Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Chronistenpflicht | Es hat geschneit, das erste Mal in diesem Herbstwinter. Es gibt keine fotografische Dokumentation; ich hatte Pflichten und konnte keine Aufnahme machen, so wie es angebracht gewesen wäre.

Dafür stand ich heute am Bahnsteig, wartete auf den Regionalexpress, der sich Zeit ließ („Verspätung eines vorausfahrenden Zuges“), und ein eisiger Wind kroch durch die Nähte meiner Jacke bis in mein Innerstes. Darauf bin ich noch nicht eingerichtet.


Überraschung | Der letzte Blogeintrag ist bereits zwölf Tage her. Dieser Umstand findet seine Ursache in anderen Umständen, die ich hier nicht ausführen möchte. Nichts Schlimmes, es ist niemand zu Schaden gekommen, es ist lediglich etwas abhanden gekommen, genau genommen: jemand. Ich musste mich kundig machen, wie man in einem solchen Fall vorgeht, formale Schritte und so weiter. Dann musste Einiges koordiniert werden, und jetzt befinden wir uns – im Projektmanagement würde man sagen: in der Hypercare-Phase. Wir segeln das Schiff in den Hafen, und dann ist wieder alles geregelt.

Das alles neben dem normalen Alltag, neben Berufstätigkeit und Diesdas. Sie kennen das sicherlich: Seltsame Überraschungen kommen immer in Momenten, in denen man auch ohne sie schon keine Langeweile hat.


Unterwegs mit der Reisewärmflasche | Ich stand heute am Bahnsteig, weil ich mal wieder unterwegs bin. Ich bin für zwei Tage in Berlin, moderiere die Abteilungsklausur eines Verbandes und treffe Menschen. Die Bahnfahrt war kommod: Ein voll funktionstüchtiger, wohl temperierter Intercity fuhr mich pünktlich in die Hauptstadt. Ich gelangte frühzeitig ins Hotel, konnte entspannt einen Coaching-Termin durchführen und lehne mich nun in dicke Kissen zurück.

Zmmer in barockem Stil mit Kronleuchter und Ölschinken an den Wänden.

(Meine Mütze passt zu den Brokatkissen.)

Bei der Buchung sah ich, dass das Hotel unterschiedliche Betten hat – mit und ohne Fußteil. Ich bat das Hotel um ein Bett ohne Fußteil, damit meine Füße nicht unten anstoßen und mich in fortwährende Embryonalstellung zwingen. Große Menschen wissen, was ich meine. Ich mag es sehr, wenn solche Dinge klappen. Für das Hotel spricht auch, dass es rund um die Uhr kostenlosen Kaffee, selbst gebackene Kekse und einen Wasserkocher für meine Reisewärmflasche gibt. Und es ist nicht mal besonders teuer!


Vielfalt erleben | Am vergangenen Wochenende hatte ich die Ehre, gemeinsam mit meinem Serviceclub Agora Club Tangent das nationale Halbjahresmeeting durchführen. Menschen aus ganz Deutschland – vor allem Frauen, aber auch Männer – kamen nach Dortmund. Ich hatte die Aufgabe, eine Stadtführung zu organisieren.

Weil das Jahresmotto des Clubs „Celebrate Diversity!“ ist, Vielfalt feiern, entschloss ich mich, keine 08/15-Führung zu organisieren, sondern Annette von den Borsigplatz-Verführungen anzufragen. Sie organisiert Spaziergänge durch die Dortmunder Nordstadt, ein Viertel nördlich des Hauptbahnhofs, in dem 158 Nationen leben – mit allen Problemen, die das mit sich bringt, aber auch mit allen Freuden. Annette konzentriert sich auf die Freuden.

Ich buchte die Führung „Glaubensvielfalt am Borsigplatz“. Wir besuchten die evangelische Lutherkirche und das studio41, ein junges, interkulturelles Kirchenprojekt, das ausdrücklich offen ist für queere Menschen, People of Colour, Menschen mit unterschiedlichen Prägungen und Hintergründen. Allein das Kirchengebäude ist schon großartig: ein Haus im Haus, ein Stahlgebäude in einer Kirche, deren Buntglasfenster durch Klarglas ersetzt wurden und deren Gottesdienste seither auf einer Empore stattfinden, ohne Kirchenbänke, dafür mit Sofas und einer Musik-Band. Zum Abschluss gibt es gemeinsames Pizza-Essen, ein unschlagbares Argument und ein Markenzeichen im Viertel.

Wir besuchten auch die russisch-orthodoxe Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, das genaue Gegenteil des offenen, vielfältigen Konzepts nebenan: Ein Ort der strengen Traditionen, aber auch ein Ort, in dem viele Menschen – sowohl aus Russland als auch aus der Ukraine – eine Heimat finden. Die nächsten russisch-orthodoxen Kirchen sind in Bochum, Wuppertal und im Sauerland; die Gemeinde hat ein großes Einzugsgebiet. Zum orthodoxen Osterfest kommen hunderte von Menschen.

Die Gruppe in der russisch-orthodoxen Kirche

Anschließend zogen wir weiter zur Kocatepe-Moschee. Dort empfing uns ein Moschee-Lotse und zeigte uns erstmal, wie man richtig die Schuhe auszieht, wenn man eine Moschee betritt – so, dass die Straßenschuhe nicht den Moscheeteppich berühren, aber auch so, dass wir mit den Socken nicht auf dem Straßenteppich stehen. Dann lernten wir etwas über Gebeszeiten, über das Leben in der Gemeinde, über Männer und Frauen im Islam und in der Moschee und über Imame. Am spannendsten war es allerdings, die Atmosphäre zu spüren, besonders während und nach dem Gebet. Die war sehr warmherzig: ein stetes Kommen und Gehen, vertraute Erwachsene und umherlaufende, herumalbernde Kinder, dazu eine Teestube mit Kiosk. Ich habe verstanden, warum sich Muslime in der Gemeinde gut aufgehoben fühlen.

Auch Gläubige, die nichts mit unserer Gruppe zu tun hatten, haben sich aufrichtig gefreut, dass wir zu Gast waren. Nach Führung und Gebet haben sie uns zum Tee eingeladen und wir haben noch eine Weile geplaudert. Eine super Sache.

Einmal im Jahr wird in der Nordstadt übrigens Fußball gespielt, Anstoß zum Dialog, interkonfessionelles Bolzen: Christen gegen Muslime mit einem jüdischen Schiedsrichter. Juden gegen Muslime mit einem christlichen Schiedrichter. Christen gegen Juden mit einem muslimischen Schiedsrichter. Insgesamt neun Mannschaften, dazu der 1. FC Dialog, ein Team aus Pfarrern und Imamen.


Gelesen | Claire Lombardo: Same as it ever was. Die Geschichte von Julia, die ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter hat und bereits seit mehr als zwanzig Jahren selbst Mutter ist. Als ihr Sohn Ben sie mit der Nachricht schockiert, dass er Vater wird, und als auch ihre Tochter das Haus verlässt, beginnt für Julia eine Auseinandersetzung mit ihrer Ehe, mit dem Muttersein und mit ihrer eigenen Kindheit.

Als ich das Buch zu Ende gelesen habe, stellte sich bei mir das Gefühl von „Puuh, geschafft!“ ein. Das war möglicherweise nicht unpassend, denn die Lektüre war zwischendurch genauso quälend wie die Gefühlswelt der Protagonistin, die sich emotional fortwährend selbst im Weg steht. Insofern ein gutes Buch (auf der einen Seite), aber auch ein zähes und anstrengendes (auf der anderen).


Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste: „Dürfen wir etwas Näheres erfahren über die Folgen der Unterschrift, die kürzlich geleistet wurde?“

Ich habe eine Wohnung gekauft, in die mein Vater eingezogen ist. Für mich ein Teil meiner Altersvorsorge als Selbstständige, für meinen Vater eine gute Perspektive. Denn in den Monaten vor dem Kauf hat sich gezeigt, dass es nicht einfach ist, für einen 75-Jährigen eine Mietwohnung zu finden, die den Erfordernissen des Alters entspricht: eine Wohnung, die im Erdgeschoss liegt oder einen Aufzug hat, die kein Wannenbad hat, sondern möglichst barrierearm ist, die alle erforderliche Infrastruktur in fußläufiger Nähe hat und zudem gut an den ÖPNV angebunden ist. Statt Miete gab es eine gute Kaufgelegenheit. Die habe ich genutzt.

Die Folgen der Unterschrift ist nun, dass ich zwei Mietwohnungen besitze und entsprechend zweimal Verpflichtungen habe, dass ich zwei Hausversammlungen besuchen und zweimal Nebenkostenabrechnung machen muss – und dass ich koordiniere, wenn es etwas zu tun gibt. Die Folge ist aber auch, dass ich, wenn alles abbezahlt ist, nicht mehr ganz blank dastehe, was die Altersvorsorge angeht. Parallel spare ich in ETFs. Diese Konstellation macht ein okayes Gefühl; so richtig sicher werde ich mich wohl nie fühlen, was das Alter angeht.

