Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Expeditionen«

Ein Zuhause für Hasi

19. 05. 2015  •  15 Kommentare

Aachen ist die Stadt der Werksverkäufe: Dalli, Bahlsen, Babor, Lambertz, Zentis, Lindt.

In Aachen können Sie genauso viel ausgeben, wie Sie sparen.

Natürlich kann man nicht alle Outlets abklappern. Aber eines liegt ja wohl auf der Hand: Lindt. Eine Halle voller Schokolade, Pralinen, Pralinés – und Hasen.

Werksverkauf Lindt: Schokohasenparade

Armeen übrig gebliebener Osterhasen warteten am Wochenende darauf, doch noch von mitfühlenden Menschen adoptiert zu werden.

Das Flehen in ihren Augen, die Liebe, die sie geben möchten – Sie sehen es auch, nicht wahr?

Kauf uns.
Dann muss ich euch essen.
Wir wollen es doch auch, Schätzchen.
Aber ihr macht dick.
Wie traurig. Du reduzierst uns auf nur eine Eigenschaft.
Die entscheidende Eigenschaft.
Die entscheidende ist: Wir machen dich glücklich.
Ihr habt doch nur Schiss, dass ihr Nikoläuse werdet.
Pffff. Wir sind Nihilisten.
Ihr seid Hasen.
Beherrscht von einer unbeherrschbaren Umwelt, ist unser Lebensziel die Destruktion.
Jetzt hört aber auf.
Nur, wenn du uns isst.
Das ist Erpressung.
Wir können nicht erpressen. Wir sind Hasen. 
Ihr macht euch die Welt auch, wie sie euch gefällt.
Widewidewitt und drei macht neune.
Jetzt schlägt’s aber 13.
*Goldenes Glöckchengebimmel*

Was soll ich sagen? Am Ende fuhr ich heim, im Kofferraum eine Horde nihilistischer Goldhasen, und bei jedem Schlagloch klimperte es im Heck, als hätte ich Till Eulenspiegel gekidnappt.

Fünf Bemerknisse zum Wochenende

18. 05. 2015  •  12 Kommentare

Bemerknis #1: Mittagsschlaf

Tierpark Aachen: Drei tiefenentspannte Erdmännchen

Mittagsschlaf wird weitestgehend unterschätzt. Wir alle sollten mehr Mittagsschlaf halten. Ich bin sicher, dass wir dann in einer besseren Welt leben.

Erdmännchen zum Beispiel, oben ein Fotodokument vom Wochenende, haben eine ausgeprägte Schlafkultur, die sich von Generation zu Generation vererbt. Die gesamte Population folgt demselben Rhythmus, was keinerlei Überlebensvorteile bietet. Aber man versteht sich einfach besser und das Leben ist insgesamt flauschiger.

Bemerknis #2: Seifenblasen

Seifenblasen vor dem Aachener Dom

Die Welt wäre ebenfalls eine bessere, gäbe es mehr Seifenblasen. Nicht auszudenken, was passierte, wenn Politiker, statt Kriege anzuzetteln, schauten, wer die größere Seifenblase machte.

Es gäbe Seifenblasenschaukämpfe mit SeifenblasenwertungsrichterInnen, die selbstredend allesamt nicht älter als zehn sein dürften. Es gäbe Seifenblasenwasserbrauereien, Seifenblasenschwertmanufakturen und Seifenblasenpokale, die so kurzlebig wären, dass, kaum ist ein Schaukampf beendet, ein neuer ausgetragen werden müsste. Das würde Politiker auch zeitlich so sehr binden, dass sie nicht auf dumme Ideen kämen.

Bemerknis #3: Grand Budapest Hotel 

Kinokarte: Grand Budapest Hotel

Falls Sie diesen Film noch nicht gesehen haben, dann tun Sie das. Es ist ein ganz toller Film, skurril, voller Witz, großartig intelligent und so detailverliebt, dass man die Leinwand küssen möchte.

Alle Kameraeinstellungen sind frontal, es wird fast nie schräg gefilmt, weder von der Seite noch von oben oder unten. Auch Schwenks finden nur im rechten Winkel statt. Die Musik ist ebenfalls großartig und der Cast voller Prominenz. Manch ein Hochkaräter tritt nur für wenige Minuten auf, andere wiederum sind so kostümiert, dass man sie kaum erkennt. Für die ganzen Anspielungen im Film werde ich mir den Film wahrscheinlich noch dreimal ansehen müssen.

Service: Der Trailer. Er gibt das Vergnügen aber nur unzureichend wieder.

Bemerknis #4: Gänseflausch

Tierpark Aachen: Gänseküken

Der Tierpark bot nicht nur Erdmännchen, sondern auch Gänseküken. Weil ich über vieles, was ich erlebe, gerne nachlese, weiß ich nun, dass Graugänse in bedeutendem Umfang schwul sind. Spätestens bei der zweiten Verpartnerung wählen 40 Prozent der Ganter einen Mann zum Partner. Die Gründe sind unklar, möglicherweise trauen sie sich erst in gesetzterem Alter ein Outing zu. Oder was weiß ich. Verpartnerte Ganter genießen jedenfalls ein hohes soziales Ansehen in der Gänseszene.

