Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

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Intensive Tage

1. 09. 2024  •  11 Kommentare

Verrückte Angelegenheit | In dieser Woche habe ich etwas Fantastisches erlebt: Ich bin Bahn gefahren, und alles war so, als wäre unsere Infrastruktur nicht marode. Ich stieg in den Zug, er war pünktlich und klimatisiert. Ich bekam alle Anschlüsse; die Fahrt war ausgesprochen komfortabel. Dank der Riedbahn-Sperrung kam ich sogar schneller von Haltern nach Karlsruhe als jemals zuvor: Es gibt nun eine Direktverbindung von Köln nach Wiesbaden, die über Mannheim nach Karlsruhe weiterfährt. Ich war kurz eingenickt, nur einen Wimpernschlag lang, und ganz irritiert, dass ich mich plötzlich in einer anderen Stadt, ja, in einer komplett anderen Gegend befand. Man muss nichts tun, nur gut gekühlt dasitzen.

Die Rückfahrt war dann noch irrsinniger: Ich war 45 Minuten schneller zu Hause als geplant. Denn ich plane immer mit mindestens zwanzig Minuten Umstiegszeit. Das war in diesem Fall aber gar nicht notwendig. In Köln erreichte ich mit nur zwei Minuten Umstiegszeit einen IC, in dem man mir auch noch eine kalte Cola brachte, in Recklinghausen kam direkt der Regionalzug, und ich war eine Dreiviertelstunde früher zu Hause.

Die letzten Meter vom Dorfbahnhof nach Hause:

Feld im Abendlicht, im Vordergrund ein Baum

Wetter zum Ersten | Immer, wennn ich in Karlsruhe bin, ist es abartig heiß. Egal, ob ich im April, im Mai, im August oder im Oktober dort bin: Es liegt eine drückende Hitze über der Stadt, die Beine werden schwer, das Gehirn weich, und ich möchte eigentlich nur ins Sonnenbad eintauchen, mit einem Calippo in der Hand. Die Karlsruher kennen sich offensichtlich gut mit diesem Zustand aus: Die Straßenbahn war klimatisiert, das Hotelzimmer auch, die Räumlichkeiten beim Kunden ebenfalls. Ich litt also wenig.

Diese Wettersache begegnet mir auch in anderen Städten, allerdings in der entgegengesetzten Richtung: Immer, wenn ich nach Berlin fahre, regnet es bei vier Grad und steifem Ostwind – kleine, harte Tropfen prallen wie Pfeile in mein Gesicht, und ihc fühle mich ungemütlich, während die Großstadt um meinen Kopf braust.

(Meiden Sie Berlin Mitte September, Anfang Oktober und Mitte November. Dann bin ich dort.)

Einer Freundin von mir geht es ähnlich, nur anders. Sie nannte sich kürzlich Die reisende Wünschelrute: Überall, wo sie hinkommt, findet sie Wasser, das Wasser findet sie, und es regnet leidenschaftlich.


Nina Chuba |  Gemeinsam mit KindZwei und KindDrei besuchte ich ein Nina-Chuba-Konzert. Die Hälfte der Besucherinnen war irgendwas zwischen sieben und sechszehn Jahren alt und trug die gleiche Frisur wie Frau Chuba.

Nina Chuba und Band auf der Bühne

Es gab Nebel und Bässe, Rap und Schwermut, Konfetti-Kanonen und ein bisschen Feuer.Nach eineinhalb Stunden und einer Zugabe war familienfreundlich Schluss. Das Konzert findet sich hundertfach auf Handys wieder. Manch Besucherin hat es mehr durch den Bildschirm betrachtet, als dass sie live dabei war.

Viele hoch gehaltene Handys vor einer Bühne

Eine solide Leistung. Positiv fiel mir auf, dass in der Band vier Frauen sind: Trompete, Posaune, Saxophon und Gitarre.

Auf dem Rückweg zum Auto gerieten wir in einen wilden Sommerregen. Erst blitzte es nur, dann tröpfelte es, dann schüttete es aus Kübeln. Das Feld, auf dem wir parkten, auf dem alle parkten, wurde zum Tough-Mudder-Contest. Völlig durchnässt, ich zusätzlich vermatscht, weil ich ausgeglitten war, erreichten wir den Wagen. Rundum ein Erlebnis.


Wetter zum Zweiten | Von mir aus ist jetzt auch gut mit Hitze. Vierundzwanzig Grad sind ganz wunderbar, bei vierundzwanzig Grad ist man nicht vollkommen aufgelöst und kann gleichzeitig im Freibad schwimmen. Dreißig Grad hingegen sind unerhört, vor allem wenn man arbeiten muss. Das Hirn quillt auf, die Füße auch.

Die Erholung in der Nacht ist mäßig: Ich werfe meine Decke von mir, im nächsten Moment sirren Mücken um meinen Körper, ich ziehe die Decke wieder über den Kopf. Es ist ein Elend. Zwar bin ich nicht so übellaunig wie Frau Novemberregen, aber ich muss zugeben: Die Lunte ist kürzer als sonst.


Ratternd auf dem Rad | Ich fuhr noch eimal Fahrrad. Diesmal keine hundertzehn Kilometer, sondern nur achtzig. Allerdings achtzig Kilometer, die anstrengender waren als hundertzehn. Ich brauchte mehrere Tage, um mich davon zu erholen. Ich fuhr von Haltern nach Dortmund und wieder zurück, zum Sommerfest meines Dortmunder Service Clubs. Sowohl auf der Hinfahrt als auch auf der Rückfahrt hatte ich Gegenwind – eigentlich eine physikalische Unmöglichkeit, aber ich schwöre, dass es so war.

Nach Dortmund ging es zudem latent bergauf, und je näher ich dem Ruhrgebiet kam, desto schlechter wurden die Straßen. Der Asphalt war aufgerissen, die Schlaglöcher tief, Flicken waren erneut geflickt, und die geflickten Flicken auch noch einmal. Das Rad ratterte und rumpelte, gemeisam wurden wir durchgeschüttelt wie ein Cocktail. Am nächsten Tag hatte ich Muskelkater in Schulter und Armen.

Auf den letzten zwanzig Kilometern, am Wesel-Datteln-Kanal entlang, dann nochmal ein unerhörter Gegenwind. Ich wäre am liebsten umgekippt und im Gras liegen geblieben. Zum Glück fand ich noch einen Schokokeks in meiner Tasche.


Gelesen | Ann Marie MacDonald: Wohin die Krähen fliegen, aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Ein großartiger Roman, reich und dicht, mit einer Auflösung, die erst nach mehr als 1.000 Seiten kommt. Die Geschichte spielt in den sechziger Jahren, der Zeit der Kuba-Krise, des Wettrüstens und des Wegs zum Mond. Im Mittelpunkt steht die junge Madeleine, die gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder auf verschiedenen Militärstützpunkten aufwächst. Die Geschichte entwickelt sich langsam und wird immer intensiver, fast unerträglich. Mit kleinen Ereignissen, mit Andeutungen steigt die Spannung, bis nach 500 Seiten eine Klassenkameradin Madeleines stirbt, fast als Nebenereignis. Das Ereignis verschiebt die Wirklichkeit, verstärkt Geheimnisse und schafft moralische Dilematta. Der Roman ist auch in der ARD-Hörspieldatenbank.


Stammtisch | Freunde-Stammtisch, diesmal im eigenen Hause. Der Kochlöffel geht reihum, diesmal waren wir dran, drei Gänge herzustellen, acht Erwachsene und fünf Kinder zu bewirten. Der Garten trug reichlich bei: Tomaten, Zucchini und Kräuter.

Wir pflegen diesen Stammtisch seit unendlicher Zeit, seit mindestens fünfzehn Jahren. Jedesmal, wenn ich dran bin mit Kochen, stehe ich vorab zwischen Zutaten und Schüsseln und denke: Das werden wir unmöglich alles essen können. Aber die Runde zeigt sich jedesmal leistungsstabil.

Motto des jüngsten Abend war: Wir beginnen mit Vorspeisen, und es kommt immer mehr dazu.

Gartentisch mit Brot, Bruschetta, Teigtaschen, Tomate mit Mozzarella, Dips und Soßen.

Und dann war da noch | Heimatfest in der Stadt: Jahrmarkt mit Karussels, Verkaufsständen, Essen, Trinken und Musik – eine Gaudi.

Ich ging an einen Stand neben dem Kettenkarussel. Dort konnte man sich Schultern und Nacken massieren lassen. Aus allen vier Himmelrichtungen dröhnte unterschiedliche Musik und vermischte sich zu einem Geräuschbrei, während mich eine Frau mit ihrem Ellenbogen durchbohrte. Es war herrlich.

Raupe (Fahrgeschäft)

Die Kinder fuhren Fahrgeschäfte und gaben ihr Geld für sinnloses Zeug aus. Es ist das Wesen von Taschengeld, dass Kinder es für Dinge ausgeben, die Erwachsene unsinnig und übertreuert finden; das muss man aushalten. Manchmal fällt es aber wirklich schwer.


Was kommt | Wie ich das alles aufschreibe, stelle ich fest: ganz schön viel Programm für eine Woche. Ich fühle mich auch deutlich ermattet.

Das berufliche Leben geht allerdings rasant weiter. Bis Endes des Jahres werde ich nicht nur dreimal in Berlin sein, sondern auch noch einmal in Karlsruhe, außerdem in Chennitz, zweimal in der Region Stuttgart und mehrmals in nordrhein-westfälischen Städten. Es werden intensive und arbeitsreiche fünf Monate.


Schweine | Blumenwiesenfreuden.

Meerschwein sitzt inmittene iner Blumenwiese und beißt in ein Blatt

Wie ich einmal 110 Kilometer Fahrrad fuhr und andere Ereignisse

23. 08. 2024  •  4 Kommentare

Sonne | Die Sonnenblume im Garten eskaliert nun vollends.


