Das Thema Manspreading ist grad mal wieder aktuell: Männer, die sich so breitbeinig hinsetzen, dass sie zwei Sitzplätze benötigen – oder Nebensitzer an die U-Bahn-Wand verweisen. Viele Frauen bringt das auf die Palme.
Dazu möchte ich einige praktische Hinweise geben:
Männer sind im Durchschnitt größere Menschen als Frauen. Größere Menschen haben längere Beine. Lange Beine sind hilfreich beim Laufen, Fahrradfahren oder Rudern. Sie sind nicht hilfreich beim Sitzen.
Auf normalen Stühlen liegen die Beine langer Menschen nur mit dem hinteren Teil – und damit zu höchstens einem Drittel – auf der Sitzfläche auf. Manchmal gar nicht, denn Langbeinige haben nicht nur lange Oberschenkel, sondern auch lange Unterschenkel, länger als das Stuhlbein. Die fehlende Auflage ist bei längerem Sitzen unangenehm. Deshalb verschränken langbeinige Menschen die Beine oft unter der Sitzfläche und legen dort einen Fuß auf die Ferse des anderen. Oder sie klemmen die Füße hinter die Stuhlbeine. Dadurch sitzen sie oberhalb der Sitzfläche automatisch breitbeinig.
Langbeinige machen das auch, weil es ihnen an alternativen Sitzhaltungen mangelt. Beine auszustrecken, geht oft nicht. Denn dann okkupiere ich den Tanzbereich des Gegenübers. Oder es gibt ein Hindernis, wie zum Beispiel bei Tischen, die in der Mitte einen Sockel haben. Apropos Tisch: Beine übereinander schlagen geht auch nicht. Wenn ich auf einem Stuhl mit Tisch sitze, ist die Tischplatte nicht hoch genug, damit die Beine darunter passen. Mein Unterschenkel plus der darübergeschlagene Oberschenkel des anderen Beins sind höher als die Tischkante. Deshalb kann ich am Tisch sitzend nicht die Beine übereinander schlagen. Das gilt auch für Vierertische in der Bahn.
Damit sind wir bei öffentlichen Verkehrsmitteln. Die DIN-Norm 33402 befasst sich mit den Körpermaßen des Menschen. Sie hat Einfluss auf Beinraum- und Fußraumtiefen, Abstützhöhen und Sichtgeomtrie. 90 Prozent der deutschen Frauen sind zwischen 1,53 und 1,72 Meter groß, 90 Prozent der deutschen Männer zwischen 1,65 und 1,85 Meter (Quelle). Ich bin eine der restlichen zehn Prozent, sogar eine der zehn Prozent bei den Männern.
Öffentliche Verkehrsmittel sind für den Durchschnitt gemacht, für den Durchschnitt aus dem durchschnittlichen Mann und der durchschnittlichen Frauen. Also für Menschen um die 1,70 Meter mit durchschnittlich langem Ober- und Unterkörper (Durchschnittsgröße deutscher Männer: 1,80 Meter).
Wenn ich ÖPNV fahre, mache ich Manspreading. Es geht nämlich nicht anders. In Sitzreihen kann ich entweder nur breitbeinig sitzen oder die Beine zusammennehmen und in den Gang richten. Denn es gibt einfach nicht genug Beinraum. Im Gang sind die Beine dann im Weg, die Leute treten dagegen (autsch!). Außerdem tut auf längeren Fahren der Rücken weh, denn ich verdrehe mich ja in der Hüfte. Also breitbeinig.
Im Vierersitz habe ich keinen Sitz vor mir, aber mir sitzen Leute gegenüber, die ebenfalls Beine haben. Damit beide ihre Beine unterkriegen, gibt es zwei Möglichkeiten:
- Einer schließt sie, der andere öffnet sie. Der, der sie geschlossen hat, steht in den Manspreading-Beinen des anderen – perfekt. Nur nicht für den Nebensitzer.
- Alternativ öffnen beide die Beine leicht und machen das Reißverschlussverfahren: Seins, meins, seins, meins. Das ist etwas schicklicher.