Die flauschigsten Wesen im Tierpark waren übrigens nicht Gänseküken, sondern Alpakas. Wenn Sie jemals die Gelegenheit haben, ein Alpaka zu flauschen, tun Sie es. Es fühlt sich ungemein gut an. Der Flausch wird sich über Ihre Seele legen, und Sie werden lächelnd davonschweben.

Bemerknis #5: Asbach Uralt

Kornelimuenster Markt

Ich saß in Kornelimünster auf dem Markt, trank eine Cola und guckte in die Gegend, als ein Mercedes vorfuhr und neben meinem Plastikstuhl hielt. Ein alter Mann stieg aus. Er trug eine Seemannsmütze, hievte erst sein linkes Bein aus der Tür, dann sein rechtes, ächzte sich in Höhe und schluffte, auf einen Stock gestützt, in den Plastikstuhl neben mir. Von dort aus bestellte er „nen Cappuschino unnen Asbach. Damit de Pillen besser runner jehn.“

In diesem Sinne: Hoch die Tassen.

Bemerknisse zu einer kleinen Deutschlandreise

2. 03. 2015  •  50 Kommentare

Am Wochenende war ich ein wenig im Lande unterwegs, um Menschen aus dem Internet zu besuchen.

So fuhr ich von Dortmund nach Nierstein, von Nierstein über Mainz nach Stuttgart, von Stuttgart nach Holzgerlingen, von Holzgerlingen nach Stuttgart, von Stuttgart über Heidelberg nach Darmstadt und von Darmstadt wieder heim nach Dortmund.

Mainz HBF

Mainz Hauptbahnhof.

 

Ich mag ja Bahnfahren. Vor allem, weil man im Zug so sehr auf sich selbst zurückgeworfen ist; es gibt nicht viel, was man tun kann: lesen vielleicht oder Videos anschauen oder schlafen oder aus dem Fenster sehen. Oder – natürlich – sich mit anderen Menschen unterhalten, das kommt auch vor. Doch insgesamt gibt es wenig Ablenkung.

Ich bin erstmals linksrheinisch über Bonn und Koblenz gefahren. Warum habe ich auf Wegen in den Süden sonst immer die Schnellstrecke über Siegburg genommen? Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist die Fahrt durchs Rheintal großartig. Machen Sie das mal. Das geht auch einfach nur mal so, ohne Ziel, der Weg ist Ziel genug. Ich habe von Koblenz bis Mainz nur aus dem Fenster geschaut, habe den Rhein, die Ortschaften, die Burgen und Binnenschiffer angeguckt. Es ist toll.

Weitere Bemerknisse:

Meine Mitgärtnerin Pia hat nicht nur einen tollen Garten, sondern auch allerlei Gadgets dort versteckt: eine Fasssauna, eine Dusche, ein rosa Hüttchen und ach … alles ziemlich super. Außerdem besitzt sie ein Gartentelefon, das der beste Vater ihrer Kinder sogar angeschlossen hat. Man kann also vom Haus in den Garten telefonieren und zurück.

Gartentelefon

Frau Mutti hat ein Gartentelefon. Und es funktioniert! Flippste völlig aus!

 

Stuttgart begrüßt seine Besucher sehr löchrig. Stuttgart 21 ist allgegenwärtig, in verschiedenen Ausprägungen: als Bauloch, als Einkaufszentrum, als Plakatwand, als Aufkleber und als Diskussionsthema.

Stuttgart 21

Stuttgart 21.

 

Stuttgart: Europaviertel

Stuttgart: Europaviertel. Direkt neben dem Bahnhof und ziemlich neu. Die Farbe ist praktisch noch nicht trocken.

 

Zu Stuttgart 21 kann ich wenig sagen, ich bin nicht genug im Thema, um eine dezidierte Meinung zu haben. Nichtsdestotrotz gewinnt man als Besucher unweigerlich einen Eindruck von der Monströsität des Vorhabens. Jedenfalls wurde ich das Gefühl nicht los, als werde die halbe Stadt umgegraben und als werde dabei nicht nur Erde bewegt, sondern auch ein bisschen die Seele des Ortes umgepflügt. Aber ich mag mich täuschen.

Ich wurde stark und groß durch Spätzle mit Soß.

Schwabenmarketing.

 

Lou's Maultäschle

Maultäschleverkostung.

 

Stuttgart kann übrigens nicht nur Maultäschle, sondern auch Waffeln. Fall Sie mal dort sind und eine suchen: Eine rundum perfekte 10er-Waffel gibt es im Café Stella.

In die Ferne zu reisen, hilft immer auch, die Heimat neu zu betrachten. Was mir aufgefallen ist – durchs Umherlaufen, aber auch im Gespräch: Das Ruhrgebiet ist tatsächlich eine strukturschwache Region. Dort wohnend, fällt es mir nicht so sehr auf. Doch mit dem Blick aus Hessen und Württemberg, wird es deutlich.

