Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Fiese, haarige Spinne

Die Borsten allein. Schauen Sie sich die Borsten an. Dann schauen Sie sich die Klauen an. Sehen Sie diese langen, gefährlichen Klauen vorne am Maul? Schauen Sie außerdem nach hinten. Sehen Sie die klebrige Substanz oberhalb des Hinterteils? Das ist Gift. Es lähmt das Nervensystem. Wenn es Ihre Haut berührt, setzt Ihre Atmung aus – bums, tot. Das geht ratzeschnell. Da machen Sie nix.

Jetzt möchten Sie bestimmt wissen, wie ich die gefangen habe.

Furchtlos! Unerschrocken! Eigenhändig! Nur mit einem Saftglas und einem alten Briefumschlag.

(Schmeicheleien nehme ich in den Kommentaren entgegen.)

Es gibt etliche Anzeichen dafür, dass Eltern älter werden.

Sie kennen das vielleicht: Sie besuchen Ihren Vater und Ihre Mutter, nehmen sich ein Getränk aus dem Kühlschrank und sehen beiläufig, dass die Marmelade schon Einiges überm Datum ist. Sogar mit flauschigem Pelz, grünen Einlagerungen und allem Zipp und Zapp. Die Reaktion: „Echt jetzt? Habe ich doch heute noch gegessen!“

Vorbote ist allerdings zunächst die Midlife-Crisis. Männer entsinnen sich ihres 1967 während des 18-monatigen Wehrdienstes erlangten Motorradführerscheins, verkloppen ihre Münzsammlung, kaufen sich eine Harley und fahren damit stotternd, das Herz voller Erinnerungen, bis an die Atlantikküste. Frauen tun sich währenddessen zu Grüppchen zusammen, besteigen ein Hurtigrutenschiff in Richtung Lofoten, stöhnen bei fünf Grad Außentemperatur über Hitzewellen und lästern 14 Tage lang über die plötzliche Jungenhaftigkeit ihres Mannes. Sollten Sie Ihren Eltern gegenüber Besorgnis über ihr Reisefieber äußern, kontern diese mit Worten wie: Wer wisse schon, wie lange sie das noch könnten, sie sähen täglich in Todesanzeigen, dass die Einschläge näherkämen und das letzte Hemd habe schließlich keine Taschen.

Das profanste körperliche Anzeichen für das gestiegene Lebensalter Ihrer Erzeuger, sozusagen Level Eins, ist allerdings die Lesebrille. Zunächst sind die elterlichen Arme noch lang genug – und mal ehrlich, wer will schon so genau wissen, welche Nebenwirkungen das Bluthochdruck-Medikament hat. Dann kaufen sie im Supermarkt heimlich eine Lesehilfe. Aber altersblind sind sie deshalb noch lange nicht! Sonst müssten sie ja zum Optiker.

Irgendwann führt aber kein Weg mehr an einer professionellen Vermessung der Sehkraft vorbei; der Optiker empfiehlt zudem dringlich einen Besuch beim Augenarzt – „In Ihrem Alter sollten Sie sich regelmäßig auf grauen Star untersuchen lassen.“ Ihre Eltern werden Ihnen später empört von diesem Wortwechsel berichten.

Die Lesebrille hat es nun aber an sich, ständig dort zu sein, wo ihr Träger nicht ist („Wo hab ich sie nur? Ich hatte sie doch eingesteckt!“) – und so kommt es dazu, dass Sie Ihren Eltern ab und an etwas vorlesen müssen. Sie tun das sehr pietätvoll und mit einer selbstverständlichen Non-Chalance, bloß kein Gewese darum machen, das könnte den Vater ja kränken – wo er sich nach seiner letzten Harleytour durch Nordfrankreich doch gerade wieder wie 59 fühlt, trotz der Rückenschmerzen.

