In den letzten Monaten lese ich viele Artikel zum Thema Mobilität, Parkgebühren, autofreie Innenstädte, Fahrverbote. Und natürlich über Staus.
Vor allem das Stauproblem bewegt mich, denn ich stehe derzeit selbst viel drin. In NRW sind fast ein Drittel aller deutschen Staus. Es nimmt absurde Züge an. Für eine Strecke von Dortmund nach Essen, das sind rund 40 Kilometer, benötigte ich zuletzt eineinhalb Stunden, für eine Fahrt von Dortmund nach Düsseldorf, die eigentlich eine Stunde dauert, benötigte ich zweieinviertel Stunde. In beiden Fällen hatte ich Termine – beim letzten kam ich trotz doppelt angenommener Anfahrtszeit eine Viertelstunde zu spät.
Was soll die Lösung sein? Die eigentliche Reisezeit zukünftig mal drei nehmen – und den Großteil seiner wertschöpfenden Arbeitszeit auf der Autobahn verbringen?
Bahnfahren!, rufen Sie jetzt, nicht wahr? Nun – wenn ich in meiner Region Ruhrgebiet/Rheinland nur von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof fahren möchte, ist alles in Ordnung. Doch ich wohne nicht neben dem Hauptbahnhof – und mein Ziel ist auch selten das Ibis-Hotel.
Nehmen wir also die Fahrt zum Termin nach Düsseldorf: Um zum Hauptbahnhof zu gelangen, steige ich in den Bus, von dort steige ich in die Stadtbahn um, von der Stadtbahn steige ich am Dortmunder Hauptbahnhof in den Regionalexpress und fahre mit ihm nach Düsseldorf. Am Hauptbahnhof Düsseldorf steige ich wieder in eine Stadtbahn um – und von der Stadtbahnhaltestelle gehe ich noch gute zehn Minuten zu Fuß zum Zielort. Das ergibt eine reine Wegzeit mit dem ÖPNV von 2 Stunden 30 Minuten – wohlgemerkt, wenn alle Anschlüsse pünktlich und reibungslos funktionieren, was auf dieser Strecke eigentlich nie passiert. Preis für Hin- und Rückfahrt: fast 60 Euro. Es muss nicht erwähnt werden, dass dieselbe Rechnung nach 20 Uhr, also bei geringerer Taktung, deutlich ungünstiger ausfällt, der Preis aber gleich bleibt.
Menschen, die auf dem Land leben, lachen ohnehin laut auf, wenn sie die Worte „Bus und Bahn“ hören.
Während ich also im Stau stand, machte ich mir Gedanken. Denn es macht mich wütend, dass alleinig dem Autofahrer die Schuld daran gegeben wird, dass er Auto fährt. In vielen Artikeln in Kommentarspalten und in der öffentlichen Diskussion schwingt die Haltung mit: Der Autofahrer ist ignorant. Der Autofahrer ist eine Umweltsau. Der Autofahrer müsste nur mal weniger bequem sein. Soll er doch Rad fahren! Soll er doch Bahn fahren!
Seltsam finde ich, dass alle Kritiker stets nur im Kontext „Verkehr“ argumentieren – und die Lösungen für Verkehrsprobleme lediglich in Verkehrslösungen sehen. Doch liegt die Ursache für unsere Verkehrsprobleme nicht woanders?
- Die Arbeit ist immer weniger planbar. Conti-Schichten, Früh-, Spät-, Nachtarbeiten, Bereitschaftszeiten, spontane Mehrarbeit, Zeitverträge, Zeitarbeit, Aushilfsverträge. Das alles führt dazu, dass Menschen keine Fahrgemeinschaften bilden, dass sie pendeln und dass sie – weil der Vertrag befristet ist – dem Arbeitsplatz erstmal nicht hinterherziehen.
- Beide Partner sind erwerbstätig. Weil sie es müssen, weil sie es wollen und weil sie es wollmüssen – weil ein Einkommen zwar ausreichen könnte, wenn man zu Viert auf 60 Quadratmetern wohnte; weil jedoch im Falle einer Trennung einer der Partner sofort in Hartz 4 und damit in Armut rutschte – von Armut im Alter ganz zu schweigen. Zur Arbeit müssen sie hinkommen, vor allem, wenn sie als Erzieher*in, in der Pflege oder im Einzelhandel in Schichten, in Teilzeit oder als Aushilfen arbeiten.
- Flexibel kollidiert mit starr. Der Arbeitnehmer soll flexibel sein. Die Kinderbetreuung ist es nicht. Das Kind muss pünktlich abgeholt werden, der Chef wünscht aber noch eine spontane Besprechung. Und dann noch auf den Bus warten, der zu spät kommt, wo eh immer alles so knapp ist?