Was zu dieser Wahrnehmung beiträgt, ist schwierig zu beschreiben: Es sind vielleicht die vielen gepflegten Spielplätze, die Neubaugebiete, die Einkaufspassagen, die wenigen Leerstände, das Ambiente in der nächtlichen S-Bahn. Als sei ich in einen Zug mit Priesterseminaristen gelangt: kein Gestank, keine umherrollenden Bierflaschen, keine Betrunkenen, keine Kraftausdrücke, keine Angst, zur falschen Zeit zu lange den falschen Typen anzugucken und aufs Maul zu kriegen.

Der Rückweg: über Darmstadt. Was fällt Ihnen zu Darmstadt ein? Außer dummen Wortwitzen. Mir nicht viel. Darmstadt ist so ein Nicht-Ort, eine Stadt, die es gibt, mit der ich aber nichts verbinde.

Dank einer Stadtführung durch Herrn Energist tue ich das nun und habe eine ganze Menge gelernt: über Jugendstil, über Design, über weiland anwesende Adelige und ihre Verheiratung mit russischen Menschen, weshalb Darmstadt eine Basilika hat, die auf einem Berg steht.

Darmstadt: Basilika

Darmstadt hat eine Basilika.

 

 

Darüber hinaus besitzt Darmstadt eine Kneipe, in der man 24 Stunden lang frühstücken kann (mein Ding!) und die gleichzeitig ein Automatenmuseum ist. Ich habe spontan beschlossen, dass ich auch so einen Automaten brauche, den ich mir dann in den Flur oder in die Küche hänge und aus dem ich mir für einen Euro Süßkram ziehen kann. Von dem Geld fahre ich dann in den Urlaub. Ich werde sehr lange weg sein.

Darmstadt: Automaten

Automaten in Darmstadt.

 

Herzlichen Dank an Frau Mutti, an Herrn Ast vom Skizzenblog, an Herrn Kinderdoc, Herrn MannQuadrat und Herrn Energist für die tolle Zeit!

#rumsblog

9. 02. 2015  •  8 Kommentare

Am Freitag war ich auf einer zauberhaften, kleinen Bloglesung.

Gelesen haben Patricia Cammarata aka das nuf, Isabel Bogdan und Maximilian Buddenbohm. Veranstalter war die GLS-Bank um Johannes Korten, der auch zwei Stücke vorgelesen hat.

Frau Bogdan las einen Text aus „Sachen machen“, nämlich wie sie in Wacken war.

Frau Nuf las einen Bauchwobbeltext und über das Experiment Aufwachteller.

Herr Buddenbohm las einen Text übers Tanzen beziehungsweise sein Selbstbild als ausgelassener Hanseat. Außerdem einen Text über ein Liebespaar. Und über Playmobil und die Sehnsucht nach dem Klack.

Es war ein bisschen wie Klassentreffen. Denn es waren natürlich nicht nur die Lesenden dort, sondern auch andere Menschen aus dem Internet. Das war sehr schön.

In solch einem Fall möchte ich Sie bitten, sich einfach mit einem freundlichen „Hallo!“ an mich zu wenden. Am besten natürlich mit einer Waffel, es geht aber auch ohne.

Es ist nämlich so: Wenn Sie kein Bild von sich im Internet haben, erkenne ich Sie so schlecht. (Das ist überhaupt sehr spooky: erkannt zu werden, ohne selbst Leute zu kennen).

Noch mehr Nachlese:

Den Livestream des Abends soll es beizeiten auch als Video geben.

An der Recyclingkreuzung

5. 01. 2015  •  2 Kommentare

An zwei von drei Tagen, an denen ich abends in die schmale Sackgasse zum Feriendomizil einbiege, stehen sie dort. An der Kreuzung zur GC-15.

Die GC-15 ist jene Straße, die von Las Palmas aus in die Berge führt – erst nach San Mateo, dessen Hauptattraktion laut Reiseführer das örtliche Busdepot und, vielleicht noch ein bisschen mehr, ein wöchentlich stattfindender und „urtypischer“, wenngleich überschaubarer Handwerkermarkt ist, sonst nichts. Ich finde San Mateo trotzdem einladend, freundlich und heimelich in all seiner Schläfrigkeit. Von San Mateo aus führt die GC-15 weiter hinauf, immer weiter durch Kurven und Serpentinen, mit Blick in Barrancos, vorbei an, ja tatsächlich, Las Vegas und San Francisco, bis zum Cruz de Tejeda.

Sie stehen immer gegen 17 Uhr an der Straße, auf Höhe des Steins mit dem Kilometer sechs, an der Einbiegung mit den Recyclingbehältern in blau, gelb, grün für Glas, Pappe und Verpackung. Sie kommt von unten die GC-15 herauf, geht vornüber gebeugt an der Leitplanke entlang die Steigung hinauf. Er trabt von oben herunter, aus Richtung San Mateo, locker mit den Armen schlenkernd.

