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Im Zentralbüro für Erdrotation: Neue Geschäftsfelder

23. 02. 2016  •  2 Kommentare

Im Zentralbüro für Erdrotation ist Leerlauf. Professorin O. Mega und ihr Assistent Euler brauchen dringend ein neues Projekt. Eulers Aktivität bei Tinder bringt Olga auf eine Idee.

*

Kernfusion! Warum ist sie nicht eher darauf gekommen? Professorin Olga Mega ist elektrisiert.

„Mein Radionuklidchen“, hat Emmet sie in ihren gemeinsamen Zeiten immer genannt, wenn sie so geladen und instabil war . „So energisch bist Du das süßeste Isotöpchen in Gottes großem Reaktor.“ Euler hingegen murmelt fortwährend etwas von „Gewitterwolke“.

Seit sie sein Liebeswerben analysiert, geht er ihr konsequent aus dem Weg. Auch heute ist er zu Dienstbeginn direkt ins Labor verschwunden. Derzeit entwirft er einen zehnschrittigen Kreiselkompassbausatz: weniger als fünfzehn Teile, montierbar mit Holzdübeln und Inbusschlüssel – ein zivilwirtschaftlicher Auftrag eines Möbelhauses.

„Haben Sie diese Nebentätigkeit angemeldet, Euler?“
„Sie haben Sie sogar genehmigt.“
„Sie werden mir hier zur sehr zur Passante. Ich sehe Sie kaum noch.“
„Dass Sie das überhaupt tangiert.“
„Euler. Ich schätze Sie. Als Mensch und als Mitarbeiter.“
„Deshalb übergehen Sie mich also immer.“
„Seit wann sind Sie so ein Sensibelchen, Euler? Lief Ihr Date mit Marie Curie nicht gut?“
„Ich möchte nicht darüber sprechen.“

Olga lehnt sich an den Chromatographiekühlschrank und wedelt mit einem Blatt Papier. „Wollen wir noch einmal unseren Forschungsantrag durchgehen?“ Sie hat nun einige Nächte über ihre neue Projektidee geschlafen und zwei Mind Maps gemalt. Bis nächste Woche muss ihre Power-Point-Präsentation für die Europäische Kommission fertig werden, damit das Antragsverfahren anlaufen kann.

Euler steckt seinen Kardanrahmen zusammen, doch die Kämmung klemmt. Versonnen fummelt er am Holz.

Olga stemmt die freie Hand in die Taille. „Euler?! Actio, Reactio?“

Er reißt die beiden Rahmenstücke wieder auseinander, atmet tief ein und sagt ohne aufzublicken: „Ihr Antrag, Professorin. Nicht unser.“
„Euler. Jetzt mal unter uns zwei Geophysikern. Ich verstehe ja, dass jede Lotabweichung Ihr Koordinatensystem durcheinander bringt. Aber wir müssen neue Geschäftsfelder erschließen. Keine Subventionsmaschinerie füttert auf Dauer zwei Mitarbeiter durch, die sich nur alle drei bis sieben Jahre mal um eine Schaltsekunde kümmern. Nicht mal die EU. Wir müssen unseren Wirkungsgrad erhöhen.“
„Aber doch nicht mit einem Puff.“
Olga schnaubt. „Nun werden Sie nicht zum Moralisten. Wir erforschen lediglich den Wirkungsquerschnitt zweier zusammenstoßender Körper. Die Wahrscheinlichkeit ihrer Verschmelzung. Endotherme und exotherme Beziehungen. Das ist interdisziplinär und international von großem Interessen. Denken Sie nicht auf der Mikro-, sondern auf der Makroebene. Nicht nur einzelne Menschen. Auch Staaten! Wir forschen für den Weltfrieden, mein Lieber.“
„Mir fehlt da noch das Packende.“
„Coreship. Elitefusion. So sollten wir es nennen.“
Euler blickt auf. „Ich bin nicht Ihre Labormaus.“
„Nur noch zwei Dates, Euler. Für die Grundlagenforschung. Wenn wir einen Weg finden, Energiegewinnung nicht nur physikalisch in einem Kernfusionsreaktor stattfinden zu lassen, sondern auch zwischenmenschlich durch die Zusammenführung zweier aneinander interessierter … äh … Isotöpchen, reliabel messbar, reproduzierbar – wir alle wissen, dass Leidenschaft Energie freisetzt. Wenn wir es schaffen, diese Energie zu transferieren, werden wir in die Geschichte eingehen! Wir müssen menschliche Wärme nur in Joule speichern und auf der Makroebene wieder freisetzen. Stellen Sie sich einmal vor: keine Kriege mehr! Dank des Mega’schen Pax-Kondensators.“
„Euler’schen.“
„Nun werden Sie nicht kleinlich.“

