An zwei von drei Tagen, an denen ich abends in die schmale Sackgasse zum Feriendomizil einbiege, stehen sie dort. An der Kreuzung zur GC-15.
Die GC-15 ist jene Straße, die von Las Palmas aus in die Berge führt – erst nach San Mateo, dessen Hauptattraktion laut Reiseführer das örtliche Busdepot und, vielleicht noch ein bisschen mehr, ein wöchentlich stattfindender und „urtypischer“, wenngleich überschaubarer Handwerkermarkt ist, sonst nichts. Ich finde San Mateo trotzdem einladend, freundlich und heimelich in all seiner Schläfrigkeit. Von San Mateo aus führt die GC-15 weiter hinauf, immer weiter durch Kurven und Serpentinen, mit Blick in Barrancos, vorbei an, ja tatsächlich, Las Vegas und San Francisco, bis zum Cruz de Tejeda.
Sie stehen immer gegen 17 Uhr an der Straße, auf Höhe des Steins mit dem Kilometer sechs, an der Einbiegung mit den Recyclingbehältern in blau, gelb, grün für Glas, Pappe und Verpackung. Sie kommt von unten die GC-15 herauf, geht vornüber gebeugt an der Leitplanke entlang die Steigung hinauf. Er trabt von oben herunter, aus Richtung San Mateo, locker mit den Armen schlenkernd.
Komme ich von einer Wanderung, meist am späten Nachmittag, sehe ich sie. Sie trägt jeden Tag den gleichen Pullover, einen weiten, langen Wollpulli, fast ein Kleid, darunter Leggins. Ihre Haare hat sie streng zu einem Knoten gebunden. Meine Fantasie macht eine späte Ballerina aus ihr, eine ehemalige, nun Lehrerin in einer Tanzschule in Las Palmas. Er hingegen ist schlacksig und immer in Jogginghose, mit Schnurrbart und Kettchen, ein Mann im Spannungsfeld zwischen Busfahrer, Zuhälter und Vox-Auswanderer. Irgendwie passen sie zueinander – in ihrer zutraulichen Schlumperhaftigkeit.
Sie treffen sich und unterhalten sich. Ihre Arme hängen locker neben ihren Körpern, gestikulieren selten. Ihre Münder und Augen lachen nie, aber manchmal, da lächeln sie. Ob sie immer Müll dabei haben, weiß ich nicht, darauf habe ich gar nicht geachtet. Vielleicht, vielleicht nicht, in meiner Vorstellung werfen sie täglich etwas Kleines ein, damit sie sich treffen können – dort an den Recyclingbehältern. Sicherlich wird sich immer etwas finden, ein paar Dosen, ein Gurkenglas, ein Karton, der im Weg steht.
Ich fahre die Anhöhe hinunter. Dann blinke ich, um einzubiegen. Sie rücken ein Stück zur Seite. Ich lasse den Gegenverkehr vorbei. Sie beachten mich nicht, sprechen schon weiter. Ich fahre an ihnen vorbei, in die Sackgasse hinein zum Ferienhaus. Morgen stehen sie wieder dort – vorausgesetzt, ich komme zur gleichen Zeit. Und vorausgesetzt, es kommt ihnen niemand auf die Schliche – beim Recyceln ihres Liebeslebens. Aber dann können sie immer noch sagen, sie haben nur Müll getrennt.
Kommentare
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Wunderbar und sehr eindringlich beschrieben.
“ …in ihrer zutraulichen Schlumperhaftigkeit…“
Schön!