Beobachtungen aus der Promillewelt
Es ist schon erstaunlich, wie viele Leute Alkoholiker sind.
Ungefähr bei jedem zweiten Einkauf steht ein Mensch vor mir in der Schlange, der drei Flaschen namenlose Cola und zwei Flaschen Weinbrand kauft, manchmal auch Korn, manchmal auch Wodka, es tut nichts zur Sache. Dazu eine Packung Mortadella und eine Packung geschnittenes Brot – vielleicht, weil er es essen möchte, vielleicht, weil er damit den Alkohol nach einem normalen Einkauf aussehen lassen will. Er hebt kein einziges Mal den Blick, legt dem Kassierer das Geld aufs Band, stopft das Brot, die Wurst und die Flaschen in einen Rucksack und verlässt den Laden, ohne jemanden angeschaut zu haben.
So ist es im Ghettonetto. Dort erkennt man sie sofort. Im Ghettonetto erwartet man sie schließlich auch. Rotnasig, aufgequollen, in abgetragenen Strickwesten und mit steifen, zittrigen Händen.
Männer kaufen Bier und Schnaps. Frauen kaufen Bier, Sekt und manchmal Wein aus dem Tetrapack. Männer sagen nichts, Frauen schieben mit dem Geld auch eine Entschuldigung zum Kassierer. „Meine Freundin aus Breckerfeld kommt heute zu Besuch, wa.“ Dabei hat der Kassierer gar nicht gefragt. Er weiß sowieso, was los ist, und die Frau weiß auch, dass er weiß, dass die Freundin schon seit drei Jahren nicht mehr da war und in den nächsten drei Jahren auch nicht kommen wird. Dass sie erst wiederkommt, wenn die Alte sich zu Tode gesoffen hat, mit einem Kranz und einem schlechten Gewissen.
Am Bahnhofsyormas steht eine andere Klientel. Da sind es nicht die, denen man ansieht, dass sie verloren haben. Da sind es die Berufstätigen, die Dienstbeflissenen. Aber nicht die Anzugträger. Meistens sind es Männer vom Typ Buchhalter in Bundfaltenhose und einem Pullover, der niemals modern war. Es ist später Nachmittag, und sie sind auf dem Heimweg zu ihrer Frau; die Kinder sind längst aus dem Haus. Oder sie kehren in ihr Zwei-Zimmer-Appartment mit Kochnische zurück, das sie seit der Scheidung bewohnen. Sie stellen ihre Aktentasche auf die Ablage vor der Glastheke, hinter der sich die Salamibaguettes stapeln. Sie sagen „Zwei Bier, bitte“, wühlen in ihrer ausgebeulten Ledertasche und holen drei leere Dosen Pfand heraus. In dem Moment weißt du: Die hat er sich heute morgen gekauft, bevor es ins Büro ging. Dann bezahlt er, steckt eine Dose ein, die zweite öffnet er schnalzend und setzt sie sofort an. Ein kühles Blondes nach der Arbeit, wer will ihm das verdenken.
Es ist schon erstaunlich, wie viele Leute Alkoholiker sind. Achten Sie mal darauf.