Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Jeden Tag ist er da und trinkt einen Automatenkaffee.

Erst flaniert er durch die Einkaufsstraße, sich zögerlich umsehend, bedächtig und mit den Händen hinter dem Rücken, als warte er auf den Bus und dürfe sich nicht zu weit von der Haltestelle entfernen. Gegen 14 Uhr kehrt er in die immer gleiche Bäckerei ein, in der er am immer gleichen Tisch mit seinen immer gleichen Kumpels sitzt: der Eine trägt eine Prinz-Heinrich-Mütze, der Andere einen grauen, über den Ohren hitleresk abrasierten Kurzhaarschnitt.

Er selbst trägt Toupet, das toupet-igste Toupet, das man sich ausdenken kann: Als schwarzes, borstiges Fell thront es auf seinem grauen Haarkranz, einem überfahrenen Eichhörnchen nicht unähnlich. Leise für mich selbst, wenn ich mir zur immer gleichen Zeit meinen Mittagspausenkaffee ziehe, nenne ich ihn „König Fiffi“, den Herrscher der Bäckerei, den Mann mit der Zweithaarkrone.

Die Drei aus der Bäckerei sind allesamt Rentner, müssen es sein. Seit längerem stelle ich mir vor, was König Fiffi einst tat, was er arbeitete, was er erlebt hat und was ihn dazu bewegt, dieses Toupet aller Toupets zu tragen. Vielleicht war er ein Model, ein Dressman, einer der heißesten Typen neben Cary Grant – bis ihn seine Haare verließen, wofür er sich fürchterlich schämte. Er kaufte sich ein Toupet, verlor aber trotzdem seinen Job und lebt nun fern der Glamourwelt in Dortmund, zwar mit Fiffi, um der alten Zeiten willen, aber dennoch – von kärglicher Altersrente.

Oder er war Friseurmeister, Meisterfriseur und Gründer des umsatzstärksten Zweithaarstudios im Ruhrgebiet: „Wolfgangs Echthaar  – natürlich und diskret“, vertrauliche Beratung in separaten Räumlichkeiten, einfühlsam und ohne Vertragsbindung, in harmonischem Ambiente in Waltrop-Brockenscheidt, typgerechtes Styling für den Herrn und die Dame. Wie Optiker stets Brillen tragen, setzte auch König Fiffi ein Toupet auf – und vergaß es bei seinem Renteneintritt 2007 schlichtweg abzunehmen, weshalb es immer noch auf seinem Kopf herumliegt, schwarz und dicht und drahtig.

Vielleicht ist aber auch alles ganz anders, und der König war in den 80ern Mitglied der „Hell’s Angels Saarland“, bis er sich mit den Jungs überwarf und bei den Bullen auspackte, was für ihn in einem Straßenkampf endete, den er nur schwer blutend überlebte. Er wurde erst in ein Krankenhaus gebracht, dann wurde er Kronzeuge, bekam eine neue Identität als Horst Schlüter aus Hagen-Boele und wohnt seither inkognito in Dortmund, mit Schutzprogramm und allem Schischi – aber immer noch volltätowiert einschließlich Kopfhaut. Deshalb spendiert ihm die Staatskasse alle fünf Jahre ein Toupet; doch die Steuermittel sind knapp, das Budget entsprechend klein, graues Haar ist zu teuer, und so ist es zuletzt das schwarze Fiffi aus Synthetik-Fasern geworden – für 39,90 Euro während der Wohlfühlwochen bei Aldi Nord. „Je auffälliger, desto unauffälliger!“, befindet die Behörde, aus der Not eine Tugend machend – und bislang lebt der König tatsächlich unbehelligt.

Ja, ich denke, eine der drei Geschichten wird es sein, so oder ähnlich.

Kommentare

13 Antworten: Bestellung aufgeben ⇓

  1. ich bin für die Zeugenschutzprogrammvariante.

    1. Frau Nessy sagt:

      Was Frau Nihilistin unter uns sagt, ist auch nicht schlecht.

