Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Nachtrag zum Wochenende: Sex.

Oder besser: Sexualisierung. Genauer: Mädchenmannschaften, die ihren Teams Namen geben wie „Erotic Club“ oder „Venusmuscheln“. Die sich knappe rosa Höschen anziehen und ihren Po mit „Leck mich!“ beflocken lassen. Die, wenn sie nicht selbst spielen, bei den Männern am Spielfeldrand stehen, sich mit Alkohol zuprosten und im Chor „Wir wollen Schwänze sehen!“ zurufen.

Was ist da passiert, Mädels? Habe ich etwas verpasst? Während die Männer sich in den vergangenen vier Jahrzehnten daran gewöhnt haben, anhaltend undersexed zu sein, und während sie sich bemühen, trotz dieses Ungemachs nicht zu anzüglich zu werden, sind jetzt offensichtlich die Frauen an der Reihe, derb zu sein.

Ist „öbszön“ das neue „unabhängig“?

Heute nur Stichworte, der Umstände wegen:

Beachhandball Strandansicht

Sport mit Ball. Sonne, Regen, viel Wind. Muscheln unter den Füßen, Sand zwischen den Zähnen, Musik in den Ohren.

Beachhandball - Ritual vor dem Spiel

Teamgeist, La-Ola-Wellen, Beschwörungsformeln. Maracujaschnaps, Grillwurst, Prinzenrolle. Volltätowierte Sissis und Muskelkater in den Füßen.

Füße im Sand

Spielpausen, zuschauen, dasitzen. Das Meer einatmen, im Watt wandern. Das Wasser suchen, Krebse finden, Sonnenbrand kriegen. Nachts in den Schlafsack kriechen. Einrollen, einschlafen, glücklich sein.

Wer viel Bahn fährt, kann viel lesen.

Bücher Juni 2011: Maxim Leo, Dave Nichols, Amos Oz, Malte Welding

Maxim Leo. Haltet Euer Herz bereit.
Der Autor erzählt die Geschichte seiner Familie. Er portraitiert drei Generationen von DDR-Bürgern: die kriegserfahrenen Großeltern und Gründer der DDR, ihre Kinder und ihre Kindeskinder. Auf Ebene der Großeltern ist das Buch sehr ausführlich und hat Längen, danach wird es (zu) knapp. Trotzdem gut. Ein persönlicher Blick auf einen Staat und eine Erklärung für manche deutsch-deutschen Fragen der heutigen Zeit.

David Nicholls. Zwei an einem Tag.
Emma und Dexter. Zwei Menschen, die sich mögen, die sich vielleicht lieben. Ein Blick in ihr Leben, immer am 15. Juli, zwanzig Jahre lang, von ihrem College-Abschluss 1998 bis ins Jahr 2008. Die Geschichte ist ein wenig eindimensional und die Sprache einfallslos. Es fehlt der letzte, überzeugende Kniff, der aus der Geschichte mehr macht als ein rührseliges Frauenbuch. Aber dennoch: Ich habe es gerne gelesen. Eine solide Sache.

Amos Oz. Eine Geschichte von Liebe und Finsternis.
Ein Buch, das ich schon lange einmal lesen wollte – und eins, das ich nach 100 Seiten wieder weggelegt habe. Es mag sein, dass es ein „großer erzählerischer Entwurf“ oder ein „einmaliges Dokument der Geburtsstunden des Staates Israel“ (kuksdu) ist. Ich fand es fade, langatmig und ziellos.

Malte Welding.
Frauen und Männer passen nicht zusammen – auch nicht in der Mitte.
Ein Sammelsurium von Wissen, Halbwissen, Nichtwissen und strammen Behauptungen über Sex, Liebe und das ganze Zeug. Plattitüden und Banalitäten ohne roten Faden, dafür aber mit einem wahren oder erfundenen „Bekannten“ für jedes Klischee. Belanglos.

