Leibesübung | Das erste Mal seit Langem bin ich 3.000 Meter durchgekrault, 60 Bahnen, butterweich und meditativ. Das war großartig. Zwei Tage später nochmal 2.000 Meter, auch sehr fluffig, Atmung passte super. Es wird, es wird.
Heute dann Rad gefahren, um das Handball-Olympia-Finale bei der Torfrau in Mühlheim zu schauen. Der Reiseleiter plante eine Tour, 63 Kilometer, und wir fuhren über Trassen und Wirtschaftswege von Haltern ins Ruhrgebiet. Das ging sehr zügig. Wir machten nur zehn Minuten Pause am Erzbahnkiosk, dann ging es weiter. In weniger als 3 Stunden 30 waren wir dort.
Die ausgebauten Trassen sind wirklich fantastisch, ebenso der Radschnellweg RS1 zwischen Essen und Mülheim. Das sind Radautobahnen; da geht ohne Probleme eine 24er-Schnitt mit dem Trekkingrad. Was rollt, das rollt. Die schlechte Seite: Wenn man nicht über eine Trasse fährt, ist Radfahren im Ruhrgebiet eine Vollkatastrophe. Die Politik geht offensichtlich davon aus, dass Menschen, die Rad fahren, das nur zum Freizeitvergnügen tun, im Kreis. Tatsächlich möchten Menschen aber manchmal auch irgendwohin, ganz unfreizeitlich, zu Zielen, die zufällig nicht auf einer alten Bahntrasse liegen.
Bei der Torfrau gab es, passend zum Finalgegner Dänemark, Zimtschnecken.
Wir schauten seufzend das Finale und waren am End froh, dass es bei 39 Gegentoren blieb. 40 wären nochmal bitterer gewesen. Aber egal! Tolles Turnier der deutschen Mannschaft, starke Leistung, Silbermedaille.
Gemenge | Der Reiseleiter hat zu Beginn des Sommers eine Wildblumenwiese angelegt: Er hat eine Samenmischung gekauft, den Rasen umgegraben, die Mischung eingearbeitet, geharkt und gewässert. Das Ergebnis war dürftig. Inzwischen kommen ein paar Blümchen, aber alles in allem ist die Wiese nicht sehr wild. In einem Dicounter sah ich nun „Landsberger Gemenge“ auf dem Aktionstisch. Gemenge! Wonach hört sich das an? Das hört sich nach Wildheit an. Nach Getümmel und Gewühl, nach Treiben und Gewimmel. Ich habe es natürlich gekauft. Jetzt geht’s ab!
Daseinsfürsorge | Bei uns im Dorf gab es eine Poststelle in einem Kiosk. Man konnte Pakete hinbringen und abholen und Postdienstleistungen in Anspruch nehmen: Briefe versenden, Briefmarken kaufen, Einschreiben aufgeben, sowas. Seit ein paar Wochen ist die Poststelle geschlossen. Der Service sei nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben. Klar, da verabschiedet man sich als Unternehmer von dieser Dienstleistung.
Fürs Dorf ist das allerdings ausgesprochen misslich, denn nun muss ich – müssen alle – fünf Kilometer mit dem Auto oder dem Fahrrad fahren und in eine Fußgängerzone hineingehen, um ein Paket aufzugeben oder abzuholen. Bei großen oder schweren Paketen ist das nochmal unerfreulicher, und wir wissen alle, dass man nicht mal etwas Großes bestellt haben muss, um ein großes Paket zu bekommen. Zwar habe ich einen Ablageort festgelegt und Porto bekomme ich auch online, aber erstens sind mir Klebebriefmarken lieber, zweitens landet doch immer mal ein Paket in der Filiale und drittens möchte ich auch mal Pakete verschicken, ohne das Gefühl zu haben, selbst ein Logistikunternehmen zu betreiben. Die Post verspricht eine Lösung – muss sie auch laut Postgesetz, denn der Ortsteil hat mehr als 2.000 Einwohner. Aber das kann dauern. Ich kann das irgendwie überbrücken, aber Menschen ohne große Digitalkompetenz oder mit Mobilitätseinschränkungen sind echt gekniffen.
Sommer | Das Gute an Hitze ist, dass die Wäsche schnell trocknet. Das Schlechte an Hitze ist … Hitze.
Das Monstrum von Sonnenblume, das sich selbst im Hochbeet gesät hat, hat nun eine Blüte.
Serien schauen | Auf Anraten des Lieblingswebworkers die arte-Mediathek geöffnet und die ersten drei Folgen Dicte geschaut. Bislang gut, habe aber noch keine fundierte Meinung.
Gelesen |Herr Buddenbohm reist ab, teilt wie immer sehr unterhaltsam Beobachtung und tut überdies seine Unlust für Reiseplanung kundt. Als der Reiseleiter in unserer damals noch jungen Beziehung meinte, er würde gerne, wenn mir das recht wäre, die Reiseplanung übernehmen, allerdings wolle er mich keinesfalls bevormunden, er mache das einfach gerne, also nur, wenn es mir nichts ausmache – da habe ich mich lächelnd zurückgelehnt und, begleitet von einer milden Geste, „Ist schon in Ordnung“ gehaucht.
Danke | Ich habe ein ganz unverhofftes Geschenk erhalten, das ich erst vor wenigen Tagen auf meinem Wunschzettel ergänzt hatte. Herzlichen Dank! Ich habe mich sehr gefreut.
Radausfahrt | Eigentlich wollten der Reiseleiter und ich das Fahrrad meines Vaters nach Dortmund fahren. Doort wohnt er. Er hatte während unserer Dänemarkradtour die Schweine gehütet, bei uns geurlaubt und für diese Zeit sein Fahrrad mitgebracht. Auf dem Hintransport ist das Schutzblech abgebrochen; der Platz im Kombi war arg eng, und einen Fahrradträger hatte er nicht zur Verfügung. Um weitere Schäden zu verhindern und um mir ein wenig Bewegung zu verschaffen, beschloss ich, das Fahrrad zu Fuß (oder besser gesagt per Pedale) von Haltern nach Dortmund zu fahren. Der Reiseleiter befand, dass sei eine gute Idee, er wolle mitkommen und könne auch das Vaterrad fahren.
Nach nur 400 Metern meinte er allerdings: Das Rad eiert. Tatsächlich: Wenn man genau hinsah, hoppelte der Reiseleiter wie ein Hase über den Wirtschaftsweg. Wir stiegen ab und begutachteten das Fahrrad, drehten es, wendeten es, und kamen zu dem Schluss, dass nicht Felge, sondern Schlauch und Mantel das Problem waren. Der Reiseleiter ließ Luft ab, justierte Schlauch und Mantel, pumpte den Reifen wieder auf, doch ohne Erfolg. Er hoppelte immer noch. Wir beschlossen, die Aktion abzubrechen und das Rad noch zu behalten, für eine Inspektion und Reparatur.
Statt nach Dortmund zu fahren, fuhren wir anschließend – jeder mit dem eigenen Rad – eine Runde, 45 Kilometer, kauften in Olfen ein Brot, und der Reiseleiter aß ein Eis. Auf dem Rückweg machten wir einen Abstecher in die Westruper Heide und flanierten zwischen blühendem Heidekraut, in dem die Bienen summten.
Broterwerb | Ich befinde mich noch in der Post-Urlaubs-Wiedereingliederung und schrieb einen Reflexionsbericht für die Fernuni Hagen. Er ist Teil meiner Coachingausbildung und eine verpflichtende Prüfungsleisutng. Die Erstellung brauchte mehr Zeit als erwartet, mit Unterbrechungen etwa eineinhalb Tage. Insofern kann ich sagen, dass ich tatsächlich reflektiert habe.
Darüber hinaus ein paar Telefonate, ich schrieb ein Angebot, buchte ein paar Hotels und eine Bahnfahrt für Ende August und den September und sortierte die Aufgaben für die kommende Woche.
Müßiggang | Freibad, Lektüre und Leibesertüchtigung, letzteres diesmal nur in bescheidenem Umfang.
Geguckt | Ich schaute Rocket Man, die Filmbiografie über Elton John. Danach hatte ich das dringende Bedürfnis, zu ihm zu fahren und ihn fest zu umarmen. Tolle Schauspielleistung von Taron Egerton. Außerdem erkannte ich Jamie Bell und freute mich, dass er den Erfolg von Billy Elliott gut überstanden hat und nicht wie einige andere Kinderstars mit Alkohol, Drogen und Skandalen konfrontiert war.
