Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Im Zentralbüro für Erdrotation ist Leerlauf. Professorin O. Mega und ihr Assistent Euler brauchen dringend ein neues Projekt. Eulers Aktivität bei Tinder bringt Olga auf eine Idee.

*

Kernfusion! Warum ist sie nicht eher darauf gekommen? Professorin Olga Mega ist elektrisiert.

„Mein Radionuklidchen“, hat Emmet sie in ihren gemeinsamen Zeiten immer genannt, wenn sie so geladen und instabil war . „So energisch bist Du das süßeste Isotöpchen in Gottes großem Reaktor.“ Euler hingegen murmelt fortwährend etwas von „Gewitterwolke“.

Seit sie sein Liebeswerben analysiert, geht er ihr konsequent aus dem Weg. Auch heute ist er zu Dienstbeginn direkt ins Labor verschwunden. Derzeit entwirft er einen zehnschrittigen Kreiselkompassbausatz: weniger als fünfzehn Teile, montierbar mit Holzdübeln und Inbusschlüssel – ein zivilwirtschaftlicher Auftrag eines Möbelhauses.

„Haben Sie diese Nebentätigkeit angemeldet, Euler?“
„Sie haben Sie sogar genehmigt.“
„Sie werden mir hier zur sehr zur Passante. Ich sehe Sie kaum noch.“
„Dass Sie das überhaupt tangiert.“
„Euler. Ich schätze Sie. Als Mensch und als Mitarbeiter.“
„Deshalb übergehen Sie mich also immer.“
„Seit wann sind Sie so ein Sensibelchen, Euler? Lief Ihr Date mit Marie Curie nicht gut?“
„Ich möchte nicht darüber sprechen.“

Olga lehnt sich an den Chromatographiekühlschrank und wedelt mit einem Blatt Papier. „Wollen wir noch einmal unseren Forschungsantrag durchgehen?“ Sie hat nun einige Nächte über ihre neue Projektidee geschlafen und zwei Mind Maps gemalt. Bis nächste Woche muss ihre Power-Point-Präsentation für die Europäische Kommission fertig werden, damit das Antragsverfahren anlaufen kann.

Euler steckt seinen Kardanrahmen zusammen, doch die Kämmung klemmt. Versonnen fummelt er am Holz.

Olga stemmt die freie Hand in die Taille. „Euler?! Actio, Reactio?“

Er reißt die beiden Rahmenstücke wieder auseinander, atmet tief ein und sagt ohne aufzublicken: „Ihr Antrag, Professorin. Nicht unser.“
„Euler. Jetzt mal unter uns zwei Geophysikern. Ich verstehe ja, dass jede Lotabweichung Ihr Koordinatensystem durcheinander bringt. Aber wir müssen neue Geschäftsfelder erschließen. Keine Subventionsmaschinerie füttert auf Dauer zwei Mitarbeiter durch, die sich nur alle drei bis sieben Jahre mal um eine Schaltsekunde kümmern. Nicht mal die EU. Wir müssen unseren Wirkungsgrad erhöhen.“
„Aber doch nicht mit einem Puff.“
Olga schnaubt. „Nun werden Sie nicht zum Moralisten. Wir erforschen lediglich den Wirkungsquerschnitt zweier zusammenstoßender Körper. Die Wahrscheinlichkeit ihrer Verschmelzung. Endotherme und exotherme Beziehungen. Das ist interdisziplinär und international von großem Interessen. Denken Sie nicht auf der Mikro-, sondern auf der Makroebene. Nicht nur einzelne Menschen. Auch Staaten! Wir forschen für den Weltfrieden, mein Lieber.“
„Mir fehlt da noch das Packende.“
„Coreship. Elitefusion. So sollten wir es nennen.“
Euler blickt auf. „Ich bin nicht Ihre Labormaus.“
„Nur noch zwei Dates, Euler. Für die Grundlagenforschung. Wenn wir einen Weg finden, Energiegewinnung nicht nur physikalisch in einem Kernfusionsreaktor stattfinden zu lassen, sondern auch zwischenmenschlich durch die Zusammenführung zweier aneinander interessierter … äh … Isotöpchen, reliabel messbar, reproduzierbar – wir alle wissen, dass Leidenschaft Energie freisetzt. Wenn wir es schaffen, diese Energie zu transferieren, werden wir in die Geschichte eingehen! Wir müssen menschliche Wärme nur in Joule speichern und auf der Makroebene wieder freisetzen. Stellen Sie sich einmal vor: keine Kriege mehr! Dank des Mega’schen Pax-Kondensators.“
„Euler’schen.“
„Nun werden Sie nicht kleinlich.“

Fortsetzung folgt

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Alle Geschichten aus dem Zentralbüro für Erdrotation

Wo alles seinen Anfang nahm

Bütterken zum Frühstück. Eine gute und solide Sache. Wenn es allerdings auf Donnerstag und Freitag zugeht, habe ich meistens zwei Probleme: kein Brot mehr da. Nix mehr für drauf. Und irgendwie auch keine Lust mehr auf Bütterken.

Instagram-Models, Foodbloggger und Low-Carb-Paleo-Gesundheitsratgeber empfehlen für diese Situationen Dinge wie Joghurt. Mit Früchten. Oder Hüttenkäse mit Tomaten. Das ist sind total töfte Ideen – wenn es danach noch zwei Stullen gibt.

