Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Expeditionen«

Vom Fliegen

5. 11. 2012  •  59 Kommentare

Ich fliege durchaus gerne mit dem Flugzeug.

Wie die Erde beim Starten kleiner wird, wie wir durch die Wolken stoßen, wie wir der Sonne entgegen fliegen, wie wir auf die Erde hinabschauen können und plötzlich alles unbedeutend wird – das ist toll.

Natürlich ist es immer etwas eng im Flieger, besonders für Menschen über einsachtzig und solche, die keine Sitzriesen, sondern Stehriesen sind, also lange Beine haben. So wie ich. In den vergangenen Jahren ging das alles. Ich konnte meine Beine unter den Vordersitz schieben oder unter dem eigenen Sitz zusammenklappen. Der Vordermann konnte sogar noch seine Rückenlehne neigen. Es passte.

Seit meinen vergangenen Flügen deucht mir aber, dass die Sitzreihen immer enger werden. Bei meinen Flügen mit sunexpress und air berlin passte ich – und das ist keine Übertreibung – nicht in den Sitz (bei Germania übrigens schon). Selbst vollkommen aufrecht, mit dem Hintern fest an der Rückenlehne, drückten meine Knie dem Vordermann so sehr ins Kreuz, dass er sich zu mir herumdrehte und wütend darum bat, ich möge mich doch bitte „vernünftig hinsetzen“ und mich „aus seinem Rücken entfernen“. Ich selbst hatte nach kurzer Zeit das Gefühl, als säße ein Elefant auf meinen Kniescheiben.

Ich saß am Gang, also stellte ich das rechte Bein in selbigen und klappte das linke irgendwie darunter – mit dem Ergebnis, dass ein Bein und zwei Füße als Fleisch gewordene Poller den Weg der Saft-Wägelchen blockierten, mein Rücken völlig verdreht war und ich meine Flunken nicht immer binnen Sekundenbruchteilen einfahren konnte, wenn Getränke, pappige Sandwiches, Duty-Free-Zeug oder sonstwas angefahren kamen. Dem Herrn schräg hinter mir ging es genauso, wir bildeten eine natürliche Barriere. Die Flugbegleiterinnen wurden mit zunehmender Flugdauer immer ungehaltener, staksten wie Störche durch unsere herumliegenden Gliedmaßen und rammten uns ihre Wagen in Hacken und Zehen.

Nun bin ich als Bahnfahrerin mit einem geradezu stoischen Gleichmut sowie einer, auf einem sonnigen Gemüt gründeten Besonnenheit gesegnet. Bei derartigen Konstruktionen packt mich jedoch die Wut. Wie kann es bitteschön sein, dass es Fluggesellschaften um des Profits willen erlaubt ist, ihre Maschinen derart mit Sitzreihen vollzupacken, dass es Reisenden nicht mehr möglich ist, das zu tun, was sie bezahlt haben: zu reisen, sitzend. Gibt es für diese Sitzkonstruktion eigentlich eine Norm – und wer hat die gemacht? Zwerg Nase?

Hochkantistan

31. 10. 2012  •  43 Kommentare

Es folgt: eine Bildergeschichte.

Die Bilder sind in der Mehrzahl hochkant, was daran liegt, dass sie in Hochkantistan entstanden sind, einer Insel im Atlantik, auf der man praktisch keine Querformate aufnehmen kann, weil sonst oben und unten immer etwas von der Welt fehlt, weil es dort so steil ist.

Bevor ich wusste, wie steil es in Hochkantistan ist, hatte ich die Idee, dort ein bisschen zu wandern, oder nun ja, eher spazieren zu gehen, schön gechillt mit hübschen Ausblicken für Genießer, abends Käse und Schinken, dazu ein Gläschen Wein. Es stellte sich allerdings heraus, dass schon die Wege auf dem Hotelgelände Gewaltmärsche messnerschen Ausmaßes waren – ein paar Prozent Steigung mehr, und ich hätte an der Rezeption nach Klettergeschirr und Karabinern verlangt. Entsprechend waren die geplanten Wanderungen alles andere als geschmeidiges Umherbummeln, sondern ein Herz-Kreislauftraining, das meinen Kardiologen, wenn ich einen besäße, in ein Gefühl tiefsten Wohlgefallens versetzt hätte.

