Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Lebenslage«

Völlige Vorsatzfreiheit

30. 12. 2010  •  39 Kommentare

Am beliebtesten ist ja der Vorsatz: Ich will abnehmen.

Besonders unter Frauen. Und dabei besonders unter jenen Frauen, die nichts mehr abzunehmen haben, die nur meinen, sie trügen, auch wenn sie nichts mehr tragen, Reiterhosen – die jetzt auch endlich ausgezogen werden müssen.

Wissen Sie, ich bin nicht unförmig. Nicht, wenn Sie Unförmigkeit als eine völlige Konturenlosigkeit, als ein Überschwappen aus dem eigenen Körper definieren. Bei mir ist alles am Platz. Es hängt vielleicht etwas tief, aber herrgott, immerhin hängt es noch, stolz und leidlich straff, und baumelt noch nicht wie eine Mandarine im Strumpf.

Ich bin also soweit okay, nur, kämen schlechte Zeiten, könnte ich mich eine Weile aus mich selbst heraus ernähren. Ich wäre für zwei Monate mein eigenes Futtersilo. Das hat etwas für sich, denn, sehen wir es einmal so: Selbst wenn ich wollte – ich könnte meine Kekse in dem Fall gar nicht mit anderen teilen.

Deshalb habe ich zum kommenden Jahreswechsel keine Vorsätze.
Auch nicht, abzunehmen.

Die Haustierfrage

28. 12. 2010  •  51 Kommentare

Ich könnte mir ein Haustier anschaffen.
Damit sich jemand auf mich freut, wenn ich heim komme.

Großtiere kommen allerdings nicht in Frage. Sie fressen zu viel, und wenn sie erkranken, dann an Riesentumoren, die Tierarztkosten im Umfang eines Einfamilienhauses verursachen.

Vielleicht ein Hund, ein kleiner. Mit dem ich gut in die Ecken komme. Allerdings: dieses Unterwürfige. Und das Gassigehen – hier in der Stadt mit Plastiktüte, um die Häufchen einzupacken und sie bis zum nächsten Papierkorb rhythmisch neben dem Körper zu schlenkern. Das kommt nicht in Frage.

Vielleicht eine Katze. Katzen sind reinlich. Aber ich könnte sie nicht hinaus schicken, in den Wald, zum Spielen und Toben. Denn hier gibt es keinen Wald. Hier ist Ruhrgebiet-City. Hier gibt es nicht einmal einen Baum. Vielleicht einen Kratzbaum, in meiner Wohnung – den könnte ich ihr kaufen. Aber Menschen, die Kratzbäume gestalten, gestalten auch Zimmerspringbrunnen und Porzellanbabypuppen. Ein Design-Armageddon.

Vielleicht ein Fisch. Na gut – so ein Fisch ist natürlich wenig empathisch, gibt nicht so viel zurück. Ein Fisch ist auch eher ein Einmalkuschler: einmal liebevoll beim DVD-Abend bekuschelt, in trauter Zweisamkeit auf dem Sofa, macht er gleich den Schirm zu, der kleine Asthmatiker. Aber es gibt Steine, die man ins Aquarium legt und die über Wochen Futter abgeben. Braucht man sonst nix machen. Tolle Sache.

„Ich hatte auch mal ein Haustier“, erzählt die Freundin. „Damals, als ich noch nicht mit Ette zusammen war. Ein Meerschwein. Als es dann starb, habe ich eine Woche später gleich einen Typen kennengelernt.“

Ich brauche also ein kurzlebiges Tier.
Hausmaus. Fliege.

Genau. Das isses.

Briefe zur Lage

2. 12. 2010  •  46 Kommentare

#1
Liebe Blogleser,
die Aktion „Silikonfreies Shampoo“ läuft und lässt sich gut an. Außerdem hat mein Finger seine Anmutung von „Forelle blau“ zu einem lebhaften Stiefmütterchenlila geändert. Bewegungsradius zufriedenstellend.