Durch Herrn Paul erfuhr ich von Overnight Oats: aufgehippsterte Haferflocken – zusammengemischtes Zeug im Glas, das über Nacht ruht.

Overnight Oats im Weckglas mit Heidelbeere und Sanddorn

Auf der Seite Overnight Oats gibt es viele Rezepte. Anfangs habe ich einige ausprobiert, inzwischen mische ich frei Schnauze.

  • 5 Esslöffel Haferflocken in ein Gefäß tun
  • Saft dazugießen, bis die Haferflocken matschig sind, aber nicht schwimmen
  • 5 Esslöffel Milchprodukt dazugeben, z.B. Joghurt, Skyr, Magerquark oder eine Mischung daraus
  • Früchte oder Fruchtartiges (z.B. Apfelmus) drauf
  • Glas verschließen und über Nacht in den Kühlschrank stellen.

Über Nacht ziehen die Haferflocken Flüssigkeit und werden schön saftig. Wem es ohne Zucker zu sauer ist, der kann ein viertel bis halbes Tütchen Vanillezucker über den Joghurt tun. Special guest: Leinsamen. Einfach auf den Joghurt streuen.

Als Saft habe ich bislang Maracuja, Orange und Traube ausprobiert, wobei mir Orange zu penetrant war. Die neueste Entdeckung ist Sanddornnektar, der überraschend super ist. Als Früchte mag ich besonders Heidelbeeren und Mango.

So ein Gläschen kommt auch am Wochenende gut – als Stütze zwischen spätem Frühstück und Abendessen – oder als kleines Mittagessen auf der Arbeit.

Und optisch – da fühle ich mich wie eine Foodbloggerin.

Das Erste, was ich mich bei diesem Buch fragte, ist: „Zigeuner? Darf man das überhaupt sagen?“

Rolf Bauerdick: Zigeuner

Rolf Bauerdick nähert sich dem Thema schrittweise. Er ist Journalist, hat unzählige Reportagereisen unternommen. Viele davon nach Ungarn, Rumänien, Bulgarien, aber auch in andere Länder. Dort hat er Zigeuner besucht: Roma, Sinti, Tzigani, Kalderasch, Ursani, Xoroxane – es gibt unterschiedliche Gruppen und Abstammungen.

In zwölf Kapiteln beschreibt Bauerdick die Lebenswirklichkeit der Zigeuner – so, wie er sie sieht, muss man anfügen, denn seine Sicht ist eine Außensicht, auch wenn er eine zeitlang mit den Menschen gelebt hat. Er beschreibt die Lebenssituationen in den Dörfern Rumäniens und Bulgariens sowie in westeuropäischen Städten. Die Umstände sind meist nicht einfach: Viele Zigeunerfamilien leben in Armut. Bauerdick berichtet von Menschen, die auf Müllkippen in unglaublichem Elend hausen, von Tzigani, die stehlen, und von vergeblichen Versuchen, sie zu integrieren.

Bauerdick hat immer einen freundlichen Blick auf die Menschen, von denen er erzählt. Er benennt aber auch deutlich Verantwortlichkeiten – sowohl auf Seite von Regierungen und Politikern, die Chancen versäumen und Fehlentscheidungen treffen, als auch auf Seiten der Zigeuner, die sich nicht an die Gesellschaftsordnung halten und Straftaten begehen.

Im achten Kapitel geht er schließlich der Frage nach, ob „Zigeuner“ ein Begriff ist, den man benutzen darf. Er nennt Für und Wider und schreibt über die

[…] Gedankenlosigkeit, westeuropäische Sinti und südeuropäische Roma ständig in einem Atemzug zu nennen. (S. 180)

Es sei keinesfalls richtig, statt von Zigeunern, einfach von „Sinti und Roma“ zu sprechen. Das seien zwei verschiedene Volksgruppen – und Tzigani eine weitere.

[…] wenn in den Innenstädten Menschen mit devoten Demutsgesten um Almosen betteln, so hocken in den Fußgängerzonen nie Sinti und Roma, auch wenn die Medien das immer wieder vermelden. Die Bettler sind meist rumänische Tzigani. (S. 180)

Zahlreiche Zigeuner, von denen er berichtet, seien stolz, Zigeuner zu sein – und verfolgen die Debatte um politische Korrektheit mit Amusement. Bauerdick zitiert den Jazzmusiker Markus Reinhardt:

Ihr dürft uns  Zigeuner nennen. Die Vorsicht im Umgang mit dem Wort ist Blödsinn. Die neuen Begriffe haben Politiker erfunden. Wir Zigeuner haben uns krummgelacht, als man entschieden hat, dass man nicht mehr Zigeuner sagen darf. (S. 176)

Rolf Bauerdicks „Zigeuner“ ist Buch, das ich mit Interesse gelesen habe. Nach hinten raus geht ihm allerdings etwas die Puste aus, und es wird redundant. Insgesamt aber ein guter Einstieg, um sich dem Thema zu nähern.

Mich würde nun interessieren, wie ein Sinto oder eine Romni das Buch liest.

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Das Buch wurde mir zur Rezension zur Verfügung gestellt. Ich rezensiere nur Bücher, die ich mir auch gekauft hätte.

Johannes Korten schreibt über Glück, und ich muss ihm widersprechen.

