Auf meine Buchankündigung habe ich einen Kommentar erhalten, den ich gerne ausführlicher beantworten möchte.
Denn es ist tatsächlich so, dass ich mir über einige Kritikpunkte auch selbst Gedanken gemacht habe, als ich das Angebot bekam „Da gewöhnze dich dran“ zu schreiben – zum Beispiel: Soll auf Basis des Blogs ein Buch entstehen? Kann das überhaupt gut sein; ist es das, was ich möchte? Soll ich unter Klarnamen veröffentlichen?
„Ihre Identität, die Sie bisweilen wohl zu behüten wussten, glich einem digitalen Mysterium und es war fast eine kleine sportliche Herausforderung, die wenigen biographischen Schnipsel, die Sie über die Zeit in ihren Posts fallen liessen, zu einem Nessy-Puzzle zusammenzusetzen. Ich war fast ein wenig enttäuscht, als Sie expressis verbis verrieten, dass Sie in Dortmund wohnen. Als Wagnerianer war ich an Lohengrin und sein Frageverbot erinnert: „Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam’ und Art.“ Nun schlage ich neugierig ihr Blog auf und was muss ich sehen? Ihr Bild. Schwarz auf weiss. Das Mysterium ist entzaubert, aus die Maus, Lohengrin muss zurück kehren nach Mont Salvat.“
Das klingt fast nach einer jenen Überhöhungen, wie sie der Frau im Minnegesang zuteil wurde. Die entpersonalisierte Verklärung eines Begierde-Objekts: Der Ritter, der zum Burgfräulein aufblickt, das aus der Ferne aus dem Turm winkt. Nun ist es allerdings so, dass die Wirklichkeit einer Verklärung niemals standzuhalten vermag – und dass nicht ich die Akteurin dieser Verklärung bin. Es kann nur entzaubert werden, was Fantasie und Erwartung des Betrachters hergestellt haben.
„Geschätzte Nessy, warum reihen Sie sich in eine Reihe von Slice-of-Life-”Literatur” polnischer Putzfrauen, überforderter Lehrerinnen, genervter Stewardessen u.ä. ein, deren literarische Halbwertszeit geringer ist als die Aufmerksamkeitsspanne eines DSDS-Gewinners. Die mehr als zweifelhafte literarische Qualität bewegt sich meist auf Frauentausch-Niveau: Fremdschämen als Selbstzweck. Verlegenes Füllmaterial in den Bücherregalen von Bahnhofsbuchhandlungen, bei dem man sich schon kurz nach dem Kauf darüber ärgert, dass man für solch einen Fremdschäm-Schund Geld ausgegeben hat.“
Das ist eine überraschend normative Haltung gegenüber dem, was Literatur oder nein, reden wir nicht von Literatur, reden wir von Büchern und Geschichten – was also Bücher und Geschichten zu sein und zu leisten haben. Nehmen wir einmal die genervten Lehrerinnen – um Sie beim Namen zu nennen: Frau Freitag und Frl. Krise. Die Blogs sind recht erfolgreich, die Bücher sind es auch. „Chill mal, Frau Freitag“ stand fünf Wochen lang auf Platz Eins der Spiegel-Bestsellerliste.
Man kann das Blog, das Buch und den Erzählstil mögen oder nicht. Das ist für diese Diskussion nicht relevant. Denn fest steht: Es gibt Menschen, die das, was in diesen Büchern drinsteht, gerne lesen. Desgleichen gibt es eine Nachfrage nach Pilcher, Traumschiff, Günther Grass, Musikantenstadl und Auftritten von Helmut Schmidt. Und da keines von allem gegen geltendes Recht verstößt, wird es angeboten und geschieht es. Wer bestimmt, was Niveau und was Qualität ist? Zeugt es nicht allein von Leistung, sogar von Qualität, dass Menschen einen Teil ihrer Zeit auf diese Bücher und Sendungen verwenden? Ja, verdammt, das gilt auch für die Macher von Frauentausch, die den Voyeurismus ihres Publikums zu nutzen vermögen – und seine Sehnsucht, sich durch einen Vergleich nach unten zu erhöhen und damit seinen Selbstwert zu steigern. Das ist freilich keine Qualität im normativen Sinne der Intelligenzija, deren Begehren es ist, sich vom Pöbel abzugrenzen. Aber dennoch.
