschenke und mehr Kuchen, als alle Gäste essen konnten. Wir gaben uns allerdings sehr viel Mühe.
Der Geburtstag mit den Freundinnen folgt noch – inklusive Übernachtungsparty. Vergangenes Jahr hat die Geburtstagsgesellschaft die Nacht (fast) durchgemacht. Die Einzige, die nichts davon mitgekriegt hat, war ich. Schlafen ist einfach meins.
Willkommen zurück | Stichwahl in Nordrhein-Westfalen. Wir durften noch einmal den Landrat wählen (gendern nicht notwendig).
Es gewann der amtierende CDU-Mann.
Begegnungen | Interkulturelles Fest in der Gemeinde. Durch den Wahlkampf habe ich Gefallen an den Gemeinden hier vor Ort gefunden, der katholischen wie der evangelischen. Beide machen tolle, zeitgemäße Arbeit, setzen sich für Demokratie und Miteinander ein, sind im Organisationkomitee des Christopher Street Day, die katholische Gemeinde gewährt Kirchenaysl und setzt mit Haltern hilft!eigene Themen. Beide Gemeindem beziehen klare Position in der Stadt. Das gefällt mir.
Am Sonntag fand ein interkulturelles Fest statt. Der Reiseleiter und ich fuhren nach dem Wählen dort vorbei. Mir fehlt das Kosmopolite und Internationale der Großstadt hier in Haltern. Ich freue mich deshalb über alle Angebote, die Menschen unterschiedlicher Hintergründe zusammenbringen.
Ich freute mich sehr, eine Bekannte aus Wahlkampfzeiten zu treffen; wir waren uns erstmalig bei einer Veranstaltung in der Stadtbücherei begegnet. Ich hatte sie angesprochen und ihr gesagt, dass ich es toll finde, mal eine Frau mit Kopftuch hier in Haltern zu sehen. So kamen wir ins Gespräch, sie erzählte mir ihre beeindruckende Biographie – Migration, viele Jahre in einer Unterkunft, Familiengründung, schließlich Studium, Einbürgerung – und dass sie nur noch einen Praktikumsplatz brauche, um danach ihre Bachelorarbeit zu schreiben. Leider sei sie zu spät dran, um das im Wintersemester noch hinzukriegen – die Kinder seien viel krank gewesen; sie werde wohl oder übel ein Semester dranhängen müssen. Ich schrieb zwei WhatsApp, es war tatsächlich ein Platz frei, ich gab ihr einen Kontakt, man fand sich sympathisch. Am Wochenende durfte ich nun erfahren, dass sie nicht nur sehr gut in ihrem Praktikumsplatz angekommen ist, sondern dass sie sehr viel lerne und es ein Glücksgriff gewesen sei. Das war wunderbar zu hören. Wir werden Kontakt halten.
In der Kirche lag der traditionelle Ernteteppich aus – gelegt aus gespendeten und abgelaufenen Lebensmitteln. Sehr beeindruckend! Der QR-Code funktioniert und führt zur Geschichte Abrahams aus Spotify.
Gelesen |Moa Herngren: Schwiegermutter, auf dem Schwedischen von Katharina Martl. Das Buch habe ich in der Buchhandlung am Marktplatz gesehen, mich erinnert, dass ich noch einen Gutschein habe. Am nächsten Tag bin ich mit dem Gutschein wiedergekommen und habe das Buch gekauft. Zwei Tage später hatte ich es durch.
Darum geht es: Åsa hatten ihren Sohn Andreas alleine groß gezogen. Der Vater hat sie früh verlassen. Als Andreas Josefin kennenlernt und selbst Vater wird, gerät die Mutter-Sohn-Beziehung ins Wanken. Die Beziehung zwischen Åsa und ihrer Schwiegertochter ist kühl; Åsas Versuche, eine Verbindung zu Josefin aufzubauen, schlagen fehl. Herngren schreibt nuancenreich und nimmt ihre Leser’innen mit in eine Beziehung voller Fehltritte und Missverständnisse. Gern gelesen.
Gelesen |Dror Mishani: Drei, aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Eine Frau sucht Trost, nachdem ihr Mann sie und ihren Sohn verlassen hat. Eine zweite Frau sucht nach einem Zuhause und nach einem Zeichen von Gott. Eine dritte Frau sucht etwas ganz anderes. Sie alle finden denselben Mann. Was auf dem Klappentext wie ein Beziehungsroman anmutet, ist ein Krimi mit einer überraschenden Wendung am Ende. Ebenfalls gern gelesen.
Whoop-Whoop! |Wenn ich richtig gegoogelt habe, bedeutet dieses Gebilde, dass meine Gartenmagnolie erfolgreich Sex hatte. Herzlichen Glückwunsch!
Broterwerb | Ausflug nach Heilbronn, dort Moderation eines zweitägigen, intensiven Workshops in einem IT-Unternehmen. Es ging um KI-Readiness, also die Organisation zu befähigen, den Plattformbetrieb für Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz zu stemmen und das bisherige Betriebsmodell entsprechend anzupassen. Ich habe den Blick der Organisationsentwicklung beigesteuert und gleichzeitig dafür gesorgt, dass die Beteiligten trotz der hohen Komplexität des Themas ihren Fokus behalten und sich nicht im Klein-Klein verlieren. Mit den Ergebnissen des Workshops gehen die Auftraggeber nun in einen Termin mit dem C-Level, um Weichen zu stellen und relevante Beschlüsse zur Unternehmensentwicklung zu ermöglichen.
Ich bin ziemlich angefixt von dem Thema – auch, weil ich immer mehr feststelle, dass eine Kompetenz, die ich für gar nicht so besonders hielt, offenbar doch besonders ist: nämlich IT-Prozesse und Technik zu verstehen und auf Augenhöhe mit den Systemingenieuren zu reden – und gleichzeitig Psychologie und Organisationsentwicklung zu können. Bei Beratungsaufträgen tauchen wir tief in DevOps, ITIL-Framework und Plattformbetrieb sowie den damit verbundenen Praktiken und Werkzeugen ab; ich kann alles nachvollziehen, sofort Ableitungen für die Entwicklung von Rollen und Kompetenzen treffen und über alle Ebenen des Unternehmens kommunizieren, vom Systemadministrator bis zur Geschäftsführung. Außerdem sehe ich ziemlich schnell die menschlichen Herausforderungen, die bei den Transformationsprozessen auftreten werden. Zum Jahreswechsel werde ich meine Website überarbeiten und das stärker herausstellen.
