Ausflug nach Kibo, Gedanken zur Mobilität, ein neues Dach fürs Gewächshaus und die erste Gebärdensprach-Stunde
Ausflug nach Kibo | Wenn ich beruflich an Orten oder in Gegenden zu tun habe, in denen ich noch nie war (oder in denen ich gerne bin), bleibe ich immer noch ein bisschen. So verschlug es mich von Karlsruhe aus nach Kirchheimbolanden.
Die Einheimischen, lernte ich, sagen „Kibo“ – es erinnerte mich an Kirchbananensaft, der irgendwann in den 90ern mal modern war. Jedes Mädchen im neunten Schuljahr trank „Kiba“, weil die Saftfarben sich so schön mischten und weil sie sich wunderbar in den Joy-Gläsern machten, die in der Vitrine des Jugendzimmers zustaubten.
Kibo also, ein Ort, von dem ich noch nie gehört hatte. Es gibt dort ein Wellneshotel, das ich nun empfehlen kann. Außerdem eine Stadtmauer (pittoresk), einen historischen Stadtkern (ebenfalls), ein italienisches Restaurant (mega), ein thailändisches Restaurant (sehr gute Tom-Kha-Gai-Suppe) und Berge, die man hinauf und hinab laufen kann.




Ich neige ja dazu, Berge hinauf und wieder hinab zu laufen. Leider bin ich aktuell nicht gut in shape, was die Sache etwas beschwerlich machte. Zum Glück hatte ich den Reiseleiter aufgegabelt, damit er den Rucksack trug (und weil ich ihn auch sonst ganz gern habe).





Die Aussicht – landschaftlich, aber auch auf Kekse (zwischendurch) und Wellness (nach der Tour) – half über die Mühen hinweg.
Eine Sache fiel mir auf: Die Pfalz hat eine Tendenz zu Türmchen. Überall in der Landschaft stehen Türme, die man hinauflaufen kann. Stellvertretend für alle Türmchen der Pfalz hier der Ludwigsturm auf dem Donnersberg:


142 Stufen. Die Skyline von Frankfurt konnten wir nicht sehen, dafür war es zu dunstig. Aber sonst sehr hübsch.
Es fühlte sich etwas befremdlich an, in einem Wellnesshotel zu sitzen, zu Füßen die Landschaft, am Morgen ein opulentes Frühstücksbuffet, der Duft von Luxus im Seifenspender. Ich empfinde eine Dissonanz zwischen der Tatsache, dass das Leben so weiterläuft, wie es geplant und gebucht war, dass wir arbeiten und kurzurlauben; eine Dissonanz zwischen dem vordergründig Normalen und der weltpolitischen Kulisse, vor der dieses Leben gerade stattfindet.
Uff.
Ich weiß es doch auch nicht.
Bemerknis zur Lage | Falls mir überhaupt jemals der Gedanke gekommen ist, dabei sein zu wollen, wenn Geschichte geschrieben wird: Ich revidiere diesen Wunsch.
Gedanken zur Mobilität | Eine Sache, die mich umtreibt: die Abhängigkeit vom Auto. Oder das, was wir dafür halten. Sobald es darum geht, die eigene Kfz-Nutzung zu überdenken, leben alle Leute plötzlich auf dem Land und sind Schichtarbeiter, die täglich 30 Kilometer in einem alten Ford Fiesta zur Arbeit pendeln. Privat versorgen sie pflegebedürftige Angehörige, die wiederum 30 Kilometer entfernt wohnen, allerdings in die andere Richtung.
Das macht mich irre.
Ich habe Zahlen gesucht. Und gefunden: Nur 14 Prozent der Menschen in Deutschland wohnen in Gemeinden unter 5.000 Einwohnern, leben also wirklich „auf dem Land“. Hingegen lebt ein Drittel der Menschen in Deutschland in Städten ab 100.000 Einwohnern, fast ein Fünftel sogar in Städten ab 500.000 Einwohnern. Der Rest (28 Prozent) wohnt in Mittelstädten mit einer Einwohnerzahl zwischen 20.000 und 100.000 Einwohnern (Quelle).