(Es sei denn, es findet sich bis dahin noch ein solventer, aktuell unbekannter Erbonkel. //*fingerscrossed)

Sollte ich zur Bürgermeisterin gewählt werden, würde sich am Thema Altervorsorge übrigens erstmal nichts ändern: Bürgermeister und Bürgermeisterinnen müssen in der ersten Amtszeit selbst Altersvorsorge betreiben und sich selbst krankenversichern. Für sogenannte kommunale Wahlbeamte findet keine Einzahlung in die Rentenkasse statt, und sie haben keine Pensionsansprüche. Die kommen erst mit der zweiten Amtszeit.


Termine in Haltern | Von Nikolausmarkt bis Neujahrsschwimmen: Termine für alle, die mich als Bürgermeisterkandidatin treffen möchten.


Neue Qualifikation | Zertifikat!


Und sonst | Herbstspaziergang.


Schweine | Die Schweine haben einen neuen Aufgang in ihre Schweinevilla. Der alte war witterungsbedingt marode. Die Neuinstallation ist länger und deshalb flacher. Die Schweine sind beglückt: endlich nicht mehr diese unmenschliche Anstrengung, um ins Haus zu kommen.

Zwei Schweine, eins im Stall, eins davor.

Weltgeschehen | Die nationalen und internationalen Ereignisse erreichen mich aktuell in Hotelzimmern. Die Wahl Trumps verfolgte ich in einem Gasthof im Schwäbischen: Im Morgenmagazin verkündete man erste Ahnungen, in den Abendnachrichten war es gewiss.

Im gleichen Atemzug, auf einem anderen Spielfeld, implodierte unsere Regierung. Ich saß noch im selben Gasthof, verdrückte gerade eine Sushi-Box und gruselte mich bei Aktenzeichen XY, als das Programm abbrach und man verkündete, dass nun Schluss sei mit der Ampel. Vor mir auf dem Hotelschreibtisch standen Sojasoße, Ingwer und Wasabi, und während ich mir Makis reinschob, sprach mein Bundeskanzler zu mir. Der Mann, dessen Amplitude sonst so flach ist wie das Steinhuder Meer, wirkte sogar emotional.

Am Abend fuhr ich aus dem Schwäbischen nach Frankfurt, ins Intercity Hotel am Hauptbahnhof. Ich wurde gewahr, dass der Bundespräsident schon alle FDP-Minister’innen hat. Auf ihren Sesseln sitzen nun andere Leute, manches wurde umsortiert. Ich lag im Bett und verfolgte die Sondersendungen. Menschen sprachen in Mikrofone. Sie waren alle leicht überdreht und machten sich gegenseitig Vorwürfe. Ich war früh aufgestanden und schlief über ihren Redefluss ein; meine Bettdecke war groß und schwer.

Nun ist Freitag, und ich frage mich, was passiert, wenn ich morgen ins Campus Hotel nach Hagen wechsle.


Broterwerb | Der Grund, warum ich durch Hotels tingele: ein Führungskräftetraining östlich von Stuttgart, die Moderation einer Tagung in Frankfurt und der Abschluss meiner Weiterbildung an der Fernuni Hagen. Am Dienstag begann ich im Süden und arbeite mich nun nach Norden vor, bis ich am Sonntagnachmittag wieder nach Hause fahre. Der November ist traditionell ein arbeitsreicher Monat: Fast niemand hat Urlaub, alle sind in den Unternehmen. Vor dem Ende des Jahres möchten meine Kunden noch Vorhaben anschieben, Themen vom Tisch kriegen, sich nochmal sehen und Dinge neu miteinander vereinbaren.


Bahnabenteuer | Die Fahrten mache ich alle mit der Bahn, mit dem Auto ist es mir zu anstrengend. Zuvor habe ich meine Buchungstaktik verändert: Lange Zeit habe ich immer Sparpreis mit großzügigen Umstiegszeiten gebucht, damit die Verbindung möglichst klappt. Das tat sie manchmal, manchmal nicht. Inzwischen buche ich nur noch Bahnverbindungen mit knappen Umstiegszeiten: fünf Minuten in Mannheim, sechs Minuten in Stuttgart – hanebüchene Anschlüsse. Es läuft dann alles, wie es laufen soll: Schon drei Stunden vor Fahrtantritt weiß die Deutsche Bahn, dass ich meinen Anschluss nicht erreichen werde (ach was). Die Zugbindung entfällt: Ich kann nehmen, was kommt – und kann fahren, wann ich will.

„Be water, my friend“, sagte einst der große Philosoph Bruce Lee, und so begegne ich Unzuverlässigkeit mit Unplanbarkeit, bekomme Flexleistung zum Supersparpreis und bin oft sogar früher am Ziel.

(Der Reiseleiter kam diese Woche übrigens nur schwer von der Arbeit nach Hause, weil Betonteile von einer Brücke abfielen und auf die darunter liegende Bahnstrecke bröselten. Deutschland löst sich auf.)


Reiseimpressionen | Bilder von unterwegs.


Gelesen | Die Soziologin Arlie Russell Hochschild hat über Stolz und Scham bei weißen, armen Trump-Wählern geforscht – und liefert die schlüssigste Erkärung für das Wahlverhalten, die ich bislang gelesen habe [€]. Hochschild sagt, es gehe den Menschen nicht nur um ihre wirtschaftliche Situation, sondern vielmehr um den Gefühlsrahmen, in dem sie diese Situation erleben: Es gehe um Stolz und um Scham.

Die Einwohner von Pikeville haben eine sehr stolze Kultur: ländlich, männerdominiert, selbstversorgend, mit einem starken Hang zum Individualismus. Es ist der alte amerikanische Traum: Wenn du ein gutes Gehalt bekommst und deine Familie versorgen kannst, bist du stolz auf dich. Aber wenn das Kohleunternehmen dich entlässt und du dich abmühst, einen gleichwertigen Job zu finden, gibst du dir selbst die Schuld und schämst dich. 

Die Forscherin hat einen Zusammenhang festgestellt zwischen der Wirtschaftskraft einer Gegend und der Art und Weise, wie die Menschen fühlen: In den Gegenden, denen es wirtschaftlich schlecht geht, leben zugleich die Menschen, die am stärksten dazu neigen, sich selbst die Schuld für ihre Armut zu geben und sich zu schämen. Donald Trumpf spürt dieses Schamgefühl auf und verwandelt es in Schuldzuweisungen in Richtung der Demokraten, der Klimaschützer, der Zuwanderer, der Wirtschaftsbosse – weg von den Menschen.

Mit Blick auf die Jahre 2016 bis 2020, die Zeit von Trumps erster Präsidentschaft, erzählte mir ein Mann: In diesem Distrikt hat uns Trump wirtschaftlich nichts gebracht. Er sagte, die Kohlejobs würden zurückkehren. Sie sind nicht zurückgekommen. Er versprach uns großartige neue Jobs. Sie kamen nicht. Er gab uns Steuersenkungen, aber die nützen uns nichts. Wir sind arm, wir zahlen sowieso keine Steuern. Was hat er uns also gegeben? Stolz. Er hat uns wirtschaftlich nichts gebracht, aber wir fühlen uns wieder stolz – und unterstützt. Er hat uns von der Scham befreit und die Schuld auf jemand anderem abgeladen, sodass wir uns besser fühlen.

Ich sehe hier durchaus denselben Mechanismus in Bezug auf rechte und konservative Politik. Und es ist ja auch etwas dran: Wir sind als Gesellschaft lange nicht gut umgegangen mit unseren Handwerkern, mit Pflegekräften, Kraftfahrern, den Menschen im Einzelhandel … – der Fokus hat sich in Richtung Abitur und Studium verlagert. Auch jetzt geben wir vielen Menschen ein Gefühl von Abwertung, indem wir sagen: „Den Job macht zukünftig eine KI.“ Auch wir haben Luft nach oben in Sachen Wertschätzung.


Beeindruckend | Ich habe mir diese Woche ein Wellpappenwerk angeguckt. Wahnsinn, die Präzision in der Fertigung, das Wissen der Leute und die Intelligenz, die in den Prozessen steckt. Industrieproduktion ist schon sehr beeindruckend.


Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste: „Gibt es schon ein neues Buchprojekt?“ Die Frage ist schnell beantwortet: Nein. Ich habe zwei Ideen, auf die ich große Lust hätte. Noch größere Lust habe ich allerdings, Bürgermeisterin zu werden und in meiner Stadt etwas zu bewegen. Deshalb liegt mein Autorinnendasein auf Eis.