Gelesen | Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bahn ist die Stimmung miserabel: „Ich schäme mich mittlerweile jeden Tag für dieses Unternehmen“. Ich erlebe ausschließlich freundliche, angesichts der Zustände ausgesprochen bemühte, humorvoll-selbstironische Zugbegleiter:innen, die einen großen Teil dazu beitragen, dass ich die Langstrecken immer noch mit der Bahn und nicht mit dem Auto mache. Die Bahn sollte alles daran setzen, sie nicht zu verlieren.
Einkaufen | Ich fuhr mit dem Fahrrad zum Supermarkt im Dorf, dem kleinen. Wir haben zwei. Ich bin angehalten, im Markt gegenüber der Apotheke zu kaufen: Der Reiseleiter arbeitet bei dem Konzern, wir bekommen Mitarbeiterrabatt und sichern seinen Arbeitsplatz. Außerdem mag ich es dort tatsächlich. Es ist leerer und auch preiswerter als im großen Supermarkt, und es gibt gute Eigenmarken. Wie ich so durch die Gänge schob, wurde ich dreimal von fremden Frauen angelächelt, einmal sogar freundlich gegrüßt. Ich schaute an mir hinab, ob ich irgendwas auf dem T-Shirt hatte, einen Fleck oder ein Loch, und überprüfte meine Mundwinkel. Manchmal habe ich dort noch Brotaufstrich oder Schokolade. Aber es war alles in Ordnung. Es blieb rätselhaft, ich freute mich einfach über die Freundlichkeit.
Schweine | Abends, nach einem anstrengenden Tag, grast man gerne nochmal im Park.
Ereignisschnipsel | Ich sitze auf dem Sofa, es ist Sonntag. Auf dem Fernseher läuft Olympia, ein flauschiger Ereignisteppich unter diesem Tag, an dem es eher kühl ist, der Himmel bedeckt. Man überträgt Bogenschießen.
Bogenschießen habe ich liebgewonnen, eine übersichtliche Sportart. Erst schießt der Eine, dann der Andere. Drei Schüsse sind ein Satz: Zehn plus zehn plus neun, das sind Neunundzwanzig, das kann man auch mit drei Neuronen noch zusammenrechnen. Selbst mit halber Hirnhälfte versteht man, wer hier grad besser ist. Dazu vor jedem Schuss dieses leichte Spannungsgefühl. Perfekt für den Sontagnachmittag.
Dann Dressurreiten, ich lese dabei. Ein großer Roman, tausend Seiten. Die Spannung baut sich langsam auf – in kleinen Begebenheiten und unscheinbaren Halbsätzen. Eine Geschichte, die daherkommt wie ein jovialer älterer Herr, zugewandt und freundlich, und doch spürst du: Irgendwas stimmt hier nicht. Dazu die Stimme Carsten Sostmeiers … es ist hier der königliche Tanzpalast der Reiterei …
Ich bin heute etwas ermattet. In den Tagen zuvor war ich mehrmals schwimmen, einige Kilometer. Gestern fuhr ich fünfzig Kilometer Rad über den Vestischen Höhenrücken. Der Reiseleiter klärte mich über diese unerfreulich langsame Steigung auf, während wir sie unter den Reifen hatten. Es geht nicht wirklich bergauf, man hat eher das Gefühl, heute sei ungewöhnlich starke Schwerkraft am Werk. Am Tag danach sind meine Arme vom Schwimmen, die Beine vom Radfahren schwer. Ich mache mir Wassermelone mit Feta und plumpse ins Sofa … Ein Paukenschlag im Orchester der Hippologie!
Die gestrige Radfahrt führte zu den Schwiegereltern, Kaffeetafel mit Pflaumenkuchen. Ist das Jahr ist also schon soweit: Pflaumenzeit. Wir fuhren durch Maisfelder. Die Sonne fieselte durch eine trübe Wolkendecke. Mit Sonnenbrille war es zu dunkel, ohne zu hell. Die Luft lag schwer zwischen den Feldern. Beim Bergauffahren klebten sich Stechfliegen an die Arme und in die Kniekehlen.
In meinem Buch steht über den August:
Das Land explodiert, grün und gold und strohgelb. Die Halme schwanken schwer vor Mais, bremsen den leichten Wind. Die Landschaft lehnt sich zurück, üppig und stolz wie eine hochschwangere Frau, rekelt sich.
Ann-Marie MacDonald: Wohin die Krähen fliegen, S. 24f.
Der Pflaumenkuchen schmeckte gut. Der Boden schön dünn und leicht matschig. So mag ich das. Ich habe noch eine Woche frei. Vielleicht schaue ich demnächst im Supermarkt nach Pflaumen und backe auch einen Kuchen, mit Quark-Öl-Teig … Sie schenkt ihre Beine der Reiterin zum gemeinsamen Tanz … Allerdings habe ich auch noch Zucchini zu verarbeiten.
Während des olympischen Lesens hat sich der Stapel der Bücher neben meinem Bett auf wundersame Weise vermehrt. In der Stadt war Büchermarkt.
Draußen vor dem Fenster sitzt nun eine Kolonie Spatzen auf dem Rasen und frisst Samen weg. Neulich habe ich ausgestochen, was zu viel wurde: Breitwegerich, Löwenzahn, Ferkelkraut. Ich war im Gartenmarkt und kaufte einen Unkrautstecher für die langen Pfahlwurzeln. Nach dem Ausstechen habe ich den Rasen neu eingesät. Nun kommen die Spatzen und fressen ihn weg. Die Schweine könnten sich ein bisschen engagieren, denke ich, schließlich ist es auch ihr Rasen. Wird er gewachsen sein, werden sie ihn fressen. Aber sie befinden sich in einem Zustand völliger Entspannung und tun nichts, um die Spatzen zu vertreiben. Sie zerfließen im Stroh wie Camemberts in der Sonne.
Und man meint, im Gesicht der Stute ein Lächeln zu erkennen, das förmlich die Sonne im Dressurviereck zaubert … Ich könnte die Olympischen Spiele in der Mediathek schauen. Die Sportarten werden parallel gezeigt, in einzelnen Livestreams. Ich könnte mir aussuchen, was mir gefällt. Aber ich mag die lineare Übertragung. Es gefällt mir, mich zwischendurch zu langweilen. Es ist schön, wenn mir plötzlich Randsportarten gefallen, über die ich vorher nicht nachgedacht habe. BMX-Fahren sieht interessant aus und noch dazu sehr anstrengend. Eine Minute Vollspeed, Sprünge, Figuren, Pirouetten, und dann ist schon alles vorbei. Judo! Herumfummeln am Revers, Füßchen setzen, Leute umschmeißen und dann ein Schwitzkasten, der sich gewaschen hat. Ich denke an die Kinder. Sie kennen das gar nicht mehr: Gucken, was läuft, weil es keine anderen Programme gibt. Weil Langweiliges zu gucken besser ist als gar nichts zu gucken. Weil man zum Umschalten aufstehen müsste, und so lange dauert es dann doch nicht, als dass man diese Mühe auf sich nehmen möchte. Das sitzt man aus, das liegt man aus.
Auf der Fahrt über den Vestischen Höhenrücken, das erzähle ich noch kurz, fuhren wir durch Marl und stoppten an der Konrad-Kirche. Die Kirche liegt in einer Zechensiedlung und wurde schon vor Jahrzehnten entweiht. Ende der Siebziger Jahre hatte sich die Bevölkerung so sehr verändert, dass sich ein Unterhalt nicht mehr lohnte; niemand ging mehr zur Kirche, niemand glaubt an Gott, wie die Kirche es erwartet. Gemeinden wurden zusammengelegt. Die Kirche aber steht unter Denkmalschutz – was also tun damit? Sie wurde zu einem Kolumbarium.
Ein ruhiger, wohltuender Ort: der Duft von Ölkerzen, gedämpfte Musik, buntes Licht durch Kirchenfenster.
Ich verlasse das Sofa. Ich brauche ein aktuelles Foto von den Schweinen, Chronistenpflicht des Tagebuchbloggens. Die Tiere sehen keinen Veranlassung, sich zu bemühen, schauen aus schlaftrüben Augen in die Kamera.
Auf dem Rückweg zum Sofa pflücke ich zwei Tomaten … eine hippologische Fontäne, deren Wasser wie eine Perle auf der Gänsehaut des Betrachters hinuntergleitet … Heute Abend Finale im 100-Meter-Lauf. Bis dahin lese ich noch ein wenig.
Freibadglück | Wieder ein guter Schwumm, zwei Freibadkilometer, 40 Bahnen. Ich las irgendwo, dass man dem Schweben nirgendwo näher sei als beim Kraulschwimmen, und es ist etwas dran: Wenn Atmung und Armzug im Einklang sind, ist das Gleiten durchs Wasser absolut wunderbar. Und Freibad – wie großartig ist eigentlich Freibad! Ich mag besonders die Tage, an denen es nicht allzu heiß und das Wasser umso erfrischender ist. Außerdem habe ich eine neue Schwimmbrille. Wow! Wie klar man sehen kann.