#2
Liebe Verwandtschaft, liebe Menschen,
dass ich jetzt alleine wohne, heißt nicht, dass ich vereinsamt, sozial degeneriert und selbstmordgefährdet bin. Auch nicht an Weihnachten.  Eine Frau über 30 kann durchaus alleine wohnen, ohne einer pathologischen Leidenschaft für haarende Perserkatzen anheim zu fallen oder weinend eine Strichliste über die Anzahl ihrer Eizellen zu führen, die jeden Monat ungenutzt sterben.

#3
Liebes Küchenstudio,
ich bestätige hiermit Ihr Angebot, meine Küche erst am 17. Dezember aufzubauen. Das ging ja gar nicht mal so schnell mit dem Termin, herzlichen Dank für Ihre umtriebigen Bemühungen! Ich überlege jedoch, den Aufbau sogar auf den Januar zu verschieben, denn am Freitag erhalte ich bei Herrn Nessy Hühnchen in Honig-Zitronen-Sauce, am Samstag bei der Kollegin Pasta mit Gambas und am Sonntag Kuchen und Gebäck bei der Lieblingstante. Um zusätzliche Einladungen zu provozieren, wäre ein weiterer Verzug von Vorteil. Bitte prüfen Sie Ihre Möglichkeiten im Sinne der Kundenzufriedenheit.

#4
Liebes Christkind,
ich wünsche mir, dass Mutti und Vati, Vatis Schnalle, Unsaomma und die Tante es einmal schaffen, Weihnachten gemeinsam zu feiern, damit ich nicht von Tisch zu Tisch und von Stadt zu Stadt hetzen muss.  Ich bin nur ein kleines Mädchen und kann nichts dafür, dass sie sich nicht vertragen. Außerdem wünsche ich mir Hello-Kitty-Bettwäsche (155×220) und einen dünnen Bauch.

Herzlichst,
Ihre Frau Nessy

Carmen

14. 11. 2010  •  13 Kommentare

Am Samstag auf der A40:

Schon erstaunlich, wie viel Wasser auf eine dreispurige Autobahn passt.
Gut, dass ich hoch saß.

Das normale Leben

4. 11. 2010  •  42 Kommentare

Sie wissen ungefähr, liebe Kännchengäste, wie ich wohne:
Ketchup-Kinder, Inspektoren, Einszehn und Franco Gelatti. Der Stadtplaner würde sagen: gewachsenes Arbeiterviertel mit prekärem Milieu. Das Konzentrat dieses Milieus, die ganz prekären, die kein Auto haben, fährt mit mir im Bus; die Busse sind sozusagen der soziale Sirup des Arbeiterviertels. Deshalb kann ich auch so viel bloggen.

Weil ich hier wohne, wo ich wohne, dachte ich immer, ich würde es kennen, das normale Leben –

bis ich heute um 19 Uhr eine Kleinanzeige ins Netz stelle mit dem Titel: „Küche zu verschenken.“ Meine Küche ist ein klappriges Ding, ich habe sie vom Vormieter geschenkt bekommen und hätte keinen Cent dafür bezahlt. Nun, ein paar Wochen nach meinem Umzug und entsprechender Lieferzeit, gibt’s eine neue, und naja, vielleicht räumt mir ja jemand die alte aus der Bude. Dann muss ich sie nicht zum Sperrmüll fahren. Studenten können ja immer alles gebrauchen – erste Butze, keine Kohle auf der Tasche, aber gute Ideen, wie man Hässliches noch schön machen kann. Ein oder zwei werden sich schon melden, wenn ich Glück habe, denke ich, und mir das Holz raustragen (Kühlschrank und Herd behalte ich).

Ich mache also Fotos und beschreibe die Möbel. Ohne Beschönigung. Soll ja keiner die Katze im Sack kriegen. Außerdem habe ich ja nix davon, wenn die Leute kommen, das Zeug sehen und rückwärts wieder rausgehen.