Gelesen | Faktencheck: Politiker-Aussagen zum Bürgergeld – und was dahinter steckt

Gelesen | Ich habe den Mitbestimmungsnewsletter der Hans-Böckler-Stiftung abonniert. Im aktuellen Newsletter war ein interessanter Artikel: Die Telekom AG hat den Betriebsräte-Preis gewonnen, weil sie für 15.000 Beschäftigte ihr Schichtmodell verbessert hat. In Konzeption und Umsetzung aufwändig – aber sicherlich sehr wirksam, jetzt, wo es einmal steht. Mich würden Kennzahlen zu Krankenstand, Mitarbeiterfluktuation und aus dem Recruiting interessieren, um zu sehen, ob es signifikante Unterschiede zwischen den Zeiten vor dem neuen Modell und jetzt gibt (ich vermute es).


Schweine | Archivschweine aufgrund von Reisetätigkeit.

Schwein 1 steigt in den Stall ein, Schwein 2 sitzt drin.

Bürgermeisterkandidatur | Am Wochenende gab’s Berichterstattung zum Frühstück.

Eine Tasse Milchkaffe und ein Zeitungsartikel mit der Überschrift: Bürgerneisterkandidantin (sic): Giese will Stegemann ablösen" mit Bild von Vanessa mit den Vorsitzenden von Grünen und SPD, Stefanie Gärtner und Daniel Wohlsdorf

Bislang habe ich viel positiven Zuspruch erhalten. In der örtlichen Facebook-Gruppe gab es auch skeptische Kommentare und Fragen. Eine E-Mail von stramm rechts traf ein.


Making of | In Vorbereitung auf meine Bürgermeisterkandidatur lag Anke Sundermeier in der Heide.

Frau liegt mit einer Kame vpr den Augen vor einem Baum in einer Heidelandschaft. Der Himmel hat weiße Wolken.

Sie lag dort so dekorativ vor Baum und Wolken, dass ich ein Foto von ihr machte, wie sie ein Foto von mir macht. Das möchte ich Ihnen nicht vorenthalten.


Allerheiligen | Ich fuhr ins Sauerland, um die Familie besuchen, die lebendige und die tote. Bei der Tante gab es Kuchen und Dosenessen: Der Cousin war auf Radreise an Saale und Unstrut gewesen und hat Köstlichkeiten mitgebracht – Halloren-Kugeln in Baumkuchen-Sonderedition für mich, DDR-Schulessen für sich.

Wir gingen zum Friedhof, besuchten die Oma, den Opa, den Großonkel und Personen der Familiengeschichte. Die Namen auf den Grabsteinen sind alte Bekannte: Es sind der Hausarzt der Oma, die liebe Frau aus der Heißmangel und Menschen, die in undefinierbarem Verwandtschaftsgrad zu mir stehen.

In den Erzählungen tragen die Toten ihren Nachnamen vor dem Vornamen: Heinekens Dieter, Schmidts Anni, Sauers Fritz. Manchmal haben sie auch nur Spitznamen – wie Paule, der eigentlich Kurt hieß. Sie alle leben weiter in den Geschichten, die man über sie erzählt, hier beim Vorbeigehen auf dem Friedhof – Geschichten, die sich mit jeder Erzählung dramaturgisch verdichten, die mit jedem Jahr reicher werden.


Der Riss | Kennen Sie das? Dinge gehen kaputt gehen, und sie tun das immer gleichzeitig. Jüngst waren es bei mir Jeanshosen. Ich stieg vom Fahrrad und bemerkte einen verdächtigen Luftzug im Schritt. Ich tastete, und ein Riss von der Größe des nordatlantischen Rückens tat sich auf. So stand ich da, mitten zwischen Menschen, mit dem Gefühl unangebrachter Nacktheit. Ich suchte eine Fensterscheibe auf, stolzierte davor auf und ab und nahm erleichtert zur Kenntnis: Solange ich nicht ausschritt wie ein Landvermesser, würde uneingeweihten Dritten nicht auffallen, in welcher Lage ich mich befand. „Haltung bewahren!“, sagte ich mir und ging meiner Wege, kleinschrittig, aber zielstrebig.

Die zweite Begebenheit trug sich im örtlichen Supermarkt zu. Möglicherweise – hoffentlich – auch erst danach. Jedenfalls kam ich heim, stieg auch diesmal vom Rad, und … nun ja. Daraufhin führte ich eine Inventur meines gesamten Jeansbestandes durch, sortierte ein weiteres, eindeutig fadenscheiniges Objekt aus und degradierte eine vierte, etwas weniger, aber durchaus auch zweifelhafte Jeans zur Homeoffice-Hose. Kein Risiko eingehen! Wenn mir also nochmal ein Riss widerfährt, dann nur in Gegenwart dreier Meerschweine.


Gänsemarkt | In der Stadt war am Wochenende Gänsemarkt. Ein gutes Ereignis, es gab auch einen Stand mit Waffeln. Außerdem Stände unterschiedlicher Bauernläden, Käsereien und jede Menge Brot. Die Gastronomien hatten alle Hände voll zu tun, die Läden verkaufsoffenen Sonntag.

Ich kaufte Käse und Backwaren und beobachtete die Anwesenheit von Stutenkerlen und Glühwein, ein eindeutiges Jahresendzeichen. Vor der Kirche schnatterten Gänse. Wie lange sie noch schnattern, blieb im Unklaren.

(Die Hose war neu und blieb ganz.)


Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste: „Wie organisierst Du dein privates Büro? Papierlos? Leitzordner?“

Ich bin komplett papierlos unterwegs, mit verschlüsselten Daten in einer Cloud. Ich kann von überall auf meine Dokumente zugreifen, egal, ob ich in Schleswig-Holstein, Sachsen oder Baden-Württemberg arbeite, egal von welchem Gerät. Ich habe immer alles dabei.

Meine To-Do-Liste führe ich als Kanban-Board in Microsoft Planner. So kann ich dort schnell etwas eintragen: beim Kunden, beim Nachdenken in der Bahn, wo auch immer mir eine Aufgabe begegnet.

Meine Buchhaltung ist ebenfalls papierlos. Belege, die ich nicht digital erhalte, scanne ich mit einer Scan-App ein und lege sie mit einer automatisierten Routine digital ab. Zeiterfassung, Angebots- und Rechnungserstellung laufen auch über das Programm. Meine monatliche Umsatzsteuervoranmeldung erledige ich mit Upload einer xml-Datei bei Elster. Auf Geschäftsreisen bin ich also nicht nur inhaltlich, sondern auch administrativ autark. (Internetverbindung natürlich über VPN)

Es ist wichtig, einmal Hirnschmalz in diese Prozesse reinzustecken, sonst fressen sie Zeit und Energie, die in die eigentliche Wertschöpfung gehören.

Nur das Finanzamt und meine Krankenkasse schicken mir noch Dinge auf Papier. Ich loche die Papiere dann, hefte sie in einen Leitz-Ordner, streiche sie glatt, klappe den Ordner zu und stelle ihn in das Regal hinter meinen Schreibtisch.


Und sonst | Heute saß ich am Schreibtisch und bereitete mit letzten Handgriffen das Führungskräftetraining für die kommende Woche vor. Es kam eine Wespe durchs offene Fenster, setzte sich auf meine Maus-Hand und stach mich. Einfach so! Mit Hitzestift und Hydrocortisonsalbe ging’s dann. Aber meine Güte, ey – am 3. November.


Schweine | Herbstliche Melancholie.

Braunes Meerschwein vor Blumenwiese, veträumt guckend.

Das war eine ausgesprochen wilde Woche. Genau genommen waren die vergangenen Wochen alle wild. Denn nun ist es offiziell, was wir im Hintergrund schon länger vorbereiten: Ich gehe in die Politik und werde Bürgermeisterkandidatin für Haltern am See.

Vanessa lächelnd vor einem See mit Booten. Sie trägt einen roten Blazer. Im Hintergrund Abendsonne.

Ich möchte meinen Arbeitsstil ins Rathaus tragen: Gemeinsam etwas bewegen – mit Teamgeist, demokratisch und unabhängig von Parteigrenzen. Ein Arbeiten, bei dem die gute Lösung im Fokus steht. Mit viel Kommunikation. Mit Offenheit und Warmherzigkeit für die Menschen hier in der Stadt.

Unterstützt werde ich von den Halterner Grünen und von der SPD, denen ich von Herzen für das Vertrauen danke. Das wird ein spannendes Jahr!

Für meine Kundinnen und Kunden bleibe ich weiterhin da. Die Kandidatur läuft parallel.

Auswärtsspiel | Diese Woche reiste ich nach Chemnitz. Bei den Chemnitzreisen schleift sich eine sehr schöne, jährliche Tradition ein. Das gefällt mir außerordentlich. Gemeinsam mit meiner Kollegin Katja durfte ich wieder mit dem Team der Professur Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement arbeiten. Mehr im LinkedIn-Beitrag der Professur.