Broterwerb | Fordernde Tage, starke Verdichtung, viel Zeitkonfetti. Die Kunden sind nach der Sommerruhe alle wieder am Start, und es drängt auch sofort. Ein Wochentag im Homeoffice – so eng und kraftzehrend wie der folgende Absatz:

6:10 Uhr – Der Reiseleiter ist auf Geschäftsreise, deshalb bin ich heute für den Morgenablauf zuständig; ich stehe auf, Körperpflege | 6:40 Uhr – Ich animiere KindEins aufzustehen, bereite Frühstück zu, bestücke die Brotdose, zwischendurch föhne ich meine Haare und füttere die Schweine, spreche Dinge ab – KindEins kommt heute Nachmittag nicht nach Hause, sondern geht auf einen Geburtstag | 7:10 Uhr – Ich fahre KindEins zum Schulbus in die Stadt | 7:30 Uhr – Rückkehr, Frühstück, Zeitung lesen | 8:00 Uhr – Arbeitsbeginn mit KundeEins, ein IT-Unternehmen: Ich bin im Lead eines zeitkritischen Themas, es gibt viele kleinteilige Aufgaben und Beteiligte mit unterschiedlichen Interessen; Sichtung der E-Mails und Aufgaben für den Tag, Pflege des Arbeitsboards, Chatkonversation mit zwei Menschen; parallel E-Mail-Konversation mit KundeZwei, ein Medienunternehmen, ich bin im Lead einer Teamentwicklung, es gibt ein paar kurzfristige Koordinationsfragen: Wer, was, wann | 9:00 Uhr – KundeEins, Meeting mit einer Nachwuchskraft, die das Team neu unterstützt; die internen Kolleg:innen sind unter Last, ich mache die Einarbeitung; Ergebniskontrolle der gestrigen Aufgaben, ich coache die Kollegin und befähige sie für ihre zukünftigen Aufgaben, wir klären praktische Fragestellungen, ich erkläre allgemeine Gepflogenheiten aus dem Geschäftsleben und delegiere neue Aufgaben | 10 Uhr – KundeDrei, Wissenschaftsbetrieb: Briefing für einen Workshop im Oktober; ich lasse mir gemeinsam mit meiner Co-Trainern Katja ausführlich Beobachtungen aus dem Tagesgeschäft erläutern, wir arbeiten Themen heraus, klären Ziele und Erwartungen, um die eineinhalb Tage möglichst gut zu nutzen; währenddessen klingelt mein Sparringspartner von KundeEins wiederholt durch | 11:10 Uhr – Ich rufe KundeEins zurück; wir klären Fragen, zu denen ihm Menschen auf den Füßen stehen | 11:20 Uhr – Gedankliche Rückkehr zu KundeDrei: Ich rufe Katja an. Wir besprechen, was wir gehört haben, und prüfen, ob wir beide dasselbe verstanden haben, brainstormen schonmal grob unsere Workshop-Agenda, sammeln methodische Ideen, teilen uns Aufgaben auf | 11:45 Uhr – Telefonat mit KundeEins: Die junge Kollegin hat praktische Fragen, ich gebe Tipps | 12 Uhr – Mittagspause: Ich koche mir Nudeln, pflücke Tomaten im Garten und mache mir Tomatensoße, nehme Wäsche ab und hänge neue auf. Während ich esse, ruft KundeEins an, weil er noch rasch Infos braucht; ich kann sie beantworten, ohne an den Rechner zu gehen | 13 Uhr – Vorbereitung auf einen Termin mit KundeZwei | 13:30 Uhr – Termin mit KundeZwei: Ich lasse mir einen Prozess erklären und die Probleme darin, stelle Fragen; bereite direkt alles auf einem digitalen Whiteboard für einen Workshop vor. Mit mehreren Leuten wollen wir schauen, wie wir das Team für diese Aufgabe besser rüsten können. | 14:15 Uhr – Ich räume die Spülmaschine aus und beseitige das Koch-Chaos in der Küche | 14:40 Uhr – Vorbereitungen für einen Termin mit KundeEins | 15 Uhr – Termin bei KundeEins: Ich habe einen Punkt in einem Jour fix von Führungskräften, trage mein Thema vor und nehme eine Frage zur Klärung mit | 15:30 Uhr – E-Mail an KundeZwei mit Koordinationsfragen | 15:40 Uhr: Vorbereitung auf ein Coaching mit einer Privatperson, KundeVier am heutigen Tag | 16 Uhr – Coaching von KundeVier zu beruflichen und persönlichen Fragestellungen | 17:30 Uhr – Nochmal zurück zu KundeEins: Ich schaue ein letztes Mal für heute in die Mails und lege neue Informationen im Arbeitsboard ab; Chatkonversationen und kurze Absprachen | 17:45 Uhr: Terminabsprachen mit KundeFünf, eine Privatperson, für ein Coaching | 18 Uhr – Ich räume mein Mailpostfach auf, buche meine heutigen Zeiten auf die Kundenprojekte, drucke Material für den morgigen Tag bei KundeEins aus und halte Aufgaben fest, die ich morgen erledigen möchte | 18:30 Uhr – Ich fahre den Rechner runter und packe meine Tasche für den morgigen Tag bei KundeEins | 18:40 Uhr – Abendessen und Durchatmen | 20:15 Uhr – Jemand muss noch die Schweine saubermachen; da sonst niemand da ist und ich länger nicht dran war, mache ich das; anschließend Schweinefütterung und Einschluss. | 20:45 Uhr – Ich durchsuche ein Onlinekaufhaus nach magnetischer Whiteboeardfolie für den Kühlschrank und beschreibbaren Magnetstreifen; es gibt hier im Haushalt Strukturierungs- und Orientierungsbedarf | 21 Uhr – Feierabend

Ein langer Tag, aber auch einer, an dem ich viel erreicht habe, viel geklärt habe, Dinge vorangekommen sind. Es ist bei Weitem nicht jeder Tag so intensiv, das ginge auch gar nicht. Aber es gibt sie, diese Tage, und danach bin ich immer auf besondere Weise erschöpft.

Während ich das aufschreibe, kommen mir ein paar Gedanken:

  • Diese Dichte geht nur, weil ich bei KundeEins und KundeZwei gut eingearbeitet bin, Strukturen und Personen kenne, tolle interne Sparringspartner habe und wir uns hundertprozentig aufeinander verlassen. KundeDrei kenne ich auch, und mit Co-Trainerin Katja arbeite ich das fünfte oder sechste Mal zusammen; wir sind gut eingegroovt. Es ist echt super, tolle Kundinnen, Kunden und Partnerinnen zu haben.
  • Irre, wie sich das Arbeiten seit meinem Berufseinstieg verändert hat. E-Mail gab es damals gerade erst in Ansätzen; niemand benutzte sie. Man hatte Fax und Festnetz, und wenn jemand nicht da war, war er nicht da. Man schrieb Briefe mit der gelben Post und wartete auf Antwort. Alles war viel, viel langsamer, einschließlich der eigenen Gedanken.
  • Irre, welch eine Intensität nochmal durch die Corona-Zeit reingekommen ist, durch digitale Tools und Homeoffice. Einerseits ist es entgrenzend, andererseits schafft es Effizienz – und nochmal eine Steigerung der Wertschöpfung. Ich kann von zu Hause aus arbeiten, ohne in Staus oder vollen Bahnen zu stehen, und bin meinen Kunden trotzdem nah.
  • Die Belastbarkeit ist endlich.

100 | A propos Belastbarkeit. Weil die vergangenen Radtouren so fluffig liefen, sagte ich zum Reiseleiter, dass ich mal 100 Kilometer Fahrrad fahren wolle. Osnabrück, schlug ich vor, sei doch ein schönes Ziel. Der Reiseleiter nahm die Anforderung auf, plante eine Route, und wir fuhren los.

Die ersten fünfzig Kilometer waren recht geschmeidig, wenn man davon absieht, dass es die Nacht zuvor geregnet hatte. Mein Fahrrad und meine Beine sahen schon bald aus wie nach einem Tough Mudder Contest.

Auf den ersten Kilometern hatten wir direkt eine Bäckerei angefahren, denn es war klar: Anfangs werden die selbst geschmierten Schnittchen reichen. Doch irgendwann würde es Fett und Kohlenhydrate in leicht erschließbarer Form brauchen.

Die ersten Kekse aßen wir sofort.

Wir sahen Felder und Höfe, Kühe, Schafe und Mais, Fachwerkhäuser und Vorgärten, den Dortmund-Ems-Kanal, Münster, Westbevern, Ostbevern, Vadrup und Kattenvenne. Bei Kilometer 55 hielten wir an einem Biergarten an. Geschlossen. Bei Kilometer 75 hielten wir an einem weiteren Biergarten an. Geschlossen. An einem Sonntag. Im August. Bei Sonne! Wie war das möglich? Mentale Tiefschläge.

Nach 80 Kilometern stoppten wir an einer Bank, um Fettgebäck zu essen. „Weißt du, was das Gute ist?“, meinte der Reiseleiter, während er kaute, „ich bin nicht schuld. Du wolltest hundert Kilometer fahren. Du wolltest nach Osnabrück. Und jetzt stehen wir hier vorm Teutoburger Wald und müssen die Berge hoch.“

Die Angelegenheit war tatsächlich misslich, ebenso wie die Tatsache, dass ich ihm nichts in die Schuhe schieben konnte. Ich überlegte fieberhaft, welche haltlosen Vorwürfe ich dennoch anbringen sollte, biss dann aber nur in meinen Berliner und brummte.

Ein Berliner in Papier wird vor ein Fahrrad gehalten. Im Hintergrund Wiese.

