Kleine Radreise | Die Idee zu Radreise hatte der Reiseleiter. Er meinte: Wir könnten doch mit den Kindern mal eine Mehrtagestour machen, so richtig mit Gepäck und Radfahren, das wäre eine tolle Sache. Dazu muss man sagen: Der Reiseleiter findet alles, was mit Radfahren zu tun hat, eine tolle Sache. Deshalb ist es wichtig, dererlei Vorschläge gut zu prüfen.
Ich prüfte den Vorschlag und fand ihn auch gut. Also fragten wir die Kinder, und die Kinder sagten: „Yeah!“ Der Reiseleiter plante, wir packten die Fahrräder und fuhren los.
Wir waren uns einig, dass die Kinder an die 60 Kilometer am Tag fahren können. Im vergangenen Jahr fuhren sie schon einmal 50, jetzt waren sie ein Jahr älter, das würde passen. Wir waren uns außerdem einig, dass es gleichmäßig auf der Strecke verteilte Incentives braucht: Eis, Seen, Spielplätze, Fährfahrten, Alpakas, Supermärkte mit Fantaverkauf (nicht nur für die Kinder; ich bin dahingehend auch sehr schlicht). Weil ich Erfahrung habe mit der Kalorienzufuhr in Ganztages-Trainingslagern, packte ich große Mengen an Proviant ein.
Bemerknisse:
- Dass man in den Niederlanden ist, merkt man – ganz ohne Schild – an den plötzlich gut markierten und asphaltierten Radwegen. Wenn der Asphalt in eine Schotterpiste übergeht, fährt man wieder aus den Niederlanden heraus.
- Dass man in den Niederlanden ist, merkt man auch, weil die Leute plötzlich freundlich grüßen – überholende und entgegenkommende Radfahrende, Menschen in Vorgärten. Hoi, goede reis!
- Die Albert Heijns auf der Strecke kennen uns jetzt mit Namen. Wir sind die, die morgens die Pizzaschnecken aus der Brötchentheke kaufen.
- So, wie Kinder einem beim Spazierengehen mit großem Talent vor den Füßen heraumlaufen, fahren sie einem bei Radreisen vor dem Rad herum.
- Auffahrunfälle sind unbedingt zu vermeiden, können aber passieren.
- Auch wenn man schon wenig an Zeugs einpackt, braucht man in Wirklichkeit immer noch weniger.
- Gegenwind ist Mist.
- Einer hat immer einen Platten.
Etappen | Insgesamt sind wir an vier Tagen etwa 190 Kilometer gefahren:
- von Haltern am See nach Bocholt, 63 Kilometer
- von Bocholt nach Ellecom bei Arnheim, 58 Kilometer; am Abend nochmal acht Kilometer zum Abendessen und zurück
- von Ellecom in den Burger’s Zoo, 30 Kilometer Hin- und Rückweg
- von Ellecom nach Elten, 31 Kilometer
… und von Elten mit dem Zug zurück nach Haltern am See.
Burger’s Zoo | Ziel der Reise war einerseits der Weg, also das Radreisen selbst. Andererseits war es der Burger’s Zoo in Arnheim. Anders als in anderen Zoos gibt es kaum Gehege. Stattdessen gibt es Themenwelten – ein Safarigelände, aus dem man von verschiedenen Aussichtspunkten aus hineinsehen kann, und mehrere riesige Hallen, in der die Tiere zusammenleben. Ich war dort vor vielen jahren schonmal und erinnerte mich, dass es mir sehr gefallen hatte.
Inzwischen ist es noch besser. Burger’s Busch, der tropische Regenwald:
In der Mangrovenhalle wurden wir von Schmetterlingen umfalltert, Manatis tauchten unter uns hindurch, Vögel flogen über unsere Köpfe hinweg, Winkerkrabben winkten uns. Das Korallenriff ist das größte Riff Europas; dort wird auch geforscht.
Wir kamen am morgen und blieben bis zum Abend, so viel gab es zu entdecken.
Sattelfolter | Vor der Radtour montierte ich einen neuen Sattel. Mein vorhandener Sattel schmerzte nach Justierung des Lenkers zwar nicht mehr so wie einst, aber ich dachte, ich könnte die Sache vielleicht noch etwas optimieren.
Ich fuhr in ein Fahrradgeschäft und ließ mich vermessen. Die Beratung war mäßig. Der Verkäufer sprach immer wieder vom Sitzhöckerabstand und ignorierte, dass nicht meine Sitzhöcker schmerzten, sondern die Weichteile weiter vorne: Labien und Scham. Das sagte ich sehr eindeutig, es fielen die Worte „Vulva“, „Schamlippen“ und „Klitoris“. Die Worte brachte den Verkäufer in Verlegenheit; er errötete und ging nicht darauf ein. Vielmehr nuschelte er, dass – rein satteltechnisch – Männer und Frauen „untenrum gleich sind“. Am Ende kaufte ich einen SQlab-Sattel – mit der Option, ihn wieder umtauschen zu können.
Nach fünfzig Kilometern stellten sich die ersten Leiden ein, nach achtzig Kilometer pflegte ich sehr konkrete Gewaltfantasien gegen den Verkäufer. Während ich auf meinen schmerzenden Weichteilen ritt, stellte ich mir vor, wie ich nach meiner Rückkehr in den Fahrradladen fahren würde, wie ich den Verkäufer beim Kragen packen, wie ich sein Gesicht ganz nah an meines ziehen und ihm mit warmem Atem zuflüstern würde, dass! Er! Den Sattel! zurücknehmen würde! Über jede schmerzende Stelle, über die Sitzhöcker (die schmerzten jetzt auch) den Damm, die Labien, die Klitoris, das Schambein, die Rückseite der Oberschenkel würde ich zehn Minuten sprechen; eine Stunde lang würde ich ihn mit auf meinen Leidensweg nehmen. Ich würde beschreiben, wo der Sattel drückt und scheuert, wie der Damm erst schmerzt, wie danach alles ertaubt, wie die Taubheit zu brennen beginnt, wie der Sattel sich hineinbohrt, wie er zerquetscht und zerfleischt, wie jede Bodenwelle die Weichteile zerhackt, wie der Sattel die Leisten zerreibt und wie er die Labien zermalmt. Der Verkäufer würde sich alles anhören müssen, jeden Kilometer meines Schmerzes, mit meiner Hand an seinem Kragen. Würde der Verkäufer Luft holen, um zu widersprechen, würde ich ihn hundertmal schreiben lassen: „Frauen und Männer sind nicht untenrum gleich.“ Mit schmerzendem Schritt trampelte ich durch die Felder Gelderns, während ich das dachte, und fühlte mich ein bisschen besser.
Natürlich tat ich das alles nicht. Stattdessen fuhr ich in den Fahrradladen und bat höflich, von meinem Umtauschrecht Gebrauch machen zu dürfen. Ich wurde den Foltersattel wieder los und bekam einen Gutschein.
Auf der Fahrradreise opferte sich der Reiseleiter und tauschte unsere Sättel. Nach 120 Kilometern konnter er sich mein Gemaule nicht mehr anhören. Ich durfte auf seinem Sattel fahren (eine Wohltat!), er nahm meinen. Meine Stimmung stieg augenblicklich.
Zuhause angekommen, habe ich sofort meinen alten Sattel von Terry wieder montiert. Ich liebe ihn jetzt. Es ist alles eine Frage der Perspektive.