Ein Vorteil hatten die steilen Berge allerdings: Oben angekommen, boten sie großzügige Panoramen.

La Palma - zum Pico Birigoyo

Bisweilen können Sie in Hochkantistan von so weit oben hinunterblicken, dass Sie durch         die Wolken spinksen. Sie fühlen sich dann wie ein dickes, schwitzendes Englein.

Schon nach der ersten Wanderung war klar: Scheiß auf den Wein, die tüchtige Wandersfrau braucht bei derartigen Höhendifferenzen nach ihrer Rückkehr ein kühles Blondes. Als ich also auf dem Pico Benejado stand und in die unter mir liegenden Schluchten blickte, dachte ich vor allem an eins: an Bier.

La Palma - Die Caldera de Taburiente vom Pico Benejado

Die Caldera de Taburiente ist 2000 Meter tief, was wiederum bedeutet, dass man       ziemlich hoch steigen muss, wenn man reingucken will.

Nicht immer blickte ich in Wolken, manchmal waren dort auch Barancos, das sind Fjorde ohne Meer, aber mit schaurigen Urwäldern. In den Barancos wohnen gefährliche Tiere, ähnlich wie Krokodile, nur viel gefährlicher.

Fauna auf La Palma

Urzeitechsen, die jeden Moment zur Bestie werden können.

Es ist noch gar nicht lange her, dass in Hochkantistan ein Vulkan ausgebrochen ist. Deshalb hatte ich, als ich den Vulkan besuchte, ziemlich heiße Füße. Zum Ausgleich war es sehr windig. So war mir obenrum genauso kalt, wie mir untenrum warm war. Im arithmetischen Mittel ergab sich also eine optimale Wohlfühltemperatur.

La Palma - Volcán de San Antonio mit Wander-Elfe

Eine Wander-Elfe auf dem Volcán Teneguía, ausgebrochen 1971.

Auf den Vulkanen wohnen kleine Feen, die vorbeikommenden Wander-Elfen, ohne dass diese es bemerken, Leggins aus Feenstaub anziehen. Das geht besonders gut, wenn sich die Wander-Elfen ihre Beine vorher mit Sonnencreme eingeschmiert haben:

Leggins aus Vulkanstaub

Vulkanstaubleggins verleihen Superkräfte.

Natürlich gab es auch Tage, an denen ich nicht wandern war. An denen wartete ein knallhartes Erholungsprogramm auf mich.

La Palma - Hotelpool

An freien Tagen Schwimmtraining im Hotelpool.

Eine Sache habe ich noch herausgefunden: Spülbürsten werden nicht, wie ich bislang dachte, künstlich hergestellt, sondern wachsen im fernen Hochkantistan an Spülbürstenbäumen, wo sie einmal im Jahr geerntet und nach Europa verschifft werden.

Der palmerische Spülbürstenbaum

Spülbürstenbaum mit Früchten.

Das war’s. Ende der Geschichte.

Hochzeitsheldin

13. 08. 2012  •  75 Kommentare

Nachdem das Strumpfhosenthema derart Anklang fand,
möchte ich Ihnen die Details des Tages nicht verschweigen:

  1. dieliebenessy
    Heldin in Strumpfhosen – das Beweisbild. #hochzeit #schickundschoen http://pic.twitter.com/VllXd2Sn
    Mon, Aug 13 2012 11:53:07
  2. FrauZimt
    @dieliebenessy Und, wieviele Herren wollten Sie hinterher nachhause geleiten?
    Mon, Aug 13 2012 11:56:29
  3. hb_dragons
    @dieliebenessy Schick. Und schön. Und man kann gar nicht sagen, für welche Lösung Sie sich entschieden haben. #echteheldinnen
    Mon, Aug 13 2012 12:18:39
  4. dieliebenessy
    @FrauZimt Keiner. Aber mit einem habe ich immerhin Sternschnuppen angeschaut (und mich dabei über die Marsmission unterhalten).
    Mon, Aug 13 2012 11:59:06
  5. hb_dragons
    @dieliebenessy @frauzimt Sie haben Ihren Hausend mit auf die Hochzeit genommen?
    Mon, Aug 13 2012 12:19:39
  6. hb_dragons
    @dieliebenessy @frauzimt Dammich. „Hausnerd“ sollte das heissen.
    Mon, Aug 13 2012 12:22:58
  7. dieliebenessy
    @hb_dragons @FrauZimt Könnte man meinen. Es war aber nicht der Hausnerd, sondern ein Informatiker von vor Ort.
    Mon, Aug 13 2012 12:26:10
  8. hb_dragons
    @dieliebenessy @frauzimt Der Hausend der Gastgeber also. Dem hätten sie auch das Heldinnen-Problem noch darlegen können.
    Mon, Aug 13 2012 12:31:49
  9. dieliebenessy
    @hb_dragons @FrauZimt Sie meinen, während wir romantisch auf die Perseiden blicken: „Du, ich habe einen Schlüpper über meiner Strumpfbuxe.“
    Mon, Aug 13 2012 12:35:56
  10. FrauZimt
    @dieliebenessy @hb_dragons Das schafft erst so eine richtig vertraute Atmosphäre.
    Mon, Aug 13 2012 12:38:21
  11. hb_dragons
    @FrauZimt @dieliebenessy Ich hätte es vielleicht als „willste wissen, was garantiert nicht runterfällt“ formuliert.
    Aber so in etwa, ja.
    Mon, Aug 13 2012 12:40:13
  12. dieliebenessy
    @hb_dragons @FrauZimt Das würde natürlich ein stückweit an die Sternschnuppensituation anknüpfen. #runterfallen
    Mon, Aug 13 2012 12:45:04
  13. dieliebenessy
    @hb_dragons @FrauZimt Ich hätte dann noch ergänzen können: „Trotzdem darfst du dir bei mir etwas wünschen.“
    Mon, Aug 13 2012 12:45:26

Außerdem wurde geheiratet, getauft, gesungen, gebetet, gegessen, getrunken, getanzt und gefeiert, es wurden Tränchen getupft, Blumen gestreut, Grußworte gesprochen und Großtanten übers Parkett geschoben. Wie das eben so ist auf einer Hochzeit.

14 Ideen zum Bergwandern

7. 06. 2012  •  41 Kommentare

Walchensee

  1. Du stehst immer auf dem Fuß, den du gerade brauchst.
  2. Wäre schön, wenn’s mal wieder bergab ginge.
  3. Bergauf war besser.
  4. Es geht immer noch steiler.
  5. Kein Grat ist zu schmal.
  6. Dem Mann, der das Stahlseil gespannt hat, ein dreifach donnerndes Helau!
  7. Hinter der nächsten Kurve wartet eine Überraschung auf dich – …
  8. … und es ist keine gute.
  9. Mit dem Lift fahren kann jeder.
  10. Auf der Hütt’n schmeckt’s dreimal so gut.
  11. Ist das Schnee? Alta, das ist Schnee.
  12. Radler kann was.
  13. Die Aussicht entschädigt für alles …
  14. … außer, du bist Teil einer Wolke.

Und weil jeder Urlaub ein Lied hat, hier das Ferien-Liedl:

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=rCE-4sCVpgg&w=480&h=360]

Nächste Woche beginnt die Saisonvorbereitung mit drei Trainingseinheiten. Endlich wieder Bewegung.

