Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

In der U-Bahn. Eine alte Dame erzählt ihrem Gegenüber:

„Ich habe einen Freund in Polen, einen Professor. So alt wie ich, und er arbeitet noch. Ich habe ihn gefragt: ‚Fühlst du dich nicht zu alt fürs Arbeiten?‘, und er sagte: ‚In der Universität bin ich nicht zu alt. Dort sind so viele junge Menschen, dass ich auch wieder ein junger Mensch bin. Ich bin nur zu Hause alt.'“

Hach – das Internet hält so schöne Sache bereit:

Wie fühlt sich das Alter an? Zeit-Autor Henning Sußebach hat Greta, 79, und Hans, 81, besucht:

„Dabei rast die Zeit gar nicht“, sagt sie, „wir sind nur langsamer geworden. Viel, viel langsamer. Früher ging mir alles ruck, zuck von der Hand. Wie lange ich jetzt brauche, um mir die Haare zu waschen. Oder den Frühstückstisch abzuräumen. Und wenn ich denke, dass ich fertig bin, liegt da immer noch was.“

„Die Grünphasen an der Ampel schaffen wir aber noch“, sagt er.

„Ich bin neulich sogar mal wieder über Rot gelaufen, Hans.“

„Ich soll ja nicht mehr rennen seit meiner Hirnoperation.“

Ein wunderbarer, wirklich wunder-wunderbarer Text mit vielen Zitaten, die man sich gerne an die Wand hängen möchte. Humorvoll, melancholisch, anrührend. Einfach großartig. So wie Henning Sußebach ein großartiger Autor ist.

Der liebe MC Winkel zeigt, wie die bekanntesten Apps auf der Apple Watch aussehen werden.

Da denkt man immer, die Welt sei riesig. Und dann sowas: Unser Planet Erde im Vergleich zu anderen Teilen des Sonnensystems.

Die NSA spioniert uns aus? Kein Ding. Das Nuf weiß: Schlimmer als die NSA überwachen uns unsere Kinder.

Die Uni Wien möchte international sein. Deshalb nutzt sie für Marketingzwecke wiederholt ein Bild, auf dem ein dunkelhäutiger Student zu sehen ist. Nur dumm, dass die einzige Internationalität des Bildes darin besteht, dass der Abgebildete nicht aus Wien, sondern aus Oberösterreich kommt – wie er der Uni in einem offenen Brief schreibt.

So macht man gutes Marketing: Die Polizei Reykjavik auf Instagram. Da möchte man doch gleich nach Island fliegen und sie knuddeln.

Nils Pickert wundert sich darüber, dass er offenbar ein Held ist – nur weil seine Frau mit dem dritten Kind schwanger ist. Seiner Frau wird indessen suggeriert, sie habe den Verstand verloren.

Etwas fürs Auge und zum Träumen: Die erste Klasse des neuen A380 von Qatar Airways A380. Unterscheidet sich ein klein wenig von der Holzklasse meines Ferienfliegers.

In New Orleans werden Tote nicht begraben. Warum, schreibt Eva Schulz im Hurra-Blog.

Der Kiezneurotiker über junge Menschen mit Realschulabschluss, die sich bei ihm bewerben: „Schade, leider dumm„. Die Kommentare unter dem Beitrag sind sehr kontrovers.

Sachen gibt’s! Die Sängerin Anna-Maria Hefele kann zwei Töne gleichzeitig singen. Ab 0:30 beginnt sie, dann kommt langsam der zweite Ton dazu. Ziemlich abgefahren:

Frische Links gibt es übrigens auch jeden Freitag bei den Gärtnerinnen.

Wir sind da, um zu renovieren: Wände streichen, Türzargen ausbessern, ein bisschen Moltofill hier und da.