  2. Nihilistin sagt:

    Ich fürchte es ist ganz unspektakulär. Er ist Horst aus Dortmund, hat 45 Jahre bei Krupp als Dreher in der Anlagenwerkstatt IIa gearbeitet. War 41 Jahre mit Waltraut verheiratet, die in der Kantine 3 als Köchin arbeitete. Kurz vor ihrem 42. Hochzeitstag beichtete sie ihm, daß sie sich in den neuen Beikoch Jürgen (10 Jahre jünger alss sie) verliebt habe und Horst verlassen wird. Horst versuchte noch 6 Monate, Waltraud zurück zu gewinnen. Kaufte ein neues Auto (einen gebrauchten aber tipptoppen Golf II Cabrio), ließ sich von dem jungen Verkäuferding bei C&A ein paar der schicken bedruckten Hemden raussuchen (solche, die der Dieter Bohlen im Fernsehen immer trägt) und kaufte sich bei einem Ausflug ins CentrO in dem kleinen Laden im -U2 eben besagtes Toupet. Es half aber alles nichts – seine Waltraud wollte mit dem jüngeren Jürgen glücklich werden. Und so beschloss er, allein zu bleiben (putzen tut 1mal die Woche seine Schwester, Essen kann er gut in besagter Bäckerei, am Wochenende macht er die Fertiggerichte vom NETTO in der Mikrowelle warm) und es gut mit seinen Kumpels zu haben.
    Prinz-Heinrich-Mützen findet er übrigens total albern, aber Kumpel Wolle lässt sich davon nicht abbringen.

    1. Nihilistin sagt:

      PS: Den Golf hat er wieder verkauft, die Hemden und das Toupet behalten. Falls Waltraud doch irgendwann die Nase voll hat von Jürgen.

    2. Frau Nessy sagt:

      Hach, auch eine schöne Idee. Schade ist: Frauen, die auf Glatze stehen, nehmen ihn erst gar nicht wahr.

  3. Sasan sagt:

    Vielleicht ist es aber auch sein toter Hund, den er vor der Einäscherung skalpierte, um ihn nach wie vor immer und überall bei sich zu haben?!

    1. Frau Nessy sagt:

      Oder ein Meerschwein.

  4. Liebe Nessy, vielen Dank für diesen herrlichen Blogpost. Ich habe mich gerade gebogen vor Lachen und freue mich darüber, dass mein Tag heute so beginnen durfte.
    Wenn man sich einmal drauf „spezialisiert“ hat, dann erkennt man viele Fiffis, stimmts? :)

    1. Frau Nessy sagt:

      Die meisten sind wirklich schlecht gemacht – und selbst wenn sie gut gemacht sind: Was bringt’s? Rasiert lieber alles ab, Männer. Oder nehmt es mit Humor. Das ist beides attraktiver. Echt jetzt.

  5. Bei Firma K im Café sitzt auch immer so ein älterer Herr mit Ersatzfrisur rum.
    Mal unter uns: ich weiß nicht, warum er die trägt. Jeder sieht, dass es nicht seine echten Haare sind.
    Vielleicht friert er am Kopp.

  6. Lobo sagt:

    Mein Onkel hat auch immer so ein Ding getragen, sah absolut lächerlich aus. Zumal ALLE anderen Männer in unserer Familie irgendwann mit Glatze oder Halbglatze rumgelaufen sind und er dadurch noch mehr auffiel.

    Für mich kam das nie in Frage, als bei mir die Haare fielen, kam die anderen ab, seitdem bin ich Glatzenträger und hab absolut kein Problem damit.

    Die Stories rund um König Fiffi finde ich absolut klase. :-)

    1. Frau Nessy sagt:

      Vielleicht sind Toupets das Pendant zu Frauen, die sich fürchterlich stark schminken und meinen, damit seien sie schöner.

  7. frau noergeli sagt:

    vielen Dank für diese geschichte, ich lache immer nöch tränen. auch die idee von nihilistin finde ich sehr unterhaltsam.

    und ja, fremdes haar für herren geht gar nicht !!

Die Kommentare sind geschlossen



In diesem Kaffeehaus werden anonym Daten verarbeitet. Indem Sie auf „Ja, ich bin einverstanden“ klicken, bestätigen Sie, dass Sie mit dem Datenschutz dieser Website glücklich sind. Dieser Hinweis kommt dann nicht mehr wieder. Datenschutzerklärung

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen