Escape-Game | Den Sonntag verbrachte ich mit der Kommunalwahl. Erst wählte ich, dann fuhr ich auszählen. Ich war fürs Briefwahlzentrum eingeteilt, und meine Stimmung war zunächst gedämpft. Ich rechnete mit einem langen Tag und hatte Ratschläge aus dem fernen Berlin befolgt, die mir nahe legten, mich selbst und meine Mit-Wahlhelfer:innen mit Kuchen zu versorgen. Das hebe die Stimmung und halte die Motivation hoch. Also buk ich Democracy Muffins mit Buttermilch-Fluff und Schokoraspeln.
Für 14:15 Uhr, so hieß es im Schreiben der Stadt, solle ich an den Westfalenhallen erscheinen, dann sei Einlass, #wegenderaktuellenSituation in Etappen. Zu meiner Freude hatte die Stadt nicht nur eine Messehalle gemietet, sondern vier. Es waren 2.000 Menschen bestellt, um die knapp 100.000 Briefe auszuzählen und das Drumherum zu managen.
Ich saß an einem Tisch mit zwangsrekrutierten Lehrer:innen. Wir verstanden uns auf Anhieb.
Wir stellten schon sehr früh fest, dass es sich bei der Briefwahlauszählung offensichtlich um so etwas wie ein Escape-Game handelte. Man muss es Koffer öffnen, der am Tisch steht, und erst wenn alle Rätsel gelöst sind, darf man wieder raus.
Zunächst arbeiteten wir Checklisten ab: Wir hakten ab, ob alles da war, einschließlich uns selbst. Dann begann das Escape-Game.
Rätsel I – Öffnen der Briefumschläge. Aufgabe: ungültige Briefe finden. Briefwahlbriefe sind ungültig, wenn der beiligende Wahlschein nicht unterschrieben ist, wenn die Wahlzettel sich nicht im blauen Umschlag befinden und noch aus zwei, drei Gründen mehr. Wir fanden vier ungültige Wahlbriefe, und hatten damit das erste Rätsel gelöst.
Die blauen Wahlbriefe werden gezählt, überhaupt wird immer alles gezählt, und es ist gut, wenn bei mehrmaligem Zählen dieselben Zahlen rauskommen.
Die Briefe mit den Stimmzetteln kamen danach in die Urne, und die Urne wurde versiegelt.
Rätsel II, 18 Uhr – Öffnen die blauen Wahlbriefe, ungültig ausgefüllte Stimmzettel finden. Stimmzettel sind ungültig, wenn der Wählerwille nicht erkennbar ist. Wir fanden einen Fall: von den vier Stimmzetteln (Oberbürgermeister:in, Rat, Bezirksvertretung, Ruhr-Parlament) waren zwei korrekt ausgefüllt, zwei weitere auf ganzer Länge durchgestrichen. Zweites Rätsel gelöst!
Rätsel III: Wie viele Menschen wollen wen zur Oberbürgermeisterin haben? Die Musiklehrerin gab den Takt vor, wir sortierten und zählten, zählten nochmal. Nach gelöstem Rätsel lief ich zur Schnellmeldestelle und gab das Ergebnis ab. Drittes Rätsel gelöst!
Rätsel IV: Wie viele Menschen haben welche Partei in den Rat gewählt? Wieder zählen, sicherheitshalber nochmal zählen, Schnellmeldung. Aber: Hindernis! Bei der Schnellmeldung stellte die Mitarbeiterin der Stadt fest, dass wir 301 gültige Stimmen haben, die Summe der Parteistimmen ergab aber nur 299. Ich lief wieder zurück zur Schriftführerin, großes Hallo! Sie hatte vergessen, zwei Stimmen auf den Schnellmeldezettel zu übertragen. Wir trugen sie nach, ich lief wieder zur Schnellmeldestelle. Viertes Rätsel gelöst!
Rätsel V: Wie viele Menschen haben welche Bezirksvertretung gewählt? Zählen, sicherheitshalber nochmal zählen, Schnellmeldung.
Rätsel VI: Wie viele Menschen haben welche Vertreter fürs Ruhr-Parlament gewählt? Zählen, sicherheitshalber nochmal zählen, Schnellmeldung. Sechstes Rätsel gelöst!
Jetzt mussten wir nur noch die Stimmzettel, sortiert nach Wahlen, in Boxen verpacken und die Boxen im Koffer verstauen. Tetris-Erfahrung half. Danach: Koffer schließen, versiegeln und Check-Out.
Erfolgreicher Escape um 20:30 Uhr!