Wir, das sind meine Freundin und ich. Außerdem ihr Vater, Geflügel-Landwirt aus Ostwestfalen, und Mateusz, sein Knecht. Die beiden sind mit einem Transporter von irgendwo in der Nähe von Höxter gekommen. Den genauen Ort kennt kein Mensch. Auf der Heckklappe des Wagens klebt ein Hähnchen, das „Puten Tag!“ sagt. Ich gehe hoch in die Wohnung.

Die beiden sind schon oben. Mit in die Hüfte gestemmten Händen stehen sie im Flur und bequatschen schweigend, was als erstes ansteht, indem sie abwechselnd sich und die Wohnung anschauen. Ich mache mich an die Türzarge zum Schlafzimmer. Sechs Stück wollen heute geschmirgelt und gestrichen werden. Vatta und Mateusz beginnen wortlos, Küchenschränke abzubauen.

Die beiden machen keine Gefangenen. Es rumst und bumst, und dann beginnt es bestialisch zu stinken. Die Freundin schimpft. Sie ist etwas dünnhäutig. Alles muss heute fertig werden. Morgen ist Wohnungsübergabe. Vatta und Mateusz nehmen sich davon nichts an. Zucken nur mit den Schultern. Die Freundin wird ösig. Vorsicht, verdammt nochmal! Es stinke wie in einem Affenkäfig, ruft sie. Ob das sein müsse. Und Achtung, der Bodenbelag! Der bleibt drin, der muss morgen noch abgenommen werden. Wie ein HB-Männchen hüpft sie durch die Wohnung. Vatta reagiert ganz ostwestfälisch, nämlich gar nicht. Verlangt lediglich einen Eimer. Mateusz hält es ähnlich. Er ist polnischer Ostwestfale. Oder ostwestfälischer Pole. Er stellt nicht nur die Ohren auf Durchzug, er beginnt auch noch, Volksweisen zu summen, und wiegelt damit jegliche Ermahnung ab.

Ich bin mit der ersten Tür fertig. Vatta und Mateusz tragen die Küche ins Auto. Dann müssen die Wände geweißelt werden. Nicht so kleckern!, ruft die Freundin. Mateusz schnaubt leise. Die Freundin holt einen Lappen und beginnt, über den Boden zu feudeln. Mateusz fragt, was denn nun Sache sei, Akkord oder nicht Akkord? Wir müssen doch heute noch fertig werden, oder? Akkord-Renovazia mache Spritzer. Normale Renovazia – keine Spritzer. Vatta brummt zustimmend.

Man einigt sich auf Akkord und Hinterherwischen. Die Freundin verteilt Knoppers und Wasser. Ob sie Radio anmachen solle? Ich sage: „Ihr Drei seid mir Unterhaltung genug.“ Vatta und Mateusz halten sich die Bäuche vor Lachen. Die Freundin sagt, eigentlich müsse die Renovierung von einem Fachunternehmen gemacht werden. „Ich bin Fachunternehmen“, sagt Mateusz. Vatta deutet mit dem Finger auf sich und nickt. Beide grinsen. Dann geht’s weiter. Bis zum späten Nachmittag haben wir alles erledigt: Die Zargen sind weiß, die Wände auch, der Boden ist sauber und alles ist hübsch. Eigentlich viel zu hübsch, um nun woanders zu wohnen, aber was will man machen.

Vatta und Mateusz steigen ins Putenauto und fahren davon. Die Freundin und ich essen noch ein Knoppers. Dann räumen wir zusammen.

Die Wohnungsübergabe am nächsten Tag läuft gut. Wie sorgfältig alles erledigt worden sei, toll. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Vatta und Mateusz knapp nicken. Natürlich. Wie denn auch sonst.

Wir sind drei Damen im gesetzten Alter.

Im gesetzten Handballalter, um genau zu sein. Einst haben wir gemeinsam im Verein gespielt. Ich bin dann irgendwann umgezogen, die Torfrau verabschiedete sich als erste in den sportlichen Ruhestand, die Rechtsaußen wurde schwanger. Doch das hält uns nicht davon ab, uns weiterhin regelmäßig zu treffen, nun, da das Training als Anlass ausfällt.

