Urlaub, Tag 2 – Der Regen über San Pellegrino
Regen und ein warmer Herd | Ich erwache auf meiner Empore. Es ist kalt. Ich klettere hinunter. Das Thermometer im Wohnraum zeigt sechzehn Grad.
Es gibt eine Heizung, aber die Hitze steigt auf und sammelt sich auf der Schlaf-Empore. Dann ist es zwar warm, aber ich werde auf eine unschöne Weise gebraten. Also lasse ich alles, wie es ist, fülle nur meine Wärmflasche neu, steige wieder hinauf und krieche unter meine Decke.
Ich brauche etwas, um mich an diesen Umstand zu gewöhnen: zu erwachen und nicht aufstehen zu müssen, mich wieder hinlegen zu können. Mein Körper ist noch auf Arbeit programmiert; er erwacht frph, und mein Kopf beschäftigt sich sofort mit dem, was getan werden muss. Aber es muss nichts getan werden. Es ist nicht einmal hell draußen. Ich nicke noch einmal ein.
Später frühstücke ich ausgiebig und arbeite noch ein wenig: E-Mails schreiben, Dinge abschließen, sie gut übergeben, Rechnungen rausschicken. Die Abwesenheitsnotiz ist schon seit drei Tagen drin, aber ein paar Antworten braucht es doch.
Es beginnt zu regnen. Schwer hängen die Wolken in den Bergen, umhüllen die Hütte. Es schüttet aus Kübeln.
Ich genieße das Wetter, das Verdammtsein zum Nichtstun, das Nicht-Rausgehenkönnen, das Prasseln des Regens als einziges Geräusch hier oben.
Später am Nachmittag klart es noch einmal auf. Ich schnüre meine Wanderschuhe und gehe in jede Richtung: den Berg hinauf, den Berg hinunter, links am Berg entlang, rechts am Berg entlang.
Der Weg nach oben führt durch dichten Wald. Es ist rutschig. Zwei Salamander, schwarz-gelb, kriechen durch Laub und Efeu.
Als es nebliger wird, drehe ich um und gehe in die andere Richtung. Der Matsch klebt lehmig an den Schuhen. Ich hebe einen dicken Ast auf und nutze ihn als Stock.
Auf der anderen Seite öffnet sich bald die Landschaft. Über eine saftige Wiese führt ein Weg den Hang entlang. Es gebe hier viele Rehe, sagt meine Gastgeberin Elisabetta, aber man sehe sie nur am Abend.
Den Berg hinab in einer Kurve steht eine Kirche, die Chiesa di San Michele, die Kirche des Erzengels Michael. Heute, am 29. September, ist Michaelistag. Paolo und Elisabetta haben deshalb ihr Haus geschmückt. Die Maronen, die wir gestern den Berg hinaufgefahren haben, werden am Sonntag im Feuer geröstet – ein kleines Fest.
Sowohl oberhalb als auch unterhalb der Hütte gibt es Wanderwege: eine halbe Stunde hinauf auf den Pizzo Cerro, vierzig Minuten bis nach Vettarola, eineinhalb Stunden bis zum nächsten rifugio. Auf der Wiese ein alter Mann mit Hirtenstock und zwei Hunden. „Salve!“ ruft er, und pfeift gleichzeitig seine Hunde zurück.
Ich stehe im Wald und tausche Sprachnachrichten mit Beutekind III aus. Alles wird erfragt. Ich schicke ein Video des Salamanders, ein Foto meines Bettes. Noch einen Tag Schule, dann sind Herbstferien.
Der Weg nach Hause führt den Berg hoch. Der Berg kann hier sehr steil sein.
Als ich oben bin, kommt noch einmal die Sonne heraus. Ich lehne meinen Stock ans Haus und ziehe die Schuhe aus. Sie sind noch immer voller Erdklumpen. Als ich gerade die Tür schließen möchte, kommt Paolo den Weg hinauf. Ich höre seinen Jeep, höre, wie die Steine unter den Reifen wegspringen. Er müsse heute Abend kurz die Heizung durchbürsten, sagt er, ich solle mich darauf einrichten, dass es einen Moment lang kalt bleibe. Hier wird mit Pellets geheizt, in Säcken liegen sie in der Garage.
Am Abend gehe ich auf einen Kaffee zu den beiden runter, sie haben mich eingeladen. Es ist gemütlich in der kleinen Küche, die sie mit einem Holzofen beheizen. Paolo und Elisabetta erzählen, wie sie das Haus gekauft und hergerichtet haben. Bis in die Siebziger Jahre haben hier Bauern gewohnt; sie hatten Vieh auf den Weiden und bewirtschafteten das Land. Danach stand es mehr als dreißig Jahre lang leer. Paolo und Elisabetta kauften es mitsamt dem Wald, der sich anschließt.
In ebendiesen Wald hinter dem Haus ging Paolo auch, um Bauholz für seine Hütte zu schlagen; alles, was in meinem Wohnraum ist, einschließlich der Empore, stammt aus diesem Wald. Wo ich heute wohne, war nichts als Ruine. Fast jeden Tag fuhr Paolo nach der Arbeit auf den Berg, um hier zu arbeiten; damals waren die beiden noch nicht in Rente. Wir schauen uns alte Bilder an.
Sie sind besorgt um mich, den morgen sind sie den ganzen Tag nicht da, und ich bin alleine hier. Viermal, nein, sechsmal fragen sie nach, ob das auch wirklich in Ordnung für mich sei, ob ich noch etwas brauche. „Es wird morgen regnen, wir werden bestimmt nicht bis in den späten Abend fort bleiben.“ Und: „Wir haben ein Handy dabei! Wenn etwas ist, ruf uns an.“ Sie zeigen mir, wo sie den Schlüssel zu ihren Räumlichkeiten deponieren, damit ich mir jederzeit holen kann, was fehlen sollte. Ich beteuere mehrmals, dass nichts fehlt und dass alles gut sei, tutto bene, aber sie sind skeptisch.
Am Samstag, sagt Elisabetta, sei sie den ganzen Tag zu Hause, dann werde sie, wenn ich wolle, Polenta für mich kochen, polenta bergamascha mit Käse aus der Region. Drei bis vier Stunden müsse sie auf dem Herd stehen und garen. Ich könne nicht fahren, ohne Polenta gegessen zu haben, auf keinen Fall. Wir machen aus, dass ich am Samstag nach Bergamo fahre und Paolo mich am Abend wieder in La Vetta abholt, Shuttle Service im Jeep. „Lass dir Zeit, ruf uns einfach an, wenn du in Bergamo losfährst. Und iss nichts zu Abend!“
Als ich später wieder auf meine Schlaf-Empore klettere, ruft in der Ferne ein Käuzchen. Sonst ist es still.