Fortsetzung folgt

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Alle Geschichten aus dem Zentralbüro für Erdrotation

Wo alles seinen Anfang nahm

Im Zentralbüro für Erdrotation: Frühjahrspläne

3. 02. 2016  •  5 Kommentare

Professorin O. Mega ist frustriert. Vor sechs Monaten hat sie einen nordkoreanischen Despoten überlistet und der Welt die Schaltsekunde gerettet – doch niemand hat davon Kenntnis genommen. Sie zitiert ihren Assistenten zu sich.

„Kommen Sie her, Euler“, sie wedelt mit dem Zeigefinger und deutet auf den Konferenztisch, auf dem trockene Kekse oxidieren. „Setzen Sie sich. Wir müssen etwas besprechen.“

Euler trottet heran, lässt sich in Poäng fallen und wippt sacht vor und zurück. Ohne den Blick zu heben, holt er sein Mobiltelefon aus der Tasche. Seit er bei Tinder ist, klebt ihm das Ding an der Hand.

„Wir müssen etwas für unsere Reputation tun.“ Olga beugt sich vor. „Niemand hat mitgekriegt, dass wir die Welt vor zeitlicher Unwucht gerettet haben. Nicht einmal Blogleser. Das müssen wir ändern.“

„Wir mussten die Sache geheim halten. Anweisung von oben.“
„Mag sein. Aber jetzt brauchen wir Publicity. Nur so fließen weiter Subventionen.“

Euler blickt vom Telefon auf. „Wir brauchen ein neues Projekt. Seit Ende Juni tun wir nichts weiter, als die Erdrotation zu beobachten, um die nächste Schaltsekunde zu bestimmen.“

„Oder Schaltstunde, Euler. Ich bin dafür, etwas mehr Pfiff in die Sache zu bringen und der Menschheit im Jahr 2600 eine ganze Stunde zu schenken – statt zwischendurch immer mal eine Sekunde. Was glauben Sie, was dann hier los ist? Allein die Arbeitnehmervertreter werden sich an dem Thema wochenlang abarbeiten.“

Euler schaut wieder auf sein Handy, wischt mit dem Daumen über das Display. „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“, murmelt er. „Das ist es doch, was diese einfältigen Leute wollen.“

„Sie schließen zu sehr von sich auf andere, Euler!“ Olga deutet auf sein Smartphone. „Stecken Sie mal die Liebe weg und denken Sie mit dem Kopf.“ Sie steht auf und stolziert im Raum auf und ab. Im Vorbeigehen gibt Sie dem Kugelstoßpendel einen Impuls. „Wir brauchen etwas, das die Leute bewegt.“ Klack, klack, klack.

Euler tippt mit beiden Daumen auf dem Display herum.

„Mit wem schreiben Sie da eigentlich?“
„Sie nennt sich Maria Curie.“
„Wie einfallsreich. Und Sie sind? Becquerel?“
Er wird rot.
Sie kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Geben Sie’s zu: Sie sehnen sich nach dem Röntgenblick.“
Er schaut verschämt in seinen Schoß. „Sie überschätzen meine Libido, Frau Professor.“
Euler und Libido in einem Satz. Sie geht zum Kugelstoßpendel. Klack, klack. Elastische Stöße. Knick, Knack. Euler.