Es gibt kaum Schöneres, als Kinder beim Glücklichsein zu beobachten. Es ist schade, dass uns diese wunderbare Gabe offenbar irgendwann mit dem Erwachsenwerden abhanden kommt. […] Wenn wir Erwachsenen uns mit unserem Glück beschäftigen, taucht der Begriff fast immer in der Kombination mit dem Wörtchen „Suche“ auf.

Glück ist der Zustand jener Vollkommenheit, den wir auch als Erwachsene erreichen, wenn wir für einen Augenblick unsere Vergangenheit loslassen und nicht an die Zukunft denken.

Es kommt immer dann, wenn wir nichts erwarten – weshalb es umso großartiger ist. Doch der Moment ist flüchtig; und um ihn aktiv herbeizuführen, sind wir zu sehr die Summe unserer Erfahrungen. Deshalb können wir das Glück zwar suchen, aber niemals finden – es findet höchstens uns.

Was wir selbst finden können, ist einzig Zufriedenheit: das Wissen, dass wir mit unserem Tun etwas bewirken; das Gefühl, dass wir unseren Bedürfnissen genüge tun.

Allerdings: Nur wenn wir wissen, was wir möchten, können wir suchen, was wir brauchen. Wir können wachsen an unseren Schritten; und manchmal entschließen wir uns gar, das Ziel unseres Weges vorzuverlegen, weil es auf der Etappe bereits so schön ist.

Das Glück ist da, wenn man es zulässt, dass es da ist. Es liegt am Ende vor allem in uns. […] Glück ist […] eine Frage der Haltung.

Glück ist keine Frage des Wollens, und auch Zufriedenheit ist es nicht. Zufriedenheit ist lediglich die Folge von Bestätigung, die wir erlangen – durch uns selbst oder durch andere.

Eine oft vorgetragene Annahme ist, wir müssten nur unsere Einstellung ändern, dann sei auch die elendste Situation mit Genügsamkeit zu ertragen. Doch das ist anmaßend und empathielos. Sofern wir uns auf unsere tatsächlichen Bedürfnisse konzentrieren und nicht nur auf ihre materiellen Ausprägungen, sind wir machtlos gegenüber Momenten großen Unglücks, Phasen der Trauer und der Ausweglosigkeit, Zeiten der Not, in der keine innere Haltung hilft, weil für die Haltung der Halt fehlt, und nur eine -ung bleibt, die niemanden zum Anlehnen hat.

Was dann allein hilft, ist Beistand. Der uns so lange stützt, bis wir wieder alleine stehen können, um unseren Weg weiterzugehen.

Catherine McKenzie: Letzte Nacht

Ein Mann stirbt. Zwei Frauen trauern.

Jeff Manning kommt bei einem Autounfall ums Leben. Er hat eine Frau und einen Sohn, Claire und Seth. Doch nicht nur die beiden trauern um ihn. Auch für Tish, eine Arbeitskollegin, bricht eine Welt zusammen. Sie fährt zur Beerdigung – als Abgesandte der Firma und als Vertraute Jeffs.

Ein gutes Buch?

Mir hat es gefallen. Es ist keine hohe Literatur, auch die Tiefe der Figuren ist überschaubar, die Handlung entwickelt sich ohne große Überraschungen. Aber die Geschichte hat mich gut unterhalten. Ich habe sie innerhalb weniger Tage durchgelesen, wollte unbedingt wissen, wie sie endet, und so soll es ja auch sein. Kategorie: solide Strand- und Bahnfahrlektüre fürs Lesen ohne Nachdenken.

Randbemerkung

„Letzte Nacht“ ist genau die Art von Büchern, die ich zwischendurch sehr gerne lese, deren AutorInnen mich aber mit einem Stilmittel an den Rand des Wahnsinns treiben: das Sich-selbst-Korrigieren.

„Es geht nicht auf. Ich kann Claire und Seth einfach nicht aus der Gleichung streichen. Aber – und du ahnst nicht, wie schwer mir das fällt – wenn ich dich aus der Gleichung streiche, geht sie auf. Dann gibt es eine Lösung. Zumindest denke ich das.“ (S. 385, Fettung von mir)

Ich krieg‘ Puls! Die Hauptfigur zieht Schlussfolgerungen und dann: Handbremse! Ich möchte in diesen gefühlsduseligen Büchern einmal erleben, dass eine Hauptfigur eine wichtige Sache denkt, schreibt oder sagt und dann kein „zumindest“ nachschiebt. Lieber Lektorinnen und Lektoren – ich flehe Euch an, auf Knien: Tötet das Wort „zumindest“!

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Das Buch wurde mir zur Rezension zur Verfügung gestellt. Ich rezensiere nur Bücher, die ich mir auch gekauft hätte.

Professorin O. Mega ist frustriert. Vor sechs Monaten hat sie einen nordkoreanischen Despoten überlistet und der Welt die Schaltsekunde gerettet – doch niemand hat davon Kenntnis genommen. Sie zitiert ihren Assistenten zu sich.

„Kommen Sie her, Euler“, sie wedelt mit dem Zeigefinger und deutet auf den Konferenztisch, auf dem trockene Kekse oxidieren. „Setzen Sie sich. Wir müssen etwas besprechen.“

Euler trottet heran, lässt sich in Poäng fallen und wippt sacht vor und zurück. Ohne den Blick zu heben, holt er sein Mobiltelefon aus der Tasche. Seit er bei Tinder ist, klebt ihm das Ding an der Hand.