Gemeinsam haben wir einen „Stammtisch mit Herren“ ins Leben gerufen. Dieser Stammtisch findet alle paar Wochen reihum statt. Stillschweigendes Übereinkommen: Das ausrichtende Paar serviert jeweils ein liebevoll selbstgekochtes, mindestens dreigängiges Menü ohne Convenience-Zutaten. Oder, um es anders zu sagen: Aus dem sportlichen Wettstreit ist ein Koch-Wettbewerb geworden.

Unsere Torfrau hat diesen Wettbewerb angestachelt. Sie verfügt über ein ausgeprägtes Kochtalent, die für diese Tätigkeit notwendige Muße und Geduld sowie über eine ungefähr zwei Zentner und neun Regalmeter umfassende Kochbuchsammlung. Das weiß ich so genau, weil ich diese Sammlung beim Umzug in den dritten Stock getragen haben. Nur der Gedanke, dass auch ich von ihr profitiere, hat mich nachhaltig motiviert. Weil die Torfrau also stets raffiniertere Gerichte serviert, möchten wir anderen ihr in nichts nachstehen und servieren nun ebenfalls dolle Gerichte.

Gestern trafen wir uns bei der lieben Rechtsaußen und tafelten wieder fürstlich. Der Abend ist immer begleitet von großartigen Gesprächen. Dadurch, dass wir uns jahrelang nur in Jogginghose kannten, Siege und Niederlagen geteilt und schon mehr als hundertmal zusammen geduscht haben, sind wir sehr entspannt miteinander. Wenn ich genauer über diesen Umstand nachdenke, kommen mir fast die Tränen vor Freude. Es ist so wunderbar, Freunde zu haben.

Stammtisch: Tomatensuppe à la Horst Lichter

Tomatensuppe à la Horst Lichter mit Sherry und Schwarzwälder Schinken,
garniert mit Basilikumschaum

 

Stammtisch: Skat-Teller

Skat-Teller: Sauerkraut mit Kasseler in leichter Sahnesoße mit Stampfkartoffeln

 

Stammtisch mit Olli Roggisch (Autogrammkarte)

Zum Vernaschen: Olli Roggisch.

 

Stammtisch: Mango-Weißwein-Soufflé

Mango-Weißwein-Soufflé an schnellem Himbeereis mit reduzierter Himbeersoße

 

Stammtisch: Gläser mit Sauerteig & Marmelade

Austausch: Marmelade, Sauerteig, Tupper. Die Rassel bleibt daheim.

 

Stammtisch: Käseplatte

Käseplatte

 

Es ist noch nicht lange her, da habe ich an dieser Stelle über Wassermelonen und über Supermärkte geschrieben.

Dass Dinge mal vorhanden sind und mal nicht und falls ja, dann nicht dort, wo man sie vermutet oder wo sie sonst gewöhnlich sind.

https://twitter.com/HappySchnitzel/status/519421895142555648

Ich habe gerade zum ersten Mal Lebensmittel im Internet bestellt: Tiroler Schüttelbrot.

Schüttelbrot gibt es auch in meinem Supermarkt um die Ecke – in der Brot-Abteilung. Aber eben nicht immer. Manchmal ist es da, manchmal nicht. Manchmal liegt es auch woanders. Derzeit zum Beispiel in der „Aktionsecke Südtirol“, gemeinsam mit Schinken und Kaminwurzen. Nach drei vergeblichen Runden durch den Markt habe ich es schließlich entdeckt – vor dem Regal mit dem Senf. Allerdings nicht, wie man passend zur Aktion vermuten könnte, zu einem Aktionspreis. Der Hersteller ist nun ein anderer, es sind nur noch 100 statt 200 Gramm in der Packung, dafür kostet es dasselbe.