Diese Bilder. Sie muss sich ablenken. „Was sie auf dem Leibe hat, ist vier mal Pi mal R Quadrat.“ Nein, das hilft nicht. „Was kugelt da an mir vorbei? Vier Drittel Pi mal R hoch drei!“ Es muss abstrakter sein. Ihre Gedanken brauchen Erdung. „Wenn du kennen willst Ampere, teile einfach U durch R.“

„Wie wäre es mit El Niño als nächstes Projekt, Euler? Meinen Sie, wir könnten uns da ranhängen? … Euler!“

Er blickt vom Handy auf. „El Niño? Was soll ich mit El Niño? Ich bin doch kein Wetterfrosch.“
„Wenn wir die Winkelgeschwindigkeit verändern?“
Er macht eine wegwerfende Handbewegung.
„Die Passatwinde?“
Er blickt aus dem Fenster. „Wissen Sie, was mich beschäftigt?“ Er seufzt leise. „Wir Singles … sind wir nicht alle positiv geladene Kerne? Wir wollen einander, wir sehnen uns nach Fusion, und doch gibt es diese Kraft, deretwegen wir nicht zueinander finden.“

Olga breitet die Arme aus, als wolle sie ihn segnen. „Sie sind ein Genie!“ Sie nimmt seinen Gesicht in beide Hände. „Zwei Menschen! Wie zwei Atomkerne! Der Coulombwall! Kernfusion! Ich könnte Sie küssen!“

Er schaut sie verstört an.

Sie lässt von ihm ab. „War nur so ein Gedanke.“

Eulers Handy piept. „Marie will mich treffen“, sagt er.
„Das machen wir zum Geschäftsmodell, Euler. Jetzt im Frühjahr. Das ist unsere Chance!“

Fortsetzung folgt.

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Alle Geschichten aus dem Zentralbüro für Erdrotation

Wo alles seinen Anfang nahm

Im Zentralbüro für Erdrotation – Teil 3: Das Ende von Plan A ist der Beginn von Plan B

4. 03. 2015  •  15 Kommentare

Was bisher geschah:

Die Erde benötigt eine Schaltsekunde. Das Zentralbüro für Erdrotation kümmert sich darum. Alle Länder der Erde machen mit, nur nicht Jong-Un, Diktator. Professorin O. Mega und ihr Assistent Euler bemühen sich um eine Lösung. Olga schaltet Doc Emmett Brown ein; doch nicht nur Gravitone, auch Hormone verbinden die beiden.

Cliffhanger:

Reifenquietschen dringt durch das geöffnete Fenster. Ein Scheppern. Dann ein Zischen. Ein Stöhnen. Und Stille.

Folge 3: Das Ende von Plan A ist der Beginn von Plan B

Olga stürzt aus der Tür. Euler rennt hinterdrein, die Arme wild auf der zweidimensionalen Bewegungsebene schwenkend.

Im Hof steht, die Motorhaube unter Mülltonnen, ein DeLorean. Aus dem Motorraum quillt Qualm. Zischend klappt die Fahrertür nach oben, und ein derangierter, grauhaariger Mann kippt aufs Pflaster.
„Emmett!“, ruft Olga und stürzt zu dem Alten.

Euler bremst ab und ordnet seine Arme. Mit flackerndem Blick schaut er auf die qualmende Motorhaube. Leise beginnt er, „Oxidation, Oxidation“ zu murmeln, während er geistesabwesend vor dem Auto auf und ab läuft.

„Der Feuerlöscher, Euler!“, befiehlt Olga und wedelt mit dem Arm in Richtung Labor. „Holen Sie den Feuerlöscher!“
„Oh … ah … Ammoniumdi … dihydrogenphosphat“, stammelt Euler, rauft sich die Haare und ergänzt vorsichtshalber nochmal: „Oxidation, Oxidation“. Wie immer in Stresssituationen bewegt er sich, anstatt einzugreifen, nur exakt parallel zum Unfallgeschehen, um physische und seelische Inzidenzen zu vermeiden.
„Euler!“, sagt Olga scharf und atmet tief durch. Inzwischen sitzt sie auf der Erde und tätschelt Emmett neues Leben ins Gesicht. „Euler! Sind Sie ein Mann oder eine Verhaltensstörung?! Was soll die Jaktation? Sie müssen löschen! Eine Antikatalyse muss her! Los!“

Euler versteht endlich, holt den Feuerlöscher und startet, „Inhibi! Inhibi! Inhibition!“ rufend, den Schaum. Der Qualm verebbt.