Screenshot vom LinkedIn-Beitrag

Leser:innenfrage | Es gibt eine neue Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste, die ich kurz mal vorziehe: „Was hältst du als Beraterin von Persönlichkeitstests?“ Als Teil eines Führungskräftetrainings führe ich derzeit Feedbackgespräche mit Menschen, die einen Persönlichkeitstest absolviert haben, das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP).

Grundsätzlich sehe ich nur wenige seriöse Testverfahren auf dem Markt. Um es direkt vorwegzunehmen: Der beliebte Myers-Briggs-Typenindikator gehört nicht dazu, auch nicht das DISG-Modell, das gerne mal in Fortbildungen auftaucht. Wissenschaftlich validiert ist neben dem BIP das NEO-Persönlichkeitsinventar, das auf den Big Five beruht, dem Fünf-Faktore-Modell der menschlichen Persönlichkeitseigenschaften.

Doch selbst die seriösen Angebote verkünden nicht die absolute Wahrheit, dafür ist unsere Persönlichkeit zu facettenreich. Vielmehr sehe ich sie als einen Anlass, in die Reflexion zu gehen – mit sich selbst und mit anderen Menschen. In den Gesprächen, die ich führe, frage ich zunächst, welche Testergebnisse die Aufmerksamkeit der Proband’innen ziehen. Wir sprechen darüber, an welchen Stellen sich ein Proband wiederfindet (und warum, wie sich das im Alltag ausdrückt, welches beobachtbare Verhalten sich zeigt) und wo nicht.

Gute Tests geben Hinweise, wenn es inkonsistente Antworten in Bezug auf ein Item gibt. Die Ergebnisse sagen dann beispielsweise, dass die Probandin gleichzeitig gewissenhaft und nicht gewissenhaft ist, gleichzeitig umsetzungsstark ist und Vorhaben nur schwer in Angriff nimmt. Dann frage ich im Gespräch, wann es leicht fällt, Dinge voranzubringen, und wann ein bisschen weniger, von welchen Themen, Personen, Umfeldern und Rahmenbedingungen das abhängt. Das ist meist erkenntnisreich und eröffnet Entwicklungspotential („Eigentlich bin ich umsetzungsstark, aber <unter diesen Umständen> fühle ich mich blockiert“ / „Eigentlich ruhe ich in mir selbst, aber <bei diesen Persönlichkeiten> fahre ich regelmäßig aus der Haut – da ärgere ich mich über mich selbst“).

Wichtig finde ich: Es gibt kein Richtig oder Falsch, kein Gut oder Schlecht. Es geht vielmehr darum, sich selbst besser kennenzulernen, die eigene Reflexe und Denkmuster zu hinterfragen und durch dieses Wissen sein Handlungsrepertoire zu erweitern.


Gelesen | Heiko Bielinski teilt seine Erlebnisse als Kunde. Ich hatte zwei ausgesprochen gute Kundenerlebnisse diese Woche: einmal bei der Deutschen Bahn, die mich freundlich, pünktlich und mit netter Begleitung (eine Frau, die gemeinsam mit ihrem Hund und einem Jungen reiste) von Hannover nach Chemnitz brachte.

Kleiner, grauer Hund in Reisetasche auf einem Bahn-Sitz.

Das zweite Erlebnis war das Hotel in Chemnitz, das mich ausnahmslos begeisterte, was Herzlichkeit und Zugewandtheit angeht – bei gleichzeitig schönen Zimmern und einem guten Restaurant.

Gelesen | Tod eines Nachbarn [€]. Herr Schwenninger stirbt in seiner Wohnung und verwest in einer warmen Sommerwoche bis zur Unkenntlichkeit. Frau Raster wohnt neben ihm – und zieht irgendwann verzweifelt vor Gericht.

Sterben und tot dazuliegen, bis man gefunden werde, das gehöre zur „normalen Nutzung einer Wohnung“.


Und sonst | Chemnitzer Papageienkuchen an der Raststätte Eisenach.

Bunter Blechkuchen auf dem Autodach, dahinter Autos und Lkws

Schweine | Herbstnachmittag.

Offener Stall: Ein Schwein sitzt drin, ein Schwein links daneben und recht sich nach Grünzeug, ein drittes steht rechts davor.

Menschen und Meister | Womit beginnen? Vielleicht mit den Menschen aus Fieberglas und Silikon. Oder mit den furchtbar hässlichen Bauten am Strand. Oder mit der Kreuzung vor dem Haus im Statenkwartier, an der sich alles von selbst regelte.

Ach, lassen Sie mich mit den Alten Meistern beginnen. Die hingen im Mauritshuis, dem Adelspalais mit der Königlichen Gemäldegalerie.

Vor den Alten Meistern standen Jungs in der Zentralpubertät: Buzzcut, Sneaker, Goldkettchen, übergroße Sweatshirts. Vor ihnen hingen nicht nur Rembrandt und Vermeer, vor ihnen stand auch der Museumführer, ein Mann in den Dreißigern mit Vokuhila, Schnurrbart, knallbuntem Pulli, volltätowierten Armen und Tunneln in den Ohrläppchen – ein Mann mit Street Credibility bei der Jugend. Er gestikulierte und dirigierte die Gruppe: Die Jungs sollten sich umdrehen und an Teile des Bildes erinnern, sie mussten raten und wurden hineingezogen in die Geschichte einer Leichenschau. Es war nicht weniger als ein kleines Wunder: Die Jungs hörten zu und stellten Fragen. Und der Museumführer erzählte mit dem Tonfall eines Gangsta Rappers und der Leidenschaft eines Kunsthistorikers. The kids are alright, wenn wir uns ein bisschen bemühen.

Tags zuvor waren wir in einem anderen Museum, dem Museum Voorlinden in Wassenaar. Wir fuhren mit dem Fahrrad dorthin: Waassenaar liegt etwa zehn Kilometer von Den Haag entfernt. Der Reiseleiter fuhr mit dem eigenen Rad. Er war mit ihm bis nach Den Haag geradelt – in zwei Tagen, 250 Kilometer. Ob ich auch radlen wolle, hatte er mich Wochen zuvor gefragt. 120 Kilometer radfahren, schön und gut, sagte ich, aber doch nicht zwei Tage hintereinander und nicht im Oktober bei neun Grad. Nein, antwortete ich, das könne er gerne alleine tun. Ich fuhr mit dem Zug.

Weil ich kein eigenes Fahrrad vor Ort hatte, musste ich mir eins mieten. Das mache ich immer ungern, weil ich diesen Körper habe, der lang und unproportional ist, mit viel Bein und einem kurzen Oberkörper. Ich ging zu einem Fahrradverleih, der mir sein größtes, aber dennoch winzig kleines Fahrrad lieh. „Ich komme mir vor wie auf einem dieser Pucky-Kinderräder“, sagte ich, während ich mit Knien an den Ohren hinter dem Reiseleiter durch die Dünen eierte. „So siehst du auch aus“, meinte er aufmunternd und schaltete auf seinem neuen fancy Gravel-Bike einen Gang runter, damit ich hinterherkam.

Das Museum Voorlinden stellt aktuell Ron Mueck aus, dessen Plastiken ich aus Aarhus kannte. Deshalb wollte ich unbedingt nach Voorlinden; die Figuren sind ein einmaliges Erlebnis. Man denkt, sie wollten jederzeit aufstehen und zu leben beginnen; erst würden sie einem zuzwinkern, dann sanft die Finger bewegen, dann sich stöhnend strecken, verspannt vom langen Stillhalten. Alles ist fesselnd an diesen Figuren: die Hände, die Füße, Hautfalten, Muttermale, Alterswarzen und Narben, winzige Haare auf dem Körper, dazu der Blick, die Banalität der Körper, die profanen Erscheinungen jenseits von Schönheitsnormen. Dazu erzählt jede Plastik eine Geschichte. Das Paar unter dem Sonnenschirm zum Beispiel: Warum trägt sie einen Ehering, der sich schon in die Haut eingegraben hat – und er keinen? Geht sie fremd mit ihm? Oder trägt sie den Ring als Andenken an ihren verstorbenen Mann und hat ein schlechtes Gewissen gegenüber dem Toten – jetzt, wo sie sich sachte auf etwas Neues einlässt? Vielleicht sind es auch nur zwei Freunde, die unter dem Schirm sitzen, innig, aber platonisch. Oder gar Bruder und Schwester. Aber warum greift er dann so fest ihren Arm?

Beeindruckend auch Richard Serras Skulptur Open Ended: vier Meter hoch, 18 Meter lang, 216 Tonnen schwer. Man geht hinein und denkt, nach einer Kurve gehe es wieder hinaus. Aber die Skultur windet sich, man wendet sich, ein diffuses Gefühl von Angst kommt auf – und gleichzeitig eine kribbelige Faszination. Wunderbar.

Eine Frau vor eine sehr grißen Skultur von ineinander geschachtelten Eisenwänden

Immer dort: der Swimmig Pool von Leandro Erlich, exklusiv desgint für Voorlinden. Der meist ge-instragrammte Ort des Museums.

