Chronistenpflicht | Es hat geschneit, das erste Mal in diesem Herbstwinter. Es gibt keine fotografische Dokumentation; ich hatte Pflichten und konnte keine Aufnahme machen, so wie es angebracht gewesen wäre.
Dafür stand ich heute am Bahnsteig, wartete auf den Regionalexpress, der sich Zeit ließ („Verspätung eines vorausfahrenden Zuges“), und ein eisiger Wind kroch durch die Nähte meiner Jacke bis in mein Innerstes. Darauf bin ich noch nicht eingerichtet.
Überraschung | Der letzte Blogeintrag ist bereits zwölf Tage her. Dieser Umstand findet seine Ursache in anderen Umständen, die ich hier nicht ausführen möchte. Nichts Schlimmes, es ist niemand zu Schaden gekommen, es ist lediglich etwas abhanden gekommen, genau genommen: jemand. Ich musste mich kundig machen, wie man in einem solchen Fall vorgeht, formale Schritte und so weiter. Dann musste Einiges koordiniert werden, und jetzt befinden wir uns – im Projektmanagement würde man sagen: in der Hypercare-Phase. Wir segeln das Schiff in den Hafen, und dann ist wieder alles geregelt.
Das alles neben dem normalen Alltag, neben Berufstätigkeit und Diesdas. Sie kennen das sicherlich: Seltsame Überraschungen kommen immer in Momenten, in denen man auch ohne sie schon keine Langeweile hat.
Unterwegs mit der Reisewärmflasche | Ich stand heute am Bahnsteig, weil ich mal wieder unterwegs bin. Ich bin für zwei Tage in Berlin, moderiere die Abteilungsklausur eines Verbandes und treffe Menschen. Die Bahnfahrt war kommod: Ein voll funktionstüchtiger, wohl temperierter Intercity fuhr mich pünktlich in die Hauptstadt. Ich gelangte frühzeitig ins Hotel, konnte entspannt einen Coaching-Termin durchführen und lehne mich nun in dicke Kissen zurück.
(Meine Mütze passt zu den Brokatkissen.)
Bei der Buchung sah ich, dass das Hotel unterschiedliche Betten hat – mit und ohne Fußteil. Ich bat das Hotel um ein Bett ohne Fußteil, damit meine Füße nicht unten anstoßen und mich in fortwährende Embryonalstellung zwingen. Große Menschen wissen, was ich meine. Ich mag es sehr, wenn solche Dinge klappen. Für das Hotel spricht auch, dass es rund um die Uhr kostenlosen Kaffee, selbst gebackene Kekse und einen Wasserkocher für meine Reisewärmflasche gibt. Und es ist nicht mal besonders teuer!
Vielfalt erleben | Am vergangenen Wochenende hatte ich die Ehre, gemeinsam mit meinem Serviceclub Agora Club Tangent das nationale Halbjahresmeeting durchführen. Menschen aus ganz Deutschland – vor allem Frauen, aber auch Männer – kamen nach Dortmund. Ich hatte die Aufgabe, eine Stadtführung zu organisieren.
Weil das Jahresmotto des Clubs „Celebrate Diversity!“ ist, Vielfalt feiern, entschloss ich mich, keine 08/15-Führung zu organisieren, sondern Annette von den Borsigplatz-Verführungen anzufragen. Sie organisiert Spaziergänge durch die Dortmunder Nordstadt, ein Viertel nördlich des Hauptbahnhofs, in dem 158 Nationen leben – mit allen Problemen, die das mit sich bringt, aber auch mit allen Freuden. Annette konzentriert sich auf die Freuden.
Ich buchte die Führung „Glaubensvielfalt am Borsigplatz“. Wir besuchten die evangelische Lutherkirche und das studio41, ein junges, interkulturelles Kirchenprojekt, das ausdrücklich offen ist für queere Menschen, People of Colour, Menschen mit unterschiedlichen Prägungen und Hintergründen. Allein das Kirchengebäude ist schon großartig: ein Haus im Haus, ein Stahlgebäude in einer Kirche, deren Buntglasfenster durch Klarglas ersetzt wurden und deren Gottesdienste seither auf einer Empore stattfinden, ohne Kirchenbänke, dafür mit Sofas und einer Musik-Band. Zum Abschluss gibt es gemeinsames Pizza-Essen, ein unschlagbares Argument und ein Markenzeichen im Viertel.
Wir besuchten auch die russisch-orthodoxe Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, das genaue Gegenteil des offenen, vielfältigen Konzepts nebenan: Ein Ort der strengen Traditionen, aber auch ein Ort, in dem viele Menschen – sowohl aus Russland als auch aus der Ukraine – eine Heimat finden. Die nächsten russisch-orthodoxen Kirchen sind in Bochum, Wuppertal und im Sauerland; die Gemeinde hat ein großes Einzugsgebiet. Zum orthodoxen Osterfest kommen hunderte von Menschen.