Dass ich erwachsen bin, habe ich gestern daran gemerkt, dass …

  • ich vor dem Ausgehen nicht mehr Stunden vor dem Kleiderschrank verbringe, sondern einfach anziehe, worin ich mich wohlfühle. Ein guter Abend hängt schließlich nicht vom Outfit ab.
  • ich in der Kneipe von einer Altherrenmannschaft angemacht werde und denke: „Da sind aber ein paar knackige Typen bei!“
  • Mitglieder einer Altherrenmannschaft mich überhaupt für eine lohnenswerte Begleitung halten.
  • ich nach der Kneipe in den Club wechsle und keine Angst mehr vor den Türstehern habe.
  • ich im Club den Garderobenservice nutze, anstatt einen Euro zu sparen und die Jacke auf einen Heizkörper zu knüllen.
  • ich nicht mehr in Kleingruppen tanze.
  • es mir scheißegal ist, wie ich dabei aussehe.
  • ich mich darüber freue, dass a) Security da ist, b) die Getränke in kleinen Flasche ausgegeben werden (K.O.-Tropfen!), c) die Typen, die auf dem Klo Drogen rauchen, sofort rausfliegen, d) überhaupt nur draußen geraucht werden darf.
  • ich denke: „Gute Mukke hier“, und erst später das Plakat sehe: „11. Juni: 90er Revival Party“.
  • ich im Laufe der Nacht 20 Euro mit Cola und Wasser versaufe, weil die Alten Herren in der Kneipe schon so viele Cocktails ausgegeben haben und ich keinen Schädel kriegen will.
  • ich nach dem Nachhausekommen nachts um 4 dusche und danach sogar den Spritzschutz abflitsche, weil ich denke: „Morgen früh ärgere ich mich sonst über die Kalkflecken.“

Die Saisonvorbereitung hat begonnen.

In den kommenden Wochen werde ich Sie deshalb mit Mitleid heischenden Beiträgen zu körperlichen Ertüchtigungsritualen belästigen. Bitte erinnern Sie sich dazu an das lang gezogene „Ooooh“ , das wir vor einigen Wochen in Zusammenhang mit Fischstäbchen eingeübt haben.

„Das wird die härteste Vorbereitung, die ihr je erlebt habt.“ Und: „Zu jeder Einheit: drei Liter Wasser, zwei Handtücher, ein Wechsel-T-Shirt.“ So hat der Trainer das Boot Camp angekündigt. Trotz Vorbereitungsvorbereitung litt ich beim gestrigen Auftakt erwartungsgemäß schwer. Bei gefühlten 40 Grad in der wollmausdurchfusselten, den Schweiß von pubertierenden Realschülern atmenden Vorstadtsporthalle wurde mir zwischen zwei Sprinteinheiten sogar kurzzeitig schwarz vor Augen.*

An den Torpfosten gelehnt, erinnerte ich mich in diesem Moment an die Worte meiner Mutter. Mit warmherzigem Blick und einer auf meinem Unterarm abgelegten, weichen Mutterhand meinte sie vor einigen Wochen: „Möchtest du in deinem Alter nicht besser eine andere Sportart ausüben? Etwas Sanfteres als Handball? Gymnastik zum Beispiel. Oder rhythmischen Tanz.“ Und, nach einer kurzen Pause: „Hast du eigentlich noch diese Turnschläppchen, die wir dir damals gekauft haben?“

Noch eine Saison, Mutti. Dann können wir über alles reden.
Niemals aber über Turnschläppchen.

S-Bahn von Dortmund nach Duisburg.

Der Zug steht im Bahnhof Dortmund und wartet auf Abfahrt. Ein dürrer Schluffi hängt im Vierersitz und daddelt auf seinem Handy. Ein Typ, eine Art jugendlicher Mr. T, betritt den Waggon und baut sich breitbeinig vor Schluffi auf.

Mr. T: Bist du das, der mich eben auf dem Bahnsteig angemacht hat?
Schluffi: [schaut auf] Äh … nee.
Mr. T: Dann zeig mir den Typen, der genauso aussieht wie du und mich grad auf dem Bahnsteig angemacht hat.
Schluffi:  [unbeeindruckt]
Mr. T: Willst du dich schlagen, he? Los, steh auf! Wir schlagen uns!
Schluffi: Ich hab’s nicht so gemeint.
Mr. T: Nicht so gemeint, Alta? Du machst mich voll an und dann hast du‘ s nicht so gemeint, oder was? Komm, wir gehen raus und hauen uns auf die Fresse.

Die Türen fiepen. Mr. T sprintet raus auf den Bahnsteig. Mit erhobener Faust ruft er durch die sich schließende Tür:

Mr. T: Feige Sau! Verpiss dich ruhig in deinem feigen Zug! Das nächste Mal hau ich dir auf die Fresse! Ich schwör‘!

Nachwuchs!

Thorsten Anfang Juni 2011

Kaum hatte Thorsten seinen ersten Sex, geht er schwanger mit einer Tomate. Spätestens jetzt ist bewiesen: Er ist keine Sonnenblume.

Alldieweil wird weiter gefummelt. Wenn aus jeder Blüte eine Frucht wächst, bringen Thorsten und ich es tatsächlich zum Salat.

//*rollt Transparent aus
//*“Go, Thorsten, go!“
//*schwenkt Fähnchen

P.S.: Er riecht jetzt auch wie eine Tomate.