Vanessa in einem künstlichen Pool. Es  sieht aus wie unter Wasser

Museum Voorlinden – meine uneingeschränkte Empfehlung (und die Appeltaart im Café ist auch gut).

Von bemerkenswerter Hässlichkeit ist Scheveningen, direkt westlich von Wassenaar. Fragt man ChatGPT, warum das so ist, bekommt man die Antwort:

Es gibt auch viele, die die Strandpromenade und die Aktivitäten dort schätzen. Schönheit liegt oft im Auge des Betrachters! 

Eine KI mit tadelndem Blick, soso. Verhungern tut man dort jedenfalls nicht: Imbisse reihen sich an Restaurants, an Büdchen und an Bars. Wenn man ein Appartment in einem dieser Hochhäuser hat, im zehnten oder zwölften Stock, ist das bestimmt schön: Man hat eine tolle Aussicht aufs Meer – und sieht außerdem man den Betonklotz nicht.

Wir wohnten im Statenkwartier, in komfortabler Radelentfernung zwischen Zentrum und Scheveningen in einem Appartment, in dem ich mich fühlte wie bei Downton Abbey. Genau genommen war es auch kein Appartment, sondern es waren zwei Zimmer in einem Stadthaus. Wir fragten uns, wie hier wohl einst gewohnt wurde: Oben das Personal, darunter die Kinder, im Erdgeschoss die Küche? Wo waren Salon und Bibliothek? Ich muss das gar nicht unbedingt wissen; es war ausreichend, gedanklich die Möglichkeiten durchzuspielen und wie in einem Puppenhaus Möbel und Figuren zu schieben.

Wohnung im Statenkwartier: Wohnraum mit Fensterfron, einem Ledersofa, einem Esstisch und einer Kommode. Es sieht alles sehr nach Anfang des 20. Jahrhunderts aus.

Vor dem Haus befand sich eine Kreuzung: eine Spur Richtung Norden, eine Spur Richtung Süden, dazwischen ein breiter Gründstreifen mit Bäumen, die Straße gepflastert. Von West nach Ost verläuft die Frederik Hendrikslaan, eine Einkaufsstraße mit viel Fahrrad- und etwas Autoverkehr. Auf der Kreuzung war ein munteres Miteinander verschiedener Verkehrsmittel: Autos, Busse und Fahrräder, Lastenräder und Transporter, Fußgänger und Rollerfahrer. Die Grundregel war Rechts vor Links – auf dieser Basis einigte man sich, nickte sich zu, winkte sich durch und achtete einander. In Deutschland hätte man sofort und reflexhaft eine Ampel installiert, eine ordnende Lichtsignalanlage, die das Durcheinander organisiert, zur Sicherheit aller, vorsichtshalber, in jedem Fall regelkonform.

Was auf der Kreuzung vor dem Haus funktionierte, war das Gefühl überall auf den Straßen: Alle sind gleichberechtigt, man achtet sich, ist nachsichtig.

Zum Abschluss noch etwas Herbst.

Allee aus Bäumen, es stehen Bänke am Rand. Der Boden ist voller Laub.

Kaufrausch | In den Niederlanden bin ich zuverlässig Opfer von Buchläden und ihrem hervorragend kuratierten englischsprachigen Sortiment.

Fünf Bücher: Tell Me Everything (Elizabeth Strout), Less is Lost (Andrea Sean Greer), Same as is ever was (Claire Lombardo), The Trouble with Goats and Sheep (Joanna Cannon) und Eligible (Curtis Sittenfeld)

Außerdem mitgebracht: Vanilleskyr. Nicht der von Arla, sondern der isländische.


Gelesen | Adriana Altaras: Besser allein als in schlechter Gesellschaft. Die Geschichte von Tante Jele, die das Konzentrationslager überlebte und später ihren Mann, die ihre norditalienische Schwiegermutter überdauerte, die kein Gehör mehr hat, aber immer einen guten Ratschlag, die in Zagreb aufwuchs und in Mantua lebte. Eine historisches Leben, allerdings etwas verworren erzählt, mit einigen Redundanzen.

Gelesen | Gina Mayer: Die Schwimmerin. Es ist 1962, Betty zieht mit ihrem Mann Martin in eine eigene, kleine Wohnung. Sie gibt die Arbeit auf, Familiengründung steht an. Parallel wird die Bettys Jugend erzählt: der Zweite Weltkrieg, die Flucht aufs Land, das Dasein als Außenseiterin, die erste Liebe. Gerne gelesen.

Gelesen | Jane Campbell: Bei aller Liebe, aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Eine kleine Geschichte über Agnes, ihren Onkel Malcolm und ihren Therapeuten Joseph. Malcolm nimmt sich vor, ein Geheimnis zu lüften. Agnes erholt sich gerade von einer Affäre. Und Joseph freut sich, seine Klientin Agnes wiederzusehen, die ihm einst viel bedeutet hat. Sehr gern gelesen.

Buch "Bei aller Liebe" mit einem eingerollte Igel auf dem Cover neben einem Glas Wein, einer Kerze, Knabberzeug und einem Lesezeichen.

Gesehen | Lee, im Kino in Den Haag. Der Film erzählt das Leben der Fotografin Lee Miller (Kate Winslet), die bei der Befreiung Frankreichs von den Nazis dabei war und die Befreiung der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald dokumentierte. Ich kannte Lee Miller vorher nicht. Erhellend und beeindruckend.

Gelesen | Frau Herzbruch wollte ihre Heizung klimafreundlich sanieren und außerdem Wohnraum schaffen – und scheiterte. Jetzt gibt es erstmal eine neue Gastherme.

Gehört | Geschichten aus der Geschichte: Die Erfindung der Lochkarte, die Anfänge der automatisierten Datenverarbeitung und die Gründung von IBM.

Gelesen | Ulrich Stock schreibt darüber, wie seine Tochter erwachsen und selbstständig wird [€] – auf eine Art und Weise, die ihm einiges abverlangt. Habe mich gut amüsiert.

Gelesen | Herr Giardino urlaubt auf der Isle of Mull.


Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste: „Wie wichtig sind Nachbarinnen und Nachbarn?“

Ich kenne keine Studien dazu, deshalb kann ich die Frage nicht grundsätzlich, sondern nur für mich persönlich beantworten. Ich habe gerne Nachbar’innen. Ich hatte schon viele sehr sympathische Menschen neben, unter und über mir wohnen, alte und junge Menschen, Menschen vieler Nationen, darunter auch freundliche Deutsche – Leute, mit denen ich Fußball geschaut habe, die mir geholfen haben, denen ich helfen konnte.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Man muss nicht dick Freunde werden, aber es ist doch wunderbar, wenn man mal eben anklingeln kann, weil Sonntag ist und man ein Päckchen Backpulver braucht oder weil man jemanden sucht, der im Urlaub den Briefkasten leert; jemand, der eventuell weiß, warum auf dem Feld nebenan letztens Vermessungsgeräte standen; jemand, zu dem man rüberlaufen kann, wenn ein Notfall eintritt – und der’die vielleicht sogar so sympathisch ist, dass man zweimal im Jahr eine Limo miteinander trinken mag.

Nachbar’innen zu haben, gibt mir das Gefühl von Zugehörigkeit und Sicherheit.


Schweine | Während der Reiseleiter und ich in den Niederlanden weilten, waren die Schweine in der Obhut meines Vaters und meiner 82-jährigen Tante. Sie – also der Vater und die Tante – hüteten Haus und Stall und nutzten die Zeit, um dem lokalen Handel und der örtlichen Gastronomie Gutes zu tun.

Die Schweine, sie hängen nicht an Personen. Ihre Liebe gilt einzig der Nahrung, nicht der Quelle.

Schwein reckt sich nach oben und hangelt mit geöffnetem Maul nach Kräutern im Topf.

Rasante Woche | Am Dienstag hat einer meiner Kunden eine Hausmesse veranstaltet. Interne Kolleg:innen und ich haben die Veranstaltung über Wochen vorbereitet – Koordination, Unterstützung der Aussteller, Briefing der Stakeholder, Einladungsmanagement und Zusammenarbeit mit einer Agentur, die die Erstellung aller Materialien übernommen hat. Am Tag zuvor wurde aufgebaut. Es brauchte kurzfristig helfende Hände – ein interner Kollege war ausgefallen. Ich fuhr hin und packte an. Übernachtung im Hotel.

Am Dienstag Weiterfahrt zu einem Kunden nach Köln: ein Workshop in einem Veränderungsprozess. Viele Emotionen, eine anspruchsvolle Moderation. Wir schauten auf das Erreichte und beschlossen die nächsten Schritte. Abends Fernuni, Übernachtung in einem anderen Hotel. Das Hotel lag neben einer Güterbahnstrecke – ein empfehlenswerter Ort für Freunde des Eisenbahnwesens. Für andere Menschen nicht. Aber meine Schuhe passten gut ins Treppenhaus.