Denkt der liebe Einzelhändler, ich merke das nicht? Denkt er, ich habe Spaß daran, mir ständig mein Zeug zusammenzusuchen, wenn ich abends nach dem Job durch den Markt schiebe? Stell Deine Aktionen gerne auf, wo Du willst. Ich freue mich, wenn ich überrascht werde. Ich gebe dafür auch gerne Geld aus. Aber zusätzlich. Zusätzlich Geld ausgeben, zusätzlich aufstellen. Und alles andere bleibt dort, wo es ist. Dieses ständige Suchen ist nämlich das, was zermürbt. Weshalb ich Dinge online bestelle.

Ich habe übrigens zusammen mit dem Schüttelbrot das Produkt „Bayer Schädlingsfrei“ bestellt – weil zwei meiner Zimmerpflanzen Läuse haben. Zuvor war ich im Supermarkt, wo sie Blumendünger und Seramis führen, wo es Mittel gegen Fliegen, Motten, Ameisen und Silberfische gibt, aber nichts gegen Läuse – wem erschließt sich das? Daraufhin bin ich sechs Kilometer in einen Baumarkt mit Gartenabteilung gefahren, um festzustellen, dass „Läusespray erst nächste Woche wieder reinkommt“.  Wenn der Einzelhandel es irgendwie schafft, transparent zu machen, ob es ein Produkt a) gerade führt und b) wo genau, wäre das für mich schon die halbe Miete.

Nun bekomme ich übermorgen also zwölf Packungen Schüttelbrot geliefert. Es ist ein Jahr lang haltbar und  sollte die Sucherei für die nächsten zehn Wochen beenden. Es war übrigens teurer als im Einzelhandel. Aber für Verlässlichkeit zahle ich eben gerne.

 

Das Wochenende war zauberhaft – voller Sonne und Wärme.

Auch wenn manch einer sich schon beschwert, wo denn der Herbst bleibt: Ich liebe es warm und bin um jeden Tag froh, an dem der Sommer noch bleibt. Am liebsten mag ich mir das herbstliche Uselwetter sparen und direkt in den Winter übergehen. (Nur um die Herbststürme wär’s schade.)

Das gute Wetter habe ich genutzt und bin am Phoenixsee vorbei zum Erntemarkt nach Hörde spaziert:

Phoenixsee - Blick auf das Nordufer

Phoenixsee - Hügel und Spielplatz

Phoenixsee - Nordufer

Phoenixsee - Hafen

Ich mag Hörde sehr: den Stadtteil, die kleine Innenstadt, die Leute, die Geschäfte. Ich komme aus einer Kleinstadt, und Hörde ist genau so: kleinstädtisch inmitten der Großstadt.

Regelmäßig finden Veranstaltungen statt: Märkte, eine kleine Kirmes, Sportereignisse, Kultur – es ist ganz prima. Am Wochenende also Erntemarkt mit Gemüse, Gaukler und Gebastel. Und fünf (!) Waffelständen. So viele Waffeln konnte noch nicht einmal ich als ausgewiesene Waffelexpertin essen. Halleluja.

Erntemarkt in Hörde

Abgesehen davon gibt es auch vier vorzügliche Eisdielen in Hörde. Ein Stadtteil wie ein Schlaraffenland.

Die U-Bahn-Haltestelle ist schlicht gekachelt: gelb, rot, grün, so wie es in den 60ern schick war. Orangene Plaste-Sitzschalen stehen in der Mitte des Bahnsteigs. Eine Plakatwerbung wirbt fürs Plakatieren.

Ein altes Paar schiebt sich heran: Er geht gebeugt, sie sehr aufrecht. Beide tragen Wollmäntel.

„Hat heute Nacht geregnet“, sagt sie zu ihm.
„WAS?“
„HAT GEREGNET! HEUTE NACHT!“
„Was du immer hörst.“
„Mehr als du.“
„WAS?“
„MEHR ALS DU!“

Sie schlurfen zu den Stühlen und lassen sich darauf plumpsen. Auf den ersten Blick scheint er unmittelbar nach vorne auf die roten Fliesen zu kippen. Doch je länger ich ihn anschaue, desto stabiler sitzt er. Ein Mann mit einem Schwerpunkt auf 45 Grad.