Komme ich von einer Wanderung, meist am späten Nachmittag, sehe ich sie. Sie trägt jeden Tag den gleichen Pullover, einen weiten, langen Wollpulli, fast ein Kleid, darunter Leggins. Ihre Haare hat sie streng zu einem Knoten gebunden. Meine Fantasie macht eine späte Ballerina aus ihr, eine ehemalige, nun Lehrerin in einer Tanzschule in Las Palmas. Er hingegen ist schlacksig und immer in Jogginghose, mit Schnurrbart und Kettchen, ein Mann im Spannungsfeld zwischen Busfahrer, Zuhälter und Vox-Auswanderer. Irgendwie passen sie zueinander – in ihrer zutraulichen Schlumperhaftigkeit.

Sie treffen sich und unterhalten sich. Ihre Arme hängen locker neben ihren Körpern, gestikulieren selten. Ihre Münder und Augen lachen nie, aber manchmal, da lächeln sie. Ob sie immer Müll dabei haben, weiß ich nicht, darauf habe ich gar nicht geachtet. Vielleicht, vielleicht nicht, in meiner Vorstellung werfen sie täglich etwas Kleines ein, damit sie sich treffen können – dort an den Recyclingbehältern. Sicherlich wird sich immer etwas finden, ein paar Dosen, ein Gurkenglas, ein Karton, der im Weg steht.

Ich fahre die Anhöhe hinunter. Dann blinke ich, um einzubiegen. Sie rücken ein Stück zur Seite. Ich lasse den Gegenverkehr vorbei. Sie beachten mich nicht, sprechen schon weiter. Ich fahre an ihnen vorbei, in die Sackgasse hinein zum Ferienhaus. Morgen stehen sie wieder dort – vorausgesetzt, ich komme zur gleichen Zeit. Und vorausgesetzt, es kommt ihnen niemand auf die Schliche – beim Recyceln ihres Liebeslebens. Aber dann können sie immer noch sagen, sie haben nur Müll getrennt.

Fort

1. 01. 2015  •  15 Kommentare

Raus. Weg.

Fort fliegen, in die Ferne, dorthin, wo es warm ist. Wo die Sonne unter die Haut kriecht, wo ich fern bin von allem. Das musste nochmal sein zum Ende dieses Jahres. Das ging nicht anders.

Als ich das erste Mal Weihnachten in Warmen verbrachte, war es eine Offenbarung. Das schlichte Erleben, dass es geht; dass es im Dezember nicht kalt sein muss. Dass man am Strand sitzen kann, und dass Weihnachten trotzdem passiert.

 

Gran Canaria: Sandkunst in Maspalomas

Feliz Navidad!

 

Es klingt banal. Denn natürlich, es ist ja logisch, man kennt aus dem Fernsehen, dass es das gibt, dass es Orte gibt – in Australien zum Beispiel -, an denen es an Weihnachten warm ist und sowieso: In der Theorie weiß man das. Aber es selbst praktizieren – das hatte etwas Erhellendes. Etwas von „Es geht auch anders“ und „Das Leben muss gar nicht so“.

 

Santa Brigida: Auf der Terrasse

Sonnenaufgang. Blick von der Frühstücksterrasse.

 

Ist es nicht oft so? Die erfreulichsten Veränderungen sind kleine Schritte. Einfach mal etwas in die Tat umsetzen, was augenfällig ist.

Dieses Jahr habe ich zum zweiten Mal Weihnachten im Warmen verbracht. Wegen weg sein. Wegen Abstand. Weil das Leben nicht so muss.

Weihnachten – das Fest der Einkehr und Besinnlichkeit. Ironischerweise bin ich am besinnlichsten, je weiter ich von Weihnachten weg bin, vom klassischen Weihnachten, vom Tannenbaum und vom Schweinebraten. Am besinnlichsten und am nächsten bei mir bin ich, wenn ich unterwegs bin, in den Bergen, irgendwo zwischen Höhenmeter null und tausend, auf einem Weg über Felsen, einen Abgrund entlang, einen Gipfel hinauf. Mal zügig und leichtfüßig, mal schwitzend und keuchend, mal abwärts tastend, kraxelnd.

 

Gran Canaria: Caldera de Bandama

Als blauer Punkt am Rande der Caldera de Bandama.

 

Es ist jedesmal dasselbe: Die erste Wanderung ist mühevoll. Es fehlt an allem: an Kraft, an Atem, an geistiger Stärke. Dabei ist die erste Tour immer eine leichte; nur ein paar Kilometer, 200 oder 300 Höhenmeter, drei Stunden vielleicht. Doch sie quält. Sie quält alles Beschwerliche aus mir heraus, ich schleppe alle Lasten auf den Berg, die ich in mir trage, bin träge.

Indes, je öfter ich die Schuhe schnüre, je weiter ich laufe, je höher ich steige, desto leichter wird mein Schritt, desto geringer verspüre ich Anstrengung – obwohl jede Tour schwieriger ist als die vorangegangene. Es scheint: Je größer die körperliche Anstrengung wird, desto geringer wiegt die seelische.