Dann kamen die Hügel des Teutoburger Waldes. Mit 85 Kilometern in den Beinen und auf dem drittletzten Ritzel (immer zwei übrig lassen!) zuckelte ich den Berg hoch – bis ich die letzten 200 Meter schließlich schob. Danach: Schussfahrt! Und nicht nur das. Es tauchte, erst verschwommen, dann immer klarer, an einer Straßenecke eine Bäckerei auf. Eine Bäckerei mit Kühlschrank. Einem Kühlschrank voller Kaltgetränke! In Hagen im Teutoburger Wald, nach 91 Kilometern, bekamen wir endlich eine eiskalte Apfelschorle. Sie schmeckte wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.

Leichten Trittes glitten wir daraufhin nach Osnabrück, wo wir Freunde trafen und Pizza aßen.

104 Kilometer. Ich kann mir das nochmal vorstellen.


Bahnabenteuer | Der Rückweg, das möchte ich noch anschließen, war wieder ein großes Bahnabenteuer. Als wir unsere Räder in den Osnabrücker Hauptbahnhof schoben, leuchtete die Anzeigetafel wie ein Weihnachtsbaum: 50 Minuten Verspätung, 60 Minuten Verspätung, 320 (!) Minuten Verspätung, Zug fällt aus. Letzteres betraf den RE2, der uns nach Hause bringen sollte. Wir warteten eineinviertel Stunde auf den nächsten Zug und hörten einen Blumenstrauß von Durchsagen: fehlendes Personal, technischer Defekt am Zug, Notarzteinsatz am Gleis, Vandalismus, geklaute Kabel, verspätete Bereitstellung. Das Gleis war voll und wurde voller.

Der Zug, der schließlich kam, war kurz. Die Menschen hingegen waren viele. Eine Sozialstudie, mutmaßte ich, vielleicht Uni Münster. Man schob und drückte, raunzte und schimpfte, schubste und stöhnte. Man wartete, gebeugt stehend oder gedrängt sitzend, denn auch dieser Zug fuhr zu spät ab. Dann ein Knarzen in den Lautsprechern. Eine Zugbegleitung, sagte der Lokführer durch, gebe es heute nicht, man möge sich selbst helfen und nett zueinander sein. Im Waggon vereinzeltes Gelächter, spöttisch hier, verzweifelt dort. Überdies, fuhr der Lokführer fort, könne es sein, dass der Zug nicht wie geplant bis Düsseldorf fahre. Zwischen Wanne-Eickel und Recklinghausen würden Kabel fehlen, er werde sich melden, sobald er mehr wisse. Apathische Gesichter, leere Blicke. Irgendwo hinter dreißig Menschen, zwölf Koffern und vier Fahrrädern schrie ein Kind. Ein Mann sang leise. Ein Telefon klingelte. „Nee, Marianne, dat wird heut‘ nix mehr! Wir sind noch nichma in Nottuln!“ – „Der fährt nich‘ nach Nottuln!“ Tumult.

Südlich von Münster erneut ein Knarzen, erneut der Lokführer. Er habe eine gute und eine schlechte Nachricht, sagte er. Man fahre bis Düsseldorf, das sei gut, aber bis dorthin würden Halte ausfallen, viele, fast alle. Wer nach Recklinghausen, Wanne-Eickel, Gelsenkirchen, Essen oder Mülheim wolle, der … tja, das könne er auch nicht sagen. Man bemühe sich um Schienenersatverkehr. Im Waggon nur Müdigkeit. Vereinzelt gezückte Handys: Wer jemanden kannte, der in Bereitschaft saß, kommunizierte Abholwünsche.

Wir stiegen in unserem Städtchen aus – der letzte Bahnhof, der angefahren wurde, bevor es auf die lange Umleitung ging. Wir fuhren noch sechs Kilometer bis daheim und machten damit die 110 voll.


Haltern Pride | In der Stadt war Christopher Street Day, bunt und fröhlich. Der Bürgermeister hielt eine Rede, die Stadtbücherei präsentierte queere Bücher, die evangelische Kirche bot Rätsel, Basteln und Gespräche, allerlei Organisationen waren am Start, außerdem die Grünen und die SPD. Drag Queens aus der Gegend traten auf.

Später am Nachmittag trat Marian Kuprat auf, ein Singer und Singwriter, der mir bislang unbekannt war. Welch eine schöne Entdeckung!

(In dem Zusammenhang ein Hinweis auf Jolante, die Band eines ehemaligen Mit-Abiturienten. Er postete jüngst in unserer Abi-Gruppe, dass er sein erstes Album veröffentlicht habe: „Wir sind seit Freitag schon von 4 monatlichen Hörern auf satte 32 gestiegen! Sei die Nummer 33!“ Diese hoffnungsvolle Aufforderung gebe ich weiter – und den Link zu Spotify.)


Nochmal Broterwerb | Diese Woche telefonierte ich zu Tagesbeginn mit meinem Webworker Christian, der gerade meine berufliche Website aufhübscht. Sie ist nun fünf Jahre alt, und es muss mal beigegangen werden. Die Seite fühlt sich an wie ein Kleidungsstück, dessen Stil und Farben zwar noch prima sind; gleichzeitig kneift es seit einiger Zeit unter den Armen, während es um den Hintern schlabbert. Wir nehmen einmal neu Maß und passen ein paar Nähte an.


Danke! | Ein herzliches Dankeschön geht raus an einen langjährigen Leser für ein Geschenk vom Wunschzettel.

Buch von Stephan Anpalagan: Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft

Ein letztes Mal Broterwerb | Zum Ende der Woche habe ich zweimal wundervolles Lob von Kunden erhalten. Es kamen die Worte „motivierend“ und „Begeisterung“ vor. Es gab ein ehrliches Dankeschön. Das war super. Danach fuhr ich sofort den Rechner runter und machte Wochenende, denn besser konnte es nicht werden.


Schweine | Vergnügliches Flanieren.

Drei Meerschweine auf dem Rasen im Garten. Das Meerschwein im Vordergrund reckt den Kopf Richtung Kamera.

Wetter und Haare, Ernte und Beschwingtheit

14. 08. 2024  •  6 Kommentare

Hairlich! | Ich war beim Friseur, eine halbe Stunde zu spät. Ich hatte mir den Termin für 9 Uhr notiert, im Kalender des Salons stand ich allerdings eine halbe Stunde früher. Die Friseurin war so freundlich, mir dennoch Strähnchen zu machen, auf Zeitgründen nur Oberkopf, aber das reichte völlig. Wichtiger war es zu schneiden. Es war alles außer Form und fusselte mir um Kopf und Hals.

Sowas kommt ja immer ganz plötzlich. Man steht morgens auf und – zack! Mit einem Mal hat man keine Frisur mehr, sondern nur noch Haare. Dabei war gestern noch alles in Ordnung! Drei Wochen lang litt ich, umfusselt von formlosen Keratinfäden, bis der Termin kam, den ich schon bei meinem letzten Besuch ausgemacht hatte. Eine Wohltat. Ein Hoch auf das Friseurhandwerk!


Wetter | Erst bizarre Hitze, dann eine Gewitterzelle überm Dorf mit Blitzen, Donnern und einem grotesk lauten Knall. Sowas habe ich bislang nur einmal gehört: als in mein Haus ein Blitz einschlug, damals in Dortmund. Was eine Kraft. Hier vor Ort war aber alles gut, nur wenige Kilometer weiter standen allerdings Straßen unter Wasser, es hagelte, und Bäume wurden entwurzelt.


Frühschwumm | Wegen Wetter ging ich zum Frühschwimmen ins Freibad, 7 Uhr 30 – mit dem Gedanken, dass dies die einzige Zeit sei, in der das Becken nicht voll sein würde. Ein Irrtum: Auf der Wasseroberfläche schwebten dreißig, fünfzig, ein ganzes Geschwader weißer Köpfe. Frühschwimmer-Ballett! Alle schwammen diszipliniert hintereinander – anders als nachmittags, wenn auf den Schwimmerbahnen heitere Gruppenrunden stattfinden, Poolnudeln geritten werden und man wild rudernd planscht. Insofern war trotz hohen Füllstands ein guter, kurzer Schwumm möglich. Die Körperkerntemperatur war auch unten. Ein prima Start in den Tag.


Garten | Ich erntete und aß.


Broterwerb | Ich bin nun wieder bei der Arbeit, also: vollends. Die Post-Urlaubs-Wiedereingliederung habe ich erfolgreich abgeschlossen. Es gibt auch direkt gut zu tun: Koordinationsarbeit in einem Projekt, das ich für einen Kunden begleite, Termin- und Workshopvorbereitungen, Coachings zu privaten und beruflichen Fragestellungen. Fühle mich beschwingt.


Gelesen | Die 1000 Leben der Sifan Hassan. Ein kurzes Portrait der Marathon-Olympiasiegerin aus den Niederlanden, die einst aus Äthiopien flüchtete und für sich einen Weg gefunden hat, Leistungssport und muslimischen Glauben miteinander zu vereinen.

Gelesen | Hitze ist teuer, also macht endlich mehr Schulden: fürs Klima. Ich würde ja nicht sagen „fürs Klima“, denn Klima ist einfach, das gibt es, es ist die Gesamtheit aller Wetterereignisse. Wir investieren in uns Menschen, in unsere Lebensgrundlage und – jetzt ganz stark sein, liebe Konservativen – in unsere Freiheit und unseren Wohlstand.

Gelesen | Frau Kaltmamsell war auf einer protestantisch-jüdischen Hochzeit im Ruhrpott – mit Zechenbeteiligung.


Schweine | Hitzeschweine. Leidensschweine.

Zwei Schweine liegen in Grünzug unter einem Tunnel aus Ästen und gucken jämmerlich.

Fahrt über Erzbahntrassen und Gemenge

11. 08. 2024  •  9 Kommentare

Leibesübung | Das erste Mal seit Langem bin ich 3.000 Meter durchgekrault, 60 Bahnen, butterweich und meditativ. Das war großartig. Zwei Tage später nochmal 2.000 Meter, auch sehr fluffig, Atmung passte super. Es wird, es wird.