Die Baum-Elfe

3. 06. 2012  •  39 Kommentare

In bayerischen Wäldern lebt ein seltenes Säugetier:
die Baum-Elfe (lat. homo elfus arboris). Im Alpenvorland wurde jetzt ein weibliches Exemplar der behenden Freiluftkraxler gesichtet.

Frau Nessy im Kletterwald

Eine Baumelfe in ihrer natürlichen Umgebung.

Nur mit etwas Glück entdeckt man die Baum-Elfe in warmen Monaten in den Höhen der Wipfel, denn die Spezies ist flink und nicht leicht zu entdecken. Auffälligstes Merkmal der Baum-Elfen (männl. Baum-Troll) ist der orangene Hartplastik-Kopfschmuck, der sowohl dem Männchen als auch dem Weibchen als Schutz gegen Stürze und harte Aufschläge an Baumstämmen dient.

Die emsigen Radlertrinker bewegen sich äußerst waghalsig durch die Höhen der Wälder. Gesichert mit Seilen und Schnüren schwingen sie sich von Baum zu Baum, schaukeln sich über Hinternisse und stürzen sich mit Hilfe von Vorrichtungen aus den Baumwipfeln in federnden Rindenmulch. Einen tieferen Sinn hat dieses Verhalten nicht; lediglich beim männlichen Baum-Troll vermuten Forscher Zusammenhänge zu Balz- und Eroberungsverhalten. Weibliche Baum-Elfen scheinen sich aus reiner Plaisier in Ästen und Zweigen zu tummeln.

Frau Nessy im Kletterwald

Charakteristisch für Baum-Elfen ist der ausgeprägte Erd-Fleck am Hinterteil. Je dicker
der Fleck, desto graziler und geschickter die Baum-Elfe. Nicht zu verwechseln ist die
Baum-Elfe mit der gemeinen Erd-Hummel, einem eher taumelnden Tier.

Die jüngst gesichtete Baum-Elfe zeigte neben ihrem orangenen Helm ein zweites optisches Merkmal: den ausgeprägten Erd-Fleck am Hinterteil. Er entsteht, wenn die Baum-Elfe – entgegen ihrer sonst geschmeidigen, geradezu elastischen Fortbewegungssystematik – beim Seilbahnflug von einem Baum mit ihren kräftigen Hinterbacken bremst, welche die Natur zu diesem Zweck entsprechend ausgepolstert hat.

Vor dem Gewitter

1. 06. 2012  •  18 Kommentare

Liebes Tagebuch,

Berggasthof Eckbauer

Berggasthof Eckbauer, Garmisch-Partenkirchen, kurz vor dem Gewitter.

bin zwei Stunden durch die Partnachklamm zum Eckbauern gewandert. Dann das einsetzende Gewitter mit einem Radler überbrückt. Eine Stunde wieder hinunter gewandert. Danach dreimal durch die Sommerrodelbahn gebraust. Bahnrekord nicht geknackt. Dafür mit dem Mund Insekten gefangen. Noch ein Radler getrunken. Abends gut geschlafen.

Demnächst mehr.
Deine Frau Nessy.

Das selbstfahrende Auto

30. 05. 2012  •  50 Kommentare

Das Gute daran, das ich kein eigenes Auto besitze, ist,
dass ich mir öfter mal etwas Nettes miete, um von A nach B zu kommen. Das ist nämlich bisweilen preiswerter als Zugfahren – und mehr Spaß macht es auch.

Tief in meinem Herzen stehe ich nämlich auf schnelle Autos und geilen Technikscheiß. Zum Beispiel auf diesen 5er BMW, mit dem ich 600 Kilometer nach Süddeutschland gefahren bin und in dem ich alle Knöpfchen gedrückt haben, die die Karre an Firlefanz hergibt. Etwa die Abstandsautomatik. Und den „Zeig mir alle relevanten Infos in der Frontscheibe“-Gimmick.

