Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

… gelesen:

Andrew Sean Greer. Die Nacht des Lichts
Astronomen, deren Leben dem Lauf eines Kometen folgt. Alle sechs Jahre treffen sie sich wieder. Dazwischen leben sie, lassen sich leben, kreuzen sich ihre Wege, laufen sie auseinander. Ein intelligent konstruiertes Mosaik – doch kommt man als Leser nie an die Figuren heran. Ein Manko.

Andrew Sean Greer. Geschichte einer Ehe
„Wir glauben, die zu kennen, die wir lieben“, denkt Pearlie und erlebt genau das Gegenteil. Doch: Was ist Liebe? Dem Ehemann ein angenehmes Leben bescheren, indem man die schlimmen Nachrichten aus der Zeitung ausschneidet? Oder für ihn auf den eigenen Lebenstraum verzichten? Auch hier: eine Geschichte, interessant konstruiert, aber fern davon, Empathie zu erzeugen.

Jo Nesbo. Der Fledermausmann
Kommissar Harry Hole soll in Australien den Mord an einer Norwegerin aufklären. Er begegnet dabei den Mythen der Aborigines, allerlei verschrobenen Figuren – und verliert sich darin so sehr, dass ich den Krimi nicht zu Ende gelesen habe. Zu langatmig, zu verworren, zu dünne Story, zu wenig stringent erzählt.

Isabell Allende. Das Siegel der Tage
Geschichte der Familie Allendes nach dem Tod von Tochter Paula. Zwei lesbische, buddhistische Nonnen nehmen sich eines elternlosen Säuglings an, der Sohn muss drei Kinder durchfüttern, Allendes Mann versucht sich am Schreiben, sein Buchhalter bestellt eine Frau aus dem Katalog. Alles sehr nett, manchmal ein bisschen zu gefühlig, aber alles in allem gut in der Bahn zu lesen. Definitiv ein Frauenbuch.

Aktuell auf dem Nachttisch: Ian Rankin. So soll er sterben.
Ein Ausländer wird erstochen. Im Keller eines Pub finden sich zwei Skelette. Eine Bürgertochter verschwindet. Die Kommissare Rebus, Clarke und ihre Kollegen ermitteln. Bis Seite 200 – dort bin ich jetzt – ist allerdings wenig Schwung in der Geschichte. Größtes Problem: zu viele Ermittler an zu vielen verschiedenen Orten. Ich werde aber trotzdem weiterlesen. So arg schlecht wie „Der Fledermausmann“ ist es bislang nicht.

Fazit: alles nicht der Burner. Hat jemand Lesetipps?

Bist Du erstmal im Harz, lässt er dich so schnell nicht wieder fort.

Am Gleis sind es minus 10 Grad, vielleicht minus 15. Wie Pfähle stehen die Menschen im Schnee und starren auf die Schienen. Atemwolken steigen auf. Die Minuten vergehen.

Dröhnend und knirschend zieht eine Diesellok drei Waggons vor deine Füße. In der Bahn: Hitze, Langlauffreunde, Wehrdienstleistende und eine Gesellschaft spaßwillliger Hausfrauen. Ich steige zu. Ein Seesack stürzt sich aus der Kofferablage auf mich herab. Der Zug fährt an. Ich plumpse neben einen Burschen in Flecktarn.

Ringelheim. Die Gruppe likörschwangerer Hausfrauen liest sich aus dem „Männerhasserbuch“ vor. „Warum ist ein Mann nur einssechzig wert?“ Wildes Gackern. Der Zug bebt. Ich sehe aus dem Fenster. Der Schnee bedeckt, was noch bleibt vom Restlicht des Tages. Die Sonne senkt sich hinter den Horizont.

Baddeckenstedt. „Wie lange muss ein Mann kochen?“ Die Frauen kreischen und reichen kleine Feiglinge herum. Der Wehrdienstleistende neben mir scharrt mit den Kampfstiefeln. Er liest ein Buch mit einer silbernen Axt auf dem Einband. Ich erwarte Böses.