Heute dann Rad gefahren, um das Handball-Olympia-Finale bei der Torfrau in Mühlheim zu schauen. Der Reiseleiter plante eine Tour, 63 Kilometer, und wir fuhren über Trassen und Wirtschaftswege von Haltern ins Ruhrgebiet. Das ging sehr zügig. Wir machten nur zehn Minuten Pause am Erzbahnkiosk, dann ging es weiter. In weniger als 3 Stunden 30 waren wir dort.

Die ausgebauten Trassen sind wirklich fantastisch, ebenso der Radschnellweg RS1 zwischen Essen und Mülheim. Das sind Radautobahnen; da geht ohne Probleme eine 24er-Schnitt mit dem Trekkingrad. Was rollt, das rollt. Die schlechte Seite: Wenn man nicht über eine Trasse fährt, ist Radfahren im Ruhrgebiet eine Vollkatastrophe. Die Politik geht offensichtlich davon aus, dass Menschen, die Rad fahren, das nur zum Freizeitvergnügen tun, im Kreis. Tatsächlich möchten Menschen aber manchmal auch irgendwohin, ganz unfreizeitlich, zu Zielen, die zufällig nicht auf einer alten Bahntrasse liegen.

Bei der Torfrau gab es, passend zum Finalgegner Dänemark, Zimtschnecken.

Halbe Zimtschnecke auf einem Teller mit der Solhouette einer Stadt

Wir schauten seufzend das Finale und waren am End froh, dass es bei 39 Gegentoren blieb. 40 wären nochmal bitterer gewesen. Aber egal! Tolles Turnier der deutschen Mannschaft, starke Leistung, Silbermedaille.


Gemenge | Der Reiseleiter hat zu Beginn des Sommers eine Wildblumenwiese angelegt: Er hat eine Samenmischung gekauft, den Rasen umgegraben, die Mischung eingearbeitet, geharkt und gewässert. Das Ergebnis war dürftig. Inzwischen kommen ein paar Blümchen, aber alles in allem ist die Wiese nicht sehr wild. In einem Dicounter sah ich nun „Landsberger Gemenge“ auf dem Aktionstisch. Gemenge! Wonach hört sich das an? Das hört sich nach Wildheit an. Nach Getümmel und Gewühl, nach Treiben und Gewimmel. Ich habe es natürlich gekauft. Jetzt geht’s ab!


Daseinsfürsorge | Bei uns im Dorf gab es eine Poststelle in einem Kiosk. Man konnte Pakete hinbringen und abholen und Postdienstleistungen in Anspruch nehmen: Briefe versenden, Briefmarken kaufen, Einschreiben aufgeben, sowas. Seit ein paar Wochen ist die Poststelle geschlossen. Der Service sei nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben. Klar, da verabschiedet man sich als Unternehmer von dieser Dienstleistung.

Fürs Dorf ist das allerdings ausgesprochen misslich, denn nun muss ich – müssen alle – fünf Kilometer mit dem Auto oder dem Fahrrad fahren und in eine Fußgängerzone hineingehen, um ein Paket aufzugeben oder abzuholen. Bei großen oder schweren Paketen ist das nochmal unerfreulicher, und wir wissen alle, dass man nicht mal etwas Großes bestellt haben muss, um ein großes Paket zu bekommen. Zwar habe ich einen Ablageort festgelegt und Porto bekomme ich auch online, aber erstens sind mir Klebebriefmarken lieber, zweitens landet doch immer mal ein Paket in der Filiale und drittens möchte ich auch mal Pakete verschicken, ohne das Gefühl zu haben, selbst ein Logistikunternehmen zu betreiben. Die Post verspricht eine Lösung – muss sie auch laut Postgesetz, denn der Ortsteil hat mehr als 2.000 Einwohner. Aber das kann dauern. Ich kann das irgendwie überbrücken, aber Menschen ohne große Digitalkompetenz oder mit Mobilitätseinschränkungen sind echt gekniffen.


Sommer | Das Gute an Hitze ist, dass die Wäsche schnell trocknet. Das Schlechte an Hitze ist … Hitze.

Küchenkarten, im Hochbeet wächst eine riesige Sonnenblume.

Das Monstrum von Sonnenblume, das sich selbst im Hochbeet gesät hat, hat nun eine Blüte.


Serien schauen | Auf Anraten des Lieblingswebworkers die arte-Mediathek geöffnet und die ersten drei Folgen Dicte geschaut. Bislang gut, habe aber noch keine fundierte Meinung.


Gelesen | Herr Buddenbohm reist ab, teilt wie immer sehr unterhaltsam Beobachtung und tut überdies seine Unlust für Reiseplanung kundt. Als der Reiseleiter in unserer damals noch jungen Beziehung meinte, er würde gerne, wenn mir das recht wäre, die Reiseplanung übernehmen, allerdings wolle er mich keinesfalls bevormunden, er mache das einfach gerne, also nur, wenn es mir nichts ausmache – da habe ich mich lächelnd zurückgelehnt und, begleitet von einer milden Geste, „Ist schon in Ordnung“ gehaucht.

Gelesen | Die FDP legt einen Fünf-Punkte-Plan für mehr Autos in Innenstädten vor. Es handelt sich nicht um einen Artikel des Postillons. //*Augenzucken

Gelesen | Deutschlands großes Problem ist, dass Strom bald viel zu günstig sein wird


Schweine | Es ist warm, aber man ist guter Dinge.

Zwei Meerschweine auf Augenhöhe fotografiert. Das linke Schwein schaut abgeklärt in die Kamera, der rechte frisst und beobachtet dabei die Fotografin.

Abendsonne im Heidekraut

6. 08. 2024  •  6 Kommentare

Danke | Ich habe ein ganz unverhofftes Geschenk erhalten, das ich erst vor wenigen Tagen auf meinem Wunschzettel ergänzt hatte. Herzlichen Dank! Ich habe mich sehr gefreut.


Radausfahrt | Eigentlich wollten der Reiseleiter und ich das Fahrrad meines Vaters nach Dortmund fahren. Doort wohnt er. Er hatte während unserer Dänemarkradtour die Schweine gehütet, bei uns geurlaubt und für diese Zeit sein Fahrrad mitgebracht. Auf dem Hintransport ist das Schutzblech abgebrochen; der Platz im Kombi war arg eng, und einen Fahrradträger hatte er nicht zur Verfügung. Um weitere Schäden zu verhindern und um mir ein wenig Bewegung zu verschaffen, beschloss ich, das Fahrrad zu Fuß (oder besser gesagt per Pedale) von Haltern nach Dortmund zu fahren. Der Reiseleiter befand, dass sei eine gute Idee, er wolle mitkommen und könne auch das Vaterrad fahren.

Nach nur 400 Metern meinte er allerdings: Das Rad eiert. Tatsächlich: Wenn man genau hinsah, hoppelte der Reiseleiter wie ein Hase über den Wirtschaftsweg. Wir stiegen ab und begutachteten das Fahrrad, drehten es, wendeten es, und kamen zu dem Schluss, dass nicht Felge, sondern Schlauch und Mantel das Problem waren. Der Reiseleiter ließ Luft ab, justierte Schlauch und Mantel, pumpte den Reifen wieder auf, doch ohne Erfolg. Er hoppelte immer noch. Wir beschlossen, die Aktion abzubrechen und das Rad noch zu behalten, für eine Inspektion und Reparatur.

Statt nach Dortmund zu fahren, fuhren wir anschließend – jeder mit dem eigenen Rad – eine Runde, 45 Kilometer, kauften in Olfen ein Brot, und der Reiseleiter aß ein Eis. Auf dem Rückweg machten wir einen Abstecher in die Westruper Heide und flanierten zwischen blühendem Heidekraut, in dem die Bienen summten.

Ein Hügel mit blühendem Heidekraut, im Vordergrund eine Birke, durch die die Abendsonne blinzelt.

Broterwerb | Ich befinde mich noch in der Post-Urlaubs-Wiedereingliederung und schrieb einen Reflexionsbericht für die Fernuni Hagen. Er ist Teil meiner Coachingausbildung und eine verpflichtende Prüfungsleisutng. Die Erstellung brauchte mehr Zeit als erwartet, mit Unterbrechungen etwa eineinhalb Tage. Insofern kann ich sagen, dass ich tatsächlich reflektiert habe.

Darüber hinaus ein paar Telefonate, ich schrieb ein Angebot, buchte ein paar Hotels und eine Bahnfahrt für Ende August und den September und sortierte die Aufgaben für die kommende Woche.


Müßiggang | Freibad, Lektüre und Leibesertüchtigung, letzteres diesmal nur in bescheidenem Umfang.

Ein Buch liegt auf einer Wiese, blauer Himmel, in der Ferne ein Volleyballnetz.

Gelesen | Regelmäßiges Schwimmen fördert die Hirnleistung. Wer will das anzweifeln?

Geguckt | Ich schaute Rocket Man, die Filmbiografie über Elton John. Danach hatte ich das dringende Bedürfnis, zu ihm zu fahren und ihn fest zu umarmen. Tolle Schauspielleistung von Taron Egerton. Außerdem erkannte ich Jamie Bell und freute mich, dass er den Erfolg von Billy Elliott gut überstanden hat und nicht wie einige andere Kinderstars mit Alkohol, Drogen und Skandalen konfrontiert war.

Gelesen | Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bahn ist die Stimmung miserabel: „Ich schäme mich mittlerweile jeden Tag für dieses Unternehmen“. Ich erlebe ausschließlich freundliche, angesichts der Zustände ausgesprochen bemühte, humorvoll-selbstironische Zugbegleiter:innen, die einen großen Teil dazu beitragen, dass ich die Langstrecken immer noch mit der Bahn und nicht mit dem Auto mache. Die Bahn sollte alles daran setzen, sie nicht zu verlieren.