Autofahren im 5er BMW

In der Scheibe: der Tempomat (170), die Abstandsautomatik (rote Linien), das aktuelle Tempo (156) und das Navigationsgerät (noch 211 Kilometer). Nicht im Bild: Frau Nessy,
mit vor Vergnügen geröteten Wangen.

Total krass: Du musst gar nicht mehr selbst fahren. Du haust die Abstandsautomatik rein, stellst den Tempomat ein, und das Auto fährt von allein. Es gibt Gas, und wenn sich einer vor Dich setzt, bremst es. Wenn er wieder weg ist, gibt es wieder Gas. Du musst nix machen, nix!

Alta! Ist das Hamma? Das ist Hamma!

Na gut: Lenken musst du schon noch selbst. Und ab und an musst du auch mal selbst bremsen, wenn jemand nicht in den Rückspiegel geguckt hat. Aber sonst? Mächtig scharfe Nummer. Bin schwer beeindruckt.

Söhne

28. 05. 2012  •  31 Kommentare

In meinem Hotel wohnten zahlreiche Söhne:

Männer in mittleren Jahren, die mit ihrer Mutter den Urlaub zubrachten – Vertreter des Typus „Schwiegertochter gesucht“, kauzig, unbeholfen und gekleidet wie ihr Großvater. Seltsamerweise gab es keine weiblichen Pendants dazu, also keine reisenden Töchter; nur Söhne reisen offensichtlich im Doppelzimmer mit ihrem Elternteil.

Einer von ihnen war mit seinem Vater unterwegs.

Der Vater ist ein Mann mit feudaler Aura. Er ist groß, schlank und bewegt sich mit Eleganz. Ein weißer, kurz geschnittener Haarkranz umrahmt seinen Kopf, ein Henriquatre seinen Mund. Er ist um die 70. Sein Sohn, ein Mann um die 40, wird seine Frisur erben: Sein Haar ist bereits licht. Er hat ein Sitzbäuchlein und einen Rundrücken. Selbst wenn er aufrecht steht, ist er in sich zusammengesunken.

Jeden Morgen brechen sie zu einer Radtour auf, schieben ihre Fahrräder durch die Eingangshalle des Hotels und präparieren sie vor dem Eingang. Der Sohn trägt, von unten nach oben: eine Wandersandale der Marke  „Mit Klettverschluss über Stock und Stein“, Hansaplast-farbene Thrombosekniestrümpfe, es folgt ein Stück freies Knie, eine in zartem Pastell gemusterte Shorts, ein professionelles Radfahrtrikot mit Werbeaufdrucken und eine Kappe mit Nackenschutz gegen die Sonne. Der Vater ist ebenso gekleidet, allerdings ohne Kniestrümpfe. Gegen 10 Uhr radeln sie los, gegen 17 Uhr sind sie wieder da.

Am ersten Abend sitzen sie neben uns im Restaurant. Der Vater erkennt mich sofort als Dame, die ohne Herrenbegleitung reist. Er nickt mir freundlich zu und wünscht vernehmlich „Guten Abend. Sie reisen alleine?“
„Mit einer Freundin“, sage ich.
Er lächelt. Während des Essens ermuntert er seinen Jungen mit Blicken, ein Gespräch zu beginnen. Der Sohn rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her und ringt sich zu der Frage: „Waren Sie schon in einem der Themen-Restaurants?“ durch. Er trägt heute Abend ein schwarzes, übermäßig großes Hemd mit Segelbooten in verschiedenen Neonfarben. 1986 war er damit bestimmt der Held unter der Diskokugel.

Ich sage: Ja, wir seien bereits im Tapas-Restaurant gewesen, und erzähle ihm von der Speisenfolge und dem Service. Er schweigt. Das Gespräch verebbt. So geht es mehrere Abende: Der Vater arrangiert einen Tisch, der Sohn ist steif wie der Römerkragen eines Diakons. Wir nicken uns meist nur freundlich zu.