- Der Alltag hat sich verdichtet. Die Schlagzahl auf der Arbeit ist hoch: just in time, Service-Level-Reaktionszeiten, immer weniger Personal. Der Vertrag ist befristet, das Unternehmen wird umstrukturiert. Die Kinder müssen von der Betreuung abgeholt werden, die Mutter ist dement, der Schwiegervater braucht Hilfe im Haushalt. Die Steuererklärung ist überfällig, der Antrag für die Pflegestufe auch, im Keller ist die Wand nass. Der Gatte muss nächste Woche auf Dienstreise – ausgerechnet, wo die große Tochter eine Zahn-OP hat. Und jetzt das Auto stehen lassen und über nicht ausgebaute Radwege 15 Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit und zurück fahren? Oder das Doppelte der Wegzeit in Kauf nehmen, um mit Sack und Pack in der unklimatisierten Bahn zu sitzen?
- Immer mehr Lastverkehr. Der Personenverkehr hat zwischen 1991 und 2015 zwar um ein Drittel zugenommen – der Güterverkehr aber um zwei Drittel (Quelle). Weil es immer mehr Güter gibt, aber auch, weil diese Güter längere Wege zurücklegen. Wenn man sich durch bilaterale Güterstromanalysen hindurchwühlt, stellt man zum Beispiel fest, dass die Güterströme zwischen den europäischen Ländern allesamt immens zugenommen haben. Woran das liegt? Keine Ahnung. Meine Vermutung: Öffnung des europäischen Binnenmarktes und preiswertere Produktionsorte. Güter durch die Lande zu karren ist eben preiswerter als einen Standort in West-Europa zu unterhalten (oder Güter zu lagern). Dafür fahren immer mehr Menschen mit der Bahn, auch wenn es sich auf der Straße nicht so anfühlt. Wer mal zu Stoßzeiten im RE1 durchs Ruhrgebiet fahren möchte: Bon voyage im Viehtransport.
Wenn wir das Verkehrsproblem lösen möchten, müssen wir gesamtwirtschaftliche Themen lösen. Das ist politisch, nicht indivuell. Ein bisschen mehr Fahrrad zu fahren, mag im Einzelfall richtig und hilfreich sein. Aber die große Herausforderung löst es nicht.
Kommentare
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Ich beschäftige mich jetzt auch schon seit ein paar Jahren mit dem Thema (Stadt)-verkehr. Ich finde Deine Punkte, die das Problem gesellschaftlich erweitern sehr gut (würde z.B. das Thema Home-Office größere Akzeptanz bei Arbeitgebern erhalten, wäre Mobilität auch nicht mehr so wichtig).
Einseitige Schuldzuweisungen bringen jedenfalls keinen weiter und man muss halt differenzieren. Das von Dir beschriebene Szenario kann ich sehr gut nachvollziehen und ich komme selber vorm sehr platten Land und da fährt heute immer noch nur dreimal am Tag ein Bus durch mein Dorf. Ohne eigenes Auto: keine Chance.
Gleichzeitig wohne ich in München sehr zentral und es ärgert mich (v.a. seit ich Kinder habe) schon sehr, wieviel Platz dem Auto eingeräumt wird und wie wenig Platz sich Radfahrer und Fußgänger teilen müssen. Und das 10 Jahre im Stadtradt diskutiert wird, ob man auf einer Strecke von 800m eine Fahrbahn für einen Radweg abzwacken kann.
Wir haben seit über drei Jahren kein eigenes Auto mehr und haben das bisher noch nie bereut. Weil die Infrastruktur mit Car-Sharing /ÖPNV/Rad/Fußläufigkeit hier eben sehr gut ist.
Ich möchte Autofahrer deshalb auch gar nicht einseitig beschimpfen, ich weiß aber aus eigener Erfahrung, dass man eben auch so stark mit dem Auto sozialisiert wurde und sich gar nicht vorstellen kann, dass es auch ohne geht.
Deshalb möchte ich dazu ermutigen, sich zumindest mal damit zu beschäftigen, ob das eine Option wäre. Stimmt die alternative Infrastruktur in meinem Umfeld dazu? Bringt es mir vielleicht mehr emotionale und finanzielle Vorteile auf ein eigenes Auto zu verzichten? Wenn man die Fragen alle verneint: gut (bzw. Aufforderung an die Politik, Verkehrsalternativen zu schaffen). Falls doch öfter „ja“ rauskommt: schön, dann wird wieder ein zentraler Parkplatz weniger gebraucht.
Dem kann ich nur beipflichten – das widerspricht sich auch nicht mit meiner obigen Argumentation.