Nach dem Workshop habe ich in einem Laden zu Abend gegessen, der nur Flammkuchen macht. Lecker. Auf dem Tisch stand eine Flasche. Wenn man etwas von der Bedienung will, stellt man eine Flagge hinein. Gutes System! Das und weitere Eindrücke aus Heilbronn:
Heimfahrt als Beifahrerin. Nach einem Tag Regen in Baden-Württemberg noch ein kleiner Sonnenuntergang südlich von Köln:
Sommerausklang | Der voraussichtlich letzte warme Sommerabend 2025:
Wir waren zum Grillen am Dülmener See eingeladen. Ein Freund betreibt dort gemeinsam mit einem Kompagnon eine SUP-Vermietung. Man kann sich bei ihm SUPs mieten, Kurse buchen, Geburtstag feiern und an Touren teilnehmen. Das Angebot ist seit seiner Gründung vor drei Jahren super eingeschlagen, das Geschäft brummt, die Leute kommen aus der ganzen Region. Wir aßen Fisch, Fleisch und Salat, mit den Füßen im Sand und Sommer im Herzen.
Der Reiseleiter und ich kamen mit dem Fahrrad – in einem weiten, dreißig Kilometer langen Bogen. Auf der Fahrt wunderten wir uns über die Rapsfelder im Herbst. Später las ich nach, dass es sich nicht um Raps, sondern um Weißen Senf handelt.
Gesehen |Eismayer, noch bis zum 18. Oktober in der arte-Mediathek, nach einer wahren Begebenheit. Vizeleutnant Eismayer, der härteste Ausbilder beim österreichischen Bundesheer, hütet ein sorgfältig vor der Öffentlichkeit verborgenes Geheimnis: Er ist schwul. Als er sich in einen Rekruten verliebt, gerät sein Leben ins Wanken. Eindrücklicher Film, gut gespielt. Auf dem Instagram-Profil des Films sieht man Interview mit dem wahren Eismayer und seinem Ehemann Mario.
Gesehen | Downton Abbey: Das große Finale in der Lichtburg in Essen, OmU. Vorher war ich in der Sauna. Meine geistige Kapazität war angenehm heruntergefahren, dazu ein Adelsfilm und Popcorn – hervorragend.
Und sonst | Der Garten wechselt in den Herbstmodus: Die Tomaten sind durch, die Gurken auch. Bei den Zucchini weckt eine Pflanze noch zarte Hoffnung, dass sie noch zwei letzte Früchte zustande bringen wird, sofern es einigermaßen warm bleibt. Ich habe alles aus der Erde geklaubt, was raus wollte – die Hochbeete sind leer. Nur Kräuter und Mangold stehen noch.
Rückabwicklung Bürgermeisterkandidatur: Kündigung Canva-Abo. Verkauf des iPhone XR, das ich als Kandidaurhandy benutzt habe. Abbau der Ringleuchte. Das Instagram-Konto ist bereits abmoderiert, die Website ist nur noch ein Archiv.
Küchen-Tagebuch: Ein Pflaumenkuchen wurde geboren – mit Quark-Öl-Teil und viel Fluffigkeit.
Leser’innenfragen | Keine Fragen oder Themenwünsche in der Vorschlagsliste.
Schweine | Die letzte Gurke aus dem Hochbeet, ein Gürkchen, bekamen die Schweine. Nach dem Foto gab es wilden Zank.
Du hattest hier über viele Ideen geschrieben die du umsetzen möchtest wenn du gewählt wirst und hast die konkreten Lösungen nur angedeutet. Wirst du die Lösungen im Nachhinein noch veröffentlichen? Vielleicht wird die eine oder andere ja doch noch aufgegriffen und umgesetzt.
Als „Lösungen“ würde ich meine Gedanken noch nicht bezeichnen. Damit ich einen Gedanken „Lösung“ nenne, braucher einen deutlich höheren Reifegrad. Ich bin allerdings überzeugt, dass bei vielen Ideen etwas Machbares rauskommen kann, wenn man will.
Es folgt Ideensammlung, die über ohnehin stattfindende Maßnahmen wie kommunale Wärmeplanung, Klimaschutzanpassung, Sanierung von Schulen, Radwegeausbau, energetische Ertüchtigung städtischer Liegenschaften … [Weiteres bitte gedanklich ergänzen] … hinausgeht.
Mobilität | Beginnen wir mir mit dem Thema Mobilität.
Die Einführung eines Carsharings ist jüngst gescheitert. Die Stadt hätte für den Start eine kleine Bürgschaft übernehmen müssen; die konservative Mehrheit im Stadtrat hat es abgelehnt, in dieses Risiko zu gehen und auf diese Weise ein Carsharing-Angebot zu ermöglichen, dass Menschen dazu bewegen könnte, zumindest auf Zweit- und Drittwagen zu verzichten. Meine Idee dazu: Die Verwaltung wird Hauptkunde des Carsharing-Anbieters. Sobald bestehende Leasingverträge beziehungsweise Abschreibungsfristen der vorhandenden Fahrzeugflotte einen Wechsel möglich machen, nutzen die Mitarbeitenden Carsharing-Pkws. Zu Kernarbeitszeiten stehen diese Fahrzeuge alleinig der Verwaltung zur Verfügung, außerhalb der Kernarbeitszeiten auch der Allgemeinheit. Das schafft schonmal ein grundlegendes Angebot. Der Anbieter hat eine wirtschaftliche Basis, sein Angebot auszubauen. Die Stadt hat als Hauptkunde eine Verhandlungsmacht. Möglicherweise reduziert es auch Kosten.
Carsharing ist relevant, weil wir fast 34.000 Fahrzeuge in Haltern angemeldet sind, davon 24.700 Pkw (Quelle). Das sind 0,87 Fahrzeuge pro Einwohner, vom Baby bis zum Greis. Firmenwagen, die andernorts angemeldet sind, aber von Menschen hier gefahren werden, kommen noch dazu – es steht zu vermuten, dass wir annähernd ein Verhältnis von 1:1 erreichen, pro Einwohner ein Auto. Wir haben also einen enorm hohen KfZ-Bestand, darunter zahlreiche Zweit- und Drittwagen.
Im November 2024 fand ein Bürgerrat zum Thema Mobilität statt. Der Wunsch, unisono: weniger Abhängigkeit vom Auto. Bislang haben wir in der Stadt kaum Fahrradstraßen. Die wenigen vorhandenen Fahrradstraßen sind schlecht markiert. In der juristischen Kommentierung der Straßenverkehrsordnung von Schurig/Karg, 18. Auflage, heißt es:
Die Anordnung einer Fahrradstraße kommt nur auf Straßen mit einer hohen oder zu erwartenden hohen Fahrradverkehrsdichte, einer hohen Netzbedeutung für den Radverkehr oder auf Straßen vor lediglich untergeordneter Bedeutung für den Kraftfahrzeugverkehr in Betracht.
Weiter heißt es:
Eine hohe Fahrradverkehrsdichte, eine hohe Netzbedeutung für den Radverkehr setzen nicht voraus, dss der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart ist.
Und:
Eine zu erwartende hohe Fahrradverkehrsdichte kann sich dadurch begründen, dass diese mit der Anordnung einer Fahrradstraße bewirkt wird.
Infolgedessen hätte ich mir gerne einen Stadtplan hergenommen, gemeinsam mit Mitarbeitenden alle Straßen markiert, auf die die obige Verwaltungsvorschrift zutrifft und dann flugs beschlossen, mit welchen zehn Straßen wir starten, um den Radverkehr zu stärken und sicherer zu machen.
Schlüssel für die Entwicklung des ÖPNV im ländlichen Raum sind aus meiner Sicht On-Demand-Verkehre und autonome Buslinien. Alles andere lässt sich wirtschaftlich nicht darstellen. Ich bin eine Freundin davon, das Ganze strategisch anzugehen, zum Beispiel mit einem Partner wie Mobile Zeiten, um wie beim Kasseler Projekt zunächst Bewegungsdaten zu analysieren und daraufhin ein testweises Angebot aufzubauen. Zu autonomen Verkehrsmitteln gibt es aktuell diverse Versuche, möglicherweise findet sich Ähnliches auch zu On-Demand-Verkehren.
Digitalisierung und Erreichbarkeit | Bei vielen Verwaltungsvorgängen ist, gelinde gesagt, Potential, was Digitalisierung angeht. Mit meiner beruflichen Erfahrung wäre ich sicher gut geeignet gewesen wäre, Digitalisierung voranzutreiben.
Die neue Homepage der Stadt Haltern ist jüngst an den Start gegangen. Doch egal, wie gut man eine Websitze gestaltet: Als Besucher’in findet man nie direkt, was man sucht. Meine Idee ist, einen Chatbot zu implementieren, der Antworten gibt: „Ich möchte Sperrmüll bestellen.“ – „Sehr gerne. Wo wohnst du in Haltern?“ – „Bahnhofstraße 7.“ – „Der nächste Abholtermin ist am 25. September. Stell die Sachen bis 6 Uhr an die Straße. Wenn du dieses Formular für uns ausfüllst (Link) und absendest, kommen wir pünktlich vorbei. Hier noch unsere Hinweise, was wir mitnehmen (Checkliste).“ Oder: „Ich möchte heiraten. Was muss ich tun?“ – „Herzlichen Glückwunsch! Hier eine Liste …“ – und so weiter. Erste Ansätze dazu gibt es schon. Parallel muss man natürlich die ganzen dahinterliegenden Daten und Prozesse aufbereiten (Das wird ein Spaß!).
Mein Ziel wäre es auch gewesen, näher an den GovTech Campus zu rücken. Er fördert die Zusammenarbeit von Verwaltung, Wissenschaft und Technologie-Unternehmen für eine Digitalisierung der Verwaltung. Ich würde gerne von Projektdesigns und Proof of Concepts profitieren, um Dinge in der eigenen Verwaltung umzusetzen.
Parallel zur Digitalisierung möchte ich die analoge Erreichbarkeit stärken. Die Verwaltung soll zu den Bürgern kommen – mit einem mobilen Bürgerbüro. Gerade Ältere sind nicht in der Lage, online Termine im Bürgerservice zu buchen und ihre Verwaltungsangelegenheiten digital zu regeln. Mobiles Bürgerbüro heißt: Ein’e Verwaltungsmitarbeiter’in kommt mit einem ausgestatteten Wagen in die Dörfer. Zahlreiche Standardvorgänge, zum Beispiel das Beantragen eines neuen Ausweises, können so direkt vor der Haustür erledigt werden. Das passiert zum Beispiel schon in Leverkusen, Magdeburg oder in Uetze.
Vernetzung mit der Wissenschaft | Gerade in den Themen Mobilität und Verwaltungsdigitalisierung gibt es momentan viele Forschungsvorhaben. Meine Idee: Teil von Forschungskonsortien werden, um auf diese Weise Entwicklung voranzutreiben und Fördergelder sowie Know-how-Transfer für den kommunalen Infrastrukturausbau zu erhalten.
Forschungskonsortien bestehen aus mehreren Forschungseinrichtungen – Lehrstühlen an Universitäten, aber auch Einrichtungen wie der Fraunhofer Gesellschaft – und Industrieunternehmen. Oft braucht es einen Experimentierraum, um etwa einen Chatbot für die Verwaltung zu testen, die Anwendung weiterzuentwickeln und die regulatorischen Rahmenbedingungen zu beleuchten. Wenn man nämlich zur Digitalisierung der Verwaltung oder zur Entwicklung der Mobilität forscht, macht man das am lebenden Objekt, also in einer tatsächlichen Stadt. Ich bin in der Wissenschaftswelt vernetzt, würde diese Vernetzung aufbauen und mich aktiv als Teil von Konsortien anbieten. Das Potential ist groß und liegt aktuell vollkommen brach.
Haltern am See ist eine alternde Stadt: Das Medianalter lag 2019 bereits bei 49,8 Jahren (Quelle). Das heißt: Die Hälfte der Menschen sind älter als 50, die andere Hälfte jünger. Inzwischen dürfte sich die Zahl weiter nach oben verschoben haben. Der Alterungsindex in Haltern am See liegt über dem bundesdeutschen Durchschnitt, (Quelle), der Jugendquotient ist entsprechend fallend; die Stadt altert also intensiver als das Land ohnehin schon. Es gibt mehr hochaltrige Frauen als Männer, zumeist Witwen. Einsamkeit im Alter wird massiv zunehmen. Es wird zudem mehr Haushalte mit kleinen Renten geben. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass wir aufgrund der Überrepräsentation der Alten die Jungen aus dem Blick verlieren.
Unsere Stadt hat vor dem Rathaus, zweihundert Meter von der Fußgängerzone entfernt, einen kleinen Park:
Der Park besteht im Wesentlichen aus Gras mit Bäumen. Ich hätte aus diesem Park gerne einen Begegnungsort gemacht: ein großer Sandkasten, Stadtmöbel, Schaukelbänke, Tische, Liegen, Schaukeln für Kinder und Erwachsene, dazu Sportboxen, aus denen man Sport- und Spielgeräte kostenlos ausleihen kann. Die Wege hätte ich angemalt, so dass sie aussehen wie kleine Straßen, mit Miniatur-Ampel und Zebrasteifen, so dass Kinder mit ihren Laufrädern und Fahrrädern einen spielerischen Verkehrsübungsplatz haben. Ein Besuch mit einem Vierjährigen, und in Nullkommanix ist eine halbe Stunde um! Wäre das nicht schön? Dazu ein Coffeebike oder ein Street-Food-Wagen, und schon ist das Leben perfekt.
Beschatteter Sandkasten in der Essener Innenstadt, Spielgelegenheit in Heilbronn, Schaukel in Malmö zum Schwatzen und Chillen:
Das Gute wäre: Mobile Möbel kann es wegbewegen, wenn Nutzungskonflikte enstehen, zum Beispiel bei einem Stadtfest. Oder man integriert es in die Festgestaltung. Einen Sandkasten kann man überbauen.
Parallel zu einem Draußen-Angebot braucht es ein Angebot für Drinnen. Vor allem skandinavische Städte machen Bibliotheken zu sogenannten Dritten Orten, an denen man einfach sein kann: hier Beispiele. Bei uns in der Stadt fehlt ein solcher Ort – ein Ort für Senioren und ihren Brettspielnachmittag, ein Ort für das Frauennetzwerk, das sich regelmäßig zum Austausch trifft, für den queeren Treffpunkt, für Eltern, die zu Hause raus und einen regnerischen Nachmittag überbrücken wollen, für den Lesekreis, für die Männergruppe 60plus, für Jugendliche, die sich zum Lernen oder zum Chillen treffen – und so weiter. Zwar soll an unserem Bahnhof ein „Haus der Vereine“ entstehen – in ein paar Jahren -, doch bei all den aufgezählten Gruppen handelt es sich nicht um Vereine, sondern um lose Gruppen von Menschen und kleine Initiativen, die einfach einen Raum oder eine gemütliche Sitzgruppe brauchen und sonst nur die Möglichkeit haben, sich in privaten Räumlichkeiten zu treffen. Wenn ich mich allerdings privat treffe, bin ich unsichtbar. Treffe ich mich öffentlich, können Menschen hinzukommen.
Irgendwann kann man das Ganze um eine Gastronomie erweitern, die flexibel genutzt wird: Einmal die Woche Elterncafe, einmal Seniorencafé, internationaler Austausch, queerer Kochstammtisch, Omas kochen traditionelle Rezepte – ach, was wäre alles möglich! Finanzierung über Zusammenarbeit mit Kirche und zivilgesellschaftlichen Organisationen, Fördergelder, Sponsoring – hier muss man erstmal Gespräche führen. Nebenan in Dülmen gibt es etwas Ähnliches, das Haus EinsA. Möglicherweise könnte man in einem oder zwei Dörfern kleine Ablegern schaffen.
Kleine Rand-Idee | Idee für eine Initiative in der Gastronomie – für mehr sozialen Zusammenhalt: Zahle zwei Kaffee, nimm einen. Für den anderen wird ein Button ausgehängt und jemand kann ihn nutzen. Vielleicht eine alte Dame, die eine schmale Rente hat. Oder ein Jugendlicher mit wenig Taschengeld, aber gerade einer Fünf ind er Mathearbeit. Oder ein alleinerziehende Mutter, bei der es finanziell eng ist.
Bürgerbeteiligung | Ich schrieb es oben: Wir hatten einen Bürgerrat. Das war im Februar. Seither hat man nichts mehr davon gehört: Was mit den Ergebnissen passiert, ob sie weiterverfolgt werden, wie sie in Entscheidungsprozesse gelangen, ist unklar. Mir fehlen die Prozessgestaltung, die Kommunikation und der politische Wille – oder die Kompetenz -, Bürgerbeteiligung nachvollziehbar zu gestalten.
Ich organisiere Beteiligung in Unternehmen. Noch bevor man mit der Beteiligung beginnt, muss man den Prozess gestaltet haben, vom Ende her: Was soll am Schluss rauskommen, was ist mein Minimalziel? Zum Beispiel zwei Maßnahmen für den Radverkehr, zwei für den Fußverkehr. Entsprechend gestalte ich die Einleitung und stelle die Fragen – mit einer gleichzeitigen Offenheit, auch links und rechts davon zu schauen.
Hat man dann gemeinsam mit Bürger’innen getagt, muss man die Ergebnisse verwerten und in konkrete Maßnahmen umsetzen. Das ist klassisches Change Management: Wer ist zuständig, sichtet die Ergebnisse, klassifiziert sie und bringt sie in den Entscheidungsprozess? Wer entscheidet wann worüber? Welche Stakeholder werden an der Entscheidung beteiligt? Wann wird über welche Kanäle an wen über Entscheidungen und geplante Maßnahmen kommuniziert? Wie binden wir die Öffentlichkeit weiter ein? Gleichzeitig legt man fest: Wann endet denn der Beteiligungsprozess – und wie? Was ist der Ergebnisumfang, mit dem man zufrieden ist – und wann geht man zum nächsten Thema über?
Der Stadtrat tagt viermal jäglich und ist das Entscheidungsgremium in der Stadt. Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung müssen also aufbereitet, unterfüttert und in den Entscheidungsrhythmus des Stadtrats getaktet werden. Damit kann man direkt anfangen.