Dann der letzte Abend. Ich mache mich zurecht und tusche mir die Wimpern: Morgen bin ich nicht mehr da; Sohn soll nochmal etwas zu sehen bekommen. Ich arrangiere einen Tisch neben den beiden, und während der Vorspeise frage ich: „Ihr macht immer Fahrradtouren, ne? Wo fahrt ihr denn immer so hin?“ Ich möchte endlich wissen, wo die beiden jeden Tag hinfahren.

Der Vater lächelt und nickt seinem Sohn zu, er möge doch antworten. Der hat plötzlich Worte gefunden, ein wahrer Schwall von Sätzen entkommt seinem Mund. Er  erzählt von jedem Stein und jedem Strauch, den sie auf ihrer Tour nach Teguise und zum Mirador des Rio passierten. Ich frage nach seinem Namen. Er heiße Bernd, antwortet er. Und: Er sei EDV-Sachbearbeiter im öffentlichen Dienst. Er erzählt mir von seinem System der Dateienarchivierung, dass er immer ganz korrekt sei. Darauf sei er sehr stolz. Es mache ihn nervös, wenn etwas nicht ganz in Ordnung sei. Seine Wangen sind gerötet.

Am Tag unserer Abreise stehen sie wieder in Radmontur vor dem Hotel.

„Oh“, sagt Bernd, „Sie reisen schon ab?“ Er bleibt standhaft beim Sie.
Ich bejahe und erkläre mein Bedauern.
Wir unterhalten uns noch ein wenig. Dann reise ich ab.

Wassergymnastik

23. 05. 2012  •  38 Kommentare

Sie sind fünf Damen. Und sie sind sehr britisch.

Sie sind gepflegt onduliert, tragen zurückhaltende Bademode, tiefer Beinausschnitt, hohes Dekolleté. Ihre Hörgeräte sind dezent. Blümchenmuster stehen ihnen gut. Abends sind sie stets gut gekleidet, nicht überkandidelt, aber dennoch adrett. Die Röcke gehen bis über die Knie. Am Buffet lassen sie einander so lange den Vortritt, bis andere Gäste nervös dazwischengehen und ihnen die Runzelkartoffeln wegessen. Sie erinnern mich an die Calendar Girls. Ich bin eigentlich sicher, dass sie es sind.

Es ist ein heißer Tag, ich liege am Pool und bin dem Dekubitus bislang entgangen, indem ich mich halbstündlich umgelagert habe. Plötzlich steht Stijn, der niederländische Animateur, vor mir und fragt: „Water Fitness?“

Ich denke: „Puuh, nee, lass mal.“ Er sagt: „Water Fitness!“, diesmal mit Ausrufezeichen, und ich denke: „Naja, warum nicht, bevor du dich mit Zinksalbe einreiben musst.“ Wir gehen zum Pool. Er holt den Ghettoblaster raus, schmeißt Dr. Alban rein, und wir lassen uns zu Wasser.

Die Gruppe besteht nur aus Frauen und aus Stijn. Wir hüpfen uns ein bisschen warm. Ich habe mich in die letzte Reihe verdrückt. Der Leistungsdruck macht mich sonst fertig.

Auf einmal fühlt es sich an, als nähere sich ein Krokodil. Ich sehe mich um. Eine der britischen Damen schwimmt in sanften Zügen heran, der graue Schopf treibt wie eine Wattebausch über die Oberfläche, federleicht. Sie lässt sich in die Senkrechte sinken und beginnt, unmerklich mitzuhüpfen. Ich nicke ihr zu. Ich weiß, dass sie Mildred heißt. Sie lächelt verschämt.

„Was tun wir gerade?“, frage sie mich auf englisch, weiterhin hüpfend, und ich sage: „Skipping, just skipping.“ Stijn entdeckt sie und ruft: „Hello! Welcome to Water Fitness!“ Sie lächelt milde, winkt majestätisch aus dem Handgelenk und hüpft so lange, wie Stijn guckt.