„Stillschweigend war ich davon ausgegangen, dass Sie sich der unterschiedlichen Diskursebene zwischen Internet und Buch wohl bewusst seien. Und ebenso, dass es wohl der Quadratur des Kreises gleich käme, ein Sprachregister zu finden, das beiden Medien gleichermassen gerecht wird.“
Ich habe in der Tat schon darüber nachgesonnen, welche Unterschiede es zwischen Blog und Buch, zwischen Blogbeiträgen, klassisch-literarischen und klassisch-journalistischen Darstellungsformen gibt; dass es beim Blog das vernetzte, nicht hierarchische Publizieren ist, das viel von Interaktion lebt, das den Reiz ausmacht. Das hindert mich aber doch nicht daran, auch klassische Publikationsformen zu erproben.
Bloggen ist der Sprint des Schreibens, kraftvoll, schnell, mit hoher Dynamik. Das Buch ist der Langstreckenlauf. Man kann einen Sprinter nun 100 Spurts hintereinander machen lassen – dadurch wird es aber kein guter Langstreckenlauf. Im Gegenteil: Der Läufer wird schon nach einem Viertel der Strecke versagen, und das Publikum wird sich voller Fremdscham abwenden.
Warum habe ich es also trotzdem gewagt, ein Buch zu schreiben? Weil ich um diesen Unterschied weiß und weil genau aus diesem Grund das Buch keine Aneinanderreihung von Blogbeiträgen ist, sondern eine durchgängige Geschichte, die für sich allein stehen kann; weil die zwei Ebenen, Blog und Buch, sich nicht kannibalisieren, sondern sich ergänzen – können, für den, der mag. Es geht also mitnichten darum, die beiden unterschiedlichen Ausprägungen auf gleiche Weise mit Inhalten zu füllen.
„Hoffentlich machen Sie damit wenigstens ordentlich Reibach, damit sich die Aktion unter dem Strich wenigstens finanziell für Sie gelohnt hat.“
Reibach, das suggeriert eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber dem Konstrukt „Geld gegen Leistung“ – und was in dem Fall „Leistung“ ist, das habe ich ja weiter oben schon andiskutiert. Es ist so, dass ich vor 19 Jahren zum ersten Mal mit Schreiben Geld verdient habe und dass ich seither mit inhaltegetriebener, publizistischer Tätigkeit in unterschiedlicher Form „Reibach mache“. Das Buch ist also nur eine Spielform dessen, was ich auch vorher beruflich schon getan habe.
„Nun werden Sie (zu Recht) sagen: Lesen Sie doch erstmal mein Buch, bevor Sie darüber urteilen. Nennen Sie mich konservativ: Ich werde darüber nachdenken, aber meine Überzeugung spricht dagegen.“
Ich fordere Sie im Gegenteil dazu auf, das Buch nicht zu lesen. Kaufen Sie es nicht, lesen Sie es auf keinen Fall. Denn Literatur, Bücher und Geschichten haben zwar ihre Grenzen in dem, was der Autor ihnen mitgegeben hat. Aber sie erschöpfen sich niemals in den Intentionen des Autors, sondern es ist der Leser, der jeder Geschichte ihre Bedeutung zuweist. Er ist deshalb der wahre Autor. Er schreibt, während er liest, bettet die Geschichte in seine Erfahrung ein und interpretiert sie vor dem Hintergrund seiner Haltung – was im Fall meines Buches und Ihrer Rezeption einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung gleich käme.
Zum Schluss noch eine weitere Idee, warum ich dieses Buch geschrieben habe: weil ich die Gelegenheit geboten bekam, etwas Neues zu tun. Wenn wir alle bei dem bleiben, was wir immer tun, nur weil es ganz okay ist, entwickelt sich nichts weiter. Auch man selbst nicht.