August | Ein Teil meines Weges mit dem Rad in die Stadt:
Broterwerb | Kalender durchgesehen und das zweite berufliche Halbjahr betrachtet. Ich bin bereits gut ausgelastet, 80 Prozent würde ich sagen. Während ich in Dänemark war, sind einige Aufträge reingekommen, schöne Herausforderungen. Ich freue mich. Das werden gute fünf Monate mit Bestandskunden und Neukunden, allesamt tolle Menschen und Organisationen.
Im zweiten Halbjahr 2024 …
begleite ich gemeinsam mit internen Kolleginnen und Kolleginnen die Transformation eines IT-Unternehmens.
bin ich für die Führungskräfteentwicklung in einem Industrieunternehmen gebucht.
führe ich eine Teamentwicklung in einer Medienorganisation durch.
begleite ich unterschiedliche Menschen als Coach in privaten und beruflichen Fragestellungen.
gebe ich in verschiedenen Organisationen Inhouse-Seminare: Moderationstraining, Agilität, Konfliktmanagement und Change Management.
moderiere ich in mehreren Organisationen Abteilungs-, Teamworkshops und Vorstandstagungen.
Die Aufträge werden mich mehrmals nach Baden-Württemberg führen. Ich werde außerdem nach Berlin und nach Chemnitz reisen – und mal sehen, was noch kommt.
Ich habe auch die Terminübersicht auf meiner Website aktualisiert. Schauen Sie mal!
Blick in den Garten | Alles ist üppig, allerorten dicke Früchte. Nach Sturm und Gewitter stützen wir die Tomaten mit Latten und Besenstielen. Sie brechen sonst unter sich selbst zusammen. Die Insekten summen: Die Investition in Stauden hat sich gelohnt. Es sind jede Menge Bienen, Hummeln und auch einige Schmetterlinge unterwegs.
Im Gurkenbeet hat sich eine Sonnenblume gesät, ganz ohne mein Zutun. Ich ließ sie wachsen. Nun reicht sie bis in den Himmel. Ich werde eine Axt brauchen müssen, um sie zu fällen.
Gelesen | Familie Buddenbohm tritt ihren Urlaub an: Alles durchziehen.
Gelesen | Cycling’s Silent Epidemic. Ein langer Text über ein vernachlässigtes Thema: Frauen und Fahradsättel. Während Männer, die sportlich radfahren, vielfach beforscht und mit Produkten beworfen werden (erektile Dysfunktion!), bleiben die Herausforderungen sportlich radfahrender Frauen – geschwollene, schmerzende Labien und eine malträtierte Klitoris – erstaunlich unbeachtet. Durch Sattelneigung und Lenkereinstellung habe ich das Problem für mich vorerst gelöst, nach vielen Leidenskilometern.
Oldie but Goldie | Letztens las ich irgendwo vom Wunsch nach einer DIN-Norm – der DIN-Norm „Wo im Supermarkt die Hefe zu finden ist“. Als Teil des Aktionsbündnisses „Neonbeleuchtetes Hefefach“ schließe ich mich dieser Forderung vollumfänglich an.
Schweine | Im Einzelportrait, v.l.n.r.: das Dramaschwein, der Dicke und das Pionierschwein, wärmebedingt ermattet.
Die Zeit, ein sanfter Fluss | Ich bin zu Hause und habe noch Urlaub. Das ist ein wunderbarer Zustand. Ich lebe in den Tag hinein, schwimme, fahre Rad, pruschele im Garten herum oder liege auf der Terasse und lese.
Dazu Olympia! Ich liebe die Kombination Sommer plus Olympische Spiele plus frei haben. Das perfekte Entspannungsprogramm.
Ich schaue mir Randsportarten an. Judo und Skateboard zum Beispiel, sehr interessant. Oder Wasserspringen; bei den Synchronwettbewerben kann man auch als Laie gut erkennen, wie gelungen das Dargebotene ist, dazu die Drehungen und Überschläge – famos! Am besten einnicken kann ich beim Reiten; das Hufgetrappel, Wahnsinn, ein Blutdrucksenker. Auch Tennis und Tischtennis – *plok plok plok plok plok … *plick plick plick plick plick …
Nach einer Woche reinen Müßiggangs beginne ich außerdem langsam mit meiner Wiedereingliederung: Gestern habe ich eine Stunde E-Mails beantwortet, morgen werde ich zwei Stunden arbeiten, Freitag drei Stunden. Nächste Woche nähere ich mich irgendwann der Vollzeit, werde das aber vom Wetter abhängig machen. Nichts überstürzen.
Es ist nun außerdem Zeit, entspannt die Dinge zu tun, die ich sonst irgendwie dazwischenquetschen müsste: Gesundheits-Check-up, Hautkrebs-Screening, Impfstatus optimieren, Friseur, Steuererklärung, Winterwolldecken durchwaschen.
Kaltakquise | Seit ich wieder zu Hause bin, fuhr ich zweimal mit dem Rad in die Stadt. Beide Male nahm mir an derselben Stelle ein Leichenwagen die Vorfahrt. Man könnte ein Geschäftsmodell vermuten.
Die letzten Reisetage | Lassen Sie mich noch von den letzten Tagen in Dänemark berichten. Nachdem wir in Skagen angekommen waren, verbrachten wir noch drei Tage dort und einen Tag in Süddänemark, in Kolding.
Der erste Weg in Skagen führte an die Nordspitze nach Grenen – dorthin, wo Nord- und Ostsee aufeinandertreffen. Wie schon beim ersten Besuch finde ich es faszinierend, wie deutlich man das sieht.
Während wir im Oktober 2021, als wir erstmalig mit dem Rad nach Skagen fuhren, fast allein an dieser Stelle standen, waren wir diesmal Teil einer großen Bewegung. Menschen in Schuhen und Schlappen, barfuß, mit Kindern und ohne Kinder, mit Hunden, manche in T-Shirts, andere in Schals und Steppjacken – alle marschierten sie zur Nordspitze Dänemarks, um dort mit den Füßen im Wasser zu stehen und Fotos zu machen.
Gleichzeitig fuhr ein Trecker mit einem Planwagen diejenigen, die nicht laufen konnten oder laufen wollten, durch den Sand. Er spuckte sie aus, es war Zeit für ein Foto, dann stiegen die Leute wieder ein.
Wir waren an diesem Tag also Mitglieder einer Völkerwanderung, Teil des touristischen Overkills. Denn natürlich standen auch wir mit den Füßen in beiden Meeren und machten Fotos.
Der Grund, warum in Skagen so viel los war, war nicht nur, weil es dort schön ist, sondern weil wir die Kalenderwoche 29 hatten.
If you’re someone who enjoys a calm and peaceful atmosphere, it’s best to steer clear of visiting Skagen during week 29.
In Kalenderwoche 29 fallen reiche Leute aus Kopenhagen in Skagen ein, vor allem junge Menschen. Sie fahren in teuren Autos durch die Stadt, trinken Alkohol und haben, nun ja, Spaß. Sie nennen es „Hellerup“. Wir wussten von alldem nichts, bis wir dort ankamen.
During Week 29, otherwise called Hellerup week, wealthy youngsters all flock to Skagen in their million kroner cars and expensive boats for a week of fun, loud music, and heavy drinking – there is not much tranquility during this time. On the other hand, if you like looking at super fancy cars, this is a perfect time to visit. Why is it called Hellerup Week? Hellerup is an upscale area in Copenhagen, home to embassies and luxurious houses. Young people living there picked a week to go to summer houses together to have fun. Not coincidentally, the zip code to this area is 2900. Hence, week 29 became Hellerup week.
Wir wohnten im Danhostel Skagen. Mit uns auch Hellerup-Reisende. Das Danhostel war so vorausschauend, Familien und Party-Jugend getrennt voneinander unterzubringen, die Familien im Erdgeschoss, die Partyjugend im Obergeschoss und in einem Nebengebäude. Dennoch waren die Hellerupper:innen allgegenwärtig. Allabendlich durchzogen Parfum- und Deodorant-Wolken das Haus. In den Bädern, auf den Fluren und in der Küche wurden Zähne geputzt, Haare gerichtet und Nägel lackiert. Vorglühen im Hof, in der Gemeinschaftsküche, in den Gängen. Dann ging es hinaus in die Nacht. Ich beobachtete das Treiben mit einer gewissen Reminiszenz und war gleichzeitig froh, nicht mehr Teil dieser Unternehmung sein zu müssen. Ach, was war das damals alles anstrengend.