Dann ist es soweit, und Stijn holt die Pool-Nudeln vom Beckenrand. Er hält eine der Schaumstoffschlangen in die Höhe und ruft: „Spaghetti!“ Wir glotzen ihn an. Stijn wedelt wild mit der Nudel und ruft wieder, diesmal lauter: „Spaghetti!“ Wir machen pflichtschuldig: „Yeah!“ Stijn ist nicht zufrieden mit uns. „Mögt ihr Water Fitness?“, ruft er. Wir wieder: „Yeah“, diesmal noch weniger enthusiastisch, nur ungefähr fünf-Prozent-begeistert. Mildred singt leise: „Yeah! Yeah! Yeah!“ Ich blicke sie an. Sie grinst und zieht verschämt die Schultern hoch. „Ich hatte Prosecco zum Kuchen“, sagt sie entschuldigend.

Stijn verteilt die Poolnudeln. Mildred greift sich eine in rosa. Stijn stellt sich vorne hin und sagt: „Und nun reiten wir ein bisschen auf der Nudel.“

„Das ist das Schmutzigste, was ich seit meinem achtzigsten Geburtstag getan habe“, sagt Mildred und kichert wie eine Sechzehnjährige. Ich kichere auch.

„Up and down, up and down“, ruft Stijn vorne.

Mildred hält inne, senkt ihren Kopf und blickt mich aus trüben, faltenumrandeten Augen von unten nach oben an. Sie sieht sehr lehrerinnenhaft aus. „Wir sollten ernst sein. Das hier ist Sport.“

„Er macht es jeden Tag“, sage ich. „Immer um 15 Uhr.“ Mildred kichert wieder.

Als Stijn genug gehüpft ist und wir unsere Nudeln wieder abgegeben haben, schwimmt Mildred in Richtung Treppe. „Hee!“, ruft Stijn ihr nach. „Wir sind noch nicht fertig!“ Ohne sich umzusehen, streckt sie eine Hand in die Höhe und winkt. Dann treibt der Wattebausch davon.

Lanzarote

21. 05. 2012  •  35 Kommentare

Sobald ich mich an einem Pool oder einem Strand niederlasse,

setzen sich in meinem Körper kleine Männchen in Bewegung, wandern aus meinem Bauch in meinen Kopf, steigen den Hals hinauf, erklimmen die Treppen zu den Augen und drehen dort an einer Kurbel. Die Kurbel senkt die Lider über meine Augen. Mein Kopf sackt nach hinten. Ich schmatze leise. Und schlafe ein. So habe ich die ersten zwei Tage meines Urlaubs zugebracht.

Am Hotelpool

Rechts: Nessyfüße. Links: Nessyfreundinnenfüße. Weiterhin anwesend: ein schmucker Bademeister (nicht im Bild, aber gut im Gedächtnis).

Dann hatte ich die Männchen im Griff, stundenweise, und habe Kakteen besucht, lange dünne, kleine dicke und große dicke. Das klingt erstmal nicht so interessant, war aber ganz prima.

Jardin de Cactus - Kaktusgarten

Kaktusgarten mit vielen Kakteen, ungefähr 10.000.

Ich habe dort Kakteen entdeckt, in denen ebenso wie in mir kleine Männchen leben. Ich habe die Kakteen sogar ganz leise schmatzen gehört.

Jardin de Cactus - Schluffikaktus

Schluffikaktus (lat. cactus nessy), Opfer der Schlafmännchen.

Neben Kakteen gibt es weitere Pflanzen auf Lanzarote: Palmen. Zum Beispiel in Haría. Dort wachsen sogar so viele, dass die Gegend das „Tal der 1000 Palmen“ heißt. Ich habe nicht nachgezählt, aber es mag wohl stimmen. Am besten sieht das Ganze von oben aus, wenn man vom Mirador del Haría zum Meer schaut.

Haira, Stadt der 10.000 Palmen

Haría im Tal der 1000 Palmen.