Beine mit gelben Schuhen in einem Treppenhaus mit gelbem Geländer

Am Mittwoch Agilitätstraining bei einem dritten Kunden: die Grundlagen von Scrum und wie sie bei der Arbeit helfen können. Viel Interesse, viel Begeisterung – und noch Fragezeichen. Wir stellten fest, dass ein Tag zu kurz war. Die Auftraggeberin aus der Personalabteilung saß mit im Seminar, und wir sprachen direkt über ein mögliches Follow up.

Abends Fahrt nach Dortmund zum Ehrenamt beim Agora Club Tangent. Im November ist nationales Half Year Meeting des Clubs. Wir organisieren die Veranstaltung für alle Interessierten aus ganz Deutschland. Ich habe die Aufgabe „Rahmenprogramm organisieren“ und habe zwei Stadtführungen bei Annette von den Borsigplatz-Verführungen gebucht: „Glaubensvielfalt am Borsigplatz“ und „Die Weiße Wiese“. Das wird gut – gerade die erste Führung interessiert mich sehr. Hier musste in den vergangenen Tagen eine digitale Anmeldemöglichkeit geschaffen werden – das tat ich.

Am Donnerstag und Freitag bereitete ich die vergangenen eineinhalb Wochen nach: die Arbeit in Teltow, Wuppertal, Duisburg und Köln. Daneben telefonierten Katja und ich und bereiteten einen Teamworkshop in Chemnitz vor, der in zwei Wochen ansteht – und es trudeln auch schon Aufträge für 2025 ein, die ich mit Freude bestätigte. Und ich coachte eine Dame aus der Geschäftsführung eines Unternehmens, die kurzfristig eine Sparringspartnerin brauchte.


Abenteuer Infrastruktur | Diese Woche machte ich meine Fahrten nicht mit der Bahn, sondern mit dem Auto. Es war nicht besser:

  • 1 Stunde 45 von Haltern nach Wuppertal (76 Kilometer)
  • 1 Stunde 30 von Wuppertal nach Köln (56 Kilometer)
  • 2 Stunden Fahrt von Köln nach Ratingen (60 Kilometer)
  • 1 Stunde 45 von Duisburg nach Dortmund (65 Kilometer).

Das Auto-Erlebnis unterbietet nochmal deutlich die Abenteuer mit der Deutschen Bahn – und wir wissen alle, wie erbaulich die sind. Aber toll, dass wir eine Schuldenbremse haben, supidupi.


Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste: „Wie läuft es mit der Vermietung vom alten Zuhause?“

Gut. Ich habe sympathische Mieter gefunden, die gemeinsam mit einem kleinen Hund meine Wohnung bewohnen. Natürlich gibt es immer mal etwas zu tun: Zuletzt ist eine große Gartenmauer zum Nachbarn weggsackt – eine Folge der regenreichen Monate. Das ist normal, denke ich, zumal das Gebäude älter ist. Selbst in dem noch jungen Haus, in dem ich jetzt wohne, gibt es regelmäßig etwas zu tun (für meine Vermieterin).

Was mich ärgert, ist die Hausverwaltung im alten Zuhause. Das tut sie seit Jahren, auch als es noch eine andere war. Hausverwaltungen, so scheint mir, tauchen gerne ab: kein Bild, kein Ton, keine Durchführung vereinbarter Leistungen, keine Antwort auf E-Mails. Will ich telefonisch auf die Füße treten, erreiche ich niemanden. Wenn doch irgendwann jemand abhebt – man muss es sich zu einem Hobby machen -, gibt man sich dienstbeflissen. Es passiert jedoch nichts. Frage ich im Bekanntenkreis nach, nicken alle: Ja, das kenne man! …. [Wilde Geschichten einfügen] …. Auch ein Wechsel der Verwaltung führe zu keiner Veränderung – wenn man denn überhaupt eine neue Verwaltung findet, die einen nimmt als kleine Hausgemeinschaft. Es ist zum Mäusemelken, zumal es Dinge zu richten gibt, die das Leben meiner Mieter besser machen würden (die Dachrinne tropft, das Garagentor klemmt), die aber nur die Hausverwaltung beauftragen und beaufsichtigen kann.


Und sonst | Als ich gestern Morgen wie Dittsche am Frühstückstisch saß, flog eine lebensmüde Stubenfliege auf mein Nusspli-Brot, blieb kleben, fiel auf den Rücken, drehte sich im Kreis und verendete.

Der Reiseleiter macht gerade einen Dänisch-Kurs. Diese Woche muss er ein Lied einüben. Es ist für uns alle nicht leicht.


Gelesen | Herr Buddenbohm schreibt über seine frühen Erinnerungen in Krämerläden und Supermärkten, und ich möchte zwei kurze Begebenheiten ergänzen:

Meine Großmutter im Sauerland wohnte neben einem Krämerladen, deren Betreiberpaar sogar Kramer hieß. Beide waren schon alt und trugen Kittel. Wenn meine Oma einkaufen wollte, sagte sie nicht: „Wir gehen einkaufen“ oder “ Wir gehen in den Supermarkt“, sondern sie sagte: „Wir gehen zu Kramers.“ Der Laden war kaum vierzig Quadratmeter groß – niedrige Regale voller Nudeln, Waschmittel und Soßenbinder. Gemüse, Obst und Wurstwaren lagen hinter einer Bedientheke. Die Kartoffeln wurden in eine Papiertüte gelegt und mit Gewichten abgewogen. Für mich gab es jedesmal ein Stück Fleischwurst. Frau Kramer hatte immer rote Wangen und in den Taschen ihres Kittels Kirschlollys. Ich habe sie gemocht.

Dazu ein Onkel, der auch einen Krämerladen führte, gleiche Art, nur ein anderer Stadtteil. Bis zur Rente tat er das, machte bei der betagten Kundschaft auch Hausbesuche und bestellte auf Wunsch einzelne Geschmacksrichtungen Milchreis oder Joghurt. Die Besteller kaufen dann einen Becher und meldeten zurück, dass die Sorte nicht schmecke. Der Onkel aß daraufhin jedesmal den Rest der Palette, bis es ihm zu den Ohren rauskam. Überhaupt ernährte er seine Familie vor allem mit Abgelaufenem; es schadete ihnen nicht. Eine Kundin klaute bei jedem Besuch ein Packung Butter. Der Onkel kassierte es jedesmal stillschweigend mit, um sie nicht zu brüskieren – und sie bezahlte stillschweigend, um nicht zuzugeben, geklaut zu haben.

Gehört | Soziologe Steffen Mau im Hotel Matze. Steffen Mau ist Professor für Makrosoziologie und spricht über seinen Blick auf den Osten Deutschlands, sein Aufwachsen dort und seine soziologische Auseinandersetzung mit Ostalgie und Ost-Erklärungsmüdigkeit.

Gelesen | Ein Meeting-Forscher über gute und schlechte Meetings [€]. Ich bin ja von Berufs wegen eine leidenschaftliche Freundin gut moderierter Meetings.

Gelesen | Zeit Online hat fünf Chefs (und Chefinnen) gefragt: Macht Führen eigentlich noch Spaß? Die Kommentator:innen hacken sehr auf die Führungskräfte ein. Ich lese jedoch ein gesundes Reflexionsvermögen aus den Beiträgen heraus. Man muss ja nicht immer einer Meinung sein; Betriebe und ihre Kontexte sind außerdem immer unterschiedlich.


Schweine | Hoffnung auf Knabberkugeln.

Zwei Meerschweine in der Stalltür: Eins reckt den Kopf, das andere guckt in die Gegend.

Launige Erlebnisse | Eine launige Restwoche. Rückkehr aus Brandenburg mit einer perfekten Bahnfahrt: Ich kam 45 Minuten vor der Planung an. Dank absoluter Pünktlichkeit erreichte ich in Münster einen früheren Anschluss mit nur fünf Minuten Umstieg. Zuhause wartete dann noch ein pickepacke voller Tag Arbeit.

Am nächsten Morgen Feiertag. In der Stadt startete der Münsterlandgiro. Ich half als Volunteer und stellte zur richtigen Zeit ein Gitter an die Straße, damit niemand dem Peloton in die Quere kam. Auf meinem Einsatzzettel stand: 13:04 Uhr bis 13:05 Uhr, eine halbe Stunde vorher vor Ort sein. Der zeitliche Aufwand war also überrschaubar, und es dauerte tatsächlich nicht einmal eine Minute, bis der Tross der Profiradfahrer an mir vorbei war. Dennoch beeindruckend: die Profiradfahrer, die Begleitfahrzeuge, die Busse, der Hubschrauber, über dem Peloton, der ganze Aufwand. Anschließend Belohnungseis.