Schauen wir mal auf die Mittelstädte – die Städte, deren Einwohner in Auto-Diskussionen gerne behaupten, sie wohnten „auf dem Land“. Natürlich: Auch bei 20.000 bis 60.000 Einwohnern kann es sich ländlich anfühlen. In der Vergangenheit wurden Dörfer eingemeindet, man wohnt zersiedelt, die Gegend ist mitunter hügelig, Radfahren beschwerlich, und natürlich passt der ÖPNV nicht auf die Bedürfnisse – wenn es ihn überhaupt gibt. Die Zersiedelung und das Zerstören von Strukturen ist allerdings bereits eine Folge unserer Autozentrierung; wir müssen nicht Auto fahren, weil wir zersiedelt wohnen. Wir wohnen zersiedelt, weil wir Auto fahren:
[…] die Zersiedelung ist ja eine Folge des Nichtbegreifens der menschlichen Siedlungen. Wenn man menschliche Siedlungen früher gebaut hat, musste man ziemlich viel Hirnschmalz aufwenden, um die richtig zusammenzusetzen, kompakt so zu gestalten, dass später sozial und ökologisch das Ganze funktioniert.
Seitdem wir mit dem Auto unterwegs sind, ist das vollkommen gleichgültig. Das heißt, wir bauen immer hässlichere Städte. Wir zersiedeln die ganze Gegend immer mehr und müssen immer weiter fahren, wenn wir komplementäre Funktionen brauchen. Wir haben immer weniger Beschäftigte in den zentralen Geschäftsstrukturen, wir haben das untersucht, im Vergleich zu den kleinen Geschäften. Und die Menschen, die dort arbeiten, sind immer unglücklicher als die mit kleinen Geschäften, die die Kunden kennen – usw.
„Autofahren ist schlimmer als eine Sucht“ – Interview mit dem Verkehrsexperten Hermann Knoflacher
Wenn ich mir die klassische Mittelstadt angucke, ist sie nicht sehr klein, sie ist kein Dorf, und es gibt auch nicht keine Infrastruktur. Mittelstädte bis 60.000 Einwohner sind zum Beispiel Euskirchen, Passau, Görlitz, Goslar, Böblingen, Hof, Aurich, Eberswalde und Fürstenfeldbruck, um nur mal ein paar aus Nord, Süd, Ost und West zu nennen. Oder Haltern am See – dort halte ich mich seit eineinhalb Jahren öfter auf. Das sind alles Namen, die man schonmal gehört hat. Das sind keine Käffer, und sie liegen auch nicht im Nirgendwo, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
Was den Arbeitsweg angeht, so die Statistik, pendelt die Hälfte der Erwerbstätigen unter zehn Kilometer (Quelle). Natürlich arbeitet man nicht nur; die Fixierung auf die Pendelstrecke empfinde ich als zu kurz gedacht; gerade Menschen, die Sorgearbeit leisten, legen viel mehr Wege zurück. Sie fahren einkaufen, holen Kinder ab, bringen sie zu Freunden, fahren zum Vereinssport, machen Erledigungen, haben etwas zu transportieren, schauen bei den Eltern vorbei und besuchen Bekannte. Dafür braucht es praktikable Mobilität. Dennoch: Das Argument, man brauche das Auto unbedingt, um zur Arbeit zu kommen, ist … nun ja, angreifbar.
In der Debatte erstaunt mich weiterhin, dass wir alle autozentrierten Unannhemlichkeiten – Benzinpreise, Baustellen, Parkplatznot – heiß diskutieren und wild beklagen. Als hätten wir ein Recht aufs Fahren und Parken, und als sei jede Zumutung sofort zu entfernen. Fehlende Radwege sowie schlechte Taktung des ÖPNV werden hingegen als gottgegeben hingenommen: „Gibt’s halt nicht, dann kann ich auch nicht!“ Es ist aber doch keine Schicksal, dass neben der Landstraße kein Radweg existiert und dass ich um mein Leben bange, wenn ich acht Kilometer zu meinem Job im Industriegebiet radle.