Ich habe bis vor einem Jahr ohne eigenes Auto gelebt. Ich habe nie ein eigenes Auto gehabt, bin immer mit Bus und Bahn, Carsharing, Mietwagen und dem Auto des Partners (wenn es zur Verfügung stand) klar gekommen. Das geht in großen Städten.
Viele Menschen wohnen aber eben nicht in großen Städten – oder bewegen sich nicht ausschließlich darin. Es ist hier im Ruhrgebiet ein großer Unterschied, ob ich in Dortmund wohne und auch in Dortmund arbeite, ob ich in Dortmund wohne und in Remscheid arbeite oder ob ich in Datteln wohne und in Dortmund arbeite.
Wie viel Raum der ruhende Verkehr einnimmt, halte ich übrigens auch für nicht mehr hinnehmbar.
Bessere Radwege würden einiges ausrichten. Mit dem Rad zu Arbeit zu fahren, ist für mich in Dortmund Stress. Es gibt keinen vernünftigen Radweg in die Innenstadt, man wird über ein krudes System mal auf, mal neben der Straße geführt, wird weggehupt, fast umgefahren, stößt alle 300 Meter auf ein Hindernis und ist ein Verkehrsteilnehmer dritter Klasse – noch hinter dem Fußgänger. Die Freizeit-Radstrecken hier sind toll – die für den Alltag eine Katastrophe.
Ich gebe Ihnen in vielem recht. Die gesamtgesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Themen hinter der Frage „Warum fährt man Auto?“ sind enorm und werden von der derzeitigen Politik zu wenig diskutiert. In der Sommerzeit zum Beispiel greife ich mir immer wieder an den Kopf, da ich nicht verstehen kann, warum Geld für die Erforschung des autonomen Fahrens vorhanden ist, aber nicht für den Einbau von Klimaanlagen in die Berliner U-Bahn.
Allerdings finde ich wie Heiko Bielinski, dass es uns nicht von der individuellen Analyse unsere Fahrgewohnheiten befreit. Ich habe eine Reihe von KollegenInnen, deren individuelle Lebensumstände es definitiv zulassen würden, hier in Berlin mit dem ÖPNV zur Arbeit zu kommen statt mit dem eigenen Auto. Statt dessen wird über den Stau gemeckert, dessen Bestandteil man ist. Wegen des vielen Autoverkehrs traut man sich halt auch nicht, mit dem Fahrrad zu fahren. Katze ->Schwanz.
Wie in vielen Fällen gilt für mich: Prinzipienreiterei muss nicht sein, aber Nachdenklichkeit würde vielen ZeitgenossInnen gut tun. So, wie Sie es ja auch tun.
Disclaimer: ich bin in Berlin unterwegs als ÖPNV-Nutzerin, Autofahren, Radfahrerin und Fußgängerin.
Das Problem in Blogs ist, dass hier in der Mehrzahl Menschen diskutieren (mich eingeschlossen), die a) eher Bürojobs als Jobs in Industrie, Gastgewerbe oder Pflege machen und die b) eher in einer Großstadt als in einer Kleinstadt oder auf dem Land wohnen. Die Mehrheit der Deutschen wohnt aber in einer Stadt unter 50.000 Einwohnern, und den meisten ist es nicht vergönnt, dass ihre Tätigkeit Homeoffice zulässt – und das nicht, weil der Arbeitsgeber nicht will, sondern weil es als Kellner*in, Putzkraft, Monteur*in, Fußpfleger*in, Kassierer*in, Arzt/Ärztin, Empfangskraft, Fliesenleger*in, Landschaftsbauer*in, Fachkraft im Außendienst (usw.) schlicht nicht geht. Sicherlich gibt es noch deutliches Potential – ich denke aber nicht, dass Homeoffice das Thema grundsätzlich löst.
Zum Kommentar:
Natürlich ist es richtig, dass Ihre Arbeitskolleg*innen mehr Wege mit dem ÖPNV zurücklegen könnten. Sicher sollte sich jeder immer zuerst an die eigene Nase fassen. Meine These ist gleichzeitig, dass sich die Herausforderungen, selbst wenn sich alle ausgiebiegst an die Nase fassen, damit nicht lösen lassen.
Für das genannte „platte Land“ bzw. kleinere Städte stimme ich Ihnen zu, kein Thema. Ich komme ja selbst daher und kann es einschätzen. Aber für Großstädte wie Berlin, München, Hamburg finde ich halt immer noch – leider – zu wenig Selbstreflektion vor, wie eben bei den KollegInnen. In allen drei Städten kann man, meinem eigenen Erleben nach, in normalen Lebensverhältnissen gut „mit ohne“ Auto auskommen.
Richtig. Nur, nochmal: Großstädte wie Berlin, München, Hamburg sind die Ausnahme. Deutschland ist nicht Berlin oder Hamburg.