Derneburg. Die einsetzende Dunkelheit verschweigt dem Reisenden, ob er noch im Diesseits fährt oder durch ein schwarzes Loch hindurch in eine andere Galaxie gelangt ist. Die Männerhasserinnen und ich – Vertreter des Planeten Erde auf dem Weg zu Centaurus A.

Groß Düngen. Themenwechsel von Männern zu Bohnen, marginal, wie sich zeigt: anschwitzen oder nicht, pfeffrig oder laff? Die Langläufer erheben sich knisternd, verpackt wie Geschenke in ihren Thermohosen und wattierten Jacken, und holen ihre Skier aus den Ablagen. Nur knapp entgehe ich meiner Erdolchung. Wir nähern uns also dem Ziel.

Die Diesellok zieht mich, die Skiläufer und die Hausfrauen ins Licht. Nicht Centaurus A, kein Quasar, sondern Hannover. Endlich. Eine halbe Stunde Aufenthalt ist vorgesehen. Zeit für eine Brezel und ein Wasser, dann hinein in den ICE gen Süden. Doch es kommt anders.

Weiße Schrift auf blauem Grund zeigt 30 Minuten Verspätung an. Der Wind auf dem Gleis macht kalte Ohren, kriecht die Beine hinauf und frostet dein Gemüt. Raucher drängeln sich zusammen. Auf einem Servicewägelchen schunkeln als heiß gekennzeichnete Kaltgetränke. Die Menge schweigt.

Dann: „Aufgrund von Störungen im Betriebsablauf verzögert sich die Einfahrt des ICE acht – vier – sechs nach Trier um weitere 20 Minuten.“ Erboste, zornerfüllte Münder speien hässliche Worte über den Bahnsteig. Gewalt gegen das Servicewägelchen bricht aus. Dann Gemurmel. Schicksalsergebene Ruhe. Du kommst nicht heraus aus der Gegend, sie hält dich fest.

Nach 30 Minuten Aufenthalt und 50 Minuten Verspätung: Der ICE, der dich fortbringt. Erwartungsfrohes Füßescharren auf dem Bahnsteig. Neben mir harren zwei Bayern auf Einstieg. „Näkste Mal kimma mit’m Radl.“ – „Da samma schneller.“ – „Und kälter is a net!“

Wir betreten den Waggon und fahren fort aus dem Harz.
Es geht also doch.

Denise war stets davon ausgegangen, dass das Leben sich langsam steigern würde, Leute sich vervielfältigen, Ereignisse sich drängen, dass das Leben mit dreißig ihr vorkommen müsste wie mit zweimal zwanzig. Sie hatte vermutet, es könnte sich überwuchern wie ein Garten. Aber es sah nicht danach aus. Zwischen zwanzig und dreißig schoss das Leben ins Kraut, mit dreißig dünnte es sich aus auf das, was man hegte und pflegte.
aus: Andrew Sean Greer. Die Nacht des Lichts, S.88

Was habe ich nicht alles zwischen 20 und 30 erlebt! Ich habe geliebt und mich entliebt, habe eine Wohnung eingerichtet, noch eine Wohnung und noch eine, hatte mal wenig, mal viel Geld, habe Städte erobert – für Wochen, Monate und Jahre, habe Meilen gesammelt und Autobahnkilometer gezählt. Ich bin nach China gereist, in die USA, nach Island, Schweden, Finnland, Norwegen, nach Russland und Italien, habe unter dem Eiffelturm Silvester gefeiert. Ich habe Menschen getroffen und Freunde gefunden.

Doch jetzt – und da spricht mir das Zitat aus der Seele – gibt es einen Status Quo, unweigerlich, ohne dass ich es wollte. Er stellte sich einfach ein. Ich habe in meinen rastlosen Zwanzigern einen Beruf erlernt (fast nebenbei, wie es im Nachhinein scheint) und Anstellungen gefunden; ich habe eine Partnerschaft, eine Wohnung, eine Rentenversicherung und einen Bausparvertrag.

Ich bin vorsichtiger geworden. Bedächtiger. Ich stürme nicht mehr los. Ich wäge ab. Wer etwas hat, hat etwas zu verlieren. Das ist neu. Das war früher nicht so.