Ich habe mein Leben sowohl in einer Mittelstadt als auch in einer Großstadt verbracht und kann sagen: In beiden ist viel, viel Luft nach oben, was die Nutzung von Rad und ÖPNV angeht. Drei Gedanken dazu:
Ich habe den Eindruck: Den einzelnen Individuen fehlt es an Handlungsmustern jenseits des Autos. Das Auto ist Routine. Mit ihm weiß man, was man hat, wie es geht und wie es sich anfühlt. Steigt man ins Auto, muss den Weg, den man zurücklegen möchte, nicht neu denken. Man muss sich nicht fragen, wie viel Gepäck man transportieren will. Das Auto ist immer für das Maximum an Möglichkeiten bereit. Das entlastet uns.
Zweiter Gedanke: Es fehlt die Infrastruktur für Alternativen; unsere Verkehrswege sind maximal autozentriert. Hier muss der Staat, müssen wir alle mit unseren Steuern in Vorleistung gehen, wenn wir anders leben möchten (und wir müssen anders leben, sonst verbrennen oder ertrinken wir bald). Schaut man in die Niederlande und nach Dänemark, gibt es dort Radwege an allen Landstraßen, oft sogar beleuchtet. Die Wege werden klug geführt, es gibt nur wenige Kreuzungen mit dem motorisierten Verkehr, und wenn, dann deutlich markiert und mit Vorrang fürs Rad. Es ist eine Infrastruktur, die dazu einlädt, das (E-)Rad zu nutzen.
Dritter Gedanke: ÖPNV. Es existiert die Annahme: Wenn er nur richtig ausgebaut ist, nutzen ihn die Leute auch in kleineren Städten. Ich habe meine Zweifel. Vielleicht ist das ein stückweit so; im Großen und Ganzen glaube ich aber nicht, dass man außerhalb großer Städte mehr Nachfrage für Busse generieren kann – nicht so, wie der ÖPNV jetzt existiert, mit klappernden Fahrzeugen von Subunternehmen, die zu vordefinierten Zeiten Wohngebiete abfahren. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass kluge, digital gestützte On-Demand-Angeboten ein bisschen was reißen können. Meine These: Die Mehrzahl der Fahrten in kleinen und mittleren Städten sind geplante Fahrten und nicht spontan. Liese Müller und ihr Mann Georg haben einen Arzttermin, Sabine möchte zum monatlichen Kaffeetrinken mit ihrem Canaster-Club, und Kurt fährt einmal pro Woche auf den Friedhof und besucht seine Frau. Gäbe es ein gutes On-Demand-Angebot, das Menschen zum Bahnhof, in die City, zum Vereinsabend, zum Friedhof und wieder zurück bringt, in komfortablen, leisen Fahrzeugen, die kommen, wann man sie wirklich braucht, wäre das für bestimmte Zielgruppen eine gute Sache.
Zum Beispiel für Liese und Georg (fiktive Personen). Liese und Georg wohnen im Vorort von Goslar, Passau oder Wismar. Georg hat um 13 Uhr einen Arzttermin in der Kernstadt, danach möchten beide noch ein paar Sachen erledigen. Über eine App fordern sie einen Tag vorher einen der neuen, elektrischen On-Demand-Fahrzeuge für 12:30 Uhr an. Rückmeldung aus der App: „Wenn ihr statt um 12:30 Uhr um 12:15 Uhr fahrt, könnt ihr bei Peter und Karl zusteigen, die bereits eine Fahrt in den Stadtkern gebucht haben. Eure Fahrt wird dann einen Euro pro Person preiswerter. Abfahrt ab Ecke Blumenstraße/Baumstraße, 100 Meter entfernt von deinem Standort.“ Super, sagen sich Liese und Georg, das machen wir. Rückfahrt genauso: Beide wissen, dass sie etwa dreieinhalb Stunden im Ortskern bleiben werden für den Arztbesuch, die Einkäufe und ein Stück Kuchen im Café am Marktplatz; danach sind sie fix und alle und wollen aufs Sofa. Also buchen sie ihre Rückfahrt für 16:00 Uhr. Wenn sie erst um 16:30 Uhr fahren, können sie bei Renate und Hanne zusteigen, die von der Gymnastik kommen.