Außerhalb Berlins und Hamburg reden wir auch nicht unbedingt vom platten Land. Selbst Städte über 50.000 Einwohner sind schlecht an den ÖPNV angebunden. In Iserlohn, einer Nachbarstadt am Rande des Ruhrgebiets mit 100.000 Einwohnern, kommt man nicht ohne Auto zurecht: Die 100.000 Einwohner stehen auf dem Papier, wohnen aber nicht alle in einem Ortskern, sondern in eingemeindeten Orten. Klar fahren da Busse. Jede Stunde einer in eine Richtung.
Der Iserlohner arbeitet in Hagen, Dortmund, Bochum, Remscheid, Wuppertal oder in einer angrenzenden Kleinstadt. Zu den drei Erstgenannten besteht eine einigermaßen gute Hauptbahnhof-Hauptbahnhof-Verbindung. Aber wenn man aus einem Iserlohner Stadtteil kommt und in einen Stadtteil oder ein Industriegebiet muss – aussichtslos. Und selbst wenn man innerhalb der Stadt arbeitet: Ohne Auto die zum Großteil recht ländliche Fläche zu durchqueren, kann man machen. Sonntags, als Radausflug mit Picknickkorb.
Ich stimme dir voll und ganz zu. Ich wohne auf dem Land und arbeite 40 km entfernt wieder auf dem Land. Zwischendurch fahre ich täglich über ein Pendlerstrecke. Zum Fahrgemeinschaften bilden fehlt es an Personen, die tatsächlich die gleiche Wegstrecke fahren. Ich teile mir zwar mit vielen eine Teilstrecke aber wollte ich fahrgemeinschaften bräcuhte ich einen Pkw für die Letzte Teilstrecke von 15 km vom Arbeitsplatz zur Pendlerstrecke. Und daheim müsste trotzdem ein Auto stehen, da wieder Land. Bahn gibt’s nicht, Bus fährt täglich zwei Mal durchs Dorf – aber nicht dahin, wo ich hinmüsste. Bringt also nicht wirklich viel.
Die zunehmenden Lkw-Ströme auf den Autobahnen haben sicher auch mit den Internet-Shops zu tun. Ware muss vom Hafen zum Importeur nach Süddeutschland, von dort zum Amazon-Lager nach NRW, mit DHL nach Oberbayern, die Retoure mit Hermes zum Retourenhub nach Thüringen, von dort wieder zum Importeur in den Schwarzwald. Oder das Tafelwasser aus Frankreich zum Zentrallager nach Olpe und von dort in die Märkte. Aber das wollen wir ja so. Ich will das auch, denn es ist bequem. Aber nicht alles ist die Schuld des bösen Autofahrers, der ja nur mutwillig die Umwelt verpestet und die Stadt verstopft, weil er sich darüber freut, den Städtern den Feinstaub in die Lungen zu blasen
Und noch was – mein Chef ist rigoros gegen Home Office, obwohl der Arbeitsplatz und die Infrastruktur das ohne Probleme hergeben. Ich könnte (und ein Großteil meiner Kollegen auch) übermorgen damit anfangen. Aber wenn der Chef drauf besteht, pendeln wir halt fast alle bis zu 50 km täglich hin und 50 km wieder zurück. Ohne Bus und Bahn, weil der Standort es einfach nicht hergibt. Immerhin haben wir eine Fahrgemeinschaft im Büro (nicht meine, wie oben beschrieben)
Sowas wird hoffentlich weniger werden. Ich denke, dass es auch in Bereichen, wo Menschen grundsätzlich im Homeoffice arbeiten, Präsenz geben muss – aber dann halt nur, sagen wir, an zwei Tagen in der Woche. Das hilft ja auch schonmal.
Zum Güterverkehr, der auf Onlinebestellung beruht, fehlen mir die Zahlen – vor allem, wie hoch der Anteil in Relation zum Gesamtgüterverkehr ist. Abgesehen davon müsste man den Verkehr gegenrechnen, den es benötigte, wenn die Besteller stattdessen selbst losführen und die Dinge im stationären Handel kauften.
Es ist kompliziert.
Ich las vor nicht allzu langer Zeit mal einen Artikel darüber, dass die gestiegene Anzahl an LKW auch auf eine Abkehr vom Güterverkehr auf der Schiene zurückzuführen ist.
Die online-Bestellungen sind in jedem Fall eine relevante Größe im überregionalen und regionalen Verkehr. Laut statistischem Bundesamt hat sich die Zahl der Sendungen von 2000 bis 2015 knapp verdoppelt (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/154829/umfrage/sendungsmenge-von-paket-und-kurierdiensten-in-deutschland/) – das sagt natürlich nichts direkt über das durchschnittliche Volumen der Sendung und damit über die Logistik-Infrastruktur aus …aber bei Lebensmittelbringdiensten fällt einem doch echt nichts mehr ein, oder?