Inzwischen, nur vier Stunden später, habe ich 42 E-Mails. 42 Interessenten für Sperrmüll. Ohne Elektrogeräte. Das sind 10,5 pro Stunde oder alle 5,7 Minuten einer. Nur zwei der Absender sind Studenten, der Rest (sinngemäß):

„… über einen Rückruf freuen sich Martina*, Laura und Cedric.“

„… für meine Freundin, die alleinerziehend ist und grad nichts hat (leider auch  kein Internet). Deshalb bitte Rückruf an …“

„… wir würden auch noch etwas dafür geben und holen die Möbel sofort ab, wann immer Sie mögen. Tanja mit Jana, Sofia und Max.“

„… schaue mir am Samstag eine Wohnung an, leider ohne Küche. Beziehe Hartz4. Bitte, bitte reservieren Sie bis Samstag!!“

„… komme gerade aus dem Frauenhaus, habe ein Kind und kein Geld. Wäre toll, wenn die Küche noch da ist. Wann kann ich sie mir ansehen?“

„… habe 2 Kinder, aber leider sehr wenig Geld und kann nichts dafür zahlen. Die Küche ist hoffentlich noch da?? Hatte bislang immer Pech.“

„… fehlen unserer Familie die finanziellen Mittel für eine schöne Küche und würden die Möbel jederzeit abholen.“

„… da ich und meine Kinder leider sehr wenig Geld haben. Bitte sagen Sie Bescheid, auch wenn die Küche schon weg ist. Petra, Dominik und Alina.“

So. Jetzt suchen Sie sich von denen oder den 34 anderen mal einen aus.
(Und während ich das schreibe, kommen die Mails 43, 44, und 45.)

Im Untergrund

24. 10. 2010  •  18 Kommentare

Verdammt. Ich höre das Piepen. Renne die Treppen hinunter. Zwei Stufen auf einmal. Höre das satte Schmatzen das Türen. Das Fiepen, wenn die Bahn anfährt. Das Surren der Elektronik. Das Rollen der Räder auf den Schienen.

Ich habe verloren. Der Bahnsteig ist menschenleer. Alle sind  mit meiner verpassten Gelegenheit fort. Auf den nassen, braunen Fliesen spiegeln sich die Deckenlichter. Auf der Anzeigetafel: 19 Minuten bis zur nächsten Bahn.

„Scheiße, ey, 19 Minuten!“, murmle ich.

Aus dem Schatten einer Säule löst sich mit einem Schlappschlapp eine kleine, dicke Gestalt in einem weißblauen Kittel und einem schwarzen Kopftuch. Sie trägt Gesundheitspuschen mit Glitzerriemchen und zieht einen Wischmopp hinter sich her.

„Machst du dir keine Sorgen. Kommt in 10 Minuten.“

„Nee, 19. Dort oben steht: 19.“

„Ich weiß besser. Ich immer hier.“

Vielleicht ist es, weil ich in den Untergrund hinabgestiegen bin, um ihr zu begegnen. Vielleicht sind es ihre knubbelige Nase und die dunklen Augen. Aber ich fühle mich wie Ronja Räubertochter, die auf einen Rumpelgnom trifft.

Die U-Bahnzwergin taucht den Mopp in einen Eimer, wringt ihn aus und feudelt mit routinierten Schwüngen über den Boden. „Schaust du: Ist Wochenende. An Wochenende macht Anzeigetafel frei.“

„Sie aber nicht“, stelle ich fest.

„Ich mache sauber.“

„Danke“, sage ich. „Und für die Auskunft auch.“ Ich wende mich zum Gehen.