Gleichzeitig kommt Emmett zu sich. Er hustet, rollt mit den Augen, fixiert dann aber Olga mit festem Blick.
„Oh, Oxyto … Olga, meine Liebe.“
„Alles in Ordnung, Emmett? Was ist nur passiert?“
„Ich wollte …“ Vorsichtig richtet er sich auf. „Ich … Fluxkompensator. Zu Jong-Un.“
„Subjekt, Prädikat, Objekt, mein Lieber. Oder hast du deine Syntax in Sankt Moritz vergessen?“
Emmett lehnt sich mit dem Rücken gegen den DeLorean. „Ich wollte … den Fluxkompensator ausprobieren. Eine kleine Generalprobe. Wegen … Jong-Un. Damit er die Schaltsekunde … damit er sie überspringt und die Rotation … damit wir in der Zeit bleiben. Aber irgendwas …“ Er dreht sich um und blickt hinter sich in den Fahrerraum. „Himmelhergott. Da blinkt ja alles.“

Euler stellt den Löscher ab, beugt sich vor und schaut ins Cockpit des Wagens.
„Ölstand“, sagt er und beugt sich weiter hinein. „Und die kosmologische Konstante. Sie scheint .. nun ja … etwas metabolisch.“
„Blinkt die Lambda-Sonde?“
„Sie flackert.“
„Das ist kein gutes Zeichen.“
In dem Moment erlöschen die Lichter im Wagen. Ein vernehmliches Brummen ist zu hören. Dann ein Zischen. Ein kurzer Knack. Und Stille.

„Was war das?“, fragt Olga.
„Ich fürchte, meine Liebe, jetzt ist er endgültig im Eimer.“
„Wer?“
„Der Fluxkompensator. Und der DeLorean. Beides Schrott. Oder bin ich etwa im Juni 2015 in Nordkorea?“
„Du bist im März in der Richard-Strauss-Allee in Frankfurt am Main.“
„Eben. Wir sind geliefert, Olga.“ Er nimmt ihre Hand und schaut ihr tief in die Augen. „Aber wir haben immer noch uns.“
Euler zieht sich, peinlich berührt, hinter eine der Mülltonnen zurück.
„Was soll das heißen, Emmett?“, fragt Olga. Sie ist stocksauer. Warum müssen Kerle immer Alleingänge starten? „Guck bitte nochmal nach! Es gibt doch nichts, was man mit einer Rolle Panzertape nicht reparieren kann!“

Emmett lässt ihre Hand los und verschwindet im Wagen. Er hantiert, flucht und hantiert. Mehrmals hört Olga ein Piepen. Dann taucht Emmett wieder auf. „Mit Atomenergie würde es noch gehen.“
„Politisch unmöglich.“
„Tja. Dann brauchen wir wohl einen Plan B.“

Olga flucht.
Emmett nimmt erneut ihre Hand und küsst ihren Handrücken. „Hattest du“, er küsst ihre Fingerspitzen, „schon immer so streichelzarte Finger?“
„Nicht jetzt!“, faucht sie und zieht blitzschnell ihre Hand zurück. Hastig erhebt sie sich und streicht ihren Rock glatt. „Ich war davon ausgegangen, das unsere Idee wasserdicht ist.“
„In komplexen Systemen ist es unmöglich, Risiken völlig auszuschließen.“
„Lass das Geschwurbel, Emmett!“
„Das Leben wie auch die Liebe sind eben beides nichtlinear.“
„Sag mir lieber, wie wir Jong-Un nun die Sekunde unterjubeln.“

Euler tritt hinter der Mülltonne hervor. „Wie wäre es … also, nur als Idee … ich meine … Ihr Vater …“
Olgas Blick ist ein Laserschwert.
Emmett sagt: „Ich finde die Idee nicht schlecht.“
Olga wehrt ab: „Kommt nicht in Frage. Er ist ein alter Wirrkopf.“
„Hat er nicht diese Wer-was-wo-Maschine?“
„Die ist bestimmt kaputt.“
„Dann reparieren wir sie.“

Euler zückt seine ÖPNV-App. „Ich suche uns eine Busverbindung.“
„Kommt nicht in Frage!“, fährt Olga ihn an.
„Wir können“, sagt Euler, „um 13 Uhr 52 ab Stresemannallee fahren.“