Jugendbeteiligung | In der Stadt gibt es einen Seniorenbeirat. Er hat einen festen Sitz im Stadtrat mit Informations- und Rederecht. Aber es gibt keinen Jugendbeirat. Die Beteiligung junger Menschen findet ausschließlich projektbezogen statt, hängt also vom guten Willen der jeweiligen Entscheider ab. Ich würde das gerne stärker institutionalisieren.
Neue Strukturen wie ein Jugendparlament brauchen allerdings viele Ressourcen – Projektleitung, Räumlichkeiten, begleitende Schulungen, Auswahlverfahren – und laufen Gefahr zu versanden. Ich würde mich deshalb erstmal auf vorhandene Strukturen stützen. Wir haben starke Schülervertretungen an Gymnasium, Realschule, Hauptschule und am Berufskolleg. Sie werden derzeit kaum einbezogen. Gemeinsam mit den SVen würde ich überlegen, wie viel Zeit sie investieren möchten, woran sie mitarbeiten wollen und welches Format dazu passend wäre. Im Idealfall entsteht eine Beteiligung, die standardmäßig in relevante Stadtentwicklungsprojekte eingebunden wird und – langfristig – sogar über ein eigenes Budget verfügt.
Stärkung von Schulen | Schulen wandeln sich derzeit ganz massiv – und müssen es auch. Die PISA-Ergebnisse waren noch nie so schlecht wie jetzt. 30 Prozent der Jugendlichen verfehlen die Mindestanforderungen in Mathematik, ein Viertel kann nicht ausreichend lesen. Gleichzeitig verbringen Kinder und Jugendliche immer mehr Zeit im Ganztag. Kindheit findet zum Großteil in der Schule statt – die Schulen müssen deshalb Aufgaben übernehmen, die früher im Elternhaus stattfanden (in Westdeutschland). Dazu braucht es multiprofessionelle Teams. Nur mit angestelltem Personal ist das nicht zu schaffen; das läuft ja jetzt schon am Limit.
Die Alterung der Stadt ist an vielen Stellen eine Herausforderung – für die Kinder ist sie auch ein Schatz. In den kommenden 15 Jahren geht irre viele Menschen in Rente, die große Fähigkeiten haben: als Zimmermann, Pädagogin, Lesepate, Lehrerin, Kaufmann, KfZ-Meister, Hauswirtschafterin, Ingenieurin, IT-ler, Berufsbegleiterin und so weiter. Wenn lediglich jeder zehnte Boomer sich ein zwei bis drei Stunden in der Woche für Schulen und für unsere Kinder engagiert, wäre das mehr Personal als alle Erzieher’innen und Grundschullehrer’innen zusammen (Quelle). Nur: Um das zu schaffen, muss man dem Ganzen einen Rahmen geben – quasi ein Personalmanagement fürs Ehrenamt, das Angebot und Nachfrage sinnvoll zusammenbringt, Formalia klärt, begleitet. Das muss die Stadt übernehmen – wer soll es sonst tun? Sowas würde ich verfolgen wollen.
Gleichzeitig braucht es digitale Bildung, sowohl für Schüler’innen als auch für Lehrer’innen. Pornografie, Gewaltdarstellung, Deep Fakes, Cybermobbing, Umgang mit KI – das sind Herausforderungen, die derzeit eher im Verborgenen schlummern, die uns in Hinblick auf unser Miteinander richtig das Genick brechen können. Das können Schulen aber nicht auch noch leisten. Meine Idee: eine Person im pädagogischen Personal der Stadt, die die Schulen betreut, Veranstaltungen für Kinder, Jugendliche und Lehrpersonal organisiert und (später, in einem weiteren Ausbauschritt) bei Vorfällen berät.
Klein anfangen: Ich würde zunächst von einem fähigen Azubi/ein’e duale Student’in ein erstes Konzept ausarbeiten lassen und in Zusammenarbeit mit einer Schule testen. 19- oder 20-Jährige sind noch nah dran, wissen, wo es auf den Schulhöfen brennt, und können gemeinsam mit einem erfahrenen Sparringspartner einen Testballon an den Start zu bringen, der sich dann verstetigen kann und für den man Finanzierung findet.
Lotsendienste und interdisziplinäre Arbeit | Dazu nur ganz kurz, meine Finger sind schon wund: Bürokratie ist ein Dschungel. Wer sich darin nicht auskennt, geht verloren. Und: Sie frisst viel Energie, bei den Bürgerinnen und Bürger, aber auch bei den Bürokraten.
Besonders, wenn man neu ist und keine oder wenig Erfahrung mit ihr hat, ist sie zum Haareraufen – zum Beispiel wenn man als Kund’in neu ins Hilfesystem rutscht. Nehmen wir an, ein Paar hat sich getrennt, die Frau hat nur geringes Einkommen , sie findet keine bezahlbare Wohnung, der Mann zahlt nicht ausreichend Unterhalt, von den beiden Kindern hat eins Förderbedarf. Ich bin nicht vom Fach, aber wenn ich das richtig sehe, sind in diesem Fall mindestens vier Sozialgesetzbücher involviert, hinzu kommt die Frage des Unterhaltsvorschusses – wie soll man da durchblicken?
Ich hätte geschaut, an welchen Stellen eine rechtskreisübergreifende Beratung zu Beginn eines Kontaktes sinnvoll ist – sozusagen ein Anforderungsmanagement, das die vorgetragene Thematik qualifiziert, ins Verwaltungssystem bringt und bei Bedarf noch ein Stück begleitet. Das sorgt nicht nur für eine höhere Kundenzufriedenheit, weil man an die Hand genommen wird, sondern entlastet auch die nachgelagerten Fachbereiche, weil der Vorgang nicht durchs System flippert. Ich gehe davon aus, dass es so etwas in Teilen gibt, aber ich denke, dass wir das noch schärfen können.
Überdies frage ich mich, inwieweit interdiszplinär zusammengearbeitet wird, wenn es um einen ganzheitlichen Blick auf das Wohlergehen und die Bedürfnisse einzelner Bevölkerungsgruppen geht. Nehmen wir die Kinder: Bei ihnen sind fast alle Verwaltungsbereiche involviert – Familie und Jugend, Soziales, Schule und Sport, Bücherei, Standesamtswesen, Infrastruktur, Planen, Bauen bis hin zum Rettungsdienst. Welche neuen Perspektiven können hier aus einer Zusammenarbeit einzelner Expert’innen entstehen? Welche kleinen, aber wesentlichen Stellschrauben können wir drehen, um das Leben von Kindern in der Stadt zu verbessern? Wer braucht Unterstützung von wem, um einen noch besseren job zu machen? Das Gleiche gilt natürlich auch für andere Bevölkerungsgruppen.