Fazit: Kurzweilig. Man lernt neue Leute kennen. Teamplay und Sorgfalt sind wichtig. Ich kann das Game weiterempfehlen.
#serviceblog: Ergebnisse der Kommunalwahl in Dortmund
Neben mir haben noch weitere Menschen von den Service-Organisationen Ladies‘ Circle (da bin ich Mitglied) und Round Table Dortmund ausgezählt. Wir waren insgesamt 16 Leute und werden unser Erfrischunsgeld (16 mal 40 Euro) an das Kinderkrebsprojekt Fruchtalarm spenden.
Spurensuche | Den Samstag verbrachte ich mit Recherche zu meinem Buchprojekt „Käthe Paulus“, genauer gesagt mit dem Suchen nach Zusammenhängen. Denn Käthe Paulus hat ihre Erfindung, den Paketfallschirm, mit Beginn des Ersten Weltkriegs dem Preußischen Kriegsministerium angedient. Das Kriegsministerium lehnte zunächst ab, kam aber nach dem Tod eines Artilleriebeobachters auf sie zurück. In ihrem Nachlass befinden sich Dokumente dazu, unter anderem der Vertrag mit dem Ministerium über die Lieferung von Fallschirmen, außerdem Korrespondenz und Berechnungen. Darin tauchen Namen von Personen auf, die in der Inspektion und in der Luftschifferversuchsabteilung tätig waren. Allerdings gibt es zu diesen Menschen heute keine Akten mehr: Die Akten der Luftstreitkräfte des Ersten Weltkriegs sind gemeinsam mit dem Schriftgut der Preußischen Armee samt und sonders (bis auf wenige Ausnahmen) 1945 im Heeresarchiv in Potsdam verbrannt. Dennoch fand ich Zusammenhänge, die mich die Geschichte erzählen lassen, wie die Verbindung zwischen Käthe Paulus und den Preußischen Luftstreitkräften zustande kam.
Im Paulus-Nachlass taucht zum Beispiel als ein Name „von Kehler“ auf. Recherche: Käthe Paulus nahm von 1910 bis 1911 Motorflugunterricht beim Flugpionier Paul Engelhard. Paul Engelhard war beim Unternehmen Flugmaschinen Wright GmbH in Berlin Johannisthal unter Vertrag. Flugmaschinen Wright gehörte einem Richard von Kehler. 1913 wurde das Unternehmen nach einem Patentrechtsstreit aufgelöst. Richard von Kehler übernahm als Hauptmann der Reserve daraufhin Aufgaben im Stab der Luftschiffertruppen – und genehmigte laut Nachlass den Vertrag mit Käthe Paulus, der Ex-Flugschülerin seines Ex-Unternehmens. Heureka! Die beiden kannten sich also schon vorher.
Ich recherchierte noch zu weiteren Namen. Nicht zu allen fand ich etwas, aber was ich fand, war stimmig. Auch der Berliner Wohnort von Käthe Paulus in Reinickendorf ist kein Zufall: 1896 baute die Preußische Armee die erste Luftschiffereinheit der Welt auf – in der heutigen Julis-Leber-Kaserne in Berlin-Wedding, nahe Reinickendorf und südöstlich des Flughafens Tegel. 1906 wurde in Tegel, im ehemaligen Jagdgebiet Jungfernheide, die erste Luftschiffhalle gebaut. Es entstand der „Luftschifferhafen Reinickendorf“. 1914 wurde die Militäreinheit umbenannt in „Luftschifferersatzabteilung“, Aufgabe: Ausbildung der Feldluftschiffertruppen und Geländeaufklärung mit dem Fesselballon. Mit der Luftschifferersatzabteilung führte Käthe Paulus laut Nachlass rege Korrespondenz.
Übernachtungsgast | Nach dem Escape-Game traf gestern Abend ein Übernachtungsgast ein: Djure war auf der Durchreise und brauchte ein Sofa. Wir saßen bis in die Nacht zusammen, nahmen ein paar geistige Getränke zu uns und schnackten.
Djure hatte gesagt: „Wenn ich bei dir übernachte, backe ich dir am nächsten Morgen Pancakes.“
Ich kann ihn als Übernachtungsgast uneingeschränkt weiterempfehlen.
Auch so ein Mensch, den ich übers Bloggen und Twittern kennengelernt habe. Toller Ort, dieses Internet.