B.t.w. Ich bin nicht selbständig und habe Ihre Mobilitätsprobleme nicht (bei mir reicht ein normales Fahrrad, ein Auto habe ich seit 30 Jahren nicht), aber evtl. hilft eine Kombi aus ÖPNV und modernem Faltrad. Gibt es sogar mit e-Unterstützung, damit man beim Geschäftstermin nicht wie der Gewinner des Bergtrikots aussieht (siehe z.B. http://www.spiegel.de/auto/fahrkultur/e-faltrad-tern-vektron-im-test-seltener-falter-a-1148253.html).
Und für die Radroutenplanung ist ja selbst in Dortmund ein Tool vorhanden (die Hauptstraßenvermeidung lässt sich da z.B. einstellen): http://www.bbbike.org/Dortmund/
Viel Erfolg!
Dass die Zahl der Online-Bestellungen zugenommen hat, ist klar – die Frage ist halt nur, ob der Lieferverkehr in gleichem Maße gestiegen ist und ob dadurch Individualfahrten wegfallen. Leider ist das Thema sehr vom Lobbyismus getrieben; ich kenne kaum neutrale Dokumentationen darüber.
Zu Lebensmittelbringdiensten fällt mir sehr viel ein. Zum Beispiel, dass ich den Service sofort nutzen würde, gäbe es ihn in meiner Umgebung. Es gibt wenig Unerfreulicheres unter den Routinetätigkeiten als den Wocheneinkauf.
ÖPNV und Faltrad – nein. Wie soll das gehen, im obigen Beispiel Dortmund – Düsseldorf, bei Morgenterminen in anderen Städten, mit Laptop und Aktenordner, im Hosenanzug oder Kostüm? Mit dem Faltrad zum Bus, von dort in die Stadtbahn, von dort in den Regionalexpress, von dort aufs Faltrad, durch den Stadtverkehr ins Gespräch mit der Geschäftsführung – danach den gleichen Weg zurück; abends radele ich zur Abendveranstaltung und um 22 Uhr zurück nach Hause.
Es gibt Tage, da brauche ich das Auto nicht. Zum Einkaufen in den Stadtteil fahre ich mit dem Rad. Oder zum Coworking.
Ich kann in allen Punkten nur zustimmen.
Ich selbst fahre zu 80 % öffentlich, zu 15 % mit dem Auto und zu 5 % mit dem Fahrrad (geschätzte Werte…). Ich habe eine Wegstrecke von 15 km von zu Hause zu meiner Arbeitsstätte. Ich habe das Glück, am Land zu wohnen und am Land zu arbeiten, ich fahre gegen den täglichen Verkehrsstrom, der in die Stadt führt. Ich habe das Glück, die Stadt trotzdem nur 10 km von mir weg zu haben. Ich habe das Glück, genau vor meiner Haustüre eine Bushaltestelle zu haben, und der Bus fährt im Halbstundentakt. Wenn ich in entlegenere Stadtteile muss, muss ich allerdings ebenfalls gleich mal die doppelte bis dreifache Anfahrtszeit rechnen, wenn ich öffentlich fahre, als wenn ich mit dem Auto fahre. Ich habe mir angewöhnt, zu splitten, und mit dem Auto zum Park&Ride zu fahren, wo die Stadtbusse wegfahren, damit ich dann nicht davon abhängig bin, auf den nächsten Landbus zu warten. Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich wegen eines Arzttermins in der Stadt meinen Arbeitgeber eine zusätzliche Stunde auf mich warten lasse, weil ich auf den Landbus warten muss.
Dabei wohnen wir eben noch total günstig, neben der Bushaltestelle und mit einer halbwegs vernünftigen Bustaktung. Ich mag mir nicht ausmalen, wie das läuft, wenn man in entlegeneren Gegenden wohnt.
In Salzburg hat man, glaube ich, ein Jahres-Park-Ticket für Pendler beschlossen, das € 500,– kosten soll. Damit will man die Pendler auf die Öffis bringen. Allerdings hat man kein Konzept, die Öffis besser auszubauen. Spannend!
Ich lebe in einer Kleinstadt am Rand des Odenwaldes. Ohne Auto käme ich nicht zurecht. Zur Arbeit ginge noch einigermaßen. Laut Google Maps brauche ich mit dem Auto für die 11km 13 Minuten. Mit ÖPNV wären es schon 38 (inkl. 5-10 Minuten Fußweg zur und von der Haltestelle). Mit dem Rad wären es 24 Minuten für 8km. Da frage ich mich aber immer, ob ich dann genauso stinken würde, wie der eine Kollege, der immer mit dem Rad kommt. Duschen gibt es bei uns nicht. Außerdem mache ich sowas lieber zu Hause in der eigenen Dusche. Bleibt noch der Fußweg. 7km in 1,5 Stunden. Also 3 Stunden pro Tag. Nicht so prickelnd.
P.S. Was machen die Leute ohne Auto, wenn sie mal ein paar Kisten Wasser, Cola, Bier etc. brauchen? Getränkedienst? Schubkarre?
Ich kaufe z.b. meine Getränke vorzugsweise, wenn sie im Angebot sind und dann eben etwas mehr. „Mein“ Jever kostet im Angebot 9,99. Das sidn rund 4 Euro pro Kiste weniger. Mal in dem und mal in dem Markt. Und die liefern nicht. Wie soll man da 4 Kästen Bier ohne Auto heim bekommen?
Ich glaube, hier sieht man schnell, dass der eigene Lebensalltag mit dem anderer Leute nur bedingt zu tun hat.
Die Frage mit den Getränkekisten stellt sich für mich nicht, ich kaufe so gut wie nie Getränkekisten. Wasser, sowieso nicht, warum sollte ich einen Kasten Wasser kaufen? Ab und zu fahren wir tatsächlich zum Getränkehandel und kaufen zwei Kisten, das passiert alle paar Monate mal, dann stehen die Kisten sehr, sehr lange auf dem Balkon, bis wir daran denken, mal wieder zum Getränkehandel zu fahren und sie zurückzubringen.
Ich habe ernsthaft noch nie im Leben einfach mal so 4 Kästen Bier gekauft.
Allerdings habe ich bei allen bisherigen Wohnungen darauf geachtet, dass Infrastruktur in der Nähe ist und ich zu Fuß zum Supermarkt gehen kann. Das sind Entscheidungen, die man halt trifft und Prioritäten, die man setzt, weil ich eben genau nicht mit dem Auto einkaufen fahren will.
Meine Tante, die kein Auto fährt, auf dem Dorf lebt und drei Kinder hat, ist früher (also als die Kinder noch nicht erwachsen waren) übrigens einfach mit einem Bollerwagen einkaufen gegangen.
Ich finde z. B. auch 38 Minuten ÖPNV von Tür zu Tür absolut vertretbar, natürlich ist das mehr als mit dem Auto (und offensichtlich sogar mit dem Rad), aber das ist dann eben auch eine Entscheidung, die man trifft. Wenn ich mir das angucke, entspricht das sogar ungefähr der Entfernung, die ich zwei Jahre lang bei meinem ersten Job zurücklegen musste, Google Maps sagt 11 Minuten mit dem Auto, 35 Minuten mit dem Bus und 22 Minuten mit dem Fahrrad. Ich bin mit dem Bus gefahren und teilweise im Sommer mit dem Fahrrad. Gelegentlich hat mich mein Mann mal abgeholt. Das war übrigens innerhalb einer Stadt mit 160.000 Einwohnern, da scheinen sich die Zahlen also auch nicht zwingend zu unterscheiden.
[…] kommen, befördern Touristen für einen Ausflug ins urige Irland hin- und zurück. Frau Nessy hat die Sache mit den Autos und den Alternativen […]
Es geht, wenn ich mal kurz meinen Unmut kundtun darf, nicht um die Leute, deren Lebens-, Wohn- und Arbeitsumstände ein Auto notwendig macht, sondern um immer noch sehr viele, die sich gar nicht vorstellen können, statt des Autos zu Fuß zu gehen oder öffentliche Verkehrsmittel zu nehmen.
Einer meiner Kollegen wohnt in Velbert, einer Stadt, die so dermaßen schlecht an den ÖPNV angebunden ist, dass es schon wieder faszinierend ist. Er würde gerne mit der Bahn zur Arbeit kommen, sieht aber nicht ein, morgens erst nach Wuppertal oder Essen zu fahren, um da in einen Zug steigen zu können. Das verstehe ich sofort, das würde ich auch nicht machen.
Ein anderer Kollege wohnte erst wenige U-Bahn-Haltestellen vom Büro entfernt, er hätte zu Fuß gehen können, aktuell etwas weiter weg, aber in Bahnhofsnähe mit direkter Anbindung an den Bahnhof direkt am Büro und fährt fast immer mit dem Auto. Wenn dann noch auf den Verkehr geschimpft wird, fehlt mir dann wirklich das Verständnis. Und ja, er braucht mit dem Auto ziemlich sicher länger als mit der Bahn.
Es ist auch oft eine Organisationsfrage bzw. die Frage, wie viel Flexibilität man abgeben will oder kann.