„Wir müssen etwas für unsere Reputation tun.“ Olga beugt sich vor. „Niemand hat mitgekriegt, dass wir die Welt vor zeitlicher Unwucht gerettet haben. Nicht einmal Blogleser. Das müssen wir ändern.“

„Wir mussten die Sache geheim halten. Anweisung von oben.“
„Mag sein. Aber jetzt brauchen wir Publicity. Nur so fließen weiter Subventionen.“

Euler blickt vom Telefon auf. „Wir brauchen ein neues Projekt. Seit Ende Juni tun wir nichts weiter, als die Erdrotation zu beobachten, um die nächste Schaltsekunde zu bestimmen.“

„Oder Schaltstunde, Euler. Ich bin dafür, etwas mehr Pfiff in die Sache zu bringen und der Menschheit im Jahr 2600 eine ganze Stunde zu schenken – statt zwischendurch immer mal eine Sekunde. Was glauben Sie, was dann hier los ist? Allein die Arbeitnehmervertreter werden sich an dem Thema wochenlang abarbeiten.“

Euler schaut wieder auf sein Handy, wischt mit dem Daumen über das Display. „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“, murmelt er. „Das ist es doch, was diese einfältigen Leute wollen.“

„Sie schließen zu sehr von sich auf andere, Euler!“ Olga deutet auf sein Smartphone. „Stecken Sie mal die Liebe weg und denken Sie mit dem Kopf.“ Sie steht auf und stolziert im Raum auf und ab. Im Vorbeigehen gibt Sie dem Kugelstoßpendel einen Impuls. „Wir brauchen etwas, das die Leute bewegt.“ Klack, klack, klack.

Euler tippt mit beiden Daumen auf dem Display herum.

„Mit wem schreiben Sie da eigentlich?“
„Sie nennt sich Maria Curie.“
„Wie einfallsreich. Und Sie sind? Becquerel?“
Er wird rot.
Sie kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Geben Sie’s zu: Sie sehnen sich nach dem Röntgenblick.“
Er schaut verschämt in seinen Schoß. „Sie überschätzen meine Libido, Frau Professor.“
Euler und Libido in einem Satz. Sie geht zum Kugelstoßpendel. Klack, klack. Elastische Stöße. Knick, Knack. Euler.

Diese Bilder. Sie muss sich ablenken. „Was sie auf dem Leibe hat, ist vier mal Pi mal R Quadrat.“ Nein, das hilft nicht. „Was kugelt da an mir vorbei? Vier Drittel Pi mal R hoch drei!“ Es muss abstrakter sein. Ihre Gedanken brauchen Erdung. „Wenn du kennen willst Ampere, teile einfach U durch R.“

„Wie wäre es mit El Niño als nächstes Projekt, Euler? Meinen Sie, wir könnten uns da ranhängen? … Euler!“

Er blickt vom Handy auf. „El Niño? Was soll ich mit El Niño? Ich bin doch kein Wetterfrosch.“
„Wenn wir die Winkelgeschwindigkeit verändern?“
Er macht eine wegwerfende Handbewegung.
„Die Passatwinde?“
Er blickt aus dem Fenster. „Wissen Sie, was mich beschäftigt?“ Er seufzt leise. „Wir Singles … sind wir nicht alle positiv geladene Kerne? Wir wollen einander, wir sehnen uns nach Fusion, und doch gibt es diese Kraft, deretwegen wir nicht zueinander finden.“

Olga breitet die Arme aus, als wolle sie ihn segnen. „Sie sind ein Genie!“ Sie nimmt seinen Gesicht in beide Hände. „Zwei Menschen! Wie zwei Atomkerne! Der Coulombwall! Kernfusion! Ich könnte Sie küssen!“

Er schaut sie verstört an.

Sie lässt von ihm ab. „War nur so ein Gedanke.“

Eulers Handy piept. „Marie will mich treffen“, sagt er.
„Das machen wir zum Geschäftsmodell, Euler. Jetzt im Frühjahr. Das ist unsere Chance!“

Fortsetzung folgt.

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Alle Geschichten aus dem Zentralbüro für Erdrotation

Wo alles seinen Anfang nahm

Twitterlieblinge 01/2016:

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Sechs Sprachen spreche sein Kumpel, sagt er. Sechs! Er hält die gespreizte Hand und einen Daumen hoch und deutet mit einem Kopfnicken auf den alten Mann, der neben ihm auf dem Gehsteig steht.

Bulgarisch und Serbisch und Rumänisch. Und Türkisch. Und Russisch. Und Deutsch natürlich. Obwohl, naja, Deutsch, damit sei es so eine Sache. Aber verstehen könne er alles, sagt er und rammt dem Alten, der Ioan heißt, den Ellbogen in die Seite.

Ioan brummt, stopft sich Blätterteiggebäck in den Mund und leckt sich die Finger ab. Er ist auf eine Art und Weise alt, bei der man das Alter nicht schätzen kann; Almöhi-alt – wie jemand, der niemals jung war. Sein Gesicht ist gegerbt und sein Haar grau, aber nicht erst seit gestern grau; es ist ein erfahrenes, struppiges Grau. Ich sehe ihn hier im Viertel öfter – meist wenn er auf seinem zu kleinen Fahrrad fährt. Dann tritt er sich mit den Knien in den Bauch, sein Oberkörper hängt gebeut über dem Lenker, so wie ein Rennfahrer, wenn er den Berg hinunter brettert – nur dass Ioan gerade so schnell fährt, dass er nicht umfällt.