Olga sieht hilfesuchend zu Emmett.
Doch der sagt: „Du musst eure Beziehung endlich aufarbeiten.“
Euler ergänzt: „Ich wollte ihn schon immer mal kennenlernen.“
„Olga“, sagt Emmett und küsst wieder ihre Hand. „Spring über deinen Schatten. Tu’s für die Weltzeit. Und für uns.“

Sie holt tief Luft. „Also gut.“
Emmett packt sie und drückt sie an sich. „Ein Ausflug aufs Land wird uns beiden gut tun.“
„Oh yeah!“ ruft Euler. „Auf zu Doktor Snuggles!“

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Fortsetzung folgt.

Im Zentralbüro für Erdrotation, Folge 2: Anziehungskraft

27. 01. 2015  •  12 Kommentare

Olga steht im Schlüpfer vor dem Kleiderschrank, als das Telefon klingelt.

Sie schaut auf das Display, zögert kurz. Dann nimmt sie ab.
„Olga, meine Liebe“, hört sie Emmett säuseln. „Wie läuft’s bei dir? Alles newton?“
Es ist 7 Uhr 11. Sie hat jetzt keine Zeit, um zu telefonieren.
Einhändig wühlt sie in ihren Büstenhaltern. „Weshalb rufst du an?“
„Warum so kurz ab, mein Herz? Ich möchte nur deine Stimme hören.“

Sie atmet tief ein. Wecker um sechs Uhr einunddreißig. Einmal Schlummertaste. Aufstehen um sechs Uhr vierzig. Verdauung um sechs zweiundvierzig. Dusche um sechs fünfzig. Jeden Morgen dasselbe. Jeden Tag die Präzision, die sie liebt. Doch nun springt die Uhr auf sieben zwölf, es ist das Ende der Ankleidezeit, und sie trägt nur ein Höschen. 

„Ich habe jetzt keine Zeit für Schwerenöter.“ Wo ist nur der rote BH?
„Olga. Mein Herz. Gönn einem alten Mann etwas Oxytocin. Seit deinem Anruf in Sankt Moritz …“
„Dann triff mich in meinem letzten Sommerurlaub. Dort war mir ohnehin langweilig.“
„Ich bitte dich! Ich reise ja gerne nach 2014 zurück. Aber doch nicht ins Nordpolarmeer.“

Worte, Worte, Worte. 40 Sekunden Geplapper, die sie eigentlich zum Bestreichen ihres Frühstücksbrotes benötigt. Aber nun gut. Wenn sie ihn schonmal in der Leitung hat:

„Wann bringst du mir den Fluxkompensator?“ Sie findet den roten BH, fischt ihn aus der Schublade und klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter.
„Ich muss erst noch einige Dinge erledigen.“
„Wir sollten ihn testen, bevor wir ihn bei Jong-un zum Einsatz bringen.“
„Bis Juni ist noch Zeit. Du bist zu perfektionistisch, meine Liebe. Entspann dich.“
Sie legt sich den BH um. Dabei entgleitet ihr das Telefon, fällt zu Boden und poltert gegen den Wäschekorb.
„Olga? Liebes!?“, krächzt es aus der Otterbox.
Mit routinierten Handgriffen schiebt sie ihr Dekolleté zurecht.
„Bist du noch dran? OLGA?“

Sie zieht die Schiebetür ihres Pax zur anderen Seite. Heute ist ein Tag für ein Kostüm. Ein strenges Kostüm.

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Sie sitzt am Schreibtisch. Zum ersten Mal, seit sie im Zentralbüro arbeitet, fühlt sie sich unausgeglichen. Eine emotionale Disproportion. Sie braucht dringend etwas Erdendes. Unschlüssig klickt sie sich durch die Seiten des Betriebssports. „Energie durch Yoga.“ Sie klickt weiter. „Polwanderung gegen die innere Unwucht.“ Klick. „Wellenreiten für Physiker.“

Sie trägt sich gerade für „Zeitmanagement mit Diana Gabaldon“ ein, als Euler hereinstürzt.
„Tschulligung“, keucht er, reißt sich seine Funktionsjacke vom Leib und weht dabei einige Papiere von Olgas Schreibtisch.
„Euler, Sie Flächenblitz. Nicht so hastig.“
„Ich habe die Lösung.“
„Ein Sedativum für Jong-un?“
„Die Gravitonen.“ Er wirft seine Jacke über den Haken und verschwindet schnurstracks im Labor.