Faszinierend an den Gemälden: Die Skagen-Maler malten oft Menschen, die es wirklich gab. Deren Namen standen dann neben dem Bild. Nahbare Kunst.
Besonders beeindruckend: Die Männer von der Kopenhagener Börse.
Im Jahr 1892 kam der dänische Ingenieur und Geschäftsmann Gustav Adolph Hagemann auf die Idee, die einflussreichsten dänischen Geschäftsmänner auf einem Gemälde zu vereinen. Es sollte öffentlichkeitswirksam in der Kopenhagener Börse hängen. Hagemann brachte direkt eine Finanzierungsidee mit: Wer auf dem Bild repräsentiert sein wollte, bekam für 500 Kronen einen Platz in der vorderste Reihe und für 300 Kronen einen Platz in der Mitte. Für 100 Kronen landete man im Bildhintergrund.
Hagemann wandte sich an den Maler Peder Severin Krøyer. Krøyer hatte es bei der Anfertigung des Bildes nicht leicht: 50 Herren griffen in ihre Schatullen, darunter – um nur ein Beispiel zu nennen – der rotbärtige Herr vorne rechts; das ist Philip Heyman, der Gründer der Tuborg-Brauerei (die übrigens im Hafen von Hellerup, siehe oben, gegründet wurde). Der Maler musste also 50 Männer platzieren, abhängig von dem Preis, den sie gezahlt hatten, und unter Berücksichtigung ihrer Befindlichkeiten. Gleichzeitig sollte das Bild die Beziehungen, Allianzen und Konflikte der Geschäftsmänner zeigen. Dünnes Eis! Krøyer vollendete das Werk nach nur drei Jahren, 1895. Es hing lange in der Kopenhagener Börse, bis es ins Skagen Museum kam.
Am letzten Abend: Sonnenuntergang an der Westküste.
Nicht auf dem Bild: die Mückenschwärme, die uns auf unserem Weg zurück durch die Dünen begleitete. Nur, wenn wir uns im Stechschritt (haha, Wortspiel!) bewegten, hatten wir eine Chance.
Am Tag darauf machten wir uns auf dem Heimweg. Wir fuhren nicht in einem Rutsch nach Hause, sondern zunächst mit dem Zug nach Kolding, in Süddänemark. Dort übernachteten wir noch einmal. Mit fünf Fahrrädern, drei Kindern und zehn Gepäcktaschen wollten wir beim großen Bahn-Bingo das Risiko gering halten.
In Kolding besuchten wir noch das Koldinghus, ein dänisches Königsschloss. Mir war sofort sehr royal zumute.
Im Museumsshop kaufte ich königliche Spültücher. Ich werde mich bei der Hausarbeit nun sehr hoheitsvoll fühlen (und der Reiseleiter auch, es durchdringt ihn nur noch nicht so wie mich).
Noch eine Anmerkung für die Abteilung #bildungsblog: Ein Herr Oeder, seine Zeichens Arzt und Botaniker, begann Ende des 18. Jahrhunderts damit, die dänische Pflanzenwelt zu dokumentieren und malte Pflanzen auf Karten. Er nannte die Dokumentation Flora Danica. Dem dänischen Kronprinz und späteren König Friedrich VI. gefiel die Sammlung. Er bestellte ein Speiseservice mit den Motiven der Flora Danica: Teller, Tassen und Servischüsseln, auf denen Pilze, Stauden, Blumen, Gräser und Gestrüpp zu sehen sind.
Zum Service gehören auch Eierbecher, und hier möchte ich auf ein Kuriosum hinweisen, das Ihnen, sollten Sie mal bei „Wer wird Millionär?“ auf dem Stuhl sitzen, möglicherweise zu Reichtum verhilft: Die Deutschen – oder das, was damals deutsch war – aßen ihr Ei gerne liegend (das Ei lag, nicht der Esser), während Franzosen (und sicherlich auch Französinnen) ihr Ei lieber verzehrten, wenn es stand (Begründungen gab es dazu keine). Die königlich-dänischen Eierbecher waren deshalb so gestaltet, dass sowohl dem deutschen als auch dem französischen Gast genüge getan war.
Mit diesem Wissen setzten wir uns in Kolding in den Zug und fuhren nach Hause.
Gelesen |Mario Giordano: Die Frauen der Familie Carbonaro. Die weibliche Sicht auf Terra Sicilia, das mir gut gefallen hat. Die ersten 200 der über 500 Seiten begeisterten mich zunächst nicht. Die Handlung doppelte sich sehr mit dem ersten Buch, die Sicht der Frauen brachte keine neuen Erkenntnisse und schien mir eher halbherzig umgesetzt. In der zweiten Hälfte des Buches kam dann Schwung rein: Die Charaktere gewannen an Tiefe, die erzählte Zeit geht über Terra Sicilia hinaus. Insgesamt also ein durchwachsenes Fazit; dem Autor scheint die männliche Perspektive besser zu liegen.
Gelesen |Carmen Korn: Zeiten des Aufbruchs. Der zweite Teil der Trilogie; er beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg und umspannt die Jahre 1949 bis 1969. Wie auch im ersten Teil wechseln die Perspektiven flott; die Handlung fließt zügig. Mitunter wirkt das Unterbringen historischer Ereignisse oder zeitgenössischer Kultur etwas gewollt: Das Fernsehen hält Einzug, Bücher und Musik erleben eine neue Blüte, Titel und Sendungen werden heruntergebetet. Insgesamt aber eine gefällige Urlaubslektüre.
Bonderup – Uggerby | Ich erwachte mit einem seltsamen Gefühl. Lichtschein drang durchs Fenster, draußen Vogelgezwitscher und … nichts. Kein Rauschen, kein Prasseln oder Brausen – nicht einmal ein Tröpfeln. Auch kein Fieseln, kein stummes Nieseln. Sondern: Sonnenschein.
Küche und Badezimmer rochen leicht nach nassem Hund. Überall trockneten Wäsche, Schuhe und Helme. Gleichzeitig roch es nach Kaffee und frischen Brötchen: Der Reiseleiter war schon tätig geworden.
Als wir das Haus verließen, war es, als seien die Heuschrecken über unseren Gastgeber hereingefallen. Denn wir hatten sein Angebot angenommen, gut gefrühstückt und uns Brote für die Fahrt geschmiert, schließlich gab es weit und breit – in Fahrradentfernung gemessen – keinen Supermarkt.
Die nachfolgende Fahrt nach Aalborg ging so schnell, dass wir es alle kaum glauben konnten. In zwei Stunden und vierzig Minuten glitten wir bei Sonnenschein und Rückenwind durch Korn- und Kartoffelfelder, ohne Hügel, nur geradeaus, 47 Kilometer. Es war eine Wonne.
Die Klappbrücken von Aalborg begrüßten uns mit offenen Armen. Wir segelten in die Stadt hinein, frei von Regenhosen und Kükenponcho und beflügelt davon, nach Tagen der Landpartie eine große Stadt zu sehen. Wir saßen am Limfjord und schauten uns die Menschen an. Wir schoben die Räder durch die Stadt, durchwanderten Altstadtgassen und eine Drogeriekette.
Dann fuhren wir zum Bahnhof. Die Etappe wäre sonst zu lang geworden: 90 Kilometer hätten wir als Erwachsene vielleicht noch gemacht, mit den Kindern nicht. Wir versorgen uns mit Matilde-Milchshakes und Faxe Kondi und ließen uns nach Hirtshals fahren. Mit uns im Zug waren eine Menge Leute, die von Hirtshals aus nach Norwegen übersetzen; die Fähre nach Kristiansand fährt nur zweieinhalb Stunden, die Fahrt nach Bergen dauert sechzehneinhalb Stunden. Wir unterhielten uns mit einem jungen Mann, der sich zu uns in den Vierersitz gesellte; er und sein Bruder, der eine noch Schüler, der andere schon etwas älter, starteten an diesem Tag eine dreiwöchige Radreise durch Norwegen – mit Zelt und Campingkocher, seine erste Radreise überhaupt.
Von Hirtshals aus radelten wir nach Uggerby raus zu unserer Unterkunft. Unterwegs plünderten wir noch einen Supermarkt. Die Brote vom Morgen waren längst weggefuttert, und in Aalborg hatten wir nichts gegessen.
Nach dem Abendessen spazierten der Reiseleiter und ich noch durchs Dorf. Die Kinder chillten vor ihren Geräten.
Ferrtislev-Bonderup – Hirtshals über Aalborg Radkilometer: 59 Höhenmeter: 123 Radfahrzeit: 3 Stunden 30 plus eine Stunde Zugfahrt von Aalborg nach Hirtshals
Uggerby – Skagen | Die letzte Etappe, das große Finale! Wir beluden ein letztes Mal die Räder.