Warum sprichst du so viele Sprachen?, frage ich und sehe Ioan an.

„Ich gewachsen“, sagt er, schiebt sich Blätterteig in den Mund und schmatzt vernehmlich. „Bei Grenze. Bulgaria und Serbia und Romania.“ Er malt einen Kreis in die Luft und sticht mit dem Finger hinein. „Aber Vater“, er deutet auf sich, „Vater türkisch. Mama Bulgaria. Freunde Bulgaria und Serbia und Romania. Ich – alles.“ Er wischt sich die Hand an der Hose ab. „Und dann, Russia. Ich -„, er marschiert mit Zeige- und Mittelfinger durch die Luft, „Sibiria. Häuser bauen für Arbeiter. Gas. Nowij Urengoj. 16 Jahre.“

Und nach Deutschland, sagt sein Freund, bist du wegen der Liebe gekommen, oder? Er stupst Ioan wieder in die Seite. Wegen der Liebe bist du doch hergekommen.

Ioan errötet und lächelt verlegen, seine hundert Falten knittern. „Liebe, Frankfurt, ja. Dann, Dortmund. Zehn Jahr, hier.“

Und die Liebe?, frage ich. Ist die jetzt auch in Dortmund?

Ioan schüttelt den Kopf. „Große Liebe, hier“, er klopft sich mit der Faust auf seine Brust. „Da ist Liebe. Für Frauen. Alle Frauen.“ Er lacht.

Ich lache auch. Ioan zwinkert mir zu, und sie machen sich wieder an die Arbeit.

Herr Paul hat mir elf Fragen gestellt.

Welches Lied hören Sie momentan am liebsten?

Aktuelle Playlist:

  • Parov Stelar: Bootie Swing
  • Plain White T’s: Big Bad World
  • Huecco: Dame Vída
  • Ralf Hildenbauer & Stevie B-Zet: Dorozhnaya (feat. Anvar)
  • Alvaro Solar: El Mismo Sol
  • AnnenMayKantereit: Oft gefragt
  • Leprikonsi: Chicks don’t fall in love with me
  • Dropkick Murphys: The State of Massachussets
  • Damien Rise: Rootless Tree
  • Fiddler’s Green: Bugger off
  • Flatfoot 56: I Believe It
  • David Guetta: Hey Mama
  • Vanessa Maurischat: Alles auf Anfang
  • Dropkick Murphys: The Boys are Back
  • NOFX: Champs Elysees
  • K.I.Z.: Hurra die Welt geht unter
  • Bedouin Soundclash: When The Night Feels My Song
  • Karpatenhund: Zusammen verschwinden
  • Wallis Bird: 6ft. 8

Ziehen Sie sich nach der Arbeit um (raus aus den Jeans, rein in die bequemen Jogger)?

Bluse aus, Hoodie an.

Zu welcher Uhrzeit würden Sie am liebsten arbeiten?

So von 10 bis 12 vielleicht? Ein über den anderen Tag?

Wie viele Stunden pro Tag/Woche/Monat würden Sie gern arbeiten?

Das wären dann 5 Stunden pro Woche, oder?

Nee, mal ernsthaft. Ich finde, dass Teilzeit ein attraktives Modell ist: die Hälfte der Arbeitszeit abhängig beschäftigt, die andere Hälfte selbstständig. Am besten nicht halbtags, sondern im abgeschlossenen Zyklen: eine Woche so, eine Woche so – oder gerne auch ein halbes Jahr so, ein halbes Jahr anders. Ich kann mir da vieles vorstellen.

Irgendwann vielleicht.

Wie sieht ein gelungener Tag für Sie aus?

Variante 1: Ohne Wecker aufwachen. Noch liegenbleiben. Lesen. Aufstehen. Frühstück mit frischen Brötchen. Freunde treffen. Zeit miteinander verbringen, reden, spazieren gehen, Sport machen. Schreiben, bloggen, irgendwas erledigen. Abendessen. Mit Buch ins Bett.

Variante 2: Aufstehen vor Sonnenaufgang. Aufbruch zur Bergbesteigung. Dinge zusammensuchen, Sachen packen, Frühstück. Losgehen in der Dunkelheit. Die Sonne geht auf. Aussicht auf Tal und Himmel. Frische Luft. Weiter aufsteigen. Den Gipfel erreichen. Panorama genießen. Brotzeit machen. Abstieg. Ankommen. Abendessen.

Variante 3: Wecker. Aufstehen. Zur Arbeit. Heute Projekt-Launch. Schneller Mail-Check. Konzentration. Kurzmeeting. Go Live. Kommunikation. Trouble Shooting. Handshake. Teamarbeit. Tagesabschluss.

Was würden Sie mit Ihrer Zeit anfangen, wenn Ihr Lebensunterhalt gesichert wäre?

Freundschaften pflegen. Für andere da sein. Reisen. Menschen treffen. Bücher schreiben. Bloggen. Sprachen lernen. Gärtnern. Völker verständigen. Komplizierte Legosachen zusammenbauen. Leute bekochen. Bahn fahren und aus dem Fenster sehen.

