Es war eine dunkle und stürmische Nacht. Und es gab ein Fotoshooting.
Erster Satz | Heute bat ich auf Twitter um einen ersten Satz für meinen heutigen Blogbeitrag. Es kamen mehrere sehr gute Vorschläge. Ich nehme den von Kiki. Er erhielt die meisten Herzen.
Es war eine dunkle und stürmische Nacht. Ich lag auf dem Oberdeck, bis eben war es noch warm gewesen. Eben, das war, als wir den Hafen verlassen hatten, als wir im Wind standen und zurückblickten auf die schwedische Küste und auf eine Sommerfreizeit, die so verwirrend und emotional gewesen war, wie eine Sommerfreizeit nur sein kann, wenn man 16 ist. Doch nun war sie vorbei, und wir fuhren heim, auf einer Fähre über die Ostsee. Nach dem Ablegen hatten wir uns auf dem Oberdeck nebeneinander gelegt, alle zusammen, als das Schiff in den Sonnenuntergang fuhr, als es noch warm war und ich guter Dinge. Doch jetzt waren sie fort, die anderen, alle bis auf Sonja und Marcel, die sich auf dieser Freizeit gefunden hatten; eine Sommerfreizeitliebe mit Gefummel im Jugendherbergshochbett, schweißfeuchten Händen, Knutschflecken und Petting mit zugeknöpfter Hose. Sie lagen eng aneinandergeschmiegt, und ich daneben, als Dritte neben Zweien, die anderen waren verschwunden. Treffender hätte diese Freizeit nicht enden können.
Ich stand auf. Der Wind zog an meiner Kleidung und meinen Haaren, das Schiff schwankte. Ich war müde und fror, mir war leicht übel. Ich ließ die beiden liegen, sie hatten es warm miteinander, und ging hinunter in einen Saal mit Sesseln, der behaglich war, aber auch nach Alkohol und Schweiß roch. Suchend blickte ich über die Schlafenden und Schnarchenden. Wo waren meine Leute?
Ich schaute mich um, suchte die Menschen nach bekannten Gesichtern ab, aber sah niemanden. Ich durchquerte den Saal, ging den Gang hinunter, stieg Treppen hinab und wieder hinauf. Der Seegang warf mich gegen Wände. Menschen kamen mir entgegen, Gruppen von wachen, trinkenden Jugendlichen torkelten gegen mich, lachten. Niemand, den ich kannte. Übelkeit legte sich wie ein enges Band um meinen Hals und drückte mir in den Magen. Ich war zum Umfallen müde, wankte weiter, irrte umher, Treppen hinauf, Treppen hinab. Ich wollte zurück in den Saal. Wo war er? Bis zum Morgen musste ich einen Platz finden, irgendwo. Einen Ort, an dem ich mich hinlegen und schlafen konnte. Wenn ich meine Leute nicht fand, dann allein.
Wieder eine Welle, ich strauchelte und griff ans Geländer, hielt inne, ging weiter. Ich musste hinaus, ich brauchte Luft. Gleich musste ich mich übergeben. Flure links und rechts. Vielleicht ging es dort hinaus? Ich wechselte den Gang, immer tiefer in den Bauch des Schiffes hinein. Nein, hier würde ich niemanden finden, hier kam ich nicht zurück aufs Deck. War ich unten, oben, in der Mitte? Ich suchte Treppen, fand sie, ging hinauf, wieder durch Gänge, weiter hinauf. „Jetzt bin ich gleich draußen“, dachte ich, aber ich war doch nicht oben. Noch ein Deck, noch ein Gang.
Irgendwann fand ich zurück zum Saal mit den Sesseln, und da waren sie, die restlichen Mitreisenden, mussten immer dort gewesen sein. Zusammengerollt lagen sie in den Polstern. Ich legte mich dazu, auf den Teppich, und schlief zuckend ein.
Einen Monat später sank die Estonia auf der Ostsee, ein ähnliches Schiff wie unseres, mitten in dunkler, stürmischer Nacht, und ich wusste sofort: Ich hätte gewiss nicht hinaus gefunden.
Shooting | Heute Nachmittag fuhr ich zum Campus der TU Dortmund ins Work Inn. Dort arbeitet Anke – und Anke machte Fotos von mir. Die Fotos auf meiner Job-Website sind nun vier Jahre alt. Sie sind nicht mehr ich, ich bin nicht mehr sie. Die Bilder sind zu steif, zu bieder. Das muss alles neu.
Wir verbrachten drei Stunden im Work Inn, im Treppenhaus, an Schreibtischen, an der Teeküchentheke, wir gingen in den Technologiepark, vor Glasfronten und ins Grüne. Ich kleidete mich mehrmals um: von Jeans ins Kleid, vom Kleid in den Hosenanzug, vom Hosenanzug in den Hoodie.
Am Ende waren wir beide müde und zufrieden. Ja, ich glaube, die Bilder sind gut geworden.
Übrigens ist Anke genau eine fritz-kola-Kiste kleiner als ich.
Häufigster Satz des Nachmittags: „Räum mal deine Haare auf.“
See | Auf dem Heimweg stoppte ich am See – für einen Happen Sushi, und weil der Himmel so schön war.
Gelesen | Das verdeckte Imperium: Die Milliardärsfamilie Pears unterhält ein Geflecht aus Briefkastenfirmen, besitzt mit diesen Firmen mehrere tausend Wohnungen in Berlin und zählt damit zu den Großeigentümern der Stadt, ohne dass es bislang jemand mitbekommen hat. | Ben und sein Mann leben in Berlin und haben einen Sohn. Ben erzählt davon, wie es ist, gleichgeschlechtlich mit einem Kind zu leben – und sagt damit eine Menge über deutsche Erwartungen an Mütter und Väter: ‘Mum’s day off, is it?’: what adopting as a same-sex couple taught us