Geguckt | Die tagesthemen mit einem Bericht über Lavendelbauern in der Uckermark (ab Minute 27:30)


Einkaufen | Ich fuhr mit dem Fahrrad zum Supermarkt im Dorf, dem kleinen. Wir haben zwei. Ich bin angehalten, im Markt gegenüber der Apotheke zu kaufen: Der Reiseleiter arbeitet bei dem Konzern, wir bekommen Mitarbeiterrabatt und sichern seinen Arbeitsplatz. Außerdem mag ich es dort tatsächlich. Es ist leerer und auch preiswerter als im großen Supermarkt, und es gibt gute Eigenmarken. Wie ich so durch die Gänge schob, wurde ich dreimal von fremden Frauen angelächelt, einmal sogar freundlich gegrüßt. Ich schaute an mir hinab, ob ich irgendwas auf dem T-Shirt hatte, einen Fleck oder ein Loch, und überprüfte meine Mundwinkel. Manchmal habe ich dort noch Brotaufstrich oder Schokolade. Aber es war alles in Ordnung. Es blieb rätselhaft, ich freute mich einfach über die Freundlichkeit.


Schweine | Abends, nach einem anstrengenden Tag, grast man gerne nochmal im Park.

Drei Meerschweine auf dem Rasen, zwei im Profil, eins zeigt den Hintern, auf dem sich zwei Wirbel drehen.

Ereignisschnipsel aus Sommertagen

4. 08. 2024  •  4 Kommentare

Ereignisschnipsel | Ich sitze auf dem Sofa, es ist Sonntag. Auf dem Fernseher läuft Olympia, ein flauschiger Ereignisteppich unter diesem Tag, an dem es eher kühl ist, der Himmel bedeckt. Man überträgt Bogenschießen.

Bogenschießen habe ich liebgewonnen, eine übersichtliche Sportart. Erst schießt der Eine, dann der Andere. Drei Schüsse sind ein Satz: Zehn plus zehn plus neun, das sind Neunundzwanzig, das kann man auch mit drei Neuronen noch zusammenrechnen. Selbst mit halber Hirnhälfte versteht man, wer hier grad besser ist. Dazu vor jedem Schuss dieses leichte Spannungsgefühl. Perfekt für den Sontagnachmittag.

Dann Dressurreiten, ich lese dabei. Ein großer Roman, tausend Seiten. Die Spannung baut sich langsam auf – in kleinen Begebenheiten und unscheinbaren Halbsätzen. Eine Geschichte, die daherkommt wie ein jovialer älterer Herr, zugewandt und freundlich, und doch spürst du: Irgendwas stimmt hier nicht. Dazu die Stimme Carsten Sostmeiers es ist hier der königliche Tanzpalast der Reiterei …

Ich bin heute etwas ermattet. In den Tagen zuvor war ich mehrmals schwimmen, einige Kilometer. Gestern fuhr ich fünfzig Kilometer Rad über den Vestischen Höhenrücken. Der Reiseleiter klärte mich über diese unerfreulich langsame Steigung auf, während wir sie unter den Reifen hatten. Es geht nicht wirklich bergauf, man hat eher das Gefühl, heute sei ungewöhnlich starke Schwerkraft am Werk. Am Tag danach sind meine Arme vom Schwimmen, die Beine vom Radfahren schwer. Ich mache mir Wassermelone mit Feta und plumpse ins Sofa … Ein Paukenschlag im Orchester der Hippologie!

Die gestrige Radfahrt führte zu den Schwiegereltern, Kaffeetafel mit Pflaumenkuchen. Ist das Jahr ist also schon soweit: Pflaumenzeit. Wir fuhren durch Maisfelder. Die Sonne fieselte durch eine trübe Wolkendecke. Mit Sonnenbrille war es zu dunkel, ohne zu hell. Die Luft lag schwer zwischen den Feldern. Beim Bergauffahren klebten sich Stechfliegen an die Arme und in die Kniekehlen.

In meinem Buch steht über den August:

Das Land explodiert, grün und gold und strohgelb. Die Halme schwanken schwer vor Mais, bremsen den leichten Wind. Die Landschaft lehnt sich zurück, üppig und stolz wie eine hochschwangere Frau, rekelt sich.

Ann-Marie MacDonald: Wohin die Krähen fliegen, S. 24f.

Der Pflaumenkuchen schmeckte gut. Der Boden schön dünn und leicht matschig. So mag ich das. Ich habe noch eine Woche frei. Vielleicht schaue ich demnächst im Supermarkt nach Pflaumen und backe auch einen Kuchen, mit Quark-Öl-Teig … Sie schenkt ihre Beine der Reiterin zum gemeinsamen Tanz … Allerdings habe ich auch noch Zucchini zu verarbeiten.

Während des olympischen Lesens hat sich der Stapel der Bücher neben meinem Bett auf wundersame Weise vermehrt. In der Stadt war Büchermarkt.

Ausbute vom Büchermarkt: "Klack", "Frühstück mit Kängurus", "Die Schwimmerin", "Sky Coubntry", "Mit der Faust in die Welt schlagen"

Draußen vor dem Fenster sitzt nun eine Kolonie Spatzen auf dem Rasen und frisst Samen weg. Neulich habe ich ausgestochen, was zu viel wurde: Breitwegerich, Löwenzahn, Ferkelkraut. Ich war im Gartenmarkt und kaufte einen Unkrautstecher für die langen Pfahlwurzeln. Nach dem Ausstechen habe ich den Rasen neu eingesät. Nun kommen die Spatzen und fressen ihn weg. Die Schweine könnten sich ein bisschen engagieren, denke ich, schließlich ist es auch ihr Rasen. Wird er gewachsen sein, werden sie ihn fressen. Aber sie befinden sich in einem Zustand völliger Entspannung und tun nichts, um die Spatzen zu vertreiben. Sie zerfließen im Stroh wie Camemberts in der Sonne.

Und man meint, im Gesicht der Stute ein Lächeln zu erkennen, das förmlich die Sonne im Dressurviereck zaubert … Ich könnte die Olympischen Spiele in der Mediathek schauen. Die Sportarten werden parallel gezeigt, in einzelnen Livestreams. Ich könnte mir aussuchen, was mir gefällt. Aber ich mag die lineare Übertragung. Es gefällt mir, mich zwischendurch zu langweilen. Es ist schön, wenn mir plötzlich Randsportarten gefallen, über die ich vorher nicht nachgedacht habe. BMX-Fahren sieht interessant aus und noch dazu sehr anstrengend. Eine Minute Vollspeed, Sprünge, Figuren, Pirouetten, und dann ist schon alles vorbei. Judo! Herumfummeln am Revers, Füßchen setzen, Leute umschmeißen und dann ein Schwitzkasten, der sich gewaschen hat. Ich denke an die Kinder. Sie kennen das gar nicht mehr: Gucken, was läuft, weil es keine anderen Programme gibt. Weil Langweiliges zu gucken besser ist als gar nichts zu gucken. Weil man zum Umschalten aufstehen müsste, und so lange dauert es dann doch nicht, als dass man diese Mühe auf sich nehmen möchte. Das sitzt man aus, das liegt man aus.

Auf der Fahrt über den Vestischen Höhenrücken, das erzähle ich noch kurz, fuhren wir durch Marl und stoppten an der Konrad-Kirche. Die Kirche liegt in einer Zechensiedlung und wurde schon vor Jahrzehnten entweiht. Ende der Siebziger Jahre hatte sich die Bevölkerung so sehr verändert, dass sich ein Unterhalt nicht mehr lohnte; niemand ging mehr zur Kirche, niemand glaubt an Gott, wie die Kirche es erwartet. Gemeinden wurden zusammengelegt. Die Kirche aber steht unter Denkmalschutz – was also tun damit? Sie wurde zu einem Kolumbarium.

Kolumbarium in einer Kirche. Durch bunte Fenster fällt Licht.

Ein ruhiger, wohltuender Ort: der Duft von Ölkerzen, gedämpfte Musik, buntes Licht durch Kirchenfenster.

Ich verlasse das Sofa. Ich brauche ein aktuelles Foto von den Schweinen, Chronistenpflicht des Tagebuchbloggens. Die Tiere sehen keinen Veranlassung, sich zu bemühen, schauen aus schlaftrüben Augen in die Kamera.

Auf dem Rückweg zum Sofa pflücke ich zwei Tomaten … eine hippologische Fontäne, deren Wasser wie eine Perle auf der Gänsehaut des Betrachters hinuntergleitet … Heute Abend Finale im 100-Meter-Lauf. Bis dahin lese ich noch ein wenig.


Schweine | Sonntagsdynamik.

Ein hellbaunes Meerschwein liegt vor der Heuraufe, ein etwas kleines geschecktes dahinter in einem Häuschen. Uninspirierter Blick.

Blick ins zweite Halbjahr

1. 08. 2024  •  1 Kommentar

Freibadglück | Wieder ein guter Schwumm, zwei Freibadkilometer, 40 Bahnen. Ich las irgendwo, dass man dem Schweben nirgendwo näher sei als beim Kraulschwimmen, und es ist etwas dran: Wenn Atmung und Armzug im Einklang sind, ist das Gleiten durchs Wasser absolut wunderbar. Und Freibad – wie großartig ist eigentlich Freibad! Ich mag besonders die Tage, an denen es nicht allzu heiß und das Wasser umso erfrischender ist. Außerdem habe ich eine neue Schwimmbrille. Wow! Wie klar man sehen kann.


August | Ein Teil meines Weges mit dem Rad in die Stadt:

Allee aus Bäumen

Broterwerb | Kalender durchgesehen und das zweite berufliche Halbjahr betrachtet. Ich bin bereits gut ausgelastet, 80 Prozent würde ich sagen. Während ich in Dänemark war, sind einige Aufträge reingekommen, schöne Herausforderungen. Ich freue mich. Das werden gute fünf Monate mit Bestandskunden und Neukunden, allesamt tolle Menschen und Organisationen.