Was halten Sie von einem bedingungslosen Grundeinkommen?

Spannende Frage und spannendes Thema. Ich habe dazu keine abschließende Meinung, finde den Gedanken aber wert, sich damit zu beschäftigen. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass die Menschen ihre Erwerbstätigkeit nicht einstellen werden und auch die Wirtschaft nicht zusammenbricht, wenn es ein Grundeinkommen gibt. Die abhängige Arbeit bekäme aber einen anderen Stellenwert – ebenso wie Familienarbeit, die vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten, Pflege von Angehörigen. Ich habe allerdings keine Ahnung, ob das Modell realistisch ist.

Wie besiegen Sie Ihren inneren Schweinehund?

Was den Sport angeht, ist der Schweinehund nicht sehr groß.

Ich habe einen großen Dokumente-Sortier-Schweinehund. Sie wissen schon, dieser Stapel aus Rechnungen, Kontoauszügen, Versicherungsunterlagen. Hier kann ich lediglich Teilerfolge erringen, indem ich nach Monaten erfolgreichen Aufeinanderhäufens auf erdrutschartig niedergesunkene Stapel reagiere und konsterniert abhefte, ehe sie Mobiliar flächig unter sich begraben.

Wie kaufen Sie ein? Einmal groß für mehrere Tage oder jeden Tag eine Kleinigkeit?

Freitags oder Samstags. Selten an anderen Tagen nochmal, es sei denn, ich möchte etwas Bestimmtes kochen oder brauche aus anderem Grund Dinge frisch.

ÖPNV oder Auto?

Beides. Der ÖPNV ist eine prima Erfindung. Solange man sich nur innerhalb einer Großstadt bewegt, ist es  nicht notwendig, ein eigenes Auto zu unterhalten. Sobald man die Großstadt aber verlässt oder ohnehin auf dem Land wohnt, ist die Sache mit dem ÖPNV aber weniger schön. Also ein Sowohl-als-auch, kein Entweder-Oder. Im Übrigen habe ich auch durchaus Spaß an schönen Autos – ebenso wie am Bahnfahren.

Hören Sie Podcasts und wenn ja, welche?

Diese Frage habe ich beim Thema „Hörbücher“ beantwortet: WDR und Deutschlandfunk.

Die Regeln sehen nun vor, dass ich mir elf Fragen ausdenke, die dann wiederum jemand anders beantwortet. Nun gut:

  1. Lieblingskuchen?
  2. Wenn ich nicht meinen aktuellen Beruf ausübte, wäre ich …
  3. Schonmal vom Zehner gesprungen?
  4. Welche Sprache(n) würdest du gerne lernen?
  5. Berge oder Meer?
  6. Wer hat dir schwimmen beigebracht?
  7. Und Fahrradfahren?
  8. Drei Reiseziele für die nächsten 10 Jahre:
  9. Angela Merkel?
  10. Parfum/Eau de toilette? Falls ja, welches?
  11. Dschungelcamp – ja oder nein?

Falls sie mögen, reiche ich weiter an die Frische Brise, die Kaltmamsell, Christian vom Jawl und Micha.

Eine Sache fehlt noch, um das Jahr 2015 abzuschließen: die Bücher des letzten Quartals. Gelesen und gehört im Oktober, November und Dezember 2015:

Bücher Ende 2015

Gerbrand Bakker. Birnbäume blühen weiß
(Deutsch von Andrea Kluitmann)
Klass und Kees sind Zwillinge. Gemeinsam mit ihrem Bruder Gerson sind sie ein eingeschworenes Team. Dann passiert ein Unfall und Gerson erblindet. Ein kleines Buch, nur 140 Seiten dick. Besonderer Clou ist die besondere Form der Ich-Erzählung: Klass und Kees erzählen in der Wir-Form. Hat gefallen.

Zsusza Bánk. Die hellen Tage
Das Mädchen Seri lebt in Süddeutschland. Ihre beste Freundin ist Aja, die aus einer ungarischen Artistenfamilie stammt. Aja wohnt mit ihrer Mutter in einer Baracke am Stadtrand; der Vater kommt einmal im Jahr. Die beiden Mädchen verbringen Tag und Tag im Garten; später kommt Karl hinzu. Der Junge, dessen Bruder verschwunden ist, verliert den Halt in seiner Familie und findet ihn bei Seri und Aja. Es ist eine leise Geschichte, die bis ins junge Erwachsenenalter Seris, Ajas und Karls führt. Es ist aber nicht nur eine Geschichte über die Kinder, sondern auch über die Mütter. Schön.

Judith Lennox. An einem Tag im Winter
Ellen ist Naturwissenschaftlerin. Sie bekommt eine Stelle im Cambridgeshire; es sind die 1950er Jahre, Frauen sind als Wissenschaftlerinnen noch nicht sehr präsent. Dann stirbt einer der älteren Professoren und ein Verwirrspiel beginnt. Ellen ist sich im Gegensatz zur Polizei sicher, dass es kein Unfall war. Ein launiger Roman, der sich aber nicht entscheiden kann, ob er sich nun dem Kriminalfall oder der Wissenschaftsgesellschaft widmen möchte. Die ganz große Spannung bleibt deshalb auf der Strecke.

