Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Angeregt durch Liisa:

Ich erinnere mich an den schweren, dreibeinigen Metallstuhl in der Küche. Ich erinnere mich an den Baum, unter dem der Wellensittich begraben ist. An das Knarzen der Stufen und das Klingeln des Telefons unten in der Küche. Ich erinnere mich an den Spurt nach unten, zwei Treppen hinab.

Ich erinnere mich an Malefiz-Spiele. An Halma- und an Mühle-Spiele.

Ich erinnere mich an Küsse und Lachen und zufälliges Kitzeln und noch mehr Lachen und noch mehr Küsse.

Ich erinnere mich an ihren Geruch, ein Duft aus Tosca und Oma und Zuhause, an ihr Lachen, an ihre Hände, ihre Haare, ihre Haut, an ihre Gesten, ihre Nudeln mit dem Muskat, wie sie Platt sprach, an ihre Küchenbank voll mit Plastiktüten und Gummibändern und Werkzeug. Ich erinnere mich, wie sie am Abend mit mir betete und wie sie manchmal schnarchte.

Ich erinnere mich an Tage im Sommer, an denen ich Buden baute im Garten, aus Stühlen und Decken, unter denen es heiß und dunkel war und in denen es nach Gras duftete.

Ich erinnere mich an Spritzgebäckteig durch den Fleischwolf.

Ich erinnere mich an den Tag, als ich sie das erste Mal in der Geschlossenen besuchte, die Kotze vor der Tür und ihr zittriges Streicheln auf der Haut, das ich seither nicht mehr ertrage, niemals mehr ertrage.

Ich erinnere mich an die Nacht im Bus, als er den Arm um mich legte und seine Wange an meine schmiegte. Ich erinnere, wie es kratzte und wärmte. Der erste Kuss.

Ich erinnere mich an Wassereis und süße Tüte, an Kaugummis aus dem Automaten, an Brausestangen und die Drogerie gegenüber der Schule, vollgestopft bis unters Dach, und immer roch es nach Waschmittel und 4711.

Ich erinnere mich an den Weg zur Schule, die Strecke durch den Wald, die ich auch im Dunkeln finde, mit Blick in den Mondhimmel, wo die Lücke oben in den Bäumen den Füßen unten den Weg weist.

Ich erinnere mich an jeden Toten, den ich sah, und noch mehr an jeden Toten, den ich zum Abschied streichelte.

Ich erinnnere mich an den Spurt über die Kirchenwiese, die wir nicht betreten durften, die uns allerdings gute 500 Meter Weg sparte, mit den Rufen des Pastors im Nacken. Ich erinnere mich, wie ebendieser Pastor an einem Dienstagnachmittag den Katejumenenunterricht verließ und nicht wiederkam, weil wir alle kein einziges Wort auswendig gelernt hatten.

Ich erinnere mich, wie er durchs Gate ging, mit Rucksack und Uniform, und ich nicht wusste, ob er wiederkommen würde, wie er wiederkommen würde und ob er dann noch ganz sein würde, an Körper und Seele.

Ich erinnere mich an den Tag, als die Polizei mir, nachdem sie auf mein Geheiß die Tür aufgebrochen hatte, sagte, es sei doch alles in Ordnung, nicht in bester, aber doch in Ordnung, denn sie lebe ja immerhin und sei sicher nur betrunken. Aber sie war eben nicht betrunken, und das ist das eigentlich Schlimme.

Ich erinnere mich an Vieles nicht, an Vieles aus Zeiten, die mich tief verletzt haben, und ich glaube, das ist der Grund, warum ich heute so fröhlich bin – und warum ich mich entschieden habe, immer guter Dinge zu sein.

Ich erinnere mich an das warme Gefühl des Daheimseins bei ihm und an das Gefühl, nah an seinem Körper zu liegen. Ich erinnere mich, wie wir uns das erste Mal gegenüber lagen, Gesicht an Gesicht, der Atem zitterte, dann das erste Vortasten der Lippen, das Gefühl von Neugier und Selbstverständlichkeit.

Ich erinnere mich an Wind auf der Haut und Sand auf den Wangen und eine sehr große Zufriedenheit.

Ich erinnere mich an das Auto, das neben mir hielt, an den Mann, der das Fenster hinunterkurbelte und mich nach dem Weg zum Puff fragte, eine Gefriertüte mit Ejakulat  um den erigierten Penis.