Gelesen | Stine Pilgaard: Meter pro Sekunde, aus dem Dänischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Für mich war das Buch ein Pageturner, ich kann aber nicht genau sagen, warum. Denn es passiert eigentlich nichts. Eine junge Mutter zieht mit ihrem Mann nach Westjütland, ins Land der einsilbigen Menschen. Ihr Sohn schläft wenig, sie selbst spricht gerne und offen – aber niemand will mit ihr reden. Sie wird Kummerkasten-Redakteurin bei der örtlichen Zeitung. Es ist die Geschichte eines rauen Miteinanders, einer zarten Entwicklung und scharfzüngiger Kummerkastentexte. Die Kapitel sind kurz, und immer dachte ich: Ach, eins noch. So hatte ich das Buch in zwei Tagen durch.
Gelesen | Thorsten Pilz: Weite Sicht. Vier Frauen, vier Leben: Charlottes Mann stirbt, und plötzlich sind da neue Perspektiven. Ihre Schwester Gesine schlingert und braucht Hilfe. Plötzlich taucht Charlottes alte Freundin Bente auf. Und auch Sabine, die Ziehschwester von Gesine und Charlotte, löst sich aus alten Fesseln. Vom Grundgedanken her ein gutes Buches, allerdings wirkt die Erzählung auf mich überladen: Die Menge an Krankheit, Tod und Verdrängung, Geheimnissen und emotionaler Verstrickung erscheit mir deutlich zu groß. Den Figuren bin ich deshalb nicht richtig nahe gekommen.
Schweinebild des Tages | Die Schweine haben meinen Vater in ihr Schweineherz geschlossen. Er hat sich während der Radreise um sie gekümmert.
Kommentare
4 Antworten: Bestellung aufgeben ⇓
Hallo Vanessa, die schlechte Erfahrung mit SQlab ist natürlich blöd, aber meiner Erfahrung nach haben die Fahrradhändler nicht das komplette Portfolio. Geh mal auf die HomePage von denen, die haben die passenden Sättel auch für dein Problem. Es gibt dort eine sehr große Auswahl, je nach Sitzposition, Art des Fahrrades etc. Mein Sattel von denen hat mir vor 15 Jahren wieder Spaß am Radfahren verschafft.
LG Birgit
Ich frage mich halt: Was ist der Benchmark? Gibt es einen Sattel, auf dem einem nach 60 Kilometern nicht langsam was weh tut? Vielleicht ist mein vorhandener Sattel ja schon ziemlich gut. Aber wie machen das dann Fahrerinnen, die 120 Kilometer fahren – und das jeden Tag über zwei Wochen?
Dass nicht das ganze Sortiment da ist, ist klar. Was mich sehr ärgert, ist die geringe Beratungskompetenz und -bereitschaft. Man könnte ja sagen: „Wir haben hier nur eine kleines Sortiment zur Auswahl, aber wir können für Sie bestellen, sagen Sie erstmal, wo es drückt. Ich frage anschließend auch eine Kollegin aus einer andere Filiale und unterbreite Ihnen danach Vorschläge. Soll ich Sie Ihnen per E-Mail zukommen lassen?“ Das hätte ich gut gefunden. So habe ich mein Fahrrad gekauft – online, weil es der stationäre Handel nicht hingekriegt hat. Ich habe geschildert, was ich mit dem Rad machen will, habe meine Gliedmaßen vermessen und erzählt, wo ich auf dem aktuellen Rad Probleme habe. Danach habe ich zwei Vorschläge bekommen, von dem mir einer besonders sinnvoll erschien. Mit dem Rad bin ich jetzt glücklich. Hätte mit dem Sattel auch so sein können; ich gebe für das Teil und die Beratung dann auch Geld aus, kein Thema.
https://www.bike24.de/radfahren/teile/fahrradsaettel/fahrradsaettel-damen#cms-content
Ich habe hier einen für mich guten Sattel bekommen. Und ja, es gibt Unterschiede zwischen Männern und Frauen. VerkäuferInnen in Fachgeschäften sind leider häufig nicht vom Fach, dafür wird der Job zu schlecht bezahlt.
Das sieht nach einer sehr, sehr guten Auswahl aus. Vielen Dank für den Link!