Javier Marías. Mein Herz so weiß
(Deutsch von Elke Wehr)
Teresa ist gerade von ihrer Hochzeitsreise zurückgekehrt. Sie erhebt sich vom Esstisch ihrer Eltern, geht ins Bad und erschießt sich. Ihr Mann Ranz heiratet danach wieder: ihre Schwester Juana. Die Geschichte erzählt die Liebe der beiden, das Mysterium um den Tod Teresas. Erzähler ist der Neffe Teresas – Sohn von Ranz und Juana. Er geht dem Tod seiner Tante nach. Ein sehr literarischer Roman, der sich für meinen Geschmack aber bisweilen etwas zu sehr in sich selbst verliert.

Fabio Volo. Esco a fare due passi
Ich bin bekennender Fabio-Volo-Fan, wobei ich jetzt, nachdem ich mehrere Bücher von ihm gelesen habe, gut erkennen kann, mit welchen Büchern er das Schreiben begonnen und wie er sich weiterentwickelt hat. „Esco a fare due passi“ ist eines der älteren Bücher, geschrieben 2001. Es geht um Nico, der Ende 20 und Radio-DJ ist. Das Buch ist ein Brief Nicos an sich selbst – an sein eigenes Ich in fünf Jahren. Er erzählt von seinem bisherigen Leben und wie er es empfindet. Ein typischer Volo: Mann, um die 30, der in seinen eigenen Augen wenig erreicht hat, der bislang wenig verantwortungsbewusst war, keine längere, feste Beziehung hatte und Selbstzweifel hat. Das Buch kann nicht mit anderen mithalten, z.B. „Il tempo che vorrei“, lässt sich aber gut lesen.

Meg Wollitzer. The Interestings.
(Deutsch: Die Interessanten)
Die Geschichte von Julia Jacobson. Und die Geschichte ihrer Freunde Ethan, Jonah, Cathy, Ash und Goodman. Die New Yorker Teenager lernen sich während eines Feriencamps kennen. Meg Wolitzer erzählt die Freundschaft der Sechs bis ins höhere Erwachsenenalter hinein. Ein gut zu lesender Gesellschaftsroman über Freundschaft, Erwachsenwerden und das, was man im Leben möchte.

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Elektronisch gelesen

Bov Bjerg. Auerhaus
Hoch gelobt, zuletzt sogar im Literarischen Quartett. Doch wie es mit vielen hoch gelobten Büchern ist, habe ich auch mit diesem meine Schwierigkeiten. Die Geschichte spielt in den 80ern. Erzählt wird sie aus der Sicht von Höppner; er ist Abiturient. Sein Schulkamerad Frieder wollte sich umbringen, hat es aber nicht geschafft. Frieder und Höppner ziehen gemeinsam mit ein paar anderen Leuten in ein altes, baufälliges Haus: Frieder soll keinen neuen Versuch starten. Schule läuft nebenher. Sie trinken schlechten Rotwein, nehmen Drogen, hängen ab. Mich haben die Charaktere fürchterlich angenervt; ich kann mit Teenager-Anarchie nichts anfangen. Warum man Alkohol trinken, Joints rauchen und schlecht in der Schule sein muss, um Revoluzzer zu sein, weiß ich auch nicht. Ich glaube, ich bin nicht Zielgruppe.

Emma Healey. Elizabeth wird vermisst
(Deutsch von Rainer Schumacher)
Eine Ich-Erzählung aus Sicht einer Alzheimer-Erkrankten: Maud ist betagt und vergisst immer mehr – wo sie zuletzt war, was sie getan hat, was Menschen ihr erzählt haben. Sie versucht, ihre Defizite zu vertuschen, schreibt sich Zettel. Doch es hilft nichts; sie kann ihre Notizen schon Minuten später nicht mehr nachvollziehen. Sie versteht auch nicht, was mit ihrer Freundin Elizabeth los ist; Elizabeth ist fort. Maud beginnt, sie zu suchen, und wird zunehmend verzweifelter. Parallel dazu rutschen Mauds Gedanken immer wieder in die Vergangenheit, als kurz nach dem Krieg ihre Schwester verschwand. Etwas vorhersehbar, aber insgesamt eine gut zu lesende Geschichte.

Ruth Herzberg. Wie man mit einem Mann glücklich wird
Ein fragmentarisches Buch: Gedankenblitze, Anekdoten, kurze Texte mit absurden Wendungen. Teils stark, teils sehr experimentell. Muss man mögen.

Jojo Moyes. Ein ganzes halbes Jahr
(Deutsch von Karolina Fell)
Louisa ist irgendwas Mitte 20, und als das Café zumacht, in dem sie arbeitet, sucht sie einen neuen Job. Sie landet bei Will, der Tetraplegiker ist, und den sie sechs Monate lang bei Laune halten soll. Das erweist sich als nicht ganz einfach: Will hat nach seinem Unfall keinen Lebensmut mehr und möchte sterben. Louisa macht es sich zur Aufgabe, ihn vom Leben zu überzeugen. Wie naiv Louisa ist und wie sie Will bevormundet, ist allerdings schwierig zu ertragen. Das Buch ist voll von Stereotypen und Ableismus. Moyes‘ Stil ist noch dazu extrem schlicht; nicht, dass ich einen einfachen Schreibstil nicht schätzen würde, aber das ist mir dann doch zu banal. Andererseits: Die permanente Bevormundung durch die Autorin lässt einen Wills Situation gut nachvollziehen.