Stellen Sie sich zu diesem Bild bitte vor, dass Sie in einem Backofen stehen, Umluft, ein heißer Wind umspielt Ihre Glieder. Sie sind leicht klebrig, haben heute schon drei Liter getrunken, aber nicht einmal pinkeln müssen. Während Sie ins Tal hinabblicken, fühlen Sie, wie Sie eine knusprige Kruste bekommen.

41 Grad

Entscheidend: die Temperaturanzeige unten links.

Aber ich wäre kein Checkerbunny, hätte ich nicht einen Kühlschrank gefunden.

Cueva de los Verdes

Lanzarotes unterirdischer Kühlschrank: die Cueva de los Verdes, 18 Grad.

Der Kühlschrank entstand vor vielen Jahren, selbst an Jesus war noch nicht zu denken. Damals brach ein Vulkan aus, Lava floss ins Meer, kam mit dem kalten Wasser in Berührung, irgendwas explodierte und bumms!, gab’s die Höhle. So ungefähr hat es die Höhlenführerin erklärt, die allerdings nur Spanisch sprach. Deswegen kann es sein, dass auch alles ganz anders war.

Cueva de los Verdes - Höhlensee

Sie ist tatsächlich grün, die Höhle.

Nicht nur in der Höhle war es kühl. Auf Lanzarote lebte ein Mann, der auf der Insel ungefähr alles gestaltet hat, was es Wichtiges zu gestalten gibt: César Manrique. Er hat auch den Kaktusgarten gemacht. Außerdem hatte er ein Haus in Tahíche, was irgendwo bei Teguise ist. Mehr müssen Sie nicht wissen; wenn Sie mal dort sind, werden Sie es finden. Das Haus ist in Lavablasen gebaut, also ebenfalls fast wie eine Höhle.

Lava im Haus von Cesar Manrique

Lava im Haus von César Manrique. Ist kein Baumangel, sondern so gewollt.

Irgendwann musste ich dann doch mal pinkeln, so nach dem vierten getrunkenen Liter. Wir waren gerade auf dem Weg zu einem Kirchlein irgendwo im Nichts und fragten uns, ob es wohl gestattet sei, in der Nähe eines Gotteshauses Wasser zu lassen, mitten in die Natur, ganz ohne Klosett. Die Gelegenheit war günstig, weil niemand zu sehen war. Meine Freundin, Sauerländerin und von daher ehrfürchtig katholisch, hegte Zweifel, war aufgrund ihres Harndrangs jedoch geneigt, beim Austreten an etwas Frommes zu denken – dann sei es wohl in Ordnung.

Als ich den Kirchhof betrat, wurde unsere moralische Debatte allerdings obsolet, denn just in dem Moment, in dem ich das Törchen durchschritt, verschwand nur zehn Meter weiter, kurz vor der weißen Kirchmauer, die den Hof begrenzte, ein Mann hektisch hinter einer Palme. Gleichzeitig richtete sich eine Frau auf, die vor ihm gehockt hatte und blickte mich mit großen Augen an. Ihr Mund formte ein stummes „Oooh“, ob aus Gottesfurcht oder aus Überraschung, werden wir nie erfahren.

Kirchlein im Nirgendwo

Das Kirchlein der Sünde.

Was haben wir noch gesehen? Vulkane und Lava, im Timanfaya-Natinalpark gibt es jede Menge davon. Man fährt mit einem Bus hindurch. Die Fahrt dauert 40 Minuten und ist wie ein Ritt mit der Wilden Maus. Mir war nicht gut danach.

Timanfaya Nationalpark: Vulkangestein und viel Nichts

Timanfaya Nationalpark: die Wilde Maus unter den Naturparks.

Wir waren auch am Strand von Famara und haben dort Surfer gesucht.

Frau Nessy am Strand von Famara

Frau Nessy am Strand von Famara, Surfer suchend.

In meinem nächsten Beitrag erzähle ich Ihnen dann von den Calendar Girls, die mit mir im Hotels wohnten – und wie ich mit Mildred Wassergymnastik gemacht habe.



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