Ich erinnere mich an Moskau in den 90ern, an den Geruch des Sozialismus, an den ersten Liebesbrief, den ich dort bekam, von Pavel.

Ich erinnere mich an Abende im Kinderzimmer, unten auf der Terrasse der Besuch, seine Gespräche, sein Lachen, und oben das gute Gefühl, nicht allein zu sein.

Ich erinnere mich an den Baum, der Äste hatte wie Treppen, auf den ich hinaufklettern konnte bis fast in die Krone. Ich erinnere mich, wie wir dorthin liefen, den kleinen Bach entlang, das Feld mit den Kletten meidend, und Staudämme bauten.

Ich erinnere mich an Wanderungen, viele und tolle, an die Anstrengung hinauf und die Freude am ersten Ausblick. An den Wind in der Höhe, an das Gefühl der Sonne auf der Haut. An den Geschmack des Wassers, des Brotes und der Bananen auf dem Gipfel und an den wohligen Schmerz der Muskeln.

Ich erinnere mich an Menschen, fast nur an Menschen. Ich erinnere mich an Gefühle, an Gerüche, an Berührungen, wenig an Ereignisse. Und ich erinnere mich an noch sehr viel mehr. Das erzähle ich Ihnen dann mal in der Kneipe.

Gestern war der 5. des Monats. Der Tag für:

Was machst du eigentlich den ganzen Tag? (#WMDEDGT)

Eine Initiative zur Förderung des Tagebuchbloggens – Idee von Frau Brüllen. Sie sehen heute: einen Seminar-Tag.

06:50 Uhr

Wecker. Snooze.

07:00 Uhr

Wecker. Aufstehen.

Heute ist Seminartag: Ich bin am Institut für Journalistik der TU Dortmund. Es ist die Woche vor dem offiziellen Semesterbeginn. Ich gestalte einen Tag für die Lehrredaktion Print/Magazin. Es geht um kreatives und gutes Schreiben.

08:15 Uhr

Das Seminar beginnt um 10 Uhr. Vor Veranstaltungen bin ich immer eine Stunde früher vor Ort, um den Raum vorzubereiten, nochmal meine Materialien zu sichten, die Teilnehmer*innen willkommen zu heißen und einen Kaffee zu trinken.

Ich breche also daheim auf. Die Stadt Dortmund hat sich vor einigen Wochen überlegt, zwei Einfallstraßen aus dem Süden komplett zu sperren . Als ob das in einer 600.000-Einwohner-Stadt nicht bereits ausreichte, um Ungemach zu verursachen, sind zusätzlich zwei Auffahrten auf die Ausweichstrecke gesperrt (Wer denkt sich sowas aus?!). Es herrscht ein sensationelles Chaos. Ich benötige eine Stunde für die knapp zwölf Kilometer lange Strecke.

10:00 Uhr

Seminarbeginn. Wir starten mit kleinen Aufwärmübungen: „Dein Morgen ohne Verben“. Danach geht es weiter mit klassischen Darstellungsformen und ihrer Verwendung im Magazin. Wir machen eine Übung für alternative, freie Darstellungsformen.

13:00 Uhr

Mittagspause. Zum Nachtisch kaufe ich eine Waffel. An der TU gab es bis vor kurzem die besten Waffeln Dortmunds. Dagegen konnte jeder Bäcker einpacken: hell, weich, ein schlichter, aber guter Teig, nicht zu süß. Regelmäßig eine glatte 10 auf der Internationalen Waffelskala™.

Der Waffelverantwortliche der Mensa hat jedoch das Waffelkonzept geändert: Es gibt nun Waffeln aus einem Poffertje-artigen Eisen. Keine Veränderung zum Guten: nur noch lieb gemeinte 8 Punkte.

14 Uhr

Es geht weiter im Seminar – mit Perspektivwechseln. Danach zeige ich eine Methode, wie man Themen konkretisiert. Außerdem beschreiben wir Menschen, ohne Adjektive zu benutzen. Denn: Adjektive sind die Pest. Sie sind wertend, nehmen dem Leser seine Autonomie und bevormunden ihn.

17 Uhr

Ende des Seminars. Ich halte noch ein Schwätzchen erst mit Studenten, dann mit meiner Auftraggeberin. Dann fahre ich heim.

