Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Expeditionen«

Eine Reise in eine Turnhalle nach Lettland

26. 05. 2016  •  12 Kommentare

Die nächste Reise steht an. Es geht nach Riga, wieder zum Basketballtraining mit Dynamo Moskau, ich deutete es an.

Es ist die Fortsetzung der Tallinn-Reise, des Ausflugs in eine Turnhalle nach Estland: eine Woche mit den Russen – meine Moskauer Freundin, ihr Mann, Sohn Eins (13), Sohn Zwei (8) und Sohn Drei (5). Sohn Eins und Zwei sind zum Trainieren in Riga, Basketball, ihre Mannschaften sind dort: Anreise mit dem Teambus, Wohnen in der Jugendherberge, vier Wochen lang Drill und Bootcamp in Lettland, dazu ein paar Testspiele. Wir, also die Eltern und ich, schließen auf und kommen dazu. Die Terminfindung war etwas schwierig im Wust zwischen Projektdeadlines, den Russen, dem Trainingscamp, der Abstimmung mit feriengebundenen KollegInnen und Vatta, der auch mitkommt. Aber nun haben wir’s.

Es war die Idee der Freundin, meinen Vater zu fragen, ob er mich nach Riga begleiten wolle: Das sei doch eine gute Sache, regte sie in Tallinn an, Sohn Eins lerne seit einem Jahr Deutsch, und Vatta spreche doch nur Deutsch, oder? Dann könne Sohn Eins zuhören und anwenden, listen and repeat, gezwungenermaßen, das sei wunderbar. Außerdem sei es immer gut, einen Opa für die Kinder dabei zu haben, ob nun der eigene oder ein geliehener, ein russischer oder ein deutscher: Das Alter nötige den Kindern Respekt ab, der ganze Urlaub werde durch einen Opamenschen friedvoller – was bei drei Jungs dringend geboten sei, um unser aller Seelenfrieden willen. Zur Not müsse Vatta nur eine Augenbraue heben, ganz langsam, und dabei vernehmlich brummen; das sei internationaler Standard, das erfordere nicht einmal Russischkenntnisse, dann sei jegliche Sache geritzt. Ich glaube ihr das: Das klappt selbst bei mir noch ganz gut, bei meinen Russen haben die Älteren dazu noch einen anderen Stellenwert – da wird in beeindruckender Weise strammgestanden, und ein geliehener Opa ist dann nochmal ’ne Schippe drauf.

Ich freue mich also auf einen erneuten deutsch-russischen Urlaub in einem Drittland, inzwischen der vierte gemeinsame – nach Zypern, Kochelsee und Tallinn. Es ist sehr angenehm, sich dem Familien- ebenso wie dem russischen Rhythmus anzugleichen, dieser Mischung aus Kascha und Tee, Aberglauben und zuckersüßen, dreischrittig steigerbaren Verniedlichungsformen: Dima … Dimka … Dimotschka .., alles in zügiger Langsamkeit: Wir kommen voran, doch niemand ist in Eile, und wir tun ausreichend Kinderdinge, schauen Tiere an, suchen Stöcke und werfen Steine ins Wasser, hören Straßenmusikanten zu, freuen uns aneinander und essen Eiscreme. Also alles, was ich sonst auch gerne tue.

Das ist ja auch so eine Sache: der Urlaub als Kinderlose mit einer Familie mit drei Kindern. Das traut einem ja niemand zu, viele Eltern meinen spontan, man sei ungeeignet: die Nerven zu dünn, die Ohren zu empfindlich, der Langmut zu kurz – dabei finde ich das sehr prima. Es geht ja weniger darum, wie alt die Mitreisenden sind, sondern ob sie gute Gefährten sind; es gibt Menschen, Kinder wie Erwachsene, mit denen würde ich niemals verreisen wollen, nicht einen Tag lang, auch wenn ich sie im Alltag sonst gut leiden mag. Andere wiederum sind hervorragende Begleiter für Expeditionen ins Unbekannte, Menschen mit  Neugier und Abenteuergeist, aber ohne Aktionismus, mit einem ausgewogenen Streben gleichermaßen nach Müßiggang wie nach Entdeckungen, ohne Drama, mit Kompromissbereitschaft und Duldsamkeit. Menschen mit diesen Eigenschaften gibt es in allen Altersklassen, mit zwei Jahren ebenso wie mit zweiundachtzig – und ebenso auch nicht. Rücksicht muss man ohnehin aufeinander nehmen; der eine braucht Brei um Drei, der andere möchte Bier um Vier.

Ich reise also nach Riga und freue mich wie Bolle. Das wird toll, ganz sicher.

Irgendwas zwischen Schluss machen und heiraten

25. 04. 2016  •  18 Kommentare

Es gibt Tage, an denen trage ich mein „Erzähl mir was“-Gesicht. Dann erzählen mir die Menschen Dinge, nach denen ich nicht gefragt habe.

Dieser Tage sitze ich mit meinem „Erzähl mir was“-Gesicht in der Bahn; wir sitzen zu Zweit nebeneinander, die junge Frau, die vielleicht 23, vielleicht 28 Jahre alt ist, und ich. Wir lächeln uns kurz an; ich lächle in solchen Situationen immer, denn lächeln kann man nie genug, besonders in öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie fragt, wohin ich fahre, dann erzählt sie, dass sie unterwegs zu ihrem Freund sei. Dabei wisse sie gar nicht, ob er noch ihr Freund sei, vielleicht mache sie bald Schluss, was allerdings schade sei, denn sie habe zuvor viele Jahre auf ihn gewartet, weshalb er vielleicht auch bald ihr Mann werde, also nicht sehr bald, aber in der Zukunft.