Vielleicht ist es eine Spinnerei, kann sein. Natürlich muss ein solches Angebot skalieren, und es ist in der Praxis alles viel komplizierter. Aber lasst uns auf solchen Dingen herumdenken, sie ausprobieren, sie verwerfen und andere Dinge denken, bis Gutes entsteht. Vielleicht werde ich, wenn ich online meinen Arzttermin buche, bald gefragt, ob ich direkt meine On-Demand-Fahrt dazu haben möchte.
Ein weiteres Bemerknis zur Lage | Wenn wir selbst jetzt, mit dem Druck der aktuellen Situation und mit dem gesellschaftlichen Willen, den diese Situation hervorbringt, nicht in der Lage sind, unser Energieerzeugung, unsere Energienutzung und unsere Mobilität nachhaltig zu verändern, verliere ich den Glauben an die Zukunft. Ernsthaft.
Gewächshaus | Was ganz anderes: Mein Gewächshaus hat ein neues Dach, pünktlich zur Pflanzsaison. Just an meinem Geburtstag klingelten Dachdecker und taten das, wofür ich sie beauftragt hatte: Sie entfernten das alte, selbst gebaute Dach, brachten Balken und – neu! – eine Dachrinne an, bedeckten das entstandene Loch mit Doppelstegplatten, machten alles regendicht und brachten Verblendungen und Profile an.





Ich bin entzückt. Rund zwei Jahre lang habe ich versucht, einen Dachdecker zu beauftragen. Oder nein, anders: Ich habe durchaus Dachdecker beauftragt, es gab vorhandene Angebote, aber keiner der Auftragnehmer fühlte sich nach Beauftragung bemüßigt, tatsächlich zu kommen und auszuführen. Auch auf Nachfrage nicht, und glauben sie mir: Ich fragte oft nach. Wenn der Auftragnehmer denn erreichbar war.
Als ich fast nicht mehr daran glaubte, kamen tatsächlich zwei Mitarbeiter eines Dachdeckerbetriebes. Ich hatte zuvor die Taktik geändert und das Hinterhertelefonieren an Vatta delegiert; Ermahnen ist seine Kernkompetenz, ich spreche aus leidvoller Erfahrung. Nun ist das Gewächshaus hübsch. Ich bin außer mir vor Freude!
Für die kommende Saison erwarte ich Tomaten und Gurken legendären Ausmaßes und Geschmacks.
Gebärdensprache | Ich hatte heute meinen ersten Gebärdensprachkurs, und er war fulminant. Toller Dozent, gute Methodik, gute Gruppe. Wir treffen uns vor dem Bildschirm, sechs Teilnehmerinnen (wirklich alles Frauen), Mikrofone sind aus, und es wird nur gebärdet. Ich kann noch nichts sagen außer „Hallo“, „Guten Tag, „Guten Abend“, „Gute Nacht“, „Wie geht es dir?“, „Ich arbeite viel“, „Mann“, „Frau“, „Schön“, „Wichtig“, „Üben“, „Danke“, „Tschüss“ und solche Sachen. Aber ich bin inspiriert.
Aufgabe bis nächste Woche: Vokabeln wiederholen und Fingeralphabet lernen.
Gelesen | Ein Sonntag mit Elena von Fabio Geda, übersetzt von Verena von Koskull. Eine kleine Geschichte über einen alt gewordenen Vater. In der Jugend seiner Kinder war er oft abwesend. Er reiste um die Welt und baute Brücken. Doch jetzt lebt er allein. Seine Frau starb, sein Sohn lebt in Finnland, die Töchter in anderen Städten Italiens. Seine älteste Tochter will mit ihrer Familie zu Besuch kommen, sagt aber kurzfristig ab. Er geht in den Park und lernt Elena und ihren Sohn kennen. Gerne gelesen, besonders wegen der interessanten Erzählweise: Die jüngere Tochter fungiert als allwissende Ich-Erzählerin zwischen Gegenwart und Vergangenheit, der Wohnung in Turin und anderen Orten der Familie.