Olga steht seufzend auf und folgt ihm.
„Sie müssen sich schon etwas genauer ausdrücken.“
Euler zieht seinen Kittel über und startet die Zentrifuge. „Ich habe an Sie und Emmett gedacht.“
„Was hat das mit Wissenschaft zu tun?“
„Die Massenanziehung, Professorin Mega!“
Entrüstet schaut sie an sich hinab, dorthin, wo ihr Körper leicht konvex von der Tangentialebene abweicht. So ein impertinenter Flegel! Sie setzt zu einer Standpauke an.
„Wir versuchen immer“, fährt Euler fort, „die Existenz von Gravitonen mittels physikalischer Theorien nachzuweisen. Renormierbare Quantenfeldtheorie! Alles Quatsch! Sogar beim alten Alighieri hieß es doch schon: L’amor che move il sole e l’altre stelle.“
„A propos amore. Haben Sie über die Äquatorkreuzfahrt nachgedacht, die ich Ihnen vorgeschlagen habe?“
„Verstehen Sie denn nicht? Gravi-TONE! Hor-MONE!“
„Wenn Sie zu Hause Probleme haben …“
„Wir müssen nicht im Universum suchen, um die kleinsten Träger der Gravitationskraft zu finden! Die Lösung ist IN UNS!“
Olga runzelt die Stirn.
„Alles Libido!“ Seine Wangen sind erhitzt. Er transpiriert heftig.

Ihr wird leicht übel. Ein schwitzender, erregter Mann! Wo doch schon Emmett … – Sie braucht frische Luft, dringend. Und ein Seminar.

Reifenquietschen dringt durch das geöffnete Fenster. Ein Scheppern. Dann ein Zischen. Ein Stöhnen. Und Stille.

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Fortsetzung folgt.
Nur Bahnhof verstanden? Hier geht’s zu Teil 1.

Im Zentralbüro für Erdrotation

15. 01. 2015  •  46 Kommentare

Dieses Jahr gibt es eine Schaltsekunde. Der 30. Juni wird eine Sekunde länger sein. Im Zusammenhang mit diesem Thema habe ich gelesen, dass es ein Zentralbüro für Erdrotation gibt – oder, für Anglisten: International Earth Rotation and Reference Service (IERS).

Seither male ich mir aus, wie es angesichts der aktuellen Herausforderungen im Zentralbüro für Erdrotation zugeht.

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Es ist stets die achte Stunde des siderischen Tages, wenn Professorin Olga Mega ins Büro kommt, sich erstmal einen Kaffee macht und ihre extragalaktischen Radioquellen einschaltet. Sie mag diese Zeit am Morgen, wenn noch keiner anruft, sie in der P.M. blättert und langsam in den Tag kommt.

Bald trudelt Euler an. Er wirkt gehetzt und entschuldigt sich: Die gravitativen Kräfte seines Bettes seien heute wieder zu stark gewesen; überdies gehe sein Vektor nach.

Olga sieht ihn an: Auch sein Kamm scheint kaputt zu sein. Doch sie winkt ab. Es gab bislang noch keinen Tag, an dem ihr Assistent pünktlich im Sinne konventioneller Messgrößen war.

Euler legt eine Butterstulle in den Kühlschrank und verschwindet direkt ins Labor zu seiner Kreiselsammlung. Er ist nicht grad ein kommunikativer Typ – grundsätzlich nicht und schon gar nicht morgens. Überdies hat er in letzter Zeit einige Rückschläge hinnehmen müssen; die Lorentzkraft der Liebe will in seinem Leben nicht so recht wirken. Mit jedem Korb, den er bekommt, wird er kauziger und schweigsamer.

Olga sieht auf die Uhr. Es ist Zeit, Nordkorea anzurufen und es von der Notwendigkeit einer Schaltsekunde zu überzeugen. Eine Sekunde mehr Macht! Der Traum jedes Diktators! Das Gespräch wird schnell vorbei sein.