 

Gran Canaria: Auf dem Gipfel des Altavista

Auf dem Gipfel des Altavista

 

Wenn ich auf dem Weg bin, denke ich sehr wenig. Niemals bin ich ruhender, als wenn ich laufe. Niemals ist mein Kopf mehr im Hier und Jetzt, als wenn ich in kleinen Schritten die Serpentinen ersteige, wenn ich um eine Ecke biege und sich das Panorama öffnet, wenn ich auf dem Gipfel stehe und ins Tal hinabschaue und zum Schluss zum Ausgangspunkt zurückkehre und weiß, dass ich es geschafft habe.

 

Gran Canaria: Fortaleza Grande (Ansite)

An der Fortaleza Grande.

 

Aber nicht nur die Anstrengung fällt mit der Zeit leichter, auch das Erholen. Es ist, als komme der Geist nach einigen Tagen bei sich selbst an, als könne er, der sonst nie ruht, sich plötzlich selbst genug sein; erst dann geht es: dasitzen, ins Tal hinabblicken und zufrieden sein. Dann denke ich: So sollte es immer sein – sinnlich und sinnhaft.

 

Gran Canaria: Strand

Strand. Mit Wolken. Im Abendlicht.

 

Und dann bleiben auch immer das Staunen und die Ehrfurcht. Wie groß die Natur ist. Wie hoch die Berge. Wie tief die Täler. Wie unfassbar schön. Was man meint, schon hundertmal gesehen zu haben, eröffnet sich den Augen und dem Herzen mit jeder Unternehmung von Neuem, ist erhabener und unfassbarer als in jeder Vorstellung, erscheint wunderbarer als am Tag zuvor, obwohl es doch wieder nur Felsen sind – Berge, Täler.

 

Gran Canaria: Roque Nublo

Roque Nublo.

 

Nur: Bald schon geht der Flug wieder heim, fort aus der Freiheit, zurück in den Alltag, hinein in die Arbeit.

 

Gran Canaria: Im Jardin Canario

Im Jardin Canario. Ohne Wanderschuhe, in Zivil.

 

Es bleiben die Bilder und etwas Sonnenbräune – und mit ein wenig Bemühen für einige Tage ein Gefühl der Besinnlichkeit, gestippt in frische Erinnerungen.

 

Gran Canaria: Liebesschlösser in Maspalomas

Tschüss, Urlaub.

 

 

Den Haag

10. 11. 2014  •  22 Kommentare

Drei Tage Holland.

Die Niederländer mögen es mir nachsehen: Ich wohne kaum eineinhalb Fahrstunden von ihrem schönen Land entfernt, aber ich war erst zweimal dort. Zu meiner Verteidigung darf ich anführen, dass ich auch nur eineinhalb Fahrstunden von Bielefeld entfernt wohne und und sogar noch nie dort war. Oder sagen wir: Noch nie dort ausgestiegen bin.

Holland also. Vor allem: Den Haag. Das kennt man – irgendwie. Dort ist doch dieses Kriegsverbrechertribunal. Das war auch schon alles, was mir zu Den Haag einfiel. Ein guter Grund, um dorthin zu fahren.

Den Haag liegt am Strand, an der Nordsee, hat demzufolge Wasser, Sand und eine Promenade, auf der sogar ein Karussel steht.

 

Scheveningen: Karussel auf der Promenade

Scheveningen, Promenade.

 

Das alles genügt, um den ersten halben Tag zu verweilen. Denn Meer und Strand ist etwas, dem ich lange, sehr lange zuschauen kann. Wasser, wie es anlandet, wieder wegfließt, wieder anlandet, wie es Steinchen und Muscheln rollen lässt, wieder fortzieht, rollen lässt, wie es Schiffe trägt, große Schiffe, die nach Rotterdam in den Hafen wollen, wie es überhaupt einfach da ist, wie es Möwen und Menschen beschäftigt.

 

Scheveningen: Strand mit Muscheln, blauer Himmel

Scheveningen, Strand.

 

Die Menschen, sie laufen den Strand auf und ab. So wie ich selbst. Ich schaue sie an, schaue ihnen zu, wie sie ihren bettelnden Hunden Bälle werfen, wie die Hunde den Strand entlang stürmen, wie sie hart in die Bremsen steigen, wie sie den Ball fangen, ihn zurücktragen und wieder bettelnd vor ihren Menschen stehen. Wie die Menschen den Ball werfen, diesmal ins Meer, wie die Hunde hineinstürmen, wie sie feststellen, dass das Wasser tief und nass und salzig ist, wie sie schnaufend wieder herausschwimmen und warten, bis das Meer ihnen den Ball vor die Füße trägt, wie sie den Ball aufnehmen und wieder zu ihren Menschen tragen, auf dass diese ihrem Betteln erneut nachgeben und werfen.

Währenddessen weht der Wind, zerzaust die Haare der Menschen und der Hunde. Die Haut prickelt, kleine Sandkörner pieksen, und alles ist perfekt.