Ich entdecke an mir, dass ich weniger beweglich bin, nicht mehr so offen und sorglos. Ich vertraue nicht mehr jedem, nenne nicht jeden meinen Freund; genau genommen habe ich nur wenige Freunde. Ich lasse Beziehungen im Sand verlaufen, vorsätzlich. Ich weiß jetzt zu unterscheiden zwischen denen, mit denen ich mein Leben teilen möchte, und denen, die nur in ihm vorkommen.

Die Dynamik des Aufbruchs ist verflogen. Schön war sie, ja. Nun bin ich glücklich mit dem Stillstand, dem Langsamerwerden, dem Hegen und Pflegen des Gewonnenen.

Oder kultiviere ich nur die Gewohnheit? Muss es tatsächlich bei dem einen Leben bleiben? Schließlich bin auch ich nicht nur die Eine; ich bin die Ruhige und die Lebhafte, die Mutige und die Ängstliche, die Realistin und die Träumerin.

In wilden Momenten möchte ich mit gestrecktem Arm meinen Büroschreibtisch leerfegen, die Tür hinter mir offen stehen lassen und fortlaufen zu einer zweiten Ich-Zentrale: einem Haus am See, wo ich Gemüse züchte und Bücher schreibe, zu einem Drei-Generationen-Loft, das ich plane und mit freundlichen Menschen bewohne, oder – weniger prätentiös – zu einem Einfamilienhaus von stattlicher Spießigkeit, in dem ich vier muntere Kinder aufziehe.

Nichts als Spinnereien. Du weißt doch gar nicht, was Du willst, sagt mein kritisches Ich. Du hast nur Angst, Dich festzulegen. Was Du auch änderst, wo Du auch landest, Du nimmst Dich selbst mit – denk dran.

Die Welt steht Dir offen, sagt mein wohlgemutes Ich. Sorge für die Basis und mach Dich fort. Niemand hält Dich auf. Du hast die Kraft, neu Wurzeln zu schlagen. Das Leben ist kurz, und es ist Deins, nur Deins allein.

Nessy, ra(s)tlos.

*** Im Urlaub gelesen ***

Stefan Merill Block. Wie ich mich einmal in alles verliebte.
Ein Buch ueber Liebe, Sehnsucht, Lebenssinn und Alzheimer. Nicht immer freundliche, aber ehrliche Geschichte mit etwas, das kein Happy End ist, aber doch zufrieden stimmt.

Paulo Giordano. Die Einsamkeit der Primzahlen.
Zwei junge Menschen, die sich finden und wieder verlieren, weil sie sich selbst nicht lieben koennen. Keine froehliche Erzaehlung, aber immer nah an den Protagonisten – und deshalb gut.

Asa Larsson. Bis Dein Zorn sich legt.
Zwei Teenager kommen beim Eistauchen um. Die Leute im Dorf geben sich verschlossen. Eine Unternehmerfamilie rueckt schnell ins Visier der Ermittler. Solider Krimi, der stimmungsvoll beginnt, zum Ende hin die Erwartungen aber nicht ganz erfuellt.

J.R. Moehringer. Tender Bar.
Autobiografie: Junge einer alleinerziehenden Mutter schlaegt sich durchs Leben und bis nach Yale durch. Sein Fixpunkt und Heimathafen sind eine Bar und ihre verschrobene Kundschaft. Eine brilliante Erzaehlung, die in der Mitte Laengen hat, aber im letzten Drittel wieder an Fahrt gewinnt. Selbstzweifel und Trunksucht Moehringers nerven etwas.

Dieter Moor. Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht.
Moderator von „titel, thesen, temperamente“ erzaehlt, wie er mit seiner Frau in Ostdeutschland einen Bauernhof kaufte und heimisch wurde. Kurzweilig und liebevoll.

*** Im Urlaub gehoert ***

Klaus Bednarz. Oestlich der Sonne.
Bednarz reist vom Baikalsee bis an die Behringstrasse und nach Alaska. Grandiose Erzaehlung, bei der sich der Autor sehr zuruecknimmt und seine Beobachtungen und Gespraechspartner fuer sich stehen laesst. Fantastische Stimme.