18 Uhr

Stau auf dem Heimweg – wer hätt’s gedacht. Dieses Bundesland ist eine Katastrophe. Schon am Tag zuvor war ich Teil von 400 Kilometern Stau. Beziehungsweise: Ich war der Teil, der nicht mal in den 400 Kilometern enthalten war, denn mein Stau war zur Autobahn hin und von der Autobahn weg  – gezählt wird ja nur auf der Autobahn. Ich gebe nochmal 15 Kilometer kostenlos dazu.

Ich würde so gerne sagen: „Man müsste mal …!“, doch ich weiß selbst keine Lösung für die unsägliche Verkehrssituation in Nordrhein-Westfalen. Nur eins ist klar: Da muss richtig viel Geld reingepumpt werden. In Schienen, in Straßen, in Radwege. Dazu der Mut und der Wille, intensiv alternative Konzepte zu erproben, denn allein über Schiene und Straße wird das nicht funktionieren.

Es ist absurd, dass ich für die Strecke vom Vortag regulär 35 Minuten mit dem Auto benötige – real aber 80. Mit dem ÖPNV würde ich allerdings 2:20 Stunden brauchen – mit dreimal Umsteigen. Wenn alles klappt. Das ist alles ein Witz.

Wie dem auch sei. Ich nutzte die Heimfahrt, um mit einer Kundin noch Details für einen Auftrag am kommenden Dienstag durchzusprechen.

20 Uhr

Training mit den Kalendergirls. Ich bin derzeit Halbinvalide wegen einer Lappalie, die ziemlich weh tut und leider auch keine Lappalie bleibt, wenn man sie nicht auskuriert. Deshalb turne ich am Rand mit Thera-Bändern. Mit Thera-Bändern kann man durchaus ernsthaft arbeiten, und wenn man das tut, hat man am nächsten Tag deutlichen Muskelkater. So wie ich heute.

22:30 Uhr

Daheim. Ich schaue in der ARD-Mediathek noch zwei Dokus. Über Kommissare, die alte Fälle wieder aus dem Archiv geholt und gelöst haben, und über Handwerker, die keine Ausbzubildenden finden. Ich finde die Links jetzt nicht.

00:00 Uhr

Bett.

Sportsgeist, Grandezza, Raffinesse – es gibt Neuigkeiten von den Kalendergirls. Die zauberhafteste Handballmannschaft Dortmunds ist in ihre dritte Saison gestartet.

In der Vorbereitung sind wir neue Wege gegangen und haben komplett auf Waldläufe verzichtet. Stattdessen haben wir in jedem Training gegen 20 Jahre jüngere, pfeilschnelle A-Jugendliche gespielt. Das Ergebnis: völlige Entkräftung Rasanz und Spielwitz.

Doch nicht nur auf dem Platz haben wir gearbeitet. Wie es sich für eine aufstrebende Mannschaft gehört, lief hinter den Kulissen eine ausgeklügelte Marketing- und Organisationsmaschinerie.

Um die wachsende Nachfrage unserer Fans zu bedienen, hat der Verein eine Dauerkarte eingeführt. Zum Vorzugspreis von 15 Euro (ermäßigt 10 Euro) können Sie ab sofort alle Heimspiele der Kalendergirls auf einem Premiumplatz* genießen.

Dauerkarte für die Saison 2017/2018

660 Minuten Eleganz, Dynamik und technische Finessen zum Gegenwert von drei Starbucks-Kaffees! Für zwei zusätzliche Euro pro Spiel können Sie überdies unser Fan-Menü erwerben: ein Radler plus zwei Mettbrötchenhälften, serviert auf einer Genießerpappschale.

Als Dreingabe haben Sie kostenlos Eintritt zu den Spielen unserer 1. Herren. Unsere Herrenmannschaft spielt ebenfalls sehr schön, wenngleich weniger anmutig. Im Gegenzug sind die Herren deutlich jünger, und es gibt ein paar mehr Singles. Bislang konnten wir schon mehr als 50 Dauerkarten verschenken verkaufen. Greifen Sie zu, solange das Angebot heiß ist.

Unser geschätzter Trainer hat außerdem daran gearbeitet, unsere internen Prozesse zu optimieren. Wir nutzen nun eine Mannschaftsapp. Sie heißt „Spielerplus“, und wir wickeln über sie das gesamte Mannschaftsgeschäft ab: Spiel- und Trainingsteilnahme, Mannschaftskasse, Urlaube und Verletzungsmeldungen.

