Die Goldene Ehrennadel des Schienenwesens, Krippen und ein woker Nikolaus, Neues vom Gießkannen-Code und eine Friedhofsgeschichte
Die Lage | So (handlungseinleitend). Wirklich viel los grad im Real Life, vor allem beruflich. Mitte Oktober bis Mitte Dezember ist traditionell eine Hochphase der Arbeit. Dinge sollen noch bis Jahresende geschehen, kleine Wunder, mittlere Wunder, für große Wunder ist die verbleibende Zeit leider zu knapp. Das Eine will abgeschlossen werden, das Andere schonmal begonnen werden, damit man im neuen Jahr in die Vollen gehen kann.
Das Bahnabenteuer | So fuhr ich in der vergangenen Woche an einem Tag nach Stuttgart und am nächsten wieder zurück. Die Rückfahrt war nichts für Laienbahnfahrer: Die reguläre Verbindung war storniert. Ich suchte mir eine Alternativverbindung: 17:37 Uhr auf Gleis drei. Doch: Auf Gleis drei kam kein Zug. Eine Minute vor Abfahrt die Information: Dem ICE geht es schlecht, der Zug ist müde, er ist gar kaputt.
Die Alternative zur Alternativverbindung fuhr zwanzig Minuten später auf Gleis zehn – wie sich herausstellte, aber nur eine Teilstrecke, weil wegen … ach, wer weiß das schon so genau. Der Zug kam erst nicht, alle hatten schon Sorgen, dass er auch müde ist. Aber dann kam er doch. Ich stieg ein; das Motto war: Hauptsache nach Norden. Hinter Frankfurt die Durchsage: „Reisende, die vom Ruhrgebiet aus weiter nach Hamburg müssen, werden gebeten, sich an der Information zu melden. Für Sie wird ein Hotelzimmer organisiert.“ Stöhnen im Waggon. Die Bahn-App offerierte mir einen Umstieg in Köln (vier Minuten Umsteigezeit) und einen weiteren in Duisburg (sechs Minuten) – Kenner wissen, was das bedeutet. Es war inzwischen 22 Uhr.
Um 22:01 Uhr meldete die App auch prompt: „Anschluss wird voraussichtlich nicht erreicht.“ In Köln sprintete ich durch die Halle – Rucksack, Koffer, Moderationstasche, Winterjacke – und keuchte zu Gleis eins hinauf. „Der Regionalexpress fünf fährt heute abweichend auf Gleis vier ein.“ Also wieder runter, zusammen mit Rucksack, Koffer und Tasche, gemeinsam mit einem Pulk weiterer Menschen. Wie ein Schwarm von Staren teilten wir uns um Säulen, umflossen Putzwagen und Verkaufsbüdchen und erreichten die piependen Türen des Regionalexpresses in einem fulminanten Zielsprint. In Duisburg das Gleiche: „Anschluss wird voraussichtlich nicht erreicht“. Wieder den Koffer hochgerissen, den Rucksack festgezurrt, die Tasche unter den Arm geklemmt, die Jacke gerafft und los ging der wilde Lauf. Um 23:30 Uhr kam ich an meinen Zielbahnhof in Haltern am See an, um Mitternacht war ich im Bett. Für meine Leistung als Kundin hätte ich an diesem Tag die Goldene Ehrennadel des Schienenwesens verdient.
Bemerknis | In Stuttgart trank ich Löwenzahn-Limonade, was es nicht alles gibt. Sie schmeckt ein bisschen merkwürdig, aber auch ein bisschen gut. Nicht sehr süß. Eigentlich ganz angenehm.
Und weiter | Nach der Rückfahrt aus Stuttgart moderierte ich am nächsten Tag in Wuppertal, tags darauf gab ich ein Seminar in Duisburg, am Freitag schlossen sich frühe Onlinetermine an. So eine stramme Woche brauche ich auch nicht immer.
Fred | Das neue Gefährt hat einen Namen: Fred. Fred und ich haben uns angefreundet. Sein großes Display, die Scheibenwischautomatik, die Abblendautomatik, die Kameras, Knöpfe und Funktionen werden mir vertraut. Fred fährt sich gut, gleitet über die Landstraßen und Autobahnen, beschleunigt hübsch – man munkelt in 3,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h – und kann laut Musik spielen. Er hat nicht nur hinten, sondern auch unter der Motorhaube einen kleinen Kofferraum: Es passen zwei Packungen Meerschweinchenstreu und eine geknautsche Tüte Heu hinein. Mit meinem Handy kann ich ihn hupen lassen, und er hat einen Biowaffen-Verteidigungsmodus, den ich aber noch nicht benutzt haben.
Nikolaus | Als ich am Dienstag gegen Abend losstapfte, um noch eine Packung Saft im Dorfsupermarkt zu holen, geriet ich in eine Demo. Horden von Menschen kamen mir entgegen, die irgendwas mit Sonne, Mond und Sterne skandierten. Eingerahmt von der Polizei, schritt ihnen ein alter Mann mit langem Bart und rotem Umhang voran. Eine Kapelle spielte volles Pfund irgendwas mit Rabimmel Rabammel, obwohl dieses Ereignis bereits deutlich hinter uns liegt; alle zusammen blockierten sie Klimakleber-artig die Landstraße. Kein Auto kam mehr durch.