Im zweiten Halbjahr 2024 …

  • begleite ich gemeinsam mit internen Kolleginnen und Kolleginnen die Transformation eines IT-Unternehmens.
  • bin ich für die Führungskräfteentwicklung in einem Industrieunternehmen gebucht.
  • führe ich eine Teamentwicklung in einer Medienorganisation durch.
  • begleite ich unterschiedliche Menschen als Coach in privaten und beruflichen Fragestellungen.
  • gebe ich in verschiedenen Organisationen Inhouse-Seminare: Moderationstraining, Agilität, Konfliktmanagement und Change Management.
  • moderiere ich in mehreren Organisationen Abteilungs-, Teamworkshops und Vorstandstagungen.

Die Aufträge werden mich mehrmals nach Baden-Württemberg führen. Ich werde außerdem nach Berlin und nach Chemnitz reisen – und mal sehen, was noch kommt.

Ich habe auch die Terminübersicht auf meiner Website aktualisiert. Schauen Sie mal!


Blick in den Garten | Alles ist üppig, allerorten dicke Früchte. Nach Sturm und Gewitter stützen wir die Tomaten mit Latten und Besenstielen. Sie brechen sonst unter sich selbst zusammen. Die Insekten summen: Die Investition in Stauden hat sich gelohnt. Es sind jede Menge Bienen, Hummeln und auch einige Schmetterlinge unterwegs.

Im Gurkenbeet hat sich eine Sonnenblume gesät, ganz ohne mein Zutun. Ich ließ sie wachsen. Nun reicht sie bis in den Himmel. Ich werde eine Axt brauchen müssen, um sie zu fällen.

Riesige Sonnenblume in einem Hochbeet, dahinter ein Haus in hellem  Klinker. Die Blume reicht fast bis ins erste Stockwerk des Hauses.

Gelesen | Familie Buddenbohm tritt ihren Urlaub an: Alles durchziehen.

Betrachtet | Steffen ist depressiv

Gelesen | Cycling’s Silent Epidemic. Ein langer Text über ein vernachlässigtes Thema: Frauen und Fahradsättel. Während Männer, die sportlich radfahren, vielfach beforscht und mit Produkten beworfen werden (erektile Dysfunktion!), bleiben die Herausforderungen sportlich radfahrender Frauen – geschwollene, schmerzende Labien und eine malträtierte Klitoris – erstaunlich unbeachtet. Durch Sattelneigung und Lenkereinstellung habe ich das Problem für mich vorerst gelöst, nach vielen Leidenskilometern.

Gelesen | Dem Freundeskreis Olympische Spiele sei dieser Beitrag der ARD-Dopingreaktion empfohlen.

Oldie but Goldie | Letztens las ich irgendwo vom Wunsch nach einer DIN-Norm – der DIN-Norm „Wo im Supermarkt die Hefe zu finden ist“. Als Teil des Aktionsbündnisses „Neonbeleuchtetes Hefefach“ schließe ich mich dieser Forderung vollumfänglich an.


Schweine | Im Einzelportrait, v.l.n.r.: das Dramaschwein, der Dicke und das Pionierschwein, wärmebedingt ermattet.

Die letzten Tage in Skagen, Rückreise mit royalen Eierbechern, nun Akklimatisierung

31. 07. 2024  •  8 Kommentare

Die Zeit, ein sanfter Fluss | Ich bin zu Hause und habe noch Urlaub. Das ist ein wunderbarer Zustand. Ich lebe in den Tag hinein, schwimme, fahre Rad, pruschele im Garten herum oder liege auf der Terasse und lese.

Terasse mit vielen Blumen in Töpfen, darüber ein großer Sonnenschirm und ein Liegesofa

Dazu Olympia! Ich liebe die Kombination Sommer plus Olympische Spiele plus frei haben. Das perfekte Entspannungsprogramm.

Ich schaue mir Randsportarten an. Judo und Skateboard zum Beispiel, sehr interessant. Oder Wasserspringen; bei den Synchronwettbewerben kann man auch als Laie gut erkennen, wie gelungen das Dargebotene ist, dazu die Drehungen und Überschläge – famos! Am besten einnicken kann ich beim Reiten; das Hufgetrappel, Wahnsinn, ein Blutdrucksenker. Auch Tennis und Tischtennis – *plok plok plok plok plok … *plick plick plick plick plick …

Nach einer Woche reinen Müßiggangs beginne ich außerdem langsam mit meiner Wiedereingliederung: Gestern habe ich eine Stunde E-Mails beantwortet, morgen werde ich zwei Stunden arbeiten, Freitag drei Stunden. Nächste Woche nähere ich mich irgendwann der Vollzeit, werde das aber vom Wetter abhängig machen. Nichts überstürzen.

Es ist nun außerdem Zeit, entspannt die Dinge zu tun, die ich sonst irgendwie dazwischenquetschen müsste: Gesundheits-Check-up, Hautkrebs-Screening, Impfstatus optimieren, Friseur, Steuererklärung, Winterwolldecken durchwaschen.


Kaltakquise | Seit ich wieder zu Hause bin, fuhr ich zweimal mit dem Rad in die Stadt. Beide Male nahm mir an derselben Stelle ein Leichenwagen die Vorfahrt. Man könnte ein Geschäftsmodell vermuten.


Die letzten Reisetage | Lassen Sie mich noch von den letzten Tagen in Dänemark berichten. Nachdem wir in Skagen angekommen waren, verbrachten wir noch drei Tage dort und einen Tag in Süddänemark, in Kolding.

Der erste Weg in Skagen führte an die Nordspitze nach Grenen – dorthin, wo Nord- und Ostsee aufeinandertreffen. Wie schon beim ersten Besuch finde ich es faszinierend, wie deutlich man das sieht.

Während wir im Oktober 2021, als wir erstmalig mit dem Rad nach Skagen fuhren, fast allein an dieser Stelle standen, waren wir diesmal Teil einer großen Bewegung. Menschen in Schuhen und Schlappen, barfuß, mit Kindern und ohne Kinder, mit Hunden, manche in T-Shirts, andere in Schals und Steppjacken – alle marschierten sie zur Nordspitze Dänemarks, um dort mit den Füßen im Wasser zu stehen und Fotos zu machen.

Gleichzeitig fuhr ein Trecker mit einem Planwagen diejenigen, die nicht laufen konnten oder laufen wollten, durch den Sand. Er spuckte sie aus, es war Zeit für ein Foto, dann stiegen die Leute wieder ein.

Wir waren an diesem Tag also Mitglieder einer Völkerwanderung, Teil des touristischen Overkills. Denn natürlich standen auch wir mit den Füßen in beiden Meeren und machten Fotos.

Der Grund, warum in Skagen so viel los war, war nicht nur, weil es dort schön ist, sondern weil wir die Kalenderwoche 29 hatten.

If you’re someone who enjoys a calm and peaceful atmosphere, it’s best to steer clear of visiting Skagen during week 29.

The Soul of Denmark

In Kalenderwoche 29 fallen reiche Leute aus Kopenhagen in Skagen ein, vor allem junge Menschen. Sie fahren in teuren Autos durch die Stadt, trinken Alkohol und haben, nun ja, Spaß. Sie nennen es „Hellerup“. Wir wussten von alldem nichts, bis wir dort ankamen.

During Week 29, otherwise called Hellerup week, wealthy youngsters all flock to Skagen in their million kroner cars and expensive boats for a week of fun, loud music, and heavy drinking – there is not much tranquility during this time. On the other hand, if you like looking at super fancy cars, this is a perfect time to visit. Why is it called Hellerup Week? Hellerup is an upscale area in Copenhagen, home to embassies and luxurious houses. Young people living there picked a week to go to summer houses together to have fun. Not coincidentally, the zip code to this area is 2900. Hence, week 29 became Hellerup week.

The Soul of Denmark

Unsere Gastgeberin in Mitteljütland hatte das Phänomen schon mit den Worten „Porsche, Polo-Shirt, Pullover über den Schultern“ anmoderiert. Das traf es ganz gut. Ich beobachtete außerdem, dass mindestens ein Kleidungsstück weiß sein musste, entweder die Hose (bei den Herren) oder die Bluse (bei den Damen), wenn man nicht gleich ganz in Weiß ging, die Damen in äußerst knappen Kleidern.

Wir wohnten im Danhostel Skagen. Mit uns auch Hellerup-Reisende. Das Danhostel war so vorausschauend, Familien und Party-Jugend getrennt voneinander unterzubringen, die Familien im Erdgeschoss, die Partyjugend im Obergeschoss und in einem Nebengebäude. Dennoch waren die Hellerupper:innen allgegenwärtig. Allabendlich durchzogen Parfum- und Deodorant-Wolken das Haus. In den Bädern, auf den Fluren und in der Küche wurden Zähne geputzt, Haare gerichtet und Nägel lackiert. Vorglühen im Hof, in der Gemeinschaftsküche, in den Gängen. Dann ging es hinaus in die Nacht. Ich beobachtete das Treiben mit einer gewissen Reminiszenz und war gleichzeitig froh, nicht mehr Teil dieser Unternehmung sein zu müssen. Ach, was war das damals alles anstrengend.

Wir erlebten Skagen vor allem tagsüber, badeten am Strand, besuchten die versandete Kirche, das Bunkermuseum und das Skagen Museum. Letzteres stellt Werke der Skagen-Maler und -Malerinnen aus.

Faszinierend an den Gemälden: Die Skagen-Maler malten oft Menschen, die es wirklich gab. Deren Namen standen dann neben dem Bild. Nahbare Kunst.

Besonders beeindruckend: Die Männer von der Kopenhagener Börse.

Ölgemälde mit fünfzig Männern in schwarzen Anzügen in Zylindern. Sie stehen in Gruppen beieinander in einem herrschaftlichen Raum.