Daniel Glattauer. Der Weihnachtshund.
Singlemann mit Kussphobie will ueber Weihnachten auf die Malediven und deshalb seinen Hund abgeben. Singlefrau moechte ihn nehmen – den Hund und hinterher auch den Mann. Die Story ist duenn, die Hindernisse der Liebenden ganz schlimme Comedy. Unterirdische Geschichte.

Jan Weiler. Liebe Sabine. und MS Romantik.
Frau verlaesst Mann. Frau bekommt von Mann einen letzten Brief – und von seiner Sekretaerin ein Tonband dessen, was er eigentlich sagen wollte. Im zweiten Teil ist er auf Singlekreuzfahrt, und das Schiff geht unter. Kann man hoeren, muss man nicht. Die Folgen dauern jeweils eine Stunde, das macht`s kurzweilig.

***

Bitte hoffen Sie mit mir, dass Tief Daisy mich zurueck nach Hause laesst. Wetter heute, am letzten Tag auf der Sonnenliege: 30 Grad, eine leichte Brise. Fuer die Heimreise: Jo Nesbo. Der Fledermausmann (lesen) und Sophie Kinsella. Kennen wir uns nicht? (hoeren).

Adiós, Teneriffa. Adiós, Sommer.

Ich steige zu – und damit gleichzeitig in das Gespräch im benachbarten Vierersitz ein:

[…]
Oma: … nur Brei und Saft im Altersheim.
Opa: Keinen Schnaps?
Oma: Frau Fahlbusch sagt, nein.
Opa: Frau Fahlbusch liegt auch schon.
Oma: Sie hat doch so gerne Croissants gegessen.
Opa: [nachdenklich] Nur Brei und Saft …
Oma: Kein Eis.
Opa: Kein Bier. Dann lieber gleich in die Kiste.
Oma: Sternschanze, die nächste?
Opa: Dammtor.
Oma: Dann muss ich raus.
Opa: Einkaufen?
Oma: Kino.
Opa: Allein?
Oma: Möchten Sie etwa mit?
Opa: Wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich esse auch noch feste Nahrung.
Oma: [kichert mädchenhaft]
Opa: [galant] Darf ich Sie auf ein Popcorn einladen?
Oma: Gerne.
Opa und Oma: [steigen gemeinsam aus]

Weihnachtsfeier der Handballhühner. Ort ist ein Partykeller im Ruhrgebiet – mit Tresen, rustikalem Fliesenspiegel und Eiche-Sitzgarnitur. An den Wänden hängen Hertha-Wimpel, verstaubte Trollfiguren, ein Grillmeister-Diplom und ein Foto mit alten Männern in engen Trikots, Titel: „Helden der Kreisklasse“. Zweite Reihe, dritter von links: Wolfi, der Hausherr.

Wolfi, Zeitnehmer meiner neuen Mannschaft, ist ein Mann mit braunen Knopfaugen, einem kurzen, silbernen Bart und grauem, strubbeligen Haar. In diesen Tagen könnte man ihn – auch figürlich – für den Weihnachtsmann halten, trüge er einen roten Mantel und kein kariertes Flanellhemd.

Wolfis Platz ist hinter der Theke. Links von ihm, dort, wo der Tresen seinen Schwung zur Wand macht, steht neben dem Plattenspieler sein Juwel: seine Sammlung Maxi-Singles. Während er seinen jungen Gästen Bier zapft, streicht er zärtlich über die Cover. Rechts von ihm, in einer gemauerten Nische neben dem Tresen, klemmt der Rest seiner Plattensammlung; 200, vielleicht 300 Scheiben sind es. „Kennste die?“ fragt er und zieht die Bay City Rollers hevor. Ich bin mir nicht sicher.

Ich stelle mir vor, wie Wolfi, wenn an einem verregneten Herbstsonntag seine melancholische Ader pulsiert, in karierten Pantinen in seinen Partykeller hinabsteigt, wie er sich einen Barhocker hinter die Theke zieht, ein Bierchen zapft und sich Platten auflegt – eine nach der anderen. Draußen wird es dunkel, das Bier im Glas ist nicht mehr das erste, und als es nach zwei Stunden mit Wolfi durchgeht, moscht er wippend, aber immer noch auf dem Hocker sitzend, zum Rhythmus der Musik.