Mein Taschen-in-Taschen-System hat sich herausragend bewährt. Ich musste zu keinem Zeitpunkt etwas suchen und war auch in den Unterkünften hervorragend sortiert. Auch für den großen Regen erwiesen sich die Kompressionstaschen als praktikabel. Meine Packtaschen, eine grünen Fahrradtaschen, sind gut dicht, vor allem mit zusätzlichem Überzug; Schwachstelle war das Spritzwasser von unten. Dadurch, dass die Kompressionstaschen jedoch aufrecht in den Fahrradtaschen stehen, war das kein Problem; alles blieb trocken. Der Reiseleiter hingegen steckte mehrmals bis zur Brust in seinen Packtaschen und kramte nach Badehose, Werkzeug und Schwimmbrille, unter Flüchen flogen Dinge auf die Erde.
Schon beim ersten Zieleinlauf fand ich, dass sich die Nordspitze Jütlands hervorragend als Schlusspunkt einer Reise eignet. Plötzlich wandelt sich die Landschaft, öffnet sich, Bäume und Wiesen werden zu Dünen, und es sind nur noch wenige Kilometer bis nach Skagen. Seinerzeit kamen wir von Süden, von der Ostseeseite. Diesmal kamen wir von Westen, der Nordseeseite. Der eindeutige Vorteil: Wir hatten auf der ganzen Strecke Rückenwind.
Wir erreichten die Kirche von Råbjerg; eine gute Gelegenheit, das erste Mal anzuhalten.
Ein Gebäude aus dem 13. Jahrhundert, danach nochmal angebaut und umgebaut, mit einem hölzernen Schiff unter der Decke. Vor der Tür wie überall der Friedhof mit Grabsteinen bis zurück ins 18. Jahrhundert: Familienväter, Mütter, Seefahrer, Soldaten, Gereiste, Ausgezeichnete, Verdiente und ganz Gewöhnliche.
Nach der Kirche folgt Råbjerg Mile, Dänemarks größte Wanderdüne. Jedes Jahr bewegt sie sich fünfzehn Meter Richtung Kattegat. In 130 Jahren wird sie im Meer verschwunden sein.
Wir erklommen die vierzig Meter hohen Sandberge, was leichter erzählt ist, als es getan war. Die Düne ist steil; wir taten einen Schritt und rutschten einen halben wieder hinunter. Ein hervorragendes Herz-Kreislauf-Training, eine gute mentale Übung.
Oben stürmte es geradezu absurd. Der Wind riss an den Haaren, trieb den Sand gegen Beine, Arme und ins Gesicht. Es prickelte und prasselte, es knirschte und knisterte. Böen tragen in jeder Minute Millimeter für Millimeter ab und wehen die Körner unbeirrbar gen Osten. Ein beeindruckendes Schauspiel.
Wir blieben eine ganze Weile auf der Düne und genossen die Weite. Die Kinder übten Weitsprung und bauten Häuser, die direkt wieder verweht wurden.
Dann waren es noch zwölf Kilometer, die letzten zwölf Kilometer der Reise. Sonnenschein, Rückenwind, der Geruch von Salz und Meer.
In Skagen gab es das ebenso obligatorische wie notwendige Begrüßungssofteis.
Insgesamt sind wir 410 Kilometer durch Dänemark gefahren. Die letzte Etappe war mit 42 Kilometern die kürzeste. Die längste hatte 72 Kilometer. Die zeitlich längste war begleitet von Dauerregen und Gegenwind.
In den darauffolgenden drei Tagen blieben wir in Skagen. Wir fuhren sogar Fahrrad. Davon erzähle ich später noch – ebenso wie von den Damen und Herren mit, Zitat unserer Gastgeberin in Mitteljütland, Porsche, Polohemd und Pullover über der Schultern. Denn ausgerechnet während wir dort waren, war Hellerup-Woche.
Gehört | Daniela Krien: Der Brand. Eine Geschichte, bei der im Außen wenig passiert, wohl aber im Innen. Rahel und Peter sind seit 30 Jahren verheiratet, hatten Höhen und Tiefen in ihrer Ehe. Was sich währenddessen verabschiedet hat, ist die gegenseitige Liebe. In einem Sommerurlaub begegnen sie sich wieder. Ein Buch, das Geschmackssache ist; ich mochte die Geschichte gern, ihre langsame Entwicklung und ihre ostdeutsche Perspektive.
Nykøbing Mors – Bonderup | Der Reiseleiter weckte mich zuversichtlich: Der dänische Wetterdienst habe seine gestrige Prognose korrigiert. Es werde nur ganz leicht regnen und erst ab 15 Uhr. Außerdem habe er die Etappe um zehn Kilometer gekürzt: Wir müssten nicht siebzig, sondern nur sechzig Kilometer fahren. Er strahlte.
Tatsache war jedoch, dass es regnete, als wir aus der Tür traten. Es regnete mit einem leisen Rauschen, ein Regen, der frei war von der Energie eines kurzen Schauers. Mit kraftvoller Ausdauer umarmte er das Land, während ein freundlicher Wind die Tropfen verwirbelte, so dass sie uns nass und liebevoll zudeckten.
Wir beluden die Räder, wickelten uns in Regenkleidung, Kükenponcho und Mülltüten und machten uns auf den Weg. Der Wirbelwind sorgte dafür, dass wir von allen Seiten gleichmäßig nass wurden. Es war, als führen wir Fahrrad und nähmen gleichzeitig ein Bad – ein Erlebnis, das man selten hat. Deshalb würdigten wir es mit zärtlichen Flüchen.
Nach etwa 25 Kilometern erreichten wir einen Ort. Der Ort hatte einen Spielplatz, und auf dem Spielplatz stand eine überdachte Picknickhütte. Wir aßen Zimtschnecken. Derweil veränderte sich der Regen. Er ließ seine Bindfädigkeit hinter sich; stattdessen prasselte er dick und dicht auf das Dach und auf den Reiseleiter, der einen Platten flickte. Denn den hatten wir auch.
Um die Insel Mors zu verlassen, nahmen wir die Fähre über den Feggesund. Am Fähranleger blies der Wind. Auf dem Wind hielten übermütige Schwalben die Stellung. Sie schwebten auf der wilden Luft wie ein Kolibri, nur ohne Flügelschlag, bevor es sie ein ums andere Mal fortriss aufs Meer. Sie kamen wieder, legten sich erneut auf den unsichtbaren Strom, stießen hinab bis kurz über den Asphalt, stiegen wieder auf, wurden wieder fortgerissen.
Nach der Fähre führte unser Weg nach Osten, dem Ostwind entgegen. Der Reiseleiter fuhr voran, die Kinder im Windschatten, ich hinterdrein. Wir trampelten mit würdevollem Trotz, während wir kaum geradeaus gucken konnten: Es regnete uns waagerecht in die Augen.
Die Kinder hatten sich schon mit Beginn der Fahrt in ihr Schicksal ergeben. Schweigsam und unerschütterlich trieben sie ihre Räder durch Sturm und Wind, ohne Beschwerde, ohne Gejammer. Das hier musste schlichtweg erledigt werden.
Hinter Amtoft dann plötzlich: nichts. Kein Prasseln der Regens mehr auf die Kapuzen, keine Windböen.
Wir hielten an einer Picknickbank und packten aus, was wir hatten. Doch kaum saßen wir, begann der Regen von Neuem. Erst tröpfelte er leicht, dann wurde er wild und ausgelassen. Wir suchten Schutz hinter einer Hütte, und ich entdeckte, dass mein Küken-Poncho weit genug war, um zwei durchweichte Elfjährige unter die Fittiche zu nehmen.
Als der Regen wieder sanft und bindfädig wurde, fuhren wir weiter, die Elfjährigen neu verpackt. Denn jetzt kam der kniffligste Teil der Reise: die Fahrt über einen viel befahrenen, etwa sechs Kilometer langen Damm im Vejlerne Naturreservat – der Preis dafür, dass wir zehn Kilometer abkürzen konnten. Eigentlich wäre unser Weg in einem großen Schwung über Nebenstraßen durch das Reservat gegangen.
„Du fährst am besten hinten“, meinte der Reiseleiter, „dich sieht man am besten.“ So radelte ich als großes, gelbes Warnküken am Ende des Trecks – links von der weißen Begrenzungslinie, damit die Autos mehr Abstand hielten, die Kinder rechts, im Windschatten des Reiseleiters. Ich war nicht nur Warnküken, sondern auch eine radelnde Pilone und hätte nicht wenigen Wagen den Seitenspiegel einklappen können, so eng überholten sie mich.