„Viele sind so -„, sie unterbricht das Wischen, lehnt den Stiel des Mopps gegen ihr Schlüsselbein und zieht mit beiden Zeigefingern ihre Mundwinkel herunter, „und haben nie Zeit. Du bist so-„, sie nimmt Daumen und Zeigefinger einer Hand, hebt ihre Mundwinkel an und drückt sich die andere Hand auf die Brust, “ und hast Zeit in dir. Du bist gutes Mädchen mit große Herz.“

Ich lächle. Im Weggehen drehe ich mich noch einmal zu ihr um und winke. Sie winkt zurück.

Die Bahn kommt nach zehn Minuten.

Liebe Kinder,

22. 10. 2010  •  56 Kommentare

in der Schule habt Ihr Euch bestimmt schon oft gefragt:
„Was soll der Stuss? Diesen Quatsch brauche ich eh nie wieder.“

Früher haben wir dann immer unter dem Tisch die Bravo aufgeschlagen und uns sinnvoller Lektüre gewidmet, im Speziellen den mittleren Seiten, auf denen wir mehr fürs Leben lernten, als der Wollunterwäschenträger dort vorne an der Tafel jemals würde rüberbringen können. Was Ihr heute tut, weiß ich nicht, aber sicher etwas ähnliches, vielleicht in elektronisch. Insbesondere den Sprachbegabten unter Euch ist es bestimmt sehr schleierhaft, wofür all der Zahlenkrams notwendig sein soll, den dieser mit Kreidestaub eingebleichte Frühpensionär von Mathelehrer regelmäßig vortanzt. Dreisatz, okay, dafür findet man im Supermarkt noch eine Anwendung: Ein Liter Smirnoff für 5,99, oder zweimal anderthalb Liter Rotwein im Tetra für 3,99 – wovon werde ich effektiver besoffen? Aber Prozentrechnen und Zinseszins – Humbug für alle, die sich und ihre Zukunft nicht als schlipstragende Spätkonfirmanden in der Volksbank sehen, deren Gestus traditionell einen derartigen Frohsinn signalisiert, als wollten sie sich gleich hier und jetzt an der flackernden Deckenbeleuchtung aufknüpfen.

Wenn Ihr die Schule dann hinter Euch habt, geht es genauso weiter. Ihr geht zur Uni, und obwohl Ihr Euch jetzt lerntechnisch auf Fächer beschränkt, die Euch interessieren (zumindest mehr als andere, es sei denn, Mutti hat Euch dazu genötigt, etwas „Anständiges“ zu studieren wie Jura oder BWL oder zumindest Lehramt, was zwar eher angeschimmelt als schillernd ist, außerdem tragt Ihr keine Wollunterwäsche, aber immerhin noch eine Beamtenpension garantiert), quatscht der komische Kauz dort unten im Hörsaal unfassbar viel sinnloses Zeug. Außerdem habt Ihr Kopfschmerzen von gestern abend, als es auf der SpoWi-Party ein bisschen spät wurde, aber als Mitglied des Fachschaftsrates hat man halt gesellschaftliche Verpflichtungen, gerade interdisziplinär, das ist wichtig. Ihr schlagt dann die NEON auf oder surft im Internet, vielleicht legt Ihr auch den Kopf auf den Klapptisch und lasst Euch ein bisschen treiben – in der Uni fällt das ja alles zum Glück nicht mehr so auf oder wird dankbar ignoriert. Die Multiple-Choice-Klausur kriegt Ihr auch so irgendwie hin, schließlich könnt Ihr die Unterlagen mit in die Prüfung nehmen, und ein bisschen Transferleistung ist immer drin, vorausgesetzt, man ist nüchtern.