Victoria Schwartz. Wie meine Internet-Liebe zum Albtraum wurde
Die Geschichte von Victoria Schwartz hatte ich seinerzeit, als sie sie in ihrem Blog veröffentlichte, im Augenwinkel mitbekommen. Im Oktober dieses Jahres erschien ihr Buch dazu. Es geht um Real-Fakes: Menschen, die sich im Internet eine eigene Identität aufbauen, um andere um des Täuschens willen zu täuschen – und das mit großem Aufwand. Victoria verliebte sich damals im Internet in einen Mann; der Kontakt war innig, er übersandte sogar Geschenke, die beiden teilten Gedanken und Interessen und viel Zeit miteinander. Sie telefonierten stundenlang, doch ein persönliches Treffen blieb aus. Irgendwann war klar, warum: Die Person als solche gab es nicht. Im Buch erzählt Victoria Schwartz die Geschichte vom Kennenlernen bis zur Entdeckung: ein unglaublicher Krimi, den ich verschlungen habe. Im zweiten Teil liefert sie außerdem ein paar Hintergründe, unter anderem ein Interview mit einer Psychologin. Absolut lesenswert.

Curtis Sittenfeld. Prep
(Deutsch: Eine Klasse für sich)
Lee Fiora kommt aus dem mittleren Westen. Sie bekommt ein Stipendium für die Bostoner Elite-High-School Ault – und kommt als Außenseiterin in die Welt der Reichen und Privilegierten. Curtis Sittenfeld, deren „Frau des Präsidenten“ mir schon sehr gut gefallen hat, erzählt sehr fein, intelligent und mit guter Beobachtungsgabe die Geschichte von Lee und ihren Klassenkameraden. Sie urteilt nicht, sie beschreibt. Sie teilt nicht in Gut und Böse – auch Lee hat negative Charaktereigenschaften, an denen man sich als Leser reiben kann.  Hervorragend.

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Gehört:

Susanne Fröhlich, Constanze Kleis. Frau Fröhlich sucht die Liebe
Sich neu verlieben mit fünfzig Jahren: Susanne Fröhlich und Constanze Kleis erzählen von ihren Erfahrungen auf dem Single-Markt. Das ist sehr vergnüglich und genau das Richtige für eine Autofahrt. Es geht natürlich um Singlebörsen im Internet und ums Kennenlernen via Mail und Messages, aber auch um Versuche im realen Leben, um Speed-Dating und das spontane Treffen an der Käsetheke. Es wird nicht nur auf Männern herumgehackt, sondern auch auf Frauen: Die beiden tarnen sich zu Recherchezwecken auch als Herren und was sie erleben, ist erhellend. Zu empfehlen.

Wolff-Christoph Fuss. Diese verrückten 90 Minuten
Kommentator Wolff-Christoph Fuss erzählt vom Leben mit dem Fußball, aus beruflicher Sicht und im Allgemeinen. Leider konnte ich den Ausführungen nicht lange folgen. Herr Fuß trägt in einem so laut-machohaften, besserwisserischen Ton vor, dass ich abgeschaltet habe.

Werner Gruber, Martin Puntigam, Heinz Oberhummer. Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln: Was wir von Tieren über Physik lernen können
Die Science Busters über Tiere und ihre Fähigkeiten, über den Menschen und was ihm abgeht: ein kurzweiliges Œuvre, vorgelesen und im Dialog gesprochen. Wir erfahren etwas über die Spiegelneuronen von Hunden, über die Fäkalien von Pingiunen, Juwelenkäfer und  Schrödingers Katze. Ab und an wirken die Kalauer etwas bemüht, aber alles in allem eine schöne Sache für Spaziergänge, Autofahrten oder fürs Bügeln.

Arnaldur Indriðason. Menschensöhne
(Gelesen von Frank Glaubrecht, Deutsch von Coletta Bürling)
Ein pensionierter Lehrer wird in der Innenstadt von Reykjavík brutal ermordet. Zur gleichen Zeit begeht einer seiner ehemaligen Schüler in der psychiatrischen Klinik Selbstmord. Erlendur und seine Kollegen begeben sich auf die Suche nach dem Zusammenhang. Leider aber ist die Geschichte nicht sehr gut: Ich habe den Eindruck, immer, wenn ein Krimi-Autor nicht weiterweiß, erfindet er entweder einen irren Massenmörder oder Menschenexperimente durch die Pharmaindustrie.

Thomas Kistner. Schuss: Die geheime Dopinggeschichte des Fußballs
(Gelesen von Julian Ignatowitsch)
Journalist Thomas Kistner zeigt anhand von Beispielen, wo und wie im Fußball gedopt wird und wie Schmerzmittel und andere Medikamente eingesetzt werden. Er trägt dabei eine beeindruckende Faktensammlung zusammen, deren einzelne Punkte vielleicht nicht erwähnenswert wären, die in der Gesamtheit aber ein deutliches Bild zeichnen. Dabei sind absurde Geschichten rund um den Brasilianer Ronaldo, Indizien zu den Helden von Bern und zu Spitzenkickern der italienischen, aber auch der deutschen Liga. Zudem liefert er Hintergründe, wie Dopingmittel wirken – das lässt so manche Verletztengeschichte in der Bundesliga in anderem Licht erscheinen. Gut gelesen von Julian Ignatowitsch.



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