Neulich saß ich also mit meinem Vater in einem Restaurant, als er mal wieder seine Brille nicht dabei hatte. Vielleicht hatte er sie im Büro vergessen oder auf dem Sofatisch neben der Fernsehzeitung. Vielleicht auch im Bad – „Nicht mal mehr einen Pickel ausdrücken kann ich mir ohne das Ding!“ Er regte sich ein bisschen auf.

Jedenfalls musste ich ihm die Speisekarte vortragen – eine sehr lange Speisekarte. Mein Vater konnte mir leider nicht einmal eine geschmackliche Tendenz nennen, in die er sich an diesem Abend bewegen wollte. Ich las also und las und schaute ab und an zu ihm auf, ob sich etwa bei den Fischgerichten ein Ausdruck des Missfallens bei ihm einstellen möge – dann könnte ich diesen Teil der Karte ja vielleicht etwas abkürzen. Allerdings: Nichts dergleichen geschah. Stattdessen rutschte er immer mehr mit dem Oberkörper nach vorne, beugte sich über die Tischdecke, streckte das Kinn vor, verzog den Mund zu einer Grimasse, rollte die Augenbrauen in Richtung Nasenspitze, hielt schließlich die Hand hinters Ohr und sagte: „Tut mir leid – was war das letzte? Ich verstehe dich so schlecht.“

Ich rief also „FORELLE MÜLLERIN MIT SALZKARTOFFELN UND GURKENSALAT!“ über den Tisch und wusste, dass wir in diesem Moment Level Zwei erreicht hatten.

Ich denke über einen Blogumzug nach. Hierhin.

Derzeit arbeite ich noch an der Freischaltung aller migrierten twoday-Beiträge und drehe an ein paar Schräubchen. Die Kommentare konnten leider nicht mit umziehen, deshalb habe ich die Kommentarfunktion bei den alten und uralten Beiträgen abgeschaltet. Wer zu den ollen Kamellen was sagen will, findet bestimmt eine passende Stelle.

Schauen Sie sich also ruhig um und fühlen Sie sich wie zu Hause. Ich werkel in den nächsten Tagen noch ein bisschen weiter.

Ich seh‘ grad – mein Handballverband hat auf den Temperatursturz kurz vor Saisonbeginn mit einer Regeländerung reagiert: Ich darf nun ein Kopftuch tragen während der Leibesübung.

Wie praktisch. Wo doch auch die Kommunen immer mehr sparen und die Hallen schon im vergangenen Winter kaum mehr beheizt wurden.

  • Die Bäckerei im Ort stellt aphrodisierende Schoko-Zimt-Brötchen her und verkauft sie für kleines Geld.
  • Neben meinem Haus hat der Herrenfrisör dicht gemacht, und ein Hundesalon ist eingezogen. Ich könnte schwören, dass der Hairstylist derselbe geblieben ist.
  • Der neue Stadtteil weist eine hohe Logopäden- und Psychotherapeutendichte auf, was aber offenkundig keinen Einfluss auf die Symptome des Kundenkreises nimmt.
  • Bei türkisch Frisör bei die Süpermarket zahl‘ isch 20 Euro weniger für die Frisür wie in alte Wohnort und seh isch genauso scharf aus.
  • Franco Gelatti, mutmaßlich der Bruder von Einszehn, hat neben dessen Trinkhalle das Cross-Selling etabliert und betreibt eine Eisdiele mit einem angegliederten Würstchenstand, weil „hastu süße Eis, willstu Wurst, hastu Wurst, willstu Eis.“
  • Die Frau aus der Nachbarwohnung stellt ihre Schuhe immer vor ihrer Tür ab. Sie macht das nicht, weil sie auf den Nikolaus wartet.
  • Der feiste Typ im Erdgeschoss zockt die ganze Nacht Ego-Shooter und wird – da bin ich mir sicher – seiner aufgestauten Frustration bald mithilfe eines kathartischen Amoklaufs durch die nahe Kleingartensiedlung Luft machen, bei dem er elf mannshohe Holzwindmühlen und dreißig Gartenzwerge erschießt, von denen zehn den herbeigerufenen Ordnungskräften auch tot noch ihren kleinen, lustigen, nackigen Arsch zeigen.
  • Auf seinem Rückweg erledigt der Amokläufer die im Fenster des gegenüberliegenden Zechenhauses wohnenden circa 50 Porzellan-Enten. Ihr Frauchen wird auf der Vordertreppe zusammenbrechen und still in ihre Kittelschürze weinen, die schon vor Jahren eins mit ihrem Rumpf wurde.
  • Danach steigt er in den zweiten Stock und richtet sich selbst, indem er eine Stunde lang an den Schuhen meiner Nachbarin riecht.

sportschuhe500

Herr Banger hat einen Stock geworfen: Er möchte gerne meine Laufschuhe sehen. Von links nach rechts: Asics Gel Nimbus (haben gute Dienste geleistet), Nike Bowerman (der aktuelle Laufschuh), Adidas Stabil (der aktuelle Hallenschuh).

Ich war jahrelang ein Asics-Läufer, bin aber im Frühjahr auf Nike umgestiegen. Fühlte sich besser, weicher, leichter an. In der Halle nutze ich schon immer Adidas. Eine Ausnahme war vor circa zehn Jahren ein Hummel-Schuh, bei dem ich aber ständig Blasen unter dem Ballen hatte.

Wenn Sie übrigens mal eine Frau känguruhhaft durch einen Sportladen hüpfen sehen: Das bin ich, wie ich einen Hallenschuh anprobiere. Denn nichts ist schmerzhafter, als sich 60 Minuten lang die Zehen blauzustoßen. Deshalb muss das ernsthaft getestet werden.

Mutter: Ich muss da jetzt mal was ansprechen.
Nessy: Was denn?
Mutter: Da ist so eine Sache … die beschäftigt mich, seit ich das letzte Mal bei dir war.
Nessy: Ja, Mama, was denn?
Mutter: Also nur, wenn es nicht zu privat ist.
Nessy: Mama! Was denn?
Mutter: Als wir da im Internet guckten …
Nessy: Ja …
Mutter: Da hattest du ja auch kurz in deine E-Mails geschaut …
Nessy: Jaa …
Mutter: Da fiel mir was auf …
Nessy: Jaaa …
Mutter: Wer ist Peter?
Nessy: Was?
Mutter: Also, wenn da was ist, das du mir sagen möchtest …
Nessy: Peter …?!
Mutter: Von dem du so viel Post bekommst.
Nessy: Ach so! Mama … Peter ist mein Chef.
Mutter: Und er schreibt dir Briefe?
Nessy: Mama, mit E-Mails ist das etwas anders. Nicht so wie bei der gelben Post. Man schickt E-Mails auch, wenn man im Büro nebenan sitzt. Mit Dokumenten dran. Oder er leitet E-Mails von anderen weiter, damit ich sie bearbeite. Oder wir danach drüber sprechen.
Mutter: Und das macht er so oft?
Nessy: Wir arbeiten eng zusammen.
Mutter: Eng zusammen?!
Nessy: Nicht so!
Mutter: Also nichts, das ich wissen müsste?
Nessy: Nein.
Mutter: Du weißt aber, dass du mit mir immer über alles reden kannst.
Nessy: Ja, Mama.
Mutter: Dann ist ja gut.
Onkel Helmut hat eine gute Verdauung, denn er isst nur Lebensmittel, die schon überm Datum sind.

Als seine Kinder noch klein waren, bekamen sie wochenlang Kirsch-Milchreis, kurz nach der Haltbarkeit. Kirsch ging nicht gut im Laden, aber wegschmeißen kam für Onkel Helmut nicht Frage. Als Kirsch leer war, gab es Himbeere, die ging auch nicht gut. Danach die nächste Sorte, immer eine Papp-Palette voll, bis sie leer war. Das Leben – für die Kinder war es eine einzige Vorfreude auf einen neuen Geschmack.

Warum ich das erzähle?
Onkel Helmut gibt nichts auf, solange es noch gut ist.

Er ist ein kleiner Mann. Nicht untersetzt, aber lebensfroh beleibt. Wenn er lacht, lachen seine Augen mit; und er lacht viel, das sieht man ihnen an. Sein Tante-Emma- oder besser gesagt: Sein Onkel-Helmut-Laden ist klein und vollgestopft mit allem, was man braucht, von jedem Ding eine Sorte.

Im Krämerkittel steht er hinter der Kasse und wartet auf seine Kunden: auf das kleine Mädchen, das sich Hubba Bubba kauft; auf die Hausfrau, der das Brot ausging; auf die alte Frau, die ab dem Zwanzigsten immer anschreiben lässt. Er kennt sie, und noch lieber als Brot verkauft er ihnen Neuigkeiten, Geschichten und Anekdoten. Niemals glänzen seine Augen so, wie wenn er Dönekes erzählt.

Für seine Kunden tut Onkel Helmut alles. Er bringt ihnen die Einkäufe ins Haus: fährt drei Kilometer, um ein Pfund Butter abzuliefern, schleppt Bierkästen in den vierten Stock, um zu hören: „Das Bier, das hätte ich lieber im Keller.“ Weil er über dem Laden wohnt, klingeln die Leute nachts bei ihm. Er öffnet ihnen und bedient sie zu jeder Zeit – nur diejenigen nicht, die Zigaretten oder Alkohol verlangen.

Seit Anfang August aber ist sein Geschäft dicht. Die Leute, sagt er, kaufen bei ihm nur noch das, was sie beim Discounter vergessen haben, mal drei Eier, mal ein Päckchen Salz. Es lohnt sich nicht mehr.

„Stundenweise können Sie noch was machen, oder?“ fragt ihn die Vermittlerin beim Arbeitsamt und macht sich eine Notiz in seine Akte. 62 ist er, drei Jahre noch bis zur Rente.

„Demnächst“, sagt er, und es schimmert in seinen Augen, „sitze ich bei Aldi anne Kasse.“ Niemals glänzen sie so, wie wenn er Dönekes erzählt.

  • Nehmen Sie den ersten sonnigen Tag der Woche.
  • Holen Sie das Cannondale aus dem Keller.
  • Radeln Sie 40 Kilometer in die Heimat und lassen Sie sich von Ihrer Mutter mit Stielmus und Heidelbeerpfannkuchen verwöhnen.
  • Hängen Sie in den folgenden zwei Stunden auf ihrem Balkon rum. Räkeln Sie sich ab und an.
  • Kurz, bevor Sie einschlafen, stehen Sie auf und radeln ein Häuschen weiter zu Opa Konni und seiner Frau Lina.
  • Lassen Sie sich dort mit frischem Salat und Toast Hawaii verwöhnen.
  • Wundern Sie sich nicht, dass Opa Konni wild telefoniert. Er freut sich, dass Sie da sind und möchte es allen mitteilen. Wenn er den Hörer an Sie weiterreicht, sprechen Sie einfach mit den Leuten am anderen Ende. Es ist der Beweis, dass Sie tatsächlich bei ihm sind.
  • Nehmen Sie die frisch gebackenen Kekse, die er Ihnen am Abend mitgibt. Packen Sie außerdem die Reste des Salats und fünf Brötchen ein.
  • Steigen Sie aufs Rad und fahren Sie 25 Kilometer in Richtung Zuhause. Genießen Sie die Abendsonne und die Stimmung in den Feldern. Halten Sie dabei aber den Mund geschlossen.
  • Steigen Sie nach 25 Kilometern an einem Bahnhof ab. Warten Sie auf den Zug nach Zuhause. Essen Sie dabei schon einmal die Hälfte von Opa Konnis Keksen. Fahren Sie die restlichen 15 Kilometer, auf denen es nur bergauf geht, mit der Bahn heim.
  • Wenn Sie zu Hause ankommen, duschen Sie schön warm. Legen Sie sich ins Bett und freuen Sie sich.


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