Der Anführer der Demo wurde auch am nächsten Tag noch einmal gesehen, wie er im Elektroschiff über den örtlichen See fuhr. Offenbar ist nun auch der Nikolaus völlig woke und grünversifft, solidarisiert sich mit der linken Lichterfest-Ideologie und blockiert mit seinen Gutmenschensympathisanten ganze Straßenzüge.
Krippen-Interpretationen | Die Weihnachtsstimmung wird immer massiver. Anfang der Woche fand ich einen Zettel im Briefkasten: Am Freitag und Samstag Tannenbaumverkauf am Nahcbarschaftsschloss mit Glühwein, Waffeln und Lahmacun (sic!). Wer komme, sei außerdem herzlich eingeladen den diesjährigen Krippenweg zu gehen – eine Ausstellung, die nur alle zwei Jahre stattfindet und Krippen zeigt, die Menschen aus der Umgebung handgefertig haben.
Wir erreichten die Veranstaltung am späten Samstagvormittag.
„Die besten Bäume sind jetzt natürlich schon weg!“, wurden wir begrüßt. „Aber wir machen noch Abverkauf.“ Wir fanden den perfekten Baum, es war direkt der erste, den wir uns anschauten. Ich finde ja ohnehin: Eine Tannenbaumentscheidung muss schnell und konsequent getroffen werden, Betrachtung von maximal drei Bäumen und dann ein entschlossener Kauf. Mehr Auswahl macht das Ergebnis nicht besser.
Bevor wir den Tannenbaum nach Hause trugen, schauten wir uns noch die Krippen an. Die drei eindrücklichsten Werke habe ich im Bild festgehalten. Eine Legokrippe:
Die OGS Katharina von Bora liefert eine Interpretation mit Heiligen Zebras und Heiligen Badeenten. Außerdem, leider nicht gut sichtbar, trägt Jesus einen Heiligenschein aus Kronkorken.
Die dritte Krippe ist von der örtlichen Schützenbruderschaft. Sie zeigt den Heiligen Stall, wie er direkt an die Dorfkneipe angrenzt. Im Vordergrund das Königspaar, Rücken an Rücken mit den Heiligen Drei Königen.
Nun ist es raus | Vielleicht erinnern Sie sich noch: Vor einiger Zeit schrieb ich von einer Anruferin, der mich zum Gießkannen-Code befragte. Sie rief im Auftrag einer Autors an und wollte wissen, ob es das wirklich gebe, dass Witwen die Gießkanne auf bestimmte Weise trügen, um zu signalisieren, dass sie wieder für eine neue Beziehung bereit wären. Ich telefonierte mich durchs Sauerland, befragte Seniorinnen aus der Verwandtschaft und gab die Erkenntnisse weiter. Nun gibt es das Buch zu kaufen: Saša Stanišić – Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne
Auf der Lauer | A propos Sauerland: Dort geschehen seltsame Dinge. Eine der besagten Witwen, die ich in der Gießkannensache kontaktierte, beobachtet Seltsames am Grab ihres Gatten. Immer wieder findet sich dort eine tiefrote Rose. Niemand weiß, wer sie dort ablegt. Von ihr ist sie nicht, von den Kindern auch nicht, nicht von den Enkelkindern, und die Schwiegertochter weiß auch von nichts. Vertut sich hier jemand im Grab? Es handelt sich um einen Friedwald, da kann man schonmal den falschen Baum erwischen. Oder ist es eine posthume Liebesbekundung?
Wir haben gemeinsam überlegt, wie wir das herausfinden können. Möglichkeit Eins: Wir graben uns eine Stellung, legen uns in Flecktarn auf die Lauer, bedecken uns mit Laub und warten. Möglichkeit Zwei: eine Wildtierkamera. Ich habe mich informiert: Ein mittelgutes Gerät hat einen Nachtsichtmodus, bis zu 23 Meter Reichweite und man bekommt es bereits ab 69 Euro – das sollte die Sache wert sein!
Fraglich ist nur, wie wir sie angebracht bekommen. Die Friefhofs-Facilty-Management ist sehr aufmerksam. Es darf nichts festgebunden oder abgelegt werden, was nicht verrottet. Entweder schleichen wir uns also nachts auf den Friedhof, eine Leiter über der Schulter, klettern zum Baum hinauf und bringen die Kamera an. Oder aber – auffällig ist am unauffälligsten – wir kleiden uns in Latzhose und Fleecepulli, legen uns eine Heckenschere und eine Harken in eine Schubkarre (und natürlich die Wildtierkamera) und machen es am hellichten Tag.
Schweine | Die Schweine sind wohlauf. Den ersten Schnee haben sie gut überstanden; sie zogen es vor, im warmen Stroh zu kuscheln. Ein seltener Moment der Dynamik:
Für die ganz kalten Nächte haben sie eine extra dicke Strohschicht im Stall, außerm eine leichte Wärmelampe. Sie macht nicht viel Wärme, aber hält die Tenmperaturen über Null. Gefühlt fressen sie auch das doppelte an Heu, wenn es so kalt ist.
Und sonst | Eine Impression vom Bahnhof Duisburg, die ich Ihnen nicht voranthalten möchte: Die Farben, die Tristesse und wie es eimerweise vom Dach auf die Gleise regnet – dieser Bahnhof ist einfach eine Komposition.