Nach dem Damm machten wir noch einmal Pause und teilten die letzten Zimtschnecken auf.
„Es wird besser“, sagte der Reiseleiter, während wir kauten und deutete auf helle Linien am Horizont. Er behielt recht: Als wir weiterfuhren, klarte es auf und tröpfelte bald nur noch.
Dafür ging es jetzt absurd bergauf. In Norddänemark! Das muss man sich einmal vorstellen. Wir ächzten die Hügel hinauf, die Kinder schoben oder wurden geschoben. Dann endlich, auf einer Hügelkuppe das Schild: Bonderup zwei Kilometer.
In Bonderup wartete als Entschädigung eine Unterkunft voller Pralinen auf uns – und ein Gastgeber, der alles tat, um unseren Tag versöhnlich enden zu lassen. „Ich habe euch den Kühlschrank voller Essen gepackt“, sagte er und zog an der Tür, die sich schmatzend öffnete und einen halben Supermarkt offenbarte. „Hier“, er deutete auf die Waschmaschine, „könnt ihr waschen und dort“, er deutete in die übrigen Räume, „habe ich euch die Betten bezogen. Die Süßigkeiten auf den Tischen könnt ihr nehmen und das“, er hielt eine kleine Rolle hoch, „sind Tüten. Morgen früh könnt ihr euch Brote schmieren und sie mitnehmen.“ Wir wahrten die Contenance, bis er sich verabschiedet hatte, dann brachen wir in Jubel aus.
Nykøbing Mors – Fjerritslev-Bonderup Entfernung: 61 Kilometer Höhenmeter: 240 Reine Fahrzeit: 4 Stunden 42 Dauerregen und lebhafter Gegenwind
Herning – Humlum | Der Reiseleiter wacht immer früh auf. Er richtet dann erst sich und anschließend den Tag her. Die Tagherrichtung beinhaltet das Herstellen eines Frühstücks, ein wunderbarer Service. Ich liege noch im Bett, rieche Kaffee und Brötchen und denke mir: Noch ein bisschen, dann stehe ich auf.
An diesem Tag wurde der Reiseleiter Kunde seines sonst eigenen Services: Wir hatten Bed & Breakfast gebucht und lagen beide noch im Bett, als ein betörender Frühstücksduft zu uns in Obergeschoss zog. Alsdann brachte Maria auch schon frische Brötchen, Müsli, Joghurt, Milch und …. //*dramaturgische Pause … Waffeln die Treppe hinauf. Wir waren verzückt.
Wir schlugen uns die Bäuche voll. Was nicht mehr reinpasste, durften wir mitnehmen. Welch Geschenk!
Während wir frühstückten, holte der Hausherr im Garten den dänischen Wimpel vom Fahnenmast und hisste die große Nationalflagge. In der Nachbarschaft, erklärte er später, hätten an diesem Wochenende einige Menschen Geburtstag. Da sei es Tradition, die Flagge zur Gratulation zu hissen.
„Übrigens“, sagte Maria, „wenn ihr bis nach Skagen hoch wollt, solltet ihr euch auf etwas gefasst machen.“ In dieser Zeit des Jahres seien eine Menge neureiche Kopenhagener dort – Porsche, Polo-Shirt, Pullover über den Schultern, dazu Aperol Spritz. Wir nahmen das zunächst so zur Kenntnis. Ich werde in einem späteren Beitrag darauf zurückkommen.
Der Tag sollte uns an den Limfjord führen. Wir radelten durch Felder, über Landstraßen und Wirtschaftswege, bis wir Holstebro erreichten. Über das Radfahren durch Dänemark lässt sich wenig erzählen, weil schlichtweg wenig passiert. Stellen Sie sich eine wellige Landschaft aus Korn- und Kartoffelfeldern vor, ab und zu ein Waldsaum, nach einigen Kilometern fahren Sie an ein paar Bauernhöfe vorbei, ab und an kommt eine Kirche. Schwalben kreuzen den Himmel. Raubvögel schweben über den Feldern. Sie hören Ihre Reifen auf dem Asphalt, das Surren der Kette und ein leises Knacken, wenn Sie einen Gang hoch- oder runterschalten. Sie befinden sich in einem Zustand unfokussierter Konzentration; Sie sehen eine einzelne Mohnblume inmitten eines Kornfeldes, ein winziger Frosch hüpft vor Ihnen über den Asphalt. Auf dem Briefkasten eines Bauernhauses sind sieben Figuren abgebildet: Mutter, Vater und fünf Kinder. In der Ferne dunkle Wolken.
In Holstebro begann es zu regnen. Für derartige Ereignisse hatten wir Regenkleidung eingepackt: Kinder und Reiseleiter besitzen Regenjacken und -hosen, ich einen Radponcho. Der Poncho ist gelb, ich sehe in ihm aus wie ein riesiges Küken. Er hat Schlaufen für den Leib, damit er nicht hochweht, und Schlaufen für die Arme, damit er sich wie ein Zelt vom Kopf zum Lenkrad spannt und die Beine trocken hält.
Als es in Holstebro zu regnen begann, just als wir aus der Stadt hinausfuhren und an einem McDonald’s vorbeikamen, waren es bis zu unserem Etappenziel in Humlum noch 24 Kilometer. Auf 24 Kilometern Strecke kann es auf unterschiedliche Arten regnen. Am Anfang regnete es leicht von oben. Dann regnete es fest von oben. Dann regnete es heftig von vorne. Irgendwann regnete es von unten nach oben. Unerfreulicherweise windete es auch; zudem ging es bergauf. Die Hälfte der Strecke schob ich KindDrei gegen den Wind die Hügel hinauf. Irgendwann, wir warfen schon fast am Ziel, hielt sie mir ihre Hand hin und sagte: Schau mal, meine Hand sieht aus wie nach der Badewanne.
Es gibt ein Foto von uns, wie wir auf dem Campingplatz im Humlum ankommen, an unserer gemieteten Hütte. Man nennt diese Art des Wohnens wohl Glamping. Auf dem Foto ist allerdings wenig Glam zu sehen. Wir stehen gut durchgeweicht vor der Hütte, während das Wasser von uns hinab tropft, und gucken bedröppelt.
Der Reiseleiter fuhr noch einmal heldenhaft los, kaufte Abendessen und Aufbackbrötchen. Die Kinder duschten. Ich suchte die Waschmaschine, und wusch alles, was nass geworden war, einmal durch.
Der Tag endete mit Leinen voller Wäsche in einer sehr kleinen Hütte, Nudeln mit Soße und gutem Schlaf.
Ein Tag in Humlum | Die Hütte war klein, aber solange sich niemand bewegte, war sie gemütlich. Eigentlich hatten wir keine Wäscheleinen dabei – aber drei Turnbeutel, aus denen der Reiseleiter die Kordeln zog und zu einer Leine spannte.
Als wir am nächsten Tag erwachten, regnete es immer noch. Der Reiseleiter präparierte sich und den Tag, Frühstücksduft zog durch die Hütte. Wir setzten uns zwischen die Leinen und die Wäsche, frühstückten und beschlossen, danach noch einmal ins Bett zu gehen. Die Kinder bekamen das iPad, der Reiseleiter las ein Buch. Mir fielen nach zehn Seiten die Augen zu, und ich nickte noch einmal ein. Als ich erwachte, regnete es immer noch und es roch nach feuchtem Hund. Der Reiseleiter hatte begonnen, unsere Schuhe im Backofen zu trocknen.
Später am Tag klarte es für eine Stunde auf, und wir machten uns auf den Weg zum Limfjord – einmal das Wasser sehen und den Kopf lüften. Während ich anschließend zum Supermarkt fuhr, um fürs Abendessen einzukaufen, gingen der Reiseleiter und die Kinder noch einmal los, baden. Wenn kein Badewetter ist, muss man sich welches vorstellen, dann wird es auch warm.
Am Abend dann EM-Finale. Wir saßen zwischen weiterhin herabhängenden Hosen und Pullovern, mampften Chips, tranken Limo und feuerten die Spanier (Reiseleiter) und die Engländer an (die Kinder). Mir war es wurscht. Nachdem Schlusspfiff krochen wir in unsere Betten und hörten dem Regen zu, der wieder eingesetzt hatte.
Humlum – Nykøbing Mors | Ein neuer Tag, ein neuer Einsatz für den Kükenponcho. Wir fuhren los, und es regnete. Erst regnete es nur leicht von oben. Dann fuhren wir auf eine Brücke, der Wind peitschte uns die Tropfen ins Gesicht, es regnete wild in die Augen. Ein Moment, in dem man gewöhnlich schlechte Laune bekommt, aber ich hatte keine Gelegenheit, schlechte Laune zu haben, denn ich musste gegen den Wind anfahren – und überhaupt war die Situation ziemlich absurd. Ich meine: Wer fährt bitteschön bei solch einem Wetter Fahrrad?