Ich wende ein, dass „Schluss machen“ und „Heiraten“ aber doch zwei Pole einer Skala seien; und von „Schluss machen“ bis „Heiraten“, dazwischen sei eine ziemliche Strecke – erfahrungsgemäß. Dazu muss man wissen, dass ich, wenn ich mein „Erzähl mir was“-Gesicht trage, niemals Fragen stelle, sondern immer nur Dinge feststelle, denn ich möchte nicht aufdringlich sein. Mittlerweile vermute ich, dass genau das die Menschen dazu ermutigt, weiterzuerzählen.

Sie sagt, ja, natürlich, das sei schon ein Unterschied, das sei ihr klar, aber ich müsse wissen, dass ihr erster Freund – nicht dieser, sondern der davor, der habe ihr immer eine runtergehauen. Zwar nicht ins Gesicht, denn dann wäre sie schon nach dem ersten Mal gegangen, weil: ins Gesicht gehe gar nicht, aber in die Rippen habe er geschlagen und am Arm habe er sie gepackt, deshalb habe sie es einige Jahre mit ihm ausgehalten, aber dann, als sie ein paarmal in die Notaufnahme musste, habe sie ihn doch irgendwann angezeigt. Nach ihm habe sie erstmal keinen Freund gehabt, denn sie habe auf ihn gewartet, also auf den jetzigen, vier Jahre lang. Weil: Er war damals noch liiert, aber sie habe immer gewusst, dass das auseinander gehe, nur er habe das nicht sofort erkannt.

Aha, sage ich. Was will man auch anders sagen.

Jetzt sei er frei für sie, sagt sie, aber er finde, er sei auch frei für andere, also allumfassend frei für alles, für eine Frau und für noch eine und für seine Kumpels und seine Familie, weshalb er sich nicht für sie entscheiden könne, noch nicht, sondern seine Zeit hier und dort verbringe, aber nicht mit ihr – nicht immer. Eigentlich nur selten mit ihr, dieses Wochenende zum Beispiel auch nicht. Doch das komme bestimmt bald, das Schicksal habe ihn ihr ja schon in die Hände gespielt, der Rest werde sich ergeben, wenn sie nur lieb genug zu ihm sei.

Ich denke: Wo will man da anfangen?, hole Luft und setze gerade zu einer vorsichtigen Zusammenfassung der Situation an, als sie fortfährt und meint: Das Problem sei auch, dass sie gerade einen neuen Job angefangen habe, als Pflegehelferin, was an sich super sei, aber wenn sie jetzt schwanger werde – sie müsse ihre Familie versorgen, zwar kein Kind, denn das Kind damals, das von dem ersten Freund, das habe sie verloren. Aber ihre Mutter sei angefahren worden und habe sich das Becken gebrochen und das, wo doch ihr Bruder gerade fort gezogen sei; sie könne sich das einfach nicht vorstellen, jetzt eine Familie zu gründen.

Mir schwirrt der Kopf, es wird auch langsam sehr warm im Zug. Wir sitzen in einem ICE, und ein ICE hält nicht an vielen Orten, manchmal nur einmal in der Stunde, weshalb nicht so oft Leute ein- und vor allem  nicht aussteigen. In einem Regionalexpress hätte ich sie jetzt schon irgendwo zwischen Hamm und Bochum-Wattenscheid ins Draußen verabschiedet.

Ich sage etwas wie „Ach herrje, das ist aber vertrackt“, denn mal ehrlich: In all das jetzt und hier tiefer einzusteigen, übersteigt meine Kapazitäten, die meines Gleichmuts und die meines Sendungsbewusstseins. Sie beginnt gerade, mir von ihrer Kindheit zu erzählen, wie sie mit neun Jahren nach Deutschland kam und sich mit niemandem unterhalten konnte, als ihr Telefon ein Geräusch macht. Sie schaut aufs Display; ihre Gesichtszüge werden weich, sie tippt etwas, ich sehe im Augenwinkel Herzen und Emojis, dann schaut sie auf und sagt: „Na endlich. Er liebt mich.“

Zehn Bemerknisse zu einer Reise nach Estland

6. 04. 2016  •  27 Kommentare

Über Ostern machte ich eine Reise. Ich fuhr in eine Turnhalle nach Estland, um dort Teenagern beim Basketballspielen zuzuschauen. Ich berichtete seinerzeit von den Planungen. Nun bin ich wieder da – und möchte Ihnen die wesentlichen Erkenntnisse nicht vorenthalten.

#1 Die Reise

Die Idee kam von meiner Freundin aus Moskau: Ihr ältester Sohn (sie hat drei) spielt ambitioniert Basketball bei Dynamo Moskau und absolviert regelmäßig Turniere in der Baltic Boys Basketball League, einer internationalen Veranstaltung für Jugendliche. Über Ostern spielte die Liga in Tartu, Estland. Meine Freundin fragte mich, ob ich nicht nach Tartu kommen wolle, das sei doch eine prima Gelegenheit, sich mal wieder zu sehen.

Blick aus dem Flugzeug auf Tallinn

Ich reiste also:

  • am Gründonnerstag mit dem ICE von Dortmund nach Frankfurt
  • flog von Frankfurt nach Tallinn im Norden Estlands
  • verbrachte eine Nacht in Tallinn
  • fuhr am Karfreitagsmorgen mit dem Fernbus 2,5 Stunden nach Tartu im Süden Estlands
  • blieb zwei Tage und Nächte mit den Russen in Tartu (auf mein Bett sind Sie bestimmt sehr, sehr neidisch)
  • fuhr am Ostersonntag mit dem Fernbus zurück nach Tallinn
  • blieb noch zwei Tage und Nächte in Tallinn
  • flog von Tallinn zurück nach Frankfurt und
  • fuhr mit dem ICE von Frankfurt zurück nach Dortmund

Das schreibe ich so genau, weil: Es lief alles maximal geschmeidig und fluffig. Alles pünktlich, jeder Einstieg, Umstieg und Zustieg war super und entspannt, ich betrat exakt zum ersten Viertel des ersten Basketballspiels die Turnhalle in Tartu und begann sogleich, die Mannschaft anzufeuern.