Als es spät wird, gibt Wolfi tatsächlich den DJ. Die Mädels tanzen auf den Fliesen vor seinem Grillmeisterdiplom. Wolfis Wangen glühen rot unter seinem grauen Bart – vor Wärme und vor Freude, wenn er mit „Born to be alive“ die Twenty-Somethings in Bewegung hält. Dass zwischen den Liedern immer eine Pause bleibt, während er die Platten wechselt, stört die Mädchen nicht. Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt, die Stille füllen sie mit ihrem Lachen.

Wolfi ist glücklich.

Freddie ist ein Freund der Familie. Ein robuster Typ mit einer Neigung zur Korpulenz, bärbeißig, Doppelkinn, Dreitagebart. Er wuchs mit meinem Vater auf, ging mit ihm auf den Bolzplatz, zum Zelten und Trinken, später zum Wandern und Trinken und mittlerweile zum Kegeln und Trinken – jeden zweiten Freitag im Kolpinghaus.

Freddie sitzt der Schalk im Nacken. Er hat immer einen guten Witz auf Lager, kennt in der Stadt Hans und Kranz, jedes Gerücht und jedes Döneken. Im wirklichen Leben verkauft er kleine, asiatische Autos von mäßiger Qualität – nichts könnte besser zu ihm passen. Denn er verkauft sie, wie er sich selbst verkauft: im Bewusstsein um ihre kleinen Mängel preist er sie mit so viel Herzenswärme an, dass niemand widerstehen kann.

Seit vorgestern aber hat Freddie eine Thrombose. Das war nicht leicht festzustellen; Freddie hat keinen Hausarzt. Seit 25 Jahren hat ihn niemand untersucht, warum auch, er war ja nie krank, hatte höchstens mal einen Kater und ein bisschen Rücken. Als ihm plötzlich das Bein schmerzte, ging er zu Bosse, seinem Kumpel. Bosse ist Allgemeinarzt, Freddies Kumpel von der Volksschule, der Exfreund seiner Exfrau – und damit prädestiniert für eine Konsultation unter Freunden.

Bosse erkennt sofort den Ernst der Lage und schickt Freddie direktemang ins Krankenhaus – ein Ort, den Freddie noch nie betreten hat. Nicht mal seine Eltern musste er jemals dort besuchen; vom Hospital sahen beide, nachdem ein Infarkt sie wie ein Blitz erschlagen hat, nur die Pathologie – und dort musste Freddie ihnen keinen Obstkorb und kein Edelkirsch mehr vorbeibringen.

Nun liegt Freddie also im Krankenhaus und kriegt alle Untersuchungen, die er in den vergangenen 25 Jahren verpasst hat. Er wird den Ort als kranker Mann verlassen: Leberwerte, Cholesterin, Bluthochdruck – um Freddies Schwächen zu diagnostizieren, braucht niemand eine Blutprobe.

Seine Frau allerdings ist gottfroh, dass die Ärzteschaft sich seiner annimmt. Nur eines wundert sie: „Im Kopp hamse bislang nix gefunden!“

Ich bin bei Mutter und überreiche ihr die umgetauschte Pantolette für Unsaomma – Größe 40 statt 39.

Mutter: Passen Omma die Schluffen denn jetzt?
Nessy: Muss Omma mal anprobieren.
Mutter: Hast du sie denn nicht anprobiert?
Nessy: Ich trage nicht Größe 40.
Mutter: Aber zum Gucken.
Nessy: Wie soll ich gucken, wenn sie nicht passen?
Mutter: Wegen der Weite.
Nessy:
Mutter: Naja, muss sie halt sehen.
Nessy:
Mutter: [befühlt Pantoffeln] Schön sind sie ja.
Nessy: Finde ich auch.
Mutter: [lauter] Findest Du nicht??
Nessy: [ebenfalls laut] Ich sagte: Fin-De! Ich! Auch!
Mutter: Ach! Nicht.
Nessy: ???
Mutter: Redest Du nicht mehr mit mir?
Nessy: Doch. Es ist nur etwas anstrengend.
Mutter: Dich zu gebären, war auch anstrengend.