Auf dem Weg nach Den Haag kommt man, wenn man möchte, durch die Provinz Utrecht, am Paleis Soestdijk in Baarn vorbei. Dort gibt es keinen Sand, keinen Strand, kein Meer. Dort gibt es Parks und Wälder, große Bäume, alte Bäume.

 

Soesterdijk: Baumbestandene Allee, Frau mit Hund

Baarn, nahe Paleis Soestdijk.

 

Ich besuche gerne Schlösser und Burgen. Ich mag es, mir vorzustellen, wie die Menschen dort leben und gelebt haben. Ich mag mir vorstellen, wie kleine Prinzen und Prinzessinnen in diesem Park gespielt haben. Wie sie dieses Dinosaurierskelett entdecken haben und hinaufklettern. Doch Vorsicht! Der Riese ist noch nicht ausgestorben. Er lebt noch, er atmet und Achtung! Er erhebt sich! In Deckung! Wir müssen ihn bekämpfen! Holt euch Waffen!

 

Soesterdijk: Liegender Baum im Park

Soestdijk: Ein Dinosaurier im Park des Paleis.

 

Äste und Stöcke werden zu Speeren und Gewehren. Der Feind ist gefährlich, er kann Feuer spucken und hat giftige Stachel. Deshalb nähern sich die Jäger von hinten. Vorsichtig pirschen sie sich an und – waaaaah! Auf ihn! Erlegt ihn!

Oben an der Küste, in Den Haag gelange ich dann tatsächlich zum Internationalen Gerichtshof. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber er ist genau so, wie ich ihn mir nicht vorgestellt habe: alt, kirchlich, Big-Ben-haft.

 

Internationaler Gerichtshof Den Haag

Internationaler Gerichtshof

 

Mit großen Orten ist es ja so, dass sie in Wirklichkeit sehr klein sind. Dass man sie gar nicht als das erkennt, was sie sind: bedeutend und voller Geschichte. Wenn ich an all die Orte denke, an denen ich bereits gewesen bin, an denen Menschen starben und Schlachten geschlagen wurden, an denen Entscheidungen fielen und jemand Leben rettete – diese Orte alle sind Jahre später nichts weiter als Wiesen und Gebäude, als Straßen und Plätze wie andere Straßen und Plätze.

 

Überlebensgroße Statue Nelson Mandelas in Den Haag

Nelson und ich.

 

Am letzten Tag aber traf ich, in der Nähe von Europol und der OPCW, der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen, einen großen Mann, dem ich seine Größe ansehen konnte.

The Hague. Mit dem Zug vom Ruhrgebiet aus über Duisburg und Utrecht. 3 Stunden Fahrzeit. Sparpreis in der 1. Klasse: 59€ pro Strecke. Novotel The Hague World Forum: 90€/Nacht. Speculaasmoppen: 3,75€. Sonne, Strand und Wind: unbezahlbar.

Zu alt fürs Arbeiten

21. 10. 2014  •  4 Kommentare

In der U-Bahn. Eine alte Dame erzählt ihrem Gegenüber:

„Ich habe einen Freund in Polen, einen Professor. So alt wie ich, und er arbeitet noch. Ich habe ihn gefragt: ‚Fühlst du dich nicht zu alt fürs Arbeiten?‘, und er sagte: ‚In der Universität bin ich nicht zu alt. Dort sind so viele junge Menschen, dass ich auch wieder ein junger Mensch bin. Ich bin nur zu Hause alt.'“

Ein altes Paar an der Haltestelle

6. 10. 2014  •  11 Kommentare

Die U-Bahn-Haltestelle ist schlicht gekachelt: gelb, rot, grün, so wie es in den 60ern schick war. Orangene Plaste-Sitzschalen stehen in der Mitte des Bahnsteigs. Eine Plakatwerbung wirbt fürs Plakatieren.

Ein altes Paar schiebt sich heran: Er geht gebeugt, sie sehr aufrecht. Beide tragen Wollmäntel.

„Hat heute Nacht geregnet“, sagt sie zu ihm.
„WAS?“
„HAT GEREGNET! HEUTE NACHT!“
„Was du immer hörst.“
„Mehr als du.“
„WAS?“
„MEHR ALS DU!“

Sie schlurfen zu den Stühlen und lassen sich darauf plumpsen. Auf den ersten Blick scheint er unmittelbar nach vorne auf die roten Fliesen zu kippen. Doch je länger ich ihn anschaue, desto stabiler sitzt er. Ein Mann mit einem Schwerpunkt auf 45 Grad.

„Richtig laut hat’s geregnet“, sagt sie.
„Hab nix gehört.“
„Das ist nix Neues.“

Er grunzt und schiebt sich ein bisschen auf seiner Sitzschale hin und her. Hebt erst die eine, dann die andere Pobacke und verharrt wieder im Nachvornekippen.