Am Brückentag ein neues Bahnabenteuer: Es ging nach Hannover zur ACI Conference 2024. Das ist die jährliche Konferenz des Agora Club Tangent International, in dem ich Mitglied bin. Dieses Jahr fand sie in Deutschland statt. Eine gute Gelegenheit teilzunehmen; im nächstes Jahr ist der Weg wieder weiter – bis nach Südafrika.

Man trifft sich und plaudert, tanzt und tagt. Das Fest beginnt traditionell mit einer Parade aller Nationen durch die Stadt. Es waren Gäste aus Europa da; die am weitesten Gereisten kamen aus Madagaskar, Südafrika, Zambia und den USA. Ein buntes Fest! Das war großartig – und das Jahresmotto „Celebrate Diversity“ passt gut in die Zeit und ins Land.

Ich ärgerte mich, dass ich nur die Welcome-Party gebucht hatte. Es war eine große Freude, mit den unterschiedlichen Kulturen in Kontakt zu kommen (mein Gott, waren die Britinnen witzig!). Ich bekam richtig Lust, öfter an internationalen Veranstaltungen teilzunehmen.

Am nächsten Tag blieben wir noch ein wenig in Hannover. Ich hatte einen Tisch zum Frühstücken reserviert; das Café kannte ich aus früheren Zeiten. Anschließend Bummel durch Hannover-Linden.

Egal, wo ich bin, kann ich an keiner Buchhandlung vorbeigehen, schon gar nicht an einer inhabergeführten. Ich kaufte zwei schöne Bücher, eines zum Verschenken und eines zum Selberlesen, und entdeckte mein Buch im Regal. „Wie schön“, sagte ich beim Bezahlen, „ihr habt mein Buch.“ Der Buchhändler erzählte zu meiner Überraschung, dass es ein Sommerhit gewesen sei: Er habe es an die 25-mal verkauft.

Danach mussten wir den Heimweg antreten, denn ein besseres Erlebnis konnte in Hannover nicht mehr kommen.


Denkwürdig | Die Fahrt nach Hannover absolvierten der Reiseleiter und ich mit dem Deutschlandticket im Nahverkehr. Ein denkwürdiges Erlebnis, besonders die Rückfahrt. Eine Lautstärke wie auf dem Oktoberfest; es war auch genauso viel Volk unterwegs. In Ostwestfalen! Eine Gruppe beschallte den Waggon mit Techno, eine Frau sang Volksweisen, ein Kind greinte, ein Jungesellenabschied stieg zu. Der Zugbegleiter diskutierte unentwegt mit Menschen ohne Fahrkarte, neben uns trommelten zwei Männer Rhythmen auf ihren Klapptischen. Irgendwo telefonierten immer Drei über Lautsprecher, zwei weitere spielten sich plärrende Videos vor. Kurz vor Münster vermöbelten sich zwei Typen im Einstiegsbereich. Alles in einem Waggon! Wir harrten aus bis Hamm, kauften uns dann mit einem Zusatzticket frei und flohen in die erste Klasse.


Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste: „Was kann man als einzelne Person gegen den Rechtsruck tun?“

Eine große Frage für ein kleines Blog. Ich sammle, was mir dazu einfällt. Ergänzen Sie gerne in den Kommentaren.

  • eine demokratische Partei wählen
  • gegen Alltagsrassismus eintreten und dagegen sprechen
  • Migrant:innen und anderen Menschen mit internationaler Familiengeschichte zuhören
  • für sich selbst reflektieren: Wann teile ich Menschen in Gruppen ein? Was sind meine Vorurteile? Wie trage ich sie unbewusst weiter?
  • sich Argumente zurechtlegen
  • freundlich sein, eine Willkommenskultur gestalten und Begegnungen schaffen: auf Menschen zugehen, lächeln, das Gespräch suchen – unabhängig von Aussehen und Hautfarbe
  • auf Demonstrationen für eine bunte Gesellschaft gehen
  • sich bei Initiativen vor Ort engagieren: in Nachbarschaftsprojekten und Bildungsinitiativen, in der Jugendarbeit
  • in eine demokratische Partei eintreten
  • Petitionen unterschreiben
  • an Demokratieprojekte, Jugend- und Bildungsprojekte und für Geflüchtete spenden
  • freien Journalismus unterstützen: eine Tageszeitung oder eine Digitalausgabe abonnieren, an Projekte wie Correctiv spenden
  • Aladin El-Mafaalani lesen und auf Social Media folgen
  • rechtsextreme Inhalte auf Social Media konsequent melden

In konkreten Situationen geht es aus meiner Sicht vor allem darum, eine klare Position einzunehmen – nicht unbedingt, um den Gegenüber von seinen rassistischen Einstellungen abzubringen, sondern um für alle Umstehenden, die unsicher sind, Haltung zu zeigen.


Gelesen | Windstärke 17 von Caroline Wahl, das Nachfolgebuch von 22 Bahnen. Ein Buch, das insgesamt ganz prima ist, auch wenn es mich nicht so vom Hocker reißt wie die Kritiker und Kritikerinnen. Es gefiel mir immerhin besser als 22 Bahnen. Allerdings schlägt die Klischee-Fee zu: Erst verliebt sich Protagonistin Ida, nachdem ihre alkoholkranke Mutter gestorben ist, in einen erfolreichen DJ und Surfer, später bekommt ihre Ziehmutter-auf-Zeit noch eine Krebsdiagnose. Ein Buch, wie gemacht als Schullektüre zukünftiger Generationen.


Schweine | Lieblingsort.

Aus der Vogelperspektive: Drei Schweine in der Blumenwiese

Herbst im Herzen | Es herbstelt, und ich liebe alles an dieser Herbstelei. In den vergangenen Jahren war ich immer eher wehmütig, wenn der Sommer zu Ende ging: noch ein paarmal Freibad bitte, noch etwas Sonne, noch mehr Fahrradfahrten in kurzer Hose. Dieses Jahr aber, nachdem ich bei 34 Grad meinen Koffer durch Baden-Württemberg zerrte und in stickigen Hotelzimmern schlief, nachdem sich in Meetingräumen eine feine, klebrige Schweißschicht auf meinen ganzen Körper legte und ich mich in unklimatisierten Zügen in ein Omelette verwandelte, begrüße ich jeden Windstoß. Herbst, ich will dich!


Herbst bei der Bahn | Gerade aus Karlsruhe zurück, befinde ich mich nun in Teltow, Brandenburg, südlich von Berlin. Die Deutsche Bahn war zum Jahreszeitenwechsel gewohnt besorgt um ihre Fahrgäste und heizte den Zug auf die Temperatur „Kreta im August“. Ich war vorbereitet und trug T-Shirt.

Die Fahrt nach Brandenburg war prima und kommod, auch wenn die Bahn einen anderen Zug einsetzte und alle Reservierungen obsolet waren. Ich saß, und wir fuhren – was will man mehr. Anderen Reisenden ging es schlechter: Vor dem Bahnhof Hannover war eine Regionalbahn liegen geblieben und verstopfte Gleise und Abläufe. Auf den Bahnsteigen sammelten sich die Menschen zu Hunderten. Mit viel Mitgefühl fuhr ich an ihnen vorbei.


Herbst auf dem Platz | Nachdem ich aus Karlsruhe wiederkam und bevor ich nach Teltow fuhr, war ich in Billerbeck. Dank des Hobbies von KindZwei und KindDrei, Fußball, lerne ich viel vom Münsterland kennen – mit einem besonderen Fokus auf zugige Sportplätze. Ich fror stocksteif, weil ich zu dünn angezogen war, war aber dennoch guter Dinge, denn ich freue mich ja über den Herbst.

Sportplatz im Münsterland, in der Ferne spielen Mädchen Fußball. Bedrohliche Wolken türmen sich über dem Platz.

Anders als das Bild vermuten lässt, blieben wir trocken. Die Mannschaft verlor nach 1:0-Führung mit einem Tor. Am Vereinsbüdchen gab es Pommes.

In Billerbeck gab es übrigens auch Hinweise auf den Herbst. Der Brunnen auf dem Kirchplatz:

Inschrift in einem Brunnen: Herbst Du sollst mich Haushalt lehren, zu entbehren, zu begehren.

Herbst, Du sollst mich Haushalt lehren
zu entbehren, zu begehren

Ein Ausschnitt aus einem Gedicht von Clemens Brentano, wie ich später ergoogelte.


Herbst in Kleinmachnow | Den heutigen Tag verbringe ich im Wesentlichen im Hotelzimmer und absolviere zahlreiche Digitaltermine. Morgen moderiere ich zwei Workshops hier vor Ort – und habe danach noch drei Stunden Fernuni. Deshalb bleibe ich eine weitere Nacht in Brandenburg und reise erst am Mittwoch ab.

Als ich gestern Abend ankam, bedankte ich mich bei mir selbst, dass ich mir ein Comfort-Zimmer mit etwas mehr Platz gegönnt hatte. Das war eine gute Idee von meinem Vergangenheits-Ich.