„Richtig laut hat’s geregnet“, sagt sie.
„Hab nix gehört.“
„Das ist nix Neues.“

Er grunzt und schiebt sich ein bisschen auf seiner Sitzschale hin und her. Hebt erst die eine, dann die andere Pobacke und verharrt wieder im Nachvornekippen.

„Warum erzählst du mir das?“, fragt er.
„WAS?“
„WARUM DU MIR DAS ERZÄHLST?!“
„WAS ERZÄHLEN?“
„Mit dem Regen.“
„Musst ja nicht zuhören.“
„Tue ich auch nicht.“

Die U-Bahn fährt ein. Beide nehmen synchron Schwung, lehnen sich zurück und schießen dann von ihren Sitzen hoch direkt durch die sich öffnenden U-Bahn-Türen hinein. In der Bahn setzen sie sich schweigend nebeneinander. Mit einem Ruckeln fährt er Zug an. Ihre Köpfe wippen, und sie sind fort.

Gelesen im Juli, August und September:

Gelesen im Juli, August und September 2014

Friedrich Ani. Süden und die Schlüsselkinder.
Mein erster Krimi mit dem Privatdetektiv Tabor Süden. Er wird zu einem Kinderschutzhaus gerufen: Ein Junge ist verschwunden. Nur das Mädchen Fanny könnte wissen, wo das vermisste Kind sich aufhält. Süden macht sich auf, es zu finden. Das Buch ist dünn, nur 188 Seiten. Das ist kein Nachteil; das tut der Geschichte gut. Das Bemerkenswerteste an diesem Buch ist, wie schnörkel- und mitleidslos Friedrich Ani die Familien der Heimkinder präsentiert. Die Lösung des Falls kann man vielleicht erahnen; ich habe es nicht getan. Insofern: gute Sache. Es wird nicht mein letzter Ani sein.

Silvia Avalone. Marina Bellezza.
(Aus dem Italienischen von Michael von Killisch-Horn)
Marina und Andrea – beide aufgewachsen in den italienischen Alpen, dort wo es nichts gibt außer Berge und verlassene Höfe. Als Teenager haben sie sich schon einmal geliebt. Nun, drei Jahre später, treffen sie sich wieder und die Beziehung beginnt von Neuem. Aber es ist die Zeit der Wirtschaftskrise; beide versuchen, sich eine Existenz aufzubauen: Die hübsche Marina geht zu Castings und versucht sich als Sängern, der introvertierte Andrea möchte die Alm seines Großvaters bewirtschaften. Die Geschichte ist solide erzählt. Allerdings hat mir trotzdem ein wenig der Zugang gefehlt: Den pubertären Charakteren bin ich irgendwie entwachsen. Auch wenn Silvia Avalone es schafft, der Figur der Marina ein bisschen Tiefgang zu geben – bei Andrea verliert sie ihn wieder. Das Resümee insofern: okay bis gut, aber nicht bewegend.

Siri Hustvedt. Was ich liebte.
(Aus dem Englischen von Uli Aumüller, Erica Fischer und Grete Osterwald)
Leo Hertzberg lebt in New York – in unmittelbarer Nähe seines Freundes, des Malers Bill Wechsler. Siri Hustvedt erzählt das Leben der beiden ab ihrem Kennenlernen, die verwebt ihre Schicksale und Schicksalsschläge. Das macht sie virtuos und gleichzeitig ohne Pathos. Nüchtern und abgeklärt lässt sie Leo Hertzberg  berichten – über Beruf, Ehe, Liebschaften, Freundschaft und Kinder. Auch wenn mich das Künstlermilieu zwischendurch genervt hat: Das Buch ein tolles Erzählstück.