Als ich am Tag zuvor einkaufen war, hatte ich Mülltüten gekauft, um sie mir um die Schuhe zu wickeln. Man gewinnt keinen Schönheitswettbewerb. Aber ich wollte auch nicht wieder Flossen bekommen und meine Schuhe im Backofen trocknen müssen.
So fuhr ich im wehenden Küken-Poncho, mit flatternden Mülltüten um den Füßen, über den Limfjord in Richtung Uglev.
Als wir die Fähre zur Insel Mors erreichten, nickte der Fährmann uns zu und sagte: „Shitty veijr til cykling“, scheiß Wetter fürs Fahrradfahren. Wie wahr. Und dennoch: Auf der Fähre konnte ich mir die Mülltüten von den Füßen ziehen. Es klarte auf.
Screenshot
Zehn Kilometer vor dem Ziel machten wir noch einmal Halt. Wir saßen auf dem Kies eines Parkplatzes – mit Zimtschnecken, Salzcrackern und Brötchen. Ein Hund kam vorbei, ein schwarzer, wohlgenährter Schnauzer. Er setzte sich zu uns und betrachtete unsere Brötchen. Wir kraulten ihn, er starrte weiter auf die Brötchen. Als wir auf unsere Räder stiegen und wegfuhren, stand er am Rande des Parkplatzes, sah uns nach und trottete dann davon.
Am Abend erreichten wir das Danhostel in Nykøbing Mors.
Die Kinder liefen sofort zum Fjord, der Reiseleiter und ich kochten.
Das war die längste Etappe unserer Reise: 72 Kilometer. Ich werde oft gefragt, wie alt die Kinder sind und wie sie das mitmachen. Die Kinder sind 11, 11 und 14 Jahre alt. Vor zwei Jahren sind wir mit ihnen knapp 50 Kilometer am Tag gefahren. Im vergangenen Jahr fuhren wir mit ihnen vom Münsterland in die Niederlande mit Etappen von 60 bis 65 Kilometern. Damals sagten sie, sie wollten das mal länger machen. Nun sind sie wieder in Jahr älter, die 72 Kilometer haben sie gut geschafft. Wir machen auf unseren Wegen zwei bis drei längere Trink- und Essenspausen, je nach Anstrengung und Umständen. Schön ist natürlich, wenn sich dort ein Spielplatz, ein See oder etwas anderes befindet, das Freude macht. Auf Flachetappen fahren sie bis zu 30 Kilometer durch.
In einer der Packtaschen befindet sich zur Hälfte Essen. Auf einer Etappe essen wir zu Fünft 20 Brötchen, außerdem eine erkleckliche Anzahl Zimtschnecken und Cracker.
Cliffhanger | Am Abend saßen der Reiseleiter und ich zusammen und starrten auf verschiedene Wetter-Apps. Die App des dänischen Wetterdienstes war recht zuversichtlich, sagte Regen am Morgen und Regen ab 14 Uhr voraus, dazwischen trocken. Wetter Online zeigte minütlich etwas anderes. Herr Kachelmann sagte Regen voraus – aber keine Regenfelder wie am heutigen Tag, sondern eine tiefblaue Regendecke. Etappenlänge: 71 Kilometer – und keine Möglichkeit, mit einem Zug abzukürzen.
Legoland | Er war natürlich nicht zu vermeiden: der Besuch im Legoland. 2.145 Dänische Kronen kostet dieses schlanke Vergnügen für fünf Personen. Das sind in Euro und in Worten zweihundertsiebenachtzigeinhalb Stück Geld.
Entsprechend schmierten wir uns am Morgen einen Haufen Brote, packten Äpfel, Müsliriegel und Wasserflaschen ein, denn Pommes waren nicht mehr drin. Beziehungsweise: Falls sie noch drin waren, waren wir nicht mehr gewillt, sie zu bezahlen.
Mein Vergnügen bestand im Wesentlichen darin, auf die Brote aufzupassen. Mir wird schon in einem Linienbus schlecht, bei Karussells wird mir speiübel.Und selbst wenn das nicht so wäre, hätte ich keine Lust, 45 Minuten anzustehen, um einmal im Kreis zu fahren.
Einmalig unternahm ich den Versuch und stellte mich bei einem Fahrgeschäft an, einer Art „Wilden Maus“. Dieser Ritt, so dachte ich, könnte einigermaßen verträglich sein, und man muss ja auch mal etwas wagen. Beim Einsteigen stellte sich jedoch heraus, dass meine Beine zu lang für das Wägelchen waren und ich mich nicht hinsetzen konnte. Da ich die Beine nicht raushängen lassen durften, musste ich wieder aussteigen. Ich ging dann auf die Brote aufpassen.
Das klingt alles ein bisschen unbefriedigend. Das war es jedoch keineswegs. Ich hatte einen wundervollen Tag. Die Kinder rannten von Fahrgeschäft zu Fahrgeschäft, fuhren Achterbahn oder ließen sich von einem Roboterarm über Kopf werfen. Der Reiseleiter musste mit; das Meiste vertrug er auch ganz gut. Nur nach der Robotergeschichte war er etwas grün im Gesicht.
Und ich: las. Ich las fast ein ganzes Buch, saß da, schaute in die Gegend, beobachtete andere Menschen, aß Brote, Äpfel und Müsliriegel, ich baute Dinge aus Lego, musste mit niemandem reden und entspannte mich acht Stunden lang aufs Allerbeste.
Eine Sache tat ich allerdings: Ich fuhr Wasserbob. Ich hege eine Liebe zu Wasserbobs. Sie sind ausreichend aufregend, aber nicht so, dass mir übel wird. Beim Wasserbob im Legoland geht es am Ende steil bergab. Das war großartig und hat mir sehr gut gefallen.
Zum Schluss ein Bemerknis: Obwohl das Publikum fast ausschließlich aus Familien mit Kindern bestand, gab es keinerlei Trotzanfälle, Wutausbrüche oder elterlichen Seltsamkeiten. Eine Welt des Friedens und der guten Laune. Verrückt.
Billund – Herning | Der zweite Fahrtag in Dänemark: Nach dem Besuch im Legoland sattelten wir die Räder und fuhren von Billund nach Herning, 66 Kilometer nach Norden. Während der erste Fahrradtag eher schleppend begann, waren wir diesmal von Beginn an im Tritt: Für die ersten 27 Kilometer bis nach Brande brauchten wir nicht einmal eineinhalb Stunden.
Brande hat etwa 7.500 Einwohner und ist die Heimat des Mode-Unternehmens Bestseller. Zu Bestseller gehören die Marken Jack & Jones, Only, Vero Moda, Mamalicious, Selected und weitere – die genannten, sind die, die mir bekannt waren. Bis ich in Brande vor der Bibliothek saß, wusste ich nicht, dass es alles Marken aus einem Hause sind – und zudem noch dänische.
Die Dänen haben eine wunderbare Eigenschaft: Sie erschaffen Infrastruktur für Menschen. Sie bauen helle, offene Bibliotheken und Begegnungsräume drinnen und draußen, sie bauen Spielplätze, stellen Picknickbänke in die Gegend, haben öffentliche Toiletten und sorgen dafür, dass man sich willkommen fühlt. Man sieht den Orten an: Es ist den Dänen etwas wert, dass alle sich wohl und in ihren Bedürfnissen gesehen fühlen.
Von Brande aus fuhren wir in das Braunkohlerevier nach Søby. Ab den 1940er Jahren bis etwa 1970 wurde hier Braunkohle gewonnen – zunächst mit der Hand. Später war der Abbau mit Maschinen erlaubt. Wer mit harter Arbeit gutes Geld verdienen wollte, war hier richtig; die Möglichkeit zog viele Menschen an. Dank des Braunkohleabbaus in Søby kam Dänemark ohne Brennstoffmangel durch den Zweiten Weltkrieg und die Zeit danach.
Das Braunkohlemuseum erzählt die Geschichte der Menschen, die von der Braunkohle leben. Sie wohnten in Hütten und Baracken; einer der Arbeiter wohnte jahrelang in einem Kleiderschrank, den er sich mitgebracht hatte. Viele Menschen bauten sich kleine Häuser und wohnten dort mit ihren Familien. Ein Kaufmann eröffnete, eine Schule wurde gegründet, ein Schlachter kam ins Dorf. Frode Petersen, der junge Mann auf dem Schwarz-Weiß-Foto, lebte bis ins Jahr 2002 in seiner Hütte. Der alte Herr neben ihm, auf der Ornamenttapete, ist Otto Rasmussen, der Milchmann und Möbelpacker des Ortes.