Anschließend zogen wir weiter zur Kocatepe-Moschee. Dort empfing uns ein Moschee-Lotse und zeigte uns erstmal, wie man richtig die Schuhe auszieht, wenn man eine Moschee betritt – so, dass die Straßenschuhe nicht den Moscheeteppich berühren, aber auch so, dass wir mit den Socken nicht auf dem Straßenteppich stehen. Dann lernten wir etwas über Gebeszeiten, über das Leben in der Gemeinde, über Männer und Frauen im Islam und in der Moschee und über Imame. Am spannendsten war es allerdings, die Atmosphäre zu spüren, besonders während und nach dem Gebet. Die war sehr warmherzig: ein stetes Kommen und Gehen, vertraute Erwachsene und umherlaufende, herumalbernde Kinder, dazu eine Teestube mit Kiosk. Ich habe verstanden, warum sich Muslime in der Gemeinde gut aufgehoben fühlen.
Auch Gläubige, die nichts mit unserer Gruppe zu tun hatten, haben sich aufrichtig gefreut, dass wir zu Gast waren. Nach Führung und Gebet haben sie uns zum Tee eingeladen und wir haben noch eine Weile geplaudert. Eine super Sache.
Einmal im Jahr wird in der Nordstadt übrigens Fußball gespielt, Anstoß zum Dialog, interkonfessionelles Bolzen: Christen gegen Muslime mit einem jüdischen Schiedsrichter. Juden gegen Muslime mit einem christlichen Schiedrichter. Christen gegen Juden mit einem muslimischen Schiedsrichter. Insgesamt neun Mannschaften, dazu der 1. FC Dialog, ein Team aus Pfarrern und Imamen.
Gelesen | Claire Lombardo: Same as it ever was. Die Geschichte von Julia, die ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter hat und bereits seit mehr als zwanzig Jahren selbst Mutter ist. Als ihr Sohn Ben sie mit der Nachricht schockiert, dass er Vater wird, und als auch ihre Tochter das Haus verlässt, beginnt für Julia eine Auseinandersetzung mit ihrer Ehe, mit dem Muttersein und mit ihrer eigenen Kindheit.
Als ich das Buch zu Ende gelesen habe, stellte sich bei mir das Gefühl von „Puuh, geschafft!“ ein. Das war möglicherweise nicht unpassend, denn die Lektüre war zwischendurch genauso quälend wie die Gefühlswelt der Protagonistin, die sich emotional fortwährend selbst im Weg steht. Insofern ein gutes Buch (auf der einen Seite), aber auch ein zähes und anstrengendes (auf der anderen).
Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste: „Dürfen wir etwas Näheres erfahren über die Folgen der Unterschrift, die kürzlich geleistet wurde?“
Ich habe eine Wohnung gekauft, in die mein Vater eingezogen ist. Für mich ein Teil meiner Altersvorsorge als Selbstständige, für meinen Vater eine gute Perspektive. Denn in den Monaten vor dem Kauf hat sich gezeigt, dass es nicht einfach ist, für einen 75-Jährigen eine Mietwohnung zu finden, die den Erfordernissen des Alters entspricht: eine Wohnung, die im Erdgeschoss liegt oder einen Aufzug hat, die kein Wannenbad hat, sondern möglichst barrierearm ist, die alle erforderliche Infrastruktur in fußläufiger Nähe hat und zudem gut an den ÖPNV angebunden ist. Statt Miete gab es eine gute Kaufgelegenheit. Die habe ich genutzt.
Die Folgen der Unterschrift ist nun, dass ich zwei Mietwohnungen besitze und entsprechend zweimal Verpflichtungen habe, dass ich zwei Hausversammlungen besuchen und zweimal Nebenkostenabrechnung machen muss – und dass ich koordiniere, wenn es etwas zu tun gibt. Die Folge ist aber auch, dass ich, wenn alles abbezahlt ist, nicht mehr ganz blank dastehe, was die Altersvorsorge angeht. Parallel spare ich in ETFs. Diese Konstellation macht ein okayes Gefühl; so richtig sicher werde ich mich wohl nie fühlen, was das Alter angeht.
(Es sei denn, es findet sich bis dahin noch ein solventer, aktuell unbekannter Erbonkel. //*fingerscrossed)
Sollte ich zur Bürgermeisterin gewählt werden, würde sich am Thema Altervorsorge übrigens erstmal nichts ändern: Bürgermeister und Bürgermeisterinnen müssen in der ersten Amtszeit selbst Altersvorsorge betreiben und sich selbst krankenversichern. Für sogenannte kommunale Wahlbeamte findet keine Einzahlung in die Rentenkasse statt, und sie haben keine Pensionsansprüche. Die kommen erst mit der zweiten Amtszeit.
Termine in Haltern | Von Nikolausmarkt bis Neujahrsschwimmen: Termine für alle, die mich als Bürgermeisterkandidatin treffen möchten.
Neue Qualifikation | Zertifikat!
Und sonst | Herbstspaziergang.
Schweine | Die Schweine haben einen neuen Aufgang in ihre Schweinevilla. Der alte war witterungsbedingt marode. Die Neuinstallation ist länger und deshalb flacher. Die Schweine sind beglückt: endlich nicht mehr diese unmenschliche Anstrengung, um ins Haus zu kommen.