[Was bisher geschah:
Pummeldings im Förmchen, Damenpantolette, Der Fluch der Damenpantolette]
Als ich ankomme, sitzt Unsaomma im Sessel, an den Beinen Stützstrümpfe, an den Füßen Komfortschuhe. Fröhlich überreiche ich ihr mein Geschenk: die beste und einzige fellbezogene Damenpantolette des Ruhrgebiets.

Versonnen fummelt Unsaomma das Geschenkpapier vom Schuhkarton, öffnet den Deckel und –
„Pantoffeln????“ Verwirrt sieht sie vom Karton zu mir, zu Mutter und zurück zum Karton.

„Hast du dir doch gewünscht, Omma“, sage ich gepresst und schaue mit einem stirngerunzelten „Etwa nicht?“-Blick meine Mutter an. Mutter ist sofort bemüht, die Situation zu retten. Sie reißt eine Pantolette aus dem Karton – das weiße Papier fliegt hinaus und gleitet vor Ommas Gehstock zu Boden.

„Oooooch, wie schön! Guck mal, Omma, ganz warm!“ Mit einer runden Bewegung streicht Mutter über Filz und Fell und zupft dabei das Preis- und Größen-Schild ab. „Die probierst du gleich mal an, woll?“ Bevor Unsaomma sich wehren kann, greift Mutter ihren Fuß, zieht ihn zu sich hoch, hebelt ihr den Schuh von der Haxe und stopft ihr die Pantolette auf die Zehen.

„Das ist aber ein bisschen knapp.“ Vorwurfvoll schaut Mutter mich, noch über den großmütterlichen Fuß gebeugt, von unten herauf an.

Ich nehme Verteidigungshaltung ein. „Das ist 39, wie bestellt.“

„Hast du sie denn nicht anprobiert?“ Mutter versucht, die Pantolette weiter auf den Fuß von Unsaomma zu schieben. Doch Ommas Frist ist zu hoch, der Fuß zu mopsig. Unsaomma haut Mutter auf den Arm und jammert: „Lass das!“

Ich seufze. „Wie soll ich denn die Latschen anprobieren? Das ist doch gar nicht meine Größe.“ Ich erübrige mich, die Pantolette wieder mitzunehmen und gegen eine größere umzutauschen.

Nun gib Gott, dass Größe 40 vorrätig ist. Sonst beginnt alles von Neuem.

Weil Unsaomma morgen Geburtstag feiert, musste ich heute ein Geschenk kaufen. Mutter wusste: Die alte Frau braucht Pantoffeln.

Ich also los – am Samstagmittag in die Innenstadt, das ist Vorhölle mit Glitzer drauf. Nun finden Sie in dem Gewühl mal Damenpantoletten in Größe 39, die den Ansprüchen von Unsaomma genügen. Vor dem Schuhregal habe ich sicherheitshalber nochmal Rücksprache gehalten:

Nessy: Möchte sie offene Schuhe oder vorne zu?
Mutter: Offene hat sie.
Nessy: Also zue Schuhe.
Mutter: Zue hat sie.
Nessy: [ratlos] Ja … äh … was braucht sie denn dann?
Mutter: Sie hat doch so Fußkälte.
Nessy: Also was Warmes.
Mutter: Filz mit Plüsch.
Nessy: Fell dran?
Mutter: Kein Kunstleder. Feste Sohlen. Die Omma hat doch Parkinson.

So. Jetzt gehen Sie mal in einen Schuhladen und suchen das. Entweder hält der Einzelhandel Hello-Kitty-Ballerinas oder Riemchen mit Strass vor. Beides nichts für Unsaomma, schon wegen der Rutschfestigkeit. Fragen Sie das Schuh-Personal bitte auch nicht nach Pantoletten – Sie werden angeschaut, als hätten Sie ein Kilo Halb und Halb bestellt.

Was tragen Sie eigentlich zu Hause?



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