Kommunikation und Transparenz | Zu Guter Letzt die Kommunikation: Ich würde intensiver aus der Verwaltung kommunizieren – mit einem Videoformat, in dem ich vorstelle, was diesen Monat passiert ist und nächsten Monat bei mir ansteht. Auch Erklärungen hätten darin Platz, etwa von Ratsentscheidungen. Vielleicht wäre auch ein Podcast sinnvoll. Ich würde einige Proof of Concepts machen, evaluieren und erfolgreiche, einfach zu produzierende Formate etablieren.
Parallel dazu braucht es Offline-Formate, zum Beispiel einmal oder zweimal im Jahr ein Town-Hall-Meeting oder Ähnliches – das ist noch unausgegoren. Kleinere Formate wie Bürgersprechstunden würde ich entstauben und fortführen.
Die Ideen sind allesamt nicht rückgekoppelt. Verwaltungsmitarbeiter’innen haben wahrscheinlich nochmal eine gänzlich andere Perspektive darauf. Manches würde vielleicht verworfen, anderes ergänzt, wieder anderes weiterentwickelt, außerdem käme Neues hinzu. Sowas lebt ja. Wichtig wäre mir, Strukturen aufzubauen, mit denen wir gute Ideen fördern und schlank und tatkräftig in die Umsetzung bringen – im Idealfall mit bestehenden Ressourcen.
Leser’innenfragen | Eine Frage aus der Content-Vorschlagsliste: „Sie schrieben neulich, dass Sie Gleitsichtkontaktlinsen nutzen. Das würde ich auch gern. Könnten Sie ein wenig berichten von der Anpassung und den Kosten?“
Die Kosten sind ausgesprochen unerfreulich. Ich muss jedesmal Riechsalz mit zum Optiker nehmen, wenn ich sie abole, um nicht das Bewusstsein zu verlieren. 180 Euro für sechs Monate. Ich halte es so, dass ich die Monatslinsen jeweils länger als einen Monat trage. Das geht problemlos.
Die Anpassung war kostenlos und erfolgte im Hinterzimmer des Optikers. Gleitsicht wäre noch nicht zwingend erforderlich gewesen. Allerdings wurde es schon ein bisschen knispelig beim Lesen – deshalb war ich auch hingegangen -, und warum soll ich mich dann quälen? Ich möchte kein Mensch sein, dem die Arme zu kurz werden. Der Optiker bestellte mir Probelinsen von der Sorte, die ich ohnehin seit Jahren trage. Air Optix plus HydraGlyde. Sie passten direkt hervorragend. Ich hatte keine Schwierigkeiten beim Sehen, keine Kopfschmerzen und erlebte auch keine Phänomene. Es war direkt alles so, wie es sollte.
Gelesen |Mattanza vom Germana Fabiano, aus dem Italienischen von Barbara Neeb und Katharina Schmidt. Auf der Insel Katria westlich von Sizilien fängt man auf traditionelle Weise Thunfisch. Angeführt vom Raís jagen die Fischer einmal im Jahr den großen Schwarm und treiben ihn in die Enge, bis das große Schlachten, die Mattanza, stattfindet. Doch die Tradition wandelt sich: In Ermangelung männlichen Nachwuchs wird erstmalig eine Frau Raís. Dann kommen die ersten Touristen auf die Insel. Schließlich bleiben die Fische aus – und tote Flüchtlinge gehen ins Netz. Ein lesenswertes kleines Buch, nur 182 Seiten. Literarisches Vorbild ist die Insel Favignana.
Wahlergebnis | Ich werde nicht Bürgermeisterin und stehe dem freien Markt wieder vollumfänglich zur Verfügung.
30,7 Prozent habe ich geholt. Ein knappes Drittel der Wähler’innen wollten eine andere Politik. Das hat nicht gereicht. Der CDU-Kandidat hat sein Amt verteidigt – mit 58 Prozent. Es folgen somit die Jahre 27 bis 32 einer CDU-geführten Verwaltung. Der rechtsextreme Kandidat bekam 11 Prozent.
Natürlich hatte ich mir mehr erhofft. Gleichzeitig bin ich zufrieden. Ich gräme mich nullkommanull. Von nichts auf 30 Prozent in neun Monaten – wir haben einen tollen, professionellen Wahlkampf gemacht. Die Kandidatur war für mich in jeder Hinsicht ein Gewinn: Ich habe viel gelernt, hatte einen breiten Einblick in kommunalpolitische Strukturen und habe viele tolle, kluge und herzenswarme Menschen kennengelernt. Es war ein ausnahmslos gutes Erlebnis. Ich gehe bereichert aus der Sache heraus.
Als Bürgerin – nicht als Kandidatin – bin ich allerdings frustriert. Fünf weitere Jahre ohne eine nachhaltige und zukunftsorientierte Wohnpolitik, ohne den wirklichen Willen zur Mobilitätswende, ohne eine innovative Wirtschaftsförderung und ohne neue, kreative Ideen (man möge mich gerne mit dem Gegenteil überraschen). Das letzte Wahlkampfvideo des Konkurrenten möchte ich Ihnen in diesem Zusammenhang nicht vorenthalten. Content-Warnung: Es södert.
Nun, da ich mich neun Monate lang in die Themen eingearbeitet habe und weiß, was geht (auch ohne dass fünf Millionen Euro vom Himmel fallen), wird es mir noch schwerer fallen, den bestehenden Protektionismus mitzuerleben. Ich werde meine Energie wieder in den Beruf umlenken. Oder in ein anderes, neues Projekt. Wer weiß!
Der Wahltag | Der Wahltag war der entspannteste Tag seit Monaten. Ich hatte nichts mehr zu tun außer selbst zu wählen und abends im Rathaus die Ergebnisse zu betrachten. Ich schlumperte also in den Tag hinein, frühstückte lange, räumte dann die Küche auf, machte Wäsche. Was man so Aufregendes tut, wenn man am Wochenende Zeit hat. Um 13 Uhr war ich mit der Zeitung im Wahllokal verabredet – sie wollten eine paar Zitate von mir für ihr Liveblog und das obligatorische Kandidatin-steckt-Wahlzettel-in-Urne-Foto. Ich traf Bekannte am Wahllokal; wählen gehen ist ja in erster Linie ein geselliges, nachbarschaftliches Ereignis.
Auf dem Weg schaute ich am Schloss Sythen vorbei. Das liegt direkt bei mir nebenan und auf dem Weg zur Grundschule (Wahllokal) und wird von einem engagierten Verein gepflegt. Es war „Tag des offenen Denkmals“, es gab Reibeplätzchen und Kaltgetränke. Auch hier: Nachbarn und Bekannte, ein Plausch, noch ein Plausch und noch ein Plausch.
Am Nachmittag kamen Kollegin Steffi und die Turnschwester aus Heidelberg. Wir speisten Leckeres vom Markt (der Käsewagen und der Dip-Wagen werden mich noch in die Armut treiben), wir gingen eine Runde durchs Dorf und tranken Cappuccino und Milchshake in der Eisdiele. Dann verlegten wir allesamt ins Rathaus. Im Ratssaal war ein Fernseher aufgebaut, auf einer Leinwand wurde durchgehend die Wahlergebnisse aktualisiert. Ich pendelte zwischen Ratssaal und den Fraktionsräumen der Parteien. Die Parteien hatten ein paar Snacks organisiert.
Gegen 20:30 Uhr stand das Ergebnis fest – auch das Ergebnis für den Rat. Die SPD hat verloren, die Grünen liegen hier immerhin gut über dem Landestrend. Die CDU wird die Mehrheit im Rat halten.
Feuchte Augen | Am Tag vor der Wahl hatte ich Tränchen in den Augen. Mein Team aus Grünen und SPD hat eine ganze Seite Anzeigen für mich geschaltet. Ich wusste von nichts und war tief gerührt.
Sie zwinkern jetzt auch, oder?
Broterwerb | Botschaft an potentielle Kund’innen: Ich habe im November und Dezember noch Kapazitäten. Für den Fall eines Wahlsiegs hatte ich mir die Monate freigehalten. Ich freue mich über Anfragen.
Leser’innenfrage | Eine Frage aus der Content-Vorschlagsliste: „Es war mal viel die Rede vom Kauf des Fahrrades und seiner Anpassung – jetzt gibt es ein elektrisches. Wie sind die Erfahrungen? Benutzen Sie das ‚velo musculaire‘ auch noch?“
Für den Wahlkampf habe ich mir ein E-Bike gekauft, ein Vorjahresmodell zu einem unschlagbaren Preis. Ich erwarb es in erster Linie, um den Anhänger mit allem Material – bis zu 25 Kilo – zu ziehen und beim Ankommen noch fesch auszusehen. Im Wahlkampf bin ich fast ausnahmlos mit dem E-Bike gefahren, insgesamt 1.000 Kilometer. Das kann ich so genau sagen, weil der Zähler beim Kauf bei Null stand.
Das E-Bike habe ich genauso eingestellt wie mein Trekkingrad – noch vor Ort. Der Fahrradverkäufer war entsetzt. „So geht das nicht! Wie hoch machen Sie denn den Sattel! Sie kommen ja gar nicht mit den Füßen auf den Boden!“ Ich entgegnete, dass das schon in Ordnung sei, es sei ja ein Fahrrad und kein Stehrad. Das Radl passt hervorragend zu mir und meinem Körper, es war wirklich ein Glücksgriff. Deshalb möchte ich es nicht gerne wieder hergeben. Auch der Anhänger hat sich als unglaublich praktisch erwiesen: für Einkäufe, für die Schwimmtasche, für Transporte aller Art. Die Kombi E-Bike und Anhänger ersetzt tatsächlich in vielen Anwendungsfällen das Auto und fährt sich dank Turbo-Antrieb leicht und fluffig.
Gleichzeitig ist nun schon mein Ziel, auf den Alltagsstrecken wieder Bio-Bike zu fahren. Ich muss ja auch nicht mehr übermäßig gut aussehen beim Ankommen. Wie werden sehen, wie es sich fügt.
Fahrradtouren werden auf jeden Fall – und wurden auch während der Wahlkampfzeit – mit dem Bio-Bike gemacht.
Abschwimmen | Am vergangenen Freitag der letzte Schwumm: 2.500 Meter durch frisches Wasser – in der letzten Freibadwoche wurde nicht mehr geheizt. Es windete, es regnete, dann schien wieder die Sonne, es war ein Fest der Sinne.
Auf dem Rückweg ein Regenbogen:
Und sonst | Die Artischocke im Garten blüht.
Gelesen |Wo Blau bisher für Schalke steht: Die Süddeutsche blickt anlässlich der Kommunalwahl nach Gelsenkirchen. Dort kommt es zur Stichwahl zwischen einer SPD-Kandidatin und einem Rechtsextremen.
Bürgermeisterkandidatur | Abends Veranstaltungen, morgens früh raus. Der Wahlkampf bringt mich dazu, verschärft ins Mittagsschlaf-Business einzusteigen.
Brötchenaktion am frühen Sonntagmorgen:
Pendleraktion heute am Bahnhof 6:30 Uhr:
Ich erwarte übrigens nicht, dass morgens um Sieben jemand mit mir redet. Es braucht sich niemand Sorgen zu machen, dass ich mich über Kommunalpolitik unterhalten möchte. Falls jemand das tun will, machen wir das. Ich fühle es allerdings sehr, wenn man nur ein Brötchen oder einen Müsliriegel haben möchte – und auch, wenn man eilig auf dem Weg zum Zug ist und wie an der Versorgungsstation beim Marathon nur rasch nach einer Tüte greift.