Überhaupt ist mir bei diesem Ausflug mal wieder aufgefallen, wir angenehm das Reisen sein kann. Die Deutsche Bahn macht einen guten Job (ja, tatsächlich), die Lufthansa war prima (dieser fiese Eierschleim auf dem Sandwich ist allerdings inakzeptabel), Tallinns ÖPNV-Busfahrer sind sehr hilfsbereit, und diese estnische Fernbussache ist sowieso der Hammer: ein picobello Abfahrtserminal, russische Quarkriegelchen im Kiosk, beinahe seelsorgerische Busfahrer und eine Multimedia-Station im Vordersitz – mit Internet, Spielen und aktuellen Kinofilmen (ich schaute „Der Marsianer“ – Trailer – und evakuierte Matt Damon). Spitzenmäßig.

Ich hätte mit LuxExpress übrigens auch nach Riga, Wilnius, St. Petersburg, Moskau oder Kiew fahren können, und vielleicht kommt ein Tag, an dem ich das tue.

Rundum empfehlenswert, auch mit diesem Reiseaufbau.

#2 Die Tage in Tallin

Tallinn ist eine unglaublich tolle Stadt, ich war überrascht. Nicht, weil ich andere Erwartungen hatte. Sondern weil ich gar keine Erwartungen hatte, was für den Erfolg einer Sache ja immer  besonders gut ist. Mit Estland hatte ich mich bislang nämlich noch nicht beschäftigt, da gab’s keine Berührungspunkte.

Entsprechend überrascht war ich auch, dass überall noch Schnee lag, zumindest auf Feld, Wald und Wiesen. Das war etwas naiv von mir, denn: März, Flug nach Nordosten, gleicher Breitengrad wie die Südspitze Grönlands – da hätte man drauf kommen können.

Wie dem auch sei.

Immerhin: Tallinn selbst war weitgehend schneefrei. Dort reiste ich nicht in die Eiszeit, sondern ins Mittelalter: Türmchen, Gassen, Stadtmauern, pittoreske Häuser, eine stattliche Basilika, ein Hügel zum Runtergucken und im Hintergrund die Ostsee.

Tallinn_Katariina_kaeik

Tallinn_Stadtmauer

Tallinn_Altstadt_Tuer

Tallinn_Save_the_Camera

Tallinn_Altstadt_von_unten

Tallinn_Restaurant_Fahrrad

Außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern gibt’s jede Menge Einkaufsmöglichkeiten und neuzeitliche Architektur – wie die Linnahall, die ehemalige Stadt- und Multifunktionshalle Tallinns. Sie ist hübsch hässlich und seit 2009 nicht mehr in Betrieb. Die Zeit arbeitet auch eher gegen sie.

Tallinn_Linnahall_Stufen

Wenn ich allerdings nochmal 17 wäre und in Tallin wohnte, würde ich mich an lauen Sommerabenden ganz sicher mit meinem Freund dort treffen und rumhängen. Adoleszente Romantik entfaltet ihre Kraft schließlich am besten vor der morbiden Kulisse des Verfalls.

Tallinn_Linnahall_Eingang

#4 Die Abende in Tallinn

Was bei Tag hübsch ist, ist es noch mehr bei Nacht: Tallin wird in den Abendstunden prima beleuchtet, das sollten Sie, wenn sie einmal dort sind, mit einem Spaziergang würdigen.

Flanieren ist unumgänglich, wenn man in eine der vielen Kneipen und Cafés möchte oder gegen Abend dort einkehrt und irgendwie hängenbleibt, was gut passieren kann. Kneipen und Cafés gibt’s nämlich einige, und sie sind allesamt ziemlich toll, besonders in der zweiten und dritten Gasse jenseits der Touristenplätze. Zu essen bieten sie alles, was man haben möchte: Fleisch, Fisch, vegetarisch, vegan, estnisch, italienisch, asiatisch, Kaffee und Kuchen oder Knoblauch.

Tallinn_Olde_Hansa

Tallinn_Altstadt_Nacht01

Tallinn_Altstadt_Nacht02

Tallinn_Altstadt_Nacht05

Tallinn_Altstadt_Nacht06

Tallinn_Altstadt_Nacht04

Tallinn_Altstadt_Nacht03

#5 Die Nächte in Tallinn

Die Nächte verbrachte ich im Hotel Cru – im Nachhinein eine optimale Wahl.

Hotel_Cru_Zimmer

Das Hotel liegt in der Tallinner Altstadt, alles ist fußläufig zu erreichen. Es befindet sich außerdem in einem der ältesten Häuser der Altstadt, ist verwinkelt und urig. Alle Zimmer sind Unikate.

Frühstück gab’s bis 11, was ich jetzt auch nicht schlimm fand.

#6 Die Tage in Tartu

In Tartu habe ich, natürlich, die Sporthalle besichtigt, die Ülikooli Spordihoone. Das scheint mir so eine Art Leistungszentrum zu sein, genau konnte ich das nicht feststellen; jedenfalls haben sie dort nicht nur eine Turnhalle, sondern auch Anlagen für Leichtathleten, Krafttraining und alle möglichen anderen Dingen. Das Ganze machte einen sehr professionellen Eindruck mit Pokalen in Vitrinen.

Wir schauten nicht nur bei den Spiele zu, sondern verbrachten einen Teil der Zeit auch damit,

  • den Gatten und den kleinen Sohn der Freundin zu füttern und
  • den Basketball-Jungs Essen zu bringen,

denn wir waren die einzigen, anwesenden Fans mit einem Pkw (das Team selbst war mit dem Bus gekommen) und deshalb in der Lage, die Catering-Schachteln von der Sporthalle ins Hotel zu bringen, die hungrigen 13-Jährigen zu beliefern, und den leeren Karton wieder zurück zu fahren.