„Warum erzählst du mir das?“, fragt er.
„WAS?“
„WARUM DU MIR DAS ERZÄHLST?!“
„WAS ERZÄHLEN?“
„Mit dem Regen.“
„Musst ja nicht zuhören.“
„Tue ich auch nicht.“

Die U-Bahn fährt ein. Beide nehmen synchron Schwung, lehnen sich zurück und schießen dann von ihren Sitzen hoch direkt durch die sich öffnenden U-Bahn-Türen hinein. In der Bahn setzen sie sich schweigend nebeneinander. Mit einem Ruckeln fährt er Zug an. Ihre Köpfe wippen, und sie sind fort.

Braunkohletagebau Inden & Pier

15. 09. 2014  •  15 Kommentare

Am Wochenende war ich in Inden.
(Nicht Indien. Inden.)

Inden ist ein Ort, den es einmal gab und den es jetzt wieder gibt. Das alte Inden liegt im Rheinischen Braunkohlerevier und sieht jetzt so aus:

braunkohletagebau_inden

Es ist ein ziemlich gewaltiges Loch. Später soll es mal ein See werden – viel später, nach 2030. Bis dahin wird dort Braunkohle abgebaut. Die großen Braunkohlebagger, die am und in dem Loch stehen, sehen sehr klein aus. Dabei weiß man ja, wie groß so ein Braunkohlebagger ist.

Neben dem Loch gibt es den Ort Pier. Auch von Pier gibt es eine alte und eine neue Version. Was von der alten noch steht, sieht so aus:

braunkohletagebau_pier_01

Es sind nur noch sechs oder sieben Häuschen übrig, ein paar Gebäude, zwei Straßen.

Als ich in Pier ankomme und dort herumgehe, steht vor einem der Häuser ein Mann und schaut hinauf. Er trägt Rennradkleidung, hat einen Helm auf. Er ist ein bisschen älter als ich, vielleicht Anfang 40. Ich frage ihn, ob er hier aus dem Ort komme.

„Meine Eltern hatten die Kneipe hier.“ Er deutet auf das Haus gegenüber, ein Mehrfamilienhaus. Rechts und links vom Eingang hängen zwei kaputte Außenleuchten. Die Leuchtreklame am Haus ist zersplittert. „Es gibt so eine Facebookgruppe von dem Ort hier. Einer hat dort geschrieben, dass es jetzt soweit ist. Dass diese Woche abgerissen wird. Deshalb bin ich nochmal hergekommen.“

braunkohletagebau_pier_11

„Ich habe gedacht“, fährt er fort, „ich finde noch was. Irgendwas, das ich mitnehmen kann. Aus dem Haus, in dem ich zuletzt gewohnt habe, hier die Straße runter, mit meinen Schwiegereltern, da habe ich nämlich so einen Glasbaustein mitgenommen. Nichts Besonderes. Aber er steht jetzt halt da, in unserem neuen Haus, und ich habe was.“

Er macht eine Pause.

„Was hier alles gefeiert wurde! Männergesangsverein, Sportverein. Alles. Mein Vater arbeitetete eigentlich aufm Amt. Wenn er nachmittags nach Hause kam, ging er hinter die Theke, und je nachdem, wer da war, wenn Freunde da waren, blieb er bis morgens um drei. Er hat dann am Ende nur Cola getrunken, er musste ja am nächsten Tag wieder aufs Amt. Meine Mutter allerdings, das war so eine richtige Kneipenfrau. Die hat schon morgens da gestanden und hat über die Theke gewischt, hat alles sauber gemacht.“

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„Haben Sie hier auch mal gewohnt?“, frage ich. „Als Kind?“

„Ich hatte mein Zimmer über der Kneipe. Wir haben alle hier im Haus gewohnt, die Kinder, die Eltern, die Großeltern. Das war so ein richtiges Mehrgenerationenhaus. Als ich zu meiner Frau und meinen Schwiegereltern gezogen bin, hier die Straße runter, konnte ich erst gar nicht schlafen. So ruhig war es.“ Er lacht. „Ich konnte ja jeden Schlager auswendig!“

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„Ich war eben nochmal hinten, im großen Saal. Und habe Fotos gemacht. Das ist schon schwer. Wie das jetzt aussieht. So viele Feiern hat’s dort gegeben! Und nach dem Krieg, da gab’s ja keine Kirche im Dorf. Die war kaputt. Da war der Saal eine Notkirche. Das hat mir mein Vater oft erzählt. Damals haben sie dort Gottesdienste gefeiert und alles.“

Er macht eine Pause.

„Ich kann mich an so viele Feiern erinnern. Alles, wirklich alles haben wir dort gefeiert.“

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Ich frage ihn, wie weit er jetzt von hier weg wohnt.

„Ach“, sagt er. „Nicht weit. Acht Kilometer. Aber man muss sagen: Wir haben uns schon verbessert. Also, meine Frau und ich. Bei uns gibts jetzt Einkaufsmöglichkeiten direkt um die Ecke, das ist schon schön. Und die Kinder, naja, die kennen das alte Pier ja gar nicht mehr. Das hier ist nur meine Heimat. Die Kinder, für die bedeutet das hier alles nichts.“

„Wann sind Sie umgezogen?“

„2007. Mit meinen Schwiegereltern. Die wollten nicht die ersten und nicht die letzten sein. Wir, also meine Frau und ich, wir waren damals ja nur Mieter. Mieter hatten keine Ansprüche. Aber weil wir mit meinen Schwiegereltern mitgezogen sind, ging das dann.