Der Trainer hat die App so eingestellt – warum bloß? -, dass sie uns an unsere Pflichten erinnert.

In ca. 6 Stunden findet dein Spiel statt

So können wir nun rechtzeitig vor dem Spiel mit der mentalen Vorbereitung beginnen. Schließlich sind in unserem Alter körperlichen Zustand Leistungsbereich Wille und Einstellung das A und O.

Die App gibt auch Auskunft über unsere aktuelle Aufstellung.

Aufstellung veröffentlicht: Die Aufstellung für das Spiel am 28.09. gegen Aplerbecker Mark wurde freigegeben

Bislang hat jedoch noch kein Pressevertreter Interesse angemeldet. Wir arbeiten an unseren Kontakten zur überregionalen Sportberichterstattung.

Nach vier Spieltagen mit drei Spielen und einer Spielverlegung stehen wir zurzeit übrigens auf Platz Zwei der Kreisliga-Tabelle.

*von zwei Kalendergirls eigens herbeigetragene Turnbank

In der vergangenen Woche reiste ich nach Dangast.

Dangast: Künstlerpfad am Strand, Panoramabild

Ich fuhr dorthin, um das Barcamp Dangast zu besuchen. Und um aufs Meer zu schauen.

Man munkelt über die Nordsee, dass sie oft nicht dort sei, wo sie sein sollte, besonders dann, wenn man sie braucht. Das kann ich so nicht bestätigen: Sie war stets zur Mittagszeit anwesend, wenngleich nur kurz.

Zum Ausgleich und für ein nichtsdestotrotz umfassendes Nordseegefühl sandte der Meeresgott große Mengen Regen und Wind. Das Wasser malte Rinnen und Furchen in den Sand, und als ich sicher war, dass aller Sand in den Jadebusen und von dort nach England und weiter nach Grönland und von dort nach Kanada fließen werde, hörte es auf zu regnen und die Sonne schien.

Dangast: Strand nach Regen

Am Donnerstag mietete ich mir ein Fahrrad und fuhr erst in die eine, dann in die andere Richtung, immer am Deich entlang. Am Deich entlangfahren ist wie schwimmen – zu Beginn sehr langweilig: Ich fuhr und fuhr, es ging geradeaus, Seeschwalben stürzten durch die Luft, der Deich war links, die Kühe waren rechts, es kam eine Biegung, und nach der Biegung ging es weiter geradeaus. Den Kühen folgte Mais, und dem Mais folgte Wiese. Der Deich blieb immer Deich, mal mit Schafen, mal ohne. Ich trat und trat, es nieselte weich in mein Gesicht, ich dachte nicht mehr ans Ziel, denn das Ziel war ohnehin willkürlich, und nach einer Zeit war es einfach nur schön. So wie beim Schwimmen, wenn man irgendwann vergisst, die Bahnen zu zählen.

Als ich keine Lust mehr hatte, den Deich links zu haben, drehte ich das Fahrrad um und fuhr wieder zurück. Das Seltsame war, dass ich, auch wenn der Deich nun rechts war, wieder Gegenwind hatte. „Mikroklima“, sagten mir die Einheimischen später. „Kannste nix machen.“

Ich fuhr zurück nach Dangast und noch ein Stück weiter, legte mich auf einen Steg in die Salzwiesen, drehte das Fahrrad wieder um, fuhr zurück und setzte mich an den Strand, trank Milchkaffee und Cola, und plötzlich war die Sonne wieder da.

Dangast: Am Stand mit Milchkaffee und Cola

Am Freitag begann das Barcamp.

Auf einem Barcamp treffen sich Menschen. Was sie dort machen, stimmen sie ab: Jeder kann ein Thema mitbringen, und wenn genug Leute sagen, dass sie das Thema interessant finden, sprechen sie eine Stunde lang darüber. Manchmal zeigt jemand etwas, manchmal stellt er eine Frage, und es gibt auch Leute, die nur zuhören.

Dangast, Barcamp: Sessions Tag 2

Erstaunlicherweise ist immer ausreichend Interessantes dabei. Erstaunlicherweise sind die Menschen, die auf Barcamps gehen, sehr freundlich. Und erstaunlicherweise lerne ich immer etwas – meist über Dinge, von denen ich vorab noch nie etwas gehört habe. So war es auch diesmal.