Leser’innenfrage | Eine Frage aus der Content-Vorschlagsliste: „Haustür-Wahlkampf: Wie gut erreicht man da die Menschen, also rein physisch? Gehen Sie zu unterschiedlichen Zeiten los? Ich bin z.B. von ca. 8.00 bis 19.45 Uhr außer Haus, in meinem Umfeld ist das eher die Regel als die Ausnahme.“
Am besten erreicht man die Leute Samstags. Sie pruscheln im Haus, räumen auf, machen Gartenarbeit oder chillen. Samstags zwischen 11 und 15 Uhr habe ich deutlich über 50 Prozent der Menschen angetroffen, ich würde fast sagen 75. Unter der Woche habe ich zwischen 16:30 und 19 Uhr an den Haustüren geklingelt. Je weiter fortgeschritten der Tag, desto mehr Leute waren daheim – zwischen 40 und 60 Prozent. Um 19 Uhr habe ich die Sache beendet. Dann bringen Menschen Kinder ins Bett. Außerdem finde ich es creepy, wenn um diese Zeit noch jemand an der Tür klingelt, den man nicht eingeladen hat oder der keinen Notfall hat.
Die Menschen waren ausnahmslos freundlich. Nur wenige haben gesagt: Nein, danke, kein Interesse. Manche haben sich total gefreut, dass ich persönlich vorbeikomme. Ich bin keinem einzigen aggressiven Menschen begegnet. Zwei Männer hatten sehr wenig an, es hatte aber nichts mit mir zu tun.
Meine Erkenntnisse beim Haustürwahlkampf:
Es gibt viel verdeckten Wohnraum, also Wohnungen, die leer stehen und wo es keine Bemühungen gibt zu vermieten.
Ein erheblicher Teil alter Menschen trifft über den Tag wenig andere Menschen. Wir haben eine erhebliche Einsamkeitsproblematik, die in den kommenden Jahren noch größer werden wird.
Armut sieht man nicht von außen. Armut wird einem erzählt.
Tipp | Ein interessantes und kostenfreies Webinar von meiner Kollegin Andrea Schmitt: Ein anderer Blick auf Organisationen. Termin: Montag, 15. September 2025 von 17 Uhr bis 18:30 Uhr. Darum geht es:
Wenn wir an Organisationen denken, stellen sich die meisten von uns ein Organigramm vor – bestehend aus Hierarchien mit Kästchen, die Führungskräfte und ihre zugeordneten Teammitglieder repräsentieren. Das ist eine Sichtweise auf Organisationen. Die andere ist die Frage nach dem Warum. Warum wurden die Kästchen und Hierarchien auf diese Weise gebildet? Welchem Zweck dienen sie?
Eine Antwort darauf könnte oder sollte sein: sie regeln, wer welche Entscheidungen treffen darf und wie diese dann im Unternehmen kommuniziert werden. Manchmal sind Organigramme allerdings historisch gewachsen und sie dienen gar nicht mehr dem besten Ablauf von Entscheidungsprozessen. Was dann?
Andrea feiert dieses Jahr zehnjähriges Firmenjubiläum und schenkt uns die Veranstaltung (Anmeldung). Ich habe mich angemeldet.
Ernte | Der Garten erschöpft so langsam. Aber noch geht was! Die Zucchini ist im Verborgenen zu monumentaler Größe gewachsen. Die Gurken lassen mit letzter Kraft ihre Früchte reifen. Die Tomatenpflanzen stemmen sich gegen beginnende Braunfäule.
Meine Tomate sendet Liebe hinaus in die Welt.
Broterwerb und Pause | Das Auftragsbuch für die kommenden vier Wochen ist voll. In dieser Reihenfolge: ein Beratungsworkshop in Stuttgart (IT-Branche), Moderation eines Strategieprozesses (IT), ein Seminar zum lateralen Führen bei einer NGO, ein Teamworkshop bei einem Landmaschinenhersteller, Moderation einer Komiteesitzung im kommunalen Sektor in Karlsruhe, ein Teamworkshop bei einem Medienunternehmen und ein Moderationsworkshop bei einer NGO. Und dann: Herbstferien! Bevor wir mit den Kindern wegfahren, verbringe ich fünf Tage in einem Wellnesshotel in der Pfalz. Nur ich, die Sauna, Bücher, Weinberge, jeden Morgen ausgiebiges Frühstücksbuffet und abends ein Drei-Gänge-Menü. Ziel: Mit so wenig Menschen reden wie möglich, viel schlafen, viel lesen.
Falls Sie sich das fragen: Die neue Amtsperiode für Bürgermeister’innen und Stadträt’innen beginnt am 1. November. Sollte ich gewählt werden, wechsel ich ab dem Zeitpunkt den Job. Falls nicht, geht es bei mir ganz normal in der Selbstständigkeit weiter.
Es ist mir übrigens gelungen, im Wahlkampf kostendeckend zu bleiben. Ich habe ja kein durchgehendes Festgehalt, sondern muss sehen, dass ich genug Aufträge habe und jeden Monat ausreichend viel Umsatz reinkommt. Das ist mir gelungen, und das ist super. Ich hatte damit gerechnet, dass ich ins Minus kommen würde und parallel nicht ausreichend Aufträge annehmen könnte. Ist zum Glück nicht so gekommen. Gewinne habe ich allerdings auch nicht gemacht in den vergangenen neun Monaten – monetär. Gelernt habe ich sehr viel! Betriebswirtschaftlich handelt es sich also um eine sehr praxisorientierte Weiterbildung. //*Gehirn-Emoji
(Falls Sie einen Zeitmanagement-Workshop bei mir buchen möchten – sehr gerne. Wir sprechen darin auch über all die Erwartungen, die Sie nach der Veranstaltung nicht mehr erfüllen wollen.)
Gehört |Kalt und Still von Viveca Sten, gelesen von Vera Teltz. Ein skandinavischer Krimi: Eine junge Frau wird tot im Skilift gefunden – wer war es? Die Kommissarin Hanna Ahlander ist mehr oder weniger unfreiwillig vor Ort, nachdem sie vom Job suspendiert wurde. Die Erzählung hat mich nicht vom Hocker gehauen. Die Charaktere bleiben blass, die Selbstzweifel der Kommissarin nerven – und hatte ich schonmal erwähnt, dass ich verstellte Stimmen unangenehm finde? Für eine schlichte Urlaubslektüre oder eine Mitnahme aus dem Bücherschrank ist die Geschichte aber hinreichend spannend.
In diesem Kaffeehaus werden anonym Daten verarbeitet. Indem Sie auf „Ja, ich bin einverstanden“ klicken, bestätigen Sie, dass Sie mit dem Datenschutz dieser Website glücklich sind. Dieser Hinweis kommt dann nicht mehr wieder. Datenschutzerklärung
Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.