Im Jahr 1892 kam der dänische Ingenieur und Geschäftsmann Gustav Adolph Hagemann auf die Idee, die einflussreichsten dänischen Geschäftsmänner auf einem Gemälde zu vereinen. Es sollte öffentlichkeitswirksam in der Kopenhagener Börse hängen. Hagemann brachte direkt eine Finanzierungsidee mit: Wer auf dem Bild repräsentiert sein wollte, bekam für 500 Kronen einen Platz in der vorderste Reihe und für 300 Kronen einen Platz in der Mitte. Für 100 Kronen landete man im Bildhintergrund.

Hagemann wandte sich an den Maler Peder Severin Krøyer. Krøyer hatte es bei der Anfertigung des Bildes nicht leicht: 50 Herren griffen in ihre Schatullen, darunter – um nur ein Beispiel zu nennen – der rotbärtige Herr vorne rechts; das ist Philip Heyman, der Gründer der Tuborg-Brauerei (die übrigens im Hafen von Hellerup, siehe oben, gegründet wurde). Der Maler musste also 50 Männer platzieren, abhängig von dem Preis, den sie gezahlt hatten, und unter Berücksichtigung ihrer Befindlichkeiten. Gleichzeitig sollte das Bild die Beziehungen, Allianzen und Konflikte der Geschäftsmänner zeigen. Dünnes Eis! Krøyer vollendete das Werk nach nur drei Jahren, 1895. Es hing lange in der Kopenhagener Börse, bis es ins Skagen Museum kam.

Panoramabild des Strandes, die Sonne ist untergegangen, ein Haus steht im Sand

Am letzten Abend: Sonnenuntergang an der Westküste.

Nicht auf dem Bild: die Mückenschwärme, die uns auf unserem Weg zurück durch die Dünen begleitete. Nur, wenn wir uns im Stechschritt (haha, Wortspiel!) bewegten, hatten wir eine Chance.

Am Tag darauf machten wir uns auf dem Heimweg. Wir fuhren nicht in einem Rutsch nach Hause, sondern zunächst mit dem Zug nach Kolding, in Süddänemark. Dort übernachteten wir noch einmal. Mit fünf Fahrrädern, drei Kindern und zehn Gepäcktaschen wollten wir beim großen Bahn-Bingo das Risiko gering halten.

In Kolding besuchten wir noch das Koldinghus, ein dänisches Königsschloss. Mir war sofort sehr royal zumute.

Im Museumsshop kaufte ich königliche Spültücher. Ich werde mich bei der Hausarbeit nun sehr hoheitsvoll fühlen (und der Reiseleiter auch, es durchdringt ihn nur noch nicht so wie mich).

Noch eine Anmerkung für die Abteilung #bildungsblog: Ein Herr Oeder, seine Zeichens Arzt und Botaniker, begann Ende des 18. Jahrhunderts damit, die dänische Pflanzenwelt zu dokumentieren und malte Pflanzen auf Karten. Er nannte die Dokumentation Flora Danica. Dem dänischen Kronprinz und späteren König Friedrich VI. gefiel die Sammlung. Er bestellte ein Speiseservice mit den Motiven der Flora Danica: Teller, Tassen und Servischüsseln, auf denen Pilze, Stauden, Blumen, Gräser und Gestrüpp zu sehen sind.

Zum Service gehören auch Eierbecher, und hier möchte ich auf ein Kuriosum hinweisen, das Ihnen, sollten Sie mal bei „Wer wird Millionär?“ auf dem Stuhl sitzen, möglicherweise zu Reichtum verhilft: Die Deutschen – oder das, was damals deutsch war – aßen ihr Ei gerne liegend (das Ei lag, nicht der Esser), während Franzosen (und sicherlich auch Französinnen) ihr Ei lieber verzehrten, wenn es stand (Begründungen gab es dazu keine). Die königlich-dänischen Eierbecher waren deshalb so gestaltet, dass sowohl dem deutschen als auch dem französischen Gast genüge getan war.

Zwei königliche Eierbecher mit je einem Ei: einmal liegt es, einmal steht es.

Mit diesem Wissen setzten wir uns in Kolding in den Zug und fuhren nach Hause.


Gelesen | Mario Giordano: Die Frauen der Familie Carbonaro. Die weibliche Sicht auf Terra Sicilia, das mir gut gefallen hat. Die ersten 200 der über 500 Seiten begeisterten mich zunächst nicht. Die Handlung doppelte sich sehr mit dem ersten Buch, die Sicht der Frauen brachte keine neuen Erkenntnisse und schien mir eher halbherzig umgesetzt. In der zweiten Hälfte des Buches kam dann Schwung rein: Die Charaktere gewannen an Tiefe, die erzählte Zeit geht über Terra Sicilia hinaus. Insgesamt also ein durchwachsenes Fazit; dem Autor scheint die männliche Perspektive besser zu liegen.

Gelesen | Carmen Korn: Zeiten des Aufbruchs. Der zweite Teil der Trilogie; er beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg und umspannt die Jahre 1949 bis 1969. Wie auch im ersten Teil wechseln die Perspektiven flott; die Handlung fließt zügig. Mitunter wirkt das Unterbringen historischer Ereignisse oder zeitgenössischer Kultur etwas gewollt: Das Fernsehen hält Einzug, Bücher und Musik erleben eine neue Blüte, Titel und Sendungen werden heruntergebetet. Insgesamt aber eine gefällige Urlaubslektüre.


Schweine | Die Schweine sind wohlauf.

Drei Meerschweine in einer Blumenwiese

Eine Radreise durch Dänemark: Von Bonderup bis an die Nordspitze nach Skagen

25. 07. 2024  •  2 Kommentare

Bonderup – Uggerby | Ich erwachte mit einem seltsamen Gefühl. Lichtschein drang durchs Fenster, draußen Vogelgezwitscher und … nichts. Kein Rauschen, kein Prasseln oder Brausen – nicht einmal ein Tröpfeln. Auch kein Fieseln, kein stummes Nieseln. Sondern: Sonnenschein.

Eine Wiese mit zwei Bäumen. Eine Rose rankt an einem hölzernen Tor empor. Rechts ein Stall aus Backsteinen. Sonne, blauer Himmel.

Küche und Badezimmer rochen leicht nach nassem Hund. Überall trockneten Wäsche, Schuhe und Helme. Gleichzeitig roch es nach Kaffee und frischen Brötchen: Der Reiseleiter war schon tätig geworden.

Als wir das Haus verließen, war es, als seien die Heuschrecken über unseren Gastgeber hereingefallen. Denn wir hatten sein Angebot angenommen, gut gefrühstückt und uns Brote für die Fahrt geschmiert, schließlich gab es weit und breit – in Fahrradentfernung gemessen – keinen Supermarkt.

Die nachfolgende Fahrt nach Aalborg ging so schnell, dass wir es alle kaum glauben konnten. In zwei Stunden und vierzig Minuten glitten wir bei Sonnenschein und Rückenwind durch Korn- und Kartoffelfelder, ohne Hügel, nur geradeaus, 47 Kilometer. Es war eine Wonne.

Für dieselbe Distanz hatten wir tags zuvor das Doppelte an Zeit gebraucht, und jetzt war alles ganz leicht.

Die Klappbrücken von Aalborg begrüßten uns mit offenen Armen. Wir segelten in die Stadt hinein, frei von Regenhosen und Kükenponcho und beflügelt davon, nach Tagen der Landpartie eine große Stadt zu sehen. Wir saßen am Limfjord und schauten uns die Menschen an. Wir schoben die Räder durch die Stadt, durchwanderten Altstadtgassen und eine Drogeriekette.

Dann fuhren wir zum Bahnhof. Die Etappe wäre sonst zu lang geworden: 90 Kilometer hätten wir als Erwachsene vielleicht noch gemacht, mit den Kindern nicht. Wir versorgen uns mit Matilde-Milchshakes und Faxe Kondi und ließen uns nach Hirtshals fahren. Mit uns im Zug waren eine Menge Leute, die von Hirtshals aus nach Norwegen übersetzen; die Fähre nach Kristiansand fährt nur zweieinhalb Stunden, die Fahrt nach Bergen dauert sechzehneinhalb Stunden. Wir unterhielten uns mit einem jungen Mann, der sich zu uns in den Vierersitz gesellte; er und sein Bruder, der eine noch Schüler, der andere schon etwas älter, starteten an diesem Tag eine dreiwöchige Radreise durch Norwegen – mit Zelt und Campingkocher, seine erste Radreise überhaupt.

Von Hirtshals aus radelten wir nach Uggerby raus zu unserer Unterkunft. Unterwegs plünderten wir noch einen Supermarkt. Die Brote vom Morgen waren längst weggefuttert, und in Aalborg hatten wir nichts gegessen.

Nach dem Abendessen spazierten der Reiseleiter und ich noch durchs Dorf. Die Kinder chillten vor ihren Geräten.

Ferrtislev-Bonderup – Hirtshals über Aalborg
Radkilometer: 59
Höhenmeter: 123
Radfahrzeit: 3 Stunden 30
plus eine Stunde Zugfahrt von Aalborg nach Hirtshals


Uggerby – Skagen | Die letzte Etappe, das große Finale! Wir beluden ein letztes Mal die Räder.

Mein Taschen-in-Taschen-System hat sich herausragend bewährt. Ich musste zu keinem Zeitpunkt etwas suchen und war auch in den Unterkünften hervorragend sortiert. Auch für den großen Regen erwiesen sich die Kompressionstaschen als praktikabel. Meine Packtaschen, eine grünen Fahrradtaschen, sind gut dicht, vor allem mit zusätzlichem Überzug; Schwachstelle war das Spritzwasser von unten. Dadurch, dass die Kompressionstaschen jedoch aufrecht in den Fahrradtaschen stehen, war das kein Problem; alles blieb trocken. Der Reiseleiter hingegen steckte mehrmals bis zur Brust in seinen Packtaschen und kramte nach Badehose, Werkzeug und Schwimmbrille, unter Flüchen flogen Dinge auf die Erde.