Falls Ihnen diese Argumente nicht ausreichen, um das Barcamp in Dangast im kommenden Jahr zu besuchen: Die Aussicht aufs Meer war verdammt nicht übel.

Dangast, Barcamp: Ausblick

Das auf dem Foto, genau auf zwölf Uhr, sind Frank und Djure. Sie haben das Barcamp moderiert.

Während meiner Zeit in Dangast wohnte ich übrigens in einer heimeligen Pension: ein altes Herrenhaus mit Kieseinfahrt und Bauerngarten, die Fassade mit Efeu berankt, das Haus von Bäumen umsäumt. Die Dielen knarzten. Die Decken waren hoch und die Türen schwer.

Die Freundlichkeit der Pensionswirtin zum Maßstab genommen, wird sie irgendwann in einer fernen Nacht, wenn das Meer gegen den Deich schwappt und sie ihre Gäste wieder einmal besonders hasst, während der Mond durch die Sprossenfenster scheint und der Wind die Bäume biegt, mit einer Axt durchs Haus gehen und jeden ihrer Besucher in einer einzigen, fließenden Bewegung im Schlaf enthaupten. Vielleicht.

Etwas anderes: Sonnenuntergang.

Dangast Strand: Panorama bei Sonnenuntergang

Wenn ich am Meer bin, denke ich jedesmal: Am Meer wohnen, das wäre schön. Vielleicht mache ich das eines Tages, an einem Ort, an dem es nicht nur Meer, sondern auch Berge gibt. Denn in den Bergen wohnen, das wäre auch schön.

Bis dahin fahre ich öfter mal hin, in die Berge und ans Meer.

Sie setzen sich an den Nebentisch: Er, sie und ein Junge.

Er, ein Mann so mittelalt, wie es sonst nur Gouda ist, Haarkranz, Herrensandale und kariertes Hemd. Die Haare rasiert er sonst kürzer, das sieht man. Doch im Urlaub sind sie gewachsen, einige Millimeter nur, und schon sieht er plötzlich seinem Vater ähnlich. Sie hat lange, dicke Haare mit mehr Grau als Schwarz, Fleecepullover, Trekkinghose. Eine Frau mit der Aura von Sandelholz. Neben ihr sitzt der Junge: kein Kind mehr und auch noch kein Erwachsener, schlaksig, seine Augen blicken ins Leere. Es strengt ihn an, keine Sandburgen mehr zu bauen; er hält aus, den ganzen Urlaub schon.

Sie blättern in der Karte, und der Mann sagt: „Nehmen wir Bruschedda vorweg?“ Er sagt Bruschedda, mit Sch wie Schürfwunde und zwei D.
Sie sagt: „Sicher“, und fragt den Jungen: „Und du? Wieder Prosciutto?“
„Jo“, antwortet der Junge und rutscht mit dem Hintern näher an die Kante des Stuhls. Er liegt nun halb und fläzt sich unter den Tisch.
Der Mann fragt: „Nehmen wir Bruschedda vorweg?“
„Hab ich doch gesagt“, sagt sie und blättert weiter in der Karte.
„Was hast du gesagt?“
„Dass wir Bruschetta nehmen.“
„Also ja.“
„Hab ich doch gesagt.“
Schweigen.
„Du musst dann aber auch was mitessen“, sagt er, und zu dem Jungen: „Im Restaurant sitzt man ordentlich.“ Pause. „Willst du auch Bruschedda?“
„Was isn das?“, fragt der Junge.
„Brot mit was drauf.“
„Nee.“
„Also nicht.“
„Nee.“
„Aber nicht, dass du hinterher doch was willst.“
„Will ich nicht.“
„Nu setz dich mal richtig hin“, sagt sie und knufft dem Jungen den Ellbogen in die Rippen.

Der Junge stützt sich mit beiden Händen auf die Stuhlfläche und schiebt sich hoch. Er legt einen Arm auf den Tisch und tippt mit dem Zeigefinger auf die Zinken seiner Gabel. Der Griff wippt auf und ab.
„Dich kann man auch nirgendwo mit hinnehmen“, sagt der Mann.

Die Kellnerin kommt. Er sagt: „Für mich einmal die 36. Dann noch die 12 und was nimmst du, Schatz?“
„17.“
„Und einmal die 17. Und vorweg zweimal Bruschedda.“
Die Kellnerin sammelt die Karten ein und geht.

