Wahlkampf und eine Reise nach Chemnitz
Bürgermeisterkandidatur | Noch vier Wochen bis zur Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen. Die Briefwahlunterlagen sind raus, die ersten Leute haben gewählt. Ich stehe und hänge überall in der Stadt.

Seit dem 1. August plakatieren wir in der Stadt – ab sechs Wochen vor der Wahl, das ist eine Vereinbarung zwischen den Parteien. Um sechs Uhr morgens zogen wir los, mit Plakaten, Leitern und Kabelbindern. Während die Standorte der großen Wesselmänner – das sind die stehenden, querformatigen Plakate – einzeln von der Stadt genehmigt werden, gibt es bei den Plakaten an den Laternen keine Regelungen. Man darf lediglich den Verkehr nicht behindern, nicht in Kreuzungsbereichen plakatieren und nur an Masten, die kein Verkehrszeichen tragen. Also starteten wir früh um das Rennen um die besten Laternen.
Seit diesem Zeitpunkt ist der Modus nicht mehr „Bekannt werden“, sondern „Stimmen gewinnen“. Ich stehe für Gespräche in der Stadt, verteile meine Wahlprogramme, gehe von Haustür zu Haustür, klingele an und werfe mein Kurzprogramm in die Briefkästen, unterstützt von vielen Menschen aus der SPD, von den Grünen und aus dem Freundeskreis.







Der Haustürwahlkampf ist speziell: Ich klingele und weiß nicht, welche Reaktion kommt. Das Schöne: Die meisten Menschen sind freundlich, viele sind interessiert, vereinzelt treffe ich sogar auf Enthusiasten. Nur wenige schlagen mir die Tür vor der Nase zu oder sind unwirsch. Das gibt mir viel Energie.
Mit Ausnahme einer Legislaturperiode Mitte der 1990er Jahre gab es seit dem Zweiten Weltkrieg nur CDU-Bürgermeister hier in der Stadt. Eine Frau hatte Haltern noch nie als Stadtoberhaupt. Mindestens einmal am Tag bekomme ich deshalb zu hören: „Das wird schwer für Sie.“ Oder: „Glauben Sie überhaupt, dass Sie eine Chance haben?“ Nun, in den dreißig Jahren, in denen ich Handball gespielt habe, bin ich zu vielen Spielen angetreten, bei denen der Gegner vermeintlich stärker war. Die Hälfte der Spiele haben wir tatsächlich verloren. Aber die andere Hälfte haben wir gewonnen – aus immer demselben Grund: Wir wollten gewinnen, während es für den Gegner nur eine Formalie war. Insofern werfe ich alles rein in den Wahlkampf. Ich möchte mein bestes Spiel spielen, ich möchte gewinnen – und wenn ich es nicht tue, hoch erhobenen Hauptes vom Platz gehen.
(Ich wurde mehrfach gefragt, wie viele von den magentafarbenen Oberteilen ich habe. Es sind drei.)
Im Video | Der Kandidatencheck des WDR zur Kommunalwahl ist online. Es gibt ein knackiges, dreiminütiges Video von mir zu Sanierungsstau, Stadtentwicklung, Sicherheit und Mobilität. Der amtierende CDU-Bürgermeister hat nicht teilgenommen. Der A*D-Kandidat ebenfalls nicht.

Noch mehr Video: Ich habe etwas in petto. Wir haben einen Tag lang professionelles Videomaterial gedreht: vor dem Rathaus, am Bahnhof, auf dem Markt, mit und ohne Fahrrad, unter und über den Dächern der Stadt. Das Ergebnis sind kurze, kompakte Filme. Sie sind noch nicht online – alles zu seiner Zeit.
Wir hatten viel Spaß! Es war großartig, mit einem solch professionellen Team zusammenzuarbeiten.




Meine Crew: Dirk Baxmann von Zielspur Film, die Fernsehredakteurin Stefanie Opitz und die Moderatorin Sabine Pracht von Pracht Change. Es war mir ein Fest! Vielen Dank für Eure Unterstützung!
Wahlkampffinanzierung | Die Halterner Lokalzeitung hat aufgeschrieben, wie die Parteien und ich den Wahlkampf finanzieren. Weil ich das hier im Kännchenblog schon ein paarmal gefragt wurde, hier der Ausschnitt zu mir und den Infos, die ich gegeben habe:

Die Parteien haben mir jeweils 10.000 Euro zur Verfügung gestellt. Ich selbst habe bislang rund 2.800 Euro eingebracht. Zudem haben wir Spenden über Paypal eingenommen, die mir gerade jetzt zum Ende sehr helfen und mir Luft verschaffen. Liebe Spender’innen: Danke! Euer Geld geht an den Filmemacher Dirk und finanziert tolle Videos.
Broterwerb | Es ist kaum zu glauben, aber neben dem ganzen Wahlkampf arbeite ich auch. In der vergangenen Woche war ich in Chemnitz.

Mit der Professur für Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement arbeite ich schon länger zusammen. Sie gehört zum Maschinenbau. Die Menschen, die dort arbeiten, beschäftigen sich mit Robotik, Virtual Reality, Mobilität und der Interaktion zwischen Menschen und Maschinen.
In zwei intensiven Tagen haben wir überlegt, wie die Forscher‘innen sich aufstellen können, damit ein besserer Wissenaustausch in, aber auch zwischen einzelnen Disziplinen stattfinden kann. Es ging um Zusammenarbeit beim Schreiben von wissenschaftlichen Papern und darum, Druck zu reduzieren und gleichzeitig die Arbeitsqualität zu sichern. Mehr dazu auf Linked.in.
Das Spannende ist: Der Lehrstuhl arbeitet an Themen, die auch für die Kommunalpolitik interessant sind – die Mitarbeiter’innen forschen zu empfundener Sicherheit von Radfahrenden im Straßenverkehr, zum Verhalten von Fahrrad und Auto, speziell dann, wenn sie zusammentreffen, und über die Wirksamkeit von Beteiligungsverfahren in der Stadtentwicklung.
Ich fuhr einen Tag eher nach Chemnitz – um eine Kundin zu treffen und um mir von ihr eine Stadtführung ausgeben zu lassen. Hier nochmal mein herzlicher Dank – das war großartig! Wir gingen von der Innenstadt auf den Kaßberg, einem der größtern Jugendstil- und Gründerzeitviertel Europas mit einer reichen Geschichten.










Nach der Tour pausierten wir in einem Eiscafé. Es vereinte das Beste aus zwei Welten auf einem Teller: Waffel und Spaghetti-Eis. Hallelujah!

Chemnitz fordert mich jedesmal heraus: Als Mensch, der viele Jahre im Ruhrgebiet gelebt hat, fühle ich mich dort sehr zuhause. Strukturwandel, Technologie, Kultur – es gibt viele Parallelen. Das Gefühl gerät allerdings jedesmal in krasse Disonanzen zu den Wahlergebnissen in der Stadt.
Ich fuhr übrigens mit dem Zug, und es geschah (wieder!) etwas völlig Verrücktes: Ich hatte drei Umstiege unter fünfzehn Minuten und sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückfahrt ging alles glatt. Sechs Minuten in Hannover! Vier Minuten in Leipzig! Alles pünktlich und entspannt.
Küche und Garten | Im Mai habe ich erstmals eine Artischocke gepflanzt und bin direkt erfolgreich: Das Ding haut richtig einen raus. Jetzt habe ich die erste Blüte geerntet und zubereitet – meine erste Artischocke überhaupt, die nicht aus einem Glas kommt. Ich sag’s mal so: Es ist eine Pflanze, die viel Brimborium macht.


Die Tomatenernte ist auch auf dem Höhepunkt. Es gibt Tomaten zum Frühstück und zum Abendessen – und Tomatensoße zu Mittag.

Gelesen | Es war 2014, als ich Frédéric Valin in Berlin traf. Wir waren beide zu einer Lesung eingeladen. Sie fand in einem Telekom-Laden hinter den Hackeschen Höfen statt. Es gab Honorar plus Reisekosten für eine halbe Stunde Auftritt, es waren die goldenen Zeiten der Blogsophäre.
Seither verfolge ich in sozialen Medien, was er tut. Frédéric ist Autor und Pflegekraft, manchmal auch umgekehrt. 2021, in der Corona-Pandemie, erschien sein Buch Pflegeprotokolle. Frédéric Valin erzählt aus dem Leben von Pflegekräften und Erzieher’innen – beziehungsweise: Er lässt die Menschen selbst erzählen. Er hat die Gespräche mit ihnen protokolliert und aus ihrer Perspektive aufgeschrieben. Lesenswert.

Das Buch gibt es im Buchhandel und für fünf Euro bei der Bundeszentrale für politische Bildung.
Gelesen | Alexander Heimann: Muttertag. Ein gefälliges Buch aus dem örtlichen Bücherschrank: Ein Kind verschwindet und taucht woanders wieder auf, ein pensionierter Kiminalbeamter trifft auf die Mutter und weiß nicht, woran er ist. Eine Geschichte aus mehreren Perspektiven, nicht spektakulär, aber durchaus prima.
Gehört | Katja Robinson, Professorin für rechtliche Grundlagen sozialer Professionen an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB), zu Gast bei der Lage der Nation. Von 2019 bis 2025 leitete sie das Kölner Sozialamt und erzählt differenziert und sachkundig von den Problemen in der Verwaltung und möglichen Lösungen. Ich selbst habe im Februar für die KHSB gearbeitet und mich gefreut, eine solch erkenntnisreiche Podcastfolge mit einer dortigen Hochschullehrerin zu hören.
Schweine | Marianne und LeBron James (alias Der Dicke) beim Dinner.