Der Gatte und der Bub der Freundin haben außerdem immer Hunger, auch schon zwei Stunden nach dem Frühstück wieder, weshalb wir, nachdem wir die Teenager abgefüttert hatten, postwendend den nächsten Hesburger aufsuchten (weil es dort auch Burger mit gesundem, dunklen Brot gibt – man kann es sich auch schönreden), und dort die Auslage leerfrästen. Der Freundinnengatte ist nämlich ehemaliger Tennisspieler, also so richtig, mit Listung bei der International Tennis Federation, Weltranglistenplatz und Teilnahme an der russischen Meisterschaft; er hat mich auch mal zum Tennisspielen eingeladen – also damals, vor vielen Jahren, als ich das noch nicht wusste; ich bin mit wehenden Fahnen in eine Falle getappt, aber das ist eine andere Geschichte … wo waren wir? Ach so: Der Mann hat jedenfalls einen gesunden Appetit.

Tartu selbst ist vergleichsweise frei von Höhepunkten. Oder anders, denn ich möchte nicht gemein sein: Es ist halt eine nette, beschauliche Kleinstadt. Es gibt eine Engelsbrücke …

Tartu_Engelsbruecke

… einen kleinen Park auf einem Hügel mit einer Kirche, die hinten intakt und vorne verfallen ist, aber schön verfallen, also irgendwie gewollt. Das war hübsch zu besichtigen, das kann man machen.

Tartu_Rotund

Tartu_Dom

Tartu_Dom_Ruinen

Wie ich auch schon weiter oben sagte: Wäre ich Teenager und hätte eine Liebschaft … Sie wissen schon.

Hier sieht man jetzt auch den Schnee, der tatsächlich da war, aber schon vor sich hin taute, weshalb es überall unglaublich matschig war. Also so richtig matschig, mit ausrutschen und alles vollsauen. Eine einzige Fango-Packung.Tartu_Potschta

Am Karfreitagabend entzündeten die Esten übrigens Kerzen vor dem Rathaus. Ich dachte erst, das habe etwas mit Ostern zu tun. Tatsächlich fand mein Ostern in Estland überhaupt nicht statt: Mein Karfreitag war kein Feiertag, und auch an Ostersonntag hatten die Geschäfte geöffnet. Es gab auch nirgendwo Eier oder Hasen. Entweder feiern die Esten nach dem orthodoxen Kalender oder sie feiern eben nicht. Ich konnte es nicht herausfinden.

Die Kerzen jedenfalls entzündeten die Tartuer in Gedenken an die Opfer des sowjetischen Regimes. Das machen sie immer am 25. März.

#7 Die Fahrt nach Alatskivi

Die Dynamo-Jungs hatten am Samstagabend ihr letztes Spiel. Am Sonntag hatten wir deshalb Zeit für einen Ausflug.

Wir setzten uns ins Auto und fuhren zum Schloss Alatskivi. Das liegt Jott-Weh-Deh nordöstlich von Tartu und ist nach Vorbild des schottischen Balmoral Castle errichtet. Man biegt im Dorf zwischen Tannen und Moosen um die Ecke, und da steht dieses Dingen:

Alatskivi_Loss

Dort wohnte dereinst Sophie Heloise Marie Euphrosine von Stackelberg, die Tochter des Barons von Alatskivi und spätere Frau des Barons von Luunja, Ernst Friedrich von Nolcken. Das hört sich alles sehr deutsch an, ist es auch. Migrationshintergrund quasi.

Was ich mich allerdings vor allem fragte, als ich in ihrem Wohnzimmer stand und in den Wald hinausblickte: Was hat Sophie Heloise hier bloß den ganzen Tag lang gemacht? Gestickt? Sich frisiert? Die Ländereien durchgezählt? Im Grünen zu wohnen, ist ja sehr schön – ruhig und reizarm und so -, aber Alatskivi … das ist noch deutlich, uhmmm, erholsamer als Brandenburg.

Naja, hübsch hatte sie es jedenfalls.

Alatskivi_Loss_Treppenhaus

Alatskivi_Loss_Raum

Alatskivi

Alatskivi_Loss_hinten

#8 Der Peipussee

Das Schloss liegt in der Nähe des Peipussees. Ich hatte von diesem See noch nie etwas gehört, im Gegensatz zu meinen Russen, die eine geradezu mythische Verbindung zu dem Gewässer hatten. Das mag daran liegen, dass es eine Schlacht gab, die Schlacht auf dem Peipussee, die dem westlichen Geschichtsunterricht nicht so wichtig ist und mir deshalb unbekannt war, für Russen aber legendär ist und in der der Nowgoroder Fürst Alexander Newski im Jahr 1242 eine Streitmacht des Livländischen Ordens vernichtend schlug.

Die Ritter waren seinerzeit mitnichten mit Schiffen unterwegs, sondern zu Pferd, denn der See war zugefroren – so wie bei meinem Besuch.

Peipussee01

Staunend und mit offenem Mund verharrte ich minutenlang am Ufer und starrte in die weiße Leere. Denn hey: Ich kenne den Sorpesee und den Möhnesee und dann noch den bayerischen Kochelsee, aber das sind allesamt Pfützen gegen den Peipussee, der fast 150 Kilometer lang und 50 Kilometer breit ist, Kilometer – das muss man sich mal vorstellen; das kann man sich gar nicht vorstellen. Er bildet fast die gesamte Ostgrenze Estlands zu Russland.

Folglich sieht man, wenn man am Ufer steht, nicht das andere Ufer, sondern nur weiß. Zwischendrin türmt sich Eis auf oder Schnee oder gefrorene, zusammengeschobene Gischt, was immer es sein mag.

Peipussee02

Ich dachte erst: Hui, ob ich den betreten kann? Aber der See friert 50 bis 60 Zentimeter tief zu, da kann ein Auto drüberfahren. Ich bin darauf herumgelaufen, es hat nicht mal geknackt, es war auch nicht glatt, es war wie auf einem Feldweg. Das war ein ganz neues Erlebnis.

Peipussee03

Ulkig war, dass das Wetter an Ostersonntag sehr sonnig war, wir hatten fast zwölf Grad. Die ersten Esten kreuzten in T-Shirt und kurzer Hose auf, während wir inmitten des Eises standen. Das war surreal.

#9 Die Jungs von Dynamo Moskau

Nun auch ein paar Worte zum Anlass meiner Reise, den Dynamo-Jungs. Ich hatte gedacht: Naja, das ist halt eine C-Jugend, die wie eine C-Jugend spielt; sie geben sich Mühe, werfen sich den Ball zu und manchmal auf den Korb, und die Eltern stehen am Rand und klatschen, weil sie Eltern sind.

Auch das war eine naive Annahme, denn die U12 von Dynamo Moskau trainiert sechsmal pro Woche. Trainer ist ein ehemaliger Basketballprofi, die Jungs werden für die Turniere von der Schule freigestellt, das ist alles sehr professionel und sieht dann im Ergebnis alles andere als nach der C-Jugend von, sagen wir, Eintracht Stoppelbeck aus. Es war eine Freude zuzusehen – und Sie ahnen es nicht: Ausgerechnet die kleinsten und schmächtigsten Burschen werfen einen Dreier nach dem anderen, da berührt der Ball nicht mal den Ring.

Aus diesem Jahr gibt es keine Videos, deshalb hier mal eins aus 2014, dieselbe Altersklasse, ebenfalls in Tartu:

Zwei Spiele gewonnen, zwei verloren, das letzte mit 60:61 gegen das Heim-Team von Tartu Rock, das war bitter – für die Zuschauer aber super, weil richtig spannend.

#10 Würde ich es nochmal machen?

Na klar! Im Prinzip mache ich das auch: Denn im Sommer hat Dynamo Moskau ein Trainingscamp in Riga. Dort soll es ja auch sehr schön sein.

Eine Reise in eine Turnhalle in Tartu

21. 03. 2016  •  22 Kommentare

Eine Reise steht an. Ich werde vor meinem Haus

  • in einen Bus steigen,
  • mit dem Bus zur U-Bahn fahren,
  • mit der U-Bahn zum Bahnhof fahren,
  • am Bahnhof in einen Zug steigen und
  • mit dem Zug nach Frankfurt reisen.

In Frankfurt

  • steige ich in ein Flugzeug und
  • fliege nach Tallinn in Estland.

In Tallinn steige ich

  • in einen Fernbus und
  • fahre nach Tartu.

Das ist auch in Estland.

In Tartu werde ich nichts anderes tun als das, was ich sonst in Dortmund-Aplerbeck tue, nämlich in einer Sporthalle sitzen.

Es wird nach Pubertandenschweiß riechen und beim Hallenverkauf wird es vielleicht keine Bockwurst, sondern Piroggen geben, was allgemein zu begrüßen ist. Aber sonst wird alles wie in Dortmund-Aplerbeck sein. Oder nein: Ein bisschen anders wird es doch sein, denn ich werde in Tartu kein Handball schauen, sondern Basketball, genau genommen Spiele der U11-Mannschaften der Baltic Boys Basketball League. Zum Beispiel Dynamo Moskau gegen BC Tarvas/Rakvere SK 2003.

Der größte Kleine meiner russischen Freunde – Sie erinnern sich: mein deutsch-russischer Schüleraustausch von 1992, ihr Mann und die drei Kinder (wir leben den Austausch noch immer, seit 24 Jahren); der älteste Sohn also spielt ambitioniert Basketball, und ich werde dabei sein, um ihn anzufeuern. Die Baltic Boys Basketball League ist ein „first small step for our next big basketball stars“, ein internationales Turnier für Jugendmannschaften aus Estland, Lettland, Litauen, Russland, Weißrussland, Finnland und Kasachstan.

Ich werde also mit ambitionierten Eltern aus diesen Ländern auf der Tribüne sitzen, und wir alle wissen, was „ambitionierte Eltern“ heißt, wenn es um den Sport der Kinder geht. Ich rechne mit wüsten Rufen und Flüchen. Ich werde diese Rufe und Flüche nicht verstehen, aber das macht nichts: Esten, Kasachen und Weißrussen werden ihren Kindern, dem Schiedsrichter und dem Gegner nichts anderes zubrüllen als deutsche Eltern. Oder vielleicht doch, vielleicht wird alles vollkommen friedlich und gesittet zugehen, vielleicht werden die Nationen sich in den Armen liegen und Lieder schunkeln. Ich werde an dieser Stelle berichten.

Nachdem ich mit meiner russischen Freundin (die dem Spiel – im Gegensatz zum Vater des Kindes – eher emotionslos gegenübersteht) wie Waldorf und Stettler zwei Tage in der Turnhalle gesessen habe (wir werden auf harten Tribünenbänken sitzen und reden, denn wir müssen eine Menge durchsprechen, eineinhalb Jahre nämlich, seit wir uns das letzte Mal trafen), werde ich wieder in den Bus steigen, von Tartu nach Tallinn fahren, mir Tallinn ansehen und dann heim reisen.

Diese Unternehmung ist ziemlich gaga, allein weil der einzige, für mich erreichbare Direktflug nach Tallinn nur von Frankfurt aus geht, und nach Tallinn muss ich ja gar nicht, sondern in eine Sporthalle nach Tartu, was von Dortmund aus gesehen wirklich maximale Pampa und total jeck ist – für nur zwei Tage. Deshalb habe ich, als sich die Reise ankündigte, direkt gesagt: Bin dabei. Eine Unternehmung, die dermaßen irrational ist, ist es wert, gemacht zu werden.

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Danziger Bemerknisse #10 – Wrzeszcz

7. 01. 2016  •  13 Kommentare

Die letzten Bemerknisse aus Danzig.