Sie fragt: „Wieso jetzt zweimal Bruschetta?“
„Er isst auch was mit“, sagt der Mann.
„Ich hab gesagt, ich will kein Brot“, sagt der Junge.
„Am Ende nimmst du doch was.“
„Nehme ich nicht.“
„Ist ja egal jetzt.“

Sie schweigen. Draußen biegt der Wind die Bäume.

„Morgen müssen wir dann mal sehen“, sagt er. „Wie das Wetter wird.“
„Sehen wir dann ja“, sagt sie.
„Ob wir dann nochmal an den Strand gehen oder doch was anderes machen.“
Der Junge wippt mit der Gabel. Der Mann langt über den Tisch, greift die Gabel und legt sie neben seine eigene. „Damit ist jetzt Schluss“, sagt er.
„Lass ihn doch“, sagt die Frau.

Der Mann lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor dem Körper. Der Junge fläzt sich wieder unter den Tisch und verschränkt ebenfalls die Arme. Der Wind heult. Die Frau faltet Knicke in ihre Serviette.
Nach einer Weile sagt der Mann: „Ich rauch‘ noch eine, bevor das Essen kommt.“ Er steht auf und geht den Gang hinunter. Die schwere Tür schlägt hinter ihm ins Schloss.

„Er nervt“, sagt der Junge.
Sie schweigt und faltet.

Gestern war der 5. des Monats. Der Tag für:

Was machst du eigentlich den ganzen Tag? (#WMDEDGT)

Eine Initiative zur Förderung des Tagebuchbloggens – Idee von Frau Brüllen. Sie sehen heute: einen Homeoffice-Tag im Leben einer Selbstständigen.

08:00 Uhr

Der Wecker klingelt. Weil ich gestern entweder kränklich oder einfach nur unendlich müde war, habe ich mir eine Stunden mehr Schlaf gegönnt. Hoch lebe das selbstbestimmte Arbeiten!

Das Ergebnis ist sensationell: Nach mehr als neun Stunden Schlaf fühle ich mich gesund und frisch. Es lohnt sich doch immer wieder, auf seinen Körper zu hören.

Ich stehe auf, frühstücke gemütlich in der Küche, schaue dabei eine Doku über ein Riesenkreuzfahrtschiff, lese meine Mails, stelle einen gesponserten Beitrag im Gärtnerinnenblog online und führe Korrespondenz mit Kunden.

9:30 Uhr

Am 18. und 19. September bin ich als Referentin im Journalistenzentrum Haus Busch in Hagen. Ich mache den Ablaufplan für das Seminar und sende ihn an den Auftraggeber.

10:30 Uhr

Gestern fragte Frau Rabe auf Twitter:

https://twitter.com/Rabensalat/status/904621478641102849

Ich schreibe und male einen Brief ans Rabenkind.

11:00 Uhr

Ich hole mein Fahrrad aus dem Keller, um zur Postfiliale in den Stadtteil zu fahren. Dort liegt ein Paket für mich, und der Brief möchte ja auch auf die Reise. Vorher muss ich die Reifen aufpumpen. Ich bin eine große Niete im Reifenaufpumpen. Immer geht erst alle Luft raus, bevor irgendwas reingeht.

11:15 Uhr

Ich radel um den See ins kleine Stadtteilzentrum und hole mein Paket ab. Ich schicke meinen Brief ans Rabenkind ab (85 Cent für 28 Gramm nach Norwegen), und bummel etwas durch die Läden.

12:30 Uhr

Mittagessen. Ich brate mir Nudeln vom Vortag auf und schaue beim Essen eine Doku über Familienhelfer.

13:30 Uhr

Ich bereite meine Inhalte und Folien für das Seminar im Haus Busch vor. Es geht um die Planung von Inhalten über verschiedene Medienkanäle. Es haben sich Teilnehmer*innen aus der Unternehmenskommunikation und aus Zeitungsverlagen angemeldet. Ich muss also auf beide Gruppen eingehen.

Ich werde Methoden zur Entwicklung guter Inhalte zeigen, zur integrierten Kommunikation und zum Projektmanagement, außerdem Best-Practice-Beispiele. Zudem werden die Teilnehmer*innen an beiden Nachmittagen die Gelegenheit haben, die Methoden zu üben – an Projekten und Themen aus dem eigenen Hause. Ich finde es immer wichtig, dass die Teilnehmer*innen aus einem Seminar etwas mitnehmen, das sie direkt anwenden oder mit dem sie sofort weiterarbeiten können.