Nur zur Sicherheit: Es geht mir nicht um die Fälle, wo das Auto nachvollziehbar die beste Option ist, aus allen Gründen, die oben schon stehen. Aber ich kenne immer noch genug Leute, für die das Auto das einzig vorstellbare Verkehrsmittel ist, aus welchen Gründen auch immer und die sehr wohl Alternativen hätten.
Genau das war mein erster Gedanke, als ich im Titel von „anfeinden“ las.
Ich stamme selbst aus den Tiefen des Hochsauerlands, wo ein Auto nach wie vor zum Überleben irgendwie gebraucht wird, weil der Bus nur Dienstags fährt und Freitags zurück kommt. Meine Eltern planen sogar, irgendwann das von meinem Opa gebaute Haus eines Tages zu verlassen und zur Miete in die Stadt zu ziehen, um sich auch dann noch selbst versorgen zu können, wenn das Autofahren nicht mehr klappt, so schlecht ist es um die öffentliche Infrastruktur bestellt.
Was mich aber nervt, sind eben die Leute, die trotz sinnvoller Alternative dennoch das Auto nehmen und damit die Städte vollstopfen.
Ich fahre auch jeden Tag mit der Bahn nach Düsseldorf rein, inclusive Fußweg brauche ich von Tür zu Tür 40 Minuten. Die Zeit schlage ich höchstens nachts mit dem Auto, morgens und abends würde ich erst hübsch in diversen Staus stehen und mich anschließend in die Kette deren einsortieren, die allmorgendlich auf der Suche nach einem Parkplatz endlos im Medienhafen im Kreis fahren oder absurd hohe Beträge für Parkhäuser zahlen.
Sie müssten es nicht. Sie machen es trotzdem. Sie werden irgendwann aggressiv, hupen wie blöde herum und parken Gehwege zu. Das kann man durchaus anfeinden, finde ich.
Mit der Personalisierung gesamtgesellschaftlicher Probleme, (Mobilität gehört dazu)
wird lediglich abgelenkt von einer verfehlten Politik, die sich viel zu lange einer Autoindustrie angedient hat (z.B. Frau Merkel und ihre Abwrackprämie).
Dass viele Menschen ein Auto brauchen um zu ihrem Erwerbsjob zu kommen oder andere lebenswichtige Dinge tätigen zu können, verdeutlicht die Absurdität einer Ökonomie, die sich vor allem an (zerstörerischem) Wachstum und Profitmaximierung
orientiert und sich gegen selbst bestimmtes Leben richtet.
Die Frage, die ich mir immer wieder neu stelle ist, in welcher Weise die, in Sonntagsreden so hoch gelobten, „mündigen Bürgerinnen Einfluss nehmen können auf die Gestaltung ihrer Lebens-Um- und Mitwelt?
@Anne: „Das sind Entscheidungen, die man halt trifft und Prioritäten, die man setzt, weil ich eben genau nicht mit dem Auto einkaufen fahren will.“ –Endlich sagt das mal jemand! Einige obiger Kommentare fangen nämlich so an: „Ich wohne in …“ Und da haben wir’s schon. Warum wohnt jemand in, was weiß ich, Velbert und arbeitet in Solingen? Weil es das Auto zuläßt. Erst kommt das Auto, dann die Entscheidungen auf der Grundlage seiner Möglichkeiten, Arbeitsstelle, Wohnort, Freizeitverhalten, Partnerwahl, alles. Und wenn man sich dann mal mit den Möglichkeiten des Autos eingerichtet hat, ist es tatsächlich sehr schwer, sich dasselbe Leben ohne Auto vorzustellen — aus dessen Möglichkeiten sind Zwänge geworden. Man hat sich drauf verlassen, jetzt geht es nicht mehr ohne. Trifft man von Anfang an die Entscheidung, daß man kein Auto fahren wird, richtet man sein Leben genau so ein, daß es ohne Auto paßt. Und, doch, das geht.
Eine etwas gewagte These. Ist es nicht eher so dass das Auto weit nach allen wichtigen Faktoren (Familie, Freunde, Heimatgefühl, Kindergarten- und Schulplätze und natürlich Arbeit) kommt und dann lediglich die Möglichkeit bietet trotzdem noch einen funktionierenden Alltag zu organisieren?
Familie und Freunde haben für mich Priorität, wenn ich z. B. für die Nähe zu den Großeltern in Kauf nehmen muss dass ich mit dem Auto zur Arbeit fahren muss dann ist das eben so, nicht im Traum würde ich auf die Idee kommen das andersherum anzugehen.
Das kann man alles so schön planen. Wir wohnten am Rande der Stadt, beide Arbeitsorte prima in kurzer Zeit mit ÖV erreichbar. Dann zog die Firma, bei der mein Mann arbeitet, raus aufs platte Land.
Was rätst du dann? Scheiden lassen? 2 Wohnungen und getrennt leben? Einer gibt seine Stelle auf?
Wir haben uns für die Lösung „wir ziehen auch aufs platte Land“ entschieden, damit nur einer von uns pendeln muss. Führte aber für mich zu 40 km einfachem Weg. Und ja, das ginge auch mit ÖV. Dann bin ich aber statt 11,5-12 Stunden 13,5-14 Stunden ausser Haus. Und habe noch nicht mal Abendbrot gegessen.
Heutzutage sind auch Firmen nicht unbedingt „sesshaft“.
Das Problem ist glaube ich noch ein anderes und wird von Nessy ja auch angesprochen:
1. Früher hat man einen Job gefunden, und sich dann irgendwo in der Nähe eingerichtet (es sei denn, es gab andere Gründe, die dagegen sprachen). Und dann hat man diesen Job im besten Fall bis zur Rente behalten.
Das ist heute nicht mehr so und ich möchte sagen, das ist auch gut so, denn ein ganzes Leben bei einem Arbeitgeber stelle ich mir auch ermüdend vor. Allerdings will man nicht zwingend jedes Mal umziehen, wenn man den Job wechselt und wenn man der neue gute Job dann eben nicht im gleichen Ort oder generell einfach nicht gut ohne Auto zu erreichen ist, dann braucht man eben doch ein Auto.
2. Früher war es auch üblich, dass in der Durchschnittsfamilie nur einer arbeitete und die Frau halt zu Hause blieb, spätestens, wenn die Kinder da waren.
Heute ist es (auch Gott sei Dank) nicht mehr so und man hat es viel mehr mit Doppelverdienerhaushalten zu tun. Jetzt ist es aber nicht selbstverständlich, dass beide in der gleichen Stadt arbeiten, also muss ein Kompromiss gefunden werden, der eben auch beinhalten kann, dass mindestens einer weitere Strecken zu seiner Arbeit zurücklegen muss.
Trotzdem bleibt es eine Prioritätsfrage. Die meisten von uns werden ja nicht verpflichtet, irgendwo zu wohnen oder zu arbeiten, sondern fällen diese Entscheidung im Rahmen der Optionen, die sich bieten selbst. Es ist ja auch gut, dass nicht alle in der Stadt wohnen wollen. Genau deswegen kritisiere ich auch nicht den einzelnen Fall, wo ein Auto aus welchen Gründen auch immer, nötig ist. Es reicht ja schon, wenn ich einen Job habe, bei dem ich viele Dinge transportieren muss oder zu eher ungewöhnlichen Zeiten und/oder zu schlecht angebundenen Orten irgendwo hinfahren muss. Was ich kritisiere ist die Selbstverständlichkeit, mit der oft davon ausgegangen wird, dass man mit dem Auto fährt ohne die Alternativen zu berücksichtigen. Das geht halt hin bis zu „In der U-Bahn sind immer so komische Leute“ und das ist dann ungefähr der Zeitpunkt, wo ich aufhöre, das ernst zu nehmen.
Stimme dem Kommentar von @martin III zu. Er verdeutlicht die Prioritäten
nach denen viele Menschen ihr Leben aus- und einrichten wollen.
Notwendig wäre eine Politik, die sich an diesen Bedürfnissen orientiert und mit dafür
sorgt, dass Menschen nicht mehr gezwungen sind einer ‚bezahlten Arbeit‘ nachzuziehen,
bzw. auf ein Auto angewiesen sind um an ihren Erwerbsarbeitsplatz zu gelangen.
Leider zeigt der folgende Beitrag, dass die vorherrschende Politik sich immer noch
von anderen Interessen leiten läßt: http://www.nachdenkseiten.de/?p=38837#h11
[…] Es gibt sicher gute Gründe in ganz vielen Fällen weiter auf das Auto zu setzen. Ich komme selbst vom Land (und sogar da gibt es mittlerweile alternative Ansätze), ein eigenes Auto war für mich bis vor ein paar Jahren, auch in einer Stadt mit sehr gut ausgebauter Alternativinfrastruktur, das Selbstverständlichste auf der Welt. So war halt die Sozialisation, so ist man aufgewachsen. Der eigene Fiat Uno war mit 18 auf dem Dorf natürlich auch eine Befreiung. In späteren Jahren in der Stadt wurde er (nagut, es war dann ein Skoda Octavia Kombi) dann aber langsam, schleichend genau das Gegenteil. Belastend und einschränkend. Jetzt habe ich seit fast vier Jahren kein eigenes Auto und kann es mir gar nicht mehr anders vorstellen. Genauso wie vielleicht die nachwachsende Generation. […]