Am letzten Tag war ich in Wrzeszcz – ein Vorort von Danzig. Er liegt ebenfalls an der großen Aleja Grunwaldzka, die Danzig mit seinen zwei Schwesterstädten Gdynia und Sopot verbindet, zwischen Oliwa und der Innenstadt.

Wrzeszcz: Häuserfronten nahe der Kirche

Hier in Wrzeszcz ist Günther Grass aufgewachsen. Man kann sein Geburtshaus, seine Schule, einen Platz mit einer Bronzestatue, die Kirche, in der er getauft wurde, und allerlei Blechtrommel-Orte besichtigen.

Ich nehme das zur Kenntnis, mein Blick gilt aber anderen Dingen.

Haus in Wrzeszcz mit roter Tür

Was ich mag, sind die Alltäglichkeiten: Türe, Fassaden, Eishörnchenbemalung – mit Ausrufezeichen, schließlich ist Eis immer dringlich.

Wrzeszcz: Haus mit Aufschrift "Lody" und Eishörnchen

Heute ist der kälteste Tag des Danzigurlaubs: minus 11 Grad bei Windstille. Windstill ist es allerdings nicht, es geht eine Brise; sie tut weh an den Wangen und kühlt die Beine aus, bis ich nichts mehr fühle. Gefühlte minus 16 Grad, sagt die Wetter-App zum heutigen Tag. Ich trage zwei paar Handschuhe, ein Paar Kniestrümpfe, eine Strumpfhose und darüber nochmal Socken.

Trotzdem der Kälte könnte das Wetter nicht schöner sein: der Himmel strahlend blau, Pfützen und Seen sind hart gefroren.

Wrzeszcz: Stadtvillen

In Wrzeszcz gibt es Stadtvillen und Konsulate. Hübsch sehen sie aus. Raureif liegt auf Dächern, Wegen und Wiesen und lässt manche Gebäude wie Schneeschlösser aussehen.

Hinter den Villen gibt es – wie in Oliwa auch – einen Wald. Ich habe freie Sicht auf Gärten, Parks und Terrassen. Schön muss es hier sein im Sommer.

Wrzeszcz: Blick aus dem Wald auf Stadtvilla

In Wrzeszcz ist auch die Technische Universität Danzigs. Rund 25.000 Leute sind hier eingeschrieben und dürfen unter anderem in einem tollen Neorenaissance-Gebäude lernen.

 

TU Danzig

Tipp #10:
Fukafe, veganes Café, Wajdeloty 22 – „for vegans, coffee freaks and other disasters“. Leckeres Zeug, nette Inhaber, schöne Straße.

Wohntipp Danzig:
Sun & Snow Appartments Aura, gebucht über airbnb. Voll ausgestattete Ferienwohnung 10 Gehminuten von der Altstadt. Mit Tiefgarage und kleinem Supermarkt im Gebäude.

Übernachtungstipps für Hin- und Rückfahrt:

Hotel Horda, Słubice. Innenstadt Słubice und Frankfurt/Oder 10 Autominuten entfernt, Autobahnauffahrt 5 Minuten. Zweckmäßig, gutes Preis-Leistungsverhältnis.

Pension Alter Speicher, Brandenburg an der Havel. Charmantes, kleines Hotel mit persönlichem Service, toller Location und gutem Frühstück. Hier kann man auch länger Ferien machen.

Danziger Bemerknisse #1Danziger Bemerknisse #2Danziger Bemerknisse #3Danziger Bemerknisse #4Danziger Bemerknisse #5Danziger Bemerknisse #6Danziger Bemerknisse #7, Danziger Bemerknisse #8, Danziger Bemerknisse #9, Danziger Bemerknisse 10

Danziger Bemerknisse #9 – Sopot

6. 01. 2016  •  7 Kommentare

Der vorletzte von zehn Beiträgen aus Danzig, diesmal mit Meer-Content, Neobarock und Seebad-Gefühl. Denn es geht mondän zu, wenn man von Danzig aus nach Westen fährt.

Sopot: Mole

Dort, nach 20 Minuten Fahrt über die Aleja Grunwaldzka, liegt Sopot: Kur- und Badeort mit Strand, Restaurants und Kneipen. Nicht ganz 40.000 Einwohner hat der Ort – und ist recht übersichtlich: eine kleine Fußgängerzone, Strand und Kuranlagen.

Und ein Grand Hotel.

Sopot: Grandhotel in der Dämmerung

Seit ich den Film Grand Budapest Hotel gesehen habe, komme ich stets nicht umhin, mir in derartigen Bauten Monsieur Gustave H. und seinen Lobby Boy Zéro vorzustellen. Sehen Sie, im Mittelturm, das erleuchtete Fenster unter dem AN? Dort dienen sie gerade Madame.

Es lässt sich hier sehr schön flanieren, die kleine Fußgängerzone hinunter, am Kurhaus vorbei, die Seebrücke zunächst rechts liegen lassend, durch die Alleen nahe des Strandes.

Sopot: hinterm Strand. Baumallee und kleines Café

Sehen Sie auch, wie sie hier abends flanierten, die feinen Herrschaften, nachdem sie über Tag mit Badekarren ins Meer gefahren sind, bekleidet mit Pumphose und Trikot?

Die Seebrücke Sopots ist eine der längsten in Europa: 511 Meter lang, einen Kilometer hin und zurück. Da ist man beim Flanieren ein Weilchen unterwegs – länger, als es vom Strand aus zunächst den Eindruck macht. Ein ausreichendes Stück Weg, um zu sehen und gesehen zu werden. Der Seesteg in Kühlungsborn, zum Vergleich, ragt nur halb so weit ins Meer: 240 Meter.

Es ist sehr hübsch und windig dort auf dem Wasser. Am Ende ist ein Restaurant, das jetzt im Dezember aber nicht geöffnet hat.

Im Winter ist alles illuminiert: Die Brücke, die Hotels, die Promenade und das Kurhaus.

Sopot: Kurhaus im Dämmerlicht

Das ist das Gute am Reisen im Winter: Alles ist sehr schön erleuchtet. Der Nachteil: Es ist nur sechs Stunden am Tag tatsächlich hell, was durchaus eine Herausforderung ist, wenn man nicht zu den frühen Vögeln gehört.

In der kleinen Innenstadt gibt es noch das Krzywy Domek, das Krumme Häuschen. Es ist nichts Besonderes darin, nur Läden und ein Radiosender. Aber es ist schon recht kurios anzuschauen, zumal wenn man sich sicher ist, nüchtern zu sein.

Schiefes Haus in Sopot

Tipp #9:
Häkeldeckchenatmosphäre im Café Stella, Tadeusza Kościuszki 3, Sopot. Dort Apfelkuchen mit Vanilleeis und Sahne – der beste der gesamten Reise, und glauben Sie mir: Ich habe viele getestet.

Danziger Bemerknisse #1Danziger Bemerknisse #2Danziger Bemerknisse #3Danziger Bemerknisse #4Danziger Bemerknisse #5Danziger Bemerknisse #6Danziger Bemerknisse #7Danziger Bemerknisse #8Danziger Bemerknisse #9Danziger Bemerknisse 10

Danziger Bemerknisse #8 – Oliwa

3. 01. 2016  •  Keine Kommentare

Es gibt eine Straße, die man unweigerlich entlang fährt, wenn man aus Danzig hinaus oder nach Danzig hinein möchte. Es ist die Aleja Grunwaldzka; sie verbindet die Dreistadt Danzig, Sopot und Gdynia.

Die Aleja Grunwaldzka ist ein Monstrum von Straße, nicht nur wegen ihres Verkehrs, sondern auch wegen der Dichte ihrer Geschäfte, Büros und Businesspaläste. Autohaus reiht sich an Autohaus, Bürokomplex an Bürokomplex, dazwischen flughallengroße Einkaufszentren und die Uniwersytet Gdański, die Danziger Uni. Das ist beeindruckend, so verdichtet habe ich das in Deutschland noch nicht kennengelernt.

Die Straße durchquert zwei Stadtviertel, eines davon ist OliwaDer Reiseführer schlägt einen Spaziergang durch das Viertel vor. Fürs Umherlaufen und Indiegegendgucken bin ich immer zu haben, also los.

Straßenzug in Oliwa

Schon wenige Minuten fernab der großen Straße wird es beschaulich: Ein Wohnviertel eröffnet sich. Alte Häuser, neue Häuser – es ist ein schöner Stil, der sich hier durch die Straßen zieht, gemütlich mit Holzvorbauten und Vorgärten.

Auf der Rückseite des Stadtteils grenzt ein Wald an. Man kann hineingehen, einen Hügel hinaufsteigen und hinuntergucken. Das Laub knackt unter den Füßen.

Oliwa: im Wald

Oliwa hat einen Park. Der Park ist gar nicht mal so klein, mehr als 11 Hektar, und mir scheint, er ist das Zentrum des Stadtteils: Alleen, Wiesen und Wasserbecken, ein Bachlauf, ein Spielplatz, Enten, Spatzen und Möwen.

An diesem Neujahrsmittag endet gerade die Messe im Oliwaer Dom. Familien entern den Park, füttern die Vögel, flanieren, den Kopf tief in Schals gesteckt, unter den kahlen Bäumen umher.

Park Oliwski: zugefrorener See mit Enten und Möwen

Die Teiche sind fast zugefroren. Seit Tagen bleiben die Temperaturen unter Null, trotz Sonnenschein. Es ist schneidend kalt; die Enten wirken allesamt ein wenig entrüstet, wie sie aufgeplustert auf dem Eis hocken.

Tipp #8:
Pierogarnia Mandu, das Piroggenparadies in Oliwa, ulica Kaprów 19D. Die Frauen dort sind supernett, machen nur Piroggen, die aber in Perfektion: traditionell, exotisch, deftig oder süß. Zum Niederknien. Außerdem schönes Interieur.

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Danziger Bemerknisse #7 – Malbork

2. 01. 2016  •  5 Kommentare

Der größte Backsteinbau Europas. Hört sich erstmal nicht nach einer super Urlaubsbeschäftigung an. Fällt eher in eine Kategorie mit „Nationales Museum der Häkelkunst“ und „Größte Sammlung zeitgenössischer Hufeisen“.

Wenn Sie wüssten.

Malbork - Marienburg von außen

Der größte Backsteinbau Europas ist die Marienburg in Malbork – und die ist ein Knaller: riesig, wuchtig, tricky. Und drei Burgen in einer: Vorschloss, Mittelschloss, Hochschloss. Plus Kirche. Und Garten.

Von außen sieht die Marienburg schon hammamäßig aus. Innendrin ist sie auch super:

Malbork: Remter der Marienburg

Wenn ich in solchen Räumen stehe, denke ich immer an Anke Gröner und frage mich, was sie mir beim Besichtigen alles erzählen könnte.

Gelernt: das Wort „Remter“, das ich nur als „Refektorium“ kannte.

Sehen Sie im Bild oben übrigens die kleinen, glänzenden Punkte vor der hintersten Säule? Das ist die Zentralheizung. Kein Witz. 1309 erbaut, und die Mönche, die alten Haudegen, hatten eine Fußbodenheizung. Sie haben Feldsteine erhitzt, und die warme Luft strömte durch ein Röhrensystem im Boden (genaue Erklärung, pdf).

Gut gegessen haben sie auch. In einer Traumküche mit 4 mal 5 Meter großer Dunstabzugshaube:

Malbork: Küche

Fahren Sie mal dorthin, wenn Sie in der Gegend sind. Es gibt noch mehr zu entdecken.

Sonst hat Malbork leider nicht viel zu bieten. Es riecht auch nicht sehr angenehm; irgendwas ist dort in der Stadt, das die Luft verpestet.

Tipp #6:
Marienburg in Malbork mit Schlossmuseum, Starościńska 1. Montags geschlossen.