16:30 Uhr

Gartenpause. Ich mähe den Rasen und schneide allerlei Zeugs zurück, das schon verblüht ist. Außerdem harke ich Beete auf und ernte eine Riesenzucchini.

Riesenzucchini vor Beet

Riesenzucchini vor gemähtem Rasen vor geharktem und fast abgeernteten Beet

 

17:30 Uhr

Call for papers der WoMenPower in der Hannover Messe im April 2018. Ich fülle das Formular aus und gebe zwei Sessionvorschläge ab:

  • Von Egoshootern zu Teamplayern – Methoden für starke, diverse Teams
  • Sich selbst entlasten durch zielgerichtete Führung

18:30 Uhr

A’mdessn: Sushi aus dem Supermarkt und Wassermelone mit Feta. Dabei schaue ich eine Doku über Menschen, die nach Ghana ausgewandert sind.

19:30 Uhr

Für einen weiteren Call for papers gestalte ich zwei Seminarankündigungen und schicke sie an den Ansprechpartner. Unter anderem biete ich mich als Referentin an, um Unternehmen für Fach- und Nachwuchskräfte attraktiv zu machen und diese im Betrieb zu halten.

21.00 Uhr

Wäsche bügeln. Feierabend.

Meine Pläne für den September:

  • Einen 50. Geburtstag feiern, mit Partyhütte
  • Zum Barcamp nach Dangast fahren
  • Aufs Meer gucken
  • Die Handballsaison einläuten
  • Kunden glücklich machen
  • Darmstadt und Heidelberg besuchen
  • Eine „Wer-bin-ich?“-Balkonparty feiern
  • Den Garten herbstfit machen
  • Einen 51. Geburtstag feiern, ohne Partyhütte
  • Die Grillsaucen verbrauchen
  • Mehr schlafen
  • Gesund bleiben

Was schön war am Sommer:

  • Viel gearbeitet. Gut gearbeitet.
  • Homeoffice im Garten
  • Freunde. Sind immer schön. Diesen Sommer besonders.
  • Zucchinipuffer
  • Leute mit Zucchinipuffern glücklich gemacht
  • Selbst angebaute blaue Kartoffeln geerntet
  • Leute mit blauen Kartoffeln glücklich gemacht
  • Die Anmut der Kalendergirls
  • Heidelberg mit Inge
  • Stammtisch mit der Torfrau, dem Björn und den Leuten aus’m Dorf
  • Mal wieder gelesen
  • Terrassenbesuche bei abendlichem Schummerlicht (bei mir)
  • Terrassenbesuche bei abendlichem Schummerlicht (bei anderen)
  • Limetten-Pfefferminz-Limonade
  • Gesund geblieben

In drei Monaten um die Welt:

Weleda schickt einen Blogger oder eine Bloggerin auf die Reise.

Von farbenprächtigen Granatapfelhainen in Italien bis hin zu malerischen Gärten in 1.200 Meter Seehöhe in Argentinien wirst du auf der Weleda Weltreise viele schöne und beeindruckende Orte kennenlernen. […]

Führe interessante Interviews, fotografiere Plantagen und lasse dich vom Lavendelduft betören. Werde Teil von Weleda, erstelle faszinierende Storys und teile dein Abenteuer.

Ich habe mich beworben – und brauche Eure Unterstützung. Denn bei der Auswahl der Landesfinalisten zählen die online gesammelten Stimmen. Mit ihnen komme ich in die Endausscheidung der letzten Sechs.

Screenshot von meiner Kandidatenseite

Screenshot von meiner Kandidatenseite bei „Weleda Global Garden“

 

Gewinne ich und reise als deutsche Vertreterin um die Welt, schreibe und publiziere ich für Weleda – und nehme Euch mit auf die Reise! Im Weleda-Blog, hier, auf Instagram, bei den Gärtnerinnen, auf Twitter und auf Facebook.

Jetzt für tolle Kännchengeschichten abstimmen!

*

Around the world in three months! The company Weleda pays a blogger to travel around the world to visit the Weleda Global Gardens. Groves of pomegranates in Italy and picturesque gardens in 1.200 metres above sea level in Argentina: I’ll have the opportunity to stroll through fascinating gardens around the world.

But first I need your support: Vote for me to become one of the best six candidates in Germany!