Lola Lafon. Die kleine Kommunistin, die niemald lächelte.
(Aus dem Französischen von Elsbeth Ranke)
Die Geschichte der Turnerin Nadia Comăneci. Mit 14 Jahren turnte sie bei den Olympischen Spiel in Montreal eine sensationelle 10.0 – als erste Turnerin, die diese Note erhielt. Die Welt bewunderte das zarte, disziplinierte und austrainierte Kind. Ihr Heimatland Rumänien machte sie zu einer Heldin der kommunistischen Jugend. Lola Lafon schildert das Leben Comănecis, ihr Verhältnis zu ihrem Trainer Béla Károlyi und ihre Flucht in die USA. Sie zieht außerdem eine zweite Ebene ein: den Entstehungsprozess des Buches und wie sie mit Nadia Comăneci um Absätze und Formulierungen rang. Es sind zwei Dinge, die mich an diesem Buch beeindruckt haben: zum einen das menschenunwürdige Training, das Comăneci absolvierte, und das daraus resultierende, gestörte Verhältnis zu ihrem weiblichen Körper; zum anderen die heutige Reflexion – oder Nicht-Reflexion, wie man’s nimmt – über ihr damaliges Leben, ihre Rolle im Sozialismus und ihren Trainer Károlyi. Eine klare Empfehlung.

J.R. Moehringer: Knapp am Herz vorbei.
(Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit)
New York, Weihnachten 1969. Willie „The Actor“ Sutton wird aus dem Gefängnis entlassen. 17 Jahre lang hat er eingesessen – wegen Bankraubs. Gemeinsam mit einem Journalisten begibt er sich an die Stationen seines Lebens zurück und erzählt ihm, wie er zu dem wurde, was er heute ist. Autor J.R. Moehringer kenne ich seit Tender Bar, einem feinen Buch, weshalb ich nun auch „Knapp am Herz vorbei“ gelesen habe. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht: Die Geschichte läuft flüssig; es ist ebenso kurios wie folgerichtig, wie Sutton zum Bankraub kam und dann dabei blieb.

Rose Tremain. Der unausweichliche Tag.
(Aus dem Englischen von Christel Dormagen)
Die Autorin hat mich mit „Der weite Weg“ nach Hause seinerzeit sehr beeindruckt. Doch „Der unausweichliche Tag“ ist ein Buch, das Sie gut liegen lassen können. Kurz zur Handlung: Anthony Verey, Antiquitätenhändler aus London, ist Mitte 60 und entschließt sich, sein altes Leben über Bord zu werfen und in der Nähe seiner Schwester Veronica ein Haus in Frankreich zu kaufen. Doch die Besitzer, ein schrulliges Geschwisterpaar, sind sich nicht einig. Leider ist die Geschichte vorhersehbar und noch dazu blutleer erzählt. Schade.

Aldo Maria Valli. Die kleine Welt des Vatikan. Alltagsleben im Kirchenstaat.
(Aus dem Italienischen von Renate Warttmann)
Ein Buch, das ich schnell wieder beiseite gelegt habe. Denn entgegen dem Titel gibt es darin keine Alltagsgeschichten aus dem Vatikan. Stattdessen beschreibt Valli die Gebäude und die Flagge, die verschiedenen Ämter und die Geschichte des Vatikan. Das ist sehr ermüdend. Ich hätte lieber etwas vom Vatikan-Apotheker und dem Mann gelesen, der den ganzen Blumenschmuck macht, von einem Soldaten des Schweizer Garde oder vom Pförtner. Doch Menschen kommen kaum vor. Sehr schade.

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Elektronisch gelesen:

Charlotte Link. Der Beobachter.
Samson ist arbeitslos. Aus Langeweile beobachtet er Frauen, träumt sich in ihr Leben, verliebt sich in sie. Dann werden zwei ältere Damen brutal ermordet. Schnell wird klar: Samson ist – trotz seines absonderlichen Hobbys – nicht der Mörder. Aber wer ist es dann? Und wo ist die Verbindung zwischen den Toten und den Frauen, die Samson beobachtet? Wer ist dieser John Burton, der plötzlich im Leben einer der Beobacheten auftaucht? Nicht der beste Link, aber solide.