Sie stellt die Radiowellen ab und wählt die Nummer, die sie vom Auswärtigen Amt bekommen hat. Nach dreimal klingeln wird abgehoben.
„Jong-un.“
„Mega hier vom Zentralbüro für Erdrotation.“
„Genossin Mega. Wenn hier einer zentral ist, dann bin ich das.“
„Natürlich, natürlich. Weshalb ich anrufe. Es geht um die Schaltsekunde.“
„Über die habe ich bereits nachgedacht.“
„Und?“
„Nein.“
„Sie wollen die Schaltsekunde nicht einführen? Das ist schlecht für die Weltzeit.“
„Als ewiger Führer bin ich zeitlos.“
„Nun, aber die Sonne …“
„Die bin ich.“
„Wie meinen?“
„Sie haben schon richtig verstanden. Schönen Tag noch, Genossin.“

Das hatte sie sich anders vorgestellt. Sie geht zu Euler, der gerade kopfüber in einem großen, blauen Müllsack hängt.
„Was ist los, Euler? Müssen Sie jetzt schon containern? Sie kriegen doch seit diesem Monat Mindestlohn.“
Mit hochrotem Gesicht taucht er aus dem Sack auf.  „Mein Meridian ist weg.“
„Gestern war er doch noch da.“
„Schon. Aber der Kreiselkompass. Schauen Sie. Er ist ganz unausgerichtet.“ Er deutet auf eine runde Kugel, in der ein Metallgestell nervös hin- und herschwingt.
Olga seufzt. „Sie brauchen Urlaub, Euler. Haben Sie nicht letztens erst Ihr Foucault’sches Pendel verbummelt? Sie sollten mal über eine Single-Kreuzfahrt nachdenken. Zum Äquator reisen, sich Passatwinde um die Nase wehen lassen und nebenbei ein paar“ – sie zwinkert kokett – „romantische Stunden erleben.“
Er geht nicht auf sie ein, sondern fragt stattdessen: „Wie lief der Telefontermin?“
„Schlecht, Euler. Ganz schlecht. Jong-un meint, er sei nicht an so etwas Läppisches wie Zeit gebunden.“
„Und jetzt? Wollen Sie Schützenhilfe von der Generalkonferenz für Maß und Gewicht anfordern?“
„Ich telefoniere erstmal mit Emmett.“
„Emmett Brown? Ich dachte, er lebt schon lange in 1885.“
„Er ist grad auf Skiurlaub in Sankt Moritz.“
Euler nickt und verschwindet, „soso“ und „nobel, nobel“ murmelnd, wieder in seinem Müllsack.

Olga kennt Brown von der Solvay-Konferenz 2021, die sie beide in sechs Jahren besuchen werden. Dort ist sie ihm auch privat näher gekommen. Obwohl sie wusste, dass er verheiratet ist; sie kann eben nicht aus ihrer Haut.

Sie wählt seine Handynummer. Er geht sofort ran.
„Brown.“
„Ich bin’s, Olga.“
„Olga, meine Liebe! Schön, von dir zu hören!“ Im Hintergrund singt jemand Anton aus Tirol. „Wo bist du, mein Herz?“
„In 2015. Ich kümmere mich um die Schaltsekunde.“
„Lass mich raten! Die Kommunisten wollen mal wieder nicht.“
„Kannst du mir am 30. Juni nochmal deinen Fluxkompensator leihen?“
„Du willst wieder die Caesium-Fontäne in der koreanischen Atomuhr beeinflussen, ohne dass Kimmy es mitkriegt.“
„Wenn ich den Dienstweg nehme, kann ich mich bis zum Sommer nur mit Antragsformularen und grauen Herren herumschlagen. Bitte, Emmett. Was 2012 funktioniert hat, klappt auch 2015.“
„Dein Wort in Einsteins Ohr. Aber halt Euler da raus. Die Hohlfrucht verursacht nur Zeitparadoxa.“
„Du bist ein Schatz!“ Sie küsst auf die Sprechmuschel und legt auf.

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Vielleicht habe ich etwas viel Fantasie. Aber wer weiß das schon so genau.



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