Ihr bringt also irgendwie Euer Studium rum und zu Eurer eigenen Verblüffung ist das Ergebnis gar nicht so schlecht. Wie es dazu kommt, könnt Ihr Euch selbst nicht erklären, schon gar nicht, dass Ihr mit der Zeit sogar so eine Art Freude am Studieren entwickelt habt. Ich meine jetzt nicht am Drumherum, sondern wirklich am Studium, am Fach, an der Sache, am Inhalt. Aus einem Anflug von Wahnsinn heraus oder weil Euch grad nicht Besseres einfällt, vielleicht, weil Ihr denkt „Auf dem Klingelschild macht sich das bestimmt super“ oder „Damit krieg‘ ich Weiber wie ein Tortenboden Erdbeeren“, entschließt Ihr Euch in einem Moment debilen Irrsinns, eine Doktorarbeit zu beginnen. Und jetzt kommen wir zum Kern meiner Ansprache, zum Epizentrum dieser flammenden Rede – wenn Ihr im Zuge dieses Vorhabens nun, mehr als 20 Jahre nach Eurer Einschulung und circa 30 Fachschaftspartys nach der Erstsemestervorlesung, am Schreibtisch sitzt und Eure Ergüsse verfasst, dann erkennt Ihr,

dass Ihr diesen ganzen Scheiß tatsächlich nochmal braucht!

Merkt Euch das. Und lernt schön.

„Männer“, sagt die Kollegin und legt los.

20. 10. 2010  •  59 Kommentare

Die Kollegin und ich sitzen in der Kantine und unterhalten uns über Männer, während wir geschmackfreies Hackfleisch durch unsere Soßen schieben.

„Rufst du täglich an, bist du anstrengend. Rufst du nicht täglich an, fragen sie: ‚Vermisst du mich etwa nicht?‘ Hast Du Grips im Hirn, machst du ihnen Angst. Hast du keinen Grips, reicht’s immerhin fürs F/icken. Hast du eine eigene Meinung, bist du rechthaberisch. Hast du keine eigene Meinung, bist du langweilig. Kommst du ihnen zu nah, denken sie, du bist eine Klette, willst ihre Junggesellenbude umdekorieren und ihnen im Anschluss fünf Blagen anhängen – gegen Gebühr. Drehst du dein eigenes Ding, weil du keine Klette sein willst, bist du zu selbstbewusst, zu unkontrollierbar und emotional keine Investition wert. Und reden tun sie über all das sowieso nie.

Männer unter 30 kannst du vergessen“, beendet die Kollegin ihre Überlegungen und führt dabei ein fades Frikadellenfragment über ihren Teller spazieren. „Die verhalten sich völlig bizzar.“

„Und über 30?“

„Da“, sagt sie und legt resolut die Gabel beiseite,  „verfestigen sich diese Verhaltensweisen. Und werden in linearer Abhängigkeit zu den Lebensjahren immer stärker. Zusätzlich zum beginnenden Starrsinn und einsetzender Alterssichtigkeit.“

Dann ist ja alles wunderbar. Man muss es nur wissen.

Mein Damenhämmerchen

13. 10. 2010  •  67 Kommentare

Damenhämmerchen

Mein Verhältnis zu Werkzeugen ist gespalten. Ich bin in dieser Hinsicht nämlich völlig unemanzipiert. Werkzeuge – das ist meine Meinung – gehören in die Hand eines kundigen Mannes, der mit der richtigen Mischung aus Muskelkraft und Feingefühl Bohrer in Rigips treibt und Wände mit dem Vorschlaghammer einreißt.

Natürlich treten manchmal Notfälle ein, in denen ich Werkzeug in die Hand nehmen muss; insbesondere dann, wenn weder Herr Nessy noch der Nessyvater – die ersten Ansprechpartner in handwerklichen Belangen – vor Ort sind. Für diese Situationen besitze ich spezielles Damenwerkzeug, das in Sachen Gewicht, Eleganz und Handhabkarkeit einfach nur schön ist.

Seit dem Wochenende ist darunter auch das Damenhämmerchen „Binford 1500“, ein Fliesenhammer, den ich zu Höherem berufen habe. Damit schlage ich mir nicht selbst auf die Finger, und wenn doch, ist es nicht so schlimm.

