In der vergangenen Woche reiste ich nach Dangast.
Ich fuhr dorthin, um das Barcamp Dangast zu besuchen. Und um aufs Meer zu schauen.
Man munkelt über die Nordsee, dass sie oft nicht dort sei, wo sie sein sollte, besonders dann, wenn man sie braucht. Das kann ich so nicht bestätigen: Sie war stets zur Mittagszeit anwesend, wenngleich nur kurz.
Zum Ausgleich und für ein nichtsdestotrotz umfassendes Nordseegefühl sandte der Meeresgott große Mengen Regen und Wind. Das Wasser malte Rinnen und Furchen in den Sand, und als ich sicher war, dass aller Sand in den Jadebusen und von dort nach England und weiter nach Grönland und von dort nach Kanada fließen werde, hörte es auf zu regnen und die Sonne schien.
Am Donnerstag mietete ich mir ein Fahrrad und fuhr erst in die eine, dann in die andere Richtung, immer am Deich entlang. Am Deich entlangfahren ist wie schwimmen – zu Beginn sehr langweilig: Ich fuhr und fuhr, es ging geradeaus, Seeschwalben stürzten durch die Luft, der Deich war links, die Kühe waren rechts, es kam eine Biegung, und nach der Biegung ging es weiter geradeaus. Den Kühen folgte Mais, und dem Mais folgte Wiese. Der Deich blieb immer Deich, mal mit Schafen, mal ohne. Ich trat und trat, es nieselte weich in mein Gesicht, ich dachte nicht mehr ans Ziel, denn das Ziel war ohnehin willkürlich, und nach einer Zeit war es einfach nur schön. So wie beim Schwimmen, wenn man irgendwann vergisst, die Bahnen zu zählen.
Als ich keine Lust mehr hatte, den Deich links zu haben, drehte ich das Fahrrad um und fuhr wieder zurück. Das Seltsame war, dass ich, auch wenn der Deich nun rechts war, wieder Gegenwind hatte. „Mikroklima“, sagten mir die Einheimischen später. „Kannste nix machen.“
Ich fuhr zurück nach Dangast und noch ein Stück weiter, legte mich auf einen Steg in die Salzwiesen, drehte das Fahrrad wieder um, fuhr zurück und setzte mich an den Strand, trank Milchkaffee und Cola, und plötzlich war die Sonne wieder da.
Am Freitag begann das Barcamp.
Auf einem Barcamp treffen sich Menschen. Was sie dort machen, stimmen sie ab: Jeder kann ein Thema mitbringen, und wenn genug Leute sagen, dass sie das Thema interessant finden, sprechen sie eine Stunde lang darüber. Manchmal zeigt jemand etwas, manchmal stellt er eine Frage, und es gibt auch Leute, die nur zuhören.
Erstaunlicherweise ist immer ausreichend Interessantes dabei. Erstaunlicherweise sind die Menschen, die auf Barcamps gehen, sehr freundlich. Und erstaunlicherweise lerne ich immer etwas – meist über Dinge, von denen ich vorab noch nie etwas gehört habe. So war es auch diesmal.
Falls Ihnen diese Argumente nicht ausreichen, um das Barcamp in Dangast im kommenden Jahr zu besuchen: Die Aussicht aufs Meer war verdammt nicht übel.
Das auf dem Foto, genau auf zwölf Uhr, sind Frank und Djure. Sie haben das Barcamp moderiert.
Während meiner Zeit in Dangast wohnte ich übrigens in einer heimeligen Pension: ein altes Herrenhaus mit Kieseinfahrt und Bauerngarten, die Fassade mit Efeu berankt, das Haus von Bäumen umsäumt. Die Dielen knarzten. Die Decken waren hoch und die Türen schwer.
Die Freundlichkeit der Pensionswirtin zum Maßstab genommen, wird sie irgendwann in einer fernen Nacht, wenn das Meer gegen den Deich schwappt und sie ihre Gäste wieder einmal besonders hasst, während der Mond durch die Sprossenfenster scheint und der Wind die Bäume biegt, mit einer Axt durchs Haus gehen und jeden ihrer Besucher in einer einzigen, fließenden Bewegung im Schlaf enthaupten. Vielleicht.
Etwas anderes: Sonnenuntergang.
Wenn ich am Meer bin, denke ich jedesmal: Am Meer wohnen, das wäre schön. Vielleicht mache ich das eines Tages, an einem Ort, an dem es nicht nur Meer, sondern auch Berge gibt. Denn in den Bergen wohnen, das wäre auch schön.
Bis dahin fahre ich öfter mal hin, in die Berge und ans Meer.