Die Anderen: Eine Linkliste mit Gedanken
Dass ich zuletzt eine kommentierte Linkliste schrieb, ist mehr als zwei Jahre her. Zeit, es erneut zu tun!
Geisteswissenschaft und die Kurven im Lebenslauf
Tanja Praske spricht mit Anke Gröner über ihren Berufwechsel von der Texterin zur Kunsthistorikerin. Kunstgeschichte ist für viele Menschen ein Studiengang, der jenseits von Zweckmäßigkeit liegt. Eltern rollt es die Zehennägel auf, wenn ihre Kinder Kunstgeschichte studieren möchten, denn: Geisteswissenschaften – Himmel hilf, was will das Kind nur damit tun?
Dabei ist es kurzsichtig, sich über angeblich fehlende Bildung von Nachwuchskräften zu beschweren, über ihre mangelnde Lese- und Schreibkompetenz, über eine Verrohung der Sprache und über die angeblich fehlende Kompetenz mitzudenken; es ist seltsam, mangelnde Ethik in der Politik anzuprangern, „Haben wir denn aus der Geschichte nichts gelernt?“ zu fragen und den mahnenden Zeigefinger vor den Fortschritten in Gentechnik und Digitalisierung zu heben – aber gleichzeitig Geisteswissenschaften zu diskreditieren. Den unmittelbaren Nutzen dieser Fächer kann man nicht in Wertschöpfung messen – wohl aber im Zustand der Gesellschaft. Wer Ankes Blog aufmerksam liest, erfährt nicht nur etwas über das Wesen der Kunst, sondern übers Denken.
Tagebuchbloggen und die Perspektive des Familienvaters
Eines der besten Tagebuchblogs ist das von Herrn Paul. Herr Paul und seine Frau Jott wohnen in Berlin und haben drei Kinder im Windelalter, darunter Zwillinge. Ich bewundere die Familie (stellvertretend für viele Familien), denn es ist mir ein Rätsel, wie man mit so wenig Schlaf und einer so hohen Taktung beim Kinderversorgen, Arbeiten, Pendeln und Das-Leben-Organisieren klar kommen kann, ohne unmittelbar ein Burnout zu erleiden. Derartige Tagebuchblogs halte ich für sehr wichtig, um das Politische im Alltäglichen zu zeigen – und zu reflektieren, was uns als Gesellschaft wichtig ist und wie wir leben möchten. Überdies lese ich gerne die Perspektive von Männern auf Familie, Leben und Liebe – nicht nur in Blogs, auch in Büchern. Oft ist mir der Blick deutlich näher als der von Frauen.
Integration und viel Grau zwischen Schwarz und Weiß
Am Wochenende geriet ich in eine Diskussion mit einem Rechtskonservativen. Er mokierte sich „über die Menschen, die die Regierung ins Land holt“, darüber, dass sie „so viel Geld kriegen“, und meinte, dass man ihnen doch „dort unten in Syrien“ helfen müsse, „wo sie herkommen“. Unsere Diskussion war heftig und unfruchtbar. Ich wies ihn darauf hin, dass niemand die Menschen holt, sondern dass sie zu uns kommen und dass Asyl ein Menschenrecht sei. Ich fragte ihn: „Wie viel Geld bekommen sie denn im Monat, die Flüchtlinge? Sag’s mir!“, und er meinte nur, dass sei im Detail ja nun nicht wichtig. Ich fragte ihn, wie wir den Menschen in Aleppo seiner Meinung nach helfen können, ob wir die Bundeswehr runterschicken sollten. Doch auch hier: keine Antwort, natürlich nicht. Ich war nach dieser Diskussion sehr müde. Dabei gibt es doch tatsächlich so viel zu diskutieren und auch zu kritisieren, allerdings nicht auf dieser populistischen Ebene, sondern vielmehr auf einer Ebene der reflektierten Kritik, wie sie die ZEIT in ihrem Stück über die Integration eines syrischen Arztes hat. Auch sehr lesenswert: der ausführliche Blick der New York Times auf die Integration von Flüchtlingen in Weimar.
In letzter Zeit höre ich wieder mehr Hörbücher und Podcasts – weil ich länger im Auto unterwegs bin und weil die erfolgreiche Überwindung der Erkältungssaison zu längeren Trainingseinheiten auf dem Crosstrainer und Laufband führt (andere Menschen laufen draußen, bei jedem Wetter, aber mal ehrlich: Es ist seit Wochen nur gefühlte drei Grad warm; das mag diese Leute nicht stören, mich schon). Jedenfalls: Podcast. Ein sehr gutes Hörstück, das an das Thema „Einwanderung“ anschließt, ist das ARD-Radiofeature „Freiwillige Abschiebung“ über Balkan-Flüchtlinge, die in ihre Heimat zurückkehren. Nein, es ist alles nicht einfach.
Vertrauen und die Frage: Wie konnte das passieren?
Noch ein Podcast, allerdings ein ganz anderes Thema: „Der talentierte Mr. Vossen“ von Christoph Heinzle für den NDR. Heinzle erzählt in mehreren Folgen die Geschichte des Anlagebetrügers und Filmproduzenten Felix Vossen, der im März 2015 mit 60 Millionen Euro verschwand und ein Jahr später in Spanien gefasst wurde. Es geht um Einblicke in eine Welt, in der man Spielgeld zum Spekulieren hat, es geht um Moral und Charakter, es geht um Doppelleben: um einen Menschen, der täuscht, und um diejenigen, die sich täuschen lassen. Heinzle kommentiert nicht, er recherchiert und lässt uns teilhaben. Das ist angenehm – auch wenn es am Ende keine Antwort auf die komplizierte Frage gibt: Wie konnte das passieren? Aber das ist ja oft so.
Tun und Innehalten
Ein Text darüber, wie sich das Gehirn erholt und warum Auszeiten wichtig sind. Ich halte es für ausgesprochen schwierig, dass die Leistung eines Menschen zum überwiegenden Teil in seiner Geschäftigkeit gemessen wird – und dass wir unseren Kindern beibringen: Produktiv und wertvoll ist nur, wer etwas arbeitet – im Sinne von „etwas herstellt, das unmittelbar messbar ist“. Zum einen ist auch Denken Arbeit. Zum anderen entsteht Weiterentwicklung meines Erachtens vor allem durch die Kombination aus Tun und Innehalten – und zwar im gleichen Maße. Passend dazu: der Blick aus dem Fenster von Kreativen.