Begegnung im Bus

6. 10. 2010  •  32 Kommentare

Bus 720 von der Arbeit nach Hause. Die Plätze sind gut besetzt, die Luft ist verbraucht. Ich setze mich neben eine kleine Frau mit dunklen Augen und einem Kopftuch, wie die Mütter der 50er es bei der Hausarbeit trugen.

Der Bus fährt an, ich nehme meinen iPod und schaue einen Film über Betül Durmas, eine türkischstämmige Lehrerin, die an einer Förderschule viele Migrantenkinder betreut. Eine feine Reportage mit leisen Zwischentönen und guter Beobachtung, aber auch eine, die Herrn Sarazzin Recht geben würde.

Die kleine Frau neben mir hebt einen ihrer kleinen Finger und zeigt auf das Bild: „Ist das Fernsehen?“ fragt sie.

„Ja. Nur nicht live. Aufgenommen.“

„Aaaaaaaaaah.“ Sie nickt wissend. „Könnte ich auch gebrauchen“, sagt sie. „Fahre ich jeden Tag zu Burger King mit Bus. Ist 45 Minuten.“

„Arbeiten sie dort?“ frage ich.

„Ja, mache ich Kasse.“ Sie lächelt mich an. Um ihre Augen lachen ein paar Fältchen mit. Sie ist vielleicht 45, 50 Jahre alt. Ihre Haut ist dunkler als meine, capuccinofarben.

„Gehen Sie noch Uni?“ fragt sie.

„Nein“, sage ich. „Ich komme von der Arbeit.“

„Meine zwei Tochter gehen Uni. Die Große macht die Wirtschaft. Die Kleine macht die Jura.“ Sie blickt mich versonnen an und lächelt wieder, aber diesmal ist es ein anderes Lächeln, kein Anlächeln, sondern ein Für-sich-selbst-Lächeln. Sie selbst, sagt sie, habe nicht studieren können. „Nur VHS.“

„Sie sind sicher stolz auf Ihre Töchter“, sage ich und denke: Ausgerechnet jetzt diese Begegnung, während ich diese Doku schaue. Der Zufall ist ein Antagonist.

„Jaaaa“, sie zieht das Wort und wiegt den Kopf, „die Große hatte am Anfang von ihre Studien noch Sehnsucht nach Frankfurt. Weil – kommen wir aus Frankfurt. Mein Mann hat dort gearbeitet bei Versandhandel, und ich auch. Habe genommen Blusen und BHs und in Regale geräumt und mit Etiketten. Dann vor fünf Jahren sind wir hierher. Hat mein Mann neue Arbeit gefunden und ich auch.“

Ich frage sie, was ihr Mann arbeite.

„Mein Mann macht Koch. In deutsche Küche. Mit Schnitzel und Kloß und dieses.“ Sie lacht. „Auch immer zu Hause. Ich: nicht kochen. Nur unsere traditionellen Gerichte. Die koche ich.“

Sie erzählt mir, dass sie aus Sri Lanka komme. Ich erwidere, dass dort das Essen bestimmt sehr scharf sei. Daraufhin glänzen ihre Augen, als habe sie sich eine Chilischote hineingerieben.

„Jaaaaaa!“ sagt sie inbrünstig. „Aber Burger King macht auch mit Jalapeno.“

„Schon“, sage ich, „aber das ist dort nicht scharf.“

Ihre Mundwinkel erreichen fast ihre Ohren, als ich das sage. „Sage ich auch immer! Du könntest essen meine Essen!“ Sie streichelt mir mütterlich den Arm und kneift liebevoll hinein.

Der Bus biegt um die Ecke, und ich sage ihr, dass ich aussteigen müsse. „Wünsche ich dir viele Glück für deine Zukunft“, sagt sie, nimmt mich in ihre kleinen Arme und drückt mich. Ich drücke zurück, steige aus und fühle mich wunderbar gut.



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