Gelesen | Was mit unseren Stimmzetteln nicht stimmt – aus Designersicht
Kommentare
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Und nun wird der Luftschifferhafen in Berlin-Reinickendorf tatsächlich im November geschlossen… ich glaub das ja erst, wenn mir hier keine Flugzeuge mehr übers Haus fliegen. Wo in Reinckendorf wohnte denn die Frau Paulus? Das ist ja quasi mein Kiez.
Gotthardstraße. In Höhe von Hausnummer 105 hängt eine Gedenktafel an einem Haus. Auf ihren Briefköpfen steht allerdings die Hausnummer 2, die heute die Hausnummer 4 ist.
Jo, da hat die Käthe das wirklich nicht weit gehabt zum Luftschifferhafen. Wobei die Hausnummern 4 und 105 jeweils am anderen Ende der Gotthardstraße sind… Um die Ecke bin ich zur Schule gegangen, von da, wo ich jetzt wohne, sind das 5 Minuten mit dem Auto – die Welt ist echt ein Dorf. Bei Gelegenheit schau ich mal nach der Gedenktafel!
Ich habe noch nicht herausgefunden, warum die Hausnummern abweichen. Es kann schlicht und ergreifend sein, dass die Gotthardstraße früher andersherum nummeriert war. Oder Käthe ist zwischendurch mal umgezogen. Oder ihr Wohnhaus war in Nummer 105, und die Werkstatt in Nummer 2. Ist für das Erzählen der Geschichte allerdings alles nicht relevant.
Ach nee, ich war auch Wahlhelferin, weil ich schon immer mal der Demokratie unter die Motorhaube gucken wollte!
Bei uns im Wahllokal war es aber strikt verboten zu fotografieren (angeblich laut Wahlordnung, ich habe es nicht überprüft). Dabei sah es nach dem Ausgießen der Urne so hübsch bunt aus mit gelb (Ob), grün (Stadt) und rot (Bezirk). Das hätte ich gerne festgehalten.
Verboten zu fotografieren? Mmh. Habe keinen Hinweis gesehen. Dass man keine Wahlzettel mit Adressen und Unterschriften (kenntlich) fotografiert, sollte ja klar sein.
Es handelt sich um eine öffentliche Auszählung. Ich finde es spannend zu teilen, wie es in so einem Auszählzentrum aussieht. Da kann jeder sehen, wie das vor sich geht und was mit der eigenen Stimme passiert.
Die ganze Logistik fand ich sehr beeindruckend.
Dank für die Wahlzettel-Designungersuchung von einer Wahlhelferin (immer Wahllokal, Briefwahl ist In Berlin wie Straflager). Sehr spannend, alles nachvollziehbar.
Nachdem ich das Briefing aus Berling erhielt, ging ich auch von Straflager aus. Umso erfreulicher war, dass Dortmund es offenbar besser organisiert.
Danke für die Ausflüge ins Käthe P. Universum, ich habe jetzt ernstlich einen Ohrwurm … das schöne Wort Luftaufsichtsbaracke kommt darin vor.
Finanzamt!
Es gibt z.T. noch sehr gute historische Bestände was STEUERN angeht. Das könnte bei Käthe interessant sein.
Habe bei wissenschaftshistorischem Arbeiten zu einer deutschen Professorin für den Zeitraum 1910-1930 dazu recherchiert und FAST (aber leider nur fast) die Steuerakten gefunden. Was super interessante Unterlagen sind.
Gibt Couleur: Adress- und Telefonbücher. Darüber kannst du sehen, wer auch an der Adresse gewohnt hat.
Häufig auch aufzufinden bei traditionellen Schulen und Gymnasien: Themenstellungen z.B. zum Abi.
Oh, danke für den Hinweis! Ich habe gerade mal geschaut und einen Telefonbucheintrag von 1935 gefunden: Gotthardstraße 2. Stimmt die Hausnummer 2 also doch.
Wie kommt man an die FInanzamtsdaten? Wer verwaltet die? Da gibt’s doch sicherlich auch Datenschutzfragen.
Beim Rest ist fraglich, ob es tatsächlich wichtig ist für die Geschichte.
Freut mich, das mit dem Adressbuch. Es ist auch die Frage, ob die Dame alleine wohnte oder „auf Zimmer“, wie damals sehr häufig – dann mussten sie häufiger umziehen. Und wer noch alles im Haus war.
Steuerakten: Mal beim Berliner Stadtmuseum die Archivleute fragen. Ich habe das vor über 20 Jahren recherchiert und wurde damals durchgereicht durch verschiedene Bezirksämter. Falls ich mich korrekt erinnere: Sie liegen gesammelt in einem von deren Archive.
Datenschutz ist nach 100 Jahren erloschen. ….