Meine Eltern, die waren die letzten. Es gab noch einen Installateur, der wollte auch nicht gehen, aber meine Eltern, die waren tatsächlich die letzten. Die sind vergangenes Jahr erst umgezogen. Am Ende rief mein Vater oft an: ‚Die haben schon wieder bei uns eingebrochen!‘ Ich habe dann immer gesagt: ‚Vater, das sind nur Jugendliche, die denken, das Haus steht leer.‘ – ‚Aber es brennt doch Licht!‘, hat mein Vater gesagt. Naja, manchmal hatten sie aber halt auch schon keinen Strom mehr.“

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„Mein Schwiegervater konnte sich besser trennen. Der hat ja sozusagen die Bagger gefahren.“

„Das ist schräg“, sage ich.

„Ja, das ist es wirklich. Der wollte zwar auch nicht unbedingt weg, aber er hat sich arrangiert, er wusste ja, dass es irgendwann so kommt. Meine Eltern haben das zwar auch gewusst, aber die haben das immer verdrängt.“

Zwei Fahrradfahrer kommen vorbei. Man grüßt sich. Sie fahren hinter uns weiter Richtung Lucherberg.

„Wir hatten nicht die einzige Kneipe hier. Es gab ja vier Kneipen im Ort. Ganz schön viel eigentlich für so ein kleines Dorf. Aber wir, wir waren nah am Sportplatz. Der war nur 200 Meter die Straße runter – hier, links neben dem Haus. Aber da ist ja jetzt auch Ende. Da kommt man nicht mehr weit.“

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„Da rechts der Bauernhof, das rote Gebäude, sehen Sie? Da habe ich immer meine Sommerferien verbracht. Rumgetobt, Heu gepresst, sowas halt. Und mittags gabs Klöße. Milch konnten wir uns aus einem großen Bottich nehmen. Ja, so war das. Waren Sie da schon drin, in dem Bauernhof?“

Ich sage: „Gerade eben.“ Wir stehen ein bisschen da. Es weht ein leichter Wind. Es ist staubig. Ich frage: „Wie ist das eigentlich für Sie, wenn jetzt Leute kommen, so Leute wie ich, die in den Häusern rumlaufen und Fotos machen?“

„Ach, das macht mir nichts. Gehen Sie ruhig nochmal rein. Ist ja nichts mehr da.“

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„Wurden Sie denn gut entschädigt? Ich meine, lief das fair?“

„Ja, doch, doch. Rheinbraun hat schon gut entschädigt. Nicht so schlecht, wie manche sagen. Natürlich: Die haben auch nichts zu verschenken. Die haben das Haus geschätzt, Zustand und Baujahr und so. Man musste dann auch handeln und kämpfen, aber das war schon alles okay. Man konnte sich auch Dinge in den Vertrag reinschreiben lassen – was man mitnehmen will, alle möglichen Sachen. Mein Vater hat zum Beispiel seinen Gartenzaun mitgenommen, so ein Metallzaun, der war zwar zehn Jahre alt, aber der war noch gut. Den hat er mitgenommen. Ansonsten zerlegen die hier alles und verwerten es, Kupferrohre und so.“

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„Das ganze Vereinsleben, das ist jetzt halt kaputt. Es sind ja nicht alle ins neue Pier gezogen. Einige sind nach Schophoven gezogen, andere woandershin. Die alten Vereine, das hat sich alles überallhin verstreut. Nur die Maigsellschaft hat überlebt, die jungen Leute stellen da richtig was auf die Beine. Aber der Rest, der Fußballverein und so, das ist alles verschwunden. Die meisten Kinder spielen jetzt in Schophoven. Das kann ich ja gar nicht verstehen!“ Er lacht. „Naja, egal. Dabei wollten sie uns einen Fußballplatz im neuen Pier machen, so richtig mit Kunstrasen und so, aber dass wollten die meisten nicht. Ich selbst habe ja am Ende nochmal ein Jahr, im letzten Jahr, hier in Pier Fußball gespielt. Habe extra nochmal den Verein gewechselt. Wir haben Kreisliga gespielt, das ist gar nicht so niedrig für so ein kleines Dorf. Ach so. Der Schützenverein, der ist auch noch da. Aber ich habe das Gefühl, da gibt’s alle drei Jahre denselben Schützenkönig, das sind nur noch so ein paar Leute.“

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Ich frage ihn, ob ich aufschreiben darf, was er mir erzählt hat – in mein Blog.

„Na klar“, sagt er. „Schreiben Sie das ruhig auf.“

Wir stehen noch eine Weile da. Dann sagt: „Dann will ich jetzt mal nach Hause. Also, ins neue Zuhause.“  Wir wünschen uns einen schönen Sonntag, er steigt auf sein Rad und fährt den zwei Radlern von vorhin hinterher.



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