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Danziger Bemerknisse #6 – Mierzeja Wiślana

29. 12. 2015  •  2 Kommentare

Frische Nehrung: Blick aufs Wasser, aus dem Wald kommend

Es wird kälter hier in Polen. Ein Grad, minus zwei, minus vier – die Temperaturen sinken.

Wind frischt auf, frostet Beine und Gesicht bis zur Gefühllosigkeit. Auf dem Kopf eine Wollmütze, auf der Wollmütze eine Kapuze. Der Körper steckt im Parka. Die Hände in Handschuhen, in flauschigen Jackentaschen. So geht’s – anders nicht, nicht am Meer. Die gefühlte Temperatur liegt laut Wetterbericht bei minus 15.

Ich bin an der Ostsee, an der Frischen NehrungMierzeja Wiślana. Der Wind treibt den Sand in feinen Körnern über dem Boden, weht Steine und Muscheln frei und macht, dass das Gesicht prickelt.

Blick den Strand entlang, Dämmerung

Wenn ich gehe, wird es warm. Es kostet Überwindung, den Körper aus der Starre zu lösen, aber dann macht es große Freude. Der Sand hier ist fest und hart. Es lässt sich gut spazieren.

Nur eine Straße führt hierher, die B501, über Sztutowo, Kąty Rybackie, Krynica Morska bis nach Piaski. Die Städte hatten früher mal deutsche Namen, hießen Stutthof, Bodenwinkel, Kahlberg und Neukrug, doch das ist lange her.

Die Mierzeja Wiślana  ist eine Halbinsel und manchmal nur wenige hundert Meter breit. Durch den Wald ist der Strand zu sehen, links wie rechts. Ein Schwebebalken im Meer, der das Frische Haff von der Ostsee trennt. 70 Kilometer ist sie lang und gehört nur im westlichen Teil zu Polen. In Piaski ist das Ende. Nicht der Halbinsel, sondern der EU. Die Straße mündet in einem Ferienclub, der jetzt im Dezember verlassen ist und über den nur der Wind fegt. Dahinter kommen Schilf und Wald und Sumpf und Russland.

Eine Straße zweigt vorher ab und führt zum Strand. Dort kann man kilometerweit die Brandung entlang schauen, bis hinein in die Enklave Kaliningrad.

Nessy am Strand (Rückenansicht)

Bernstein soll es hier geben, sagen sie. Alle hier sind verrückt nach Bernstein. In jeder Stadt: ein Bernsteinladen. Nicht so viele wie Fischbuden, aber dennoch: Bernstein, Bernstein, Bernstein.

Besonders an stürmischen Tagen soll er angespült werden. Ich komme nicht umhin, auf den Boden zu schauen und Steine mitzunehmen, obwohl sie natürlich allesamt kein Bernstein sind. Trotzdem: Die Steine sind schön. Ich werde sie in den Garten legen.

Ein gelber Stein und Gekröse im Sand

Wie jeden Tag bricht um 15 Uhr die Dämmerung herein. Ein feiner Streifen am Himmel färbt sich erst rosa. Dann setzen sich die blinkenden Lichter eines nahen Turms gegen den Horizont ab. Dann senkt sich Dunkelheit herab.

Nur das Meer bleibt, wie es ist, brandet gegen den Strand, spült Muscheln und Steine und vielleicht Bernstein an, den irgendwann jemand finden wird. Im Sommer, wenn die Feriengäste kommen, oder im Frühjahr, wenn der Wind nicht mehr so kalt ist.

Doch in diesem Moment kann ich mir nicht vorstellen, zu einer anderen Jahreszeit hier zu sein. In diesem Moment ist es schön so, wie es ist. Schön kalt. Schön leer. Schönes Meer.

Tipp #6:
Von Danzig aus eine Stunde Autofahrt auf die Halbinsel Mierzeja Wiślana. Auf dem Weg dorthin Halt am ehemaligen Konzentrationslager Stutthof, errichtet nach dem deutschen Angriff auf Polen an der Westerplatte im September 1939. Danach Weiterfahrt in Richtung Piaski. Alle Orte auf der Halbinsel sind Ferienorte. An der B501 sind zahlreiche Parkplätze zum Strand ausgeschildert.

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Danziger Bemerknisse #5 – Solidarność

28. 12. 2015  •  8 Kommentare

Tor der Leninwerft-Danzig: Solidarnosc

Ein Thema, das in meiner Kindheit und Jugend weitgehend an mir vorbeigegangen ist, ist Solidarność. Natürlich sagt mir der Begriff etwas, ebenso wie der Name Lech Wałęsa, aber beide weniger, als sie müssten.

Die Ereignisse zwischen den Jahren 1980 bis 1990 – die Gründung der Solidarność, die Streiks, die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen, zum Schluss die ersten freien Wahlen -, das alles fand zu spät statt, um noch Eingang in meinen Geschichtsunterricht zu finden, und zu früh, als dass ich es begreifen konnte oder es mich interessiert hätte. Außerdem, so meine Erinnerung, kamen im westdeutschen Schulunterricht der 1980er und 90er Jahre Polen und Russland so gut wie nicht vor, es sei denn, die Wehrmacht marschierte ein.

Im Rückblick ist es erstaunlich, wie vergleichsweise friedlich der Eiserne Vorhang gefallen ist. Das hätte alles viel übler ausgehen können, hätten ein paar mehr Leute auf ihren diktatorischen Prinzipien beharrt.

Die Solidarność-Sache erklärt übrigens auch, warum Johannes Paul II. hier so einen Riesenstein im Brett hat. Na sowas. // #bildungsblog

Tipp #5:
Europejskie Centrum Solidarności, pl. Solidarności 1 – zu Fuß von der Altstadt aus zu erreichen. Von innen nicht nur lehrreich, sondern auch hübsch:

Europäisches Zentrum der Solidarität: Innenraum mit Begrünung

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