If I win and if I travel around the world as the German represantative, I’ll write and publish for Weleda (in English) and take you with me on a wonderful journey! Of course I’ll also publish here in my blog, on Instagram, on my garden blog, on Twitter and Facebook.

Your vote for Vanessa’s stories

Gestern war der 5. des Monats. Der Tag für:

Was machst du eigentlich den ganzen Tag? (#WMDEDGT)

Eine Initiative zur Förderung des Tagebuchbloggens – Idee von Frau Brüllen.

8:15 Uhr

Ich erwache von prasselndem Regen. Ich versuche, wieder einzuschlafen, denn heute ist Ausschlaftag: Ich habe nichts vor und könnte theoretisch bis abends um 18 Uhr im Bett liegen bleiben. Doch mein Körper möchte nicht mehr schlafen. Ich lausche noch eine Stunde dem Regen. Dann stehe ich auf.

9:15 Uhr

Frühstück mit frischem Milchkaffee und Brötchen. Anschließend packe ich Audios von den Texten online, die ich am Vortag bei der Lesung gelesen habe. Zusätzlich spreche ich noch den Käse-Text ein.

10:30 Uhr

Zucchiniverwertungsprojekt. Die Zucchinis in meinem Garten haben mal wieder ein Eigenleben angenommen und zur Welteroberung angesetzt. Zucchini Eins ist Arnold-Schwarzenegger-unteramdick und genauso lang. Zucchini Zwei etwa die Hälfte.

Ich backe Zucchinimuffins (weniger Zucker, keine Nüsse, dafür Schokostreusel):

Zucchinimuffins

Dann mache ich Zucchinisalat.

Zucchinisalat

Danach mache ich Zucchinipuffer.

Zucchinipuffer

Von den Muffins und den Puffern friere ich das meiste ein – Vorratshaltung für schlechte Zeiten. Eine Portion ist für meine Tante und meinen Onkel: Sie essen die Puffer gerne, es ist meiner Tante aber mittlerweile zu aufwändig, sie selbst zu machen. Bei meinem nächsten Besuch bei ihnen werde ich sie mitnehmen.

15:30 Uhr

Ich stecke eine Maschine Wäsche ein, grille mir ein Steak, esse dazu Zucchinisalat und gucke Shopping Queen mit unsympathischen Kandidatinnen. Der Staubsaugerroboter saugt das Chaos in der Küche weg.

17:30 Uhr

Nickerchen.

18:30 Uhr

Duschen. Wäsche aufhängen.

19:30 Uhr

Einweihungsparty. Bei jemandem, den ich erst kurz kenne. Deshalb freue ich mich sehr, dass ich kommen darf. Ich lerne neue Leute kennen – und Leute, die ich erst kurz kenne, besser kennen. Sehr schön.

Auch schön: Wir gucken Fußball. Dortmund, Spieltag – da wird Fußball geguckt, egal was es sonst noch zu feiern gibt. Die Jungs spielen gut, verlieren aber. Macht nix. Wir sind guter Dinge.

01:30 Uhr

Huch, schon halb Zwei. Heimreise.

02:00 Uhr

Licht aus. Gute Nacht!

Gestern habe ich auf Einladung des Ladies‘ Circle 63 gelesen: aus meinem Buch und dem Kännchenblog.

Aussicht vom Lesetisch aus ins Café

Das Ganze fand in Dortmund  im schönen Café Oma Rosa statt. Der Erlös ging an Kinderlachen e.V.: Wir haben insgesamt 300 Euro erlöst. Danke an alle, die dabei dazu beigetragen haben!

Für diejenigen, die nicht dabei sein konnten, hier die meine Bloglesetexte als Audio. Das sind Probendateien: Wenn ich übe, nehme ich mich dabei auf.

Senminuten

Spät am Abend in der kleinen Pizzabude im Vorort.

Krieger, grüß‘ mir die Sonne!

Wie ich Yoga machte.

Auf der Suche nach der Hefe

Backhefe – das unverstandenste Produkt im Supermarkt.

Der mit dem Käse spazierte

Eine Begegung am Fluss.

Diesen Text habe ich nicht gelesen. Nach der Lesung kam Initiatorin Melli zu mir kam und sagte: „Warum hast Du den Käse nicht gelesen? Ich hätte so sehr den Käse gehört!“ Hier deshalb nun nachträglich: Käse.



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