Vom Braunkohlemuseum aus fuhren wir weiter.
Die Landschaft zwischen Billund und Herning besteht im Wesentlichen aus Kartoffelfeldern. Die weißen Blüten reichen bis auf die Hügelkuppen, an den Waldrand, den Horizont, je nachdem, was grad da ist. Wir fuhren an Bauernhöfen vorbei. Manchmal reihten sich zwei oder drei aneinander.
Am späten Nachmittag erreichten wir das Haus von Maria und Henry. Ihre vier Kinder sind aus dem Haus, seit Jahren schon ist im Obergeschoss kein Leben mehr. Deshalb quartieren sie dort nun Gäste ein – Gäste, die die Welt zu ihnen nach Hause bringen. Im ersten Jahr nach der Pandemie, als man wieder reisen durfte, so erzählten sie uns am Abend, hätten sie alle Hände voll zu tun gehabt. In diesem Jahr seien wir die ersten Gäste. Allerdings, sagte Maria, reise sie auch oft zu ihren Kindern und ihren Enkeln. Dann schließe sie den Kalender; möglicherweise liege es daran.
Wir bestellten uns Pizza und Fritten und schliefen danach wunderbar.
Haltern – Fredericia | Wir starten um kurz nach Sieben vor der Haustür: zwei Erwachsene, drei Kinder, fünf Fahrräder, zehn Packtaschen. Der Plan: vier Züge, drei Umstiege. Ziel: Fredericia in Süddänemark. Wir sind gleichzeitig schläfrig und ausgelassen, wie wir uns und die Fahrräder um kurz vor Sieben vor dem Haus aufreihen. Dann geht es los.
Wir blinzeln die Müdigkeit aus den Augen, fahren zum Vor-Ort-Bahnhof und steigen in den Regionalzug nach Münster. Im Fahrradabteil sitzt ein Mann, Kopfhörer, das T-Shirt zu kurz für den Bauch. Er singt:
Verlieb‘ dich nie, nie, nie, niemals nie In das Mädchen hinter der Theke Verlieb dich nie, nie, nie, niemals nie In das Mädchen hinter der Bar Egal wie schön sie auch ist Egal wie durstig du bist Es ist ihr Job, dass sie dich mag
In Münster Frühstück in der Bahnhofshalle. Es gibt Kaffee, Kakao und Croissants. Bahnhofshallen sind heute nicht mehr fürs Sitzen und Warten gemacht, fürs gemütliche Reisen, fürs Verweilen und Betrachten der Menschen. Sie sind dafür gemacht, sie zu durcheilen, mit Rucksäcken und Rollkoffern, hastig, mit einem Pappbecher in der Hand.
Wir steigen in den ICE nach Hamburg. Wer die Fahrradabteile in den Fernzügen designt hat, gehört mit Zu- und Ausstieg nicht unter 50 Haltestellen bestraft. Wir hieven uns, die Taschen, die Räder in den Zug. Es ist eng.
Ein Paar mit E-Bikes kommt hinterdrein. Wir schieben die Kinder schon auf die Sitzplätze durch, reichen die Taschen an und helfen den nach uns Kommenden. Es braucht zwei Erwachsene von kräftiger Statur, um die E-Bikes in die Aufhängung zu heben. Dann sitzen wir, spielen UNO und essen Knoppers. Ein Hauch von 1992 durchweht die Reise.
Ausstieg in Hamburg: Kinder raus, Taschen raus, ich raus, Fahrräder raus, Reiseleiter raus. Ein Rad verhakt sich in der Aufhängung, alles verkeilt sich. Es ist ein wildes, verschwitztes Gefummele, so ruppig und unter Druck wie einst beim ersten Geschlechtsverkehr.
Der RE von Hamburg nach Flensburg: ein Saunabetrieb. Hätten wir Birkenzweige, wir würden uns damit abpeitschen. Auf dem Bahnsteig in Flensburg holen wir tief Luft. 22 Grad, eine Brise weht. Das Glück ist klein und gleichzeitig groß.
Wir haben hier zwei Stunden Aufenthalt. Auf den Rädern fahren wir in die Stadt, finden Pommes und Eis.
Wir sehen Boote, Möwen und Wasser. Dann sitzen wir im Intercity nach Fredericia. Die Fahrradabteile sind bekannt kommod, die Sessel polsterig. Ich werde augenblicklich müde, ein Schlummer ergreift mich. Wunderbar.
In Fredericia wohnen wir nur wenige hundert Meter vom Bahnhof entfernt.
Ein Zimmer im Danhostel, der dänischen Jugendherberge. Wieder das Gefühl von 1992, als wir uns zu Fünft das Zimmer beziehen. Wir, zehn Taschen, vier Betten, eine Matratze und ein Tisch – das Zimmer ist voll. Am Ende sind wir alle zu müde, um es unbequem zu finden.
Wir fahren noch kurz zum Strand, stecken einmal die Füße ins Wasser.
Zur zweiten Halbzeit sind wir wieder im Danhostel: EM-Halbfinale, Spanien gegen Frankreich. Das Bild auf dem kleinen Fernseher stockt und ruckelt, das nimmt den Dribblings deutlich den Charme. Dann ist das Spiel vorbei, der Tag ist vorbei, und es braucht keine Gute-Nacht-Geschichte mehr, um einzuschlafen.
Fredericia – Billund | Der erste Radfahrtag führt uns nach Billund: 60 Kilometer durch Südjütland. Wir frühstücken und bepacken die Räder.
Das Gelände ist wellig; wir bemerken es schon nach wenigen Kilometern. Die Fahrt führt auf Hügel hinauf und in Täler hinab – nicht wirklich hoch und auch nicht wirklich tief, aber so, dass es ein stetiges Auf und Ab ist.
Nach acht Kilometern ist bereits ein Dynamo abgefallen, ein Kind musste sich nochmal umziehen, an einem Rad schleift das Schutzblech, wir mussten das erste Mal schieben, haben ungefähr fünfzehn Nacktschnecken überfahren, und der erste Reiseteilnehmer hat schon wieder Hunger. Nach fünfzehn Kilometern halten wir für die erste Rast.
Nach Zufuhr von Zimtschnecken geht es zügiger voran. Dann beginnt es zu regnen. Wir verpacken uns in unsere Regenkleidung: Der Reiseleiter und die Kinder haben Regenjacken und -hosen. Ich habe einen Radponcho, der sich groß und gelb über mich und meine Beine bis zum Lenker spannt: Ich bin ein Riesenküken. Wir sind einen Kilometer gefahren, als aus der Reisegruppe ein „Können wir anhalten, ich muss zum Klo!“ tönt. Wir fahren die nächste Kirche an. An Kirchen sind in Dänemark immer Toiletten.
Wir fahren eine Weile. Es hört zu regnen auf, wir fahren auf, wir fahren ab. Am Grab des Egtved-Mädchens machen wir eine Pause. Vom Grabhügel können wir in die Landschaft schauen. Es hat aufgeklart.
Das letzte Stück nach Billund geht über eine Landstraße. Mehr als zwölf Kilometer zieht sie sich schnurgerade durch Felder und Wälder und will kein Ende nehmen. Die Kinder verlangen nach Ankern im immer Gleichen: Jeden Kilometer sage ich an, wie weit es noch ist. So geht es gut, so kommen wir an, erreichen Billund und unser Ferienhaus.
Am Abend, auf dem Weg zum Supermarkt, besteigen wir noch das Lego-Haus. Auf verschiedenen Terrassen hat es Spielgeräte, Schaukeln und Klettermöglichkeiten.
Auf dem Sofa, beim EM-Halbfinale Englands gegen die Niederlande, schlafen wir alle ein.
Gelesen | Alena Schröder: Bei euch ist es immer so unheimlich still. Ein Roman vor der Kulisse der Deutschen Wende 1989: Silvia hat gerade ein Kind bekommen. Der Vater will nichts davon wissen. Mit einem klapprigen Polo fährt sie von Berlin nach Ildingen zu ihrer Mutter, mit der sie seit mehr als einem Jahrzehnt keinen Kontakt hat. Eine Reise in die Vergangenheit – und von dort aus in eine neue Gegenwart. Denn während sie in Ildingen ist, verändert sich nicht nur Deutschland, sondern auch Silvia. Ich habe die Geschichte gerne gelesen: eine Familiengeschichte, die in sich schlüssig und nicht verkitscht ist. In großen Teilen habe ich sie im Legoland gelesen. Dazu mehr beim nächsten Mal.
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