Schon beim ersten Zieleinlauf fand ich, dass sich die Nordspitze Jütlands hervorragend als Schlusspunkt einer Reise eignet. Plötzlich wandelt sich die Landschaft, öffnet sich, Bäume und Wiesen werden zu Dünen, und es sind nur noch wenige Kilometer bis nach Skagen. Seinerzeit kamen wir von Süden, von der Ostseeseite. Diesmal kamen wir von Westen, der Nordseeseite. Der eindeutige Vorteil: Wir hatten auf der ganzen Strecke Rückenwind.

Wir erreichten die Kirche von Råbjerg; eine gute Gelegenheit, das erste Mal anzuhalten.

Ein Gebäude aus dem 13. Jahrhundert, danach nochmal angebaut und umgebaut, mit einem hölzernen Schiff unter der Decke. Vor der Tür wie überall der Friedhof mit Grabsteinen bis zurück ins 18. Jahrhundert: Familienväter, Mütter, Seefahrer, Soldaten, Gereiste, Ausgezeichnete, Verdiente und ganz Gewöhnliche.

Nach der Kirche folgt Råbjerg Mile, Dänemarks größte Wanderdüne. Jedes Jahr bewegt sie sich fünfzehn Meter Richtung Kattegat. In 130 Jahren wird sie im Meer verschwunden sein.

Wir erklommen die vierzig Meter hohen Sandberge, was leichter erzählt ist, als es getan war. Die Düne ist steil; wir taten einen Schritt und rutschten einen halben wieder hinunter. Ein hervorragendes Herz-Kreislauf-Training, eine gute mentale Übung.

Oben stürmte es geradezu absurd. Der Wind riss an den Haaren, trieb den Sand gegen Beine, Arme und ins Gesicht. Es prickelte und prasselte, es knirschte und knisterte. Böen tragen in jeder Minute Millimeter für Millimeter ab und wehen die Körner unbeirrbar gen Osten. Ein beeindruckendes Schauspiel.

Wir blieben eine ganze Weile auf der Düne und genossen die Weite. Die Kinder übten Weitsprung und bauten Häuser, die direkt wieder verweht wurden.

Dann waren es noch zwölf Kilometer, die letzten zwölf Kilometer der Reise. Sonnenschein, Rückenwind, der Geruch von Salz und Meer.

In Skagen gab es das ebenso obligatorische wie notwendige Begrüßungssofteis.

Insgesamt sind wir 410 Kilometer durch Dänemark gefahren. Die letzte Etappe war mit 42 Kilometern die kürzeste. Die längste hatte 72 Kilometer. Die zeitlich längste war begleitet von Dauerregen und Gegenwind.

In den darauffolgenden drei Tagen blieben wir in Skagen. Wir fuhren sogar Fahrrad. Davon erzähle ich später noch – ebenso wie von den Damen und Herren mit, Zitat unserer Gastgeberin in Mitteljütland, Porsche, Polohemd und Pullover über der Schultern. Denn ausgerechnet während wir dort waren, war Hellerup-Woche.

Panoramabild: rechts Meer, links ein Weg, auf dem ein Mann geht. In der Ferne gelbe Häuser.

Uggerby – Skagen
Entfernung: 42 Kilometer
Höhenmeter: 48
Reine Fahrzeit: 2 Stunden 21


Gehört | Daniela Krien: Der Brand. Eine Geschichte, bei der im Außen wenig passiert, wohl aber im Innen. Rahel und Peter sind seit 30 Jahren verheiratet, hatten Höhen und Tiefen in ihrer Ehe. Was sich währenddessen verabschiedet hat, ist die gegenseitige Liebe. In einem Sommerurlaub begegnen sie sich wieder. Ein Buch, das Geschmackssache ist; ich mochte die Geschichte gern, ihre langsame Entwicklung und ihre ostdeutsche Perspektive.

Eine Radreise durch Dänemark: Die Wasserschlacht von Nordjütland

22. 07. 2024  •  3 Kommentare

Nykøbing Mors – Bonderup | Der Reiseleiter weckte mich zuversichtlich: Der dänische Wetterdienst habe seine gestrige Prognose korrigiert. Es werde nur ganz leicht regnen und erst ab 15 Uhr. Außerdem habe er die Etappe um zehn Kilometer gekürzt: Wir müssten nicht siebzig, sondern nur sechzig Kilometer fahren. Er strahlte.

Tatsache war jedoch, dass es regnete, als wir aus der Tür traten. Es regnete mit einem leisen Rauschen, ein Regen, der frei war von der Energie eines kurzen Schauers. Mit kraftvoller Ausdauer umarmte er das Land, während ein freundlicher Wind die Tropfen verwirbelte, so dass sie uns nass und liebevoll zudeckten.

Wir beluden die Räder, wickelten uns in Regenkleidung, Kükenponcho und Mülltüten und machten uns auf den Weg. Der Wirbelwind sorgte dafür, dass wir von allen Seiten gleichmäßig nass wurden. Es war, als führen wir Fahrrad und nähmen gleichzeitig ein Bad – ein Erlebnis, das man selten hat. Deshalb würdigten wir es mit zärtlichen Flüchen.

Nach etwa 25 Kilometern erreichten wir einen Ort. Der Ort hatte einen Spielplatz, und auf dem Spielplatz stand eine überdachte Picknickhütte. Wir aßen Zimtschnecken. Derweil veränderte sich der Regen. Er ließ seine Bindfädigkeit hinter sich; stattdessen prasselte er dick und dicht auf das Dach und auf den Reiseleiter, der einen Platten flickte. Denn den hatten wir auch.

Um die Insel Mors zu verlassen, nahmen wir die Fähre über den Feggesund. Am Fähranleger blies der Wind. Auf dem Wind hielten übermütige Schwalben die Stellung. Sie schwebten auf der wilden Luft wie ein Kolibri, nur ohne Flügelschlag, bevor es sie ein ums andere Mal fortriss aufs Meer. Sie kamen wieder, legten sich erneut auf den unsichtbaren Strom, stießen hinab bis kurz über den Asphalt, stiegen wieder auf, wurden wieder fortgerissen.

Nach der Fähre führte unser Weg nach Osten, dem Ostwind entgegen. Der Reiseleiter fuhr voran, die Kinder im Windschatten, ich hinterdrein. Wir trampelten mit würdevollem Trotz, während wir kaum geradeaus gucken konnten: Es regnete uns waagerecht in die Augen.

Die Kinder hatten sich schon mit Beginn der Fahrt in ihr Schicksal ergeben. Schweigsam und unerschütterlich trieben sie ihre Räder durch Sturm und Wind, ohne Beschwerde, ohne Gejammer. Das hier musste schlichtweg erledigt werden.

Hinter Amtoft dann plötzlich: nichts. Kein Prasseln der Regens mehr auf die Kapuzen, keine Windböen.

Wir hielten an einer Picknickbank und packten aus, was wir hatten. Doch kaum saßen wir, begann der Regen von Neuem. Erst tröpfelte er leicht, dann wurde er wild und ausgelassen. Wir suchten Schutz hinter einer Hütte, und ich entdeckte, dass mein Küken-Poncho weit genug war, um zwei durchweichte Elfjährige unter die Fittiche zu nehmen.

Als der Regen wieder sanft und bindfädig wurde, fuhren wir weiter, die Elfjährigen neu verpackt. Denn jetzt kam der kniffligste Teil der Reise: die Fahrt über einen viel befahrenen, etwa sechs Kilometer langen Damm im Vejlerne Naturreservat – der Preis dafür, dass wir zehn Kilometer abkürzen konnten. Eigentlich wäre unser Weg in einem großen Schwung über Nebenstraßen durch das Reservat gegangen.

„Du fährst am besten hinten“, meinte der Reiseleiter, „dich sieht man am besten.“ So radelte ich als großes, gelbes Warnküken am Ende des Trecks – links von der weißen Begrenzungslinie, damit die Autos mehr Abstand hielten, die Kinder rechts, im Windschatten des Reiseleiters. Ich war nicht nur Warnküken, sondern auch eine radelnde Pilone und hätte nicht wenigen Wagen den Seitenspiegel einklappen können, so eng überholten sie mich.

Nach dem Damm machten wir noch einmal Pause und teilten die letzten Zimtschnecken auf.

Bushaltestelle an der Straße. Zu sehen sind herausschauende Beine, davor Fahrräder. Es regnet.

„Es wird besser“, sagte der Reiseleiter, während wir kauten und deutete auf helle Linien am Horizont. Er behielt recht: Als wir weiterfuhren, klarte es auf und tröpfelte bald nur noch.

Dafür ging es jetzt absurd bergauf. In Norddänemark! Das muss man sich einmal vorstellen. Wir ächzten die Hügel hinauf, die Kinder schoben oder wurden geschoben. Dann endlich, auf einer Hügelkuppe das Schild: Bonderup zwei Kilometer.

Fahrrad vor genanntem Schild

In Bonderup wartete als Entschädigung eine Unterkunft voller Pralinen auf uns – und ein Gastgeber, der alles tat, um unseren Tag versöhnlich enden zu lassen. „Ich habe euch den Kühlschrank voller Essen gepackt“, sagte er und zog an der Tür, die sich schmatzend öffnete und einen halben Supermarkt offenbarte. „Hier“, er deutete auf die Waschmaschine, „könnt ihr waschen und dort“, er deutete in die übrigen Räume, „habe ich euch die Betten bezogen. Die Süßigkeiten auf den Tischen könnt ihr nehmen und das“, er hielt eine kleine Rolle hoch, „sind Tüten. Morgen früh könnt ihr euch Brote schmieren und sie mitnehmen.“ Wir wahrten die Contenance, bis er sich verabschiedet hatte, dann brachen wir in Jubel aus.

Route und Daten zur Etappe - siehe Info unter dem Bild

Nykøbing Mors – Fjerritslev-Bonderup
Entfernung: 61 Kilometer
Höhenmeter: 240
Reine Fahrzeit: 4 Stunden 42
Dauerregen und lebhafter Gegenwind



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