Vier Bücher, vier Empfehlungen:

Bücher: Benioff, Franzen, Morgan, Rosenfeld

David Benioff. Stadt der Diebe.
Die Strolche Lew und Kolja sollen im ausgehungerten Leningrad des Jahres 1942 zwölf Eier auftreiben: Die Tochter eines Obersts möchte auf ihrer Hochzeit einen Kuchen haben. Als Gegenleistung werden sie nicht erschossen. Ein Road Movie durch die belagerte Stadt beginnt. Brutalität, Gewalt, Witz und Irrsinn begleiten die Geschichte. Abstoßend und fesselnd zugleich.

Jonathan Franzen. Freiheit.
Patty und Walter Berglund, ihre Kinder Joey und Jessica. Eine typische Familiengeschichte nach Franzen, in der wenig passiert, den Figuren hingegen viel Raum gegeben wird. Ich bin zwiegespalten: Die Handlung zieht sich wie Kaugummi, aber die Charakterstudien sind wirklich gut. Geschmacksache.

Morgan Callan Rogers. Rubinrotes Herz, eisblaue See.
Florine ist 11, als ihre Mutter verschwindet. Der Verlust klafft in ihr wie eine offene Wunde. Doch mit der Zeit nehmen das Leben und die Pubertät ihren Lauf. Kein besonderes Buch: Die Sprache ist einfach, die Handlung auch. Trotzdem hat es mich gepackt.

Astrid Rosenfeld. Adams Erbe.
Ed Cohen lebt in Berlin und hat ein Modelabel. Sein Großonkel Adam Cohen lebte 1938 ebenfalls in Berlin – bis er den Spuren einer verschollenen jüdischen Freundin folgt und verschwindet. Ed liest seine Geschichte und führt sie zu Ende. Eine traurige Erzählung, die mich allerdings fröhlich zurückgelassen hat. Ein prima Buch.

Es ist kurz vor 23 Uhr, und es läuft grad schlecht.

Der Zug hat 45 Minuten Verspätung. Eine erkleckliche Zeit, wenn man bedenkt, dass er im Stundentakt fährt. Ich stehe am Gleis, blicke auf die Anzeigetafel, blicke über den Bahnsteig und atme laut aus. Der Wind zerwuschelt mein Haar und weht eine leere Papiertüte über den fahlen Beton. In Sichtweite grölt eine Gruppe jugendlicher Checker, Basecap, Baggy Pants, Bierbüchse.

45 Minuten später abfahren bedeutet 45 Minuten später ankommen, bedeutet die letzte U-Bahn verpassen, bedeutet den Nachtbus nehmen müssen, der wiederum erst 45 Minuten nach Ankunft abfährt. Das ist nicht schön.

Auf dem gegenüberliegenden Gleis fährt eine S-Bahn ein. Keine, die ich wirklich gebrauchen könnte, aber eine, die in der nächstgrößeren Stadt endet. Eine Stadt mit ICE-Anschluss und einem schöneren Bahnhof; einem, in dem auch mein Zug halten wird – wenn er in 45 Minuten kommt; einem, auf dem um 23 Uhr mehr Menschen unterwegs sind als hier. Vielleicht, wenn ich abgezogen und vertrimmt werde, gucken wenigstens ein paar Leute zu. Ich steige ein.

Hauptbahnhof. Ich steige aus. Nicht schöner hier, aber heller. Noch 35 Minuten, und mein verspäteter Zug kommt vorbei. Auf dem gegenüberliegenden Gleis hält ein ICE. Auch er hat 15 Minuten Verspätung. Heute ist alles zu spät. Der ICE fährt in meine Richtung. Wenn ich einsteige, könnte ich die U-Bahn noch kriegen, mit Glück.

„Was kostet es, wenn ich drei Stationen mitfahre?“ frage ich die Schaffnerin, die müden Auges aus der Tür steigt.
„Hat der Regionalzug Verspätung?“ fragt sie.
„Ja“, sage ich.
„Dann nichts“, sagt sie, „steigen Sie ein.“
„Danke“, sage ich.
„Muss auch mal sein“, sagt sie.

Ich steige ein und lümmel mich in einen der blauen Sitze. Ich mag ICE-Sitze. Sie sind so weich, haben Kopfkissen und Ohrenstützen. Es braucht nicht viel, um mich glücklich zu machen.

Als ich aussteige, steigt auch die Schaffnerin aus, ein Köfferchen am Arm. Fast nebeneinander gehen wir die Treppe in die Bahnhofshalle hinunter.

„Gute Nacht“, sage ich, „und schönen Feierabend.“
„Gute Nacht“, sagt sie, „kommen Sie gut nach Hause.“
„Sie auch“, sage ich, „und: dankeschön.“

Sie lächelt, und ich biege zur letzten U-Bahn ab, die mich treulich nach Hause bringt. Während ich im Bett liege, denke ich: Manchmal ist es besser, einfach loszufahren und nicht so lange auf den richtigen Zug zu warten.

Dann schlafe ich ein.



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