Das ist sogar vonnöten, wenn der Gegenüber kürzere Beine hat, also normal groß ist: Öffentliche Verkehrsmittel sind nämlich nicht einmal dafür gemacht, dass nur einer lange Beine hat. Ist ja auch logisch: Der durchschnittliche Beinraum im Vierersitz ist für zwei durchschnittliche große Menschen gemacht. Ist einer durchschnittlich groß, der andere aber größer, passt es schon nicht. Außerdem müssen Menschen auch aufstehen und sich hinsetzen, das heißt, es gibt einen Bewegungswinkel. Oft hat mindestens einer von beiden eine Tasche – oder einen Hund oder fährt seinen Tannenbaum spazieren, was auch immer. (Die Sache mit dem Gepäck ist für Verkehrsunternehmen, so scheint es mir, übrigens eine vollkommen irre, allenfalls theoretische, insgesamt ziemlich surreale Idee – aber das ist ein anderer Blogbeitrag.)
Was ich damit sagen möchte: Es ist nicht immer Manspreading. Manchmal ist es nur einfach schwierig, anders zu sitzen. Oder auf Dauer unbequem. Solange insgesamt genug Platz für alle da ist, verdrehe ich mir nicht aus vorauseilendem Gehorsam den Rücken. Sondern manspreade. Das heißt ja nicht, dass man sich nicht arrangiert, wenn jemand zusteigt.
Kommentare
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Ich zitiere zu diesem Themenkomplex reiche ich zwei Zitate aus dem Youtube-Universum ein.
1.: I refuse to believe „manspreading“ is a thing. Just fuck off, Tumblr. Go outside.
2.: https://youtu.be/_GGwfGSHJCY?t=4m9s
Davon abgesehen halte ich die Vierersitz-Camper für ein deutlich verbreiteteres Problem: Fensterplatz, Beine ausgestreckt (Platz gegenüber besetzt), Jacke auf dem Nebensitz, Rucksack auf dem Sitz schräg gegenüber.
Sah ich letztens sogar in dreifacher Ausführung nebeneinander, war aber schon zu sehr im Feierabend-Modus, um das fotografisch festzuhalten.
Hehe, schönes Video.
Ja, die Platzblockierer. Dass man auf dem Nebenplatz die Tasche abstellt, finde ich okay. Soll man sie die ganze Zeit auf dem Schoß halten? Zwischen die Beine klemmen? Je größer, desto döfer. Wenn jemand kommt, kann man das immer noch machen.
Vierersitz-Camper – großartiger Name. Kenne ich auch, die Raumeinnehmer.
Tasche und Rucksack abstellen ist vollkommen ok, so lange es keine gescheite Möglichkeit dafür gibt. Nicht ok ist es, mit seinem Geraffel mehr als einen Sitz zu belegen und diese auch nicht freizumachen, wenn’s für andere Fahrgäste knapp wird.
Viele Fahrgäste verfallen dann ja auch gerne ins aktive Ignorieren und inspizieren auf einmal sehr geschäftig ihr Smartphone, wenn neue Personen zusteigen.
Ich habe dauernd genickt, insbesondere bei Ihrer Beschreibung der Ausweichhaltungen (wobei ich erst dachte: „leerer Vierer ginge, dann muss man nicht komisch sitzen“). Sie vergassen glaube ich nur noch: Vorrutschen und die Knie unter den Rand der vorderen Reihe klemmen. Schoen zu sehen, dass es da alle gleich halten.
Wichtig in der ganzen Debatte ist dann aber vor allem der letzte Satz – nur weil man halt in der Planung nicht beruecksichtigt ist (oder halt doch meint Koerperteile lueften zu muessen) nimmt einen ja nicht davon aus, sich wie ein Mensch zu verhalten.
Genau – unter den Vordersitz schieben. Geht, solange der Vordermann die Beine nicht unter seinem Sitz zusammenklappt. Ist ein guter Trick im Flugzeug, wo ja alles ganz schlimm ist.
Nur zehn Prozent der Frauen sind größer als einhundertzweiundsiebzig Zentimeter? Ich bin Teil einer Minderheit! Wow! Danke, Frau Nessy – dieses Exklusivgefühl made my day.
Erstaunlicher finde ich, dass die Durchschnittsgröße des Mannes bei 1,80 Meter liegt. In meiner Wahrnehmung liegt sie eher bei 1,75 Meter. Vielleicht lebe ich aber auch nur im Bundesland der kleinen Männer.
Danke! Ich unterschreibe jeden Satz, insbesondere das „am-Tisch-mit-überschlagenen-Beinen-sitzen“, hätte es selbst aber nie so schön formulieren können.
Mit einer Körpergröße außerhalb der Norm hat man es sowieso schon schwer ( Klamotten!), wenn aber gefühlt 2/3 ds Körpers aus Beinen besteht, ist so manche Bahnfahrt eine echte Herausforderung. Über Flugzeuge reden wir erst gar nicht.
Fernverkehr in der Bahn geht gut. Die ICEs sind sehr geräumig. Alles andere ist schwierig.
Da frag ich mich nur, welche Begründung die zumeist kurzbeinigen und zumeist südeuropäischen Männer nutzen, die auch so körperkontaktbetont sitzen.
Abhängig vom Sitzmöbel ist es meist (nach meinem persönlichen Erfahrungshorizont) einfach bequemer als alle anderen Varianten. Und das ohne böse Absicht, meist sogar ohne einen Gedanken zu verwenden wie man sitzt.
Das schätze ich auch.
Hallo Frau Nessy,
“ Ich bin eine der restlichen zehn Prozent, sogar eine der zehn Prozent bei den Männern.“
NÖ, stimmt nicht. Sie sind sogar die 5% ! Wegen Statistik, Glockenkurve und Normverteilung. Die Anderen 5% sind kleiner…
Stimmt. Denkfehler meinerseits.
[…] Draußen nur Kännchen – Praktische Hinweise zum Thema Manspreading von einer gro&szl… […]
Hm. HmHm. Ich möchte zwei Dinge dagegen halten ( fahre jeden Tag 2 Stunden in der Berliner U-Bahn ):
Auf den in Berlin viel vorhandenen Längssitzreihen kann man Manspreading immer ausgeprägter beobachten. Für mich fallen hier anatomische Grunde wirklich weitgehend weg. Weiterhin mache ich es eher noch am allgemeinen Verhalten fest – wenn man sich als Sitznachbarin nähert: alle großen Frauen und einige freundliche Männer bringen durch ihre Körpersprache Bemühen zum Ausdruck: Die Beine kurz mal etwas mehr zusammen nehmen, entschuldigend lächeln, ein bisschen drauf achten dass man nicht ständig Knie -Kontakt hat. Alles gut an dieser Stelle. Auf die Palme bringen mich all die Macker ( und es sind leider viele), die mit prähistorischer Gemächtprojektion irgendwelche „Ich Tarzan – Du Jane“ Filme leben wollen.
die meinte ich auch.
Danke dafür. Mir hat neulich eine Frau ein Loch in den kindle gehauen mit ihrem Rucksackschloss. Nix gemerkt. Manspreading nix dagegen. Puh.
Ich bin aus Berlin und lebe da, und kann den Kommentar der Nihilistin nicht ganz nachvollziehen. Männer machen Platz, Frauen gucken gar nicht erst in ihrer Grandezza. Sorry.
@Christiane: Ich wollte jetzt auch nicht über die ganzen unerträglichen Frauen reden, die ihre diversen Taschen über mehrere Sitze verteilen. Die sind existent und unerfreulich. Aber ernsthaft: Wie viele Frauen treffen Sie täglich in der Bahn, die so breitbeinig dasitzen, daß Sie nicht daneben passen oder permanent unangenehmen Kniekontakt haben? Wir reden also nicht von dicken Frauen / Frauen mit Gepäck / Frauen die warum auch immer genau in der Mitte zwischen zwei Plätzen sitzen – sondern von Frauen mit weit gespreizten Beinen im Präsentationsmodus? Ehrlich – die treffe ich nun wiederum nie.
Ich finde, das sind zwei völlig unterschiedliche Themen, Äpfel vs. Birnen.
Manspreading = Platzhirschgebahren.
Nach meiner Erfahrung in öffentlichen Verklehrsmitteln zu 98,8% von Männern ausgeführt. Beine breit weil was-kostet-die-Welt. Selbstinszenierung. Ich bin so geil, da soll jede/r dran teilhaben. Ich will ein Arschloch sein, weil ich es kann. Mir schnuppe, dass andere auch erträglich sitzen wollen.
Viel Raum einnehmen, weil der Mensch an sich groß, dick, langbeinig oder sonstwie raumeinnehmend ist, ist etwas völlig anderes. Wer aus Physis-Gründen Platz braucht, macht sich dennoch so klein/schmal wie möglich, um niemanden einzuengen. Nach meiner Erfahrung.
Meanspreading ist ein egoistisch motiviertes Phänomen. Mehr Platz brauchen, als die genormten Sitze vorsehen, ist eine körperliche Realität.
[…] ➔ Praktische Hinweise zum Thema Manspreading von einer großen Frau […]