Philipp Meyer. The Son. 
(Deutscher Titel: Der erste Sohn)
Das Buch wird gefeiert als „das Gründungymythos Amerikas“. Meyer erzählt die Geschichte der Eroberung des amerikanischen Westens als große Familiensaga über drei Generationen. Ich habe es nicht über das erste Drittel hinaus geschafft. Die Charaktere sind mir zu hölzern, die Szenen zu konstruiert, die Zeitsprünge gingen mir auf die Nerven.

Joachim Meyerhoff. Alle Toten fliegen hoch: Amerika.
Ein Meisterstück! Joachim Meyerhoff – eigentlich Schauspieler – erzählt, stark biographisch, wie er/der Erzähler als Austauschschüler ins ländliche Wyoming kommt. Und das eigentlich nur, weil er im alles entscheidenden Fragebogen bei der Austauschagentur angegeben hat, er sei ein genügsamer, naturbegeisterter und streng religiöser Kleinstädter – weshalb er nun hat, was (nicht) wollte: Blick auf die Prärie, Pferde und die Rocky Mountains. Doch was ernüchternd beginnt, entpuppt sich als ziemlicht nett, zumal bald die Basketballsaison startet. Meyerhoff erzählt wunderbar einfühlsam und selbstironisch von seinen Erfahrungen in den USA, dem Gefühl des Ausbrechens aus dem Elternhaus und wie es ist, als Jugendlicher in der Fremde zurechtzukommen.

Joachim Meyerhoff. Wann wird es endlich so, wie es nie war.
Die Vorgeschichte zu „Amerika“, wieder autobiographisch. Meyerhoffs Vater war Leiter einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Familie lebte in einem Haus auf dem Gelände. Meyerhoffs kindlichen Erfahrungen sind deshalb geprägt vom Leben inmitten von ganz dicken und ganz dünnen Jugendlichen, solchen, die nicht sprechen, und wieder anderen, die geistig oder körperlich behindert sind. Sein Vater indessen ist ein reiner Theoretiker und in praktischen Dingen völlig verloren, seine Mutter versucht, den Laden am Laufen zu halten, und seine Brüder ergehen sich in ihren Hobbys. „Wann wird es endlich so, wie es nie war“ ist nicht so gut wie „Amerika“, aber eine gute Ergänzung.

Kathrin Seddig. Eheroman.
Ava ist anders. Noch nie hat sie sich richtig zugehörig gefühlt. Dann verliebt sich der erst 12-jährige und deutlich jüngere Danilo in sie. Auch Ava fühlt sich zu ihm hingezogen. Als Danilo 16 ist, zieht er bei ihr ein. Danilo macht Avas Alltag zu etwas Besonderem, obwohl er nur sein eigenes, pubertäres Ding durchzieht. Ich konnte das Buch irgendwann nicht mehr weiterlesen. Die Geschichte war mir zu destruktiv, Ava zu misanthropisch, Danilo zu egoistisch.

Robert Seethaler. Ein ganzes Leben.
Seethaler kenne ich vom „Trafikanten„, eines der herausragendsten Bücher des vergangenen Jahres. Andreas Egger kommt als kleiner Junge in ein Tal, in dem er sein Leben verbringen wird. Er ist nicht besonders helle und auch nicht sehr kommunikativ. Er hat eine kleine, körperliche Behinderung. Trotzdem findet er Anstellung als Hilfsknecht und schließlich als Arbeiter für ein Seilbahnunternehmen. Er lernt die Liebe seines Lebens kennen und verliert sie wieder. „Ein ganzes Leben“ ist die Geschichte eines einfachen Mannes, sie ist schlicht wie die Figur und doch bewegend. Ich bin Andreas Egger gerne durchs Leben gefolgt. Ein gutes Buch.



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