Hotelzimmer mit Doppelbett und großem Schreibtisch

Mittagsspaziergang zum Supermarkt in Kleinkachnow, in dem ich mir Möhren, kleine Tomaten, Brot und Frischkäse besorgte – ein schnelles Mittagessen. Der Hintergrund der Sommderfeldsiedlung ist interessant.


Leser:innenfrage | Eine Frage aus der unverbindlichen Themen-Vorschlagsliste: „Wie haben Sie Kraulen gelernt?“

Vorweg muss ich sagen: Ich weiß nicht, ob ich gut kraule. Ich komme voran. Es gibt Menschen, die langsamer sind. Es gibt viele Menschen, die schneller sind.

Ich habe angefangen zu kraulen, indem ich es getan habe. Nach 25 Metern dachte ich, ich ertrinke. Das war nicht zielführend.

Daraufhin habe ich mir Videos auf Youtube angesehen und erkannt, dass ich zu sehr mit den Beinen strampele; es war alles zu unkoordiniert. Ich lernte, dass man sich erstmal auf die Arme konzentrieren soll. Ich kaufte mir Paddles für die Hände und einen Pullbuoy, den ich mir zwischen die Beine klemmte. Mit den Paddles lernte ich, wie ich die Hand am besten eintauche und Druck gegen das Wasser erzeuge. Der Pullbuoy hat währenddessen meine Beine hochgehalten.

Bei Journelle erfuhr ich von Total Immersion, sah mir Videos an und probierte aus, was ich sah: Kopf tief, wenig Beinarbeit, der Moment fürs Atmen. Gleichzeitig stieg Herr Stoer ins Triathlontraining ein und ließ mich an seinem Wissen teilhaben („Gleiten und sich lang machen“).

Als ich die Sache mit den Armen im Griff hatte, kaufte ich mir Kurzflossen und ein Schwimmbrett und widmete mich dem Beinschlag. Mit den Kurzflossen habe ich Speed, das macht viel Freude. Und ich merke – genauso wie bei den Paddles – wie ich den Wasserwiderstand besser nutze.

Jetzt schwimme ich, wie ich lustig bin. Es gibt bessere und schlechtere Tage, aber immer mehr bessere. Manchmal habe ich erst nach 500 oder 1.000 Metern einen guten Atemrhythmus, manchmal sofort. Vielleicht nehme ich irgendwann nochmal richtigen Kraulunterricht. Im Moment bin ich zufrieden damit, einfach zu schwimmen, so wie ich kann.


Gelesen | Das neue Semester startet. In Münster kommen die Erstis in einer unter – als Notunterkunft. Es gibt zu wenige Wohnungen, und die vorhandenen sind zu teuer. Auch anderswo sieht es nicht besser aus.

Gelesen | Milliarden für den Staat: Grüne Finanzexperten wollen Steuerprivilegien für Reiche abschaffen


Schweine | Auf Instagram wurde ich gefragt, wie wir die Schweine vor Raubvögeln schützen. Die Antwort ist: gar nicht. Darauf müssen die Viecher schon selbst achten. Es sind ja Fluchttiere, und in den Anden spannt auch niemand ein Netz über sie.

Neu zum Ersten | Hier jetzt auch: Die unverbindliche Themen-Vorschlagsliste //*Tuschundtrommelwirbel

Stellen Sie mir Fragen. Schreiben Sie Themenwünsche rein. Ich picke mir heraus, was ich mir herauspicken möchte.


Neu zum Zweiten | Christian und ich haben meine berufliche Webseite überarbeitet. Sie ist nun schlanker, Christian hat Design und Bedienbarkeit beigespachtelt, und gemeinsam haben wir einige Veränderungen vorgenommen:

Außerdem haben wir die Menüführung verbessert und die Datenschutzerklärung aktualisiert. Auf der Seminarseite ist nun besser kenntlich, welche Seminare ein konkretes Datum haben und welche ich darüber hinaus im Portfolio habe. Das hat Christian sehr gut gelöst. Überhaupt löst er die Dinge immer ideenreich und pragmatisch; ich schildere lediglich das Problem und kann ihm getrost den Rest überlassen.

Hier und da ruckelt es noch, stationär und mobil. Das ziehen wir nach und nach glatt.

Was Sie nicht sehen können: Die Seite ist nicht nur vorne schick, sondern auch hinten. Ich kann alles super bedienen. Auch dafür ein Herz-Emoji.


Auswärtsspiel | Kundentermin in Karlsruhe – das heißt: ein neues Bahnabenteuer. Oder auch nicht, denn die Fahrt war bequem und launig, überdies pünktlich, ruhig und passend temperiert. Die Fahrt nach Karlsruhe ist seit der Riedbahn-Baustelle kommod, dank einer schnellen Verbindung über Düsseldorf und Wiesbaden.

In Karlsruhe wurde ich kurz kribbelig angesichts der Möglichkeiten.

Anzeigetafel am Bahnsteig: TGV nach Marseille-St-Charles über Strasbourg

Die Rückfahrt flutschte auch: Pünktliche Abfahrt in Karlsruhe, zwei Minuten vor der Zeit in Siegburg/Bonn, dort Umstieg nach Essen, in Essen ging es direkt weiter nach Haltern. Eine Fahrt wie aus dem Werbekatalog.


Beifang | „Dat die alle diesen Kaffee saufen. Schmeckt wie Gülle, schmeckt der“, murmelte der Mann, während er am Starbucks am Düsseldorfer Hauptbahnhof vorbeischlurfte.

Auf der Rolltreppe fährt ein Mann mit zwei großen durchsichtigen Tüten. Darin Yum-Yum-Suppe – fünfzig, sechszig Packungen.


Karlsruhe | Eine Tätigkeit in handfestem Umfeld, dort wo Leute nicht (nur) an Schreibtischen arbeiten, sondern auf Schiffen, in Motorräumen, an Bahnschienen, auf Lokomotiven und auf Werksgeländen.

Blick auf einen Industriehafen. Schiffs stehen am Rand des Wassers. In der Ferne raucht ein Schornstein.

Im Kontext meines Besuchs habe ich die jüngste Geschichte des Binnenhafens in Königswusterhausen erfahren. Noch vor wenigen Jahren galt der Hafen als wirtschaftlicher Scherbenhaufen: 95 Prozent seines Umsatzes machte er mit dem Umschlag von Rohbraunkohle aus der Lausitz. Mit dem Kohleausstieg stand er vor dem Aus. Der Hafen änderte sein Geschäftsmodell zu intermodalem Containerumschlag: Jetzt werden hier industrielle Vorprodukte wie Autoteile für Tesla und Konsumgüter für Berlin vom Wasser auf den Lkw oder die Schiene verladen und umgekehrt. Außerdem vergrößerte er sich und verpachtet die Flächen erfolgreich (Bericht vom rbb). Wieder etwas gelernt.


Gehört | Warum wir O-Saft zum Frühstück trinken (via Kaltmamsell). Die Kaltmamsell wandert aktuell über die Insel Mallorca. Die Blogbeiträge sind sehr empfehlenswert. Die Reiseberichte beginnen am 18. September mit der Anreise mit Bahn und Fähre.

Gelesen | Wenn man steht, wo die Gleise enden, kann man nicht anders, als zu begreifen – ein Newsletter des Journalisten Jonas Schaible, der mit Reise-Eindrücken beginnt, sich bei Tabubrüchen und Wahlergebnissen aufhält und schließlich bei einem .

Gesehen | Du fehlst mir. Wie Kinder mit dem Tod eines Elternteils oder eines Geschwisters umgehen. Eine starke, Mut machende Reportage.

Gelesen | Wenn die Industrie nicht mehr kannn [€]

Der Stahl ist schließlich nur einer der Stoffe, die Deutschland zu einem reichen Land gemacht haben und deren Produktion hierzulande nun infrage stehen. Zu diesen Stoffen gehört auch die Kohle, dazu gehören chemische Produkte, für deren Produktion es viel Energie braucht.

Es gerät dabei nicht nur die stoffliche Welt unter Druck, sondern auch eine Methode: Deutschlands Industrieunternehmen standen lange Zeit in einer engen Verbindung miteinander. Die Stahlindustrie beliefert die Autobauer, die wiederum Kunden der Chemieindustrie sind, die bei Anlagenbauern einkaufen, die sich bei Maschinenbauern eindecken, die spezialisierte Handwerker aus der Region beschäftigen und so weiter.

Ökonomen nennen solche Netzwerke Cluster. […] „Was wir im Moment erleben, ist ein Strukturwandel, von dem nicht klar ist, in welche Richtung er geht. Sicher ist aber, dass er die bisherigen Stärken und die bisherigen Clusterbildungen in der deutschen Industrie, die auf das 19. Jahrhundert zurückgehen, durchweg infrage stellt.“


Schweine | Archivschweine aufgrund von Reisetätigkeit.

Zwei Meerschweine, leicht von unten fotografiert, sitzen in der Sonne und blick versonnen in die Gegend.


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